Grüne Nudges - Beck eLibrary
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Grüne Nudges „Grüne Nudges“ sind der letzte Schrei in der Umweltpolitik. Diese verhal- tensökonomisch informierten Instrumente sollen helfen, umweltbewusstes Verhalten anzuregen, ohne „harte“ monetäre Anreize zu verändern oder gar Verbote auszusprechen. Dieser Beitrag diskutiert die Wirksamkeit grüner Nudges sowie die politökonomischen und ethischen Aspekte ihres Einsat- zes. Dr. Christian Schubert 1970er Jahren aufgespürt haben. Als Sammelbegriff für ist Privatdozent an der Friedrich-Schiller- derlei Instrumente hat sich der Begriff „Nudge“ (dt.: Universität Jena und Lehrbeauftragter an „Stupser“) eingebürgert (vgl. Thaler/Sunstein, 2008; Suns- der Zeppelin-Universität Friedrichshafen sowie an der Universität Erfurt. Bevorzugte tein 2014). Nudges sind unter Ökonomen und Philosophen Forschungsgebiete: Politikimplikationen der umstritten (vgl. z. B. Hausman/Welch 2010), erfreuen sich Verhaltensökonomik, Behavioral Political aber in der politischen Praxis v.a. im angelsächsischen Economy. Raum großer Beliebtheit (vgl. Whitehead et al. 2014). Nudges sind vielfältig einsetzbar. Sehr allgemein formuliert können sie für paternalistische oder für nicht-paternalis- tische Ziele verwandt werden. Im ersteren Fall soll die Summary: Green Nudges are all the rage in environ- Wohlfahrt einzelner Individuen gesteigert werden: Man mental policy-making. As a part of behaviorally in- denke etwa an die bewusste Manipulation von Standard- formed public policy, they respond to real-world bzw. Voreinstellungen (defaults), um Mitarbeiter dazu zu agents’ cognitive biases – influencing their choices bewegen, mehr in betriebliche Rentensparpläne zu inves- without changing option sets or relative prices. Insofar tieren (vgl. Thaler/Benartzi, 2004) – um als genuiner Nud- as they encourage pro-environmental behavior, green ge zu gelten, muss es ihnen jederzeit möglich sein, die Ein- nudges are non-paternalistic. We present three repre- stellung zu trivialen Kosten zu ändern. Ein weiteres Bei- sentative examples, to wit, eco-labels, comparative de- spiel ist das geschickte Arrangement von „gesunden“ und scriptive norms and green defaults and discuss the po- „ungesunden“ Lebensmitteln in Kantinen, mit dem sich litico-economic and ethical questions raised by green Kunden nachweislich zur vermehrten Wahl ersterer anregen nudging. lassen (vgl. Thaler/Sunstein, 2008: 1–3). Im letzteren Fall geht es um den Beitrag zu Kollektivgütern, und hier kom- Stichwörter: Grüne Nudges, Behavioral Policies, men „grüne“ Nudges ins Spiel. Individuen sollen mit subti- Umweltpolitik, Grüne Defaults len Mitteln dazu bewogen werden, ihr Verhalten so zu än- dern, dass bestimmte umweltpolitische Ziele erreicht wer- 1. Was sind überhaupt (grüne) Nudges? den. Was genau sind Nudges? Nudges sind bewusste Änderun- Eine Möglichkeit, die positive Verhaltensökonomik als In- gen von Elementen der Entscheidungsarchitektur (choice spirationsquelle für die Entwicklung von Politikempfehlun- architecture), innerhalb derer sich ein Individuum zu gen zu nutzen, macht seit etwa zehn Jahren die Runde: Das einem beliebigen Zeitpunkt befindet; diese Änderungen Programm des „Libertären Paternalismus“ (vgl. Thaler/ beeinflussen sein Handeln auf vorhersehbare Weise, ohne Sunstein, 2003) schlägt vor, politische Regulierung weitest- monetäre Anreize oder die Alternativenmenge zu modifi- möglich von traditionellen verbots- oder anreizbasierten zieren. Mit anderen Worten: Nudges beeinflussen das Ver- auf solche Instrumente umzustellen, die das Verhalten rea- halten beschränkt rationaler Menschen – deren kognitive ler – beschränkt rationaler – Menschen beeinflussen, ohne Biases sie ausnutzen –, aber nicht das eines Homo Oecono- relative Preise zu verändern oder Alternativenmengen ein- micus (vgl. Hansen, 2016). Ein Beispiel: Unterschwellige zuschränken. Dieses Kunststück kann gelingen, wenn eini- Werbung (subliminal advertising) gilt nicht als Nudge, da es ge jener kognitiven Biases bewusst ausgenutzt werden, auch das Verhalten eines Homo Oeconomicus beeinflussen die experimentelle und Verhaltensökonomen seit den würde. Unabhängig davon erfüllt diese Art der Werbung https://doi.org/10.15358/0340-1650-2017-2-3-32, am 17.11.2021, 08:46:40 WiSt Heft 2–3 · Febr./März 2017 Open Access – - 32 http://www.beck-elibrary.de/agb
Schubert, Grüne Nudges aber auch nicht die Bedingung, dass genuine Nudges Echtzeit Feedback zum Stromverbrauch geben und damit transparent sein sollen (vgl. Thaler/Sunstein, 2008). Eine die Salienz dieser umweltrelevanten Verhaltensweise stei- strittige Frage ist, ob reine Informationskampagnen in den gern (vgl. Thaler/Sunstein, 2008: Kap. 12). Um Öko-Label Werkzeugkasten des Nudging gehören, oder ob das von in Zukunft effizient gestalten zu können, ist es natürlich Sunstein gern bemühte Beispiel des GPS als Nudge zählen sinnvoll, aus Fehlern der Vergangenheit zu lernen. Das EU- soll. Um den Begriff nicht zu weit auszudünnen, sollten sie Programm zur Kennzeichnung von Haushaltsgeräten liefert außen vor bleiben. Nudges sind also jene Eingriffe in den dafür ein gutes Beispiel: 1995 eingeführt, schrieb es vor, Entscheidungskontext, die das Handeln unvollständig in- Geräte nach ihrer Energieeffizienz entlang einer Skala von formierter Homines oeconomici unberührt lassen, nicht A (oder „grün“) bis G (oder „rot“) zu kennzeichnen. Nach- aber das realer Menschen. Ein grüner Nudge ist ein Nudge, dem um 2003 etwa 90 Prozent aller verkauften Geräte in der mit dem Ziel eingesetzt wird, umweltschonende Verhal- der EU die Stufe „A“ erreicht hatten, entschloss man sich, tensweisen anzuregen. diese Stufe selbst weiter aufzufächern, von „A+++“ bis „A+“. Der erwünschte Effekt blieb indes aus: Offenbar nah- 2. Drei Arten grüner Nudges men die Verbraucher das „A“ als neuen „Anker“ wahr und werteten alle Kennzeichnungen mit „A“ als grundsätzlich Um etwas Ordnung in die rasch wachsende, aber noch recht identisch (vgl. Ölander/Thogersen, 2014). unübersichtliche Literatur zu bringen, wollen wir grüne Nudges analytisch danach unterscheiden, an welchen ko- 2.2. Nutzung sozialen Konformismus gnitiven Biases sie konkret ansetzen (detaillierter vgl. Schubert, 2017a). Die drei am häufigsten diskutierten Ar- Menschen sind zutiefst soziale Wesen, was sich z. B. darin ten sind dann jene, die entweder (2.1) auf beschränkte zeigt, dass ihre Präferenzen regelmäßig von ihrem spezifi- Aufmerksamkeit ansprechen oder (2.2) sozialen Konformis- schen sozialen Umfeld geprägt werden. Bei Ungewissheit mus in Dienst nehmen oder schließlich (2.3) die Verhal- greifen sie oft auf die simple Daumenregel („Heuristik“) zu- tenseffekte von geänderten Voreinstellungen nutzen. rück, das zu tun, was die meisten anderen auch tun. Diese soziale Natur des Handelns – und nicht die normativ ver- 2.1. Erhöhung der Salienz bestimmter Eigenschaften brämte Botschaft, Menschen machten oft „Fehler“ – ist wo- möglich der eigentlich nachhaltige Beitrag der modernen Aus der verhaltensökonomischen Forschung wissen wir, Verhaltensökonomik zur ökonomischen Theoriebildung. dass reale Menschen Information oft ganz anders aufneh- Viele grüne Nudges nutzen natürlich diese zutiefst mensch- men und verarbeiten als es ein Homo Oeconomicus tun liche Eigenschaft. Ein erfolgreiches (und vielfach kopiertes) würde. Aufgrund ihrer beschränkten mentalen Ressourcen Beispiel dafür ist die Kampagne „Don’t mess with Texas“: erleben sie das Eintreffen neuer Informationen, wenn es Zwischen 1986 und 1993 konnte sie die Vermüllung der ein kritisches Maß übersteigt, regelmäßig als überfordernd Schnellstraßen im US-Bundesstaat Texas um ca. 70 Prozent – man spricht dann von „information overload“. Entge- reduzieren (vgl. Mols et al., 2015). Diese Kampagne verband gen der Annahme des Standardmodells verbessert zusätz- eine (in jener Region grundsätzlich unpopuläre) umweltpo- liche Information nicht notwendigerweise die Entscheidun- litische Botschaft mit einem Appell an die soziale Identität gen der Individuen. Vielmehr kann bereits die Vereinfa- v.a. junger männlicher Einheimischer. Mit Hilfe dieses Ap- chung etwa der Inhaltsangaben von Lebensmitteln das Ver- pells konnte eine bestimmte soziale Norm aktiviert werden, halten realer Menschen signifikant beeinflussen (vgl. z. B. die sonst vermutlich wirkungslos geblieben wäre. Lehner et al. 2016). Die wirksamsten (und meistzitierten) Beispiele für grüne Vor allem ist an dieser Stelle das Instrument der Öko-Label Nudges basieren auf der bewussten Ausnutzung sozialen zu nennen: Sie lassen sich nutzen, um die Salienz be- Konformismus. Ein im US-Bundesstaat Virginia angesiedel- stimmter (umweltrelevanter) Produkteigenschaften zu er- ter Dienstleister namens Opower organisiert für Energiever- höhen. Unter Salienz versteht man das „Hervorstechen“ sorger den Versand sogenannter „Home Energy Reports“, einzelner Eigenschaften relativ zu anderen in der subjekti- mit denen Haushalte regelmäßig über ihren Stromver- ven Wahrnehmung des Individuums. Öko-Label können da- brauch relativ zu dem ihrer Nachbarn informiert werden. zu dienen, bestimmte soziale Normen zu aktivieren bzw. Die Reports vergleichen den eigenen Stromverbrauch ent- bestimmte Produktqualitäten als besonders „wertvoll“ zu weder mit dem aller anderen Haushalte in der Nachbar- kommunizieren. schaft von vergleichbarer Größe oder mit allen Haushalten In der aktuellen umweltpolitischen Diskussion in den USA im sparsamsten Quintil aller Nutzer, oder mit dem eigenen spielt z. B. das Design von Labels bezüglich der Effizienz Verbrauch im vergangenen Monat bzw. Jahr. Ergänzend des Benzinverbrauchs von Autos eine große Rolle (vgl. enthalten sie praktische Tipps zum Energiesparen (ein Sunstein 2014: 65–67, 140–142). Im privaten Haushalt Sample findet sich in Costa/Kahn, 2013). Die begleitenden kann ein leuchtender Plastikball namens „Ambient Orb“ in Feldexperimente mit insgesamt rund 600.000 Teilnehmern https://doi.org/10.15358/0340-1650-2017-2-3-32, am 17.11.2021, 08:46:40 Open Access – - http://www.beck-elibrary.de/agb 33 WiSt Heft 2–3 · Febr./März 2017
Wissenschaftliche Beiträge sind als das bislang umfangreichste Experiment in der ver- 2003). Immer wieder zeigt sich, dass reale Individuen – sei haltensökonomischen Forschung bekannt geworden (vgl. es aus schlichter Trägheit („Status Quo-Bias“) oder Verlust- Allcott, 2011; Allcott/Rogers, 2014). Indem sie die knappe aversion – im Zweifel der jeweils geltenden Voreinstellung Ressource Aufmerksamkeit auf die Existenz einer sozialen folgen und es vermeiden, diese durch eine aktive Entschei- Norm lenken („Sei sparsam mit Energie!“), sind diese Re- dung zu umgehen. Dies tun sie relativ unbeeinflusst von ports ein Beispiel für eine deskriptive Normenbotschaft monetären Nutzenkalkülen. Natürlich läßt sich diese Form (vgl. Cialdin et al., 2006), die gegebenenfalls mit eindeutig beschränkter Rationalität auch im Sinne des Umweltschut- normativen Signalen wie Smileys ergänzt werden kann. zes ausnutzen. Die bislang vorliegende empirische Evidenz belegt die mo- Das haben etwa Pichert/Katsikopoulos (2008) untersucht. derate Wirksamkeit solcher Maßnahmen: Allcott (2011: In Feld- und Laborexperimenten konnten sie zeigen, wel- 1093) etwa berichtet, dass der durchschnittliche treat- che Verhaltenswirkungen ein grüner Default haben kann. ment-Effekt (Energiereduktion um 1,4 bis 3,3 Prozent) der Eines der Feldexperimente fand – und findet bis heute – in zu erwartenden langfristigen Wirkung einer Preissteige- der badischen Kleinstadt Schönau statt. Der lokale Energie- rung von 5 Prozent entspricht. versorger EWS restrukturierte Ende der 1990er Jahre sein Einige interessante Einschränkungen gilt es zu beachten, Angebot so, dass automatisch „grünen“ Strom (d. h. sol- wenn sozialer Konformismus ausgenutzt werden soll: Ers- chen aus erneuerbaren Quellen) geliefert bekam, wer nicht tens ist es durchaus fraglich, wie „nachhaltig“ der Verhal- explizit Widerspruch einlegte. Im Jahre 2014 bezogen im- tenseffekt ist. Allcott/Rogers (2014) beschreiben ein „cycli- mer noch rund 99 % der Kunden in Schönau grünen Strom cal pattern of action and backsliding“, das erst langfristig (Sunstein/Reisch, 2014). Ebeling/Lotz (2015) haben kürz- abebbt und in moderaten Verhaltensänderungen mündet. lich ähnlich dramatische Verhaltenseffekte bei einer rando- Zweitens scheint die Empfänglichkeit privater Haushalte misierten kontrollierten Studie mit 40.000 Haushalten in für Normenbotschaften der beschriebenen Art signifikant ganz Deutschland nachweisen können. von der ideologischen Grundausrichtung der Adressaten Ein Homo Oeconomicus würde sich in seinem Verhalten abzuhängen. Costa und Kahn (2013) fanden heraus, dass nicht davon beeindrucken lassen, welche Voreinstellung zu die „Home Energy Reports“ den Stromverbrauch jener einem gegebenen Zeitpunkt gilt (solange er sie zu trivialen Haushalte am stärksten negativ beeinflussten, die politisch Kosten ändern kann). Reale Menschen aber sind offenkun- den US-Demokraten zuneigten, während sie bei registrier- dig auf diese Weise steuerbar. Das wird in der Literatur ge- ten Republikanern tendenziell eher Ablehnung oder gar meinhin auf drei psychologische Faktoren zurückgeführt. Reaktanz hervorriefen. Das legt nahe, im Interesse der Effi- Reale Individuen neigen gerade bei nicht-trivialen Ent- zienz Reports dieser Art an den Besonderheiten des jeweili- scheidungsproblemen zu Bequemlichkeit (Inertia), sie gen Adressatenkreis auszurichten. Drittens berichten man- weisen regelmäßig Verlustaversion auf – die Standardein- che Autoren von einem „Bumerang-Effekt“: Einige jener stellung wird als eine Art Referenzpunkt angesehen, von Haushalte, die schon zuvor weniger als der Durchschnitt dem abzuweichen einen „Verlust“ impliziert –, und sie nei- ihrer Region verbraucht hatten, erhöhten ihren Stromver- gen v.a. bei komplexen Produkten dazu, die jeweils gelten- brauch nach Erhalt der Reports! Aus der psychologischen de Standardeinstellung als implizite Empfehlung von ver- Forschung ist bekannt, dass das Wissen um deskriptive so- meintlich wohlinformierten „Experten“ zu deuten. Heraus- ziale Normen Individuen mit einer „moralischen Lizenz“ zufinden, welche Faktoren im jeweils relevanten Anwen- versehen kann, ihr Verhalten dem Normverhalten anzunä- dungskontext eine Rolle spielen, kann sowohl für das prak- hern (vgl. z. B. Cialdini et al., 2006). Sunstein/Reisch tische Design als auch für die ethische Bewertung grüner (2014, S. 129) folgern aus diesen und ähnlichen Studien: Nudges wichtig sein. „If environmentalists lament the fact that few people are choosing green energy, they may aggravate the problem by 3. Zur Ethik von grünen Nudges drawing attention to, and thus reinforcing, a social norm that they hope to change”. Wie hoch sind die „normativen Kosten“ des Einsatzes grü- ner Nudges? In der umweltökonomischen Literatur wird 2.3. Gestaltung von Voreinstellungen diese Frage kaum diskutiert; es herrscht generell ein tech- nokratischer Ansatz vor, der die Legitimität dieser Instru- Als wirksamste Nudges haben sich bislang Änderungen der mente unter rein instrumentellen Vorzeichen bewertet. Voreinstellungen („Defaults”) erwiesen, etwa wenn es pa- Kaum beherzigt wird die Mahnung von Croson/Treich ternalistisch darum ging, die Beteiligung an betrieblichen (2014: 342): „Understanding the risks and concerns invol- Rentensparplänen anzuregen (vgl. Thaler/Benartzi, 2004) ved with any intervention is pivotal to ensuring its appro- oder wenn das nicht-paternalistische – gleichwohl natür- priate implementation.” Wir werden kurz auf die Zieldimen- lich umstrittene – Ziel verfolgt wurde, die Zahl der regis- sion sowie die Autonomiekosten und einige politökonomi- trierten Organspender zu erhöhen (vgl. Johnson/Goldstein, sche Aspekte eingehen. https://doi.org/10.15358/0340-1650-2017-2-3-32, am 17.11.2021, 08:46:40 WiSt Heft 2–3 · Febr./März 2017 Open Access – - 34 http://www.beck-elibrary.de/agb
Schubert, Grüne Nudges 3.1. Zur Legitimität nicht-paternalistischer Nudges Grand/New, 2015: 108–110). Viele der Anwendungen des „Libertären Paternalismus“ 3.3. Grüne Nudges in der Demokratie (Thaler/Sunstein 2003) sind – der Name des Programms deutet es an – paternalistischer Natur und entsprechend Potentielle Autonomiekosten drohen auch auf sozialer Ebe- umstritten: Entscheidungen erwachsener Bürger kurzer- ne. John et al. (2009) etwa argumentieren, dass staatliche hand als „fehlerhaft“ zu deklarieren und sie mittels der (Umwelt)-Politik, insoweit sie auf psychologische „Tricks” Ausnutzung kognitiver Biases „korrigieren“ zu wollen spie- rekurriere, den Charakter demokratischer Politik ändere. gelt eine herablassende Einstellung wider, ganz abgesehen Dieses Problem hat zwei Aspekte: Zum einen kann Nudging von der damit einhergehenden Anmaßung von Wissen da- die subjektiv wahrgenommene Legitimität staatlichen Han- rüber, was im wohlverstandenen Interesse der Regelungs- delns beeinträchtigen: In einem demokratisch verfassten adressaten liege sowie allgemein der völlig unklaren wohl- Gemeinwesen erwarten die Bürger typischerweise nicht, fahrtstheoretischen Fundierung (z. B. Hausman/Welch, dass ihre Regierung sie mit Methoden zu beeinflussen ver- 2010). Grüne Nudges hingegen streben nicht danach, den sucht, die man sonst eher aus der Werkzeugkiste privaten Einzelnen vor sich selbst zu schützten, sondern sie sollen Marketings kennt. individuelle Beiträge zu Kollektivgütern anregen. Das Zum anderen adressiert eine auf psychologische „Tricks“ macht sie weniger angreifbar. Während etwa der Begriff in- zurückgreifende Regierung die Bürger nicht als rationale, dividueller Wohlfahrt in einem verhaltensökonomischen Respekt verdienende Personen, sondern als affektgetriebe- Kontext (bei inkonsistenten Präferenzen) neu zu justieren ne und tendenziell „irrationale“ Wesen, die es weniger zu wäre (Angner, 2016: Kap. 12; Schubert, 2015), hängt der überzeugen als vielmehr zu manipulieren gilt. Insoweit das Begriff der Externalität lediglich davon ab, dass Nutzen- der Fall ist, werden offene Formen demokratischer Delibe- (und Produktions-)funktionen überhaupt existieren (van ration zurückgedrängt: Nudges können im Grenzfall eine den Bergh et al., 2000). Und es ist nicht von der Hand zu „abstumpfende“ Wirkung auf die öffentliche Auseinander- weisen, dass viele Entscheidungsarchitekturen im Status setzung um Ziele und Mittel der (Umwelt)-Politik ausüben Quo systematisch umweltschädliches Verhalten fördern. (Furedi, 2011). Grüne Nudges etwa fördern oft gerade nicht Ein Aspekt, der bei der ethischen Analyse zu beachten ist, umweltbewusstes Handeln, sondern sozusagen nur Han- ist die behauptete Zustimmung der Bürger zu grünen Nud- deln, das so aussieht als ob es umweltbewusst sei. Es lohnt ges – wenngleich „stated preferences“ natürlich oft expres- in diesem Zusammenhang, über die politische Ökonomie siven Charakter haben, also nicht allzu ernst zu nehmen von Nudging allgemein nachzudenken (Schubert, 2017b): sind. Hagman et al. (2015) zeigen, dass grüne Nudges dann Eigennutzorientierte Politiker könnten Nudges deshalb so mehrheitsfähig sind, wenn das jeweils angestrebte Ziel all- attraktiv finden, weil sie von potenziell wirksameren an- gemein akzeptiert wird – in der konkreten Umfrage war das reizbasierten Instrumenten ablenken, die jedoch höhere jedenfalls beim Energiesparen der Fall (s. auch Sunstein, politische Kosten erzeugen (Loewenstein/Ubel, 2010). Zu- 2016: Kap. 6). dem haben sie einen latenten Anreiz, Nudges auf intrans- parente Weise einzusetzen, um deren Effektivität zu erhö- 3.2. Grüne Nudges und Autonomie hen. Ein eng verwandter letzter Punkt sei erwähnt: Grüne Nud- Oft wird gegen Nudges ins Feld geführt, dass sie mittels der ges sind geeignet, die knappe Ressource Aufmerksamkeit bewussten Ausnutzung kognitiver Biases die Ratio des Ein- von den „tiefen“ sozio-institutionellen Ursachen ökologi- zelnen umgingen und qua Manipulation seine Autonomie scher Probleme wegzulenken – stattdessen wird der Fokus beeinträchtigten (etwa Bovens, 2009; Hausman/Welch, auf individuelle „Fehler“ gelegt. Derlei könnte ein kulturel- 2010). Angewandt auf grüne Nudges ließe sich z. B. argu- les Umfeld begünstigen, „where the blame for all society’s mentieren, dass die ethische Qualität der Modifikation von ills is pinned on the mindsets of individuals. This might Voreinstellungen davon abhängt, ob deren Wirksamkeit auf distract from broader understandings of societal problems” bestimmte unbewusst operierende kognitive Biases (z. B. (Emmett, 2014). Dieser Einwand spiegelt eine übergreifen- Verlustaversion, s.o., 2.3) zurückzuführen ist (Smith et al., de Kritik am positiven verhaltensökonomischen For- 2013). Im Gegensatz dazu kann Feedback bezüglich des ei- schungsprogramm wider, dem zuweilen vorgehalten wird, genen Energieverbrauchs – wie im Falle der „Home Energy zu individualistisch zu sein und institutionelle Dimensio- Reports“ (s.o., 2.2) – durchaus als Beitrag zur Förderung nen ihrer Explananda zu vernachlässigen (z. B. Ross, der Konsumentensouveränität betrachtet werden. Auch 2014). beim Design grüner Nudges sollte indes beachtet werden, dass reale Individuen Beeinflussungsversuche durch Nud- ging ablehnen (und mit Reaktanz beantworten), insoweit sie diese subjektiv als bevormundend wahrnehmen (Le https://doi.org/10.15358/0340-1650-2017-2-3-32, am 17.11.2021, 08:46:40 Open Access – - http://www.beck-elibrary.de/agb 35 WiSt Heft 2–3 · Febr./März 2017
Wissenschaftliche Beiträge 4. Fazit Hagman, W., Andersson, D., Västfjäll, D., Tinghög, G., Public views on poli- cies involving nudges, in: Review of Philosophy and Psychology, Vol. 6 (2015), S. 439–453. Grüne Nudges erfreuen sich in der gegenwärtigen umwelt- Hansen, P.G., The definition of nudge and libertarian paternalism – does politischen Debatte steigender Beliebtheit. Bevor sie aber the hand fit the glove? in: European Journal of Risk Regulation, Vol. 1/ übereilt implementiert werden, sollten (v.a.) drei Aspekte 2016, S. 1–20. beachtet werden. Hausman, D.M., Welch, B., Debate: To nudge or not to nudge? in: Journal of Political Philosophy, Vol. 18 (2010), S. 123–136. Erstens ist ihre Wirksamkeit offenbar hochgradig kontext- John, P., Smith, G., Stoker, G., Nudge nudge, think think: Two strategies abhängig. Daran werden vermutlich auch personalisierte for changing civic behaviour, in: Politics Quarterly, Vol. 80 (2009), Nudges in Zukunft wenig ändern (zu „smart defaults“ etwa S. 361–370. Smith et al., 2013). Zweitens ist unklar, inwiefern sie tat- Johnson, E.J., Goldstein, D.G., Do defaults save lives? in: Science, Vol. 302 (2003), S. 1338–1339. sächlich nachhaltige Wirkungen im Sinne eines umweltbe- Le Grand, J., New, B., Government Paternalism. Princeton: Princeton Uni- wussten Verhaltens generieren, da oft ja lediglich unbe- versity Press, 2015. wusste kognitive Biases ausgenutzt werden – insofern sind Lehner, M., Mont, O., Heiskanen, E., Nudging – a promising tool for sustai- sie eher als Komplemente zu traditionellen anreizbasier- nable consumption behavior? in: Journal of Cleaner Production, im Er- scheinen (2016). ten Instrumenten zu sehen. In den Worten von Gowdy Loewenstein, G.A., Ubel, P., Economists behaving badly, in: New York (2008: 639): „Moving away from a fossil fuel economy re- Times, july 15, 2010, S. A31. quires institutional change, not merely modifying indivi- Mols, F., Haslam, A., Jetten, J., Steffens, N.K., Why a nudge is not enough: A social identity critique of governance by stealth, in: European Journal of dual behavior at the margin.” Drittens sollten sie stets auf Policy Research, Vol. 54 (2015), S. 81–98. hinreichend transparente Weise eingesetzt werden – etwa Ölander, F., Thøgersen, J., Informing versus Nudging in Environmental Po- so, dass ein hinreichend aufmerksames Individuum sie je- licy, in: Journal of Consumer Policy, Vol. 37 (2014), S. 341–356. derzeit aufdecken könnte (Bovens, 2009). Ein entspre- Pichert, D., Katsikopoulos, K.V., Green defaults: information presentation and pro-environmental behavior, in: Journal of Environmental Psycholo- chend ethisch aufgeklärtes, konstitutionell kontrolliertes gy, Vol. 28 (2008), S. 63–73. Nudging (Schubert, 2014) könnte auf unbedenkliche Weise Ross, D., Philosophy of Economics. London: Palgrave Macmillan, 2014. einen konstruktiven Beitrag zum Umweltschutz leisten. Schubert, C., Evolutionary economics and the case for a constitutional li- bertarian paternalism, in: Journal of Evolutionary Economics 24 (2014), S. 1107–1113. Literatur Schubert, C., Opportunity and preference learning, in: Economics & Philo- sophy, Vol. 31 (2015), S. 275–295. Allcott, H., Social norms and energy conservation, in: Journal of Public Schubert, C., Green nudges: Do they work? Are they ethical? in: Ecological Economics, Vol. 95 (2011), S. 1082–1095. Economics 132 (2017a), S. 329–342. 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Alle relevanten Wirtschaftsgesetze. Die Textausgabe enthält in einem Band alle im Wirtschaftsleben relevanten Rechtsvorschriften: Allgemeines Zivilrecht Q Bürgerliches Gesetzbuch (Auszug: Allgemeiner Teil, Recht der Schuldverhältnisse, Sachenrecht) Q Einführungsgesetz zum Bürgerlichen Gesetzbuch Q Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz Q Produkthaftungsgesetz Handelsrecht Q Handelsgesetzbuch (ohne Seehandelsrecht) Q UN-Kaufrecht (CISG) Wettbewerbsrecht Q Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb (UWG) Q Preisangabenverordnung Gesellschaftsrecht Q Aktiengesetz Q GmbH-Gesetz Q Genossenschaftsgesetz Q Partnerschaftsgesellschaftsgesetz Q Umwandlungsgesetz Insolvenzrecht Q Insolvenzordnung Kapitalmarktrecht Aktuelle Wirtschaftsgesetze 2017 Q Kreditwesengesetz #WȩCIG8+++5GKVGP Q Wertpapierhandelsgesetz -CTVQPKGTVa ISBN 978-3-406-69668-8 Die Neuauflage /GJT+PHQTOCVKQPGP enthält insbesondere die Änderungen durch YYYDGEMUJQRFGDMDTMQ Q das Gesetz zur Umsetzung der Wohnimmobilien- kreditrichtlinie und zur Änderung handelsrechtlicher Vorschriften Q die Aktienrechtsnovelle 2016 Q das Abschlussprüfungsreformgesetz (AReG). Erhältlich im Buchhandel oder bei: beck-shop.de | Verlag C.H.BECK oHG · 80791 München | bestellung@beck.de | Preise inkl. MwSt. | 166836 https://doi.org/10.15358/0340-1650-2017-2-3-32, am 17.11.2021, 08:46:40 Open Access – - http://www.beck-elibrary.de/agb
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