Ägyptens Außenpolitik nach dem Putsch - Stephan Roll SWP-Studie
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SWP-Studie Stiftung Wissenschaft und Politik Deutsches Institut für Internationale Politik und Sicherheit Stephan Roll Ägyptens Außenpolitik nach dem Putsch Strategiewechsel zur Herrschaftssicherung S 16 August 2016 Berlin
Alle Rechte vorbehalten. Abdruck oder vergleichbare Verwendung von Arbeiten der Stiftung Wissenschaft und Politik ist auch in Aus- zügen nur mit vorheriger schriftlicher Genehmigung gestattet. SWP-Studien unterliegen einem Begutachtungsverfah- ren durch Fachkolleginnen und -kollegen und durch die Institutsleitung (peer review). Sie geben die Auffassung der Autoren und Autorinnen wieder. © Stiftung Wissenschaft und Politik, Berlin, 2016 SWP Stiftung Wissenschaft und Politik Deutsches Institut für Internationale Politik und Sicherheit Ludwigkirchplatz 3−4 10719 Berlin Telefon +49 30 880 07-0 Fax +49 30 880 07-100 www.swp-berlin.org swp@swp-berlin.org ISSN 1611-6372 Die vorliegende Publikation entstand in dem vom Aus- wärtigen Amt im Rahmen der Transformationspartner- schaften mit der arabischen Welt und der Robert Bosch Stiftung geförderten Projekt »Elitenwandel und neue soziale Mobilisierung in der arabischen Welt« in Koope- ration mit der Friedrich- Ebert-Stiftung, dem Studien- werk der Heinrich Böll Stif- tung sowie dem Institut für Begabtenförderung der Hanns-Seidel-Stiftung.
Inhalt 5 Problemstellung und Empfehlungen 7 Machtverschiebungen im außenpolitischen Entscheidungsprozess seit 2011 7 Schwächung des präsidialen Machtzentrums 8 Das Außenministerium als Exekutivorgan und Propaganda-Abteilung 9 Die Militärführung im Hintergrund 11 Regimekonsolidierung als oberste außenpolitische Priorität 11 Zahlungsfähigkeit sicherstellen 13 Vermeidung externer Abhängigkeiten 15 Außenpolitischer Strategiewechsel 15 Diversifizierung der Außenbeziehungen 15 Beziehungen zu den Golfstaaten 17 Beziehungen zu Russland 18 Beziehungen zum Westen 22 Aufbau und Projektion von Hardpower 26 Schlussfolgerungen und Empfehlungen 28 1. Politische und wirtschaftliche Reformen einfordern 28 2. Die richtigen Adressaten wählen 29 3. Konditionen (richtig) setzen 29 4. Allianzen innerhalb der EU und mit den USA bilden 30 Abkürzungen 30 Lektüre-Hinweise
Dr. Stephan Roll ist Wissenschaftler in der SWP- Forschungsgruppe Naher/Mittlerer Osten und Afrika
Problemstellung und Empfehlungen Ägyptens Außenpolitik nach dem Putsch. Strategiewechsel zur Herrschaftssicherung Der Militärputsch in Ägypten von Juli 2013 markierte den Beginn einer außenpolitischen Neuorientierung des Landes. Anders als in der 30-jährigen Mubarak-Ära, als Ägypten sein regionales wie internationales Auf- treten weitgehend mit seinen westlichen Partnern, allen voran den USA, abstimmte, setzt das Land nun auf außenpolitische Diversifizierung. Es vollzog einen Schulterschluss mit den drei Golfstaaten Saudi- Arabien, Vereinigte Arabische Emirate und Kuwait, und es intensivierte seine Beziehungen zu Russland. Dadurch hat Ägypten seine enge Anbindung an den Westen deutlich abgeschwächt. Mit dieser Neuorien- tierung ging das Bemühen einher, die eigenen mili- tärischen Handlungskapazitäten auszubauen. Ägypten hat seit dem Sommer 2013 Rüstungsgeschäfte im Umfang von rund 12 Milliarden US-Dollar abgeschlos- sen. Während in der Vergangenheit vor allem ameri- kanische Rüstungsgüter gekauft wurden, setzt die Führung in Kairo nun auf verschiedene Bezugsquel- len, darunter insbesondere Frankreich und Russland. Zudem hat Ägypten offensiv seinen militärischen Füh- rungsanspruch in der arabischen Welt untermauert – durch die Militärintervention in Libyen von Februar 2015 ebenso wie mit einer Initiative zur Gründung einer Armee unter dem Dach der Arabischen Liga. Die neue ägyptische Außenpolitik wird in dieser Studie durch den innerstaatlichen Kontext der außen- politischen Entscheidungsfindung erklärt. Im Mittel- punkt der Analyse stehen dabei nicht einzelne Ent- scheidungen, sondern die grundsätzlichen, stark innenpolitisch motivierten Ziele der Entscheidungs- träger sowie deren Strategien zur Zielerreichung. Für Präsident Sisi und das ihn stützende Militär hat es oberste Priorität, die Zahlungsfähigkeit des Landes aufrechtzuerhalten. Ein Staatsbankrott und die wirt- schaftlichen wie sozialen Verwerfungen, die damit einhergingen, würden die Herrschaftskonsolidierung des neuen Regimes zumindest gefährden. Hauptinter- esse der außenpolitischen Entscheidungsträger ist es daher, neue Finanzquellen außerhalb Ägyptens zu erschließen. Zugleich ist das Regime darum bemüht, von externen Akteuren möglichst unabhängig zu bleiben. Andernfalls könnte es unter Druck geraten, Wirtschaftsreformen umsetzen zu müssen – was in der Bevölkerung sehr unpopulär wäre – oder gar das SWP Berlin Ägyptens Außenpolitik nach dem Putsch August 2016 5
Problemstellung und Empfehlungen politische System öffnen zu müssen. Außenpolitische Erstens sollte von der ägyptischen Führung deut- Diversifizierung sowie die »Aufwertung« des Landes lich aktiver und konkreter als bisher eine Verbes- im regionalen Machtgefüge sollen es Kairo ermögli- serung der Menschenrechtssituation im Land ein- chen, diesen Spagat zu vollbringen: einerseits externe gefordert werden. Im Mittelpunkt stehen sollten Hilfen zu generieren, andererseits außenpolitische dabei ein Ende exzessiver Polizeigewalt, die Freilas- Abhängigkeiten zu verhindern. sung politischer Gefangener sowie der Abbau recht- Zunächst schien es, als wäre die außenpolitische licher Restriktionen für die Zivilgesellschaft. Andern- Strategie der Sisi-Administration erfolgreich. Der falls droht nicht nur eine weitere Radikalisierung Staatsbankrott ließ sich abwenden, weil die Golfstaa- und damit eine Beschleunigung der Gewaltspirale ten Hilfszahlungen und Kredite in Höhe von mindes- im Land. Auch Wirtschaftsreformen würden ohne tens 25 Milliarden US-Dollar verfügbar machten. Zu- eine Änderung der politischen Rahmenbedingungen gleich konnte Ägyptens Führung die Beziehungen schnell an ihre Grenzen stoßen. zu den westlichen Staaten weitgehend normalisieren, Zweitens sollten diese Forderungen nicht im ohne dafür Zugeständnisse hinsichtlich politischer Rahmen von – bislang wenig erfolgreicher – Hinter- oder wirtschaftlicher Reformen machen zu müssen. zimmerdiplomatie, sondern öffentlich gegenüber Dass das Sisi-Regime brutal gegen Opposition und Präsident Sisi und seiner Administration erhoben Zivilgesellschaft vorging, hatte somit kaum Konse- werden. Auf Arbeitsebene sollten parallel dazu die quenzen auf Seiten der internationalen Staaten- Kontakte zum ägyptischen Militär intensiviert wer- gemeinschaft. Spätestens Anfang 2016 wurde aller- den, denn diesem kommt – wie nicht zuletzt die dings deutlich, dass sich durch die neue Außenpolitik Außenpolitikanalyse zeigt – die zentrale Rolle im die Zahlungsfähigkeit des Landes mittel- und lang- politischen Entscheidungsprozess zu. fristig nicht sichern lässt. Die Anzeichen für eine Drittens sollte es zur Vorbedingung für die Vergabe schwindende Hilfsbereitschaft der Golfmonarchien von Entwicklungskrediten und insbesondere für mehrten sich. Gleichzeitig belasteten die Kosten der Budgethilfen gemacht werden, dass diese Forderungen expansiven Rüstungspolitik die ägyptischen Staats- schrittweise erfüllt werden. Das IWF-Kreditabkommen finanzen zusätzlich. Dies wog umso schwerer, als es mit seinen rein makroökonomischen Auflagen ist da- der Regierung trotz der politisch motivierten Renten- bei ein Schritt in die falsche Richtung; es sollte des- zuflüsse nicht gelungen war, die sozioökonomische halb von Deutschland und seinen europäischen Part- Lage zu verbessern. Um den Staatsbankrott abzuwen- nern in der gegenwärtigen Form nicht unterstützt den, musste sich die Sisi-Administration wieder stär- werden. Rüstungsgeschäfte mit Ägypten bedürfen ker auf die westlichen Staaten und die von ihnen keiner Konditionierung – sie sollten gänzlich unter- dominierten internationalen Geberorganisationen lassen werden. Nicht nur die Menschenrechtssituation zubewegen. Im Juli 2016 ersuchte Ägypten schließlich steht Waffenexporten entgegen. Auch die mit Rüs- den Internationalen Währungsfonds um Hilfe. Ein tungskäufen verbundene Erhöhung der ägyptischen Kredit über 12 Milliarden US-Dollar soll nun makro- Staatsschulden liegt nicht im Interesse Deutschlands ökonomische Reformen ermöglichen, um den wirt- und seiner europäischen Partner. schaftlichen Niedergang Ägyptens abzuwenden. Viertens sollten Deutschland und die anderen Deutschland und seine europäischen Partner soll- europäischen Staaten ihre Politik gegenüber Ägypten ten vor diesem Hintergrund ihre Politik gegenüber deutlich stärker als bisher koordinieren. Falls es nicht Ägypten anpassen. Dem außenpolitischen Taktieren gelingt, sich mit anderen Regierungen auf eine Kondi- der Sisi-Administration, das zuvorderst der eigenen tionierung von Hilfen zu verständigen, sollte Deutsch- Herrschaftssicherung dient, sollte mit einer Politik land ein solches Instrument zumindest in der eigenen begegnet werden, die auf nachhaltige politische wie Politik gegenüber dem Sisi-Regime konsequent an- wirtschaftliche Stabilisierung des mit 90 Millionen wenden. Menschen bevölkerungsreichsten Landes der arabi- schen Welt abzielt. Denn sollte Ägypten kollabieren, wären die Folgen für Europa – in Form wachsenden Migrationsdrucks und steigender terroristischer Be- drohung – unabsehbar. Bei der Ausarbeitung dieser Strategie sollten vor allem vier Punkte berücksichtigt werden. SWP Berlin Ägyptens Außenpolitik nach dem Putsch August 2016 6
Schwächung des präsidialen Machtzentrums Machtverschiebungen im außenpolitischen Entscheidungsprozess seit 2011 Durch den Sturz von Präsident Husni Mubarak Anfang würde das präsidiale Machtzentrum abermals den 2011 erlangte das ägyptische Militär einen noch stär- außenpolitischen Entscheidungsprozess dominieren.2 keren Einfluss auf Politik und Wirtschaft des Landes, Im Juli 2013 übernahm das Militär erneut die Macht; als dies bereits zuvor der Fall gewesen war. Während damit verlagerte sich der außenpolitische Entschei- die Generäle in der 30-jährigen Mubarak-Ära vor allem dungsprozess abermals in das Verteidigungsministe- eine Vetofunktion im politischen System innehatten, rium. Der vom Militär eingesetzte Übergangspräsident verließen sie nun ihre »Komfortzone« und übernah- Adly Mansour erfüllte lediglich eine repräsentative men eine deutliche aktivere Rolle in der Politikgestal- Funktion; in seinen Dekreten setzte er die Vorgaben tung.1 Besonders deutlich wurde diese Entwicklung der Militärführung unter Verteidigungsminister Abdel auch im außenpolitischen Entscheidungsprozess des Fatah al-Sisi um. Dies geschah auch, als ein neuer Chef Landes. Sowohl Präsidialamt als auch Außenministe- des Auslandsgeheimdienstes zu benennen war. Nur rium büßten an Bedeutung ein, während der Oberste einen Tag nach der Machtübernahme des Militärs wur- Militärrat (Supreme Council of the Armed Forces – de diese Position mit Farid al-Tuhami besetzt, einem SCAF), das höchste militärische Führungsgremium, ehemaligen Mentor und engen Vertrauten Sisis.3 Für seinen Einfluss formell wie informell schrittweise aus- den außenpolitischen Entscheidungsprozess deutete baute. Endgültig verfestigt wurde diese neue Macht- sich dadurch eine ähnliche Konstellation wie unter konstellation mit dem Militärputsch von Juli 2013, der Mubarak an. Anders als Mubaraks mächtiger Geheim- dem ehemaligen Verteidigungsminister Abdel Fatah dienstchef Omar Suleiman vermochte es Tuhami al-Sisi den Weg ins Präsidentenamt ebnete. allerdings nicht, sich als Schattenaußenminister zu profilieren. Ausschlaggebend dafür war, dass der Auslands- Schwächung des präsidialen Machtzentrums geheimdienst seit 2011 an politischem Gewicht verlo- ren hatte. Die Militärs übernahmen damals zunächst Bis 2011 dominierte das präsidiale Machtzentrum den die direkte Führung dieser Behörde, und auch nach – außenpolitischen Entscheidungsprozess. Präsident formaler – Übergabe ihrer Macht an den Staatspräsi- Mubarak war nicht nur gemäß der ägyptischen Verfas- denten behielten sie die faktische Kontrolle. Die Mit- sung oberster Entscheidungsträger. Auch faktisch arbeiter des Geheimdienstes wurden durch die Ver- hatte das Präsidialamt die federführende Rolle bei den fassung von 2014 explizit der Militärgerichtsbarkeit zentralen außenpolitischen Dossiers des Landes. Wich- tigster Emissär und engster Vertrauter Mubaraks war 2 Ähnlich wie Mubarak setzte Mursi bei wichtigen Dossiers nicht auf den Außenminister, sondern auf seinen engen Ver- der Chef des Auslandsgeheimdienstes (»Mukhabarat«), trauten Essam al-Haddad. Haddad, ein führendes Mitglied der Omar Suleiman, der direkt dem Präsidialamt unter- Muslimbruderschaft, wurde zum Assistenten für außenpoli- stand und zum Schattenaußenminister avancierte. tische Angelegenheiten und internationale Kooperation er- Das Machtvakuum, das nach dem erzwungenen Rück- nannt; damit war er ein zentraler Ansprechpartner ausländi- tritt Mubaraks im Februar 2011 entstand, wurde durch scher Regierungen. Vgl. Jannis Grimm/Stephan Roll, Ägyptens das Militär gefüllt. Der Oberste Militärrat übernahm Außenpolitik unter Muhammad Mursi. Innenpolitisches Kalkül und wirtschaftliche Handlungszwänge, Berlin: Stiftung Wissenschaft durch eine Verfassungserklärung die Befugnisse des und Politik, Oktober 2012 (SWP-Aktuell 58/2012), (Zugriff am 4.7.2016). Nach der Wahl Mohammed Mursis zum Staats- 3 Unter Mubarak hatte Tuhami die mächtige Verwaltungs- präsidenten im Juni 2012 sah es zunächst so aus, als kontrollbehörde geleitet. Ihre Aufgabe bestand darin, die Verwaltung und den öffentlichen Wirtschaftssektor zu über- wachen – eine für die Herrschaftsausübung wichtige Funk- 1 Vgl. Holger Albrecht/Dina Bishara, »Back on Horseback: tion. 2012 war Tuhami, der als erbitterter Gegner der Muslim- The Military and Political Transformation in Egypt«, in: bruderschaft galt, von Mursi seines Postens enthoben und in Middle East Law and Governance, 3 (2011) 1/2, S. 13–23 (17ff). den Ruhestand versetzt worden. SWP Berlin Ägyptens Außenpolitik nach dem Putsch August 2016 7
Machtverschiebungen im außenpolitischen Entscheidungsprozess seit 2011 unterstellt (Artikel 204); sie können so jederzeit von Das Außenministerium als Exekutivorgan den Generälen zur Rechenschaft gezogen werden. und Propaganda-Abteilung Tuhami selbst wurde Ende 2014 überraschend durch seinen Stellvertreter Khaled Fawzy abgelöst. Unklar Obwohl das Außenministerium wie bereits vor 2011 blieb, ob dafür, wie offiziell behauptet, tatsächlich kaum in den außenpolitischen Entscheidungsprozess gesundheitliche Gründe verantwortlich waren – oder einbezogen wurde, bildete es nach dem Sturz Muba- vielmehr die sogenannte Sisi-Leaks-Affäre, bei der an- raks doch eine wichtige Machtressource für die poli- gebliche Tonbandaufzeichnungen aus dem Präsidial- tische Führung. Mit über 950 Diplomaten und meh- amt von ausländischen Medien veröffentlicht wurden.4 reren tausend Angestellten gilt das Ministerium als Nachdem Sisi am 8. Juni 2014 das Präsidentenamt äußerst professionell – und dank seiner 135 Vertre- übernommen hatte, bemühte er sich kaum, die eige- tungen im Ausland auch als international hervor- nen außenpolitischen Handlungskapazitäten gegen- ragend vernetzt, zumal im Vergleich mit den Außen- über der Militärführung auszubauen. Zwar schuf er ressorts anderer arabischer Länder.7 Dem Amt kommt im Präsidialamt die Stelle eines »Nationalen Sicher- somit eine zentrale Rolle bei der Umsetzung außen- heitsberaters«, auf die im November 2014 die Karriere- politischer Entscheidungen zu. Im ersten Kabinett der diplomatin Fayza Aboul Naga berufen wurde. Ihre Nach-Mubarak-Ära, das vom SCAF Anfang März 2011 Ernennung richtete sich aber nicht gegen das Militär. eingesetzt wurde, hatte Nabil al-Arabi die Führung des Naga war unter Mubarak bis zur Ministerin für Pla- Ministeriums inne. Der Karrierediplomat war charis- nung und Internationale Kooperation aufgestiegen; matischer als sein Vorgänger Ahmed Aboul Gheit und diesen Posten behielt sie bis 2013. In dieser Zeit galt hatte aufgrund familiärer Beziehungen beste Kon- sie als Vertreterin von Militärinteressen innerhalb des takte in der ägyptischen Oberschicht.8 Durch al-Arabis Kabinetts.5 Als Nationaler Sicherheitsberaterin oblag Medienpräsenz wurde das Ministerium zumindest in ihr nun vor allem die Abstimmung zwischen verschie- der öffentlichen Wahrnehmung deutlich aufgewertet. denen staatlichen Akteuren. Eine solche Koordination Nur vier Monate nach seiner Ernennung wechselte war notwendig geworden, weil im Staatsapparat al-Arabi jedoch auf den Posten des Generalsekretärs insbesondere hinsichtlich des Umgangs mit der Zivil- der Arabischen Liga. Ihm folgten der ehemalige Bot- gesellschaft Differenzen entstanden waren. Das schafter in Deutschland, Mohammed Orabi, und nur Außenministerium und die mit Wirtschaftsfragen einen Monat später, bei einer Regierungsumbildung befassten Ressorts plädierten offenbar dafür, eine im Juli 2011, Mohammed Kamel Amr. Letzterer ent- rechtsstaatliche Fassade aufrechtzuerhalten, wobei wickelte nach außen kaum eigenes Profil. Seine Ernen- sie die Beziehungen zu westlichen Staaten und inter- nung passte somit zum Vorgehen des SCAF, der seine nationalen Geberorganisationen im Blick hatten. Im Interessen vor allem durch militärnahe Technokraten Sicherheitsapparat des Landes hingegen verfolgte gewahrt sehen wollte.9 Nachdem Mohammed Mursi man zunehmend eine kompromisslose außergesetz- das Präsidentenamt angetreten hatte, wurde Amr in- liche Repressionspolitik.6 des zunehmend von Mursis außenpolitischem Berater Essam al-Haddad in den Schatten gestellt. 4 David D. Kirkpatrick, »Egypt’s President Replaces Influen- Nach dem Militärputsch von Juli 2013 wurde Nabil tial Intelligence Chief«, in: The New York Times (online), Fahmy, langjähriger Botschafter in Washington, zum 21.12.2014, Außenminister ernannt. Fahmy brachte erkennbar (Zugriff am 4.7.2016). frischen Wind in das Ministerium. Aufgrund seiner 5 Offenbar war es auch der ehemalige Militärchef Feld- Herkunft – der Vater war Außenminister unter Präsi- marschall Tantawi, der Aboul Naga Ende 2014 für den Posten dent Sadat – und seiner langjährigen Erfahrung im der Nationalen Sicherheitsberaterin nominierte. Dina Ezzat, diplomatischen Dienst galt Fahmy als Schwergewicht »National Security Appointments«, in: Al-Ahram Weekly (on- line), 13.11.2014, (Zugriff am 7 Vgl. Nael Shama, Egyptian Foreign Policy from Mubarak to 4.7.2016). Morsi. Against the National Interest, New York 2014, S. 82ff. 6 Jannis Grimm, Repressionen gegen Ägyptens Zivilgesellschaft. 8 Nabil al-Araby ist familiär eng mit dem Grandseigneur Staatliche Gewalt, Verengung des öffentlichen Raums und außergesetz- der ägyptischen Außenpolitik, Muhamed Hassanein Heikal, liche Verfolgung, Berlin: Stiftung Wissenschaft und Politik, verbunden. Juli 2015 (SWP-Aktuell 60/2015), S. 6, Leadership Shaped the Transformation«, in: Mediterranean (Zugriff am 4.7.2016). Politics, 21 (2016) 1, S. 23–43 (27). SWP Berlin Ägyptens Außenpolitik nach dem Putsch August 2016 8
Die Militärführung im Hintergrund im außenpolitischen Establishment des Landes. Zu- Oktober 2015 im Amt beließ. Unter Shoukry wurde dem wurden ihm politische Ambitionen nachgesagt; die Propaganda-Arbeit des Ministeriums deutlich ver- so war er bis zur Übernahme des Ministeramts Mit- stärkt. In den sozialen Medien veröffentlichte die ägyp- glied in der liberalen Dustur-Partei, die der ehemalige tische Regierung regelmäßig »Gegendarstellungen« Generaldirektor der Internationalen Atomenergie- zu kritischen Berichten über die Menschenrechtslage behörde, Mohammed al-Baradei, gegründet hatte.10 im Land,15 begleitet von immer schrilleren Stellung- Fahmy verteidigte zwar dem Ausland gegenüber die nahmen des Ministers.16 zunehmende staatliche Repression nach dem Militär- putsch, trat intern aber moderat auf.11 Vor allem pochte er auf eine gewisse Eigenständigkeit des Die Militärführung im Hintergrund Außenamts gegenüber dem mächtigen staatlichen Sicherheitsapparat. In der Militärführung wurde sein Durch die Änderung des verfassungsrechtlichen Rah- selbstbewusstes Auftreten daher zunehmend negativ mens nach 2011 hatte sich die Militärführung formal gesehen. Nach Sisis Übernahme des Präsidentenamtes zwar nur ein Mitspracherecht im politischen Entschei- im Juli 2014 wurde Fahmy überraschend entlassen. dungsprozess gesichert; doch ihr tatsächlicher Ein- Grund dafür soll gewesen sein, dass er sich weigerte, fluss ging weit darüber hinaus. Die Generäle lenkten die von der Staatssicherheit geforderte »Säuberung« nach dem erzwungenen Rücktritt Mubaraks aktiv den des Ministeriums von angeblich regimekritischen politischen Umbau des Landes.17 Dabei waren inner- Diplomaten durchzuführen.12 halb des SCAF unterschiedliche Personen für einzelne Fahmys Nachfolger Sameh Shoukry schien eher Politikfelder zuständig. Das außenpolitische Dossier bereit, die Anweisungen der Sicherheitsorgane um- wurde von Generalmajor Mohammed Said al-Assar zusetzen.13 Shoukry war Fahmy bereits 2008 als Bot- betreut. Obgleich al-Assar öffentlich sehr viel weniger schafter in Washington nachgefolgt, ein Amt, das er in Erscheinung trat als der jeweilige Außenminister, bis 2013 innehatte. Ihm eilte der Ruf eines Diploma- galt er bei Beobachtern als der eigentliche Strippen- ten voraus, der auf internationaler Bühne regelrecht zieher im außenpolitischen Entscheidungsprozess seit aggressiv agiert.14 Tatsächlich vertrat Shoukry die 2011.18 Bereits unter Verteidigungsminister Tantawi Politik des Sisi-Regimes äußerst offensiv – zur Zufrie- hatte er Karriere im Bereich Rüstungsgüterbeschaf- denheit der Militärführung und des Präsidenten, fung und -produktion gemacht; 2003 wurde er zum der ihn bei einer weiteren Regierungsumbildung im Assistenten für Rüstungsangelegenheiten ernannt. In dieser Funktion gehörte er auch dem SCAF an, wo- durch er maßgeblich in dessen Entscheidungsfindung 10 »Foreign Minister Freezes Membership in Dostour Party«, ab 2011 eingebunden war. Die unmittelbare Zustän- in: Aswat Masriya (online), 17.7.2013, (Zugriff am 4.7.2016). 15 Insbesondere die Twitter-Kommunikation des Ministe- 11 Bei der entscheidenden Kabinettssitzung im August 2013 riums bzw. seines Sprechers wurde ausgebaut. Zudem ent- soll Fahmy sich dagegen ausgesprochen haben, die von Mus- stand der englischsprachige »Egypt MFA Blog«, über den das limbrüdern besetzten Plätze in Kairo und Giza gewaltsam Ministerium die »inkorrekte« Berichterstattung über Ägypten räumen zu lassen. Gespräche mit ägyptischen Diplomaten, richtigstellen und ein positives Bild des Landes vermitteln Kairo, Berlin, 2014 und 2015. will. Vgl. Mai Shams El-Din, »Egypt Launches English Blog 12 Offenbar hatte die Staatssicherheit eine Liste von Mit- to Counter ›Inaccurate Reports‹ by Foreign Media«, in: arbeitern des Außenministeriums erstellt, die aus dem Dienst The Guardian (online), 27.8.2015, maten, 2015. (Zugriff am 4.7.2016). 13 Unter seiner Führung wurde angeblich eine Reihe von 16 Beispielsweise verglich Shoukry die Kritik an der Men- Diplomaten ihrer Posten enthoben, deren Namen zuvor von schenrechtssituation in Ägypten mit Nazi-Propaganda, siehe der Staatssicherheit an das Außenministerium übermittelt Yochi Dreazen/Siobhán O’Grady/John Hudson, »Egypt’s Top worden waren. Interviews mit ägyptischen Diplomaten, 2015. Diplomat Denies Cairo Is Cracking Down on Dissidents«, in: 14 Entsprechendes wurde über Shoukry, der von 2005 bis Foreign Policy (online), 8.2.2016, (Zugriff am 21.3.2016). der dortigen US-Vertretung berichtet. »Egypt’s Ambassador 17 Vgl. Roll, »Managing Change« [wie Fn. 9]. Shoukry and His Aggressive Delegation in Geneva«, Wikileaks, 18 Hadi Ibrahim, »Ingenieur der ägyptischen Außenpolitik« 2.7.2008, (Zugriff am 26.11.2015). SWP Berlin Ägyptens Außenpolitik nach dem Putsch August 2016 9
Machtverschiebungen im außenpolitischen Entscheidungsprozess seit 2011 digkeit al-Assars erstreckte sich dabei auf die Bereiche General al-Assars dominierende Rolle bei außen- Außenpolitik, Öffentlichkeitsarbeit und Beziehungen politischen Entscheidungen seit 2011 ist allerdings zur Politik.19 Seine guten Kontakte nach Washington nicht der einzige Indikator für eine Machtverschie- nutzte er, um in den USA für Unterstützung des ägyp- bung zugunsten des Militärs. Vielmehr hat sich diese tischen Transformationsprozesses zu werben – vor auch auf struktureller Ebene vollzogen. Bereits unter allem aber auch für die dominante Rolle des Militärs Präsident Mursi setzte der SCAF durch, dass ihm – dabei.20 Zudem war al-Assar ein wichtiger Ansprech- anders als zu Mubaraks Zeiten – in der Verfassung ein partner für die ausländischen Botschaften in Kairo. Vetorecht für die Außenpolitik gewährt wird. Gemäß Als 2012 die Militärführung umgebildet wurde der unter Mursi 2012 implementierten Verfassung und Abdel Fatah al-Sisi die Position des Verteidigungs- war der »Nationale Verteidigungsrat« bei allen Ent- ministers – des obersten militärischen Befehlshabers – scheidungen zu konsultieren, die die nationale Sicher- übernahm, wurden die meisten älteren Generäle im heit betreffen (Artikel 197). Mangels einer Definition SCAF in den Ruhestand versetzt. Nicht so der zu die- des Sicherheitsbegriffs fallen darunter auch außen- sem Zeitpunkt 68-jährige al-Assar, dessen Zuständig- politische Entscheidungen. Der Nationale Verteidi- keit sogar noch erweitert wurde.21 Als Mohammed gungsrat fand zwar auch in der alten Verfassung Er- Mursi vom Militär abgesetzt wurde, war es al-Assar, wähnung; allerdings wurde nun explizit bestimmt, der auf Arbeitsebene den Putsch gegenüber der Admi- dass er mehrheitlich mit Militärs zu besetzen sei. Der nistration in Washington verteidigte.22 Er entwarf in entsprechende Artikel findet sich nahezu unverändert den darauffolgenden Monaten wohl auch die Leit- in der Verfassung von 2014 wieder, die nach dem linien für Ägyptens Außenpolitik unter Präsident Sisi Militärputsch ausgearbeitet wurde. Dabei wurde die und steuerte die ägyptische Rüstungsbeschaffungs- Stellung des Militärs, vor allem aber jene des Verteidi- politik.23 Im September 2015 wurde er von Sisi zum gungsministers, im politischen System noch weiter Staatsminister für Militärproduktion berufen und da- gestärkt. Artikel 234 stellt sicher, dass dieser zumin- mit auch formal in den regierungsinternen Entschei- dest für zwei Legislaturperioden nicht ohne Zustim- dungsprozess eingebunden. Dabei unterstand al-Assar mung des SCAF ausgewechselt werden kann. Zusam- noch immer dem Verteidigungsminister Sedqi Sobhi, mengenommen ergibt sich dadurch ein rechtlicher zu dessen Portfolio das Ministerium für Militär- Rahmen, der die Militärführung – durchaus im Unter- produktion gehörte. schied zur Mubarak-Ära – nicht nur qua Gesetz wei- testgehend gegen politische Einflussnahme immuni- siert, sondern sie gleichzeitig zum wichtigsten Ent- 19 Vgl. Ministry of Military Production, »Biographie des scheider bei allen Fragen der Außen- und Sicherheits- Ministers für Militärproduktion« (arabisch), (Zugriff am 26.11.2015). 20 U.S. Institute of Peace, Podiumsdiskussion »Future of hatte diese Machtverschiebung indes keineswegs Aus- Egypt« mit Mohamed Said al-Assar und William Quandt, wirkungen auf die grundsätzliche innenpolitische C-Span, 25.7.2011, (Zugriff am 4.7.2016). 21 Stephan Roll, »Ägypten: Mursi einigt sich mit den Gene- rälen«, Berlin: Stiftung Wissenschaft und Politik, 14.8.2012 (»Kurz gesagt«), (Zugriff am 4.7.2016). 22 Laura Rozen, »US Presses Egypt for Swift Return to Civilian Rule, against Arbitrary Arrests«, in: Al-Monitor (online), 4.7.2013, (Zugriff am 4.7.2016). 23 So war er der Verhandlungsführer bei wichtigen Waffen- geschäften, etwa dem Kauf von 24 Rafale-Kampfjets in Frank- reich, den Präsident François Hollande im Februar bekannt gab. Vgl. »Rafale: six mois d’intenses négociations avec l’Égypte«, in: Le Figaro.fr, 13.2.2015, (Zugriff am 4.7.2016). SWP Berlin Ägyptens Außenpolitik nach dem Putsch August 2016 10
Zahlungsfähigkeit sicherstellen Regimekonsolidierung als oberste außenpolitische Priorität In der Mubarak-Ära lagen die übergeordneten Ziele Mubarak die Annäherung an Europa voran. 2004 der ägyptischen Außenpolitik keineswegs primär in unterzeichnete er ein Assoziationsabkommen mit der der Wahrung kollektiver Interessen des Landes. So EU. Allerdings war er sehr erfolgreich darin, Forde- ging es, anders als offiziell verkündet, bei außen- rungen nach demokratischer Öffnung – sofern sie politischen Entscheidungen nicht in erster Linie um überhaupt erhoben wurden – abzuwehren. Weder die Fragen wie »die nationale Sicherheit« oder »umfassen- US-Militärhilfe noch die wirtschaftliche und entwick- de wirtschaftliche Entwicklung«.24 Im Vordergrund lungspolitische Zusammenarbeit mit der EU und außenpolitischen Handelns stand vielmehr die Herr- ihren Mitgliedstaaten hatten substantielle politische schaftssicherung des Regimes. Zentral dafür war das Reformen im Land zur Folge.28 Bemühen, politische Renten einzuwerben – externe Auch nach dem Militärputsch 2013 standen die Transferzahlungen also, die nicht durch Arbeitsleis- beiden Ziele der Renteneinwerbung und der Vermei- tung der Bevölkerung oder durch Steuereinnahmen dung bzw. Verringerung externer Abhängigkeiten im generiert werden.25 Diese Einnahmen, etwa in Form Mittelpunkt von Kairos außenpolitischem Handeln. von Militär- und Entwicklungshilfe, konnten von der Allerdings war es nun sehr viel dringlicher, diese Ziele politischen Führung nach machtpolitischen Kriterien zu erreichen. verwendet bzw. intern verteilt werden.26 Präsident Mubarak war stets darauf bedacht, die Abhängigkeiten möglichst gering zu halten, die durch Zahlungsfähigkeit sicherstellen solche Transferzahlungen entstehen können. Das Regime wollte nicht zu Reformen gezwungen werden, Zu dem Zeitpunkt, als das Militär die Macht über- die die eigene Herrschaft womöglich geschwächt nahm, befand sich Ägyptens Wirtschaft in einer hätten. Ägyptens enge Anbindung an den Westen, äußerst kritischen Lage. Durch den politischen Um- die charakteristisch für Mubaraks Außenpolitik war, bruch, der zweieinhalb Jahre zuvor begonnen hatte, stand dazu nicht im Widerspruch. So wurde die um- war das ökonomische Wachstum des Landes fast zum fangreiche Militär- und Sicherheitspartnerschaft mit Erliegen gekommen. Anhaltende Straßenproteste, die den Vereinigten Staaten ausgebaut, durch die dem sich verschlechternde Sicherheitslage und eskalierende Land seit den 1980er Jahren jährlich rund 1,3 Milliar- Streiks hatten desaströse Folgen für den Produktions- den US-Dollar an Militärhilfe zuflossen.27 Zudem trieb prozess. Hinzu kamen der Abzug von Investitions- kapital sowie der Einbruch im Tourismus, der 2010 24 Vgl. für die »offiziellen« Ziele ägyptischer Außenpolitik: noch rund 10 Prozent des ägyptischen Bruttoinlands- State Information Service (SIS), »Overview: Principles/Goals/ produkts (BIP) ausgemacht hatte.29 Dabei wirkte sich Circles of Interest«, 17.3.2016, (Zugriff die Wirtschaftskrise zunehmend negativ auf die am 15.12.2015). Staatsfinanzen aus. Das Haushaltsdefizit hatte sich 25 Vgl. Peter Pawelka, »Die politische Ökonomie der Außen- seit Anfang 2011 nahezu verdoppelt und war gemes- politik im Vorderen Orient«, in: Andreas Boeckh/Peter Pawelka (Hg.), Staat, Markt und Rente in der internationalen Politik, Opladen 1997, S. 208–231 (225). 25.2.2016 (CRS Report, RL33003), , S. 13ff, (Zugriff am 4.7.2016). Actors and Fiscal Policy Reform in Egypt in the 1990s«, in: 28 Vgl. Jason Brownlee, Democracy Prevention. The Politics of the Steven Heydemann (Hg.), Networks of Privilege in the Middle East, U.S.-Egyptian Alliance, New York 2012; Oliver Schlumberger, New York 2004, S. 101–132 (102ff). Dies gilt zwar weniger für »Rents, Reform, and Authoritarianism in the Middle East«, in: zweckgebundene externe Transferzahlungen, allerdings Internationale Politik und Gesellschaft, (2006) 2, S. 43–57; Wurzel, erlauben sie es unter Umständen der politischen Führung, »Patterns of Resistance« [wie Fn. 26], S. 113. eigene Ressourcen in andere, herrschaftsrelevante Bereiche 29 Vgl. Stephan Roll, »Ägypten nach der ›Revolution‹ – ein umzuleiten. interessanter Investitionsstandort?«, in: Beate Neuss/Antje 27 Vgl. Jeremy M. Sharp, Egypt: Background and U.S. Relations, Nötzold (Hg.), The Southern Mediterranean, Baden-Baden 2015, Washington, D.C.: Congressional Research Service (CRS), S. 83–101 (88ff). SWP Berlin Ägyptens Außenpolitik nach dem Putsch August 2016 11
Regimekonsolidierung als oberste außenpolitische Priorität sen am BIP auf rund 13 Prozent gestiegen. Dem Staat Darüber hinaus bestand die Gefahr, dass bei einem fehlten im Haushaltsjahr 2012/2013 rund 34 Milliar- Zahlungsausfall die ägyptische Währung massiv an den US-Dollar zur Finanzierung seiner Ausgaben. Zu- Wert verlieren und die ohnehin hohe Inflation (seit dem hatten sich die Devisenreserven der ägyptischen 2011 durchschnittlich über 10 Prozent) weiter ange- Zentralbank seit Ende 2010 mehr als halbiert. Durch heizt würde. Die damit verbundene Unzufriedenheit die negative Leistungsbilanz des Landes fielen sie im in der Bevölkerung – vor allem in Ägyptens Mittel- Frühjahr 2013 sogar unter den Wert einer drei- schicht, deren Konsumartikel großteils importiert monatigen Importdeckung, den der Internationale werden – hätte die Herrschaftskonsolidierung eben- Währungsfonds (IWF) für Entwicklungs- und Schwel- falls zumindest erschwert. lenländer empfiehlt.30 In der Folge wurde es für die Besonders problematisch wurde die Situation da- Regierung immer schwieriger, Verbindlichkeiten in durch, dass es kaum Möglichkeiten gab, weitere Schul- Fremdwährung zu bedienen, was besonders die Zah- den aufzunehmen. Obgleich die externe Schulden- lungsausfälle gegenüber ausländischen Energie- quote des Landes im internationalen Vergleich durch- unternehmen verdeutlichten.31 aus niedrig war (2013 rund 16 Prozent des BIP), lag die Für das Militär war diese angespannte Haushalts- Gesamtverschuldung – also externe und interne Ver- lage sehr gefährlich. Die Zahlungsfähigkeit des Staates schuldung – bei rund 90 Prozent des BIP.35 Die Neuver- war notwendige Voraussetzung dafür, dass die Gene- schuldung vergrößerte überdies die Zinslast des Staa- räle nach dem Putsch gegen Mursi ihre Herrschaft tes dramatisch. Der Anteil der Zinszahlungen an den konsolidieren konnten. Dabei ging es nicht allein da- Staatsausgaben stieg in nur drei Jahren von knapp rum, die Gehälter von mehr als 5,7 Millionen Staats- 16 Prozent (2009/2010) auf 21 Prozent (2012/2013).36 bediensteten32 bezahlen zu können, darunter über Angesichts dieser Zahlen und der insgesamt schlech- eine Millionen Beschäftigte im inneren Sicherheitsap- ten Wirtschaftsaussichten hatten internationale parat und knapp 440 000 Angehörige der ägyptischen Kapitalanleger nur geringes Interesse an ägyptischen Streitkräfte.33 Auch die Subventionierung von Weizen Staatsanleihen.37 Um die Zahlungsunfähigkeit abzu- und Energierohstoffen, die auf dem Weltmarkt be- wenden, war es zumindest kurz- und mittelfristig un- schafft werden mussten, kostete die Regierung monat- abdingbar, neue politische Renten in Form von poli- lich über 2 Milliarden US-Dollar.34 Ohne diese Mittel tisch motivierten Zuwendungen und Krediten einzu- drohten massive Stromausfälle und sogar Versor- werben. Zwar hatte Ägypten während der einjährigen gungsengpässe bei Grundnahrungsmitteln wie Brot. Präsidentschaft Mursis bereits entsprechende Zahlun- gen aus Katar und der Türkei erhalten – Ländern also, 30 Vgl. »Decline in Foreign Reserves Continues«, in: Egypt die gute Beziehungen zur ägyptischen Muslimbruder- Independent, 4.4.2013, (Zugriff am 4.7.2016). 31 Vgl. »Egypt Owes Foreign Oil Companies $6 Billion, Says nicht aus, um die Finanzsituation des Staates auch PM«, Reuters, 12.9.2013, (Zugriff am 4.7.2016). 32 Zentralamt für Öffentliche Mobilisierung und Statistik (arabisch), Statistical Yearbook – Labor, (Zugriff am 4.7.2016). (Hg.), Country Report Egypt, Dezember 2015, S. 9. 33 Im Innenministerium und den zugeordneten Sicherheits- 36 Vgl. Ministry of Finance, The Financial Monthly, 10 (2015) 12, organen waren Anfang 2011 zwischen 1,5 und 1,7 Millionen (Zugriff manten. Vgl. Yezid Sayigh, Missed Opportunity: The Politics of am 4.7.2016). Police Reform in Egypt and Tunisia, Beirut: Carnegie Middle East 37 Isabel Esterman, »Can Egypt Borrow and Spend Its Way Center, 2015, S. 7. Das ägyptische Militär hatte 2015 rund to Sustainable GDP Growth?«, in: Mada Masr, 28.7.2015, 438 000 Mann unter Waffen, darunter über 200 000 Wehr- (Zugriff am (IISS), »Chapter Seven: Middle East and North Africa«, in: 4.7.2016). The Military Balance, 115 (2015) 1, S. 303–362. 38 Beide Länder transferierten zwischen 2011 und 2013 bis 34 Vgl. United States Department of Agriculture, Egypt’s zu 8 Milliarden US-Dollar an Hilfen und Krediten nach Kairo. Current Food Supply Situation, Global Agricultural Information Vgl. Robert F. Worth, »Egypt Is Arena for Influence of Arab Network (GAIN) Report, 23.8.2013,
Vermeidung externer Abhängigkeiten neuer Rentenquellen wurde damit zur vordringlichs- unternahmen sie faktisch keinerlei Schritte zur De- ten Aufgabe für Kairos Außenpolitik. eskalation. Mit dem Vorgehen gegen die ausländischen NGOs hatten die Militärs also schon vor dem Putsch 2013 Vermeidung externer Abhängigkeiten signalisiert, dass externe Einflussnahme auf den Transformationsprozess unerwünscht war. Der ab- Auch wenn die Militärführung der Beschaffung finan- grenzende Kurs gegenüber den traditionellen west- zieller Ressourcen außenpolitisch oberste Priorität lichen Partnern fiel umso leichter, als diese kaum einräumen musste, galt es zugleich, eine Konditionie- attraktive Angebote machten, um das Land wirtschaft- rung entsprechender Hilfen zu vermeiden. Besonders lich zu unterstützen. Die Hilfen, die von den USA und groß war dabei die Angst vor »westlicher« Einmi- der EU nach 2011 offeriert wurden, reichten augen- schung. Nicht erst seit Beginn des Umbruchs fürchte- scheinlich nicht aus, um Ägyptens Wirtschaftsprob- ten die Generäle, dass USA und EU – die engsten Ver- leme tatsächlich zu lösen.40 Etwas anders sah es bei bündeten also – Militär- und Wirtschaftshilfen nutzen den internationalen Geberinstitutionen aus, allen könnten, um in Ägypten politische Reformen zulasten voran dem IWF. Das in Aussicht gestellte Kreditpaket der herausgehobenen Stellung des Militärs durchzu- des IWF war mit 4,8 Milliarden US-Dollar deutlich setzen. Nach 2011 jedoch wuchs die Sorge über west- umfangreicher als die finanziellen Zusagen einzelner liche Einflussnahme erkennbar, nicht zuletzt weil in westlicher Regierungen. Dennoch wurden die Ver- der ägyptischen Zivilgesellschaft die Stimmen lauter handlungen darüber bis 2013 immer wieder abge- wurden, die eine Unterordnung des Militärs gegen- brochen, weil die Militärs keine noch so schwache Be- über der zivilen Politik forderten. Mit Argwohn regis- dingung akzeptieren wollten, die sie zu Wirtschafts- trierten die Militärführung und die inneren Sicher- reformen genötigt hätte.41 heitsorgane, wie sich westliche Staaten darum be- Verstärkt wurde das Misstrauen gegenüber den mühten, durch Unterstützung von Nichtregierungs- westlichen Staaten durch eine weitere Entwicklung. organisationen (NGOs) die Zivilgesellschaft des Landes Seit 2011 bemühten sich die Regierungen in Washing- zu stärken. Deutlich wurde dies erstmals im Dezember ton und den EU-Hauptstädten auffällig um Kontakte 2011, als ägyptische Strafermittlungsbehörden gegen zur Muslimbruderschaft, womit sie eine Kurswende eine Reihe westlicher NGOs vorgingen. Büroräume vollzogen. Dabei hatten nicht zuletzt auch Vertreter wurden durchsucht, und gegen Mitarbeiter von 17 der ägyptischen Militärführung die westlichen Regie- Organisationen – darunter der Konrad-Adenauer- rungen vor 2011 immer wieder auf die destabilisie- Stiftung – erfolgte Anklage wegen illegaler Aktivitäten rende Rolle der Bruderschaft hingewiesen – sie gingen und ausländischer Finanzierung. Federführend bei offenbar davon aus, dass die Gegenseite diese Sicht- diesem aggressiven Vorgehen war die damalige Minis- weise teile. Umso überraschter waren die Militärs, als terin für Planung und Internationale Kooperation, nach 2011 insbesondere US-Regierungsvertreter sehr Fayza Aboul Naga, die wiederholt angeprangert hatte, offensiv Arbeitsbeziehungen zur Bruderschaft etablier- das Ausland mische sich in innere Angelegenheiten ten. So reiste etwa Mursis außenpolitischer Berater Ägyptens ein.39 Nagas enge Beziehungen zum Militär Essam al-Haddad mehrfach nach Washington. Den deuteten darauf hin, dass ihr Handeln mit den Gene- ägyptischen Generälen musste es geradezu als Verrat rälen abgestimmt war. Obgleich hochrangige Militärs erscheinen, dass die amerikanische Seite einen ver- in Hintergrundgesprächen mit westlichen Diplomaten trauensvollen Umgang mit führenden Repräsentanten immer wieder beschwichtigend auftraten und ver- der Bruderschaft entwickelte. Vor allem aber war für sprachen, die Konflikte einvernehmlich zu lösen, die Militärführung völlig offen, wie die westlichen Führungen reagieren würden, sollten die Muslimbrü- 39 Vgl. Project on Middle East Democracy (POMED), »State- der vom politischen Prozess in Ägypten ausgeschlos- ments from Egyptian Politicians, December 29, 2011 – March 14, 2012«, (Zugriff am 4.7.2016); Arabischen Frühlings. Transformation, Elitenwandel und neue soziale Ernesto Londoño, »Architect of Egypt’s NGO Crackdown is Mobilisierung, Berlin: Stiftung Wissenschaft und Politik, Mubarak Holdover«, in: The Washington Post (online), 7.2.2012, Dezember 2015 (SWP-Studie 22/2015), S. 29ff. (Zugriff am 4.7.2016). SWP Berlin Ägyptens Außenpolitik nach dem Putsch August 2016 13
Regimekonsolidierung als oberste außenpolitische Priorität sen werden. Angesichts der vertieften Beziehungen zwischen Mursi-Administration und westlichen Hauptstädten mussten die Generäle sogar mit Sank- tionen rechnen. Wenig plausibel scheint, dass man diese Möglichkeit innerhalb der Militärführung nicht bereits diskutierte, bevor Mursi abgesetzt wurde. Da- bei dürfte die Frage im Mittelpunkt gestanden haben, wie Ägypten die dringend benötigten Finanzhilfen generieren könnte, ohne dabei in politische Abhängig- keit von den traditionellen westlichen Partnern zu geraten. SWP Berlin Ägyptens Außenpolitik nach dem Putsch August 2016 14
Diversifizierung der Außenbeziehungen Außenpolitischer Strategiewechsel Die außenpolitische Antwort der Militärführung auf über 12 Milliarden US-Dollar an. Einiges spricht dafür, die beschriebenen Herausforderungen nach dem dass diese Unterstützung im Vorfeld vereinbart, die Putsch bestand darin, Ägyptens internationale Bezie- enge Anbindung Ägyptens an die Golfstaaten also hungen offensiv zu diversifizieren. Nunmehr erschien schon vor dem Putsch von den Strategen in der Militär- die enge Anbindung an den Westen weder als attraktiv führung vorbereitet worden war.42 Bis Dezember 2015 noch als ausreichend, um den Kollaps der Staatsfinan- flossen mindestens 25 Milliarden US-Dollar in Form zen abzuwenden. In der Hinwendung zu neuen Part- von Hilfszahlungen, Krediten und Rohstofflieferungen nern sahen die Generäle eine Chance, zusätzliche nach Ägypten.43 Regelmäßige Regierungskonsultatio- Finanzquellen zu erschließen und gleichzeitig zu ver- nen und Staatsbesuche komplettierten das Bild einer hindern, dass westliche Staaten sich in den Prozess engen Partnerschaft. Nur Stunden nach seinem Amts- der Herrschaftskonsolidierung einmischten. Parallel antritt äußerte Präsident Sisi in einer vielbeachteten dazu begannen die Militärs mit dem Ausbau der mili- Rede, die Sicherheit am Golf sei »untrennbarer Teil der tärischen Handlungskapazitäten. Ziel war nicht allein, ägyptischen Sicherheitsinteressen«.44 institutionelle Interessen zu befriedigen, die die Gene- Die drei Golfmonarchien unterstützten das ägyp- räle durch ihren gestiegenen Einfluss im politischen tische Regime vor allem aus Angst vor der Muslim- Entscheidungsprozess nun leicht durchsetzen konn- bruderschaft. Durch die Machtübernahme der Orga- ten. Aufbau wie Projektion von Hardpower sind viel- nisation in Ägypten, so fürchteten die Königshäuser, mehr auch im Kontext der Bemühungen um externe könnte auch die Muslimbrüder-Opposition im eigenen Finanzhilfen zu sehen. Land gestärkt werden. Hinzu kam die Sorge, Ägypten werde sich möglicherweise dem Erzfeind Iran annä- hern. Schließlich galt es auch, die Interessen einiger Diversifizierung der Außenbeziehungen Golf-Unternehmen in Ägypten langfristig abzusi- chern.45 Der Unterstützung lag augenscheinlich je- Zunächst sah es so aus, als würde sich Ägypten voll- doch kein langfristiger Plan zugrunde. So hatten sich ständig aus seiner Partnerschaft mit den USA und die Golfstaaten auf kein Finanzierungsprogramm ein- den EU-Staaten lösen und stattdessen auf die drei Golf- gelassen, das etwa mit dem Marshall-Plan vergleichbar monarchien Saudi-Arabien, VAE und Kuwait sowie gewesen wäre, den die USA nach dem Zweiten Welt- auf Russland setzen. Während die USA ebenso wie die krieg für Westeuropa entwickelten. Vielmehr erfolg- EU und ihre Mitglieder den Militärputsch kritisierten, ten die Zahlungen mehr oder weniger auf Ad-hoc- erklärten sich die drei Golfstaaten mit der neuen Füh- rung in Kairo solidarisch und ermöglichten ihr das 42 Vgl. auch Roll, »Managing Change« [wie Fn. 9], S. 32ff. wirtschaftliche Überleben. Zudem wurden die Kon- 43 Tatsächlich ist die Zahl schwer verifizierbar. Sie liegt takte nach Moskau öffentlichkeitswirksam intensi- womöglich weit höher, nämlich bei über 40 Milliarden US- viert. Tatsächlich aber ging es den ägyptischen Macht- Dollar. Vgl. Matthias Sailer, Veränderte Prioritäten am Golf. Saudi- habern darum, die Beziehungen zu den Golfmonar- Arabien und die Emirate überdenken ihre Beziehungen zu Ägypten, chien, Russland und den traditionellen westlichen Berlin: Stiftung Wissenschaft und Politik, Januar 2016 (SWP-Aktuell 1/2016), S. 7, (Zugriff am Regime möglichst viel Gewinn versprach. 4.7.2016). 44 Ramadan Al Sherbini, »Gulf Security Inseparable to Egypt’s Security, Al Sissi Says«, in: Gulf News Egypt, 9.6.2014, Beziehungen zu den Golfstaaten (Zugriff am 4.7.2016). Innerhalb von 24 Stunden, nachdem das Militär in 45 Vgl. Thomas Demmelhuber, »Drittmittelfinanzierte Ägypten die Macht übernommen hatte, kündigten die Militärputsche, wer zahlt die Rechnung in Ägypten?«, in: drei Golfmonarchien schon Hilfszahlungen an Kairo Inamo, 20 (2014) 78, S. 34–38. SWP Berlin Ägyptens Außenpolitik nach dem Putsch August 2016 15
Außenpolitischer Strategiewechsel Basis. Für die neue Führung in Kairo hatte dies den die Folgen des Jemen-Krieges bemerkbar. Vor allem Vorteil, dass Hilfen in Form von Geld und Rohstoffen Saudi-Arabien musste immer größere Mittel zurück- ohne Konditionen gewährt wurden. Die Unverbind- stellen, um diesen bewaffneten Konflikt zu finan- lichkeit machte Ägypten aber auch abhängig von den zieren.51 Launen der Golfherrscher, was spätestens im Frühjahr Die Bereitschaft, neue Gelder nach Ägypten zu 2015 deutlich wurde. überweisen, nahm erkennbar ab. Im April 2015 Im Januar 2015 starb der saudische König Abdullah wurden zwar insgesamt 6 Milliarden US-Dollar an bin Abdulaziz Al-Saud. Nachdem sein Bruder Salman die ägyptische Zentralbank transferiert – anders als den Thron bestiegen hatte, änderte sich schrittweise noch 2013 handelte es sich bei diesen Mitteln indes Saudi-Arabiens Politik gegenüber der Muslimbruder- ausschließlich um verzinste Kredite mit Laufzeiten schaft.46 Zunächst galt die »Rehabilitierung« der Bewe- von drei bis fünf Jahren.52 Und auch die »Cairo gung durch das Königshaus nur den syrischen und Declaration«, mit der Saudi-Arabien und Ägypten jemenitischen Muslimbrüdern sowie der palästinensi- im Juli 2015 eine stärkere Kooperation in Wirtschafts- schen Hamas.47 Doch Anfang Oktober 2015 kam es und Sicherheitsfragen festschrieben,53 sowie ein in Doha zu einem Treffen zwischen dem saudischen fünftägiger Staatsbesuch König Salmans in Kairo im Botschafter und Yussuf al-Qaradawi, einem spirituel- April 2016 konnten nicht darüber hinwegtäuschen, len Vordenker der Bruderschaft.48 Spätestens dieses dass die Zeit unkonditionierter Finanzspritzen vorbei Ereignis signalisierte, dass Riad sich nun auch gegen- war.54 Anlässlich des Staatsbesuchs wurde zwar ein über der ägyptischen Bruderschaft pragmatischer umfassendes Hilfspaket in Höhe von 24 Milliarden verhalten würde. Zudem wuchs in den Golfmonar- US-Dollar vereinbart; wie es genau zusammengesetzt chien der Unmut darüber, dass die Milliardentransfers sein soll, blieb aber intransparent. Größter Posten ist nach Kairo kaum Wirkung zeigten.49 Das offenbarte offenbar eine Kreditlinie über 20 Milliarden US-Dollar sich vor allem daran, wie sich die Devisenreserven der für den Kauf saudischer Ölprodukte.55 Selbst wenn ägyptischen Zentralbank entwickelten. Zwar konnte es darüber hinaus Budgethilfen geben sollte, um die bis Ende 2015 ein weiterer Rückgang der Reserven ägyptischen Devisenreserven zu stärken und das Haus- verhindert werden. Sie erholten sich aber auch nicht haltsdefizit das Landes zu decken, so wären sie kaum wesentlich von ihrem Tiefstand im Jahr 2013, und als Zuwendungen ohne Gegenleistung zu verstehen. es wurde immer offensichtlicher, dass Ägypten lang- In diese Richtung deutet jedenfalls die Tatsache, dass fristig auf massive Finanzhilfen angewiesen bleiben Ägypten die beiden strategisch wichtigen Inseln Sana- würde. Hinzu kam, dass alle drei Golfländer die Aus- fir und Tiran im Roten Meer, die es seit den 1950er wirkungen des sinkenden Erdölpreises auf ihre Staats- Jahren kontrolliert hatte, im April 2016 offiziell an haushalte zu spüren bekamen.50 Zudem machten sich Era of Cheap Oil as Red Ink Flows«, Reuters, 13.12.2015, 46 Matthias Sailer, »Unterstützung mit Auflagen«, in: (Zugriff 51 Vgl. Sailer, Veränderte Prioritäten am Golf [wie Fn. 43]. am 4.7.2016). 52 Ob weitere Milliardenkredite an Ägypten vergeben wer- 47 Dabei waren die Beziehungen zwischen Saudi-Arabien den, ist angesichts der niedrigen Erdölpreise und der damit und der Hamas keineswegs vollständig abgebrochen worden. verbundenen Budget-Restriktionen vor allem in Saudi- Dass Riad den Militärputsch in Ägypten unterstützte, hatte Arabien und Kuwait mehr als fraglich. das Verhältnis aber deutlich abkühlen lassen. Im Juli 2015 53 »Egypt, Saudi Arabia Issue ›Cairo Declaration‹ to Strength- traf dann der neue saudische König Salman in Mekka mit en Cooperation«, in: Ahram Online, 30.7.2015, (Zugriff am »Hamas Seeks to Retain Saudi Ties Despite Brotherhood Ban«, 4.7.2016). in: Al-Monitor, 18.3.2014, (Zugriff am 4.7.2016). 48 Tom Finn, »Saudi Arabia Signals Easing of Tension with (Zugriff am 8.4.2016). Islamist Cleric«, Reuters, 2.10.2015, Fix Egypt’s Economy?«, Washington, D.C.: The Washington (Zugriff am 4.7.2016). Institute, 17.5.2016, (Zugriff am 21.6.2016). SWP Berlin Ägyptens Außenpolitik nach dem Putsch August 2016 16
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