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SWP-Studie
Stiftung Wissenschaft und Politik
Deutsches Institut für Internationale
Politik und Sicherheit
Sebastian Schiek
Bewegung auf der
Seidenstraße
Chinas »Belt and Road«-Initiative als Anreiz für
zwischenstaatliche Kooperation und Reformen
an Zentralasiens Grenzen
S 16
August 2017
BerlinAlle Rechte vorbehalten. Abdruck oder vergleichbare Verwendung von Arbeiten der Stiftung Wissenschaft und Politik ist auch in Aus- zügen nur mit vorheriger schriftlicher Genehmigung gestattet. SWP-Studien unterliegen einem Begutachtungsverfah- ren durch Fachkolleginnen und -kollegen und durch die Institutsleitung (peer review). Sie geben die Auffassung der Autoren und Autorinnen wieder. © Stiftung Wissenschaft und Politik, Berlin, 2017 SWP Stiftung Wissenschaft und Politik Deutsches Institut für Internationale Politik und Sicherheit Ludwigkirchplatz 34 10719 Berlin Telefon +49 30 880 07-0 Fax +49 30 880 07-100 www.swp-berlin.org swp@swp-berlin.org ISSN 1611-6372
Inhalt
5 Problemstellung und Schlussfolgerungen
7 Einleitung
8 Externe Akteure in Zentralasien:
EU, Russland und USA
11 Der Kontext: Wirtschaftliche Umbrüche,
Institutionalisierung, Aufstieg Chinas
11 25 Jahre schwierige Beziehungen
13 Wirtschaftliche Umbrüche und Reformdruck
15 Staatsbildung und politische
Institutionalisierung
15 Chinas Aufstieg in Zentralasien
19 Die Seidenstraßeninitiative als Anreiz für
Reformen in Zentralasien
20 Institutionenförderung: Wirtschaftliche
Öffnung, Kooperation, Grenzreformen
21 SREB funktioniert nicht ohne Grenzreformen
21 Organisationen und Modelle des
Institutionentransfers
23 Reformanreize: Finanzmittel, Argumente –
aber auch Zwang?
25 Grenzreformen in Zentralasien:
Wahrscheinlich, aber kein Selbstläufer
27 Interessen und Anreize
29 Beobachtbarer Wandel
31 Flexible Grenzen des Wandels
33 Ausblick und Empfehlungen
33 Implikationen für deutsche und
europäische Politik
35 AbkürzungsverzeichnisDr. Sebastian Schiek ist Wissenschaftler der Forschungsgruppe Osteuropa und Eurasien
Problemstellung und Schlussfolgerungen
Bewegung auf der Seidenstraße
Chinas »Belt and Road«-Initiative als Anreiz für
zwischenstaatliche Kooperation und Reformen an
Zentralasiens Grenzen
Das Pekinger Seidenstraßen-Forum, das die chinesi-
sche Regierung im Mai 2017 veranstaltete, lenkte die
internationale Aufmerksamkeit ein weiteres Mal nach-
drücklich auf Chinas globale Seidenstraßeninitiative
(»Belt and Road«-Initiative). Mit ihr will das Land so-
wohl seine internationale Legitimität stärken als auch
seine geopolitische Macht ausbauen. Europas Sicht
auf die Initiative ist ambivalent: Einerseits verspricht
sie einen gewissen Mehrwert, zum Beispiel Investi-
tionen in die europäische Infrastruktur. Andererseits
konnten schon zuvor bestehende Meinungsverschie-
denheiten zwischen China und den europäischen
Staaten auch auf dem Forum nicht beseitigt werden.
China war nicht bereit, von den Europäern geforderte
Grundsätze in das Schlusskommuniqué aufzunehmen,
allen voran Garantien für freien Handel und fairen
Wettbewerb, Transparenz sowie soziale und ökolo-
gische Nachhaltigkeit. Deshalb verweigerten euro-
päische Staaten, unter ihnen Deutschland, Frankreich
und Großbritannien, ihre Unterschrift unter den
Abschlusstext.
Zentralasiens Regierungen haben dagegen ein
weniger zwiespältiges Verhältnis zu der chinesischen
Initiative. Die Präsidenten Kasachstans, Kirgistans
und Usbekistans nahmen am Forum teil und unter-
zeichneten das Kommuniqué. Das liegt an der großen
Bedeutung, die China mittlerweile in Zentralasien hat,
aber auch am starken Interesse der Staaten, von der
Neuen Seidenstraße zu profitieren.
Bis auf Weiteres ist ausgeschlossen, dass die EU
offizieller Partner der chinesischen Initiative wird,
weil sich die Interessen und Normen Chinas und der
EU auf der globalen Ebene zu sehr unterscheiden.
In vielen Regionen, darunter Zentralasien, spielt die
Initiative aber schon jetzt eine große Rolle und wird
dies auch auf längere Sicht tun. Angesichts unklarer
internationaler Allianzen sollten die europäischen
Staaten daher versuchen, gemeinsame außenpoliti-
sche Interessen mit China in spezifischen Themen-
feldern oder Regionen zu identifizieren.
Seit langem gehört es zu den Interessen und Zielen
der EU-Zentralasienpolitik, zwischenstaatliche Ko-
operation und ein effizientes Grenzmanagement zu
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Bewegung auf der Seidenstraße
August 2017
5Problemstellung und Schlussfolgerungen
fördern. Bislang konnten hier indes nur bescheidene und erhalten großzügige Kredite für Infrastruktur-
Erfolge erzielt werden. Chinas Seidenstraßeninitiative projekte. Kasachstan kann zudem mit umfangreichen
steht in engem Bezug zu Grenzen und grenzüber- Investitionen rechnen. Zwar hat China auf jegliche
schreitendem Handel. Dabei fordert China ausdrück- Form der Konditionalität verzichtet, aber konkrete
lich bestimmte Reformen von den zentralasiatischen Anreize und Mechanismen für den Transfer von Insti-
Staaten, macht ihnen aber auch zahlreiche Angebote. tutionen geschaffen.
Deshalb stellt sich die Frage, ob die chinesische Initia- All dies bedeutet nicht, dass Reformen nun unaus-
tive zusammen mit weiteren Faktoren die Bereitschaft weichlich stattfinden werden. Gänzlich entziehen
zu Reformen und Kooperation an Zentralasiens Gren- können sich die zentralasiatischen Staaten der Initia-
zen erhöht. Trifft dies zu, könnte es sich für die Euro- tive allerdings nicht mehr. Insofern lautet die weiter-
päische Union als vorteilhaft erweisen, ihre Kompetenz führende Frage eher, wie umfassend, mühsam und
und ihr Expertenwissen einzusetzen und ihr Engage- langwierig die Reformen sein werden. Das wiederum
ment in diesem Bereich auszubauen. hängt davon ab, wie stark das Interesse der Staaten an
Mangelnde Kooperation und ineffiziente Grenzen ihnen ist und mit welchen Widrigkeiten sie bei der
bilden ein Hindernis für den Silk Road Economic Belt Umsetzung zu kämpfen haben werden.
(SREB), die eurasische Teilkomponente der Seiden- Für Deutschland und die EU könnte es sich lohnen
straßeninitiative. Ein wichtiges Element des SREB ist zu diskutieren, welche gemeinsamen Interessen mit
der Plan, Exportgüter per Schnellzug von China nach China bestehen und wie sich Synergien nutzen ließen,
Westeuropa zu transportieren. Langfristig möchte um die Reformen positiv zu beeinflussen. China arbei-
China rund ein Prozent aller Güter nach Europa auf tet zwar bereits mit Expertenorganisationen zusam-
dem Landweg ausführen. Mit seiner Initiative verfolgt men. Die EU hat jedoch den Vorteil, auf Wissen und
das Land strategische, geopolitische Ziele, außerdem Erfahrungen aus einer institutionalisierten Zusam-
ist sie das große außenpolitische Projekt des chinesi- menarbeit in der Region zurückgreifen zu können,
schen Präsidenten Xi Jinping. Entsprechend hoch ist nämlich aus ihrem langjährigen Projekt zu Grenz-
das Interesse der Regierung an einem Erfolg. Damit reformen in Zentralasien. So böte sich an, dass die
sich der schnelle Gütertransit auf Dauer rentiert, sind EU die Kooperation auf technischer Ebene ausbaut.
Reformen und bessere Kooperation an Zentralasiens Deutschland könnte sich im Rahmen des Engagements
Grenzen unabdingbar. der EU beispielsweise für Reformen an der usbekisch-
Die Chancen für eine Veränderung der Koopera- kasachischen Grenze einsetzen. Weil diese in jedem
tionsmuster und für Reformen an den Grenzen der Fall schwierig sein werden, sollte das Thema nicht
zentralasiatischen Länder stehen heute weitaus besser allein auf Expertenebene behandelt werden. Deswegen
als in den ersten beiden Dekaden von deren Unabhän- sollte die EU gemeinsam mit den zentralasiatischen
gigkeit. Erstens sind Kasachstans und Usbekistans Staaten und China zusätzlich einen politischen Dialog
Wachstumsmodelle an ihre Grenzen gestoßen, so dass organisieren, der sich den Reformen auch auf Regie-
beide Staaten inzwischen unter hohem Reformdruck rungsebene widmet. Das könnte die Reformgegner
stehen. Zweitens ist die politische Herrschaft in Zen- innerhalb der Staaten bremsen und den Reformern
tralasien mittlerweile stärker institutionalisiert und Rückenwind geben.
eröffnet damit auch Spielraum für partielle Reformen. Dabei sollte sich der Blick besonders auch auf
Drittens ist China seit Anfang des Jahrhunderts zu Usbekistan richten. Zwar signalisiert das Land unter
einem mächtigen Akteur in der Region aufgestiegen, dem neuen Präsidenten große Reformbereitschaft,
ist anders als Russland aber an besserer innerregio- hat aber ausgesprochen hohe Hürden zu überwinden.
naler Kooperation in Zentralasien interessiert, selbst Nicht nur sind die Reformanreize in vielerlei Hinsicht
wenn sich diese nur auf der bilateralen Ebene abspielt. geringer als für Kasachstan, auch der Weg ist steiniger.
Viertens schließlich bietet der SREB zahlreiche Anreize Mit zahlreichen Rückschlägen ist zu rechnen. Auch
für Reformen und mehr Kooperation an den Grenzen. für die regionale Stabilität ist es wichtig, dass Usbeki-
In seinen offiziellen Strategiedokumenten propagiert stan im Vergleich zu Kasachstan wirtschaftlich nicht
Peking bestimmte Politiken, die den schnellen Transit weiter ins Hintertreffen gerät und dass die regionale
ermöglichen sollen, etwa eine effiziente Grenzverwal- Ungleichheit nicht noch stärker wächst.
tung und vertrauensvolle nachbarschaftliche Bezie-
hungen der Staaten. Kasachstan und Usbekistan haben
sich offiziell zur »Belt and Road«-Initiative bekannt
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6Einleitung
Einleitung
Die hier aufgeworfenen Fragen sind mit drei Debatten heute gehören beispielsweise europäische Logistikfir-
verknüpft, die derzeit in der europäischen Außenpoli- men zu ihren Nutznießern. 4 In dieser Studie wird der
tik geführt werden. Erstens geht es um die Interessen geo- oder handelspolitische Kontext jedoch allenfalls
der EU im Hinblick auf die chinesische Seidenstraßen- am Rande betrachtet. Schwerpunkt sind die Auswir-
initiative. Zweitens steht die inhaltliche Ausgestaltung kungen der Seidenstraßeninitiative auf institutionelle
der EU-Zentralasienpolitik für die kommenden Jahre Reformen in Zentralasien.
zur Diskussion. Drittens wird zu klären sein, wie der Die zweite Debatte betrifft die Zentralasienpolitik
aktuelle Wandel in Zentralasien zu bewerten ist, be- der EU. Den institutionellen Rahmen für das Engage-
sonders die wirtschaftlichen Umbrüche, der Reform- ment der EU in der Region bildet ihre Zentralasien-
impetus und der Einfluss externer Akteure. strategie, die 2007 unter Federführung Deutschlands
Die umfassendste und intensivste dieser drei De- formuliert und 2015 überarbeitet wurde. Am 19. Juni
batten dreht sich um die chinesische »Belt and Road«- 2017 beschloss der Rat der Europäischen Union, bis
Initiative, auch bekannt als »Initiative Neue Seiden- Ende 2019 eine neue Zentralasienstrategie auszuarbei-
straße«. Seit diese von Peking öffentlich verkündet ten, die dann ab 2021 gültig sein wird. 5 Eine wichtige
wurde, hat sie sich stark weiterentwickelt und deut- Frage lautet, inwiefern sich die EU stärker auf Politik-
liche Konturen angenommen. Mit dem Seidenstraßen- felder und Themen konzentrieren sollte, die sowohl
Forum im Mai 2017 konnte die chinesische Regierung im Interesse der Regime in Zentralasien liegen als
die internationale Aufmerksamkeit abermals auf ihr auch mit den Interessen und Werten der Union über-
globales Projekt lenken. 1 Die europäische Debatte einstimmen. Erörtert wird zudem, inwieweit die EU
dazu kreist vor allem um geo- und handelspolitische ähnliche Interessen verfolgt wie externe Großmächte.
Themen sowie um Infrastrukturfragen. Ob die Initia- Im Vergleich mit anderen externen Akteuren kann
tive europäischen Interessen nutzt oder schadet, die EU einige Vorteile für sich verbuchen. Sie besitzt
darüber gehen die Meinungen auseinander. Manche mehr Erfahrung und Sachkenntnis in der technischen
sehen in ihr Gefahren für die EU, etwa durch das 16+1- Zusammenarbeit mit Zentralasien als China. Zwar
Format, das China mit einigen osteuropäischen EU- konnte die EU mit ihrem langjährigen Programm zu
Mitgliedstaaten betreibt, oder durch Chinas wachsen- den Grenzreformen in Zentralasien (Border Manage-
de globale Macht. 2 Andere wiederum erhoffen sich ment Programme in Central Asia, BOMCA) nur beschei-
von der Initiative auch Vorteile für Europa. 3 Schon dene Ergebnisse erzielen. Trotzdem verfügt sie durch
das Programm über spezifisches Wissen zu den beson-
1 Tom Hancock, »China Encircles the World with One Belt, deren Schwierigkeiten vor Ort. Auch wenn die EU
One Road Strategy«, in: Financial Times, 3.5.2017; Hendrik
insgesamt nur begrenzten Einfluss hat, könnte sie ihr
Ankenbrand, »Der Welthandel soll über Chinas Seidenstraße
rollen«, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 13.5.2017, (eingesehen am 22.5.2017). liegen nicht nur im Interesse der zentralasiatischen
2 Stephan Scheuer, »China will ›neue Seidenstraße‹ nach
Osteuropa«, in: Handelsblatt, 24.11.2015, (eingesehen Eastern, and South Eastern Europe. Implications for Germany and the
am 14.12.2016); »EU Investigates Chinese High-speed Rail EU, Berlin: Deutsche Gesellschaft für Auswärtige Politik
Project in Hungary and Serbia«, in: Gbtimes, 20.2.2017, (eingesehen am 20.2.2017). 4 Zu den beteiligten Firmen gehören DB Schenker und DHL.
3 Alex Capri, »Here Are 5 Ways China’s New Silk Road Is Good 5 Council of the European Union, Council Conclusions on the EU
for Western Companies«, in: Forbes, 9.2.2017, (eingesehen am (eingesehen am 17.7.2017).
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7Einleitung
Staaten, sondern auch Chinas. Damit eng verbunden und Regulierungen in einem ökonomisch starken
ist die dritte Debatte. Diskutiert wird, wie sich der in Land etwa können ähnliche Reformen in Ländern
letzter Zeit zu beobachtende Wandel in Zentralasien nach sich ziehen, die auf den Handel mit diesem Land
bestimmen lässt und wie tiefgreifend er sein wird. angewiesen sind. Größere Staaten versuchen zuweilen
Die Studie dreht sich um die Frage, ob die »Belt and auch bewusst, Einfluss auf Gesetzesvorhaben in kleine-
Road«-Initiative Reformen und mehr Kooperation an ren Staaten zu nehmen, indem sie Anreize schaffen
den Grenzübergängen Kasachstans und Usbekistans oder Zwang ausüben. Auch das Prestige einer Groß-
wahrscheinlicher macht. Es geht also um den Wandel macht kann kleinere Staaten dazu bringen, Institutio-
oder die Veränderung von Institutionen. Diese werden nen und Politiken dieser Macht zu kopieren. 10
hier in einem breiten historisch-soziologischen Sinne Bei der Analyse des Einflusses der chinesischen
verstanden, und zwar als »formelle und informelle »Belt and Road«-Initiative auf die zentralasiatischen
Verfahrensweisen, Routinen, Normen und Gebräuche, Staaten spielen beide Arten von Faktoren eine Rolle.
eingebettet in die Organisationsstruktur der Politik So haben wirtschaftliche Umbrüche den Reformdruck
oder politischen Ökonomie«. 6 Politische Institutionen auf Kasachstan und Usbekistan erhöht. Das wirkt sich
existieren nicht vollkommen autonom von der Gesell- auf die innenpolitische Konstellation von Reformern
schaft, sondern werden durch gesellschaftliche Symbol- und Reformgegnern aus. Hinzu kommen zwei wich-
systeme, Wahrnehmungsmuster und Vorstellungen tige externe Faktoren: zum einen der Aufstieg Chinas
von Moral beeinflusst. 7 als regionale Großmacht in Zentralasien, die sich von
Institutionelle Reformen innerhalb eines Landes Russland deutlich unterscheidet, zum anderen die
können auf innere und äußere Faktoren zurückge- »Belt and Road«-Initiative als Anreizinstrument für
führt werden. Ohne innenpolitische »Reformkoalition« Reformen und Kooperation.
innerhalb der politischen Eliten dürften Reformen
kaum zustande kommen. Das gilt auch für autoritäre
Systeme, was an einer oft übersehenen Paradoxie des Externe Akteure in Zentralasien:
Autoritarismus liegt: Je mehr Macht und Entschei- EU, Russland und USA
dungsbefugnisse ein autoritärer Herrscher besitzt,
desto abhängiger wird er von seinen Mitarbeitern. Sie China ist mittlerweile der ökonomisch bedeutendste
liefern ihm Informationen und kontrollieren die Um- externe Akteur in Zentralasien. Ebenfalls eine Rolle
setzung von Entscheidungen. Um Reformen durch- spielen Russland und in geringerem Maße die EU, die
und umzusetzen, benötigt er Unterstützer in Politik USA sowie Japan und die Türkei. Zunehmend treten
und Bürokratie, die an diesen Reformen interessiert neue Akteure wie Südkorea und Indien, künftig viel-
sind. Das stellt sich in der Praxis oft schwieriger dar leicht auch der Iran als regionale Mitspieler auf.
als gemeinhin angenommen. 8
Auch wenn die Interessen innenpolitischer Akteure Tabelle 1: Kasachstan, Handel in Mrd. Euro, 2016
maßgeblich für institutionelle Reformen sind, hängen
Handelspartner Russland China EU USA
diese oft auch von externen Faktoren ab. 9 Neue Gesetze
Export 3,17 3,81 16,7 0,56
Import 8,25 3,31 5,2 1,15
6 Peter A. Hall/Rosemary C. R. Taylor, »Political Science and the
Three New Institutionalisms«, in: Political Studies, 44 (1996) 5, Quelle: Europäische Kommission.
S. 936–957 (938).
7 Vgl. ebd., S. 947.
Tabelle 2: Usbekistan, Handel in Mrd. Euro, 2016
8 In der Transformationsforschung der 1990er Jahre war
dagegen die Annahme verbreitet, autoritäre Herrscher könn-
Handelspartner Russland China EU USA
ten prinzipiell jede beliebige Entscheidung treffen und um-
setzen. Als erster hat Carothers diese These in Frage gestellt: Export 0,63 1,37 0,17 0,09
Thomas Carothers, »The End of the Transition Paradigm«, in: Import 1,9 1,97 1,72 0,31
Journal of Democracy, 13 (2002) 1, S. 5–21.
9 Damit hat sich die Diffusions- und Europäisierungs- Quelle: Europäische Kommission.
forschung beschäftigt. Kurt Weyland, »Theories of Policy
Diffusion: Lessons from Latin American Pension Reform«, 10 Benjamin O. Fordham/Victor Asal, »Billiard Balls or Snow-
in: World Politics, 57 (2005) 2, S. 262–295; Tanja A. Börzel/ flakes? Major Power Prestige and the International Diffusion
Thomas Risse, »From Europeanisation to Diffusion: Intro- of Institutions and Practices«, in: International Studies Quarterly,
duction«, in: West European Politics, 35 (2012) 1, S. 1–19. 51 (2007) 1, S. 31–52.
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8Externe Akteure in Zentralasien: EU, Russland und USA
Die EU und ihre Mitgliedstaaten sind externe
Kasten 1: TRACECA, CAREC, BOMCA
Akteure mit begrenztem Einfluss in der Region. Vor
allem mit Kasachstan unterhält die EU enge Handels- Chinas »Initiative Neue Seidenstraße« ist weder die
beziehungen. Das Volumen des kasachischen Handels einzige noch die erste Initiative, die der Förderung des
mit Europa im Jahre 2014 betrug 30,6 Milliarden Handels und wirtschaftlicher Zusammenarbeit im
Euro, mit Deutschland 5 Milliarden Euro. Ein Großteil eurasischen Raum dienen soll.
davon entfällt auf den Ölexport. Wegen des Ölpreis- TRACECA (Transport Corridor Europe-Caucasus-Asia)
verfalls ist das Handelsvolumen im Jahre 2016 auf ist eine 1998 in Baku gegründete, bis heute bestehen-
17,9 Milliarden Euro gefallen. 11 Mit Kasachstan hat die de Initiative der Europäischen Kommission. Mitglieder
EU 2015 ein erweitertes Partnerschaftsabkommen sind alle Staaten in Zentralasien und dem Südkauka-
sus außer Turkmenistan. Ihr Ziel ist es, mit Hilfe inter-
unterzeichnet. Auf eher niedrigem Niveau halten sich
nationaler Transportkorridore den Handel innerhalb
die Handelsbeziehungen der EU mit den vier anderen
der Region und mit Europa zu fördern. TRACECA
Ländern Zentralasiens – Kirgistan, Usbekistan, Tad- konnte einige Erfolge bei technischen Aspekten ver-
schikistan und Turkmenistan. Die EU gehörte zu den zeichnen, aber keinen Fortschritt im institutionellen
ersten externen Akteuren, die sich die Förderung Bereich.
des regionalen Handels und die Erleichterung des Das CAREC-Programm (Central Asia Regional Econo-
Transports auf die Fahnen geschrieben hatten. Einige mic Cooperation) wurde 1997 auf Betreiben der Asian
der nun auch von China genutzten Korridore des Development Bank ins Leben gerufen. Neben allen
Programms für regionale wirtschaftliche Zusammen- fünf zentralasiatischen Staaten nehmen auch China,
arbeit in Zentralasien (Central Asia Regional Economic Pakistan, Afghanistan und die Mongolei an CAREC
Cooperation Program, CAREC) fußen auf der Vorarbeit teil. Es verfolgt ähnliche Ziele wie TRACECA, ist jedoch
durch das EU-Programm TRACECA (Transport Corridor auf die Konnektivität mit den asiatischen Nachbarn
Europe-Caucasus-Asia). 12 Zentralasiens ausgerichtet. Das Programm gilt als
Mit der Zentralasienstrategie, die 2007 federführend erfolgreich, was Festlegung, Entwicklung und Monito-
von Deutschland ausgearbeitet wurde, hat die EU ihre ring von Transportkorridoren in Zentralasien betrifft.
Der Abbau von Handelsbeschränkungen gelang mit
Beziehungen zu der Region auf eine formellere Ebene
CAREC aber bisher nicht.
gehoben. 13 Die Strategie hatte zum Ziel, sowohl den
Beziehungen höhere symbolische Bedeutung zu geben BOMCA (Border Management Programme in Central
Asia) ist ein Programm der EU, mit dem die Grenz-
als auch konkrete Schwerpunkte für das Engagement
verwaltung in Zentralasien verbessert werden soll.
der EU festzulegen. Sieben Bereiche der Zusammen-
Schwerpunkte des Engagements sind mittlerweile die
arbeit wurden definiert: 1) Menschenrechte und Rechts- Unterstützung bei der technischen Modernisierung
staatlichkeit, gute Regierungsführung und Demokrati- der Grenzanlagen sowie die Ausbildung von Personal.
sierung, 2) Jugend und Bildung, 3) Ökonomische Ent- In der Praxis konzentriert man sich eher auf Grenz-
wicklung, 4) Energie und Transport, 5) Umweltschutz, sicherheit denn auf Handelserleichterung.
6) Bekämpfung gemeinsamer Bedrohungen, 7) inter-
kultureller Dialog. Eine Reihe unterschiedlicher Pro-
gramme ist mit der Strategie verbunden, so die Rechts- das Drogenaktionsprogramm (Central Asia Drug
staatsinitiative, das Grenzschutzprogramm (Border Action Programme, CADAP). 14 Im Jahre 2015 wurde
Management Programme in Central Asia, BOMCA) und die Zentralasienstrategie überprüft, womit auch eine
Steigerung des Projektbudgets um 56 Prozent auf
11 European Commission, European Union, Trade in Goods with über eine Milliarde Euro für den Zeitraum 2017–2021
Kazakhstan, 3.5.2017, (eingesehen am 9.5.2017).
Zusammenarbeit unter dem Dach der Zentralasien-
12 Marlène Laruelle/Sébastien Peyrouse, Regional Organisations
in Central Asia: Patterns of Interaction, Dilemmas of Efficiency, strategie ist Europa auch in Gestalt der Europäischen
Bischkek: University of Central Asia, Institute of Public Policy
and Administration, 2012 (Working Paper Nr. 10/2012), 14 Andrea Schmitz, »The Central Asia Strategy: An Exercise
(eingesehen am 10.8.2016). The European Union and Central Asia, London 2014, S. 11–21.
13 Europäischer Rat, Die EU und Zentralasien: Strategie für eine 15 Rat der Europäischen Union, Beziehungen zu Zentralasien.
neue Partnerschaft, 2007, .
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9Einleitung
Bank für Wiederaufbau und Entwicklung (European 2001 sahen die USA Zentralasien hauptsächlich im
Bank for Reconstruction and Development, EBRD) in Kontext der Bemühungen um eine Stabilisierung
der Region präsent. Im Jahre 2015 war sie an Finan- Afghanistans. Sie unterhielten zwei Militärbasen in
zierungsprojekten in Höhe von 1,4 Milliarden Euro Usbekistan und Kirgistan, die jedoch 2005 beziehungs-
beteiligt, unter anderem im Infrastrukturbereich. 16 weise 2014 geschlossen wurden. Es war Hillary Clin-
Russland, der ehemalige regionale Hegemon, ist ton, die erstmals 2011 bei ihrem Besuch in Indien die
wirtschaftlich und sicherheitspolitisch, aber auch Idee einer Seidenstraßeninitiative skizzierte. Damit
kulturell immer noch stark mit der Region verbunden. wollten die USA mehrere geopolitische Ziele verfolgen,
Zwar verlor das Land seine Position als bedeutendster nämlich die Abhängigkeit Zentralasiens von Russland
Handelspartner und Investor an China, spielt in reduzieren, den Iran schwächen und die Türkei stär-
Zentralasien aber immer noch eine wesentliche Rolle. ken. Allerdings wurde Clintons Idee nie in eine politi-
So ist Russland nach wie vor Kasachstans zweitwich- sche Strategie Washingtons überführt und diente eher
tigster Handelspartner. als Metapher für das US-amerikanische Engagement in
Sicherheitspolitisch ist Russland in mehrfacher – Zentralasien. 18 Die jüngste Kooperationsinitiative der
und ambivalenter – Hinsicht für die Region relevant. USA ist das sogenannte 5+1-Format. Bei den Treffen
Es fungiert als sicherheitspolitischer Garant für die der zentralasiatischen Außenminister mit dem dama-
autoritären Regime der Region und dominiert die ligen US-Außenminister John Kerry ging es auch um
Organisation des Vertrags über kollektive Sicherheit Handelsfragen. Unter Trump zeichnet sich bislang
(OVKS), die wichtigste militärische Organisation im keine spezifische Zentralasienpolitik ab. Für Zentral-
postsowjetischen Raum, der Usbekistan und Turk- asien ist allerdings das Verhältnis zwischen den USA
menistan jedoch nicht angehören. Die Annexion der und Russland relevant. Eine mögliche Annäherung der
Krim hat aber auch den zentralasiatischen Regimen beiden Großmächte wird dort kritisch betrachtet. 19
vor Augen geführt, dass Loyalitätsverweigerung gegen- Regionale Kooperation und staatliche Reformen
über dem einstigen Hegemon eine gefährliche sicher- wurden von den externen Großmächten unterschied-
heitspolitische Konfrontation zur Folge hätte. Anders lich beeinflusst. Russlands vorrangiges Interesse war
als im Fall der Ukraine zeichnet sich für Russland in und ist eine (post-)hegemoniale Kontrolle über die
Zentralasien allerdings keine Integrationskonkurrenz Staaten Zentralasiens, aber nicht die innerregionale
ab, weder mit der EU noch mit China. Kooperation. Mit dem Beitritt zur Zentralasiatischen
Die Eurasische Wirtschaftsunion (EAWU) ist Russ- Union 2005 hat Russland dazu beigetragen, dieses
lands regionales Projekt, das es in erster Linie zusam- regionale Projekt zu beenden. Den USA wiederum
men mit Kasachstan vorangetrieben hat. Es handelt wird ein prinzipielles Interesse an regionaler Zusam-
sich um die erste Regionalorganisation im postsowje- menarbeit nachgesagt, doch faktisch haben sie diese
tischen Raum, die wirtschaftliche Integration anstrebt nicht gefördert. Die EU schließlich hat sich klar zur
und dafür einen gemeinsamen Binnenmarkt geschaf- Förderung von Kooperation und Reformen bekannt,
fen hat sowie gemeinsame Außenzölle erhebt. Auf- aber ihr Einfluss in der Region hat sich als zu gering
grund der Wirtschaftskrise in Russland konnte die erwiesen, um hier fundamentale Interessensverände-
EAWU aber noch nicht an Fahrt gewinnen. Kasachstan rungen in Gang zu setzen. China ist damit der erste
musste bereits erhebliche ökonomische Verluste externe Akteur, der nicht nur über große Macht und
durch die Integration in Kauf nehmen. 17 beträchtliche Ressourcen verfügt, sondern auch
Die USA waren vor allem in den 1990er Jahren ein grundsätzliches Interesse an mehr innerregionaler
wichtiger sicherheitspolitischer und ökonomischer Kooperation hat.
Akteur in der Region, besonders im Ölgeschäft. Nach
16 Svitlana Pyrkalo, »EBRD Investment in Central Asia
Reaches Record €1.4 Billion in 2015«, European Bank for Recon-
struction and Development, 13.1.2016, (eingesehen am 15.12.2016). Geography and Economics, 56 (2015) 4, S. 360–375.
17 Vjačeslav Polovinko, »Sojuz obrečennych« [Union der 19 »Trevožnye ožidanija na postsovetskom prostranstve«
Fremdbestimmten], in: Novaja Gazeta, 13.1.2016, (ein- Gazeta, 20.1.2017, (eingesehen am 10.3.2017).
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1025 Jahre schwierige Beziehungen
Der Kontext: Wirtschaftliche Umbrüche,
Institutionalisierung, Aufstieg Chinas
Äußere Reformanreize und innere Reformbereitschaft Vor allem Usbekistan setzte auf Autarkie und ver-
in Kasachstan und Usbekistan müssen heute in einem suchte seine Abhängigkeiten durch ökonomische Ent-
neuen Licht betrachtet werden. Erstens ist der Reform- flechtung so weit wie möglich zu verringern, worauf-
druck gestiegen, denn beide Staaten leiden unter einer hin Kasachstan dem Beispiel zuweilen notgedrungen
strukturell bedingten Wirtschaftskrise, welche die folgte. So traten immer wieder Konflikte bei grenz-
Finanzierung der staatlichen Herrschaft gefährdet. überschreitenden Strom- und Gaslieferungen auf. 22
Usbekistans innere Krise wird zusätzlich durch regio- Zu Sowjetzeiten gab es ein gemeinsames zentralasia-
nale Prozesse verschärft, allen voran die Etablierung tisches Stromnetz, das auch heute noch grenzüber-
der Eurasischen Wirtschaftsunion. Zweitens haben die schreitenden Stromhandel prinzipiell ermöglicht.
zentralasiatischen Staaten aber auch an Handlungs- Allerdings hatte Usbekistan schon früh seine Verbin-
fähigkeit gewonnen. Anders als noch in den 1990er dungen zu diesem regionalen Stromnetz getrennt
Jahren ist es ihnen gelungen, ihre Innen- und Außen- und damit auch Tadschikistan davon abgeschnitten.
politik zu institutionalisieren. Die Fähigkeit, politi- Kasachstan vollzog diesen Schritt offiziell nicht, doch
sche Projekte und damit auch Reformen umzusetzen, der kasachische Stromnetzbetreiber traf Vorkehrun-
ist heute prinzipiell größer als in den Jahren nach den gen, um das Land binnen weniger Stunden aus dem
jeweiligen Unabhängigkeitserklärungen. Drittens ist regionalen Netz auszuklinken. 23
die Zeit seit Anfang des Jahrtausends durch Chinas Auch die Wirtschaftsbeziehungen sind nur schwach
Aufstieg in Zentralasien gekennzeichnet. Was Macht ausgeprägt, Handel und Investitionen gering. Usbeki-
in der Region anbelangt, kann China es mit Russland stan beließ es nicht dabei, seine Wirtschaft abzuschot-
mittlerweile durchaus aufnehmen. ten, sondern schloss häufig Grenzen oder beschränkte
ohne Vorankündigung den Export bestimmter
Waren. 24 Auf dem Index of Economic Freedom der
25 Jahre schwierige Beziehungen
tors, Strategic Partners or Eternal Friends?«, in: Central Asia-
Die Beziehungen zwischen Kasachstan und Usbekistan Caucasus Analyst, 9.8.2013, (eingesehen
allem durch Usbekistans Abschottung und Koopera- am 11.8.2016).
tionsverweigerung geprägt. Zwar haben die beiden 22 Der kasachische Stromnetzbetreiber kritisierte, Usbeki-
Staaten inhaltlich weitreichende Abkommen unter- stan habe immer wieder binnen kurzer Zeit die vereinbarten
zeichnet, doch diese wurden nie implementiert. Dabei Volumina überzogen, so dass häufig Netzstörungen im süd-
lichen Kasachstan aufgetreten seien. Vasilij Ivanov, »Dlja
gleicht der 1998 unterzeichnete »Vertrag über die
vychoda iz ob’edinennoj ėnergosistemy CA Kazachstanu
ewige Freundschaft« 20 fast schon einem Integrations- nužno neskol’ko dnej« [Um aus dem Vereinten Energiesystem
projekt. Die Staaten sicherten sich gegenseitige Hilfe Zentralasiens auszusteigen, benötigt Kasachstan nur wenige
bei Gefahren für die Unabhängigkeit, Souveränität Tage], in: Panorama, 9.12.2011, (eingesehen am 4.8.2016).
23 »KEGOC vystupaet za razdel’nyj režim raboty ot ėnergosis-
sie, sich in regionalen und globalen Fragen politisch
tem Uzbekistana« [KEGOC fordert Unabhängigkeit vom
abzustimmen. 21 Energiesystem Usbekistans], KEGOC (kasachischer Stromnetz-
betreiber), 21.12.2001, (eingesehen am 9.8.2016).
Kazachstan, O ratifikacii Dogovora o večnoj družbe meždu Respubli- 24 Vgl. »Uzbekistan ograničil ėksport fruktov i ovoščej v
koj Kazachstan i Respublikoj Uzbekistan [Ratifizierung des Vertrags Kazachstan« [Usbekistan hat den Export von Früchten und
über ewige Freundschaft zwischen der Republik Kasachstan Gemüse nach Kasachstan beschränkt], in: 365info, 16.11.2015,
und der Republik Usbekistan], 1999. (eingesehen
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11Der Kontext: Wirtschaftliche Umbrüche, Institutionalisierung, Aufstieg Chinas
Heritage Foundation belegte Usbekistan im Jahr 2017 100 US-Dollar im Jahre 2010 gesenkt hat, verlangt
Platz 148 (Kasachstan: Platz 42). 25 Beide Staaten haben Usbekistan dafür nach wie vor etwa 300 US-Dollar. 30
zwar ein Freihandelsabkommen geschlossen, doch hat Die starke wirtschaftliche Abschottung Usbekistans
es bislang nur wenig Bedeutung. 26 Usbekistan setzt wird unterschiedlich beurteilt. Zuweilen sprechen
Zölle gezielt dafür ein, die Ausfuhr verarbeiteter Beobachter vom »usbekischen Wunder«, da das Land
Produkte zu fördern und die Einfuhr solcher Erzeug- relativ unbeschadet durch die internationalen Finanz-
nisse zu verhindern, die auf dem eigenen Markt krisen gekommen ist und eine eigene Industrie
hergestellt werden. Um die heimische Produktion und aufbauen konnte. 31 Andere wiederum beklagen die
Exportwirtschaft zu schützen, werden teilweise extreme Intransparenz und die hohen langfristigen
Importzölle von bis zu 120 Prozent erhoben, etwa für menschlichen und ökonomischen Kosten des usbeki-
Autos. 27 Ausländische Investitionen sind nur im schen Wirtschaftsmodells. 32 Allerdings gelten die
Exportsektor möglich, wobei die Investoren mit dem von Usbekistan bereitgestellten Daten als wenig ver-
Verbot der Währungskonvertierung sowie einem trauenswürdig, so dass man bei der Einschätzung
staatlich regulierten Wechselkurssystem zu kämpfen der wirtschaftlichen Situation Vorsicht walten lassen
haben. 28 sollte. 33 Kasachstan hingegen hat von Anfang an
Handelshemmend wirkte auch Usbekistans schwie- eine Politik der Öffnung gegenüber ausländischen
riges Verhältnis zu internationalen Verträgen, wie das Investitionen betrieben und versucht, sich auf der
Beispiel des TIR-Systems (Transports Internationaux internationalen Bühne als verlässlicher Partner zu
Routiers) zeigt. Die TIR-Konvention regelt den inter- präsentieren. Seit 2015 ist es Mitglied der WTO, eine
nationalen Straßengütertransport und ermöglicht Mitgliedschaft in der OECD wird angestrebt. 34 Tat-
einen vereinfachten und kostengünstigen Transit per sächlich sind die ausländischen Direktinvestitionen
LKW durch teilnehmende Transitstaaten. Usbekistan in Kasachstan mit die höchsten im postsowjetischen
ist Mitglied der TIR-Konvention, hält sich jedoch nicht Raum.
an die Vereinbarungen. So besteht es zum Beispiel auf Die Gründe für die völlig unterschiedlichen Wirt-
der Konvoipflicht für LKWs. 29 Hinzu kommen hohe schaftsmodelle liegen vor allem in den Staatsbildungs-
Zölle für Einfuhr und Transit. Während Kasachstan prozessen nach der Unabhängigkeitserklärung.
die Gebühren für die Ein- und Ausreise eines LKWs Kasachstans Industrie befand sich bis 1991 in russi-
von ungefähr 200 US-Dollar im Jahre 2000 auf rund schem Besitz. Für Weiterbetrieb und Modernisierung
30 Elena Kulipanova, International Transport in Central Asia:
am 12.12.2016). Understanding the Patterns of (Non-) Cooperation, Bischkek: Uni-
25 Der Index misst Faktoren in den Bereichen Rechtsstaat- versity of Central Asia, Institute of Public Policy and Admin-
lichkeit, Staatsausgaben und Steuern, regulatorische Effi- istration, 2012 (Working Paper Nr. 2/2012), S. 15f. Zu diesen
zienz und Marktzugang. Heritage Foundation, 2017 Index of formalen Gebühren kommen notwendige informelle Zahlun-
Economic Freedom: Kazakhstan, (eingesehen am 9.12.2016). 31 Richard Pomfret, Central Asia since 1991: The Experience of
26 Das gilt für die meisten handelspolitischen Verträge, the New Independent States, Paris: OECD Development Centre,
siehe Asian Development Bank (ADB), Central Asia. Increasing 2003 (Working Paper Nr. 212), (ein-
Transport, and Customs Transit, Manila 2006, S. 41. gesehen am 9.12.2016).
27 Bahodir Ganiev/Yuliy Yusupov, Uzbekistan: Trade Regime and 32 Zu Menschenrechtsverletzungen in Usbekistan vgl. z.B.
Recent Trade Developments, Bischkek: University of Central Asia, Hugh Williamson, »Nicht länger wegschauen«, in: Neue Zürcher
Institute of Public Policy and Administration, 2012 (Working Zeitung, 21.9.2016,Wirtschaftliche Umbrüche und Reformdruck
Tabelle 3: Wirtschaftsdaten für Kasachstan und Usbekistan
Kasachstan Usbekistan
2014 2015 2016 2014 2015 2016
Bevölkerung in Mio. 17,29 17,54 17,8 30,76 31,3 31,85
Bruttoinlandsprodukt 221,4 184,4 133,7 63,0 66,9 67,2
in Mrd. USD
BIP pro Kopf in USD 12 800 10 500 7500 2000 2100 2100
BIP-Wachstum in Prozent 4,2 1,2 0,9 8,1 8,0 7,3
a Die Economist Intelligence Unit hält die von Usbekistan gemeldeten Daten für unzuverlässig.
Sie sollten deswegen nur als grobe Richtwerte verstanden werden.
Quelle: Weltbank.
benötigte das Land dringend ausländisches Kapital. damit, dass das Land beträchtliche Energieressourcen
Anfang der 1990er Jahre folgte es deswegen dem neo- besitzt und eine hohe Binnennachfrage aufweist. 38
liberalen Modell von Staat und Wirtschaft, wie es Zudem bewirkte der Aufbau eines geschlossenen,
damals noch von den internationalen Finanzinstitu- patrimonial-autoritären Herrschaftssystems, dass
tionen propagiert wurde. Die erste, 1993 verabschie- Regimesicherheit Vorrang genoss.
dete Verfassung war demokratischer Natur. Sie wurde
zwar 1995 durch eine autoritäre Verfassung ersetzt, 35
doch die liberale Wirtschaftspolitik und der Schwer- Wirtschaftliche Umbrüche und Reformdruck
punkt auf ausländischen Direktinvestitionen blieben
unverändert. Ab 1997 emanzipierte sich Kasachstan Kasachstans Wirtschaftskrise hat mehrere Ursachen.
vom neoliberalen Modell und begann einen entwick- Die größte Einnahmequelle des Landes ist der Export
lungsstaatlichen Ansatz zu verfolgen, dem gemäß der natürlicher Ressourcen, vor allem von Öl. Versuche
Staat als Motor der Wirtschaft eine maßgebliche Rolle wirtschaftlicher Diversifizierung in den 2000er Jahren
einnimmt. 36 Beibehalten wurden aber die grundsätz- hatten nur wenig Erfolg. Damit bekommt das Land
liche Offenheit gegenüber ausländischen Investoren die Auswirkungen des niedrigen Ölpreises unmittel-
und die starke Verschränkung mit ausländischen bar zu spüren. Indirekt litt es zudem unter der russi-
Märkten. Auch betrieb Kasachstan nachdrücklich eine schen Wirtschaftskrise, die ebenfalls vom Ölpreis-
gesellschaftliche Öffnung. Mit dem Stipendienpro- verfall verursacht wurde, und auch die Folgen von
gramm Bolaschak hat die Regierung über 11 000 Stu- Chinas Wachstumsschwäche machten Kasachstan
denten ein Auslandsstudium in den Industrienationen zu schaffen. Während Chinas Wachstum aber wieder
ermöglicht. 37 anziehen kann, ist nicht zu erwarten, dass der Ölpreis
Usbekistan bewegte sich dagegen in eine völlig noch einmal über die Marke von 100 US-Dollar steigt.
andere Richtung. Dort gab es, anders als in Kasachstan, Die hohen Preise hatten Kasachstan ab 1999 Wachs-
weder ein »demokratisches Experiment« noch nen- tumsraten von über zehn Prozent ermöglicht. 2014
nenswerte Privatisierungen. Usbekistans ausgeprägtes fiel das Wachstum dann erstmals unter fünf Prozent,
Interesse an Autarkie und sein Unwille, sich auf ver- Anfang 2016 war sogar eine Rezession zu verzeichnen.
bindliche Kooperation einzulassen, erklären sich Für die nächsten Jahre wird mit maximal drei Prozent
Wachstum pro Jahr gerechnet. Eine hohe Inflation
35 Otto Luchterhandt, »Präsidentialismus in den GUS-Staaten«,
und die Abwertung der nationalen Währung haben
in: ders. (Hg.), Neue Regierungssysteme in Osteuropa und der GUS. die Haushaltseinkommen in der Mittelschicht bereits
Probleme der Ausbildung stabiler Machtinstitutionen, 2., aktualisier- sinken lassen. 39
te Aufl., Berlin 2002, S. 268–279.
36 Andrea Schmitz, Kasachstan: neue Führungsmacht im post- 38 European Parliament, Uzbekistan: Selected Trade and Economic
sowjetischen Raum?, Berlin: Stiftung Wissenschaft und Politik, Issues, Brüssel, September 2013, S. 6.
März 2009 (SWP-Studie 7/2009), S. 12f. 39 Daraus kann aber nicht zwingend auf ein Protestpotential
37 Eigendarstellung auf der Website des Programms, (eingesehen am 12.1.2017). Intelligence Unit, Kazakhstan. Country Report, London, 3.11.2016.
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13Der Kontext: Wirtschaftliche Umbrüche, Institutionalisierung, Aufstieg Chinas
Auch Usbekistan kämpft mit einer Wirtschaftskrise. Sicherheitsstandards für Autos verbindlich machte,
Lange setzte das Land auf wirtschaftlichen Protek- konnte Usbekistan seine PKWs nicht mehr in den
tionismus und die Entwicklung einer Exportindustrie. EAWU-Raum ausführen und musste zunächst die
Damit konnte es zwar etliche Jahre erstaunliche Produktionsverfahren umstellen. 44 Allen voran kann
Wachstumsraten erzielen und überstand die inter- Russland Einfuhrbeschränkungen als Mittel nutzen,
nationalen Finanzkrisen nahezu ohne Blessuren. um politischen Druck auf Usbekistan auszuüben.
Inzwischen stößt das usbekische Modell aber an seine Schon der damalige, mittlerweile verstorbene
Grenzen. Weil effektive Reformen unter Präsident Präsident Islom Karimov versuchte einen Ausweg aus
Karimov ausblieben, hat sich die Arbeitslosigkeit ver- diesem Dilemma zu finden. Zwar lehnte er einen
vielfacht, so dass die Rücküberweisungen von Arbeits- Beitritt Usbekistans zur EAWU mehrmals ab, schlug
migranten in die Heimat immer wichtiger wurden. aber stattdessen eine »privilegierte Partnerschaft«
Da diese Überweisungen schrumpfen und Russland namens »EAWU plus Usbekistan« vor. Zwei Jahre nach
ein insgesamt zwar kleiner, aber aus usbekischer Sicht Inkrafttreten der Zollunion und kurz vor Inkrafttreten
wichtiger Absatzmarkt ist, wurde das Land von der des einheitlichen Wirtschaftsraums der EAWU wurde
russischen Wirtschaftskrise in Mitleidenschaft gezogen. Usbekistan 2013 Mitglied der Freihandelszone der
Die schwache wirtschaftliche Entwicklung Chinas Gemeinschaft Unabhängiger Staaten (GUS). Das hatte
schlug auch auf Usbekistan durch. 40 sowohl symbolische als auch materielle Gründe. Ge-
Zudem wird in Usbekistan befürchtet, dass das Land messen an ihren ursprünglichen Zielen gilt die GUS-
in die regionale Peripherie abrutschen könnte. 41 In Freihandelszone als gescheitert. 45 Der Beitritt bedeu-
der offiziellen Darstellung ist Usbekistan zwar stolz tete für Usbekistan zunächst keine Verpflichtungen.
auf seine selbst gewählte Unabhängigkeit. Tatsächlich Er erlaubt es aber, ein Symbol gegen das aufkeimende
könnten aber die beiden großen Regionalprojekte, die Bild eines immer stärker isolierten Landes zu setzen.
Eurasische Wirtschaftsunion und die Seidenstraßen- Materiell ist die GUS-Freihandelszone zudem insofern
initiative, aus unterschiedlichen Gründen zum Pro- relevant, als sie einen Rahmen für die bilaterale Aus-
blem werden. Das betrifft besonders die EAWU. Eine handlung von Handelsbeziehungen bietet. Den Bei-
Mitgliedschaft Usbekistans gilt vorerst als ausgeschlos- tritt zu Freihandelszonen, die stärkere Souveränitäts-
sen, weil das Land damit Souveränität abtreten müss- einschränkungen nach sich ziehen, lehnt die Regie-
te. 42 Die EAWU und vor allem deren Zollunion konter- rung bisher jedoch ab. Dies bekräftigte sie zuletzt auf
karieren die usbekische Exportstrategie. 43 Usbekistan dem Gipfel der Shanghaier Organisation für Koopera-
kann mit den Mitgliedstaaten der EAWU nicht mehr tion (Shanghai Organization for Cooperation, SCO) in
ausschließlich bilateral verhandeln und läuft Gefahr, Taschkent im Juni 2016. 46
bestimmte Produkte künftig nicht mehr exportieren Aber auch in der SREB-Initiative droht Usbekistan
zu können. Auch die Einführung EAWU-weiter Stan- abgehängt zu werden. Kasachstan ist ohnehin bereits
dards kann schwierige Anpassungen erforderlich Chinas wichtigster Partner in Zentralasien und hat die
machen. Als etwa die Wirtschaftsunion 2015 neue größten Chancen, von der Initiative ökonomisch zu
profitieren. Je weniger Usbekistan zu Reformen bereit
ist, desto mehr wird es gegenüber dem Nachbarn Ka-
40 Paul Stronski, Uzbekistan at Twenty-Five: What Next?, Wash-
ington, D.C.: Carnegie Endowment for International Peace,
sachstan ins Hintertreffen geraten.
21.3.2016, (eingesehen druck für beide Staaten erhöht hat. Da das innenpoli-
am 20.11.2016); Economist Intelligence Unit, Uzbekistan [wie tische Interesse an Reformen gewachsen ist, verstärkt
Fn. 33].
41 Interview mit einem usbekischen Experten, Almaty,
September 2016. 44 Interview mit Handelsexperten, Astana, September 2016.
42 Vgl. auch Vsevolod Samokhvalov, »The New Eurasia: Post- 45 Martha Brill Olcott/Anders Åslund/Sherman W. Garnett,
Soviet Space between Russia, Europe and China«, in: European Getting It Wrong. Regional Cooperation and the Commonwealth of
Politics and Society, 17 (2016) 1, S. 82–96, (eingesehen am 25.5.2017). 46 »Uzbekistan ne podderžal predloženie Kitaja o sozdanii
43 Regnum, »Rasširenie EAĖS so vremenem privedet k zony svobodnoj torgovli v ramkach ŠOS« (Interfaks) [Usbeki-
izoljacii Uzbekistana« [Die Erweiterung der EAWU führt stan hat Chinas Vorschlag zurückgewiesen, im Rahmen der
langfristig zur Isolation Usbekistans], in: Regnum, 7.12.2015, SCO eine Freihandelszone zu errichten], in: Express K, 16.12.
(eingesehen am 2015, (ein-
1.12.2016). gesehen am 8.10.2016).
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14Staatsbildung und politische Institutionalisierung
sich auch die Wirkung externer Reformanreize. ren, wurde in Kasachstan überdies eine Präsidenten-
Reformen in Wirtschaft und politischen Institutionen partei (Nur Otan) ins Leben gerufen. Während sich in
erscheinen deswegen wahrscheinlicher als bislang. Usbekistan unter Islom Karimov ein äußerst repressi-
Ein weiterer leichter Anstieg der Energiepreise würde ves Regime entwickelte, setzte Kasachstans Präsident
den Druck zwar etwas abmildern, aber nichts an den Nursultan Nasarbajew darauf, Legitimität vorwiegend
strukturellen Problemen ändern. durch Wachstum und ökonomische Teilhabe der
Bevölkerung zu erzeugen. Außenpolitisch mussten
sich die Staaten in den 1990er Jahren weitestgehend
Staatsbildung und politische neu erfinden. Dies gelang auf der politischen Ebene,
Institutionalisierung indem die Staaten außenpolitische Identitäten aus-
formten, und auf administrativer Ebene, indem sie
Die heutige Situation in Kasachstan und Usbekistan eigene Außenministerien schufen. Ideologisch knüpf-
unterscheidet sich auch deshalb von derjenigen der te Kasachstan zunächst an eine autoritär-neoliberale
1990er Jahre, weil die Politik stärker institutionalisiert Tradition an und erhob wirtschaftlichen Fortschritt
ist. Vor 1991 besaßen die Sowjetrepubliken Zentral- zum Credo. Usbekistans symbolische Ordnung wiede-
asiens eingeschränkte Entscheidungskompetenzen. rum beruhte vorwiegend auf traditionell-historischen
Das höchste Amt in den Republiken, das des Partei- Werten.
und Ministerratsvorsitzenden, wurde von der sowjeti- In vielerlei Hinsicht weisen die zentralasiatischen
schen Führung besetzt, nicht durch freie Volkswahlen Staaten institutionell eine starke Kontinuität zur
oder Entscheidungen der Eliten in den Republiken. Sowjetunion auf. Diese Kontinuität ist aber nicht ein-
Das Politbüro hatte großen Einfluss auf die Karriere- fach ein Überbleibsel aus Sowjetzeiten, sondern das
chancen der lokalen Kader in Zentralasien, die sich Ergebnis aktiver Aneignung in den 1990er und teil-
deswegen stark nach Moskau orientierten. Auch war weise auch den 2000er Jahren.
das Zentrum für regionale, außenpolitische und viele Stärkere Institutionalisierung von Politik und
nationale Wirtschaftsfragen zuständig. Große Teile funktionierende Hierarchien »bewirken« noch keine
der Industrie in Zentralasien waren im Besitz der Reformen. Sie schaffen aber günstigere Voraussetzun-
Moskauer Sowjetbürokratie. Innerhalb dieses von der gen dafür, weil sie die Unsicherheit der Akteure bei
Zentrale gesteckten Rahmens jedoch konnten die Veränderungsprozessen verringern und die Steue-
nationalen Eliten über innenpolitische Fragen selbst rungsfähigkeit erhöhen. Das gilt vor allem für – aus
entscheiden. Sicht des Regimes – schwierige Reformen, die das
Die 1990er Jahre stehen deswegen auch für die System politischer Macht und Herrschaft betreffen.
Reinstitutionalisierung eigenständiger Staatlichkeit,
die Entwicklung und Implementierung zentraler Poli-
tiken wie Wirtschafts- und Außenpolitik, den Umbau Chinas Aufstieg in Zentralasien
von Bürokratien und die Etablierung von Hierarchien.
Da zudem die kommunistische Ideologie gleichsam Die Zeit seit der Jahrtausendwende ist vom Aufstieg
über Nacht als kohärente symbolische Ordnung aus- Chinas in Zentralasien geprägt. In Pekings außenpoli-
gefallen war, mussten die Staaten sie durch eigene tischer Strategie spielen die Staaten Zentralasiens
Sinnsysteme ersetzen. zwar nur eine untergeordnete Rolle. Chinas Zentral-
Kennzeichnend für beide Staaten war dabei eine asienpolitik fällt aber in die Kategorie der Nachbar-
starke Machtkonzentration in der Exekutive, vor allem schaftspolitik, die wiederum in der außenpolitischen
direkt beim Präsidenten. Auch wurden in Kasachstan Rangordnung an zweiter Stelle steht, nach den Bezie-
und Usbekistan wichtige Verwaltungsstrukturen auf- hungen zu den Großmächten. 48 Das Volumen des
gebaut, vorrangig im Bereich Sicherheit, aber auch in Handels zwischen Kasachstan und China lag 2016 bei
der Finanz- und Steuerverwaltung. Nicht zuletzt orien- über 7 Milliarden Euro was 12,7 Prozent des kasachi-
tierten sich beide Länder an spezifischen Wirschafts- schen Außenhandels ausmacht. Dagegen belief sich
modellen. 47 Um politische Macht zu institutionalisie- der Wert des Handels zwischen China und Usbekistan
47 Vgl. als Beispiel für den Bereich der Zentralbanken Juliet
Johnson, Priests of Prosperity. How Central Bankers Transformed the 48 Weiqing Song, China’s Approach to Central Asia. The Shanghai
Postcommunist World, Ithaca 2016. Co-operation Organisation, London 2016, S. 4, 11.
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15Der Kontext: Wirtschaftliche Umbrüche, Institutionalisierung, Aufstieg Chinas
in absoluten Zahlen nur auf 3,34 Milliarden Euro, dieselbe Summe. 52 Chinas Investitionen in Kasachstan
aber auf 20,8 Prozent des usbekischen Außenhandels. übersteigen diese Beträge um ein Vielfaches. Vor allem
Für Zentralasien ist China mittlerweile der wich- in den Energiebeziehungen wird das deutlich. Sämt-
tigste Handelspartner, Investor, Kreditgeber und liche 22 chinesischen Energiefirmen sind im kasachi-
Abnehmer von Energielieferungen. Schon seit den schen Ölsektor aktiv, zehn der Firmen in Kasachstan
2000er Jahren ist China Hauptimporteur von Erdöl befinden sich zu 100 Prozent in chinesischem Besitz.
und Erdgas aus der Region und auf diese Weise auch Ungefähr 40 Prozent des kasachischen Ölsektors
zu deren bedeutendstem Handelspartner avanciert. werden von chinesischen Unternehmen kontrolliert,
Aufgrund seines stetig wachsenden Energiebedarfs ist allen voran der staatliche Ölkonzern China National
China seit 1993 auf die Einfuhr von Öl und seit 2006 Petroleum Corporation (CNPC). 53 Außerdem investiert
von Gas angewiesen. Schätzungen zufolge wird das China in den kasachischen Bankensektor. Eine Investi-
Land im Jahre 2022 zwei Drittel seines Ölbedarfs tionspartnerschaft neuerer Art bildet die Verlegung
durch Importe decken müssen. 49 von 51 chinesischen Fabriken nach Kasachstan. Darauf
Der Handel zwischen China und Zentralasien ist haben sich die beiden Staaten im September 2016
alles andere als ausgewogen. Etwa 85 Prozent der geeinigt. Die Investitionssumme beläuft sich dabei auf
Exporte Chinas nach Zentralasien sind verarbeitete 26 Milliarden US-Dollar. 54
Produkte und Konsumgüter. Bei den Importen aus Neben den bilateralen Wirtschaftsbeziehungen
Zentralasien liegt die Quote unverarbeiteter Produkte kann China zwei erfolgreiche regionale Projekte für
ebenfalls bei 85 Prozent. Dabei handelt es sich vor sich verbuchen. Die Gaspipeline »China-Central Asia«
allem um Energierohstoffe und Metalle. Lange Zeit lief ist Chinas erstes transnationales Infrastrukturprojekt
ein Großteil des Handels über Kirgistan, denn von dort in der Region. Im Jahre 2009 wurde die 1833 Kilometer
wurden die aus China importierten Waren weiter- lange Pipeline fertiggestellt, durch die vor allem turk-
verkauft. Das hat sich merklich geändert, seit 2014 menisches Gas nach China transportiert werden soll.
die Eurasische Wirtschaftsunion gegründet wurde. Die Pipeline hat enorme Bedeutung, da China fast
Chinas Hauptöllieferant in Zentralasien ist Kasach- 50 Prozent seines Gasbedarfs mit turkmenischem Gas
stan. Von dort bezog China 2014 zwei Prozent seiner deckt. 55 Gebaut wurde sie durch Joint Ventures von
gesamten Ölimporte. 50 Mit Usbekistan einigte sich CNPC mit Unternehmen in den jeweiligen Ländern,
China 2009 auf Gaslieferungen. Während aber für im Falle Usbekistans mit der staatlichen Holding
Usbekistan seine Gasexporte nach China durchaus Uzbekneftegaz. 56 In Kasachstan wurde dafür eigens
eine Rolle spielen, fallen sie im chinesischen Energie- das Unternehmen Aziatskij Gazoprovod gegründet. 57
mix nicht auf, denn sie belaufen sich auf weniger als Allerdings wurde die Pipeline ausschließlich in einem
0,4 Prozent. 51 bilateralen Modus mit den zentralasiatischen Staaten
Auch als bedeutender Investor in Zentralasien hat ausgehandelt. Anders als bei der Transitfrage erfor-
China Russland zumindest eingeholt. Offiziell hat dern weder Bau noch Betrieb der Gasleitung institutio-
China bis 2016 in Usbekistan sechs Milliarden US- nelle Reformen oder eine intensive Zusammenarbeit
Dollar investiert, Russland nach eigenen Angaben
52 »China Catches Up with Russia as Major Investor in Uzbeki-
stan« (Reuters), in: Daily Mail Online, 24.5.2016, .
egies in the ›New Great Game‹: China and the Caspian States 53 Kusznir/Stegen, »Outcomes and Strategies [wie Fn. 49],
Emerge as Winners«, in: Journal of Eurasian Studies, 6 (2015) 2, S. 101.
S. 91–106 (101). 54 »Kazachstan i Kitaj sozdadut 51 sovmestnoe predprijatie«
50 Nick Cunningham, »The Battle for China’s Oil Market«, [Kasachstan und China errichten 51 gemeinsame Fabriken],
Oilprice.com, 15.7.2015,
19.12.2016). (eingesehen am 16.12.2016).
51 Vgl. Konstantin L. Syroežkin, Kazachstan – Kitaj: ot pogranič- 55 Murat Sadykov, »Turkmenistan Supplying over Half of
noj torgovli k strategičeskomu partnerstvu [Kasachstan – China: Chinese Gas Imports«, in: Eurasianet, 6.8.2013.
Vom Grenzhandel zur strategischen Partnerschaft], Аlmaty 56 Eric Watkins, »Uzbekneftegaz, CNPC form Asia Trans Gas
2010; BP, BP Statistical Review of World Energy 2012, London, Juni Joint Venture«, in: Oil & Gas Journal, 14.4.2008.
2012, . Chinas wichtigster Gas- nich dogovorennostej« [Kasachstan und China: Analyse der
lieferant ist Turkmenistan. jüngsten Vertragsabschlüsse], in: Cabar, 3.11.2016.
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