Habitat Stockenbruch Saarbrücken St. Arnual

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Habitat Stockenbruch Saarbrücken St. Arnual
Habitat Stockenbruch
Saarbrücken St. Arnual

Kunstlexikon Saar Architektur und Raum
Habitat Stockenbruch Saarbrücken St. Arnual
www.kunstlexikon-saar.de                  Ersten Weltkrieg, als die Wirtschafts­
                                          region um den Mittellauf des
ist ein Forschungsprojekt des Instituts   ­Saarflusses aus dem Verbund des
für aktuelle Kunst im Saarland an der     Deutschen Reiches h
                                                            ­ erausgelöst
Hochschule der Bildenden Künste           und durch den Völkerbund ver-
Saar, das im November 2006 online         waltet ­wurde. Im Spannungsfeld
geschaltet wurde. Die Stichwort-          ­z wischen Frankreich und Deutsch-
Artikel fassen auf aktuellem Stand Er-    land e­ ntwickelte sich in den engen
gebnisse wissenschaftlicher Forschung     Grenzen des Saargebietes (1920-35)
zu den verschiedenen Bereichen der        eine selbstständige Kunst- und
Bildenden Kunst im Saarland zusam-        Kulturpflege, deren Fortführung durch
men. Sie verstehen sich als Bausteine,    die erneute Abtrennung nach dem
mit deren wachsender Anzahl das Bild      Zweiten Weltkrieg (1945/47-1957/59)
der Kunstgeschichte des Saarlandes        befördert wurde. Im heutigen
schärfer und präziser werden wird.        Bundesland Saarland bleibt diese
                                          Entwicklung spürbar und gehört zu
Ausgehend von den Themenbereichen,        den wesentlichen Merkmalen, die das
die zu den Arbeitsschwerpunkten           Land ebenso innerhalb der Bundes-
des 1993 gegründeten Instituts            republik Deutschland kennzeichnen
gehören, werden sowohl bereits in         wie innerhalb der europäischen Groß-
Druckform publizierte als auch bisher     region Saar-Lor-Lux-Rheinland-Pfalz-­
­unveröffentlichte ­Arbeitsresultate      Wallonie-Französische und Deutsch-
sowie neue Ergebnisse für das             sprachige Gemeinschaft Belgiens.
Medium des Internet-Lexikons
aufbereitet und s­ ukzessiv einge-        Aus Inhalten der Internetseite
speist. Inzwischen ­werden neben der      www.kunstlexikon-saar.de wiederum
Kunst der Gegenwart zunehmend             generiert sich die Publikationsreihe
auch Architektur, D
                  ­ esign und die         „Architektur und Raum“. In loser
Kunst vor 1945 zum Gegenstand             Folge werden Beispiele regionaler
der Forschung. Des­gleichen werden        Architektur und Stadtbaukunst
die größeren Kulturräume in die           ­vorgestellt, die als besonders
Betrachtung miteinbezogen und             aussagekräftig für das Werden
Wechselwirkungen zu den benach-           und Wachsen der Kulturlandschaft
barten Regionen berücksichtigt.           an der Saar angesehen werden.

Das Kunstlexikon Saar trägt der
Besonderheit der kulturellen Ent-
wicklung des Saarlandes Rechnung.
Die Herausbildung des Saarlandes
als eigenständige politische und
­kulturelle Einheit begann nach dem
Habitat Stockenbruch Saarbrücken St. Arnual
Miriam Bilke-Perkams

Habitat Stockenbruch
Saarbrücken St. Arnual

Kunstlexikon Saar
Architektur und Raum
Habitat Stockenbruch Saarbrücken St. Arnual
Habitat Stockenbruch Saarbrücken St. Arnual
Vorwort
Ulrich Pantle

Die große Herausforderung           – ein in den 1950er Jahren          Das Habitat Stockenbruch
der Moderne und ihrer               häufig verwendeter Be-              ist dafür ein frühes Beispiel
Architektur ist der soziale         griff. Dem CIAM-Treffen             und ein bemerkenswertes
Massenwohnungsbau im                in Aix-en-Provence von              Gebäude der Architektur­
Stadtraum. Bereits 1845             1953 gibt er gar seinen             geschichte, nicht nur für
­prangert Friedrich Engels in       programmatischen Titel.             die Stadt Saarbrücken.
 seiner Darstellung zur „Lage                                           Früher als an manch anderem
 der arbeitenden Klasse in           Habitat meint mehr als             Ort steht es für den Versuch
 ­England“ die unmensch­             Wohnen. Habitat steht              der Planer, einen wichti-
  lichen Lebensumstände in           für den Versuch, alle              gen Stadtbaustein für den
  den Städten an. Dieser frühen     ­Dimensionen menschlichen           Wiederaufbau unter moder-
  Urbanismuskritik folgen            Zusammenlebens zu ver­             nen Vorzeichen zu erschaf-
  zahlreiche Reformbemühun-          einen: Neben der gebauten          fen. Obgleich das Habitat
  gen, wie etwa die um 1900          Wohnstätte integriert er die       Stockenbruch beispielsweise
  ent­stehende Gartenstadt-          Identität des Ortes, unter-        auf das 1930 fertig gestellte,
Bewegung oder die von 1928           schiedliche Gebäudetypo-           achtgeschossige Wohnhaus
bis 1959 regelmäßig statt-           logien, das soziale Gefüge         „Les Tilleuls“ des Architekten
findenden Treffen des CIAM           der Menschen und deren             Maurice Braillard in Genf,
(Congrès Internationaux              individuelle Bedürfnisse.          das gleichfalls einen halb­
d’Architecture Moderne).                                                kreisförmigen Grundriss hat,
                                    Insofern ist moderner               oder auf die 1925 von
Bei diesen von ­prominenten         Wohnungsbau primär keine            Le Corbusier in Grund­zügen
Architekten wie Walter              Stilfrage, sondern Kernauf­         vorgestellte Idee der Unité
Gropius, Hendrik Berlage,           gabe der Architektur im             d’Habitation, die an fünf
Ernst May, Mart Stam und            20. Jahrhundert, und der            verschiedenen Orten von
vor allem Le Corbusier              Be­griff Habitat steht gleicher­    1947 bis 1965 realisiert wird,
initiierten Zusammenkünf-           maßen für die Suche der             verweist, ist es doch ein
ten werden weitreichende            ­Architekten nach Entwürfen,        einzigartiger Bau, der uns
städtebau­liche Leitlinien           die den formulierten Ansprü-       heute die damalige Auf-
formuliert, und gleich m ­ ehrere    chen gerecht werden. Mit­          bruchstimmung bezeugt.
Kongresse debattieren das            unter werden dabei auch ori-
zeitgemäße Wohnen.                   ginelle Formen gefunden. Das       Die WOGE Saar als Eigen-
                                     gilt auch für die Nachkriegszeit   tümerin weiß um die Be-
Dabei geht es nicht um die           in Deutschland, in der einer-      deutung des Gebäudes.
Wohnung mit ihren „vier              seits die Zerstörung der Städte    Sie initiierte und unterstütz-
Wänden“ im engeren Sinn,             beklagt werden, andererseits       te finanziell die Erstellung
vielmehr um den L­ ebensraum         Planer aber die Chance eines       dieser Dokumentation.
von Menschen, das ­„Habitat“         radikalen Neubeginns sehen.        Wir danken ihr dafür.

                                    Folgende Doppelseite:
                                    Ansicht von Norden, 2014
Habitat Stockenbruch Saarbrücken St. Arnual
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Habitat Stockenbruch Saarbrücken St. Arnual
Habitat Stockenbruch     In den letzten Monaten des
Saarbrücken St. Arnual   Zweiten Weltkrieges versin-
                         ken die deutschen Städte in
Miriam Bilke-Perkams     Schutt und Asche, so auch
                         Saarbrücken. Den wenigen
                         nach dem Krieg in Deutsch-
                         land noch vorhandenen
                         Wohnraum muss sich eine
                         Bevölkerung von 69 Milli-
                         onen Menschen teilen.1
                         Zwar werden bereits vor
                         Kriegsende sowohl von
                         den Alliierten als auch den
                         Deutschen reichlich Planungs-
                         entscheidungen bezüglich des
                         Wiederaufbaus der Städte ge-
                         troffen, die aber nur zum Teil
                         oder gar nicht weiterverfolgt
                         werden. Dies zeigt sich gerade
                         in Saarbrücken beispielhaft an
                         den Planungen von Georges-
                         Henri Pingusson (1894-1978).2
                         Die Planungen Pingussons
                         für Saarbrücken und auch
                         vergleichbare andere in der
                         französischen Besatzungs­
                         zone, wie zum Beispiel die des
                         französischen Generalplaners
                         Marcel Lods (1891-1978)
                         für Mainz3, verdeutlichen
                         den starken Einfluss von
                         Le Corbusier4 auf die fran-
                         zösischen Stadtplaner.5

                         In Saarbrücken hatte der fran-
                         zösische Stadtplaner Pingusson
                         unter Bezugnahme auf die
                         Ideen von Le Corbusier für die
                         Neustrukturierung Saarbrückens
                         beiderseits der Saar vertikale
                         Gartenstädte in Form paralleler
                         Hochhausscheiben geplant,
                         ergänzt um Kleinsiedlungen in
                         einer aufgelockerten Bebauung.

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Habitat Stockenbruch Saarbrücken St. Arnual
Um die Abkehr von der steiner-       Die Gestaltung der Gebäude      gewachsenen Umge-
nen Stadt zu erreichen, sollte       soll sich von der architek-     bung wieder schließen:
das Leben „im Licht und Grün         tonischen Konstruktion /        Hierbei bricht sie radikal
(...) spielen und glücklichen        Tektonik ableiten, was sich     mit der Vergangenheit.
Bewohnern verschaffen, was Le        oftmals in der Sichtbarkeit
Corbusier die joies essentielles     des Bauskeletts eines Ge-       Gerade der erste Punkt
nannte“ und zwar „den weiten         bäudes äußert. Dabei gilt es    trifft auf das Habitat
Blick, den freien Horizont (...),    zu bemerken, dass sich die      Stockenbruch zu. Mit der
den Gesang der Vögel, die Stille     Gebäude deutscher Archi-        Planung und Errichtung
hoch über dem brausenden             tekten im Gegensatz zu          des im Volksmund auch
Leben (...). Die neue Stadt sollte   denen ihrer französischen       gerne als „Beamtensilo“
nicht nur Stadt, sondern auch        Kollegen durch die Ausge-       genannten Wohnhauses
Landschaft sein: Stadtland-          staltung in meist asketischer   wird versucht, der nach
schaft, mit ihrer offenen,           Schlichtheit unterscheiden.     dem Zweiten Weltkrieg in
Natur und Landschaft zu-                                             Saarbrücken herrschenden
gewandten Haltung und                1933 wurden die städte-         starken Wohnungsnot ent-
Raumbildung, mit ihrer               baulichen Leitbilder, derer     gegenzutreten. Mit dem
freien Erscheinung und all ihren     sich die Moderne bedient,       Bau dieses Hochhauses
Formen und Gestalten.“6              in der Charta von Athen         schaffen der französische
Die neue technische Grund­           festgehalten. Sie beinhalten    Architekt Jean Schoffit
lage für die Architektur             nicht nur die Ablehnung der     und der deutsche Bauinge-
dieser Zeit – die der Klassi-        dicht besiedelten Stadt des     nieur Walter Wundrack je-
schen Moderne – ist die              Industriezeitalters, sondern    doch nicht nur Wohnraum
Verwendung der Bauma-                auch einen radikalen Bruch      für Regierungsbeamte
terialien Stahlbeton, Stahl          mit den europäischen Städ-      und -angestellte, sondern
und Glas. Ihre ästhetischen          tebautraditionen. Wesent­       auch einen für damalige
­Prinzipien sind als Reaktion        liche Elemente der Leitbilder   Verhältnisse unvergleich-
 auf die historisierenden Neo-       sind die Entflechtung der       baren Luxus – einen
 Stile des 19. und ein-              städtischen Funktionen,         Bau, dessen besondere
 setzenden 20. Jahrhun-              eine offene Bebauung sowie      architektonische Form und
 derts zu verstehen.                 die autogerechte Stadt.         Ausgestaltung zu dieser
                                                                     Zeit seinesgleichen sucht.
Das theoretische Programm            Charakterisiert wird die
dieser Architektur lässt sich ver-   Architektur in den 1950er
kürzt in den beiden Leitsätzen       und 1960er Jahren insbeson-
„form follows function” (Louis       dere durch die Bauaufgaben,
Henry Sullivan,1856-1924)            die aus der starken Zerstö-
und „less is more“ (Ludwig           rung der Städte im Zweiten
Mies van der Rohe, 1886-             Weltkrieg resultieren. Sie
1969) zusammenfassen,                muss zum einen die große
ergänzt um „Ornament und             Wohnungsnot dieser Zeit
Verbrechen“einer aus dem Jahr        durch Neu- und Wiederauf-
1908 stammenden Kontroverse          bau und zum anderen in den
von Adolf Loos (1870-1933).          Innenstädten die Lücken einer

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Habitat Stockenbruch Saarbrücken St. Arnual
Rohbau
Nach der Fertigstellung

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Baugeschichte                     An jenem Tage findet in den
                                       Räumen des saarländischen
     Die Rekonstruktion der            Ministerpräsidenten Johannes
     Baugeschichte des Habitats        Hoffmann (1890-1967) eine
     oder Beamtenhochhauses            Besprechung unter Regie-
     Stockenbruch gestaltet sich       rungsmitgliedern und -ange-
     schwierig, da sich in den         stellten statt, im Rahmen derer
     infrage kommenden Archiven        Hoffmann in seiner Funktion
     und Bauämtern nur wenige,         als Wiederaufbauminister den
     unvollständige Dokumente          Bau eines Beamtenhochhau-
     erhalten haben. Die existieren-   ses auf einem landeseigenen
     den Quellen zeigen vor allem,     Grundstück zwischen Allee-
     dass das Habitat Stockenbruch     straße (heute Koßmannstraße)
     zum einen wegen seiner für        und Saargemünder Straße
     diese Zeit außergewöhnlichen      beschließt. Aufgrund des aku-
     Architektur, zum anderen aber     ten Mangels an Wohnraum
     auch aufgrund seines Stand-       soll mit dem Bau so bald wie
     ortes Anlass zu erheblichen       möglich begonnen werden.7
     Streitigkeiten auf adminis­       Das planende und ausführen-
     trativer Ebene gegeben hat.       de Organ für das Vorhaben ist
     Innerhalb der Abteilung für       nach allgemeiner Zuständig-
     Wiederaufbau der Regierung        keit die Abteilung für Wie-
     des Saarlandes kommt es           deraufbau der Regierung des
     hinsichtlich der personellen      Saarlandes8, die erst ein Jahr
     Zuständigkeit für die Planung     zuvor gegründet worden war
     und Ausführung des Vor­           und die Abteilung Städtebau
     habens und somit auch ver-        und Wiederaufbau der Mili-
     schiedener architektonischer      tärregierung des Saarlandes
     Konzepte zu Differenzen.          abgelöst hat.9 Die Planung
     Zusätzlich entwickelt sich eine   für das zu verwirklichende
     externe Auseinandersetzung        Bauvorhaben übernimmt der
     zwischen der vorgenannten         Diplom- Architekt Jean Schof-
     Behörde und dem Stadtbau-         fit, seines Zeichens stellvertre-
     amt der Stadt Saarbrücken         tender technischer Leiter der
     vordergründig um die Frage        Abteilung für Wiederaufbau,
     des Bauplatzes, die aber maß-     ohne diesbezügliche Kenntnis
     geblich vor dem Hintergrund       des eigentlich dafür zuständi-
     der vorrangigen Zuständigkeit     gen Leiters des Referates Ar-
     des Stadtbauamtes im Bereich      chitektur Friedrich-Karl Rhein-
     der Stadtplanung zu sehen ist.    städter. Dies ist der Auslöser
     Ihren Ausgangspunkt nimmt         für einen behördeninternen
     die Kontroverse um das            Kompetenzstreit, dessen Bei­
     ­Habitat Stockenbruch am          legung den Baubeginn um ein
      10. Mai 1949.                    halbes Jahr verzögern wird.

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Aus einem Brief Rheinstädters
                                                                              an den Ministerpräsidenten
                                                                              Johannes Hoffmann geht
                                                                              hervor, dass dieser sich durch
                                                                              die Tatsache, dass Schoffit
                                                                              „als damaliger Vertreter des
                                                                              Leiters der Abteilung Wieder-
                                                                              aufbau sich die Bearbeitung
                                                                              dieses Projektes vorbehalten
                                                                              und die Entwurfsarbeiten
                                                                              ohne meine Kenntnis bereits
                                                                              zu einem gewissen Stadium
                                                                              gebracht“10 hat, von Schoffit
                                                                             übergangen fühlt. Daraufhin
                                                                             räumt Hoffmann Rheinstädter
                                                                             nachträglich die Möglich-
                                                                             keit ein, seine Planskizzen
                                                                             zu einem entsprechenden
                                                                             ­Vor­haben – ein Reihenwohn-
                                                                              hauskonzept – im Rahmen
                                                                              einer Besprechung am
                                                                              24. Mai 1949 vorzustellen.
                                                                              ­Parallel zur Präsentation s­ eines
                                                                               Konzeptes kritisiert Rhein-
                                                                               städter auch die Wahl des
                                                                               Bauplatzes zwischen Allee-
                                                                               und Saargemünder Straße.
                                                                               Die bei der Besprechung an-
                                                                               wesenden Behördenvertreter
                                                                               enthalten sich jedoch jeglicher
                                                                               Äußerung zu den Ausführun-
                                                                               gen Rheinstädters. Lediglich
                                                                               Stadtbaudirektor Wilhelm
                                                                               Feien, der von Hoffmann zu
                                                                               einer Stellungnahme aufgefor-
                                                                               dert wird, führt aus, dass er
                                                                               grundsätzlich beide Projekte
                                                                               für vertretbar halte, „daß er
                                                                               aber in vorliegendem Falle der
                                                                               Auffassung des Herrn Schoffit
                                                                               einen kleinen Vorzug zuge-
                                                                               stehen würde.“ Daraufhin
                                                                               schließt Hoffmann die Bespre-
Aufriss Nordseite, Aufriss West-, Süd- und Ostseite, Grundriss Erdgeschoss     chung mit der Anordnung,

                                                                                                              14
„daß das Projekt Schoffit zur
 Ausführung kommen soll.“11
 Das Interessante bei die-
 ser Auseinandersetzung
 ist, dass Hoffmann hier im
 Sinne seines zur Leitung der
 Abteilung für Wiederaufbau
 Bevollmächtigten Maurice
 Gallien entscheidet, der in
 dogmatischer Hinsicht „die
 städtebauliche Fachrichtung
 von Le Corbusier vertritt,“12 in
deren Kontext auch Schof-
fits Entwurf einzuordnen
ist. Dadurch trifft Hoffmann
eine für die architektonische
Gestaltung Saarbrückens
progressive Entscheidung,
denn er räumt einem durch
Le Corbusier geprägten,
­modernen Konzept funktiona-
 listischer Architektur den Vor-
 rang vor eher konventionellen
 städtebaulichen Ideen ein.

Parallel zur Beilegung des ge-
schilderten Konfliktes kommt
es anlässlich der Wahl des
Bauplatzes erneut zu einem
Disput. Am 12. Mai 1949
übersendet Schoffit die Pla-
nungsunterlagen zur Begut-
achtung und Genehmigung
an den Stadtplaner der Stadt
Saarbrücken, Georges-Henri
Pingusson. Im beigefügten
Schreiben fordert Schoffit
Pingusson zu einer Stellung-
nahme bezüglich der Wahl
des Bauplatzes auf und bittet
ihn, „ein anderes, ebenfalls
greifbares und baureifes
Gelände nachzuweisen,“13
sollte sich der vorgeschlagene      Schnitt

15
in unmittelbarer Nähe der
                                                                          ansteigenden Höhenzüge
                                                                          hegt.“15 Gleichzeitig verweist
                                                                          Barth jedoch darauf, dass „die
                                                                          Regierung des Saarlandes,
                                                                          Abteilung Wiederaufbau,
                                                                          (...) in eigener Zuständigkeit
                                                                          die städtebaulichen Fragen
                                                                          dieser Baumaßnahmen
                                                                          entscheiden“16 könne. Von
                                                                          dieser durch Barth aufgezeig-
                                                                          ten Möglichkeit macht die
                                                                          Abteilung für Wiederaufbau
                                                                          der Regierung des Saarlan-
                                                                          des zunächst jedoch noch
Walter Wundrack, Lageplan, Mai 1952                                       keinen Gebrauch. Dies wird
                                                                          offensichtlich aus Gründen
Standort nicht mit den                Vor diesem Kontext ist auch         politischer Opportunität
planerischen Konzeptionen             Schoffits Schreiben zu deuten,      unterlassen, um innerbe-
der Genehmigungsbehörde               insbesondere seine doch sehr        hördliche Verstimmungen zu
vereinbaren lassen. Allerdings        deutlich geäußerte Entschlos-       vermeiden. Dadurch kommt
geht aus dem Schreiben                senheit, das Vorhaben an            es in der Folge zu einer sich
Schoffits eindeutig hervor,           dem gewählten Platz zu ver-         über Monate hinziehenden
dass es sich dabei um eine            wirklichen, deren Schroffheit       Auseinandersetzung zwischen
mehr oder weniger formale             ansonsten schwer zu erklären        der Abteilung für Wieder-
Bitte handelt, da Schoffit auf-       ist. Offensichtlich will Schoffit   aufbau der Regierung und
grund der Eilbedürftigkeit des        durch sein resolutes Auftre-        den Saarbrückern Stadt-
Vorhabens von der Eignung             ten mögliche Einwände von           planern, die nunmehr eine
des Bauplatzes überzeugt              Seiten Pingussons gegen den         „Errichtung des geplanten
und zur Verwirk­lichung des           gewählten Bauplatz von vorne        Wohnhochhauses nicht an der
Vorhabens an dieser Stel-             herein im Keim ersticken.           hierfür vorgesehenen Stelle
le fest entschlossen ist.                                                 zwischen Allee- und Saar­
                                      Allerdings gelingt ihm dies         gemünderstrasse sondern aus
 Da Pingusson zwischen 1945           zunächst nicht. So erklären         städtebaulichen Gründen auf
 und 1949 für Saarbrücken ein         Pingusson und der damalige          dem Gelände in den Bruch-
 ambitioniertes städtebauliches       Leiter des Stadtplanungsam-         wiesen“17 hinter der Wartburg
 Konzept, den so genannten            tes Karl Cartal in Übereinstim-     wünschen. Die Streitigkeiten
 Pingusson-Plan14, entwi-             mung mit dem Saarbrücker            dauern bis in den August
ckelt hat, besteht auf Seiten         Bürgermeister Johann Hein-          des Jahres 1949 an.
­Schoffits berechtigte Sorge,         rich Barth, dass „die Stadt
 dass das von ihm geplante            Saarbrücken städtebauliche          Am 9. August 1949 beendet
 Vorhaben nicht in Einklang           Bedenken wegen Errichtung           die Regierung des Saarlandes
 mit Pingussons Vorstellungen         eines Wohnhochhauses in             schließlich in ihrer 77. Kabi-
 steht.                               der vorgesehenen Bogenform          nettssitzung den schwelenden

                                                                                                      16
Disput um die Wahl des           von der Bauaufsichtsbehörde       Darüber hinaus standen die
Bauplatzes durch eben jene       schließlich nachträglich von      Planer des Beamtenhochhau-
Maßnahme, die sie tunlichst      der Abteilung für Wieder-         ses auch durchaus sozialpo-
zu vermeiden gesucht hatte,      aufbau der Regierung des         litischen Neuerungen offen
ein Kabinettsbeschluss kraft     Saarlandes am 27. April 1950     gegenüber. Aus einer
originärer Kompetenz:            eingereichte Veränderungen       Mitteilung der Abteilung
„Der Bau des Hochhauses ist      genehmigt. Zu diesem Zeit-       für Wiederaufbau vom
sofort in Angriff zu nehmen.     punkt war „das Beamtenhaus       1. Juni 1953 an das Finanzamt
Das Wiederaufbauamt hat          bereits im Rohbau fertig ge-     geht hervor, dass ein in den
für einheitliche und straffe     stellt.“21 Dies geht aus einem   Plänen vorgesehener Kin-
Leitung und Überprüfung der      behördlichen Schreiben vom       dergarten im Dachgeschoss
Baumaßnahmen Sorge zu            31. Januar 1950 hervor. Am       des Gebäudes nie seiner
tragen. Das Ministerium für      14. Mai 1950 findet schließ-     ursprünglich gedachten Funk-
Finanzen und Forsten wird        lich das Richtfest auf der       tion zugeführt wurde und
beauftragt, etwa zusätzlich      Dachterrasse des Beamten-        nun als Wohnraum umge-
erforderliche Mittel bereitzu-   hochhauses statt. Auf persön-    nutzt wird. Diese Idee, die in
stellen und die hierzu etwa      liche Einladung Jean Schoffits   dieser Form auf Le Corbusiers
notwendige Genehmigung           übernimmt Ministerpräsident      zurückgeht und zwischen
des Landtages einzuholen.“18     Hoffmann das Protektorat.        1947-1952 beim Bau der
Und zwar auf dem „von der        Der Grund dafür ist laut         Marseiller Unité d’Habitation
Regierung des Saarlandes         Schoffit „die für das Saarland   (Cité Radieuse) verwirklicht
durch Kabinettsbeschluss         neuartige Gestaltung des         wurde, wurde beim Beam-
bestimmten Bauplatz auf dem      Bauwerkes, in Bezug auf An-      tenwohnhaus ­Stockenbruch
staatseigenen Gelände an         lage, Architektur und techn.     dagegen nie umgesetzt,
der Saargemünderstrasse.“19      Neuerungen.“22 Bis April 1953    unterstreicht jedoch den
                                 ist das Beamtenhochhaus          insgesamt innovativen
Im Anschluss an obige            weitgehend fertig gestellt.      ­Charakter dieses Gebäudes.
Beschlussfassung reicht
Walter Wundrack, Referent        Was die technische Ausstat-
Schoffits, am 18. Oktober        tung des Hauses betrifft, sind
1949 schließlich die Bau­        insbesondere die Installation
anfrage und am 24. Oktober       zweier Aufzüge der Firma
1949 das Baugesuch „Betr.        Otis-Pifre, Paris (Abnahme
Neubau des Beamten­hauses        am 30. September 1950),
auf dem Grundstück Im            einer Niederdruckkessel-
Stockenbruch“20 beim Bauamt      Heizungsanlage (Abnahme
der Stadt Saarbrücken ein.       am 24. Januar 1950) und
Am 14. November 1949             von sechs von der Hausge-
teilt das Stadtbauverwal-        meinschaft zu benutzenden
tungsamt der Baupolizei          Waschmaschinen nebst einer
mit, dass keine bauauf­          Heißmangel (Abnahme 1. April
sichtlichen Bedenken gegen       1951) zu erwähnen, da diese
das Vorhaben bestehen.           für die damalige Zeit eine be-   Folgende Doppelseite:
Am 10. Juli 1950 werden          sondere Innovation darstellen.   Lage im Stadtbild

17
18
19
Habitat Stockenbruch

                   Beim Beamtenwohnhaus
                   ­Stockenbruch handelt es sich
                    um einen achtgeschossigen
                    Skelettbau aus Stahlbeton,
                    ausgefacht mit Ziegelmauer­
                    werk und verputzt. Das
                    Gebäude erhebt sich über
                    einem halbkreisförmigen
                    Grundriss. Dieser weist
                    an der Nordfassade zwei
                    Annexe mit Treppentürmen
                    auf. Abgeschlossen wird
                    das Hochhaus von einem
                    Flachdach mit ­Dachaufbau
                    und Dachterrasse.
                    Die nach Süden ausgerichte-
                    te, 17-achsige Rasterfassade
                    bildet die Hauptschauseite des
                    Wohnhauses. Sie ist dreige-
                    teilt. Der Mittelteil, der eine
                    Akzentuierung durch den
                    Dachaufbau erfährt, ist in
                    sich wiederum dreigeteilt. Die
                    Mittelachse nimmt im Erdge-
                    schoss den Hauptzugang auf.
                    Der Fassadenmittelteil wird im
                    Osten und Westen von jeweils
                    einem dreiachsigen Fassaden-
                    teil flankiert. Der Bauplan sieht
                    für die gespiegelte Südfassade
Ansicht von West    drei unterschiedliche Fenster-
                    typen vor. Die in der Mitte der
                    Fassade gelegene Portalachse
                    wird durch den Fenstertyp B,
                    ein rechteckiges, zweiteiliges
                    Fenster, belichtet. Die daran zu
                    beiden Seiten anschließenden
                    Achsen unterscheiden sich nur
                    durch die Fensterform. Wäh-
                    rend die dritte, vierte, sechste,
                    siebte, elfte, zwölfte, vier-
                    zehnte und fünfzehnte Achse

                                                  20
Ansicht von Süd
     S. 24/25: Ansicht von Nord

21
ebenfalls den Fenstertyp B        Darüber folgt eine Attika,         Terrassenzugang aufnimmt.
  aufnehmen, wird die fünfte,       ebenfalls eine Entlehnung aus      Der Dachaufbau sitzt auf
  achte, zehnte und dreizehnte      dem klassischen Formenka-          einem Sockel, der im Bereich
  Achse durch den größten,          non. Abgeschlossen wird das        der Halle, der Wohnung und
  dreiteiligen F­ enstertyp C       Habitat durch einen mehrtei-       des Kindergartens durch quer-
der Fassade belichtet. Der          ligen Dachgeschossaufbau,          rechteckige Fenster belichtet
östliche und westliche              dem zur Straße hin eine            wird. In den unbelichteten Be-
­Fassadenteil schließen mit         Dachterrasse vorgelagert ist.      reichen ist er durch eine klas-
 dem Fenstertyp B an den            Der westliche Teil ist in einen    sische Rustizierung aus Bruch-
 ­Fassadenmittelteil an. Die da-    Teil mit einem doppeltürigen       steinmauerwerk akzentuiert.
  rauf folgenden Achsen zeigen      Zugang und eine dreiteilige        Am östlichen Teil der zur
  den kleinsten Fenstertyp A.       Loggia, die im Grundriss als      ­Straße ausgerichteten
  Ost- und Westteil der Süd-        „offene Halle“ ausgewie-           Südfassade wird durch das
  fassade schließen je mit einer    sen wird, unterteilt. Daran        nach Nordosten abschüssi-
  Blindachse nach Norden ab.        schließt sich nach Osten eine      ge Gelände der Hochkeller
  Alle Fenster der Südfassa-        Wohneinheit an, die durch          sichtbar, der in der vier-
  de sind in ein Fensterfeld        eine Doppeltür erschlossen         zehnten, fünfzehnten und
  eingelassen, das gegenüber        wird. Belichtet wird sie zu        sechzehnten Achse je durch
  der Fassade leicht zurücktritt.   beiden Seiten durch ein            ein Fenster belichtet wird.
  Sie werden durch umlaufende       Fenster des mittleren Typs B.
  Sohlbankgesimse zusammen-         Nach Osten schließen sich         Die Nordfassade ist korre-
  gefasst, die lediglich durch      zwei Kuben an, von denen          spondierend zur Südseite
  Stahlbetonpfeiler unterbro-       der rechte den hauseigenen        des Beamtenwohnhauses
  chen werden. Diese sind der       Kindergarten aufnehmen            ebenfalls dreigeteilt. Sie ist
  Fassade vorgelagert, fassen       sollte. Dieser weist nach         jedoch durch ein stärkeres
  die Achsen ein, gliedern die      Süden zwei Öffnungen auf.         Vor- und Zurückspringen
  Fassade in der Vertikalen         Beide sind aus Glasbaustei-       der Gebäudeteile differen-
  und verankern gleichzeitig        nen gebildet, über denen ein      zierter untergegliedert.
  das Wohnhaus im Boden.            zweiteiliges Oberlicht sitzt,     Der etwa der Portalachse der
  Ähnliches gilt für die umlau-     das sich in seiner Ausbildung     Südseite entsprechende Mittel-
  fenden Geschossgesimse,           dem Fenstertypus B annähert.      teil der Nordfassade tritt hervor.
  die zum einen die Fassade         Hierbei entsteht eine verbin-     Dieser Teil nimmt in seinem
  horizontal gliedern und zum       dende Fensterform, die eine       Inneren zwei Personenaufzüge
  anderen die Geschossab-           Symbiose aus Formen der           auf und wird in jedem Geschoss
  schlüsse nach außen sichtbar      Südfassade (Fenster) und der      durch zwei hochrechteckige,
  werden lassen. Lediglich das      Nordfassade (Glasbausteine)       innenliegende Fenster be-
  weit vorkragende Kranzge-         bildet und bereits auf die        lichtet, deren Glasfläche laut
  sims, das das siebte Oberge-      gegenüberliegende Fassa-          Entwurfszeichnung ebenfalls
  schoss abschließt, wird nicht     denseite verweist. Es folgt       aus Glasbausteinen gebildet
  durchbrochen. Das siebte          der Zugang in Form einer ein-     werden sollte. Eine Ausnahme
  Ober­geschoss ist optisch         fachen Tür. Der Dachaufbau        bildet das Dachgeschoss, bei
  nach oben verkürzt und wirkt      wird durch den zweiten daran      dem die Fenster nach außen
  somit wie ein klassisches         anschließenden Kubus abge-        rücken und als Panorama-
  Mezzaningeschoss.                 schlossen, der einen dritten      fenster ausgebildet sind.

                                                                                                     22
Die Rücklagen zwischen             bilden wiederum die Nahtstel-     Fenster belichtet wird, weisen
Mittelteil und Treppentürmen       le zwischen dem Übergang          die Rechtecke der zur Nord-
sind spiegelsymmetrisch. Sie       des Bogensegmentes zum            fassade hin gelegenen Bahn
werden durch Fensteröffnun-        Quadrat des Treppenturmes.        ein in den Verputz integriertes
gen belichtet, die beinahe         Beide Treppenhäuser liegen        Ornament auf, das an die
fensterbandartig zusammen-         im Grundriss parallel zur         Glasbausteine der Treppentür-
gezogen sind. Es handelt sich      vierten und vierzehnten Achse     me erinnert. Auf diese Weise
aber um jeweils drei dreiteili-    der Südfassade, die auch dort     entstand an den Kopfenden
ge Fenster plus ein vierteiliges   den mittleren von den beiden      eine stärkere optische Ver-
zum Treppenhaus hin. Dem           seitlichen Teilen abtrennt.       bindung zwischen Süd- und
dritten, fünften und siebten       Das zur Nordseite ausgebil-       Nordfassade als dies aktuell
Geschoss ist außerdem ein          dete Dachzwischengeschoss         der Fall ist. Da das Ornament
Verbindungsgang vorgelagert,       folgt in seiner Ausgestaltung     zwischenzeitlich entfernt
der die Treppenhäuser mit          den darunter liegenden            wurde, wird diese Verbindung
dem Aufzugsturm verbin-            Geschossen. Das abschlie-         nur noch durch das Kranzge-
det. Diese Gänge werden in         ßende Dachgeschoss dage-          sims unterstrichen, das bis um
ihrem oberen Bereich durch         gen ist glatt verputzt und        die Gebäudeecke herumge-
je sechs kleine, quadrati-         nimmt im östlichen drei, im       führt wird, die Fensterbahn
sche Fenster belichtet.            westlichen Teil lediglich zwei    bekrönt und leicht in den
Da das Dachzwischenge-             quadratische Fenster auf.         Bereich der Rechteckfelder
schoss und der Aufbau des          Auch die Außenteile der           eingezogen worden ist. Über
Dachgeschosses harsch an           Nordfassade sind gleich aus-      dem Kranzgesims ist auch an
die rückwärtige Nordfassade        gebildet. Sie nehmen je zwei      den Stirnseiten das Attika-
rücken, ist der Mittelteil der     fünfteilige Fenster auf, die      geschoss der Südfassade
Nordfassade überhöht. Auch         noch stärker den Bandcharak-      aufgenommen, in dem die
hier wird optisch ein klassi-      ter assoziieren. Wie auch die     Rechteckfelder ursprüng-
sches Element angedeutet.          Fenster der Südfassade wer-       lich fortgeführt wurden.
Dieser Teil ist vergleichbar       den die der Nordseite durch
einem Mittelrisalit ausgebil-      umlaufende Sohlbankgesimse        Analog zur dreigliedri-
det. Eingefasst wird er von        nach unten begrenzt. Dieses       gen Struktur der Fassaden
zwei Treppentürmen über            schließt ebenfalls ein Fenster-   existieren im Inneren des
quadratischem Grundriss            feld ab, in dem das Fenster       Beamtenwohnhauses drei
mit halbrundem Abschluss.          liegt. Dieses Feld wird eben-     Wohnungstypen. Sie fügen
Diese sind als Annexe an den       falls nach oben in Höhe des       sich in die Rhythmisierung der
Mittelteil angefügt. Sie stehen    Fenstersturzes abgeschlossen      Südfassade ein und sind in
auf einem Sockel, der den          und seitlich durch vertikal       allen Geschossen nach dem
Hochkeller und das Brüstungs-      verlaufenden Pfeiler getrennt.    gleichen Konzept angelegt.
feld der Erdgeschossfenster        Beide Stirnseiten des Beam-       Eine Ausnahme tritt lediglich
umfasst. Beide Treppentürme        tenwohnhauses sind zwei-          durch die Portalsituation
werden aus Glasbausteinen          teilig. Durch ein lisenenartig    bedingt im Erdgeschoss auf.
gebildet, die in jedem Ge-         aufgesetztes Raster entstehen     Wohnungstyp 1 ist der
schoss zwischen die Ge-            zwei Bahnen aus Rechteck-         flächenmäßig kleinste und
schossdecke und einen Pfeiler      feldern. Während die äußere       daraus resultierend der mit
eingespannt sind. Die Pfeiler      Bahn je durch ein dreiteiliges    der geringsten Zimmerzahl.

23
24
25
Auch in dieser Wohnung            weitere Treppe an, die zur
                                 wird die Abstellkammer dem        Dachgeschosswohnung führt.
                                 Flur zugeschlagen. Bad und        Das Dachgeschoss nimmt mit-
                                 Küche sind wie bei allen          tig eine Zwei-Zimmer-Küche-
                                 Wohnungen nach Norden             Bad-Wohnung mit Abstell-
                                 ausgerichtet. An der Südfas-      kammer auf. Die Wohnung
                                 sade liegen vier Zimmer, die      besitzt einen Schlafraum mit
                                 paarweise in ihrer Erschließung   angrenzendem Bad, der west-
Bei dieser Zwei-Zimmer-Kü-       zusammengefasst sind.             lich an die Zugangssituation
che-Bad-Wohnung mit einer        Die einzige Wohnung im            anschließt. Nach Osten liegt
dem Wohnungsflur zuge-           Hochkeller bildet durch das       eine geräumige Küche, der im
schlagenen Abstellkammer         abschüssige Gelände bedingt       Wohnungsflur eine Gäste-
sind wie bei allen Wohnungen     eine Mischform aus Typ 2          toilette vorgelagert ist. Das
des Hochhauses Schlaf- und       und Typ 3. Hierbei wird die       Wohnzimmer zeichnet sich
Wohnzimmer an der Süd-,          Südfassadenanordnung der          durch um die Ecke geführten
Küche und Bad an der Nord-       Räume von Typ 2 und die           Fenster (Panoramafenster)
fassade angeordnet. Typ 1        Nordfassadenanordnung             und die exponierte Lage aus.
liegt in allen acht Geschossen   von Typ 3 übernommen. Bei         Diese lassen dem Raum den
östlich der Portalachse sowie    dieser Wohnung handelte           Stellenwert eines Belvederes
westlich der Portalachse mit-    es sich ursprünglich um die       zukommen. Nach Westen
tig zwischen Typ 2 und Typ 3.    Hausmeisterwohnung.23 Der         schließen sich die offene Halle
An den Stirnseiten und mittig    Hochkeller nimmt des Weite-       sowie das Treppenhaus und
im Ostteil des Beamten-          ren Technik- und Wirtschafts-     nach Osten der Kindergarten
hochhauses liegt der Woh-        räume des Hauses auf: die         sowie der östliche Treppen-
nungstyp 2, der flächenmäßig     Heizanlage, einen Werkraum        turm an. Sowohl Halle als
zweitgrößte Typ. Er nimmt an     sowie differenzierte Räume        auch Kindergarten sind über
der Straßenseite drei Zimmer     zur Erledigung der Wäsche.        die Treppentürme von innen
auf, wobei bei den Wohnein-      Hierbei handelt es sich um        und über die Dachterrasse
heiten an den Stirnseiten des    Einweich-, Wasch-, Trocken-       von außen erschlossen.
Hochhauses das Wohnzimmer        und Bügelräume – ausge-           Alle Wohnungen waren ur-
sowohl Anteil an der Straßen-    stattet mit damals neuestem       sprünglich weiß getüncht. Der
seite als auch Ausblick auf      technischem Gerät. Im             Boden war dunkel gehalten,
den Garten hat. Zusätzlich zu    Tiefkeller sind den einzelnen     vermutlich ein Estrichboden.
Küche und Bad ist die Abstell-   Wohnungen zugewiesene             Die Fenster wiesen keine
kammer hier an der Nordfas-      Abstellkeller eingerichtet.       Läden auf, was insbesondere
sade angeordnet und nicht        Die nach Norden ausge-            auf der Südseite durch die
als Teil des Wohnungsflures      richteten Räume des Dach-         einfallende Sonne zu Tempe-
in die Wohnung integriert.       zwischengeschosses sind in        raturproblemen führte. Bei
Typ 3 ist der flächenmäßig       beiden Planungsphasen nicht       den im Inneren der Woh-
größte Wohnungstyp, der, mit     näher bestimmt. Sie sind an       nungen in den Trennwänden
Ausnahme des Erdgeschosses,      ihrem südlichen Ende durch        eingelassenen Glasbaustein-
über dem Portal als Vier-Zim-    einen Gang verbunden. An          elementen handelte es sich
mer-Küche-Bad-Wohnung nach       den Fahrstuhl schließt sich       ursprünglich um „Cointreau-
Westen angeordnet ist.           ab diesem Geschoss eine           Flaschen“24, die anstellen von

                                                                                                26
Glasbausteinen zu Belichtungs-   Belieben genutzt werden.26
zwecken genutzt wurden.          Der Brief eines Bewohners
Die Küche wies einen weißen      vom September 1952 macht
Fliesenspiegel mit Küchenar-     deutlich, dass die Nutzung
matur auf. Alle Zimmer waren     dieser Gemeinschaftsräume
mit quer liegenden Heizungs-     insbesondere für die Bewoh-
radiatoren ausgestattet.         ner der unteren Geschosse
                                 des Westteils eine Beeinträch-
Hinsichtlich der Nummerie-       tigung ihres täglichen Lebens
rung der Wohnungen teilt         waren. „Vor etwa einem
Walter Wundrack am               Jahr wurde die Waschanla-
19. Februar 1951 dem             ge im Hause Stockenbruch
Regierungs-Oberinspektor         10 in Betrieb genommen.
Glässer (Wohnungsfürsorge        Die Benutzung der Anlagen         Erstbewohner und Erstbewohnerin
des Finanzamtes Saarbrücken)     – beginnend gegen sieben
deren endgültige Festlegung      Uhr und häufig erst in den        des von diversen Wohnge-
mit. Die in der Anlage des       späten Nachmittagsstunden         bäuden gesäumten Karrees
Briefes ursprünglich beige-      endend – (...) verursachte        Stockenbruch / Oberron- /
legte Nummerierung fehlt.        einen solchen Lärm, daß es        Alleestraße / In der Lang-
So geht aus dem Inhalt des       fast unmöglich ist sich in der    gass ein. Gekennzeichnet
Schreiben lediglich Folgen-      Wohnung, besonders nicht          wird sie durch ein Netz von
des hervor: „Anlässlich der      in den vorderen Zimmern           Wegen, die von Bäumen und
Mietwert-Berechnung vom          aufzuhalten. Zu diesem Lärm       ­Büschen gesäumt werden
8.7.1950 wurde eine vorläufi-    der Maschinen und Mangel           und Rasenflächen ausbilden,
ge Numerierung der einzelnen     der Wäsche kommt noch              deren unregelmäßige Form
Wohnungen vorgenommen.           das rollende Getöse der            im direkten Gegensatz zum
Bei der nunmehr endgülti-        Wagen, die zum Befördern           streng geometrischen Grund-
gen Bezeichnung führen die       der Wäsche in den Trocken-         riss des Hochhauses selbst
laufenden Nummern in jedem       räumen dienen, hinzu.“27           steht. Dessen Halbrund wird
Treppenhaus von unten nach                                          durch eine direkt anschließen-
oben: 1) östliche Seitentrep-    In den noch existierenden Ar-     de halbrunde Hofanlage zum
pe, 2) Mitteltreppe, 3) West­    chivalien finden sich keinerlei   Kreis vervollständigt. Diese
liche Seitentreppe. Als Anlage   Hinweise auf die Gestaltung       Form wird in der Grünanlage
erhalten Sie die Liste mit den   der direkten Umgebung             in Form eines Brasche-Ron-
Wohnungs-Nummern.“25             des Beamtenhochhauses.            dels gespiegelt. Die einge-
Die Gemeinschaftsräume des       Jedoch existiert die Abbildung    zeichneten querrechteckig
Beamtenhochhauses waren          eines Lageplanes, datiert auf     unterteilten Bänder, die die
allen Bewohnern des Hauses       Mai 1952, der von Walter          Grünanlage säumen, deuten
zugänglich. Die Nutzung von      Wundrack unterzeichnet            auf heute nicht mehr vorhan-
Waschküche und Trocken-          wurde und der die Einbin-         dene Beete hin. Die aktuell
raum erfolgte nach einem         dung des Wohnhauses in            erhaltene Grünanlage ent-
Plan an bestimmten Wasch-        eine Grünanlage zeigt. Diese      spricht in ihrer Anlage in etwa
tagen, das heißt, sie konnten    Grünanlage nimmt die in           der auf dem dargestellten
nicht jederzeit und nach         der Mitte liegende Freifläche     Lageplan aus dem Jahr 1952.

27
Ergebnis

„Die für das Saarland neuarti-
ge Gestaltung des Bauwerkes,
in Bezug auf Anlage, Archi-
tektur und techn. Neuerun-
gen“28, wie Jean Schoffit im
Jahr 1950 anmerkt, verweist
bereits auf den hohen ar-
chitektonischen Stellenwert
des Beamtenhochhauses.

Die der Saargemünder Straße
zugewandte Südfassade des
Beamtenwohnhauses besticht
durch ein harmonisches, aus-
gewogenes Gesamterschei-
nungsbild. Dieses entsteht
in der Vertikalen durch die
hervortretenden Stahlbeton-
pfeiler und die Fenster. In
der Horizontalen wird dies
durch die Rhythmisierung
der Fassade mittels Kranzge-
sims, Attika und Dachaufbau,
Fensterfelder, Geschoss-,
Sohlbank- und Kranzgesimse
sowie die unterschiedlichen
Fensterformen erreicht.
Die Nordfassade weist da­
gegen eine stärkere Glie-
derung auf. Der betont
hervortretende Gebäudeteil,
bei dem es sich um einen
Treppen- und Aufzugsturm
handelt, lässt sich bereits
als Hinweis auf den Funk-
tionscharakter dieser Seite
im Inneren werten. Denn
auch hinter der Nordfassade
verbergen sich die funktional
geprägten Räume der einzel-
nen Wohnungen (Küchen,
Bäder und Abstellräume).

                            28
Die nach Norden ausge-             Augenscheinlich wird dies
richteten Stirnseiten des          zunächst bei Einzelformen
Beamtenhauses übernehmen           am Gebäude selbst. So weist
Kleinstrukturen der Süd- und       die Südfassade (optisch) ein
Nordfassade beider Fassaden        klassisches Mezzanin- und At-
und bilden auf diese Weise         tikageschoss auf, eine zentrale
die Nahtstelle. Erreicht wird      Portalachse, Sohlbank- und
dies, indem Einzelelemente         Geschossgesimse sowie ein
der Süd- mit solchen der           abschließendes Kranzgesims,
Nordfassade an den Stirnsei-       eine „offene Halle“ (Bezug
ten miteinander verschmel-         zur antiken Stoa) zur Dachter-
zen. Hier sind beispielsweise      rasse hin und die Rustizierung
die Fensterform der Südfassa-      im Bereich der Sockelzone des
de oder die Attika zu nennen,      Dachaufbaus. An der Nordfas-
ebenso das geometrische            sade werden diese „Details“
Ornament, das an die Glas-         in große Formen gesteigert.
bausteine der Nordfassade er-      Die Fassade ist nach dem klas-
innert. Zu bemerken ist, dass      sischen Schema des Mittelrisa-
Jean Schoffit beim ­Habitat        lits und zweier „Seitenflügel“
Stockenbruch geschickt die         aufgebaut. Hinzu kommen
Formen der Moderne mit             die Idee eines Belvedere im
klassischen Architekturformen      Dachbereich sowie die ur-
vermischt. Dies wird jedoch        sprüngliche, inzwischen aber
erst auf den zweiten Blick of-     entfernte geometrische Orna-        Verbindungsgang
fensichtlich und spricht für die   mentierung der Stirnseiten.         S. 28: Treppenhaus
hohe Qualität der Architektur.
Kuben und rechteckige              Auch der halbrunde Grundriss
Flächen, die nach Süden            folgt klassischen, in diesem Fall
ausgerichtete Rasterfassade,       barocken Traditionen. Ver-
Fensterbänder oder fenster-        gleichbar mit dem halbrunden
bandartig zusammengefasste         Grundriss des Beamtenhoch-
Fenster, Panoramafenster,          hauses sind beispielsweise die
neue Materialien, wie zum          Querellipsen des Petersplatzes
Beispiel Glasbausteine, oder       Gianlorenzo Berninis (1598-
technische Neuerungen, wie         1680) oder dessen erster
die Aufzüge, und die techni-       Entwurf für den Pariser Louvre
sche Ausstattung (Klingeln,        (1664). Diese Formen lassen
Gegensprechanlage) spre-           sich über die französische Re-
chen eindeutig die Sprache         volutionsarchitektur bis in die
moderner Architektur.              Moderne weiterverfolgen, wo
Diese modernen Ansätze ste-        Frank Lloyd Wright in zeitlich
hen jedoch im Gegensatz zum        unmittelbarer Nähe zum Beam-
Rückgriff des Architekten auf      tenhochhaus Stockenbruch
klassische Architekturformen.      die Idee des halbkreisförmigen

29
zu verweisen. Die Wohnein-
                                                                          heit, auch Wohnmaschine
                                                                          genannt, ist ein Hochhaustyp,
                                                                          den Le Corbusier im Kern
                                                                          bereits 1925 in Paris mit dem
                                                                          Pavillon de l‘Esprit Nouveau
                                                                          vorstellt. Die Wohneinheiten
                                                                          wurden zwischen 1947 und
Beispiele der originalen Ausstattung                                      1965 in vier französischen
S. 32/33: Nordfassade                  Grundrisses bei dem von ihm        Orten und in Berlin realisiert
                                       zwischen 1944-1948 errichte-       und sollten, wie auch in
                                       ten zweiten Wohnhausbau für        Saarbrücken, den Wohnungs-
                                       Herbert Jacobs in Middleton,       mangel nach dem Zweiten
                                       Wisconsin erneut aufgreift. Bei    Weltkrieg lindern. Von diesen
                                       Wrights neuem Wohnungs-            fünf gebauten Wohneinheiten
                                       konzept sollen durch viele         entstand die erste im Jahr
                                       technische Sparmaßnahmen           1947 in Marseille – in zeitlich
                                       niedrige Kosten erzielt werden.    unmittelbarer Nähe zum Beam-
                                       Gekennzeichnet sind diese          tenhochhaus Stockenbruch.
                                       Häuser, dem Saarbrücker Be-
                                       amtenhochhaus vergleichbar,        Zu bemerken ist auch die zen-
                                       durch eine hohe technische         trale Bedeutung der Zahl 3 im
                                       Ausstattung, wie Heizungs-,        Kontext des Habitats Stocken-
                                       Belüftungs- und Belichtungs-       bruch. Neben der Dreiteilung
                                       systeme. Darüber hinaus lässt      der Fassade weist das Haus
                                       sich eine Orientierung bei der     drei Wohnungs- oder auch
                                       Ausführung des Beamten-            drei Fenstertypen auf. Die
                                       hochhauses an der Charta           Zahl 3 „bedeutet die Über-
                                       von Athen29 nachweisen.            windung der Entzweiung und
                                       Insbesondere die soziologische     drückt in ihrem umfassenden
                                       Forderungen der Charta, wie        Wesen die Vollkommenheit
                                       die zur Lage der Wohnviertel,      aus.“30 Daher wird sie zur Basis
                                       der Größe von Grün- und            verschiedener Systembildun-
                                       Freizeitflächen, der Erreichbar-   gen, wie der theologischen
                                       keit des Arbeitsplatzes oder       (Dreifaltigkeit), der kosmolo-
                                       Vermeidung von Wohngebie-          gischen (Himmel, Erde, Unter-
                                       ten neben Industriegebieten,       welt), der eschatologischen
                                       die auch heute noch zu den         (Dante: Himmel, Fegefeuer,
                                       Grundlagen der Stadtplanung        Hölle) oder der ethischen
                                       gehören, sind dabei für das        (Glaube, Liebe, Hoffnung).
                                       Habitat Stockenbruch rele-
                                       vant. In diesem Zusammen-          Chronologisch gesehen
                                       hang ist auch auf die „Unité       verbindet das Habitat
                                       d‘Habitation“ von Le Corbusier     ­Stockenbruch historische

                                                                                                       30
und moderne Architekturfor-     sowie die weit reichende
men zu einer neuen, zu-         Kenntnis unterschiedlicher
kunftsweisenden, modernen       geistiger Strömungen verweist
Architektur. Diese lässt sich   auf die außergewöhnlichen
auf das neue demokratische      Fähigkeiten des Architekten,
System im Saarland nach dem     die dieser beim Habitat Sto-
Zweiten Weltkrieg über­         ckenbruch unter Beweis stellt
tragen, das nach Kriegsende     und der damit in Saarbrücken
die Grundsteine für eine        beziehungsweise im Saarland
­positive Zukunft des Landes    mit dem Beamtenhochhaus
 legen will – auch mit der      Stockenbruch eine zukunfts-
 ­Habitation Stockenbruch,      weisende Architektur von
  einem Wohnhaus für Beamte     herausragender Qualität und
  und Angestellte der Regie-    Einmaligkeit geschaffen hat.
  rung des Saarlandes, das      Die Mischung moderner mit
  durch Ausstattung und An-     klassischen Architekturfor-
  lage des Hauses den Bewoh-    men und Inhalten weisen den
  nern mit modernsten Mitteln   Bau als einen solchen der
  im Saarland der Nachkriegs-   französischen Moderne aus.
  zeit ein angenehmes Leben     Der Symbolgehalt des Beam-
  ermöglichen will und die      tenhochhauses Stockenbruch
  Wohnungen in dieser Notzeit   ist äußerst komplex. Wäh-
  auf diese Weise zu „Luxus-    rend das Gebäude auf der
  wohnungen“ werden lässt.      einen Seite in seiner isolierten
                                Stellung das Scheitern der
Gleichzeitig stellen die        städtebaulichen Konzeption
klassischen Anklänge beim       der französischen Städtepla-
Habitat Stockenbruch dieses     ner an der Saar aufzeigt, steht
in eine Linie mit Bauten der    es auf der anderen Seite mit
führenden politischen und       seiner Funktionalität, „Offen-
wirtschaftlichen Eliten ver-    heit und Transparenz (für) den
gangener Epochen (barocker      demokratischen Gedanken
Schlossbau, bürgerliche         der Franzosen und die ange-
Wohnbauten des 19. Jahr-        strebte Internationalisierung
hunderts) und kennzeich-        des Saarlandes.“31
nen so die Bewohner des         Die architektonische wie
Beamtenwohnhauses auf           inhaltliche Verbindung von
diese Weise als Teil der        Vergangenem mit Gegen-
neuen führenden poli­           wärtigem begründet die
tischen Schicht.                herausragende Stellung des
                                Habitates Stockenbruch in
Die genaue Kenntnis sowohl      der Saarbrücker, Saarlän-
der klassischen als auch der    dischen und europäischen
modernen Formensprache          Denkmallandschaft.

31
32
33
Architekten                             Einrichtungen für die französische          Studium Berufschullehramt/Bautech-
                                        Armee mit einem Bauvolumen von              nische Richtung. Danach ist er vermut-
Jean Schoffit                           55 Millionen Francs zwischen 1948-          lich beurlaubt, wohl um die gefor-
Der Diplom-Architekt Jean Schoffit      1949. Bei dem dritten Projekt handelt       derte Praxiszeit zu vervollständigen.
wird laut Dienstvertrag vom             es sich schließlich um das Habitat          Zum Sommersemester 1935/1936
25. November 1948 rückwirkend           Stockenbruch. Dieses ist wie folgt          ist er erneut immatrikuliert, jedoch
zum 1. Mai 1948 als Leiter der          beschrieben: „Programme 1949-               in der Hochbauabteilung, wo er bis
technischen Arbeitsgebiete bei der      1950: Habitations pour fonctionnaires       zum Sommersemester 1936 studiert 39
Abteilung Wiederaufbau sowie als        sarrois, 50 logements, 100 millions “ .34
                                                                                    und sein Staatsexamen ablegt.40
Stellvertreter des Leiters der Abtei-   Am 22. Juni 1950 teilt Dr. Schütz, der      Im Anschluss an das Studium übt
lung Wiederaufbau mit einer monat-      Bevollmächtigte des Ministerpräsi-          er zwischen 1935 und 1937 private
lichen Vergütung von 92.000,- Francs    denten für den Wiederaufbau, Jean           Tätigkeiten für Architekturbüros aus
eingestellt.32 Durch die monatlichen    Schoffit, der bereits am 13. Januar         und ist als Gewerbelehrer an der
Zahlungen werden laut Vertrag die       1950 seiner Aufgabe als stellvertre-        Fachschule für das Baugewerbe in
bisherigen Einkünfte Schoffits aus      tender technischer Leiter enthoben          Rothenburg angestellt. Zwischen
dem „Haushalt des französischen         worden war, seine Kündigung mit.35          1937 und 1938 ist er als technischer
Wiederaufbauministerium“ und die        „Sowohl die Direktion der Ver-              Angestellter beim Stadtbauamt für
„Einkünfte aus Lehrtätigkeit“33 aus-    waltung als auch die technische             Hoch- und Tiefbau der Baupolizei
geglichen. Ein von Ministerpräsident    Leitung (sind) im Wegfall. ( ...)           Arnswalde-Reetz, zwischen 1938
Hoffmann unterzeichnetes Arbeits-       Ich kündige hiermit den mit Ihnen           und 1939 bei der Hochbauabtei-
zeugnis, das auf den 3. November        abgeschlossenen Dienstvertrag zum           lung des Stadtbauamtes Stettin,
1949 datiert ist, umreißt die Aufga-    nächstmöglichen gesetzlichen Termin,        zwischen 1939 und 1940 als Abtei-
ben von Schoffit in der Abteilung für   d.h. zum 30. September 1950.“36             lungsleiter des Stadtbauamtes Meißen
Wiederaufbau. Zu diesen gehören                                                     und zwischen 1940 und 1942 bei der
generelle Planungsaufgaben und          Walter Wundrack                             Stendaler Wohnungsbaugenossen-
insbesondere Landes- und Ortspla-       Walter Wundrack wird am 23. Juli            schaft und dem dortigen Stadtbauamt
nung, Aufgaben der Baupolizei sowie     1909 in Zweibrücken geboren. Dort           beschäftigt. Von 1942 bis 1946 leistet
die Erteilung von Baugenehmigungen,     besucht er zunächst die Volks-              er Kriegsdienst und gerät in Gefan-
Staatsbauten, private Rekonstruktio-    schule und schließt seine Schul-            genschaft. Nach der Freilassung ist
nen und Abriss zerstörter Gebäude,      ausbildung mit der Reifeprüfung             er von 1946 bis 1949 als technischer
Materialbeschaffung, die Pflege         am örtlichen Gymnasium ab.                  Angestellter bei der Eisenbahndi-
der Beziehungen zur Industrie           Nach einem Praktikum bei der Fa.            rektion Saarbrücken bedienstet.41
sowie Preis- und Effizienzstudien.      DYWIDAG in Saarbrücken im Jahr
                                                   37
                                                                                    Zwar wird bereits im Dezember
Aus dem Zeugnis geht außerdem           193038 nimmt er zum Wintersemes-            1948 die Einstellung Wundracks als
hervor, dass Schoffit bis dahin         ter 1930/1931 das Studium an der            Regierungsbaurat beim staatlichen
hauptsächlich an drei Großprojekten     technischen Universität Dresden in          Bauamt Homburg beantragt, sie wird
gearbeitet hat. Bei diesen Projekten    der Bauingenieurabteilung auf. Dort         jedoch zunächst zurückgestellt.42 Seit
handelt es sich um die Errichtung von   studiert er bis zum Sommersemester          dem 1. April 1949 arbeitet Wundrack
400 Wohnungen und 10 Büros für          1936. Nach fünf Semestern unter-            schließlich als Regierungsangestellter
die französische Zollverwaltung im      bricht er sein Studium aus ungeklärten      bei der Abteilung Wiederaufbau der
Saarland zwischen 1948-1949 mit         Gründen im Sommersemester 1933,             Regierung des Saarlandes.43 Dort ist
einem Gesamtinvestitionsvolumen         für das kein Eintrag existiert. Im          er laut einem Schreiben des Personal-
von 680 Millionen Francs und den        Wintersemester 1934/1935 ist er dann        und Organisationsamtes vom
Bau von nicht näher spezifizierten      wieder eingeschrieben, jedoch für das       8. Juni 1949 als „als verantwortlicher

                                                                                                                           34
Referent für die technische Direktion    Anmerkungen
(A2) vorgesehen. Ihm obliegt die tech-
nische Vorbereitung aller Bauarbeiten    1 Vgl. Wolfgang Pehnt: D
                                                                 ­ eutsche
im Bereich des Ministeriums und des       Architektur seit 1900.
Innenministeriums.“44 Diesem Antrag       ­München 2005, S. 247
stimmt zunächst laut Protokoll der       2 Vgl. hierzu Anne-Kathrin
73. Kabinettssitzung der Regierung        Haufe-Wadle: Repräsentation
des Saarlandes am 17. Juni 1949 der       zwischen Funktionalismus und
Ministerrat45 und dann die Regierung      Poesie. Zur Architektur der ehe-
in ihrer 13. Personalsitzung vom          maligen ,Ambassade de France’
21. Juni 1949 zu. 46 Im November 1950     von Georges-Henri Pingusson. In:
wird Walter Wundrack auf Antrag           Saargeschichten, Heft 2, 2006, hg.
der Abteilung Wiederaufbau in             vom Landesverband der historisch
das Beamtenverhältnis als Regie-          kulturellen Vereine des Saarlandes
rungs- und Baurat übernommen.47           e.V., Saarbrücken 2006, S. 2-13
                                         3 Zwischen 1946 und 1948 war für
                                          Mainz – seit 1946 Hauptstadt der
                                          französischen Besatzungszone
                                          – eine Planung mit einem Raster
                                          scheibenförmiger Wohnhochhäuser
                                          in Anlehnung an die Planungen
                                          von Le Corbusier vorgesehen. Zwar
                                          hatte Le Corbusier selbst bis zu
                                          diesem Zeitpunkt noch keine seiner
                                          Unités d’Habitation fertig stellen
                                          können, aber der Generalplaner in
                                          Mainz, Marcel Lods, ein Vertreter
                                          des rationalisierten Wohnungs-
                                          baus, war von Le Corbusiers Ideen
                                          überzeugt. Die Mainzer empfanden
                                          Lods’ Idealstadt als Horrorvision,
                                          die mit ihrem utopischen Zuschnitt
                                          – ähnlich wie in Saarbrücken –
                                          zum Scheitern verurteilt war.
                                         4 Le Corbusier ist das Pseudonym
                                          für den schweizerisch-franzö-
                                          sischen Architekten, Architek-
                                          turtheoretiker, Stadtplaner,
                                          Maler, Zeichner, Bildhauer und
                                          Möbeldesigner Charles-Édouard
                                          Jeanneret-Gris (1887-1965).
                                         5 Vgl. hierzu Haufe-Wadle
                                          2006, S. 2 (wie Anm. 2)
                                         6 Pehnt 2005, S. 269 (wie Anm. 1)

35
7 StA SB, 2 Dezernat 60, Brief des      (1894-1978), Marcel Roux (1909-?)        sich neben den Leitlinien von
 Dezernats III (Bauverwaltung)           und André Sive (1899-1958) – gel-        Le Corbusiers Charta von Athen
 an das Ministerium für Finanzen         ten als Anhänger der funktionalis-       insbesondere durch die Berück-
 und Forsten vom 20. Mai 1949            tischen Architektur, geprägt durch       sichtigung und Integration des
8 Das Amtsblatt des Saarlandes No.      Le Corbusier. Ende 1947 wird eine        Bestands aus. Charakteristika
 34 (S) 1948 gibt im Geschäfts-          gewählte Regierung im Saarland           waren neben einem Gesamtver-
 bereich des Ministerpräsidenten         eingesetzt und die Verwaltung            kehrskonzept ein Zonenplan und
 die Schaffung einer Abteilung           durch die französische Militärre-        die Schaffung von drei großen
 bekannt, die mit allen Fragen des       gierung endet. Dadurch löste sich        Neubaugebieten. Vgl. Urbanisme
 Wiederaufbaus beauftragt ist:           auch die Abteilung für Städte- und       en Sarre. Brochure conçue par
 die Abteilung Wiederaufbau der          Wiederaufbau auf, die im Jahr            l‘équipe des Urbanistes de la Sarre.
 Regierung des Saarlandes. „Die          1948 durch eine saarländische Ab-        Saarbrücken 1947, S. 39-56
 Zentralverwaltung umfaßt: die           teilung für Wiederaufbau innerhalb    15 StA SB, 2 Dezernat G 60, Brief
 Gesamtleitung des Wiederaufbau-         der Regierung ersetzt wird. „Von         des Dezernats III (Bauverwaltung;
 es durch den Bevollmächtigten           den Planungen der französischen          Bürgermeister Heinrich Barth)
 des Ministerpräsidenten mit den         Urbanisten ist nur wenig ausge-          an das Ministerium für Finanzen
 Referaten: PLANUNG, ARCHITEK-           führt worden. Private Architekten        und Forsten vom 31. Mai 1949
 TUR, BAUAUSFÜHRUNG, sowie               bzw. die Regierung des Saarlan-       16 StA SB, 2 Dezernat G 60, Brief
 die Direktion der Verwaltung.“          des – Abteilung Wiederaufbau,            des Dezernats III (Bauverwaltung;
9 Gilbert Grandval (1904-1981),         Landesplanung – griffen einige           Bürgermeister Heinrich Barth)
 französischer Militärgouverneur         Ansätze auf und führten sie weiter,      an das Ministerium für Finanzen
 an der Saar 1945-47, Hoher              andere Ideen hingegen wurden             und Forsten vom 31. Mai 1949
 Kommissar 1948-52 und zuletzt           abgewandelt oder verworfen.“          17 Dieser genaue Standort geht aus
 Botschafter Frankreichs an der          Vgl. hierzu Oranna Dimmig:               einem Schreiben von Oberst Gallien
 Saar 1952-55, versucht nach dem         Aspekte. Die französischen Urba-         vom 3.6.1949 hervor. Nach den
 Ende des Zweiten Weltkrieges und        nisten an der Saar 1945 bis 1947.        Plänen Pingussons sollte in den
 der Nazi-Diktatur mittels seiner        In: www.kunstlexikonsaar.de              Bruchwiesen ein reines Wohn-
 Wiederaufbaupolitik zum einen die    10 L A SB, Bestand 2750. Brief des         gebiet entstehen. Diese Zone
 Entnazifizierung voranzutreiben         Regierungsbaurates Friedrich-            sollte durch „fünfgeschossige nach
 und zum anderen die saarländi-          Karl Rheinstädter an den                 Süden ausgerichtete Wohnblö-
 sche Bevölkerung an Frankreich          Ministerpräsidenten Hoffmann             cke“ geprägt werden. Lediglich
 zu binden. So wird im Jahr 1945         vom 10. Oktober 1950                     40 Wohnungen, die auf Entwürfe
 das „Gouvernement Militaire          11 L A SB, Bestand 2750. Brief             des Pariser Architekten Marcel
 de la Sarre Section Urbanisme           Friedrich-Karl Rheinstäd-                Roux zurückgehen, wurden in der
 et Reconstruction“ (Abteilung           ter, 10. Oktober 1950                    Hellwigstraße 17-19 sowie in der
 Städtebau und Wiederaufbau der       12 L A SB, Bestand StK 2249, Brief         Bayernstraße 12-14 errichtet und
 Militärregierung des Saarlandes)        von Clemens Weber an Johan-              waren ursprünglich für Professoren
 gegründet, das im Oktober 1945          nes Hoffmann, 15. März 1948              der neu gegründeten Universi-
 offiziell seinen Dienst aufnimmt.    13 S tA SB, 320 Wiederaufbau mit           tät des Saarlandes vorgesehen.
 Die dort beschäftigten Städtepla-       Plänen, Schreiben von Schoffit           Schoffits Planung hätte demgemäß
 ner und Architekten – darunter          an Pingusson vom 12. Mai 1949            dort eingegliedert werden sollen.
 Pierre Lefèvre, Edouard Menkès       14 Nach diesem sollte das kriegszer-    18 L A SB, StK 1706, Protokoll zur 71.
 (1903-1976), Jean ­Mougenot,            störte Saarbrücken eine neue Stadt-      Kabinett-Sitzung der Regierung
 Georges-Henri Pingusson                 struktur erhalten. Diese zeichnet        des Saarlandes, 31.5.1949

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