Gewerkschaften, Attac und Co wollen "umfairteilen": Ein Rückzugsgefecht der Empörung in drei Etappen
←
→
Transkription von Seiteninhalten
Wenn Ihr Browser die Seite nicht korrekt rendert, bitte, lesen Sie den Inhalt der Seite unten
MÜNCHEN www.gegenargumente.de Nr. 34/2012 Gewerkschaften, Attac und Co wollen „umfairteilen“: Ein Rückzugsgefecht der Empörung in drei Etappen Ein Aktionsbündnis aus Gewerkschaften Letzteres der Fall, so müsste man sich fragen, und Sozialverbänden, das eine stärkere Be- wie die Armut in dieser Gesellschaft eigent- Kritik und Anregungen an: steuerung der Reichen fordert und zuneh- lich zustande kommt und ob es nicht einen gegenargumente@yahoo.de mend an Anhängern aus verschiedenen „La- systematischen Grund für sie gibt. Dadurch, gern“ gewinnt, beklagt ausgiebig die Miss- dass der Staat angeblich zu wenig Mittel zu stände in der Gesellschaft: ihrer Bekämpfung hat, kann die viel beklagte „Nach Informationen der Süddeutschen „Schere“ jedenfalls nicht entstanden sein – Zeitung (SZ) hat sich laut Berichtsentwurf das zumindest, wenn man den Gesetzen der Lo- Nettovermögen der privaten Haushalte in gik folgt. Viel näher läge da schon der eigentlichen Skandal auf etwas anderes proji- Deutschland in den vergangenen 20 Jahren Schluss auf die herrschende Produktionsweise ziert: Um die wachsende Armut, die somit von knapp 4,6 auf rund 10 Billionen Euro und die für sie charakteristischen Einkom- unterstellt und abgehakt ist, wird sich nicht mehr als verdoppelt. Dabei gehört den mensarten, die die einen reich machen und genug gekümmert! So wird das Problem auf reichsten zehn Prozent mehr als die Hälfte die anderen offenbar nie aus ihrer Armut be- die Ebene der Armutsbetreuung verschoben – des Gesamtvermögens. Der unteren Hälfte freien. Womöglich kommt sogar noch er- und dann passt endlich der Vorschlag zum der Haushalte bleibt gerade noch gut ein schwerend hinzu, dass die Bereicherung der Befund: Prozent. einen und die Verarmung der anderen im Ka- Erstens wird durch die geforderte Vermö- Laut Bundesarbeitsministerium, das für pitalismus notwendig zusammengehören, und gensabgabe das „Gerechtigkeitsempfinden den Berichtsentwurf zuständig ist, geht auch zwar so, dass die Verarmung als Mittel der der Bevölkerung“ bedient, weil die Reichen bei der Lohnentwicklung die Schere zwischen Bereicherung dient. Davon, dass die „reichs- etwas stärker zur Kasse gebeten werden. Da Besser- und Schlechterverdienenden immer ten Teile der Bevölkerung“ für ihre Gewinne hat der Arme schon mal was für die Seele und weiter auf… ,Eine solche Einkommensent- Lohnsenkung und Entlassungen betreiben, kann seine Armut leichter hinnehmen – zu- wicklung verletzt das Gerechtigkeitsempfin- müssten inzwischen nicht bloß die Anhänger mindest dann, wenn es ihm um nichts weiter den der Bevölkerung‘, werde dazu im Bericht der „Umfairteilungs“-Idee, sondern jeder ge- als die Gerechtigkeit geht. Wenn man es als angemerkt. wöhnliche Zeitungsleser was mitbekommen Minderbemittelter schon so schwer hat, pocht Während also das Privatvermögen der haben. man entschieden auf Gleichbehandlung, ob- ohnehin schon Wohlhabenden stark gestiegen Doch die Initiatoren des Bündnisses ma- wohl die Reichen ja nun nicht gerade arm ist und auch Gutverdiener sich weiter abset- chen gar keine Anstalten, der von ihnen be- sind. Und dann geht es einem schlagartig zen, bleiben dem Staat immer weniger Mittel, klagten „Vermögensverteilung“ auf den besser, weil auch den Reichen ihr Reichtum um seine sozialen und bildungspolitischen Grund zu gehen. Stattdessen nehmen sie lie- nicht leicht gemacht wird. Aufgaben zu erfüllen.“ ber Abstand von ihrem Thema, indem sie ihm Zweitens bekommt zwar nicht der Arme, (http://www.gew.de/Reiche_Reiche_armer_- einen neuen Gegenstand ihrer Aufregung un- dafür aber der Staat mehr Geld, mit dem er Staat.html) terschieben: Gerade eben ging es noch um seinen „sozialen und bildungspolitischen Was die Urheber der Kampagne an den Armut und Reichtum als solche, schon em- Aufgaben“ ordentlich nachgehen kann. Das Anfang ihrer „Umfairteilungs“-Idee stellen, pört man sich bloß noch darüber, dass beides ändert nichts an der Armut, bringt aber viel- ist also die – nach ihrem Geschmack zu große seit gestern größer geworden ist. Ob man die leicht eine höhere Chancengleichheit in sie – Scheidung zwischen Arm und Reich im Ka- berühmte „Schere“ ganz aus der Welt schaf- hinein, so dass auch das Gerechtigkeitsemp- pitalismus: fen könnte, mag dahingestellt sein – aber finden von Gewerkschaftlern, Sozialarbeitern „Zur Beteiligung am bundesweiten Akti- muss sie denn wirklich immer weiter aufge- und Hauptschullehrern mitbedient würde, onstag ruft der DGB auf. Thema ist die ,Sche- hen?! wenn der Staat etwas mehr für die Armutsbe- re zwischen Arm und Reich‘.“ Einmal ernst genommen, wirft auch das treuung ausgäbe. (www.nwzonline.de) nur die Frage nach dem politökonomischen So landet ein Protest, der als gerechte Inwiefern ist das nun „Thema“? Will man Grund auf, mit dem sich spätestens jetzt zu Empörung über die „ungleiche Vermögens- das gefühlt fünfhundertjährige Jubiläum der befassen wäre. Allerdings ist es leider wieder verteilung“ und wachsende Armut losgeht, Schere feiern? Und den gefühlt tausendsten so, dass das Bündnis fürs „Umfairteilen“ das bei lauter konstruktiven Vorschlägen zur bes- Jahrestag des Klagens über sie? Oder will Aufgehen der „Schere“ zwar schlimm findet, seren Verwaltung der Armen. Oder war von man sie vielleicht auch mal weghaben? Ist sich aber nicht weiter damit aufhält und den Anfang an nichts anderes gemeint? Beschneidungs-Streit: Vorhaut zwischen Seelenheil und Körperverletzung......................................................................................... 2 „Blockupy“-Aktionstage in Frankfurt: Wie Protest demokratisch fertiggemacht wird..................................................................................................4
Beschneidungs-Streit: Vorhaut zwischen Seelenheil und Körperverletzung 1. Der religiöse Inhalt der Kulthand- sehung aufgehoben zu wissen, stiftet das ösen Menschen- und Weltbild sollte auch ihm lung grundsätzliche Einverständnis mit Gott und vertraut sein. Ein Kölner Gericht erklärt das religiös der Welt. * motivierte Wegschneiden der Vorhaut bei Was somit die Identität jeder religiösen Die religiöse Sittlichkeit im Volk ist bei Jungen für strafbar. Weder das Urteil noch das Gemeinde ausmacht, ist das Selbstbewusst- der wirklichen Herrschaft im Prinzip gern davon angestoßene öffentliche Rechten benö- sein, keinen Geringeren als den obersten Wel- gesehen. Die Zeiten, zu denen sich die reale tigen für die Kritik an der Kulthandlung auch tenlenker persönlich zum Chef zu haben – Macht ihrerseits mit Gottes Gnadentum legi- nur ein einziges Argument gegen ihr religi- und den bzw. das beansprucht jede Gemeinde timiert hat, sind hierzulande zwar vorbei, aber öses Motiv. Im Gegenteil: Die religiös-welt- exklusiv für sich. Wer sich als Mensch so ent- unter der Berufung auf einen höchsten Wert anschauliche Botschaft, die diese Körperver- mündigt, dass er sich als Erfüllungsgehilfe ei- und Auftrag tut es auch ein moderner, säkula- letzung von anderen Tattoos unterscheidet, ist nes lebenslänglichen Auftrags begreift, wer rer Staat nicht. Keiner verzichtet auf eine ide- nicht nur bekannt, sondern es wird ausdrück- sich so erniedrigt, dass er verglichen mit sei- elle Begründung seiner hoheitlichen Gewalt, lich Respekt angemahnt und bezeugt dafür, nem Herrn und Schöpfer eine gottserbärmli- die mehr als nur ein zweckrationaler Apparat dass der Initiationsritus „für Juden und Mus- che Kreatur darstellt – ein derart sein will. Auch der bürgerliche Staat kann je- lime mehr als ein frommer Brauch“ und „aus ohnmächtiger Knecht erhöht sich genau da- denfalls mit einer religiös-irrationalen Geis- der Sicht der jeweiligen Religionen eine Aus- durch, dass er dem konkurrenzlos Allmächti- tesausstattung seiner Bürger etwas anfangen, zeichnung ist“ (FAZ, 29.6.12). Schließlich gen dienen darf, dem alle unterworfen sind, er weiß sie zu schätzen als Bindemittel zwi- geht es genau darum auch bei der christlichen selbst die, die das nicht wissen oder glauben. schen Volk und Herrschaft. In der Freiheit, Taufe, wo auch keiner der Beschneidungskri- Daraus speist sich das unerschütterliche sich die Welt religiös zu deuten, unterwirft tiker fragt, was es an einem Neugeborenen ei- Rechtsbewusstsein des Glaubensmenschen, sich der Gläubige zwar einem anderen, sei- gentlich schon auszuzeichnen gibt. Gefeiert im Leben zwar manchen Fehltritt tun zu kön- nem absoluten Herrn, schafft es aber zu- wird nämlich die Ehre, dem Kollektiv zuge- nen, dank seiner Zugehörigkeit zum einzig gleich, sich auf seine Lebenswirklichkeit wiesen zu werden, das der Herrgott dafür vor- richtigen Glaubensverein und in seinem Got- einen ganz persönlichen Sinn zu reimen, der gesehen hat, auf der Welt für den Glauben an tesdienst aber einem unfehlbaren Weg und im Normalfall seine Loyalität auch zur realen ihn Reklame zu machen. Willen zu folgen. Obrigkeit einschließt. Insofern und solange Die besondere Beziehung zum höchsten * diese Spielart der Affirmation funktioniert, hat Herrn, die einen vom Rest der Menschheit Diese eigentümliche, sinnstiftende Dia- die Einbildung, in der speziellen Mission ei- abhebt, beanspruchen alle Weltreligionen für lektik von Unterwerfung und höchstem nes Außerirdischen unterwegs zu sein, ihren sich. Den Juden ist für diese Idee der passend Rechtsbewusstsein bestimmt nicht zufällig anerkannten Platz im bürgerlichen Gemein- unbescheidene Ausdruck vom auserwählten auch die Initiationsriten als solche: Wie die wesen. Volk Gottes eingefallen. Das Verhältnis der christliche Taufe wird die Beschneidung am Auswahl steht da schon etwas auf dem Kopf: Kind vorgenommen, bei den Juden am neuge- 2. Die Vorhaut als staatliches Rechtsgut Nicht der Gläubige ist so frei, sich seine Reli- borenen, bei den Muslimen auch etwas später. Angesichts des einvernehmlichen Ver- gion samt dazugehöriger Gottheit zu wählen, Dieser Vollzug am unmündigen Subjekt er- hältnisses, das Staat und Religion pflegen – sondern umgekehrt. Der Glaube soll seine füllt seinen Tiefsinn als vorbewusster, vorwil- man weiß, was man aneinander hat – und an- Unanfechtbarkeit bereits aus der Vorstellung lentlicher Akt jenseits jeder Berechnung, als gesichts des Respekts, den der religiöse Ge- gewinnen, dass man sich ihn nicht aussuchen den ihn die Eltern am Novizen vollstrecken halt der Beschneiderei genießt, fragt sich, was kann, sondern von dem Gott, den man sich lassen, so wie er an ihnen selbst vollstreckt denn Vertreter unseres Rechts an dieser Kult- einbildet, dafür ausgesucht wird, sein Anhän- wurde. Die Beschneidung soll, indem sie die handlung stört. Auf den ersten Blick mag es ger zu sein. Markierung durch ein bleibendes Körpermal wie eine Unangemessenheit, wie eine The- Diese Verkehrung der eigenen Freiheit in setzt, der Zugehörigkeit zur religiösen Herde maverfehlung anmuten, wenn Richter von ei- einen Akt göttlicher Verfügung gehorcht der zudem die unabänderliche Qualität des Biolo- nem strafbaren Fall von Körperverletzung inneren Logik dieser irrationalen Denkart, die gischen, die Authentizität des Naturmerkmals sprechen, wo es den Veranstaltern des Events der Glaube ist. Wer sich in seinem religiösen verleihen. doch um die göttliche Gnade ewigen Seelen- Denken von allen wirklichen Bestimmungen Egal, wie weit die jeweilige Initiation da heils zu tun ist. Wo sie das Signum der Aus- frei macht und sich von dem Bedürfnis leiten geht, der Religionsbeitritt ist in den Augen erwähltheit zelebrieren, fällt den Herrn vom lässt, hinter all den weltlichen Interessen, des Gläubigen nichts Willkürliches, sondern profanen Recht ein, dass es weh tut. Zwecken und Ansprüchen, mit denen er es zu erhält in der Kulthandlung den Symbolgehalt Was aber so daneben aussieht, ist eben die tun bekommt, einen letzten Grund, einen ab- des Auftrags von ganz oben, des Auserwählt- Fassung des religiösen Akts als Tatbestand soluten Sinn zu finden, der nicht an jenen In- Werdens. Was den Willen des Herrn angeht, des Rechts, eine praktisch sehr gültige Ver- teressen auszumachen ist, die sein Leben verbietet sich der Verdacht der Willkür sowie- fremdung des Themas also. Und der merkt beherrschen, der kann diesen Sinn nur einem so, weshalb die Gläubigen in der Verantwor- man schnell an, dass es da im Kern nicht ums Zweck zuschreiben, den kein Mensch sich tung stehen, sich der Gnade dieser Auswahl Wehtun geht. Wenn Vertreter des bürgerlichen setzen kann, sondern der dem Menschen durch ihre Gottesfurcht würdig zu erweisen, Rechts den religiösen Ritus ins Visier neh- selbst gesetzt, vorgegeben ist. So landet das sie sich verdienen zu müssen. Wer so in der men, werden da nicht einfach Vorhäute be- Bedürfnis, mit der Welt, auch und gerade Pflicht ist, kann mit dem Opfer als Beweis schnitten, sondern mit ihnen Rechte. Insofern wenn sie voller Not, Elend und Gewalt ist, seiner Dienstbarkeit nicht früh genug anfan- rührt die juristische Betrachtung und Behand- seinen persönlichen Seelenfrieden zu machen, gen, am besten, bevor er selber das überhaupt lung der Glaubenspraxis – mag sie sich auch an sich selbst eine über den Dingen stehende will. Diesbezüglich mag die Beschneidung, am kleinsten Zipfel festmachen – schnell ans Zufriedenheit mit ihnen herzustellen, bei der die angeblich in der abrahamitischen Traditi- Grundsätzliche, was auch die Reaktion von Einbildung einer höchsten überirdischen In- on von Menschenopfer und Kastration bereits entrüsteten Rabbinern und muslimischen stanz, die alle irdischen Geschicke in der eine vergleichsweise zivile Aufweichung dar- Oberhäuptern deutlich macht. Die wollen sich Hand hat; die einen Plan hat, der gerade auch stellt, manchem modernen Glaubensmen- vom Staat nicht die Leviten lesen lassen, ver- dann, wenn der Mensch ihn nicht be- schen immer noch als archaisch roh und bieten sich jede Einmischung in ihr Treiben – greift, einem höheren Wozu und unzeitgemäß erscheinen, aber der Stellenwert und missverstehen das Recht auf freie Religi- 2 Weißwarum folgt. Sich in dieser Vor- von Demut und Opferbereitschaft im religi- onsausübung, wenn sie meinen, dass diese
den Staat nichts anginge. ensvollen und verlässlichen Beziehungen selbständig, durchsetzen konnte“ (FR, 19.7.) Denn der Staat, der der Religion ein eige- strebendes Kleinkind?“ (SZ, 1.10.) Vor einem – ein Weg, den diese Vorsintflutlichen also nes Grundrecht zugesteht, mit dem er ihre „lebenslangen Trauma“ warnen dagegen die noch vor sich haben. Dabei weisen die Wort- Freiheit schützt, legt sie damit auf den Ge- Kritiker, während die Befürworter den Ein- führer der Ratio es freilich weit von sich, brauch dieser Freiheit fest. Diese Festlegung griff so harmlos „wie eine Masernimpfung“ auch nur eine zarte Kritik am Irrationalismus hat es in sich. Zwar darf jeder glauben, an einstufen (FR, 12.7.). So nimmt die Debatte der Religion anzumelden, im Gegenteil: „Es wen oder was er will, wie er auch meinen freie Fahrt auf und lässt sich zu weiteren ist eine Zumutung für den gläubigen Men- darf, was er mag. Damit gilt die religiöse sachfremden Betrachtungen aller Art ausbau- schen, wenn Jahrtausende alte Rituale infra- Meinung aber genau so viel, nämlich nicht en. Der Standpunkt der Vorhaut-Schützer ge gestellt werden – Rituale, deren Zweck es mehr als eine unter vielen Meinungen, die im wird von psychologisch-pädagogisch-medizi- ist, die Zugehörigkeit zu einer Gemeinschaft doppelten Wortsinn gleich gültig, also gleich- nischem Sachverstand flankiert: Das Kindes- festzulegen, identitätsstiftende Rituale also, gültig und auf praktische Folgenlosigkeit Recht auf gewaltfreie Erziehung wird aufge- die für das Selbstverständnis eines Mannes festgelegt sind. Der weltanschauliche Absolu- fahren, auch das auf erogene Zonen. als Jude oder Muslim von immenser Bedeu- tismus der Religionen verträgt sich im Grun- Entsprechend auf der Gegenseite: Wer mag, tung sind. Religionen befinden sich aber we- de schlecht mit so einem Relativismus und kann in der Vorhautentfernung eher eine hy- der in einem rechtsfreien noch in einem Pluralismus, aber sich in eben diese Gleich- gienische Vorsorgemaßnahme sehen. Dass es rechtfertigungsfreien Raum. Sie können Gott gültigkeit der Religionen einzureihen, mutet den Brauch schon paar tausend Jahre und fast als höchste Instanz betrachten. Sie können der säkulare Staat den von ihm zugelassenen weltweit gibt, sind auch gute Argumente – für überzeugt davon sein, seine Worte und Gebo- Kirchen zu. Diese dürfen die Selbstfeier der ihn selbstverständlich. te aus Heiligen Büchern und aus dem Mund Frömmigkeit ihrer Schafe organisieren, ihnen Wie sich all die Standpunkte als solche ihrer Propheten genau zu kennen. Trotzdem – vorbeten, dass ihr Gott über allem steht, und des Rechts vortragen, so haben sie im Recht oder gerade deshalb – müssen sie in unserer sich als seine Vertretung auf Erden vereinsin- auf Freiheit der Person ihre abstrakte Zusam- aufgeklärten Gesellschaft Kritik aushalten tern sonst was anmaßen. Klar muss aber sein, menfassung: Auch die Beschneidungskritiker wie jeder andere.“ (FR, 19.7.) dass sie dabei nur eine private Lebensan- sprechen im Namen der Religionsfreiheit. Welche „Kritik“ müssen sich die Glau- schauung vertreten und betreuen, während die Gerade weil die Körperverletzung irreversibel bensmenschen also gefallen lassen? Dem staatliche Hoheit als solche unangetastet über ist, verletze sie das Recht der beschnittenen mitfühlenden Verständnis von wegen „Zumu- all den sinnhaltigen Weltbildern steht. Als Person auf religiöse Selbstbestimmung. Dar- tung“ folgt mit dem aber die inhaltsleere Zu- Freiheit, als staatliche Erlaubnis, sie ausüben mutung der Selbstrelativierung. Die Freunde zu dürfen, ist die Religion somit herabgestuft, der Aufklärung gestehen den Gläubigen aus- ist die Kirche dem Rechtsstaat untergeordnet drücklich zu, sich in ihren vernunftfreien Zo- und so fürs bürgerliche Gemeinwesen funk- tionalisiert. So gut sich die Kirchen mit dieser Platz- landplage.de nen einzuhausen, die Selbstbestimmung an „Gott als höchste Instanz“ abzutreten – aber zugleich sollen sie die Freiheit der Person als anweisung arrangiert haben, so affirmativ sie M a r x i s t i s c h e We b s i t e den verpflichtenden Höchstwert anerkennen. die Welt deuten und so loyal in der Regel ihre Wo sich für den religiösen Menschen die Anhänger auch der weltlichen Macht dienen – „Identität“ darin erfüllt, vom höheren Willen der Gegensatz ist damit nicht weg und lauert Jede Woche neue Artikel, auserwählt und verplant zu sein, sagen die in seiner Grundsätzlichkeit im scheinbar ab- Veranstaltungshinweise Willensschützer: Bilde dir das ruhig ein, aber seitigsten Reibungspunkt und Schauplatz. in der wirklich gültigen letzten Instanz ist der Das belegt auch die Fußnote zur Debatte, dass und Links Staat der Hüter des freien Willens, und der die christliche Kirche sich in dem Fall mit ih- oder das gilt selbst für den, der sich für auser- rer jüdischen und muslimischen Konkurrenz wählt hält. Solange sich die Religion dahin- solidarisch erklärt. Wo es um Staat gegen Re- an schließt sich der Vorschlag an, die Be- gehend relativiert, ist sie offenbar mit einer ligion geht, wollen die Religionen zusam- schneidung bis zum Alter der „Religions- Vernunft gut vereinbar, die den Fetisch freier menhalten. mündigkeit“ zu verschieben. Eine Kompro- Wille mit den obersten moralischen Werten * missvariante will zumindest den etwas später des Menschenrechts gleichsetzt und den Staat Die rechtsgelehrte Art, wie sich dieser beschnittenen muslimischen Kindern ein Ve- zu einem Diener an denselben verklärt. staatliche Anspruch an die Religion vorträgt, to-Recht einräumen. besteht hier darin, die gewiss respektierte Re- Derlei Anträge werden wiederum rechts- 3. Die Eskalation des Streits und seine ligionsfreiheit an einem anderen Grundrecht, kundig damit relativiert, dass die Entschei- salomonische Schlichtung dem auf körperliche Unversehrtheit, zu relati- dungsfreiheit bei Unmündigkeit des Kindes Klar, dass die Nachfahren Abrahams das vieren. An dem religiös motivierten Eingriff nun mal den Eltern zufällt. Doch davon, dass Archaische ihrer Religion etwas anders sehen, drängt sich einem Richter also die Frage auf, all das rechtliche Herumschieben des Willens nämlich als Beleg unanfechtbarer Geltung. welches Recht hier mehr verletzt wird oder zu an der Passivität des Rituals, also an der Idee Die politische Heimstatt der jüdischen Reli- schützen ist: das des Kindes auf Unversehrt- der Auserwählt-Werdens ziemlich vorbeigeht, gion kontert gar nicht erst auf der Ebene geis- heit oder aber, im Verbotsfall, das der Eltern, einmal abgesehen: Kritisiert wird am so tesgeschichtlicher Ergüsse, sondern aus Israel ihr Kind religiös aufzuziehen. Auf Rechts- schlimmen, lebenslangen Trauma einzig und kommen Ansagen der unmissverständlichen deutsch heißt das „Kollision zweier Rechts- allein, dass die Person zu ihrem Trauma nicht Art. Dieser bürgerliche Staat, der sich die Be- güter“ – und dann wird abgewogen. frei und mündig ja sagt; die Verletzung ver- sonderheit gestattet, den jüdischen Glauben Dabei geht es zu wie im Abituraufsatz, liert auch in den Augen ihrer Kritiker den zur Staatsreligion zu erklären, sieht als politi- insbesondere wenn der Streit seine öffentliche Schrecken, wenn in dem Sinn ein fett ge- scher Arm des auserwählten Volkes von die- Fortsetzung über die Meinungsseiten, Feuille- drucktes Selbst davor steht. sem Urteil im deutschen Rechtsstaat nicht nur tons bis in die Leserbriefspalten der Gazetten An diesem Punkt der öffentlichen Debatte einen Ritus, auch nicht nur eine Religion, findet: Auf beiden Seiten – für und wider Be- haben die theoretischen Fundamentalisten der sondern mit seiner Nationalreligion sich schneidung – werden dieselben Werte rekla- Willensfreiheit ihren Auftritt. Sie hieven den selbst angegriffen: Israel „werde eine solche miert. Hier wie dort sprechen Anwälte und Streit am Ende in philosophiegeschichtliche Beschränkung jüdischer Praktiken nirgendwo Experten des Kindeswohls – was auch sonst! Höhen und sprechen von der Auseinanderset- tolerieren, und ganz sicher nicht in Deutsch- Das will nur entsprechend interpretiert sein: zung zwischen religiöser Archaik und aufklä- land“ (NZZ, 10.7.). Der Nachsatz ruft zudem Da wissen die einen ganz genau, dass so ein rerischer Vernunft. Aus der Warte des drohend die deutsche Vergangenheit herbei Kleinkind ein Mensch gewordener Ruf nach Überbaus überblicken sie „den langen und und unterstellt dem aktuellen Rechtsurteil an- religiösem Halt ist: „Ist das sichere Wissen mühsamen Weg, den unsere Gesellschaft zu- tisemitische Befangenheit, also eine um die Zugehörigkeit zu einer religiösen Ge- rücklegen musste, bis sich die Vorstellung, je- Feindseligkeit gegen das auserwählte meinschaft nicht wichtig für ein nach vertrau- der Mensch sei von Natur frei und Volk, die deutsche Köpfe gleich einem 3
bösen Erbgut offenbar nicht mehr loswerden. sind sich alle einig – gar nicht geht. So wird heit, indem er die Rechtsaffäre auf eine Fra- Auf jüdischer Seite will man sich jedenfalls ein Gesetz auf den Weg gebracht, das auf ei- ge des medizinischen Handwerks bzw. der „an den Holocaust erinnert fühlen“, redet ne Art und Weise die Luft aus der Sache adäquaten Ausbildung der Beschneider her- vom „Tod des Judentums“ und fragt die herauslässt, die im grotesken Verhältnis zu unterfährt. Deutschen: „Wollt ihr uns Juden noch?“ (SZ, den Dimensionen des öffentlichen Streits um Dass sich von daher am Ende auch noch 15./16.9.) Staat und Religion steht. Der Gesetzentwurf die Ärzte etwas wichtig machen und die Das gibt der Debatte eine Wendung, hält nämlich jeden Bezug zum religiösen Fachkompetenz nur religiös autorisierter bringt sie auf eine Ebene der Eskalation, die Anlass und Inhalt draußen, fasst Beschnei- Schnipsler anzweifeln, ist wohl der matte die deutsche politische Führung rasch aktiv dung generell als „Körperverletzung“, die Nachtrag zur großen Debatte. Die jüdischen werden lässt. Das jüdische Grollen wird als aber – solange sie „fachgerecht“ durchge- und muslimischen Glaubensfunktionäre er- Weckruf genommen, in der „Grauzone Be- führt wird – straffrei und den Eltern der be- klären ihre Zufriedenheit, Frau Knobloch schneidung“ (SZ, 26.9.) einen Zustand von schnittenen Kinder anheimgestellt bleiben bleibt in Deutschland und die Leserbriefe Rechtsunsicherheit auszumachen, der – da soll. Somit regelt der Staat die Angelegen- hören auch auf. „Blockupy“-Aktionstage in Frankfurt Wie Protest demokratisch fertiggemacht wird Für Mitte Mai kündigt ein Bündnis linker das Wahlkreuz ist, mit dem die damit Berufe- on nicht bloß theoretisch gemeint ist, eine Organisationen mehrere Aktionstage und eine nen dann ihre Sache durchziehen. Was die redliche Meinung eben, sondern als politi- Abschlussdemonstration unter der Parole herrschenden Politiker an Demonstrationen scher Wille praktiziert gehört, der auf Unter- „Blockupy Frankfurt“ an – eine Protestaktion wie in Frankfurt überhaupt nicht leiden kön- bindung der Machenschaften und Allianzen „gegen das Spardiktat der Troika“ aus EU- nen, ist der praktische Tatendrang, mit dem zielt, gegen die sich die Kritik richtet und der Kommission, EZB und IWF, die, unter maß- sich das, was sie als ihre passive Basis zu be- sich die Massen anschließen sollen, damit sie geblicher Beteiligung von Deutschland und trachten gewohnt sind, da zu Worte meldet. praktisch wirksam wird. Frankreich, zur Rettung des Euros die „Völ- Diese Demonstranten lassen nicht einfach ker Europas systematisch verarmen“, um ihre Luft an den berühmten Stammtischen ab, sie … zur Wahrnehmung des Rechts auf Finanzmittel zur Rettung der Banken mobili- entsorgen ihre Kritik auch nicht in Leserbrie- Versammlungsfreiheit sieren zu können. Um diese Kritik an die Be- fen an die zuständigen Verwalter öffentlichen Das ist für den Staat die Provokation, die völkerung zu bringen, soll auf öffentlichen Unmuts oder erheben ihre Wahlstimme in den er unschädlich machen will. Und im demo- Plätzen, die sich die Demonstranten „neh- jeweils aktuellen Politbarometern – sie de- kratischen Rechtsstaat gibt’s für die Erledi- men“ wollen, über diese Einwände diskutiert mentieren vielmehr ein Stück weit das, was gung dieses abweichenden Willens das werden; und um deren praktische Stoßrich- auch noch die schlechteste demokratische Demonstrationsrecht: das unterdrückt den tung zu untermauern, ist eine eintägige sym- Meinung über „die da oben“ so handlich nicht einfach, sondern bringt ihn zur Räson, bolische Blockade der EZB und des indem es ihn beschränkend erlaubt, ganz Frankfurter Finanzdistrikts geplant. Die Stadt nach dem Leitfaden, den der Rechtsstaat sich Frankfurt, deren Polizeibehörde und das hes- Freerk Huisken in den Artikel 8 seines Grundgesetzes ge- sische Innenministerium setzen gegen diese schrieben hat: Ankündigung eine demonstrative Klarstel- (1) Alle Deutschen haben das Recht, sich lung, den richtigen Gebrauch des hohen Der demokratische Schoß ohne Anmeldung oder Erlaubnis friedlich und Rechtsgutes Versammlungs- und Demonstra- tionsfreiheit betreffend: Sie verbieten die drei ist fruchtbar … ohne Waffen zu versammeln. (2) Für Versammlungen unter freiem Aktionstage, setzen das Verbot mit täglich Himmel kann dieses Recht durch Gesetz oder 5000 Polizisten durch und schützen zu guter Letzt bei der dann doch noch erlaubten Ab- Das Elend der Kritik auf Grund eines Gesetzes beschränkt werden. Mit der Generalklausel „friedlich“ macht schlussdemonstration deren Teilnehmer da- vor, „Gewalt gegen Personen und Sachen“ am (Neo-)Faschismus der Gesetzgeber die Lizenz zum öffentlichen Protest, die er erteilt, abhängig von der posi- auszuüben. tiven Stellung der Demonstranten zu seiner Gewalt: die darf, wogegen und aus welchem Vom Kampf für eine politische Sache… VSA-Verlag Grund auch immer protestiert wird, nicht nur Dass die regierenden Demokraten und de- nicht angetastet werden, sondern bleibt in ren lokale Unterabteilung in Frankfurt und 176 Seiten | Januar 2012 Gestalt der „öffentlichen Ordnung“ auch der Wiesbaden etwas gegen das politische Anlie- EUR 12,80 | sFr 19,90 Rahmen, in den sich der Protest einzufügen gen der Demonstranten haben, liegt in der hat, wenn er seine Lizenz nicht verwirken Natur der Sache, schließlich lehnen die ihre ISBN 978-3-89965-484-4 will. Wo Blockupy wegen seiner politischen finanzpolitische Raison rundweg ab und hal- Kritik an Finanzkapital und EU-Institutionen ten die Wirkungen dieser Politik für einen macht: ihre theoretische Beliebigkeit und den Alltag des Finanzdistrikts durcheinander- Skandal. Unzufriedenheit mit ihrer Regie- praktische Belanglosigkeit. Die Aktivisten bringen, also die praktische Entmachtung des rungstätigkeit sind Politiker allerdings ge- von Blockupy stören den demokratisch-kapi- Finanzzentrums, die die Bewegung für nötig wohnt und haben der deswegen ein talistischen Normalvollzug, um mit ihrer Kri- hält, symbolisch in Szene setzen will, nimmt Betätigungsfeld getrennt von der selbstver- tik in einer derartig hermetisch-affirmativen die Ordnungsbehörde der Stadt Frankfurt das ständlich eingeforderten staats- und rechts- Öffentlichkeit wie der unseren überhaupt als Symbol für die Sache, wertet die als Angriff treuen Unterwerfung unter ihre Regierungs- abweichende Auffassung zur Geltung zu auf die Rechtsordnung, in letzter Instanz aufs maßnahmen angewiesen, so dass diese kommen; und diese Störung fällt umso nach- Gewaltmonopol und verlangt Abrüstung: An unbehelligt über die Bühne gehen drücklicher aus, als die Demonstranten klar- der Bereitschaft, ihre „asambleas“ auch in können: Die bunte Welt des freien machen wollen, dass ihre Kritik am Turnhallen, die Demo auch auf den abseitigs- 4 Meinens, dessen einzig praktische Tat Finanzkapital und dessen staatlicher Protekti- ten Routen durchzuführen, und vor allem zum
völligen Verzicht auf Blockadeaktionen gegen setzen, damit von der überhaupt noch was So bestimmt die Gewaltfrage den Vorlauf die EZB, liest die Staatsgewalt ab, ob die De- wahrgenommen wird; öfters allerdings in der ganzen Veranstaltung, praktisch wie in der monstranten bereit sind, ihr Anliegen auf den falscher Umdrehung der Abstraktion, zu der raisonnierenden Öffentlichkeit: Den General- Status einer kollektiven Meinungsäußerung man von oben gezwungen wird: Wenn schon verdacht, dass die Demonstranten den Re- herabzustufen und von jedem – und sei es Staatsgewalt und Öffentlichkeit in trauter spekt vor der legitimen, also gültigen Gewalt noch so symbolischen – praktischen Willen Einheit die Bereitschaft zur Unterwerfung un- des demokratischen Rechtsstaates vermissen zur Durchsetzung ihrer Sache Abstand zu ter die Rechtsordnung und ihr Gewaltmono- lassen, legt die Ordnungsbehörde den Orga- nehmen. Wenn sie bereit sind, ihre Kritik als pol zur Sache der Demonstration machen, nisatoren zur Widerlegung vor. Der Protest öffentliche Mahnung an die Machthabenden dann ziehen Demonstranten sich diesen hat sich zu legitimieren, indem er sich darauf vorzutragen und die Beseitigung der kritisier- Schuh an und drehen die Sache um – die festlegt, nur noch auf polizeigefällige Art ten Tatbestände in deren verantwortungsvol- Selbstbehauptung gegen die Gewalt des Staa- aufzutreten. Die „Verhandlungen“ zwischen len Händen zu belassen, dann sind sie tes wird zum aparten Kampfziel, das von der anmeldenden Veranstaltern und genehmigen- ungefähr auf der Höhe der Lizenz, die ihnen politischen Kritik, von der man ausgegangen den Ordnungsbehörden haben demgemäß das Grundgesetz zubilligt; und was dann noch ist, dann auch nicht mehr viel übrig lässt. Das nichts Geringeres als die komplette Umwid- an Verkehrsbehinderung übrig bleibt, ist un- weiß und damit rechnet die demokratische mung des Demonstrationszwecks zum Ge- gefähr das Maß an Störung, das der Staat zu Ordnungsgewalt – weswegen sie die radikals- genstand; die Demonstranten können und tolerieren bereit ist. te Variante dieser Sumpfblüte demokratischer sollen sich am Schutz ihrer Demonstrations- Demonstrationskultur, die sie gerne als freiheit beteiligen, indem sie von ihrem Pro- Die Unterordnung jeglicher Kritik un- „schwarzen Block“ zusammenfasst, dem po- testanliegen nichts mehr übrig lassen. Mit der ter die Gewaltfrage… litischen Anliegen der Finanzkapitalkritiker allergrößten Selbstverständlichkeit wird den Man sieht: Am Demonstrationsrecht muss zur Last legen: Gegen das Anliegen spricht ja Protestierenden abverlangt zu vermeiden, was jedes politische Anliegen, das auf seinen In- wohl von vorneherein, wenn sich die üblichen deren Absicht ist: eine Störung der öffentli- halt Wert legt, den Kürzeren ziehen. Damit es Verdächtigen dahinter versammeln. Als „Be- chen Ordnung, mit der sie der Kritik an der wahrgenommen werden kann, müssen sich leg“ für „Gewaltbereitschaft“ dienen den Verarmungspolitik der Troika öffentliche Be- dessen Organisatoren dazu bekennen, dass ih- Frankfurter Behörden die „Erfahrungen“ der achtung verschaffen wollen. Sie sollen diesen nen das rechtlich kodifizierte Gewaltmonopol M31-Demonstration Ende März – damals gab polizeilichen Standpunkt gegenüber den Teil- sakrosankt ist und höher steht als ihre Sache; es heftige Auseinandersetzungen zwischen nehmern selbst einnehmen und ihre eigenen die Teilnehmer einer Demonstration dürfen Teilen der Demonstranten und der Polizei. Reihen von den Elementen säubern, die sich die Erfahrung machen, dass dieses Bekennt- Dass der ominöse „schwarze Block“ auch auf zu einer solchen Unterordnung unter die nis zum eigentlichen, kritisch geprüften Ge- den geplanten Aktionstagen aufzutauchen Staatsgewalt nicht bereitfinden – und damit halt ihrer Demonstration wird – von daher ist droht, nimmt der Dezernent für die öffentli- nicht nur der Staatsgewalt das Geschäft der das Demonstrationsrecht geradezu ein Instru- che Ordnung als Grund, die gesamte Veran- Scheidung zwischen „friedlichen“ und „ge- ment zur Neutralisierung jeglichen politi- staltung dafür in Haftung zu nehmen und mit walttätigen“ Teilnehmern abnehmen, sondern schen Inhalts, dem doch die Aktion zur Verbot zu drohen, falls die Veranstalter nicht den Erfolg von deren Kontrolle über die De- Durchsetzung verhelfen soll. Garantien für einen „friedlichen Verlauf“ der mo sicherstellen. Weil das Aktionsbündnis So handhaben es nicht nur die zuständi- Aktionstage zu liefern bereit seien. Der Hin- dazu wenig Neigung zeigt und sich weigert, gen Instanzen der Staatsgewalt, die den poli- weis der Veranstalter, dass nach dieser Logik seine öffentlichen demonstrativen „asam- tischen Aktivisten die Gewaltfrage praktisch die Stadt kein einziges Fußballspiel mehr ge- bleas“ in geschlossenen Turnhallen und seine aufmachen. Für diese segensreiche Wirkung nehmigen dürfte, trifft zwar den Nagel auf Demonstrationen als stundenlangen Rundlauf sorgen vor allem die maßgeblichen Institutio- den Kopf, nützt ihnen aber überhaupt nichts. auf einem öffentlichen Parkplatz vor den To- nen der Öffentlichkeit, die von sich selber Wo es dem Abwürgen eines politisch unlieb- ren der Stadt abzuhalten, vermisst die Staats- gerne als der vierten Gewalt schwärmen. samen Anliegens dient, weigern sich die gewalt jede „Kooperations- und Kompro- Presse, Funk und Fernsehen schließen sich missbereitschaft“ und verbietet die Aktions- der Einschätzung der Staatsgewalt an und tage komplett. bringen sie unters Volk. Im Vorfeld der Akti- Konrad Hecker onstage schüren sie Ängste vor „bürger- … und deren rechtliche Absegnung kriegsähnlichen Zuständen“ und schützen durch diese Fokussierung der Aufmerksam- Der Faschismus Die Veranstalter ziehen vor das Frankfur- ter Verwaltungsgericht, um Widerspruch ge- keit die Frankfurter vor der Versuchung, sich gen die Verbotsverfügung einzulegen – in mit der Kritik der Demonstranten an der Poli- und seine demokratische einem Rechtsstaat steht schließlich jedem der tik der Troika zu befassen. Statt als Adressa- ten des Anliegens der Demonstranten sollen Bewältigung Klageweg auch gegen die Staatsgewalt offen. Das Gericht waltet seines Amtes, welches die Bürger sich als Betroffene durch deren sich durch den besonderen Blick auszeichnet, „Randale“ begreifen – und in ihrem Namen München 1996 den es auf den Gegensatz wirft, der vor seine fordern die Medien die staatlichen Exekutiv- 354 Seiten A5 € 20,– � Schranken gebracht wird: organe nachdrücklich auf, ihr Gewaltpotential ISBN: 978-3-929211-02-3 „Selbst wenn solche gezielten Blockaden als Schutzmacht aller Rechtschaffenen in noch unter den Schutz der Versammlungsfrei- Stellung zu bringen, falls die Demonstranten GEGENSTANDPUNKT Verlag heit fallen sollten, weil sie nur ‚demonstrativ‘ nicht kuschen. So machen die Organe der Öf- Kirchenstr. 88, 81675 München gemeint seien und nicht mit Gewalttätigkeiten fentlichkeit die „Gewaltfrage“ zum großen einhergingen, seien sie jedenfalls deshalb Thema und Prüfstein, an dem sich die De- (089) 2721604 rechtswidrig, weil den damit verbundenen monstranten zu bewähren haben – Demons- gegenstandpunkt@t-online.de Beeinträchtigungen der in diesem Bereich tranten, die gerade diese Öffentlichkeit für gegenstandpunkt.com wohnenden Frankfurter Bürger, der Ge- ihre politischen Einsprüche benutzen und ge- schäftstreibenden, der Banken und der Mitar- winnen wollen. Frankfurter Behörden eine Unterscheidung zu beiter der Banken und der Vielzahl der sonst Eine derartig hermetische Kampffront ist machen und praktisch durchzusetzen, wie sie von derartigen Aktionen Betroffenen bei einer geradezu eine Nötigung dazu, dass sich er- es bei jedem Fußballspiel und jeder „Fanmei- Abwägung im Rahmen der praktischen Kon- kleckliche Teile der Teilnehmer diese Sub- le“ für ihre selbstverständliche Ordnungsauf- kordanz größeres Gewicht beizumessen sei sumtion unter das Bravheitsgebot der demo- gabe halten – die Unterscheidung zwischen als dem Interesse der Antragsteller, ihr Anlie- kratischen Obrigkeit nicht bieten lassen und dem eigentlichen Anliegen und den Ausnüt- gen über Blockaden öffentlichkeitswirksam gegen die Demoauflagen verstoßen. Teils zern dieses Anliegens, den „friedlichen“ De- darzustellen.“ (Urteilsbegründung des noch, um im Sinne der politischen Sache, in monstranten und den „Krawallmachern“, die Verwaltungsgerichts Frankfurt) der man unterwegs ist, eine Provokation zu sie aus dem Verkehr zieht. Aus der politischen Kritik der De- 5
monstranten am Finanzkapital und seinem für nem Aufgebot an Gewaltmitteln, als gelte es det“ ist (Verbotsantrag der Ordnungsbehör- die gewöhnliche Bevölkerung schädlichen einen Aufstand niederzuschlagen. Wo ein de- de). Ganze Busladungen vermuteter Demons- Geschäft wird das Rechtsgut „Schutz der Ver- monstrativer Protest sich so unbekümmert tranten werden außerhalb von Frankfurt ab- sammlungsfreiheit“, dessen Gewicht die zeigt um das hoheitliche Interesse an einem gefangen und in zuvor eingerichtete Auf- Richter zu prüfen haben – und diese Prüfung ungestörten Fortgang der Finanzgeschäfte, fanglager in ziemlich weiträumiger Umge- befasst sich logischerweise mit dem Inhalt der dass er sich auch von Rechtsverboten nicht bung verbracht, wo sie sich am schwierigen Kritik überhaupt nicht, sondern spürt dem abschrecken lässt, liegt für die Staatsmacht Geschäft versuchen dürfen, in Umkehrung Verhältnis nach zu dem, was die Banken und endgültig der Übergang zu praktischem Wi- der Beweislast die Ordnungshüter von ihren die „Vielzahl der sonst … Betroffenen“ in der derstand vor. Ein solcher Missbrauch des De- polizeikonformen Absichten zu überzeugen. verfremdenden juristischen Sicht so treiben. monstrationsrechts gehört von Rechts wegen Diejenigen, die die Polizei laufen lässt, kön- Was Blockupy da kritisiert – die Banken ge- und um der Demokratie willen unterbunden; nen sehen, wie sie wieder nach Frankfurt zu- hen unverdrossen ihrem schädlichen Treiben und so wird er auch unterbunden – mit aller rückfinden. Der große Rest wird mit nach und weder ihre „Mitarbeiter“ noch die rechtsförmigen Gewalt. Da agieren Demokra- Sanktionen belegt, gegen die sie natürlich Wohnbevölkerung verschwenden einen kriti- ten wie ihre Kollegen in Regimen, denen sie Rechtsmittel einlegen dürfen – leider sehen schen Gedanken auf die Konsequenzen dieses den Respekt vor dem Recht ab- und einen no- sich die zuständigen Gerichte in Mittelhessen Treibens, weshalb „Blockupy“ diesen Alltag torischen Hang zur Gewalt zusprechen: Sie aber nicht in der Lage, einen Feiertagsnot- demonstrativ unterbrechen will – ist vor Ge- wahren ihr Gewaltmonopol, indem sie es ein- dienst zu organisieren, der sich damit befas- richt nur insofern relevant, als auch das als setzen, und eine gewisse Asymmetrie beim sen kann. Immerhin dürfen die Betroffenen Wahrnehmung eines schutzwürdigen Rechts- Gewalteinsatz ist da kein Fehlgriff, sondern nach der Demonstration dann gerichtlich gutes, der Ausübung von „Gewerbe- und Be- Sachnotwendigkeit. Das auch in letzter In- feststellen lassen, ob ihnen die Alternative rufsfreiheit“, passiert. So wird aus dem stanz vom Verfassungsgericht bestätigte totale zwischen Enthaltsamkeit beim Protestieren politischen Gegensatz zwischen Blockupy Verbot der Aktionstage schafft die Rechtstat- und Kriminalisierung zu Recht aufgemacht und den Banken die Kollision zweier Rechts- bestände, welche dann durch die Polizei ge- worden ist. Das relativiert schon mal den güter; und die eigentümliche juristische Fra- ahndet werden. Das Occupy-Zeltcamp vor der Verdacht von Schikane oder Polizeiwillkür. ge, in welchem Verhältnis das, wogegen EZB wird geräumt und um die EZB eine Und wenn die Polizeitruppe bei der Durch- demonstriert wird, zu dem steht, dass dage- Bannmeile errichtet, die Bank also zu hoheit- setzung von Recht und Ordnung kreativ mit gen demonstriert wird, ist so gestellt gar keine lichem Territorium erklärt, bei dem höchste den rechtlichen Bestimmungen fürs Zuschla- offene Frage, sondern von vorneherein beant- Sicherheitsstandards gelten. So avanciert die gen umgeht, dann hat das mit Rechtsbeugung wortet: Ersteres steht natürlich höher. De- bloße Anwesenheit von Leuten, die sich an nur so viel zu tun, als die Polizeiführung so monstrieren darf nicht zur Störung des Alltags den eigens errichteten Schleusen um die etwas bei derartigen Großschlachten schlicht ausarten, gegen den protestiert wird. Das Ver- Bannmeile nicht als Arbeitsplatzberechtigte für unvermeidlich hält: Die Einsatzführung waltungsgericht Frankfurt bestätigt deshalb sieht sich nach eigenem Bekunden leider au- das Verbot aller Platzbesetzungen und asam- ßerstande, die gerade gültige Rechtslage ihren bleas sowie der Blockadeaktionen gegen EZB hart arbeitenden Greifern „zeitnah zu kom- und Geschäftsbanken, hebt aber die Verbots- verfügung gegen eine Demonstration in der doku.argudiss.de munizieren“. Derartige Flexibilität im Um- gang mit dem Recht stellt sich ein, wenn man Frankfurter Innenstadt auf. Die „Gefahren- gewohnt ist, es als Instrument der öffentlichen prognose“ der Frankfurter Ordnungskräfte, Audio-Mitschnitte von Ordnung zu handhaben und seinen Gewaltbe- die den Veranstaltern die Teilnahme gewalt- darf vom Recht absegnen oder ihn zweck- bereiter Autonomer zur Last legt, sieht das GEGENSTANDPUNKT- dienlich zurechtdefinieren zu lassen. Wer Gericht zwar genauso, mutet der Polizei die Veranstaltungen zur Kritik am dasselbe Recht aus der Froschperspektive Aufgabe aber als „bewältigbar“ zu, die „Si- derjenigen betrachten muss, die Objekte sol- cherheit der Demonstration“ zu schützen, in- demokratischen Staat, seiner cher Ordnungsstiftungen sind, darf die Erfah- dem sie die militanten von den braven kapitalistischen Wirtschaft, rung machen, dass dessen erhoffte Leistungen Demonstranten mit dem dafür nötigen Ge- in Sachen Zügelung der Polizeigewalt eher waltaufwand trennt – aber auch nur dann, dem Imperialismus, der relativ sind. wenn sich die Veranstalter diesem Urteil un- bürgerlichen Gesellschaft und terwerfen, sich in den Tagen vorher aller nun … legt das Schutzobjekt lahm definitiv rechtswidrigen praktischen Aktionen ihrer Werte Mit dieser Art Ausnahmezustand bewir- enthalten und ganz auf die Demonstration als ken die hochgerüsteten Ordnungshüter genau kollektive Meinungsäußerung orientieren. das, was die Stadt dem Blockupy-Bündnis auf Die Veranstalter haben sich vom Gericht ausweisen können, zur Ordnungswidrigkeit, keinen Fall gestatten wollte: Ihre Polizeikräfte eine gerechte Würdigung ihres Anliegens ver- das Widersetzen gegen die ausgesprochenen legen zwar nicht den Finanzverkehr, aber das sprochen – was sie bekommen haben, ist eine Platzverweise zum Straftatbestand, was das Finanzviertel für vier Tage ziemlich lahm. Wo Klarstellung darüber, wie weit ihr Anliegen Wegsperren unliebsamer Personen legitimiert. die Blockupisten das zivile Leben für flash- rechtlich gültig ist: Das Protestieren ist eine Überhaupt macht die Polizei von dem Instru- mobs oder andere kreative Formen des Un- Frage der Lizenz von oben; ob die erteilt ment des Platzverweises einen enorm großzü- terlaufens des Versammlungsverbots nutzen, wird, hängt vom Willen der Protestierenden gigen Gebrauch, auch dann noch, als klar ist, wird es unterbunden – U-Bahnstationen wer- ab, sich als Störer durchzustreichen – und von dass die zuständigen Gerichte sie regelmäßig den dauerhaft, Autobahnen nach Bedarf ein- der Fähigkeit der Polizei sicherzustellen, dass wieder aufheben, weil sie dafür keine Rechts- fach dicht gemacht. Das Bankenzentrum diese Frage sowieso nicht vom Willen der grundlage entdecken können. Ganz pauschal bleibt hermetisch abgeriegelt, und außer ein Demonstranten abhängt. haben schon mal alle Teilnehmer der letzten paar versprengten, in Freizeitkleidung getarn- M31-Demo, die sich in den Polizeikesseln ten Bankangestellten lässt sich kaum jemand Die Durchsetzung des Gewaltmono- wiederfanden und seitdem den polizeilichen blicken. Wer allerdings meint, da hätte die pols… Datenbestand komplettieren, ein viertägiges Ordnungsmacht ein Eigentor geschossen oder Eine Demonstration, die derart als zu be- Aufenthaltsverbot in Frankfurt mit der Post gar – wie etliche Veranstalter – sich höhnisch wältigende Ordnungsfrage definiert ist, sieht zugestellt bekommen; in einem demokrati- dafür bedankt, dass die Polizei das Blockupy- entsprechend aus: Die Ankündigung des schen Rechtsstaat gibt offensichtlich eine ver- Anliegen mit einer Effektivität besorgt habe, Blockupy-Bündnisses, sich nicht einfach vom mutete Gesinnung einen manifesten die sie selber nicht hingekriegt hätten, muss Acker machen zu wollen, sondern mit allen sanktionsfähigen Tatbestand her, „wenn nach sich schon ziemlich taub stellen für die Lekti- möglichen kreativen Aktionen den den … ‚erkennbaren Umständen‘ die öffentli- on in Sachen Rechtsordnung, die die demo- Protest doch noch durchzuführen, be- che Sicherheit oder Ordnung bei Durchfüh- kratische Staatsgewalt verabreicht: Für die 6 antwortet die Ordnungsmacht mit ei- rung der Versammlung unmittelbar gefähr- Durchsetzung des Rechtsguts „freie Berufs-
ausübung“ gegen Kritiker der unschönen Re- tulieren, mit dem er sich und sein Anliegen Unrecht, indem sie den polizeilichen Erfolgs- sultate dieser Freiheiten findet die Berufsaus- unter diese Gewaltdemonstration subsumie- maßstab für Demonstrationen, die „Verhinde- übung eben auch mal nicht statt. Das gibt ren lässt. An so viel staatsgewaltlicher Effek- rung von Gewalt“, übernehmen und aus- einen Hinweis auf das Verhältnis von Rechts- tivität und staatsmännischem Zynismus auf drücklich anerkennen. Vor allem setzen sie ordnung und zivilem Leben: Die Rechtsord- der einen und so viel demokratischer Reife damit ihre Kritik am Finanzkapital hinter das nung setzt sich als die Bedingung für das auf der anderen Seite müssen Putin und seine zivile Leben, also steht sie über ihm. Für ihre Kritiker wirklich noch arbeiten. unanfechtbare Geltung, also vor allem für die Auch die Presse ist im Großen und Gan- Durchsetzung unbedingten Gehorsams ge- zen angetan von diesen Feiertagen der Staats- genüber dem Hüter dieser Ordnung, wird das gewalt und ihrem Beitrag dazu. Die GEGENSTANDPUNKT zivile Leben auch einmal vertagt. BILD-Zeitung, die im Namen ihrer Leser die Politische Vierteljahreszeitschrift Stadt der polizeilichen Putztruppe zum Auf- Die Demokratie gibt mit ihrer Wehr- räumen ausgeliehen hatte, verkündet nach ge- haftigkeit an taner Arbeit: „Die Frankfurter haben ihre Archiv der Zeitschrift Dass der exzessive Gebrauch von Gewalt- Stadt zurück!“ und zieht den Hut davor, mit 1-1992 bis 4-2006 mitteln nicht zur Demokratie passe und deren wie viel Sensibilität die Facharbeiter der öf- Repräsentanten „peinlich“ sein müsse, wie fentlichen Gewalt dieselbe durchgesetzt und auf CD-ROM Demonstranten und Teile der Öffentlichkeit in mit wie viel Selbstbeherrschung die Demons- € 40,– der obligatorischen Nachbereitung dieser De- tranten das Abservieren ihres Anliegens ISBN: 978-3-929211-12-2 monstration wehrhafter Demokratie meinen, durchgestanden haben: „Dank an die Polizei verkennt beides: die Demokratie wie ihre Re- – und die Demonstranten“. Die FAZ erwägt Für alle modernen Browser und präsentanten. Für die rechtfertigt die demo- angesichts des durchschlagenden Erfolgs der Betriebssysteme kratische Form des Staates noch jeden Obrigkeit, ob sie im Vorfeld nicht zu sehr aufs Aufwand an Gewalt; und der Erfolg bei deren Blech gehauen hat, attestiert aber ihrer theo- GEGENSTANDPUNKT Verlag Anwendung stiftet nicht nur Zufriedenheit, retischen Mobilmachung dann doch die nöti- Kirchenstr. 88, 81675 München sondern bietet auch die Gelegenheit, ihr un- ge Ausgewogenheit: „Niemand vermag zu (089) 2721604 sagen, wie viele Gewalttäter sich von den gegenstandpunkt@t-online.de 5000 Polizisten abhalten ließen. Der Gedan- gegenstandpunkt.com ke, womöglich etwas zu stark abgeschreckt, aber Schlimmes verhindert zu haben, lässt GEGENSTANDPUNKT sich eher ertragen als das Gegenteil.“ Der Frieden in einem demokratischen Rechtsstaat im Radio beruht eben auf der Abschreckung durch die konkurrenzlose Überlegenheit der Staatsge- Recht, dafür öffentlich eintreten zu dürfen, zurück und meinen, an der Front gepunktet zu walt. Da lässt sich ein gewisser Überschuss haben. Ausgerechnet das Verfahren, mit dem Die wöchentliche Analyse des bei der FAZ offenbar locker ertragen. Anders der demokratische Staat ihr politisches Anlie- Gegenstandpunkt-Verlags immer die Frankfurter Rundschau. Die vermeldet gen abserviert, halten sie nicht nur symbo- kritisch: „Frankfurt nennt sich gerne Finanz- lisch hoch: „Einige Demonstranten hatten montags ca. 18:40–19:00 Uhr hauptstadt Europas. Dass die Stadt aber Pro- sich … dennoch in unmittelbarer Nähe zur auf teste gegen die Finanzpolitik Europas nicht Paulskirche versammelt und rein symbolisch aushält, ist traurig und würdelos.“ Das ist Grundgesetzbücher hochgehalten.“ Demons- doch mal ein schöner Vorschlag zum Ge- tranten, die gerade die wehrhafte Demokratie Radio LORA München, meinsinn aller gegensätzlichen Interessen und erleben durften, erklären dieser Form der po- Meinungen – Finanzer und Finanzpolitik trei- litischen Herrschaft in ihrer abstrakten Fas- UKW 92,4 ben ihr Geschäft, die Demonstranten protes- sung des Grundgesetzes demonstrativ die tieren aufs Manierlichste dagegen, die Stadt Treue und erklären sich gegen ihre unwürdi- „hält“ diese Kritik in Würde „aus“, lässt sie gen wirklichen Funktionäre zu den eigentli- also souverän an sich abprallen und ignoriert chen Staatsschützern. Zwar wollten sie ja den verbrüchlich gutes Gewissen beim Zuschla- sie nicht einmal. Und ihre Presse ist stolz dar- Staat und seinen Finanzkapitalismus ein biss- gen ausführlich zu Wort kommen zu lassen: auf, dass sie das alles unter ihren Hut bringt. chen madig machen; aber Niederlagen an der „Nur das hohe Polizeikräfteaufgebot und So möchte man seine Finanzhauptstadt gerne Front lassen sich offenbar kompensieren die Strategie, gewalttätige Demonstranten haben. durch Siege in der eingebildeten Welt einer vor der Stadt abzufangen, haben dazu ge- demokratischen Wertekonkurrenz, in der red- führt, Ausschreitungen im Ansatz zu ersticken. P.S. liche Bürger dem Staat auf die schmutzigen Viele Unternehmen, Bürgerinnen und Bürger Auch die Demonstranten ziehen Bilanz. Finger klopfen, wenn der sich am gemeinsa- hatten sich im Vorfeld der Aktionstage hilfe- Das traurige Schicksal, das die demokratische men Wertebestand vergeht. In der Lesart ha- suchend an die Stadt gewandt. Allen, die dazu Herrschaft ihrem antikapitalistischen Anlie- ben die Blockupy-Aktionstage zwar nicht die beigetragen haben, dass friedliche Demons- gen bereitet hat, findet in der allerdings kaum beklagte Schädigung des Volkes durch die tranten das Bild der vergangenen Tage ge- Erwähnung; stattdessen strotzt sie von Er- unheilige Allianz von Staat und Kapital ir- prägt haben, ist im Interesse unserer folgsmeldungen der eigentümlichen Art: Sie gendwie angekratzt, aber immerhin die ver- Demokratie herzlich zu danken.“ (Petra Roth, finden, dass sich die „Stadt blamiert“ habe, himmelte Form der Staatsgewalt vor der OB Frankfurt) weil „der Verlauf der Aktionstage die Gefah- Ruinierung durch deren wirkliche Inhaber Sich für die Abschreckungswirkung des renprognose von Stadt und Polizei ad absur- gerettet: „Wir lassen nicht zu, dass Frankfurt eigenen Gewaltapparats bei den Betroffenen dum geführt hat“ (Attac). Sie besprechen ihre zur demokratiefreien Zone wird.“ zu bedanken, ist eine zynische Glanzleistung, Demonstration als Widerlegung der Gefah- So hat die real existierende Demokratie zu der nur Demokraten fähig sind. Was ist renprognosen der Polizei („… entbehren je- auf der ganzen Linie gesiegt: Praktisch, in- schon das bloß brutale Niederknüppeln eines der realistischen Grundlage …“) und machen dem die Machthaber die politische Kritik von Protestanliegens auf Moskaus Straßen gegen ihr das Verdienst streitig, einen friedlichen Blockupy niedergemacht haben – und ideell, diese überaus elegante Tour, einen Protest in- Ablauf der Demonstration gewährleistet zu indem viele der Kapitalismuskritiker diese haltlich einfach ins Leere laufen zulassen, haben. Mit dem Dementi „Keine der mobili- Erfahrung in die Rettung ihrer guten Meinung dessen unbelehrbaren Verfechtern einen Poli- sierenden Gruppen hatte zu Gewalt oder An- über die Staatsform überführt haben, zeikessel zu spendieren und dem hilflosen griffen auf Polizisten aufgerufen“ setzen sie in der der Kapitalismus so prächtig Rest zu dem demokratischen Anstand zu gra- die Besetzung der Stadt durch die Polizei ins gedeiht. 7
Sie können auch lesen