Gewerkschaften, Attac und Co wollen "umfairteilen": Ein Rückzugsgefecht der Empörung in drei Etappen

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MÜNCHEN                                                   www.gegenargumente.de                                                        Nr. 34/2012

 Gewerkschaften, Attac und Co wollen „umfairteilen“:
  Ein Rückzugsgefecht der Empörung in drei Etappen
     Ein Aktionsbündnis aus Gewerkschaften        Letzteres der Fall, so müsste man sich fragen,
und Sozialverbänden, das eine stärkere Be-        wie die Armut in dieser Gesellschaft eigent-
                                                                                                        Kritik und Anregungen an:
steuerung der Reichen fordert und zuneh-          lich zustande kommt und ob es nicht einen            gegenargumente@yahoo.de
mend an Anhängern aus verschiedenen „La-          systematischen Grund für sie gibt. Dadurch,
gern“ gewinnt, beklagt ausgiebig die Miss-        dass der Staat angeblich zu wenig Mittel zu
stände in der Gesellschaft:                       ihrer Bekämpfung hat, kann die viel beklagte
     „Nach Informationen der Süddeutschen         „Schere“ jedenfalls nicht entstanden sein –
Zeitung (SZ) hat sich laut Berichtsentwurf das    zumindest, wenn man den Gesetzen der Lo-
Nettovermögen der privaten Haushalte in           gik folgt. Viel näher läge da schon der            eigentlichen Skandal auf etwas anderes proji-
Deutschland in den vergangenen 20 Jahren          Schluss auf die herrschende Produktionsweise       ziert: Um die wachsende Armut, die somit
von knapp 4,6 auf rund 10 Billionen Euro          und die für sie charakteristischen Einkom-         unterstellt und abgehakt ist, wird sich nicht
mehr als verdoppelt. Dabei gehört den             mensarten, die die einen reich machen und          genug gekümmert! So wird das Problem auf
reichsten zehn Prozent mehr als die Hälfte        die anderen offenbar nie aus ihrer Armut be-       die Ebene der Armutsbetreuung verschoben –
des Gesamtvermögens. Der unteren Hälfte           freien. Womöglich kommt sogar noch er-             und dann passt endlich der Vorschlag zum
der Haushalte bleibt gerade noch gut ein          schwerend hinzu, dass die Bereicherung der         Befund:
Prozent.                                          einen und die Verarmung der anderen im Ka-             Erstens wird durch die geforderte Vermö-
     Laut Bundesarbeitsministerium, das für       pitalismus notwendig zusammengehören, und          gensabgabe das „Gerechtigkeitsempfinden
den Berichtsentwurf zuständig ist, geht auch      zwar so, dass die Verarmung als Mittel der         der Bevölkerung“ bedient, weil die Reichen
bei der Lohnentwicklung die Schere zwischen       Bereicherung dient. Davon, dass die „reichs-       etwas stärker zur Kasse gebeten werden. Da
Besser- und Schlechterverdienenden immer          ten Teile der Bevölkerung“ für ihre Gewinne        hat der Arme schon mal was für die Seele und
weiter auf… ,Eine solche Einkommensent-           Lohnsenkung und Entlassungen betreiben,            kann seine Armut leichter hinnehmen – zu-
wicklung verletzt das Gerechtigkeitsempfin-       müssten inzwischen nicht bloß die Anhänger         mindest dann, wenn es ihm um nichts weiter
den der Bevölkerung‘, werde dazu im Bericht       der „Umfairteilungs“-Idee, sondern jeder ge-       als die Gerechtigkeit geht. Wenn man es als
angemerkt.                                        wöhnliche Zeitungsleser was mitbekommen            Minderbemittelter schon so schwer hat, pocht
     Während also das Privatvermögen der          haben.                                             man entschieden auf Gleichbehandlung, ob-
ohnehin schon Wohlhabenden stark gestiegen            Doch die Initiatoren des Bündnisses ma-        wohl die Reichen ja nun nicht gerade arm
ist und auch Gutverdiener sich weiter abset-      chen gar keine Anstalten, der von ihnen be-        sind. Und dann geht es einem schlagartig
zen, bleiben dem Staat immer weniger Mittel,      klagten „Vermögensverteilung“ auf den              besser, weil auch den Reichen ihr Reichtum
um seine sozialen und bildungspolitischen         Grund zu gehen. Stattdessen nehmen sie lie-        nicht leicht gemacht wird.
Aufgaben               zu            erfüllen.“   ber Abstand von ihrem Thema, indem sie ihm             Zweitens bekommt zwar nicht der Arme,
(http://www.gew.de/Reiche_Reiche_armer_-          einen neuen Gegenstand ihrer Aufregung un-         dafür aber der Staat mehr Geld, mit dem er
Staat.html)                                       terschieben: Gerade eben ging es noch um           seinen „sozialen und bildungspolitischen
     Was die Urheber der Kampagne an den          Armut und Reichtum als solche, schon em-           Aufgaben“ ordentlich nachgehen kann. Das
Anfang ihrer „Umfairteilungs“-Idee stellen,       pört man sich bloß noch darüber, dass beides       ändert nichts an der Armut, bringt aber viel-
ist also die – nach ihrem Geschmack zu große      seit gestern größer geworden ist. Ob man die       leicht eine höhere Chancengleichheit in sie
– Scheidung zwischen Arm und Reich im Ka-         berühmte „Schere“ ganz aus der Welt schaf-         hinein, so dass auch das Gerechtigkeitsemp-
pitalismus:                                       fen könnte, mag dahingestellt sein – aber          finden von Gewerkschaftlern, Sozialarbeitern
     „Zur Beteiligung am bundesweiten Akti-       muss sie denn wirklich immer weiter aufge-         und Hauptschullehrern mitbedient würde,
onstag ruft der DGB auf. Thema ist die ,Sche-     hen?!                                              wenn der Staat etwas mehr für die Armutsbe-
re      zwischen      Arm     und     Reich‘.“        Einmal ernst genommen, wirft auch das          treuung ausgäbe.
(www.nwzonline.de)                                nur die Frage nach dem politökonomischen               So landet ein Protest, der als gerechte
     Inwiefern ist das nun „Thema“? Will man      Grund auf, mit dem sich spätestens jetzt zu        Empörung über die „ungleiche Vermögens-
das gefühlt fünfhundertjährige Jubiläum der       befassen wäre. Allerdings ist es leider wieder     verteilung“ und wachsende Armut losgeht,
Schere feiern? Und den gefühlt tausendsten        so, dass das Bündnis fürs „Umfairteilen“ das       bei lauter konstruktiven Vorschlägen zur bes-
Jahrestag des Klagens über sie? Oder will         Aufgehen der „Schere“ zwar schlimm findet,         seren Verwaltung der Armen. Oder war von
man sie vielleicht auch mal weghaben? Ist         sich aber nicht weiter damit aufhält und den       Anfang an nichts anderes gemeint?

   Beschneidungs-Streit:
   Vorhaut zwischen Seelenheil und Körperverletzung......................................................................................... 2

   „Blockupy“-Aktionstage in Frankfurt:
   Wie Protest demokratisch fertiggemacht wird..................................................................................................4
Beschneidungs-Streit:
      Vorhaut zwischen Seelenheil und Körperverletzung
    1. Der religiöse Inhalt der Kulthand-          sehung aufgehoben zu wissen, stiftet das          ösen Menschen- und Weltbild sollte auch ihm
lung                                               grundsätzliche Einverständnis mit Gott und        vertraut sein.
    Ein Kölner Gericht erklärt das religiös        der Welt.                                                                   *
motivierte Wegschneiden der Vorhaut bei                Was somit die Identität jeder religiösen          Die religiöse Sittlichkeit im Volk ist bei
Jungen für strafbar. Weder das Urteil noch das     Gemeinde ausmacht, ist das Selbstbewusst-         der wirklichen Herrschaft im Prinzip gern
davon angestoßene öffentliche Rechten benö-        sein, keinen Geringeren als den obersten Wel-     gesehen. Die Zeiten, zu denen sich die reale
tigen für die Kritik an der Kulthandlung auch      tenlenker persönlich zum Chef zu haben –          Macht ihrerseits mit Gottes Gnadentum legi-
nur ein einziges Argument gegen ihr religi-        und den bzw. das beansprucht jede Gemeinde        timiert hat, sind hierzulande zwar vorbei, aber
öses Motiv. Im Gegenteil: Die religiös-welt-       exklusiv für sich. Wer sich als Mensch so ent-    unter der Berufung auf einen höchsten Wert
anschauliche Botschaft, die diese Körperver-       mündigt, dass er sich als Erfüllungsgehilfe ei-   und Auftrag tut es auch ein moderner, säkula-
letzung von anderen Tattoos unterscheidet, ist     nes lebenslänglichen Auftrags begreift, wer       rer Staat nicht. Keiner verzichtet auf eine ide-
nicht nur bekannt, sondern es wird ausdrück-       sich so erniedrigt, dass er verglichen mit sei-   elle Begründung seiner hoheitlichen Gewalt,
lich Respekt angemahnt und bezeugt dafür,          nem Herrn und Schöpfer eine gottserbärmli-        die mehr als nur ein zweckrationaler Apparat
dass der Initiationsritus „für Juden und Mus-      che Kreatur darstellt – ein derart                sein will. Auch der bürgerliche Staat kann je-
lime mehr als ein frommer Brauch“ und „aus         ohnmächtiger Knecht erhöht sich genau da-         denfalls mit einer religiös-irrationalen Geis-
der Sicht der jeweiligen Religionen eine Aus-      durch, dass er dem konkurrenzlos Allmächti-       tesausstattung seiner Bürger etwas anfangen,
zeichnung ist“ (FAZ, 29.6.12). Schließlich         gen dienen darf, dem alle unterworfen sind,       er weiß sie zu schätzen als Bindemittel zwi-
geht es genau darum auch bei der christlichen      selbst die, die das nicht wissen oder glauben.    schen Volk und Herrschaft. In der Freiheit,
Taufe, wo auch keiner der Beschneidungskri-        Daraus speist sich das unerschütterliche          sich die Welt religiös zu deuten, unterwirft
tiker fragt, was es an einem Neugeborenen ei-      Rechtsbewusstsein des Glaubensmenschen,           sich der Gläubige zwar einem anderen, sei-
gentlich schon auszuzeichnen gibt. Gefeiert        im Leben zwar manchen Fehltritt tun zu kön-       nem absoluten Herrn, schafft es aber zu-
wird nämlich die Ehre, dem Kollektiv zuge-         nen, dank seiner Zugehörigkeit zum einzig         gleich, sich auf seine Lebenswirklichkeit
wiesen zu werden, das der Herrgott dafür vor-      richtigen Glaubensverein und in seinem Got-       einen ganz persönlichen Sinn zu reimen, der
gesehen hat, auf der Welt für den Glauben an       tesdienst aber einem unfehlbaren Weg und          im Normalfall seine Loyalität auch zur realen
ihn Reklame zu machen.                             Willen zu folgen.                                 Obrigkeit einschließt. Insofern und solange
    Die besondere Beziehung zum höchsten                                     *                       diese Spielart der Affirmation funktioniert, hat
Herrn, die einen vom Rest der Menschheit               Diese eigentümliche, sinnstiftende Dia-       die Einbildung, in der speziellen Mission ei-
abhebt, beanspruchen alle Weltreligionen für       lektik von Unterwerfung und höchstem              nes Außerirdischen unterwegs zu sein, ihren
sich. Den Juden ist für diese Idee der passend     Rechtsbewusstsein bestimmt nicht zufällig         anerkannten Platz im bürgerlichen Gemein-
unbescheidene Ausdruck vom auserwählten            auch die Initiationsriten als solche: Wie die     wesen.
Volk Gottes eingefallen. Das Verhältnis der        christliche Taufe wird die Beschneidung am
Auswahl steht da schon etwas auf dem Kopf:         Kind vorgenommen, bei den Juden am neuge-             2. Die Vorhaut als staatliches Rechtsgut
Nicht der Gläubige ist so frei, sich seine Reli-   borenen, bei den Muslimen auch etwas später.          Angesichts des einvernehmlichen Ver-
gion samt dazugehöriger Gottheit zu wählen,        Dieser Vollzug am unmündigen Subjekt er-          hältnisses, das Staat und Religion pflegen –
sondern umgekehrt. Der Glaube soll seine           füllt seinen Tiefsinn als vorbewusster, vorwil-   man weiß, was man aneinander hat – und an-
Unanfechtbarkeit bereits aus der Vorstellung       lentlicher Akt jenseits jeder Berechnung, als     gesichts des Respekts, den der religiöse Ge-
gewinnen, dass man sich ihn nicht aussuchen        den ihn die Eltern am Novizen vollstrecken        halt der Beschneiderei genießt, fragt sich, was
kann, sondern von dem Gott, den man sich           lassen, so wie er an ihnen selbst vollstreckt     denn Vertreter unseres Rechts an dieser Kult-
einbildet, dafür ausgesucht wird, sein Anhän-      wurde. Die Beschneidung soll, indem sie die       handlung stört. Auf den ersten Blick mag es
ger zu sein.                                       Markierung durch ein bleibendes Körpermal         wie eine Unangemessenheit, wie eine The-
    Diese Verkehrung der eigenen Freiheit in       setzt, der Zugehörigkeit zur religiösen Herde     maverfehlung anmuten, wenn Richter von ei-
einen Akt göttlicher Verfügung gehorcht der        zudem die unabänderliche Qualität des Biolo-      nem strafbaren Fall von Körperverletzung
inneren Logik dieser irrationalen Denkart, die     gischen, die Authentizität des Naturmerkmals      sprechen, wo es den Veranstaltern des Events
der Glaube ist. Wer sich in seinem religiösen      verleihen.                                        doch um die göttliche Gnade ewigen Seelen-
Denken von allen wirklichen Bestimmungen               Egal, wie weit die jeweilige Initiation da    heils zu tun ist. Wo sie das Signum der Aus-
frei macht und sich von dem Bedürfnis leiten       geht, der Religionsbeitritt ist in den Augen      erwähltheit zelebrieren, fällt den Herrn vom
lässt, hinter all den weltlichen Interessen,       des Gläubigen nichts Willkürliches, sondern       profanen Recht ein, dass es weh tut.
Zwecken und Ansprüchen, mit denen er es zu         erhält in der Kulthandlung den Symbolgehalt           Was aber so daneben aussieht, ist eben die
tun bekommt, einen letzten Grund, einen ab-        des Auftrags von ganz oben, des Auserwählt-       Fassung des religiösen Akts als Tatbestand
soluten Sinn zu finden, der nicht an jenen In-     Werdens. Was den Willen des Herrn angeht,         des Rechts, eine praktisch sehr gültige Ver-
teressen auszumachen ist, die sein Leben           verbietet sich der Verdacht der Willkür sowie-    fremdung des Themas also. Und der merkt
beherrschen, der kann diesen Sinn nur einem        so, weshalb die Gläubigen in der Verantwor-       man schnell an, dass es da im Kern nicht ums
Zweck zuschreiben, den kein Mensch sich            tung stehen, sich der Gnade dieser Auswahl        Wehtun geht. Wenn Vertreter des bürgerlichen
setzen kann, sondern der dem Menschen              durch ihre Gottesfurcht würdig zu erweisen,       Rechts den religiösen Ritus ins Visier neh-
selbst gesetzt, vorgegeben ist. So landet das      sie sich verdienen zu müssen. Wer so in der       men, werden da nicht einfach Vorhäute be-
Bedürfnis, mit der Welt, auch und gerade           Pflicht ist, kann mit dem Opfer als Beweis        schnitten, sondern mit ihnen Rechte. Insofern
wenn sie voller Not, Elend und Gewalt ist,         seiner Dienstbarkeit nicht früh genug anfan-      rührt die juristische Betrachtung und Behand-
seinen persönlichen Seelenfrieden zu machen,       gen, am besten, bevor er selber das überhaupt     lung der Glaubenspraxis – mag sie sich auch
an sich selbst eine über den Dingen stehende       will. Diesbezüglich mag die Beschneidung,         am kleinsten Zipfel festmachen – schnell ans
Zufriedenheit mit ihnen herzustellen, bei der      die angeblich in der abrahamitischen Traditi-     Grundsätzliche, was auch die Reaktion von
Einbildung einer höchsten überirdischen In-        on von Menschenopfer und Kastration bereits       entrüsteten Rabbinern und muslimischen
stanz, die alle irdischen Geschicke in der         eine vergleichsweise zivile Aufweichung dar-      Oberhäuptern deutlich macht. Die wollen sich
Hand hat; die einen Plan hat, der gerade auch      stellt, manchem modernen Glaubensmen-             vom Staat nicht die Leviten lesen lassen, ver-
         dann, wenn der Mensch ihn nicht be-       schen immer noch als archaisch roh und            bieten sich jede Einmischung in ihr Treiben –
         greift, einem höheren Wozu und            unzeitgemäß erscheinen, aber der Stellenwert      und missverstehen das Recht auf freie Religi-
2        Weißwarum folgt. Sich in dieser Vor-      von Demut und Opferbereitschaft im religi-        onsausübung, wenn sie meinen, dass diese
den Staat nichts anginge.                         ensvollen und verlässlichen Beziehungen           selbständig, durchsetzen konnte“ (FR, 19.7.)
    Denn der Staat, der der Religion ein eige-    strebendes Kleinkind?“ (SZ, 1.10.) Vor einem      – ein Weg, den diese Vorsintflutlichen also
nes Grundrecht zugesteht, mit dem er ihre         „lebenslangen Trauma“ warnen dagegen die          noch vor sich haben. Dabei weisen die Wort-
Freiheit schützt, legt sie damit auf den Ge-      Kritiker, während die Befürworter den Ein-        führer der Ratio es freilich weit von sich,
brauch dieser Freiheit fest. Diese Festlegung     griff so harmlos „wie eine Masernimpfung“         auch nur eine zarte Kritik am Irrationalismus
hat es in sich. Zwar darf jeder glauben, an       einstufen (FR, 12.7.). So nimmt die Debatte       der Religion anzumelden, im Gegenteil: „Es
wen oder was er will, wie er auch meinen          freie Fahrt auf und lässt sich zu weiteren        ist eine Zumutung für den gläubigen Men-
darf, was er mag. Damit gilt die religiöse        sachfremden Betrachtungen aller Art ausbau-       schen, wenn Jahrtausende alte Rituale infra-
Meinung aber genau so viel, nämlich nicht         en. Der Standpunkt der Vorhaut-Schützer           ge gestellt werden – Rituale, deren Zweck es
mehr als eine unter vielen Meinungen, die im      wird von psychologisch-pädagogisch-medizi-        ist, die Zugehörigkeit zu einer Gemeinschaft
doppelten Wortsinn gleich gültig, also gleich-    nischem Sachverstand flankiert: Das Kindes-       festzulegen, identitätsstiftende Rituale also,
gültig und auf praktische Folgenlosigkeit         Recht auf gewaltfreie Erziehung wird aufge-       die für das Selbstverständnis eines Mannes
festgelegt sind. Der weltanschauliche Absolu-     fahren, auch das auf erogene Zonen.               als Jude oder Muslim von immenser Bedeu-
tismus der Religionen verträgt sich im Grun-      Entsprechend auf der Gegenseite: Wer mag,         tung sind. Religionen befinden sich aber we-
de schlecht mit so einem Relativismus und         kann in der Vorhautentfernung eher eine hy-       der in einem rechtsfreien noch in einem
Pluralismus, aber sich in eben diese Gleich-      gienische Vorsorgemaßnahme sehen. Dass es         rechtfertigungsfreien Raum. Sie können Gott
gültigkeit der Religionen einzureihen, mutet      den Brauch schon paar tausend Jahre und fast      als höchste Instanz betrachten. Sie können
der säkulare Staat den von ihm zugelassenen       weltweit gibt, sind auch gute Argumente – für     überzeugt davon sein, seine Worte und Gebo-
Kirchen zu. Diese dürfen die Selbstfeier der      ihn selbstverständlich.                           te aus Heiligen Büchern und aus dem Mund
Frömmigkeit ihrer Schafe organisieren, ihnen           Wie sich all die Standpunkte als solche      ihrer Propheten genau zu kennen. Trotzdem –
vorbeten, dass ihr Gott über allem steht, und     des Rechts vortragen, so haben sie im Recht       oder gerade deshalb – müssen sie in unserer
sich als seine Vertretung auf Erden vereinsin-    auf Freiheit der Person ihre abstrakte Zusam-     aufgeklärten Gesellschaft Kritik aushalten
tern sonst was anmaßen. Klar muss aber sein,      menfassung: Auch die Beschneidungskritiker        wie jeder andere.“ (FR, 19.7.)
dass sie dabei nur eine private Lebensan-         sprechen im Namen der Religionsfreiheit.               Welche „Kritik“ müssen sich die Glau-
schauung vertreten und betreuen, während die      Gerade weil die Körperverletzung irreversibel     bensmenschen also gefallen lassen? Dem
staatliche Hoheit als solche unangetastet über    ist, verletze sie das Recht der beschnittenen     mitfühlenden Verständnis von wegen „Zumu-
all den sinnhaltigen Weltbildern steht. Als       Person auf religiöse Selbstbestimmung. Dar-       tung“ folgt mit dem aber die inhaltsleere Zu-
Freiheit, als staatliche Erlaubnis, sie ausüben                                                     mutung der Selbstrelativierung. Die Freunde
zu dürfen, ist die Religion somit herabgestuft,                                                     der Aufklärung gestehen den Gläubigen aus-
ist die Kirche dem Rechtsstaat untergeordnet                                                        drücklich zu, sich in ihren vernunftfreien Zo-
und so fürs bürgerliche Gemeinwesen funk-
tionalisiert.
    So gut sich die Kirchen mit dieser Platz-
                                                   landplage.de                                     nen einzuhausen, die Selbstbestimmung an
                                                                                                    „Gott als höchste Instanz“ abzutreten – aber
                                                                                                    zugleich sollen sie die Freiheit der Person als
anweisung arrangiert haben, so affirmativ sie      M a r x i s t i s c h e We b s i t e             den verpflichtenden Höchstwert anerkennen.
die Welt deuten und so loyal in der Regel ihre                                                      Wo sich für den religiösen Menschen die
Anhänger auch der weltlichen Macht dienen –                                                         „Identität“ darin erfüllt, vom höheren Willen
der Gegensatz ist damit nicht weg und lauert        Jede Woche neue Artikel,                        auserwählt und verplant zu sein, sagen die
in seiner Grundsätzlichkeit im scheinbar ab-         Veranstaltungshinweise                         Willensschützer: Bilde dir das ruhig ein, aber
seitigsten Reibungspunkt und Schauplatz.                                                            in der wirklich gültigen letzten Instanz ist der
Das belegt auch die Fußnote zur Debatte, dass               und Links                               Staat der Hüter des freien Willens, und der
die christliche Kirche sich in dem Fall mit ih-                                                     oder das gilt selbst für den, der sich für auser-
rer jüdischen und muslimischen Konkurrenz                                                           wählt hält. Solange sich die Religion dahin-
solidarisch erklärt. Wo es um Staat gegen Re-     an schließt sich der Vorschlag an, die Be-        gehend relativiert, ist sie offenbar mit einer
ligion geht, wollen die Religionen zusam-         schneidung bis zum Alter der „Religions-          Vernunft gut vereinbar, die den Fetisch freier
menhalten.                                        mündigkeit“ zu verschieben. Eine Kompro-          Wille mit den obersten moralischen Werten
                          *                       missvariante will zumindest den etwas später      des Menschenrechts gleichsetzt und den Staat
    Die rechtsgelehrte Art, wie sich dieser       beschnittenen muslimischen Kindern ein Ve-        zu einem Diener an denselben verklärt.
staatliche Anspruch an die Religion vorträgt,     to-Recht einräumen.
besteht hier darin, die gewiss respektierte Re-        Derlei Anträge werden wiederum rechts-           3. Die Eskalation des Streits und seine
ligionsfreiheit an einem anderen Grundrecht,      kundig damit relativiert, dass die Entschei-      salomonische Schlichtung
dem auf körperliche Unversehrtheit, zu relati-    dungsfreiheit bei Unmündigkeit des Kindes             Klar, dass die Nachfahren Abrahams das
vieren. An dem religiös motivierten Eingriff      nun mal den Eltern zufällt. Doch davon, dass      Archaische ihrer Religion etwas anders sehen,
drängt sich einem Richter also die Frage auf,     all das rechtliche Herumschieben des Willens      nämlich als Beleg unanfechtbarer Geltung.
welches Recht hier mehr verletzt wird oder zu     an der Passivität des Rituals, also an der Idee   Die politische Heimstatt der jüdischen Reli-
schützen ist: das des Kindes auf Unversehrt-      der Auserwählt-Werdens ziemlich vorbeigeht,       gion kontert gar nicht erst auf der Ebene geis-
heit oder aber, im Verbotsfall, das der Eltern,   einmal abgesehen: Kritisiert wird am so           tesgeschichtlicher Ergüsse, sondern aus Israel
ihr Kind religiös aufzuziehen. Auf Rechts-        schlimmen, lebenslangen Trauma einzig und         kommen Ansagen der unmissverständlichen
deutsch heißt das „Kollision zweier Rechts-       allein, dass die Person zu ihrem Trauma nicht     Art. Dieser bürgerliche Staat, der sich die Be-
güter“ – und dann wird abgewogen.                 frei und mündig ja sagt; die Verletzung ver-      sonderheit gestattet, den jüdischen Glauben
    Dabei geht es zu wie im Abituraufsatz,        liert auch in den Augen ihrer Kritiker den        zur Staatsreligion zu erklären, sieht als politi-
insbesondere wenn der Streit seine öffentliche    Schrecken, wenn in dem Sinn ein fett ge-          scher Arm des auserwählten Volkes von die-
Fortsetzung über die Meinungsseiten, Feuille-     drucktes Selbst davor steht.                      sem Urteil im deutschen Rechtsstaat nicht nur
tons bis in die Leserbriefspalten der Gazetten         An diesem Punkt der öffentlichen Debatte     einen Ritus, auch nicht nur eine Religion,
findet: Auf beiden Seiten – für und wider Be-     haben die theoretischen Fundamentalisten der      sondern mit seiner Nationalreligion sich
schneidung – werden dieselben Werte rekla-        Willensfreiheit ihren Auftritt. Sie hieven den    selbst angegriffen: Israel „werde eine solche
miert. Hier wie dort sprechen Anwälte und         Streit am Ende in philosophiegeschichtliche       Beschränkung jüdischer Praktiken nirgendwo
Experten des Kindeswohls – was auch sonst!        Höhen und sprechen von der Auseinanderset-        tolerieren, und ganz sicher nicht in Deutsch-
Das will nur entsprechend interpretiert sein:     zung zwischen religiöser Archaik und aufklä-      land“ (NZZ, 10.7.). Der Nachsatz ruft zudem
Da wissen die einen ganz genau, dass so ein       rerischer Vernunft. Aus der Warte des             drohend die deutsche Vergangenheit herbei
Kleinkind ein Mensch gewordener Ruf nach          Überbaus überblicken sie „den langen und          und unterstellt dem aktuellen Rechtsurteil an-
religiösem Halt ist: „Ist das sichere Wissen      mühsamen Weg, den unsere Gesellschaft zu-         tisemitische Befangenheit, also eine
um die Zugehörigkeit zu einer religiösen Ge-      rücklegen musste, bis sich die Vorstellung, je-   Feindseligkeit gegen das auserwählte
meinschaft nicht wichtig für ein nach vertrau-    der Mensch sei von Natur frei und                 Volk, die deutsche Köpfe gleich einem        3
bösen Erbgut offenbar nicht mehr loswerden.        sind sich alle einig – gar nicht geht. So wird    heit, indem er die Rechtsaffäre auf eine Fra-
Auf jüdischer Seite will man sich jedenfalls       ein Gesetz auf den Weg gebracht, das auf ei-      ge des medizinischen Handwerks bzw. der
„an den Holocaust erinnert fühlen“, redet          ne Art und Weise die Luft aus der Sache           adäquaten Ausbildung der Beschneider her-
vom „Tod des Judentums“ und fragt die              herauslässt, die im grotesken Verhältnis zu       unterfährt.
Deutschen: „Wollt ihr uns Juden noch?“ (SZ,        den Dimensionen des öffentlichen Streits um           Dass sich von daher am Ende auch noch
15./16.9.)                                         Staat und Religion steht. Der Gesetzentwurf       die Ärzte etwas wichtig machen und die
    Das gibt der Debatte eine Wendung,             hält nämlich jeden Bezug zum religiösen           Fachkompetenz nur religiös autorisierter
bringt sie auf eine Ebene der Eskalation, die      Anlass und Inhalt draußen, fasst Beschnei-        Schnipsler anzweifeln, ist wohl der matte
die deutsche politische Führung rasch aktiv        dung generell als „Körperverletzung“, die         Nachtrag zur großen Debatte. Die jüdischen
werden lässt. Das jüdische Grollen wird als        aber – solange sie „fachgerecht“ durchge-         und muslimischen Glaubensfunktionäre er-
Weckruf genommen, in der „Grauzone Be-             führt wird – straffrei und den Eltern der be-     klären ihre Zufriedenheit, Frau Knobloch
schneidung“ (SZ, 26.9.) einen Zustand von          schnittenen Kinder anheimgestellt bleiben         bleibt in Deutschland und die Leserbriefe
Rechtsunsicherheit auszumachen, der – da           soll. Somit regelt der Staat die Angelegen-       hören auch auf.

                  „Blockupy“-Aktionstage in Frankfurt
              Wie Protest demokratisch fertiggemacht wird
    Für Mitte Mai kündigt ein Bündnis linker       das Wahlkreuz ist, mit dem die damit Berufe-      on nicht bloß theoretisch gemeint ist, eine
Organisationen mehrere Aktionstage und eine        nen dann ihre Sache durchziehen. Was die          redliche Meinung eben, sondern als politi-
Abschlussdemonstration unter der Parole            herrschenden Politiker an Demonstrationen         scher Wille praktiziert gehört, der auf Unter-
„Blockupy Frankfurt“ an – eine Protestaktion       wie in Frankfurt überhaupt nicht leiden kön-      bindung der Machenschaften und Allianzen
„gegen das Spardiktat der Troika“ aus EU-          nen, ist der praktische Tatendrang, mit dem       zielt, gegen die sich die Kritik richtet und der
Kommission, EZB und IWF, die, unter maß-           sich das, was sie als ihre passive Basis zu be-   sich die Massen anschließen sollen, damit sie
geblicher Beteiligung von Deutschland und          trachten gewohnt sind, da zu Worte meldet.        praktisch wirksam wird.
Frankreich, zur Rettung des Euros die „Völ-        Diese Demonstranten lassen nicht einfach
ker Europas systematisch verarmen“, um ihre        Luft an den berühmten Stammtischen ab, sie            … zur Wahrnehmung des Rechts auf
Finanzmittel zur Rettung der Banken mobili-        entsorgen ihre Kritik auch nicht in Leserbrie-    Versammlungsfreiheit
sieren zu können. Um diese Kritik an die Be-       fen an die zuständigen Verwalter öffentlichen         Das ist für den Staat die Provokation, die
völkerung zu bringen, soll auf öffentlichen        Unmuts oder erheben ihre Wahlstimme in den        er unschädlich machen will. Und im demo-
Plätzen, die sich die Demonstranten „neh-          jeweils aktuellen Politbarometern – sie de-       kratischen Rechtsstaat gibt’s für die Erledi-
men“ wollen, über diese Einwände diskutiert        mentieren vielmehr ein Stück weit das, was        gung dieses abweichenden Willens das
werden; und um deren praktische Stoßrich-          auch noch die schlechteste demokratische          Demonstrationsrecht: das unterdrückt den
tung zu untermauern, ist eine eintägige sym-       Meinung über „die da oben“ so handlich            nicht einfach, sondern bringt ihn zur Räson,
bolische Blockade der EZB und des                                                                    indem es ihn beschränkend erlaubt, ganz
Frankfurter Finanzdistrikts geplant. Die Stadt                                                       nach dem Leitfaden, den der Rechtsstaat sich
Frankfurt, deren Polizeibehörde und das hes-                     Freerk Huisken                      in den Artikel 8 seines Grundgesetzes ge-
sische Innenministerium setzen gegen diese                                                           schrieben hat:
Ankündigung eine demonstrative Klarstel-                                                                 (1) Alle Deutschen haben das Recht, sich
lung, den richtigen Gebrauch des hohen
                                                    Der demokratische Schoß                          ohne Anmeldung oder Erlaubnis friedlich und
Rechtsgutes Versammlungs- und Demonstra-
tionsfreiheit betreffend: Sie verbieten die drei
                                                         ist fruchtbar …                             ohne Waffen zu versammeln.
                                                                                                         (2) Für Versammlungen unter freiem
Aktionstage, setzen das Verbot mit täglich                                                           Himmel kann dieses Recht durch Gesetz oder
5000 Polizisten durch und schützen zu guter
Letzt bei der dann doch noch erlaubten Ab-
                                                     Das Elend der Kritik                            auf Grund eines Gesetzes beschränkt werden.
                                                                                                         Mit der Generalklausel „friedlich“ macht
schlussdemonstration deren Teilnehmer da-
vor, „Gewalt gegen Personen und Sachen“             am (Neo-)Faschismus                              der Gesetzgeber die Lizenz zum öffentlichen
                                                                                                     Protest, die er erteilt, abhängig von der posi-
auszuüben.                                                                                           tiven Stellung der Demonstranten zu seiner
                                                                                                     Gewalt: die darf, wogegen und aus welchem
    Vom Kampf für eine politische Sache…                      VSA-Verlag                             Grund auch immer protestiert wird, nicht nur
    Dass die regierenden Demokraten und de-                                                          nicht angetastet werden, sondern bleibt in
ren lokale Unterabteilung in Frankfurt und              176 Seiten | Januar 2012                     Gestalt der „öffentlichen Ordnung“ auch der
Wiesbaden etwas gegen das politische Anlie-               EUR 12,80 | sFr 19,90                      Rahmen, in den sich der Protest einzufügen
gen der Demonstranten haben, liegt in der                                                            hat, wenn er seine Lizenz nicht verwirken
Natur der Sache, schließlich lehnen die ihre
                                                        ISBN 978-3-89965-484-4                       will. Wo Blockupy wegen seiner politischen
finanzpolitische Raison rundweg ab und hal-                                                          Kritik an Finanzkapital und EU-Institutionen
ten die Wirkungen dieser Politik für einen         macht: ihre theoretische Beliebigkeit und         den Alltag des Finanzdistrikts durcheinander-
Skandal. Unzufriedenheit mit ihrer Regie-          praktische Belanglosigkeit. Die Aktivisten        bringen, also die praktische Entmachtung des
rungstätigkeit sind Politiker allerdings ge-       von Blockupy stören den demokratisch-kapi-        Finanzzentrums, die die Bewegung für nötig
wohnt und haben der deswegen ein                   talistischen Normalvollzug, um mit ihrer Kri-     hält, symbolisch in Szene setzen will, nimmt
Betätigungsfeld getrennt von der selbstver-        tik in einer derartig hermetisch-affirmativen     die Ordnungsbehörde der Stadt Frankfurt das
ständlich eingeforderten staats- und rechts-       Öffentlichkeit wie der unseren überhaupt als      Symbol für die Sache, wertet die als Angriff
treuen Unterwerfung unter ihre Regierungs-         abweichende Auffassung zur Geltung zu             auf die Rechtsordnung, in letzter Instanz aufs
maßnahmen angewiesen, so dass diese                kommen; und diese Störung fällt umso nach-        Gewaltmonopol und verlangt Abrüstung: An
        unbehelligt über die Bühne gehen           drücklicher aus, als die Demonstranten klar-      der Bereitschaft, ihre „asambleas“ auch in
        können: Die bunte Welt des freien          machen wollen, dass ihre Kritik am                Turnhallen, die Demo auch auf den abseitigs-
4       Meinens, dessen einzig praktische Tat      Finanzkapital und dessen staatlicher Protekti-    ten Routen durchzuführen, und vor allem zum
völligen Verzicht auf Blockadeaktionen gegen     setzen, damit von der überhaupt noch was              So bestimmt die Gewaltfrage den Vorlauf
die EZB, liest die Staatsgewalt ab, ob die De-   wahrgenommen wird; öfters allerdings in           der ganzen Veranstaltung, praktisch wie in der
monstranten bereit sind, ihr Anliegen auf den    falscher Umdrehung der Abstraktion, zu der        raisonnierenden Öffentlichkeit: Den General-
Status einer kollektiven Meinungsäußerung        man von oben gezwungen wird: Wenn schon           verdacht, dass die Demonstranten den Re-
herabzustufen und von jedem – und sei es         Staatsgewalt und Öffentlichkeit in trauter        spekt vor der legitimen, also gültigen Gewalt
noch so symbolischen – praktischen Willen        Einheit die Bereitschaft zur Unterwerfung un-     des demokratischen Rechtsstaates vermissen
zur Durchsetzung ihrer Sache Abstand zu          ter die Rechtsordnung und ihr Gewaltmono-         lassen, legt die Ordnungsbehörde den Orga-
nehmen. Wenn sie bereit sind, ihre Kritik als    pol zur Sache der Demonstration machen,           nisatoren zur Widerlegung vor. Der Protest
öffentliche Mahnung an die Machthabenden         dann ziehen Demonstranten sich diesen             hat sich zu legitimieren, indem er sich darauf
vorzutragen und die Beseitigung der kritisier-   Schuh an und drehen die Sache um – die            festlegt, nur noch auf polizeigefällige Art
ten Tatbestände in deren verantwortungsvol-      Selbstbehauptung gegen die Gewalt des Staa-       aufzutreten. Die „Verhandlungen“ zwischen
len Händen zu belassen, dann sind sie            tes wird zum aparten Kampfziel, das von der       anmeldenden Veranstaltern und genehmigen-
ungefähr auf der Höhe der Lizenz, die ihnen      politischen Kritik, von der man ausgegangen       den Ordnungsbehörden haben demgemäß
das Grundgesetz zubilligt; und was dann noch     ist, dann auch nicht mehr viel übrig lässt. Das   nichts Geringeres als die komplette Umwid-
an Verkehrsbehinderung übrig bleibt, ist un-     weiß und damit rechnet die demokratische          mung des Demonstrationszwecks zum Ge-
gefähr das Maß an Störung, das der Staat zu      Ordnungsgewalt – weswegen sie die radikals-       genstand; die Demonstranten können und
tolerieren bereit ist.                           te Variante dieser Sumpfblüte demokratischer      sollen sich am Schutz ihrer Demonstrations-
                                                 Demonstrationskultur, die sie gerne als           freiheit beteiligen, indem sie von ihrem Pro-
    Die Unterordnung jeglicher Kritik un-        „schwarzen Block“ zusammenfasst, dem po-          testanliegen nichts mehr übrig lassen. Mit der
ter die Gewaltfrage…                             litischen Anliegen der Finanzkapitalkritiker      allergrößten Selbstverständlichkeit wird den
    Man sieht: Am Demonstrationsrecht muss       zur Last legen: Gegen das Anliegen spricht ja     Protestierenden abverlangt zu vermeiden, was
jedes politische Anliegen, das auf seinen In-    wohl von vorneherein, wenn sich die üblichen      deren Absicht ist: eine Störung der öffentli-
halt Wert legt, den Kürzeren ziehen. Damit es    Verdächtigen dahinter versammeln. Als „Be-        chen Ordnung, mit der sie der Kritik an der
wahrgenommen werden kann, müssen sich            leg“ für „Gewaltbereitschaft“ dienen den          Verarmungspolitik der Troika öffentliche Be-
dessen Organisatoren dazu bekennen, dass ih-     Frankfurter Behörden die „Erfahrungen“ der        achtung verschaffen wollen. Sie sollen diesen
nen das rechtlich kodifizierte Gewaltmonopol     M31-Demonstration Ende März – damals gab          polizeilichen Standpunkt gegenüber den Teil-
sakrosankt ist und höher steht als ihre Sache;   es heftige Auseinandersetzungen zwischen          nehmern selbst einnehmen und ihre eigenen
die Teilnehmer einer Demonstration dürfen        Teilen der Demonstranten und der Polizei.         Reihen von den Elementen säubern, die sich
die Erfahrung machen, dass dieses Bekennt-       Dass der ominöse „schwarze Block“ auch auf        zu einer solchen Unterordnung unter die
nis zum eigentlichen, kritisch geprüften Ge-     den geplanten Aktionstagen aufzutauchen           Staatsgewalt nicht bereitfinden – und damit
halt ihrer Demonstration wird – von daher ist    droht, nimmt der Dezernent für die öffentli-      nicht nur der Staatsgewalt das Geschäft der
das Demonstrationsrecht geradezu ein Instru-     che Ordnung als Grund, die gesamte Veran-         Scheidung zwischen „friedlichen“ und „ge-
ment zur Neutralisierung jeglichen politi-       staltung dafür in Haftung zu nehmen und mit       walttätigen“ Teilnehmern abnehmen, sondern
schen Inhalts, dem doch die Aktion zur           Verbot zu drohen, falls die Veranstalter nicht    den Erfolg von deren Kontrolle über die De-
Durchsetzung verhelfen soll.                     Garantien für einen „friedlichen Verlauf“ der     mo sicherstellen. Weil das Aktionsbündnis
    So handhaben es nicht nur die zuständi-      Aktionstage zu liefern bereit seien. Der Hin-     dazu wenig Neigung zeigt und sich weigert,
gen Instanzen der Staatsgewalt, die den poli-    weis der Veranstalter, dass nach dieser Logik     seine öffentlichen demonstrativen „asam-
tischen Aktivisten die Gewaltfrage praktisch     die Stadt kein einziges Fußballspiel mehr ge-     bleas“ in geschlossenen Turnhallen und seine
aufmachen. Für diese segensreiche Wirkung        nehmigen dürfte, trifft zwar den Nagel auf        Demonstrationen als stundenlangen Rundlauf
sorgen vor allem die maßgeblichen Institutio-    den Kopf, nützt ihnen aber überhaupt nichts.      auf einem öffentlichen Parkplatz vor den To-
nen der Öffentlichkeit, die von sich selber      Wo es dem Abwürgen eines politisch unlieb-        ren der Stadt abzuhalten, vermisst die Staats-
gerne als der vierten Gewalt schwärmen.          samen Anliegens dient, weigern sich die           gewalt jede „Kooperations- und Kompro-
Presse, Funk und Fernsehen schließen sich                                                          missbereitschaft“ und verbietet die Aktions-
der Einschätzung der Staatsgewalt an und                                                           tage komplett.
bringen sie unters Volk. Im Vorfeld der Akti-                 Konrad Hecker
onstage schüren sie Ängste vor „bürger-                                                                … und deren rechtliche Absegnung
kriegsähnlichen Zuständen“ und schützen
durch diese Fokussierung der Aufmerksam-          Der Faschismus                                       Die Veranstalter ziehen vor das Frankfur-
                                                                                                   ter Verwaltungsgericht, um Widerspruch ge-
keit die Frankfurter vor der Versuchung, sich                                                      gen die Verbotsverfügung einzulegen – in
mit der Kritik der Demonstranten an der Poli-
                                                  und seine demokratische                          einem Rechtsstaat steht schließlich jedem der
tik der Troika zu befassen. Statt als Adressa-
ten des Anliegens der Demonstranten sollen
                                                        Bewältigung                                Klageweg auch gegen die Staatsgewalt offen.
                                                                                                   Das Gericht waltet seines Amtes, welches
die Bürger sich als Betroffene durch deren                                                         sich durch den besonderen Blick auszeichnet,
„Randale“ begreifen – und in ihrem Namen
                                                               München 1996                        den es auf den Gegensatz wirft, der vor seine
fordern die Medien die staatlichen Exekutiv-                354 Seiten A5 € 20,–
                                                                            �
                                                                                                   Schranken gebracht wird:
organe nachdrücklich auf, ihr Gewaltpotential             ISBN: 978-3-929211-02-3                      „Selbst wenn solche gezielten Blockaden
als Schutzmacht aller Rechtschaffenen in                                                           noch unter den Schutz der Versammlungsfrei-
Stellung zu bringen, falls die Demonstranten          GEGENSTANDPUNKT Verlag                       heit fallen sollten, weil sie nur ‚demonstrativ‘
nicht kuschen. So machen die Organe der Öf-            Kirchenstr. 88, 81675 München               gemeint seien und nicht mit Gewalttätigkeiten
fentlichkeit die „Gewaltfrage“ zum großen                                                          einhergingen, seien sie jedenfalls deshalb
Thema und Prüfstein, an dem sich die De-
                                                               (089) 2721604                       rechtswidrig, weil den damit verbundenen
monstranten zu bewähren haben – Demons-                gegenstandpunkt@t-online.de                 Beeinträchtigungen der in diesem Bereich
tranten, die gerade diese Öffentlichkeit für               gegenstandpunkt.com                     wohnenden Frankfurter Bürger, der Ge-
ihre politischen Einsprüche benutzen und ge-                                                       schäftstreibenden, der Banken und der Mitar-
winnen wollen.                                   Frankfurter Behörden eine Unterscheidung zu       beiter der Banken und der Vielzahl der sonst
    Eine derartig hermetische Kampffront ist     machen und praktisch durchzusetzen, wie sie       von derartigen Aktionen Betroffenen bei einer
geradezu eine Nötigung dazu, dass sich er-       es bei jedem Fußballspiel und jeder „Fanmei-      Abwägung im Rahmen der praktischen Kon-
kleckliche Teile der Teilnehmer diese Sub-       le“ für ihre selbstverständliche Ordnungsauf-     kordanz größeres Gewicht beizumessen sei
sumtion unter das Bravheitsgebot der demo-       gabe halten – die Unterscheidung zwischen         als dem Interesse der Antragsteller, ihr Anlie-
kratischen Obrigkeit nicht bieten lassen und     dem eigentlichen Anliegen und den Ausnüt-         gen über Blockaden öffentlichkeitswirksam
gegen die Demoauflagen verstoßen. Teils          zern dieses Anliegens, den „friedlichen“ De-      darzustellen.“ (Urteilsbegründung des
noch, um im Sinne der politischen Sache, in      monstranten und den „Krawallmachern“, die         Verwaltungsgerichts Frankfurt)
der man unterwegs ist, eine Provokation zu       sie aus dem Verkehr zieht.                            Aus der politischen Kritik der De-      5
monstranten am Finanzkapital und seinem für        nem Aufgebot an Gewaltmitteln, als gelte es       det“ ist (Verbotsantrag der Ordnungsbehör-
die gewöhnliche Bevölkerung schädlichen            einen Aufstand niederzuschlagen. Wo ein de-       de). Ganze Busladungen vermuteter Demons-
Geschäft wird das Rechtsgut „Schutz der Ver-       monstrativer Protest sich so unbekümmert          tranten werden außerhalb von Frankfurt ab-
sammlungsfreiheit“, dessen Gewicht die             zeigt um das hoheitliche Interesse an einem       gefangen und in zuvor eingerichtete Auf-
Richter zu prüfen haben – und diese Prüfung        ungestörten Fortgang der Finanzgeschäfte,         fanglager in ziemlich weiträumiger Umge-
befasst sich logischerweise mit dem Inhalt der     dass er sich auch von Rechtsverboten nicht        bung verbracht, wo sie sich am schwierigen
Kritik überhaupt nicht, sondern spürt dem          abschrecken lässt, liegt für die Staatsmacht      Geschäft versuchen dürfen, in Umkehrung
Verhältnis nach zu dem, was die Banken und         endgültig der Übergang zu praktischem Wi-         der Beweislast die Ordnungshüter von ihren
die „Vielzahl der sonst … Betroffenen“ in der      derstand vor. Ein solcher Missbrauch des De-      polizeikonformen Absichten zu überzeugen.
verfremdenden juristischen Sicht so treiben.       monstrationsrechts gehört von Rechts wegen        Diejenigen, die die Polizei laufen lässt, kön-
Was Blockupy da kritisiert – die Banken ge-        und um der Demokratie willen unterbunden;         nen sehen, wie sie wieder nach Frankfurt zu-
hen unverdrossen ihrem schädlichen Treiben         und so wird er auch unterbunden – mit aller       rückfinden. Der große Rest wird mit
nach und weder ihre „Mitarbeiter“ noch die         rechtsförmigen Gewalt. Da agieren Demokra-        Sanktionen belegt, gegen die sie natürlich
Wohnbevölkerung verschwenden einen kriti-          ten wie ihre Kollegen in Regimen, denen sie       Rechtsmittel einlegen dürfen – leider sehen
schen Gedanken auf die Konsequenzen dieses         den Respekt vor dem Recht ab- und einen no-       sich die zuständigen Gerichte in Mittelhessen
Treibens, weshalb „Blockupy“ diesen Alltag         torischen Hang zur Gewalt zusprechen: Sie         aber nicht in der Lage, einen Feiertagsnot-
demonstrativ unterbrechen will – ist vor Ge-       wahren ihr Gewaltmonopol, indem sie es ein-       dienst zu organisieren, der sich damit befas-
richt nur insofern relevant, als auch das als      setzen, und eine gewisse Asymmetrie beim          sen kann. Immerhin dürfen die Betroffenen
Wahrnehmung eines schutzwürdigen Rechts-           Gewalteinsatz ist da kein Fehlgriff, sondern      nach der Demonstration dann gerichtlich
gutes, der Ausübung von „Gewerbe- und Be-          Sachnotwendigkeit. Das auch in letzter In-        feststellen lassen, ob ihnen die Alternative
rufsfreiheit“, passiert. So wird aus dem           stanz vom Verfassungsgericht bestätigte totale    zwischen Enthaltsamkeit beim Protestieren
politischen Gegensatz zwischen Blockupy            Verbot der Aktionstage schafft die Rechtstat-     und Kriminalisierung zu Recht aufgemacht
und den Banken die Kollision zweier Rechts-        bestände, welche dann durch die Polizei ge-       worden ist. Das relativiert schon mal den
güter; und die eigentümliche juristische Fra-      ahndet werden. Das Occupy-Zeltcamp vor der        Verdacht von Schikane oder Polizeiwillkür.
ge, in welchem Verhältnis das, wogegen             EZB wird geräumt und um die EZB eine              Und wenn die Polizeitruppe bei der Durch-
demonstriert wird, zu dem steht, dass dage-        Bannmeile errichtet, die Bank also zu hoheit-     setzung von Recht und Ordnung kreativ mit
gen demonstriert wird, ist so gestellt gar keine   lichem Territorium erklärt, bei dem höchste       den rechtlichen Bestimmungen fürs Zuschla-
offene Frage, sondern von vorneherein beant-       Sicherheitsstandards gelten. So avanciert die     gen umgeht, dann hat das mit Rechtsbeugung
wortet: Ersteres steht natürlich höher. De-        bloße Anwesenheit von Leuten, die sich an         nur so viel zu tun, als die Polizeiführung so
monstrieren darf nicht zur Störung des Alltags     den eigens errichteten Schleusen um die           etwas bei derartigen Großschlachten schlicht
ausarten, gegen den protestiert wird. Das Ver-     Bannmeile nicht als Arbeitsplatzberechtigte       für unvermeidlich hält: Die Einsatzführung
waltungsgericht Frankfurt bestätigt deshalb                                                          sieht sich nach eigenem Bekunden leider au-
das Verbot aller Platzbesetzungen und asam-                                                          ßerstande, die gerade gültige Rechtslage ihren
bleas sowie der Blockadeaktionen gegen EZB                                                           hart arbeitenden Greifern „zeitnah zu kom-
und Geschäftsbanken, hebt aber die Verbots-
verfügung gegen eine Demonstration in der
                                                   doku.argudiss.de                                  munizieren“. Derartige Flexibilität im Um-
                                                                                                     gang mit dem Recht stellt sich ein, wenn man
Frankfurter Innenstadt auf. Die „Gefahren-                                                           gewohnt ist, es als Instrument der öffentlichen
prognose“ der Frankfurter Ordnungskräfte,                Audio-Mitschnitte von                       Ordnung zu handhaben und seinen Gewaltbe-
die den Veranstaltern die Teilnahme gewalt-                                                          darf vom Recht absegnen oder ihn zweck-
bereiter Autonomer zur Last legt, sieht das               GEGENSTANDPUNKT-                           dienlich zurechtdefinieren zu lassen. Wer
Gericht zwar genauso, mutet der Polizei die          Veranstaltungen zur Kritik am                   dasselbe Recht aus der Froschperspektive
Aufgabe aber als „bewältigbar“ zu, die „Si-                                                          derjenigen betrachten muss, die Objekte sol-
cherheit der Demonstration“ zu schützen, in-         demokratischen Staat, seiner                    cher Ordnungsstiftungen sind, darf die Erfah-
dem sie die militanten von den braven                 kapitalistischen Wirtschaft,                   rung machen, dass dessen erhoffte Leistungen
Demonstranten mit dem dafür nötigen Ge-                                                              in Sachen Zügelung der Polizeigewalt eher
waltaufwand trennt – aber auch nur dann,                dem Imperialismus, der                       relativ sind.
wenn sich die Veranstalter diesem Urteil un-         bürgerlichen Gesellschaft und
terwerfen, sich in den Tagen vorher aller nun                                                            … legt das Schutzobjekt lahm
definitiv rechtswidrigen praktischen Aktionen                 ihrer Werte                                Mit dieser Art Ausnahmezustand bewir-
enthalten und ganz auf die Demonstration als                                                         ken die hochgerüsteten Ordnungshüter genau
kollektive Meinungsäußerung orientieren.                                                             das, was die Stadt dem Blockupy-Bündnis auf
    Die Veranstalter haben sich vom Gericht        ausweisen können, zur Ordnungswidrigkeit,         keinen Fall gestatten wollte: Ihre Polizeikräfte
eine gerechte Würdigung ihres Anliegens ver-       das Widersetzen gegen die ausgesprochenen         legen zwar nicht den Finanzverkehr, aber das
sprochen – was sie bekommen haben, ist eine        Platzverweise zum Straftatbestand, was das        Finanzviertel für vier Tage ziemlich lahm. Wo
Klarstellung darüber, wie weit ihr Anliegen        Wegsperren unliebsamer Personen legitimiert.      die Blockupisten das zivile Leben für flash-
rechtlich gültig ist: Das Protestieren ist eine    Überhaupt macht die Polizei von dem Instru-       mobs oder andere kreative Formen des Un-
Frage der Lizenz von oben; ob die erteilt          ment des Platzverweises einen enorm großzü-       terlaufens des Versammlungsverbots nutzen,
wird, hängt vom Willen der Protestierenden         gigen Gebrauch, auch dann noch, als klar ist,     wird es unterbunden – U-Bahnstationen wer-
ab, sich als Störer durchzustreichen – und von     dass die zuständigen Gerichte sie regelmäßig      den dauerhaft, Autobahnen nach Bedarf ein-
der Fähigkeit der Polizei sicherzustellen, dass    wieder aufheben, weil sie dafür keine Rechts-     fach dicht gemacht. Das Bankenzentrum
diese Frage sowieso nicht vom Willen der           grundlage entdecken können. Ganz pauschal         bleibt hermetisch abgeriegelt, und außer ein
Demonstranten abhängt.                             haben schon mal alle Teilnehmer der letzten       paar versprengten, in Freizeitkleidung getarn-
                                                   M31-Demo, die sich in den Polizeikesseln          ten Bankangestellten lässt sich kaum jemand
    Die Durchsetzung des Gewaltmono-               wiederfanden und seitdem den polizeilichen        blicken. Wer allerdings meint, da hätte die
pols…                                              Datenbestand komplettieren, ein viertägiges       Ordnungsmacht ein Eigentor geschossen oder
    Eine Demonstration, die derart als zu be-      Aufenthaltsverbot in Frankfurt mit der Post       gar – wie etliche Veranstalter – sich höhnisch
wältigende Ordnungsfrage definiert ist, sieht      zugestellt bekommen; in einem demokrati-          dafür bedankt, dass die Polizei das Blockupy-
entsprechend aus: Die Ankündigung des              schen Rechtsstaat gibt offensichtlich eine ver-   Anliegen mit einer Effektivität besorgt habe,
Blockupy-Bündnisses, sich nicht einfach vom        mutete     Gesinnung      einen     manifesten    die sie selber nicht hingekriegt hätten, muss
Acker machen zu wollen, sondern mit allen          sanktionsfähigen Tatbestand her, „wenn nach       sich schon ziemlich taub stellen für die Lekti-
       möglichen kreativen Aktionen den            den … ‚erkennbaren Umständen‘ die öffentli-       on in Sachen Rechtsordnung, die die demo-
       Protest doch noch durchzuführen, be-        che Sicherheit oder Ordnung bei Durchfüh-         kratische Staatsgewalt verabreicht: Für die
6      antwortet die Ordnungsmacht mit ei-         rung der Versammlung unmittelbar gefähr-          Durchsetzung des Rechtsguts „freie Berufs-
ausübung“ gegen Kritiker der unschönen Re-        tulieren, mit dem er sich und sein Anliegen        Unrecht, indem sie den polizeilichen Erfolgs-
sultate dieser Freiheiten findet die Berufsaus-   unter diese Gewaltdemonstration subsumie-          maßstab für Demonstrationen, die „Verhinde-
übung eben auch mal nicht statt. Das gibt         ren lässt. An so viel staatsgewaltlicher Effek-    rung von Gewalt“, übernehmen und aus-
einen Hinweis auf das Verhältnis von Rechts-      tivität und staatsmännischem Zynismus auf          drücklich anerkennen. Vor allem setzen sie
ordnung und zivilem Leben: Die Rechtsord-         der einen und so viel demokratischer Reife         damit ihre Kritik am Finanzkapital hinter das
nung setzt sich als die Bedingung für das         auf der anderen Seite müssen Putin und seine
zivile Leben, also steht sie über ihm. Für ihre   Kritiker wirklich noch arbeiten.
unanfechtbare Geltung, also vor allem für die          Auch die Presse ist im Großen und Gan-
Durchsetzung unbedingten Gehorsams ge-            zen angetan von diesen Feiertagen der Staats-
genüber dem Hüter dieser Ordnung, wird das        gewalt und ihrem Beitrag dazu. Die                     GEGENSTANDPUNKT
zivile Leben auch einmal vertagt.                 BILD-Zeitung, die im Namen ihrer Leser die            Politische Vierteljahreszeitschrift
                                                  Stadt der polizeilichen Putztruppe zum Auf-
    Die Demokratie gibt mit ihrer Wehr-           räumen ausgeliehen hatte, verkündet nach ge-
haftigkeit an                                     taner Arbeit: „Die Frankfurter haben ihre
                                                                                                            Archiv der Zeitschrift
    Dass der exzessive Gebrauch von Gewalt-       Stadt zurück!“ und zieht den Hut davor, mit                1-1992 bis 4-2006
mitteln nicht zur Demokratie passe und deren      wie viel Sensibilität die Facharbeiter der öf-
Repräsentanten „peinlich“ sein müsse, wie         fentlichen Gewalt dieselbe durchgesetzt und                   auf CD-ROM
Demonstranten und Teile der Öffentlichkeit in     mit wie viel Selbstbeherrschung die Demons-                            € 40,–
der obligatorischen Nachbereitung dieser De-      tranten das Abservieren ihres Anliegens
                                                                                                              ISBN: 978-3-929211-12-2
monstration wehrhafter Demokratie meinen,         durchgestanden haben: „Dank an die Polizei
verkennt beides: die Demokratie wie ihre Re-      – und die Demonstranten“. Die FAZ erwägt                 Für alle modernen Browser und
präsentanten. Für die rechtfertigt die demo-      angesichts des durchschlagenden Erfolgs der                      Betriebssysteme
kratische Form des Staates noch jeden             Obrigkeit, ob sie im Vorfeld nicht zu sehr aufs
Aufwand an Gewalt; und der Erfolg bei deren       Blech gehauen hat, attestiert aber ihrer theo-          GEGENSTANDPUNKT Verlag
Anwendung stiftet nicht nur Zufriedenheit,        retischen Mobilmachung dann doch die nöti-               Kirchenstr. 88, 81675 München
sondern bietet auch die Gelegenheit, ihr un-      ge Ausgewogenheit: „Niemand vermag zu                            (089) 2721604
                                                  sagen, wie viele Gewalttäter sich von den                gegenstandpunkt@t-online.de
                                                  5000 Polizisten abhalten ließen. Der Gedan-                  gegenstandpunkt.com
                                                  ke, womöglich etwas zu stark abgeschreckt,
                                                  aber Schlimmes verhindert zu haben, lässt
   GEGENSTANDPUNKT                                sich eher ertragen als das Gegenteil.“ Der
                                                  Frieden in einem demokratischen Rechtsstaat
              im Radio                            beruht eben auf der Abschreckung durch die
                                                  konkurrenzlose Überlegenheit der Staatsge-
                                                                                                     Recht, dafür öffentlich eintreten zu dürfen,
                                                                                                     zurück und meinen, an der Front gepunktet zu
                                                  walt. Da lässt sich ein gewisser Überschuss        haben. Ausgerechnet das Verfahren, mit dem
 Die wöchentliche Analyse des                     bei der FAZ offenbar locker ertragen. Anders       der demokratische Staat ihr politisches Anlie-
Gegenstandpunkt-Verlags immer                     die Frankfurter Rundschau. Die vermeldet           gen abserviert, halten sie nicht nur symbo-
                                                  kritisch: „Frankfurt nennt sich gerne Finanz-      lisch hoch: „Einige Demonstranten hatten
 montags ca. 18:40–19:00 Uhr                      hauptstadt Europas. Dass die Stadt aber Pro-       sich … dennoch in unmittelbarer Nähe zur
              auf                                 teste gegen die Finanzpolitik Europas nicht        Paulskirche versammelt und rein symbolisch
                                                  aushält, ist traurig und würdelos.“ Das ist        Grundgesetzbücher hochgehalten.“ Demons-
                                                  doch mal ein schöner Vorschlag zum Ge-             tranten, die gerade die wehrhafte Demokratie
   Radio LORA München,                            meinsinn aller gegensätzlichen Interessen und      erleben durften, erklären dieser Form der po-
                                                  Meinungen – Finanzer und Finanzpolitik trei-       litischen Herrschaft in ihrer abstrakten Fas-
         UKW 92,4                                 ben ihr Geschäft, die Demonstranten protes-        sung des Grundgesetzes demonstrativ die
                                                  tieren aufs Manierlichste dagegen, die Stadt       Treue und erklären sich gegen ihre unwürdi-
                                                  „hält“ diese Kritik in Würde „aus“, lässt sie      gen wirklichen Funktionäre zu den eigentli-
                                                  also souverän an sich abprallen und ignoriert      chen Staatsschützern. Zwar wollten sie ja den
verbrüchlich gutes Gewissen beim Zuschla-         sie nicht einmal. Und ihre Presse ist stolz dar-   Staat und seinen Finanzkapitalismus ein biss-
gen ausführlich zu Wort kommen zu lassen:         auf, dass sie das alles unter ihren Hut bringt.    chen madig machen; aber Niederlagen an der
    „Nur das hohe Polizeikräfteaufgebot und       So möchte man seine Finanzhauptstadt gerne         Front lassen sich offenbar kompensieren
die Strategie, gewalttätige Demonstranten         haben.                                             durch Siege in der eingebildeten Welt einer
vor der Stadt abzufangen, haben dazu ge-                                                             demokratischen Wertekonkurrenz, in der red-
führt, Ausschreitungen im Ansatz zu ersticken.        P.S.                                           liche Bürger dem Staat auf die schmutzigen
Viele Unternehmen, Bürgerinnen und Bürger             Auch die Demonstranten ziehen Bilanz.          Finger klopfen, wenn der sich am gemeinsa-
hatten sich im Vorfeld der Aktionstage hilfe-     Das traurige Schicksal, das die demokratische      men Wertebestand vergeht. In der Lesart ha-
suchend an die Stadt gewandt. Allen, die dazu     Herrschaft ihrem antikapitalistischen Anlie-       ben die Blockupy-Aktionstage zwar nicht die
beigetragen haben, dass friedliche Demons-        gen bereitet hat, findet in der allerdings kaum    beklagte Schädigung des Volkes durch die
tranten das Bild der vergangenen Tage ge-         Erwähnung; stattdessen strotzt sie von Er-         unheilige Allianz von Staat und Kapital ir-
prägt haben, ist im Interesse unserer             folgsmeldungen der eigentümlichen Art: Sie         gendwie angekratzt, aber immerhin die ver-
Demokratie herzlich zu danken.“ (Petra Roth,      finden, dass sich die „Stadt blamiert“ habe,       himmelte Form der Staatsgewalt vor der
OB Frankfurt)                                     weil „der Verlauf der Aktionstage die Gefah-       Ruinierung durch deren wirkliche Inhaber
    Sich für die Abschreckungswirkung des         renprognose von Stadt und Polizei ad absur-        gerettet: „Wir lassen nicht zu, dass Frankfurt
eigenen Gewaltapparats bei den Betroffenen        dum geführt hat“ (Attac). Sie besprechen ihre      zur demokratiefreien Zone wird.“
zu bedanken, ist eine zynische Glanzleistung,     Demonstration als Widerlegung der Gefah-                So hat die real existierende Demokratie
zu der nur Demokraten fähig sind. Was ist         renprognosen der Polizei („… entbehren je-         auf der ganzen Linie gesiegt: Praktisch, in-
schon das bloß brutale Niederknüppeln eines       der realistischen Grundlage …“) und machen         dem die Machthaber die politische Kritik von
Protestanliegens auf Moskaus Straßen gegen        ihr das Verdienst streitig, einen friedlichen      Blockupy niedergemacht haben – und ideell,
diese überaus elegante Tour, einen Protest in-    Ablauf der Demonstration gewährleistet zu          indem viele der Kapitalismuskritiker diese
haltlich einfach ins Leere laufen zulassen,       haben. Mit dem Dementi „Keine der mobili-          Erfahrung in die Rettung ihrer guten Meinung
dessen unbelehrbaren Verfechtern einen Poli-      sierenden Gruppen hatte zu Gewalt oder An-         über die Staatsform überführt haben,
zeikessel zu spendieren und dem hilflosen         griffen auf Polizisten aufgerufen“ setzen sie      in der der Kapitalismus so prächtig
Rest zu dem demokratischen Anstand zu gra-        die Besetzung der Stadt durch die Polizei ins      gedeiht.                                   7
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