Harry Potter und die Leib-Seele-Problematik-unipub UB Graz

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Harry Potter und die Leib-Seele-Problematik-unipub UB Graz
Harry Potter und die Leib-Seele-Problematik –
  Fachdidaktische Vorschläge für den Philosophieunterricht

                          Diplomarbeit

                 zur Erlangung des akademischen Grades
                      einer Magistra der Philosophie

                  an der Karl-Franzens-Universität Graz

                              vorgelegt von
                      Sarah Maria PUTZER, BA

                        am Institut für Philosophie

              Begutachterin: Mag.a Dr.in phil. Barbara Reiter

                               Graz, 2021
Harry Potter und die Leib-Seele-Problematik-unipub UB Graz
Harry Potter und die Leib-Seele-Problematik-unipub UB Graz
Für meine Mutter
Danksagung

Allen voran geht mein Dank an meine Betreuerin Mag.a Dr.in phil. Barbara Reiter: Ich danke Ihnen
für Ihre kompetente Unterstützung und Ihre wertvollen Anregungen, die zum Gelingen dieser
Arbeit beigetragen haben. Danke, dass Sie mich auf diesem Weg begleitet haben!

Ebenso gilt mein Dank Priv.-Doz. Mag. Dr. phil. Franz Zeder: Ich danke Ihnen für Ihr
inspirierendes Seminar ‚Philosophie via Literatur‘, das mir den Anstoß zu dieser Diplomarbeit
gegeben hat. Vielen lieben Dank dafür!

Ich bedanke mich auch herzlich bei meiner Praktikumsbetreuerin Mag.a Cornelia Ziegler: Ich hatte
das Glück, trotz engem Zeitplan mein Unterrichtskonzept in die Praxis umsetzen zu dürfen, was für
mich alles andere als selbstverständlich war. Danke für diese Möglichkeit!
Mein Dank geht auch an die Klassen von Frau Ziegler: Es war mir eine Freude, mit euch arbeiten
und euren Diskussionen beiwohnen zu dürfen – ihr wart eine Herausforderung und einfach groß-
artig!

Ein besonderer Dank geht an Thomas: Du warst mir während meines Studiums eine große Stütze,
sei es durch deinen Zuspruch oder deine Kritik – beides hat mich weiter voran gebracht. Danke,
dass du immer das bist, was ich gerade brauche!

Mein tiefster Dank geht an meine Mutter: Mama, es lässt sich nicht in Worte fassen wie dankbar
ich dir für all das bin, was du für mich getan hast. Du hast an mich geglaubt und mich immer
unterstützt. Ohne dich wäre all das nicht möglich gewesen! Das hier ist für dich!
Inhaltsverzeichnis
VORWORT......................................................................................................................8
ZITIERWEISE.................................................................................................................9
ABKÜRZUNGEN...........................................................................................................10

1 EINLEITUNG............................................................................................................11

2 DIE LEIB-SEELE-PROBLEMATIK............................................................................13
    2.1 Leib oder Körper, Seele oder Geist?.......................................................................................13
    2.2 (Problematische) Definitionen................................................................................................15
       2.2.1 Das Physische, der Körper..............................................................................................15
       2.2.2 Das Mentale....................................................................................................................15
       2.2.3 Die philosophische und didaktische Problematik...........................................................17
    2.3 Zugänge zur Leib-Seele-Problematik.....................................................................................18
    2.4 Der interaktionistische Substanzdualismus............................................................................20
       2.4.1 Das metaphysische Argument.........................................................................................21
       2.4.2 Das naturphilosophische Argument................................................................................23
       2.4.3 Die Wechselwirkung der Substanzen und ihre Probleme...............................................24
    2.5 Zusammenfassung..................................................................................................................27

3 HARRY POTTER UND DIE PHILOSOPHIE................................................................28
    3.1 Harry Potter für Muggel – die Geschichte.............................................................................28
    3.2 Das philosophische Potential von Harry Potter.....................................................................29
    3.3 Harry Potter und die Leib-Seele-Problematik – philosophische Ansatzpunkte......................32
       3.3.1 Der Tod............................................................................................................................32
       3.3.2 Der Seelenbegriff – ein erster Zugang............................................................................33
          3.3.2.1 Hermine Grangers Definition..................................................................................33
          3.3.2.2 Dementoren und die Eigenschaften der Seele.........................................................35
       3.3.3 Körper-Seele- und Seele-Körper-Beeinflussung.............................................................36
          3.3.3.1 Geister.....................................................................................................................36
          3.3.3.2 Horkruxe..................................................................................................................38
          3.3.3.3 Animagi...................................................................................................................40
          3.3.3.4 Patroni.....................................................................................................................41
          3.3.3.5 Der Problemfall Peeves oder: Wo Fiktion als Beispiel an ihre Grenzen stößt........42
    3.4 Zusammenfassung..................................................................................................................43

4 UNTERRICHTSSEQUENZ..........................................................................................44
    4.1 Planung...................................................................................................................................44
       4.1.1 Lehrplanbezug.................................................................................................................44
       4.1.2 Schulbuchanalyse............................................................................................................46
4.1.3 Merkmale guten Unterrichts...........................................................................................47
       4.1.4 Ansätze und Modelle, Methoden und Sozialformen.......................................................50
          4.1.4.1 Der problem- und kompetenzorientierte Ansatz.....................................................50
          4.1.4.2 Das Bonbonmodell..................................................................................................53
          4.1.4.3 Das Philosophieren und die philosophische Diskussion.........................................54
          4.1.4.4 Das Gedankenexperiment........................................................................................55
          4.1.4.5 Philosophische Texte philosophisch lesen – die PLATO-Methode.........................56
          4.1.4.6 (Jugend-)Literatur im Philosophieunterricht...........................................................57
          4.1.4.7 Filme im Philosophieunterricht...............................................................................58
          4.1.4.8 Frontalunterricht......................................................................................................59
       4.1.5 Rahmenbedingungen.......................................................................................................60
          4.1.5.1 Bedingungen in den Klassen...................................................................................60
          4.1.5.2 Kennen SchülerInnen heute noch Harry Potter?....................................................61
       4.1.6 Erwartungen und Ziele....................................................................................................61
       4.1.7 Tabellarische Übersicht der Unterrichtssequenz.............................................................63
       4.1.8 Geplanter Verlauf mit didaktischem Kommentar...........................................................64
    4.2 Verlauf der Unterrichtseinheiten.............................................................................................69
       4.2.1 Klasse A..........................................................................................................................69
       4.2.2 Klasse B..........................................................................................................................69
    4.3 Auswertung.............................................................................................................................71
       4.3.1 Selbstbeobachtung..........................................................................................................71
       4.3.2 SchülerInnen-Feedback...................................................................................................74
       4.3.3 Interview mit der Praktikumsmentorin...........................................................................76
       4.3.4 Fazit der Auswertung – Was nehme ich daraus mit?......................................................77
    4.4 Überarbeitung der Unterrichtssequenz...................................................................................78
    4.5 Ausblick zum Begriff der Seele..............................................................................................79

 5 ZUSAMMENFASSUNG UND AUSBLICK.....................................................................80

LEIB-SEELE-PROBLEMATIK-GLOSSAR......................................................................82
HARRY-POTTER-GLOSSAR.........................................................................................85
QUELLENVERZEICHNIS...............................................................................................87
ANHANG......................................................................................................................93

Tabellenverzeichnis
Tabelle 1: Kompetenz- und Teilbereiche im Philosophieunterricht nach Rösch................................52
Tabelle 2: Planungsübersicht..............................................................................................................61
Vorwort

Vorwort
J. K. Rowling hat meine Kindheit geprägt. Ihr Werk war der erste Jugendroman, den ich mit
Freude verschlungen habe. Ich war im gleichen Alter wie Harry, Hermine und Ron als ich mit
ihnen zum ersten Mal über die Schwelle von Hogwarts getreten bin und viele Abenteuer
voller Magie und Freundschaft erlebt habe. Doch auch als die letzte Schlacht um Hogwarts
geschlagen war, kehrte ich als Erwachsene zurück – es war ein Nach-Hause-Kommen, aber
Harry Potter hatte nun noch mehr zu bieten. Durch neue Sichtweisen und philosophisches
Interesse entdeckte ich immer wieder Neues in der Lektüre und genoss die Verbindung von
Literatur und Philosophie. Eben diese Verbindung soll Thema dieser Arbeit sein, in die auch
Ergebnisse aus der von mir verfassten Seminararbeit Die Krux mit dem Horkrux – Harry
Potter und die Seele eingeflossen sind, die im Zuge des Seminars ‚Philosophie via Literatur‘
am Institut für Philosophie der Karl-Franzens-Universität Graz entstanden ist.
       Gepaart mit einer didaktischen Aufbereitung soll etwas von der Magie und der Freude
am spielerischen Nachdenken an SchülerInnen weitergegeben werden. Ich möchte zeigen,
dass sich durch die Komplexität der von J. K. Rowling erdachten Welt ein Ausflug nach
Hogwarts auch philosophisch lohnt.

„The stories we love best do live in us forever. So, whether you come back by page or by the
big screen, Hogwarts will always be there to welcome you home.“
                                                  – J. K. Rowling bei der Filmpremiere in London von
                                                  Harry Potter und die Heiligtümer des Todes - Teil 2.

8
Zitierweise

Zitierweise
René Descartes' Werke Meditationen über die Erste Philosophie, Bericht über die Methode
und Die Passionen der Seele sowie sein Briefwechsel mit Elisabeth von der Pfalz werden
nach der Ausgabe von Charles Adam und Paul Tannery (Œuvres de Descartes, 1897-1913)
zitiert. Die Angabe ‚AT VII, 2‘ bezieht sich dabei auf die zweite Seite des siebten Bandes.

Die deutschen Übersetzungen werden herangezogen aus:
   •   Sabrina Ebbersmeyer (Hrsg.): Der Briefwechsel zwischen Elisabeth von der Pfalz und
       René Descartes. Paderborn: Fink 2015. (= Humanistische Bibliothek. Texte und Ab-
       handlungen. Reihe II. Bd. 39.) Im Folgenden zitiert als: Descartes, Briefe. [AT III.]
   •   René Descartes: Discours de la Méthode pour bien conduire sa raison et chercher la
       vérité dans les sciences. Bericht über die Methode, die Vernunft richtig zu führen und
       die Wahrheit in den Wissenschaften zu erforschen. Französisch/Deutsch. Übers. u.
       hrsg. v. Holger Ostwald. 2., bibl. erg. Aufl. Stuttgart: Reclam 2019. (= Reclams
       Universal-Bibliothek. Nr. 18100.) Im Folgenden zitiert als: Descartes, Disc. [AT VI.]
   •   René Descartes: Meditationes de Prima Philosophia. Meditationen über die Erste
       Philosophie. Lateinisch/Deutsch. Übers. u. hrsg. v. Gerhart Schmidt. Stuttgart:
       Reclam 1986. (= Reclams Universal-Bibliothek. Nr. 2888.) Im Folgenden zitiert als:
       Descartes, Med. [AT VII.]
   •   René Descartes: Die Passionen der Seele. Übers. u. hrsg. v. Christian Wohlers.
       Hamburg: Meiner 2014. (= Philosophische Bibliothek. Bd. 663.) Im Folgenden zitiert
       als: Descartes, Pass. [AT XI.]

                                                                                               9
Abkürzungen

Abkürzungen
AHS    Allgemeinbildende höhere Schule
AK     Argumentationskompetenz
B      Beamer
DIS    Diskussion
DK     Diskurskompetenz
EA     Einzelarbeit
EK     Empathie(-kompetenz)
FK     Fachkompetenz
FU     Frontalunterricht
HK     Handlungskompetenz
HO     Handout
HP     Harry Potter
IK     Interdisziplinäre Kompetenz
KK     Konfliktlösungskompetenz
LP     Lehrperson
L-S-P Leib-Seele-Problematik
MK     Methodenkompetenz
OK     Orientierungskompetenz
PA     PartnerInnen-Arbeit
PK     Personalkompetenz
PÜK    Perspektivenübernahme(-kompetenz)
RK     Reflexionskompetenz
S      Stimme
SK     Sozialkompetenz
SPK    Sprachkompetenz
SuS    Schülerinnen und Schüler
T      Tafel
Tt     Text
TK     Textkompetenz
UG     Unterrichtsgespräch
WK     Wahrnehmungskompetenz

10
Einleitung

    1 Einleitung
Harry Potter ist eines der wichtigsten Werke der Populärkultur: Es unterhält, entführt in an-
dere Welten und ist heutzutage für viele ein nicht unbedeutender Teil ihrer Kindheitserin-
nerungen. Es findet aber auch seinen Weg in die Philosophie(-didaktik), da es eben mehr als
Unterhaltung und Eskapismus zu bieten hat: Der Titel eines Beitrags von Böhnert und Reszke
bringt es auf den Punkt: Nicht-triviale Trivialitäten1 – auf den ersten, oberflächlichen Blick
erscheint es zwar so, aber bei näherem Hinsehen eröffnet sich ungeahntes philosophisches
Potential, das eben alles andere als trivial ist.
          In dieser Arbeit soll durch die Verbindung des populärkulturellen Klassikers Harry
Potter mit dem philosophischen Klassiker der Leib-Seele-Problematik aufgezeigt werden,
wie Populärkultur als Ressource für den Philosophieunterricht herangezogen und nutzbar ge-
macht werden kann, um zu einer sogenannten ‚consummatory experience‘2, also einer erfül-
lenden Erfahrung, zu führen.
          Von dieser Verbindung profitieren die beiden unterschiedlichen Klassiker: Die Leib-
Seele-Problematik stellt zwar eine der zentralen Frage- beziehungsweise Problemstellungen
der Philosophie dar, die nach wie vor in der Forschung behandelt wird, doch in den Philo-
sophieunterricht findet sie trotz vieler Erkenntnismöglichkeiten kaum noch Einzug, was ihrer
Komplexität und Abstraktheit geschuldet ist. Durch die Verbindung mit Harry Potter wird
aber anhand dieses konkreten Beispiels ein leichterer und niederschwelliger Zugang zur Pro-
blematik ermöglicht. Umgekehrt wird durch die Verbindung zur Leib-Seele-Problematik die
Kindheitserinnerung an Harry Potter ins Erwachsenenleben übertragen und um einen philo-
sophischen Gehalt bereichert.
          Da die Leib-Seele-Problematik aber ein so komplexes Thema darstellt, ist für diese
Arbeit eine Schwerpunktsetzung notwendig, die auf den interaktionistisch-substanzdualis-
tischen Zugang gelegt wird.
Ziel dieser Arbeit ist es, ausgearbeitete Vorschläge darzulegen, wie das philosophische
Potential von Harry Potter in Form eines Gedankenexperiments didaktisch genutzt werden

1
     Martin Böhnert/Paul Reszke (Hrsg.): Nicht-triviale Trivialitäten. Popkulturelle Sekundärwelten als
     Gedankenexperimente und ihr erkenntnistheoretischer Nutzen. In: Vom Binge Watching zum Binge
     Thinking. Untersuchungen im Wechselspiel zwischen Wissenschaften und Popkultur. Bielefeld: Transcript
     2019. (= Edition Kulturwissenschaft. Bd. 197.), S. 11-50. Im Folgenden zitiert als: Böhnert/Reszke, Nicht-
     triviale Trivialitäten.
2
     Vgl. Barbara Reiter: Vorlesung ‚Grundfragen der Fachdidaktik Ethikunterricht‘. LV.-Nr.: 501.201. Karl-
     Franzens-Universität Graz: Sommersemester 2021. Folie 10.

                                                                                                            11
Einleitung

kann, um die wichtigsten Aspekte des substanzdualistischen Zugangs zur Leib-Seele-Proble-
matik sinnvoll erarbeiten zu können.

Im ersten Teil, dem theoretischen Teil, werden in Kapitel 2 die zentralen Begriffe der Leib-
Seele-Problematik beschrieben, bevor der Kern der Problematik, die mentale Verursachung,
anhand des Bieri-Trilemmas dargestellt wird. Der Fokus liegt dabei, wie bereits erwähnt, auf
den Argumenten von René Descartes für den interaktionistisch-substanzdualistischen Zugang.
Ebenso werden die sich daraus ergebenden Probleme der psychophysischen Wechselwirkung
besprochen.
       Kapitel 3 widmet sich anschließend voll und ganz Harry Potter. Um den Einstieg zu
erleichtern, wird zunächst der Inhalt zusammengefasst, bevor die Eignung von Harry Potter
für die Philosophie und den Philosophieunterricht besprochen wird. Anschließend wird eine
Sammlung von Text- und Filmausschnitten vorgeschlagen und durch philosophische Über-
legungen ergänzt, mit denen ein Zugang zur Leib-Seele-Problematik sichtbar gemacht und in
Form eines Gedankenexperiments sinnvoll diskutiert werden kann.

Kapitel 4 umfasst den praktischen und größten Teil der Arbeit. In diesem wird auf der
Grundlage der theoretischen Ausführungen eine Unterrichtssequenz konzipiert. Hierzu wird
zunächst ausführlich auf die Planungsschritte – vom Lehrplanbezug bis hin zu den Zielen –
eingegangen und ein prototypischer Verlauf beschrieben. Dieser wird dann um den tatsäch-
lichen Verlauf ergänzt. Danach erfolgt eine Auswertung und eine Überarbeitung der Sequenz.
Abschließend werden die wichtigsten Punkte und Ergebnisse dieser Arbeit zusammengefasst
und es wird ein Ausblick für eine weitere Verwendung von Harry Potter im Philosophie-
unterricht gegeben.

12
Die Leib-Seele-Problematik

    2 Die Leib-Seele-Problematik
Die Leib-Seele-Problematik3 „[…] ist eine der zentralen und hartnäckigsten Fragestellungen
der Philosophie.“4 Warum ist sie aber so hartnäckig? Auf die Kernfrage, in welchem Zusam-
menhang mentale und physische Phänomene zueinander stehen, gibt es zwar viele zum Teil
widersprüchliche Erklärungsversuche, doch diese werfen mehr Fragen auf, als sie beantwor-
ten. Was mit den Ausführungen in Platons Phaidon begonnen und durch René Descartes
neuen Aufschwung erhalten hat, wird noch bis heute rege diskutiert. Neue Erkenntnisse und
Errungenschaften der Einzelwissenschaften haben zwar weitere Zugänge zur Problemstellung
ermöglicht, doch sie haben das Feld um die Leib-Seele-Problematik eher erweitert, als der
Kernfrage dabei näher zu kommen – eben diese zahlreichen und unterschiedlichen Blickwin-
kel mit ihren Vor- und Nachteilen machen den Reiz der Leib-Seele-Problematik aus.
Zusätzlich zu den verschiedenen Zugängen mit ihren eigenen Grundannahmen wird die
Beschäftigung mit der Leib-Seele-Problematik auch noch dadurch erschwert, dass es nach
wie vor keine eindeutige Charakterisierung des Mentalen gibt.

Um sich der Leib-Seele-Problematik nun annähern zu können, soll zunächst eine Definition
der einzelnen Begriffe erfolgen, aus denen sich der Ausdruck ‚Leib-Seele-Problematik‘ zu-
sammensetzt. Anschließend wird die Problematik anhand des Bieri-Trilemmas umrissen und
ein kurzer Überblick über mögliche Zugänge gegeben, bevor abschließend der Fokus auf den
interaktionistischen Substanzdualismus von René Descartes gelegt wird.

    2.1 Leib oder Körper, Seele oder Geist?
Bevor die zentralen Begriffe definiert werden können, muss zunächst geklärt werden, um
welche Begriffe es sich dabei handelt, da diese auch in der Fachliteratur nicht einheitlich
verwendet werden. Dies zeigt sich schon bei ihrer allgemeinen Bezeichnung: Neben der
klassischen Bezeichnung ‚Leib-Seele-Problematik‘ wird sie in neueren Ausführungen oftmals
auch ‚Körper-Geist-Problematik‘ genannt, da die Begriffe ‚Leib‘ und ‚Seele‘ in die Irre
führen können. Nach Beckermann könne die Verwendung von ‚Leib‘ beispielsweise durch

3
      Die wichtigsten Begriffe der Leib-Seele-Problematik werden im Glossar ab S. 82 beschrieben.
4
      Godehard Brüntrup: Das Leib-Seele-Problem. Eine Einführung. Stuttgart/Berlin/Köln: Kohlhammer 1996,
      S. 7. Im Folgenden zitiert als: Brüntrup, Leib-Seele-Problem.

                                                                                                      13
Die Leib-Seele-Problematik

    den religiösen Leibesbegriff zu Missverständnissen führen, der sowohl den Leib als auch die
    Seele umfasse. Deshalb stelle ‚Körper‘ einen eindeutigeren Begriff dar. Auch die Verwen-
    dung von ‚Seele‘ sei problematisch, da im Deutschen oftmals zwischen ‚Seele‘ und ‚Geist‘
    unterschieden wird, wobei ersteres den emotionalen und letzteres den rationalen Teil be-
    schreibe. Ebenso wird mit ‚Seele‘ oftmals ein unsterblicher Teil des Menschen assoziiert. Es
    müsse eigentlich ein eindeutiger Begriff herangezogen werden, der beide Teilbereiche um-
    fasse. Da es aber in der deutschen Sprache an einem solchen fehle, stelle ‚Geist‘ trotzdem die
    bessere Lösung dar, da dies am ehesten dem englischen ‚mind‘ – von ‚Mind-Body Problem‘,
    entsprechen würde.5
              Newen indessen rät wiederum von den Begriffen ‚Geist‘ und ‚geistige Phänomene‘
    ab, um hier keinerlei Bezug zu Geistern im Sinne von übernatürlichen Wesen zuzulassen. Er
    empfiehlt den Begriff ‚mentale Phänomene‘.6

    In dieser Arbeit wird der klassische Ausdruck ‚Leib-Seele-Problematik‘ beibehalten, doch auf
    den Einzelausdruck ‚Leib‘ wird verzichtet. Zu ‚Körper‘ werden die Begriffe ,Physisches‘ und
    ‚physische Phänomene‘ synonym verwendet. Unter ‚Seele‘ soll der rationale und emotionale
    Bereich verstanden werden. Er wird zum einen bei der Rezeption aus der Fachliteratur
    übernommen und zum anderen bei der Verbindung mit Harry Potter verwendet. Ansonsten
    wird Newens Vorschlag berücksichtigt, die Begriffe ‚Mentales‘ und ‚mentale Phänomene‘ zu
    verwenden.

5
         Vgl. Ansgar Beckermann: Analytische Einführung in die Philosophie des Geistes. 3., aktual. u. erw. Aufl.
         Berlin/New York: De Gruyter 2008, S. 4. Im Folgenden zitiert als: Beckermann, Analytische Einführung.
6
         Vgl. Albert Newen: Philosophie des Geistes. Eine Einführung. München: Beck 2013, S. 14. Im Folgenden
         zitiert als: Newen, Philosophie des Geistes.

    14
(Problematische) Definitionen

    2.2 (Problematische) Definitionen
    2.2.1 Das Physische, der Körper
Im Fokus der Leib-Seele-Problematik steht zwar das Mentale, aber zur Vollständigkeit soll
auch das Physische kurz definiert werden, was sich auch recht einfach gestaltet: Es zeichnet
sich durch seine Funktionen aus, wie beispielsweise durch Atmung, Verdauung oder Fort-
pflanzung. Als ‚Physisches‘, ‚physisches Phänomen‘ und ‚Körper‘ soll im Folgenden alles
bezeichnet werden, auf das sich die Physik, die Chemie und die Biologie beziehen7.

    2.2.2 Das Mentale
Wirft man einen Blick auf Gefühle, Wünsche, Hoffnungen oder Gedanken, so unterscheiden
sie sich von physischen Phänomenen wie Atmung oder Verdauung. Die Beantwortung der
Frage, wodurch sich all diese mentalen Phänomene auszeichnen und sich klar von den phy-
sischen abgrenzen, gestaltet sich aber als schwierig. Es wurden zwar viele Versuche unter-
nommen, ein übergreifendes Merkmal für alle mentalen Phänomene zu finden, doch gelun-
gen ist es bisher nicht, da keine Eigenschaft allen gerecht werden konnte. Mögliche
Kandidaten dafür sind beispielsweise die Bewusstheit, die Unkorrigierbarkeit, die Intenti-
onalität, die Nicht-Räumlichkeit und die Privatheit. Zur Veranschaulichung wird anhand die-
ser gezeigt, weshalb sie zwar Merkmale des Mentalen darstellen, sich aber nicht als über-
greifendes eignen:8

Mentale Zustände sind bewusst – man weiß, in welchem mentalen Zustand man gerade ist.
Bei vielen mentalen Zuständen kann man klar erkennen, das man sich auch in diesem
befindet: Man ist sich zum Beispiel bewusst, traurig zu sein und trifft deshalb die bewusste
Entscheidung, etwas dagegen zu tun.
          Es kann aber auch sein, dass sich die Beweggründe, zu handeln, aus unterbewussten
Zuständen ergeben, die nicht direkt einsehbar sind – daher eignet sich die Bewusstheit nicht
als übergreifendes Merkmal.

Das Mentale ist unkorrigierbar – man kann sich nicht darin irren, in welchem mentalen
Zustand man sich gerade befindet.
7
      Vgl. Franz von Kutschera: Philosophie des Geistes. Paderborn: Mentis 2009, S. 15. Im Folgenden zitiert als:
      Kutschera, Philosophie des Geistes.
8
      Vgl. Beckermann, Analytische Einführung, S. 9ff. Und Newen, Philosophie des Geistes, S. 11ff.

                                                                                                              15
Die Leib-Seele-Problematik

    Ein unkorrigierbarer Zustand des Mentalen stellt beispielsweise Schmerz dar – man ist sich
    über das eigene Schmerzempfinden gewiss und niemand kann einen darin korrigieren9.
              Die Unkorrigierbarkeit setzt aber die zuvor beschriebene Bewusstheit mentaler Zu-
    stände voraus. Da es aber eben auch unbewusste Zustände des Mentalen gibt, besteht hier die
    Möglichkeit, sich über diese zu irren und daher handelt es sich dabei um korrigierbare
    Zustände. Deshalb stellt die Unkorrigierbarkeit ebenso wie die Bewusstheit kein allgemeines
    Merkmal für Mentales dar.

    Mentale Zustände sind intentional – jeder mentale Zustand hat einen Bezugspunkt.
    Das Merkmal der Intentionalität trifft auf viele mentale Zustände zu, wie beispielsweise auf
    Schmerz, der sich auf eine Wunde bezieht, oder Liebe, die auf eine Person gerichtet ist.
              Der mentale Zustand der Langeweile hat aber beispielsweise keinen Bezugspunkt.
    Man könnte sogar sagen, dass Langeweile eine explizite Nicht-Gerichtetheit darstellt – sie
    hat zwar eine Ursache aber eben keinen Referenzpunkt, weshalb sich die Intentionalität auch
    nicht als Kernmerkmal für das Mentale eignet.

    Mentale Phänomene sind nicht-räumlich – sie nehmen keinen Platz im Raum ein.
    Wenn das Mentale als Gegensatz zu Physischem verstanden und dem Physischen eine Aus-
    dehnung im Raum zugesprochen wird, dann erscheint es naheliegend, dass dies auf das
    Mentale nicht zutrifft. Ein Arm ist ausgedehnt, ein Gedanke nicht.
              Das Kriterium der Nicht-Räumlichkeit wäre nur sinnvoll, wenn es sich bei Mentalem
    um einen Bereich von Gegenständen handeln würde. Da es sich dabei aber um Zustände
    handelt, ist ein Vergleich mit Gegenständen sinnlos – ebenso wie einem Zustand räumliche
    Ausdehnung zusprechen zu wollen. Daher ist die Nicht-Räumlichkeit als allgemeines men-
    tales Merkmal ebenfalls ungeeignet.10

    Mentale Zustände sind privat – sie sind nur einem selbst zugänglich.
    Versteht man unter der Privatheit des Mentalen einen besonderen Zugang, der sich nur einem
    selbst erschließt, kann man beispielsweise behaupten: Mir allein ist mein Schmerz bewusst;
    niemand sonst kann meinen mentalen Zustand des Schmerzes einsehen. Andere können zwar
    den gleichen Schmerz fühlen, aber nicht denselben.
9
         Vgl. Brüntrup, Leib-Seele-Problem, S. 15.
10
         Kutschera, Philosophie des Geistes, S. 205f.

    16
(Problematische) Definitionen

          Dagegen spricht aber die Fähigkeit der Empathie, sich also bis zu einem gewissen
Grad in eine andere Person und beispielsweise deren Schmerz hineinversetzen zu können.
Empathie kann quasi als „Ausdehnung der Innenperspektive auf Fremdseelisches“ 11 gesehen
werden, wodurch das erlebte und das beobachtete mentale Phänomen in einigen Fällen näher
zusammenrücken. Dadurch kann gegen die durchgängige Privatheit des Mentalen argumen-
tiert werden.

Diese Auswahl der Möglichkeiten ist nur exemplarisch12, reicht aber dennoch aus, um zu
verdeutlichen, dass es zahlreiche Merkmale gibt, die auf viele mentale Zustände zutreffen,
aber eben nicht auf alle. Sie helfen aber alle dabei, den Begriff des Mentalen zu umreißen.
          Ein allgemeines Merkmal, das nicht kritisiert werden kann, kann also nicht aufgezeigt
werden, weshalb hier auf die Grobeinteilung nach Newen in Wahrnehmen, Fühlen und Den-
ken als Grundannahme für das Mentale zurückgegriffen wird13.

 2.2.3 Die philosophische und didaktische Problematik
Ein Problem beziehungsweise eine Problematik beschreibt allgemein „eine wissenschaftliche
Frage, deren Beantwortung Schwierigkeiten bereitet.“ 14 Im Unterricht empfiehlt es sich aber,
diesen Begriff schärfer von herkömmlichen Fragestellungen abzugrenzen: Nach Engels wä-
ren somit nur solche Fragen auch ein Problem, bei denen sich eine überschaubare Menge an
Zugängen oder Lösungen mit gegensätzlichem Inhalt gegenüberstehen. Diese Eingrenzung
lenke die Aufmerksamkeit auf die gegensätzlichen Thesen und ihr Verhältnis.15

11
     Ebda, S. 33.
12
     Auch Emotionen stellen ein mögliches Merkmal des Mentales dar, die Darstellung würde aber aber über
     dieser Arbeit hinausgehen.
13
     Vgl. Newen, Philosophie des Geistes, S. 9f.
14
     Arnim Regenbogen/Uwe Meyer (Hrsg.): Wörterbuch der philosophischen Begriffe. Begr. v. Friedrich
     Kirchner u. Carl Michaёlis. Fortges. v. Johannes Hoffmeister. Hamburg: Meiner 2013. (= Philosophische
     Bibliothek. Bd. 500.), S. 526. Im Folgenden zitiert als: Regenbogen/Meyer, Wörterbuch der philosophischen
     Begriffe.
15
     Vgl. Helmut Engels: Vorschlag, den Problembegriff einzugrenzen. In: Zeitschrift für Didaktik der
     Philosophie (ZDP). Heft 3/1990. Hannover: Schroedel 1990, S. 126-134: 127.

                                                                                                           17
Die Leib-Seele-Problematik

 2.3 Zugänge zur Leib-Seele-Problematik
 Den Kern der Leib-Seele-Problematik bildet die Frage, in welchem Verhältnis mentale und
 physische Phänomene zueinander stehen. Hier gibt es eine Vielzahl an möglichen und auch
 widersprüchlichen Zugängen, die sich anhand des Bieri-Trilemmas anschaulich darstellen
 lassen. Den Ausgangspunkt bilden die folgenden Behauptungen:

           (1)      Mentale Phänomene sind nicht-physische Phänomene.
           (2)      Mentale Phänomene sind im Bereich physischer Phänomene kausal wirksam.
           (3)      Der Bereich physischer Phänomene ist kausal [und lückenlos] geschlossen.16

 Behauptung (1) ist die These des Dualismus, die besagt, dass das Mentale von völlig anderer
 Art ist als das Physische, woraus sich zwei Bereiche des Seienden ergeben. Die These der
 mentalen Verursachung – Behauptung (2) – drückt aus, dass mentale Phänomene eine Wir-
 kung auf physische Phänomene haben können. Behauptung (3), die These der Geschlossen-
 heit, sagt aus, dass sich physische Phänomene ausschließlich aus anderen physischen Phäno-
 menen ergeben.17 Für sich gelesen, erscheint jede Behauptung nachvollziehbar, doch
 zusammengenommen ergeben sie einen logischen Widerspruch. Daher muss man, wie bei
 einem Trilemma üblich, durch die Annahme von zwei Überzeugungen die dritte logisch
 ausschließen. Je nachdem, welche These negiert wird, lässt sich ein anderer Zugang zur Leib-
 Seele-Problematik darstellen18:

 Negation von Behauptung (1): Sind mentale Phänomene in einer kausalen und lückenlosen
 Welt (3) wirksam (2), kann die Behauptung, dass es sich dabei um nicht-physikalische
 Phänomene handelt (1), nicht mehr aufrecht erhalten werden. Diese Auffassung wird von
 MaterialistInnen vertreten: Alle Phänomene sind physischer Natur. Die Existenz von Men-
 talem wird zwar nicht geleugnet, aber sie ist entweder auf etwas Physisches zurückzuführen
 oder stellt sich schlussendlich doch als etwas Physisches heraus. Der Materialismus gilt heute
 als plausibelster Zugang zur Leib-Seele-Problematik, was er sicherlich auch seiner einheit-
 lichen Darstellung der Wirklichkeit durch die Physik zu verdanken hat.19
16
      Peter Bieri (Hrsg.): Analytische Philosophie des Geistes. 4., neu ausgest. Aufl. Weinheim/Basel: Beltz 2007,
      S. 5. Im Folgenden zitiert als: Bieri, Analytische Philosophie des Geistes.
17
      Vgl. Newen, Philosophie des Geistes, S. 14f.
18
      Vgl. Bieri, Analytische Philosophie des Geistes, S. 7ff.
19
      Vgl. Kutschera, Philosophie des Geistes, S. 137.

 18
Zugänge zur Leib-Seele-Problematik

Negation von Behauptung (2): Nimmt man an, dass die physikalische Welt kausal und
lückenlos geschlossen ist (3) und es sich bei mentalen Phänomenen um nicht-physische Phä-
nomene handelt (1), so können diese in der physischen Welt nicht wirksam sein (2). Diese
Auffassung wird in den Theorien des Epiphänomenalismus und des Parallelismus vertreten.
       EpiphänomenalistInnen gehen davon aus, dass das Mentale lediglich ein beobacht-
bares Randphänomen darstellt, das aber keinerlei Wirkung auf die physische Welt hat. Um
sich dies besser vorstellen zu können, wird das Mentale gerne mit dem Pfeifen einer Loko-
motive verglichen: Das Pfeifen ergibt sich aus den mechanischen/physikalischen Vorgängen
der Lok, hat aber im Umkehrschluss keinen Einfluss auf die Lok. Besteht aber dennoch ein
Einfluss, muss dieser auch auf etwas Physisches zurückzuführen sein – die Begründung dafür
wurde bisher nur noch nicht gefunden. Wenn das Mentale aber keinerlei Einfluss auf das
Physische hat, würde dies bedeuten, dass das Physische auch ohne das Mentale in der glei-
chen Form existiert, was aber paradox erscheint.
       ParallelistInnen nehmen, wie der Name schon vermuten lässt, an, dass mentale und
physische Phänomene parallel ablaufen, es aber keine kausale Verbindung zwischen den bei-
den Bereichen gibt. Das Mentale und das Physische kann mit zwei Uhren verglichen werden:
In der „mentalen Uhr“ herrschen kausale Beziehungen zwischen den mentalen Phänomenen
und in der „physischen Uhr“ zwischen den physischen. Da beide Uhren synchron laufen, hat
es den Anschein, dass auch zwischen den beiden eine solche kausale Beziehung besteht – es
handelt sich aber lediglich um einen zufälligen Zusammenhang. Hieran wäre zu kritisieren,
dass nicht alle mentalen Phänomene ausschließlich durch andere mentale Phänomene verur-
sacht werden: Die Absicht, wegen Schmerzen zum Arzt zu gehen, lässt sich nicht allein durch
mentale Phänomene erklären, da dabei auf physischen Schmerz Bezug genommen wird.

Negation von Behauptung (3): Verneint man die kausal und lückenlos geschlossene Welt (3),
so können mentale Phänomene als nicht-physische Phänomene (1) auf die physische Welt
kausal wirken (2). Diese Sichtweise wird durch den interaktionistischen Substanzdualismus
vertreten, auf den im nächsten Abschnitt ausführlich eingegangen wird.

                                                                                        19
Die Leib-Seele-Problematik

 2.4 Der interaktionistische Substanzdualismus
 Die grundlegende Auffassung des interaktionistischen Substanzdualismus ist, dass Mentales
 und Physisches grundverschieden sind und unabhängig voneinander existieren können. Den-
 noch können sie sich gegenseitig beeinflussen.

 Beckermann formuliert folgende Thesen, die für die substanzdualistische Sicht charakteris-
 tisch sind:

           (I)      Der Mensch besteht nicht nur aus einem Körper, sondern einem Körper und
                    einer Seele.
           (II)     Die Seele macht das eigentliche Selbst eines Menschen aus. Sie (und damit der
                    Mensch) ist für ihre Existenz auf keinen Körper angewiesen.
           (III)    Körper und Seele des Menschen sind nur während seines Erdenlebens
                    zusammengespannt; beim Tode löst sich die Seele vom Körper.
           (IV)     Während der Körper vergänglich ist, ist die Seele unsterblich.20

 Interaktionistische SubstanzdualistInnen vertreten zudem folgende These:

           (V)      Zwischen den Substanzen kommt es zu einer Interaktion, der sogenannten
                    psychophysischen Wechselwirkung.

 Der wichtigste Vertreter des interaktionistischen Substanzdualismus ist René Descartes. Er
 geht davon aus, dass eine Person, ein Ich, aus zwei Substanzen besteht: der Seele und dem
 Körper. Die Seele ist die res cogitans, das denkende Ding, und der Körper die res extensa,
 das ausgedehnte Ding. Unter einer Substanz ist etwas unabhängig Existierendes zu verstehen,
 das gewisse Eigenschaften aufweist, selbst aber keine Eigenschaft ist.21 Nachdem Descartes
 in seiner ersten Meditation alles anzweifelt, was bis dahin als gewiss erschien, ist er in der

20
      Beckermann, Analytische Einführung, S. 20.
21
      Vgl. Kutschera, Philosophie des Geistes, S. 16.

 20
Der interaktionistische Substanzdualismus

zweiten Meditation auf der Suche nach etwas Nicht-Anzweifelbarem, das dem von ihm
formulierten Traum- und Böser-Dämon-Argument22 standhalten kann.23
Descartes versucht die unbezweifelbare Existenz des Ichs, des denkenden Dings, anhand des
Existo-Arguments zu beweisen. Er zeigt auf, dass die Aussage ‚Ich existiere‘ als epistemische
Notwendigkeit, also ausschließlich auf der Grundlage der Erkenntnis einer Person zu einem
bestimmten Zeitpunkt, die Existenz des Ichs auch ohne Prämissen beweise, allein dadurch,
dass die Aussage gedacht werde. Dabei handelt es sich um eine sogenannte wahrheitsauto-
nome Aussage, die sich auf nichts außerhalb des eigenen Ichs bezieht und allein durch die
Tatsache, dass sie eben gedacht wird, auch wahr sein muss24:

         Zweifellos bin also auch Ich, wenn er [der sehr schlauer Betrüger/Dämon] mich täuscht; mag er mich
         nun täuschen, soviel er kann, so wird er doch nie bewirken können, daß [sic!] ich nicht sei, solange ich
         denke, ich sei etwas. Nachdem ich so alles genug und übergenug erwogen habe, muß [sic!] ich
         schließlich festhalten, daß [sic!] der Satz »Ich bin, Ich existiere«, sooft ich ihn ausspreche oder im
         Geiste auffasse, notwendig wahr sei.25

Descartes' Feststellung, dass er als denkendes Ich existiert, bildet den Ausgangspunkt für sein
weiteres Vorhaben, die vom Körper unabhängige Existenz dieses Ichs zu beweisen. Diesen
Beweis erbringt er im metaphysischen und naturphilosophischen Argument.

 2.4.1 Das metaphysische Argument
Descartes weiß nun, dass er als ein denkendes Ich existiert, aber über die Natur dieses den-
kenden Dings, geschweige denn, ob dazu auch körperliche Eigenschaften zählen, weiß er
nichts. Dies ändert er in der sechsten Meditation: Er zeigt anhand des sogenannten meta-
physischen Arguments auf, dass das denkende Ich keine körperlichen Eigenschaften aufweist
und daher auch unabhängig vom Physischen existieren kann.26
22
     Das Argument der Sinnestäuschung wird hier nicht weiter beachtet, da es sich um ein klassisches Beispiel
     für eine falsche Folgerung aus wahren Prämissen handelt: Wenn die Sinne manchmal täuschen, täuschen sie
     uns immer. Descartes schränkt sein Argument auch selbst wieder ein und bezieht sich dabei nur auf kleine
     und weit entfernte Dinge.
23
     Vgl. Gregor Betz: Descartes' »Meditationen über die Grundlagen der Philosophie«. Ein systematischer
     Kommentar. Stuttgart: Reclam 2011. (= Reclams Universal-Bibliothek. Nr. 18828.), S. 57.
24
     Vgl. Andreas Kemmerling: Die erste moderne Konzeption mentaler Repräsentation. In: Seele, Denken,
     Bewusstsein. Zur Geschichte der Philosophie des Geistes. Hrsg. v. Uwe Meixner u. Albert Newen.
     Berlin/New York: De Gruyter 2003, S. 153-196: 155ff. Im Folgenden zitiert als: Kemmerling, Konzeption
     mentaler Repräsentation.
25
     Descartes, Med. II, 3. [AT VII, 25.]
26
     Vgl. Kemmerling, Konzeption mentaler Repräsentation, S. 157ff.

                                                                                                              21
Die Leib-Seele-Problematik

 Descartes formuliert dies so:
          Erstens weiß ich, daß [sic!] alles, was ich klar und deutlich einsehe, von Gott so geschaffen sein könnte,
          wie es sich mir darstellt; wenn ich daher ein Ding klar und deutlich ohne ein anderes zu erkennen ver -
          mag, so genügt dies, um mich zu vergewissern, daß [sic!] die beiden wirklich verschieden sind, da sie
          wenigstens jedes für sich von Gott gesetzt werden können. Es kommt nicht darauf an, wodurch die Un -
          terscheidung möglich wird. Ich weiß von meiner Existenz und schreibe gar nichts anderes meiner Natur
          oder meinem Wesen zu, als daß [sic!] ich ein denkendes Ding sei; daraus schließe ich mit Recht, daß
          [sic!] mein Wesen allein darin besteht, ein denkendes Ding zu sein.
          Zwar habe ich vielleicht (bald werde ich sagen können: gewiß [sic!]) einen Körper, mit dem ich aufs
          innigste verbunden bin. Denn einerseits habe ich doch eine klare und deutliche Vorstellung meiner
          selbst, sofern ich lediglich denkendes, nicht ausgedehntes Ding bin; andererseits habe ich eine deutliche
          Vorstellung vom Körper, sofern er lediglich ausgedehntes, nicht denkendes Ding ist. Somit ist sicher,
          daß [sic!] ich wirklich vom Körper verschieden bin und ohne ihn existieren kann.27

 Komprimiert lassen sich Descartes' Argumentationsschritte so darstellen28:

           (A)      Alles, was man einsehen kann, kann von Gott so gemacht worden sein.
           Also:
           (B)      Das, was eingesehen werden kann, ist auch möglich.
           (C)      Es kann eingesehen werden, dass das Ich unabhängig vom Körper existiert.
           (D)      Es kann eingesehen werden, dass der Körper mit der Eigenschaft ‚ausgedehnt‘
                    ohne die Eigenschaft ‚denkend‘ des Ichs existieren kann.
           Daher ergibt sich durch (B):
           (E)      Das Ich kann ohne den Körper existieren.
           (F)      Der Körper kann mit der Eigenschaft ‚ausgedehnt‘ ohne die Eigenschaft
                    ‚denkend‘ des Ichs existieren.
           Also:
           (G)      Das Ich ist von anderer Natur als der Körper und kann ohne diesen existieren.

 Alles Einsehbare kann von Gott so geschaffen sein (A), weshalb alles Einsehbare auch mög-
 lich ist (B). Ebenso kann man einsehen, dass das denkende Ich unabhängig vom Körper exis-
 tieren kann (C) und auch, dass der ausgedehnte Körper ohne das denkende Ich existiert (D).
 Aus (B), dass alles, was einsehbar ist, auch möglich ist, ergibt sich somit, dass das Ich ohne
27
      Descartes, Med. VI, 9. [AT VII, 78.]
28
      Vgl. Beckermann, Analytische Einführung, S. 31.

 22
Der interaktionistische Substanzdualismus

Körper existiert (E) und der Körper ohne das Ich (F). Daraus folgt, dass das denkende Ich
und der ausgedehnte Körper völlig verschieden sind (G).

Somit ist für Descartes erwiesen, dass das Ich als eigenständiges, denkendes Ding existiert.
Es gibt aber noch ein weiteres Argument, das sogenannte naturphilosophische Argument, das
ebenso für die unabhängige Existenz der Seele spricht.

 2.4.2 Das naturphilosophische Argument
Im Bericht über die Methode beweist Descartes die vom Körper unabhängige Seele, indem er
den Menschen bestimmte mentale Eigenschaften zuschreibt, die Tiere und Maschinen nicht
besitzen können. Er schreibt:

         […] wenn es solche Maschinen gäbe, die die Organe und die äußere Gestalt eines Affen oder irgend -
         eines anderen vernunftlosen Tieres hätten, wir kein Mittel besäßen, um zu erkennen, dass sie nicht im
         allem die gleiche Natur wie die Tiere aufwiesen. Wenn es dagegen welche gäbe, die unseren Körpern
         ähnelten und unsere Handlungen, soweit dies für die Maschine praktisch möglich ist, imitierten, so
         hätten wir immer noch zwei sehr sichere Mittel, um zu erkennen, dass sie deswegen noch keine wirk -
         lichen Menschen sind: Erstens könnten sie niemals Worte oder andere Zeichen zusammensetzen, um sie
         zu benutzen, wie wir es tun, um anderen unsere Gedanken darzulegen. […] [Man kann sich nicht vor-
         stellen], dass sie [die Maschine] die Worte verschiedenartig zusammenfügt, um auf die Bedeutung all
         dessen zu antworten, was in ihrer Gegenwart gesagt werden mag, wie es die stumpfsinnigsten Menschen
         machen können. Zweitens werden sie, obwohl sie manche Dinge ebenso gut oder vielleicht besser als
         irgendeiner von uns verrichten, unzweifelhaft in manchen anderen versagen, durch die man entdecken
         würde, dass sie nicht durch Erkenntnis handelten, sondern nur gemäß der Disposition [Einrichtung] ihrer
         Organe. Denn im Gegensatz zur Vernunft, die ein universales Instrument ist und bei allen Arten von
         Fällen dienlich sein kann, brauchen diese Organe irgendeine besondere Disposition [Einrichtung] für
         eine besondere Handlung, weshalb es praktisch unmöglich ist, dass es hiervon genügend verschiedene in
         einer Maschine gibt, um sie in allen Lebenslagen auf die gleiche Weise handeln zu lassen, wie die
         Vernunft uns [Menschen] handeln lässt.29

Bei diesem Argument sind Descartes' Argumentationsschritte nicht mehr so eindeutig und
leicht erkennbar wie beim metaphysischen Argument, weshalb Beckermann die allgemeine
Richtung der Argumentation folgendermaßen rekonstruiert30:

29
     Descartes, Disc. 5,10. [AT VI, 56f.]
30
     Vgl. Beckermann, Analytische Einführung, S. 32 u. 35f.

                                                                                                             23
Die Leib-Seele-Problematik

       (a)     Menschen können sprechen und intelligent handeln.
       (b)     Eine Maschine [oder ein Tier] verfügt nicht über Sprache (b1) und
               intelligentes Handeln (b2), wenn sich ihr Verhalten allein aus den
               Naturgesetzen ihrer Teile ergibt.
       Also:
       (c)     Die Seele ist dafür verantwortlich, dass Menschen sprechen und intelligent
               handeln können. Diese Seele kann nichts Physisches sein.

Bei diesem Argument müssen zunächst die Fähigkeiten näher betrachtet werden, die
Descartes ausschließlich dem Menschen zuschreibt: Er kann sprechen und intelligent handeln
(a). ‚Sprechen‘ meint aber nicht die Artikulation und Wiederholung von Worten, sondern
vielmehr ihre Rekombination, um sich anderen bewusst mitzuteilen. Zwar können auch Ma-
schinen oder Tiere Sprache verwenden, aber nur, um eine Reaktion des Gegenübers zu
erwirken (b1), was aber nicht mit dem Mitteilen von Gedanken verwechselt werden darf.
Zum anderen sind nur Menschen in der Lage, intelligent zu handeln: Zwar ist es durchaus
möglich, dass eine Maschine eine ihr gestellte Einzelaufgabe besser lösen kann als ein
Mensch, doch sie kann nur diese oder Aufgaben derselben Art lösen (b2), während der
Mensch sich durch seine Intelligenz grundsätzlich an jeder Aufgabe zumindest versuchen
kann. Da diese beiden Fähigkeiten nicht auf Physisches zurückzuführen sind, müssen sie Teil
der Seele sein, die eben nur ein Mensch besitzen kann (c).

Descartes bestärkt durch dieses zweite Argument seine Position und zieht nun auch eine klare
Grenze zwischen Mensch und Tier/Maschine. Doch Descartes' Argumentation wirft im wei-
teren Verlauf auch Probleme auf, wie das der psychophysischen Wechselwirkung – dem zen-
tralen Kritikpunkt am interaktionistischen Substanzdualismus.

2.4.3 Die Wechselwirkung der Substanzen und ihre Probleme
Wer behauptet, dass das Mentale und das Physische zwei unterschiedliche aber sich gegen-
seitig beeinflussende Substanzen darstellen, muss sich auch den Fragen der psychophy-
sischen Wechselwirkung stellen: Wie ist eine kausale Wechselwirkung zwischen dem Men-
talen und Physischen möglich? Wie kann es sein, dass ein rein denkendes aber nicht ausge-
dehntes Ich einen rein ausgedehnten aber nicht denkenden Körper beeinflusst und umge-

24
Der interaktionistische Substanzdualismus

kehrt? Und vor allem, an welcher Stelle im Körper berühren sich die Substanzen, sodass es
zu einer Beeinflussung kommen kann?
Aus der interaktionistischen Sicht verursachen mentale Phänomene wie Wünsche und Über-
zeugungen eine willentliche Handlung des Körpers, wobei es sich aber um keine direkte
Verursachung handelt, d.h. das Mentale bewegt nicht direkt einen Arm oder ein Bein. Viel-
mehr wird die Wechselwirkung in einem bestimmten Areal im Gehirn vermutet.
         Auch Descartes argumentiert für eine gegenseitige Verursachung im Gehirn. Während
er in den Meditationen noch keine Antwort auf die Frage nach der Wechselwirkung gibt und
lediglich die Vermutung aufstellt, „daß [sic!] der Geist nicht von allen Teilen des Körpers
unmittelbar Eindrücke empfängt, sondern nur vom Gehirn, vielleicht sogar nur von einem
ganz kleinen Teil desselben, nämlich von dem, welcher Sitz des Gemeinsinns sein soll.“ 31,
holt er dies in Die Passionen der Seele nach. Er verortet die Wechselwirkung in der Zirbel-
drüse:

         Es gibt im Gehirn eine kleine Drüse, in der die Seele ihre Funktionen ganz besonders ausübt, mehr als
         in den anderen Teilen
         Es ist nötig zu wissen, daß [sic!] es im Körper, auch wenn die Seele mit dem gesamten Körper verbun-
         den ist, gleichwohl einen Teil gibt, in dem sie ganz besonders ihre Funktionen mehr als in allen anderen
         ausübt. […] [Es ist] allein der innerste Teil des Gehirns, nämlich eine gewisse sehr kleine, in der Mitte
         seiner Substanz gelegene Drüse, die solcherart oberhalb der Leitung aufgehängt ist, durch die die Spiri-
         tus [animales] seiner vorderen Hohlräume Kommunikation mit denen der hinteren haben, daß [sic!] die
         geringsten Bewegungen in dieser Drüse viel ausrichten können, um den Lauf dieser Spiritus [animales]
         zu verändern, und umgekehrt die geringsten Veränderungen, die im Lauf der Spiritus [animales] gesche-
         hen, viel ausrichten können, um die Bewegungen dieser Drüse zu verändern.32

Die Zirbeldrüse bildet Descartes' Auffassung nach das Zentrum des menschlichen Nerven-
systems. Dieses stellt er sich wie ein kleines Röhrensystem vor, durch das sich der sogenannte
spiritus animales, der Lebensgeist33, bewegt und in der Zirbeldrüse mit kleinstem Kraftauf-
wand Einfluss auf den Körper nehmen kann. Durch das physikalische Energieerhaltungs-
prinzip kann diese These aber nicht aufrecht erhalten werden. Dies besagt, dass Energie nicht
zerstört und auch nicht erschaffen werden kann. Daher kann der minimale Impuls des Men-
talen als Aktion nicht zu einer größeren/stärkeren Reaktion des Körpers führen. Descartes ist
31
     Descartes, Med. VI, 20. [AT VII, 86.]
32
     Descartes, Pass. 31. [AT XI, 351f.]
33
     Vgl. Regenbogen/Meyer, Wörterbuch der philosophischen Begriffe, S. 623.

                                                                                                               25
Die Leib-Seele-Problematik

sich dieses Problems zum Teil bewusst und versucht es aufzulösen, in dem er angibt, dass das
Mentale nur die Richtung und nicht die Geschwindigkeit der physischen Handlung vorgebe.
Dies löst das Problem aber auch nicht, da die Richtungsänderung eines Impulses das Gesetz
des Energieerhalts ebenfalls verletzt.34 Zudem wurde später widerlegt, dass die Zirbeldrüse
der Ort der Beeinflussung ist.

Das schwerwiegendste Problem der psychophysischen Wechselwirkung stellt der Zusammen-
hang der Substanzen dar, die in ihrem Wesen verschieden sind. Descartes ist selbst auch der
Meinung, dass die „Ursache ihre Wirkung in gewisser Weise in sich enthalten muss.“35 Also
kann keine Sache auf eine andere Sache wirken, mit der sie sich im Wesen nichts teilt 36. Dies
würde also bedeuten, dass das Mentale, um auf das Physische wirken zu können, selbst etwas
Physisches enthalten müsse, was aber der Wesensverschiedenheit widersprechen würde, für
die Descartes so eindringlich argumentiert. Er gibt in einem Brief an Elisabeth von der Pfalz
auch an, dass sich die Wechselwirkung in der Theorie nicht beschreiben ließe:

          […] [D]ie Dinge, die der Vereinigung der Seele und des Körpers zugehören, […] durch den Verstand
          allein nur dunkel erkannt, selbst durch den von der Vorstellungskraft unterstützten Verstand; sie werden
          jedoch sehr klar durch die Sinne erkannt. Daher kommt es, dass diejenigen, die niemals philosophieren
          und die sich nur ihrer Sinne bedienen, gar nicht daran zweifeln, dass die Seele den Körper bewegt und
          dass der Körper auf die Seele einwirkt, sondern sie halten das eine wie das andere für eine einzige
          Sache, das heißt sie begreifen ihre Vereinigung; denn die Vereinigung zu begreifen, die zwischen zwei
          Dingen besteht, heißt, diese wie ein einziges zu begreifen. Die metaphysischen Gedanken, die den rei-
          nen Verstand üben, dienen dazu, uns den Begriff der Seele vertraut zu machen. Das Studium der Ma -
          thematik, das hauptsächlich die Vorstellungskraft durch das Bedenken von Gestalten und Bewegungen
          übt, gewöhnt uns daran, sehr deutliche Begriffe vom Körper zu bilden. Und indem man schließlich nur
          das Leben lebt und gewöhnliche Gespräche führt und davon absieht, Dinge zu bedenken und zu
          studieren, welche die Vorstellungskraft überschreiten, lernt man, die Vereinigung der Seele und des
          Körpers zu begreifen.37

34
      Vgl. Beckermann, Analytische Einführung, S. 49ff.
35
      Ebda, S. 52f.
36
      Vgl. Kutschera, Philosophie des Geistes, S. 219.
37
      Descartes, Briefe 4. [AT III, 691f.]

 26
Der interaktionistische Substanzdualismus

Descartes führt also an, dass die Wechselwirkung zwischen Mentalem und Physischem beim
Erleben im Alltag zweifelsfrei nachvollziehbar sei – erst in der Theorie ergebe sich die
Schwierigkeit, die Wechselwirkung erfassen und beschreiben zu können.38

 2.5 Zusammenfassung
Die Frage, in welchem Verhältnis das Mentale und das Physische zueinander stehen und wie
sie sich gegenseitig beeinflussen, steht im Mittelpunkt der Leib-Seele-Problematik und stellt
im wahrsten Sinne ein Problem dar, da sie sich hartnäckig einer Beantwortung entzieht. Dass
sich dies so problematisch gestaltet, hat verschiedene Gründe:
          Zum einen muss man, um Mentales und Physisches in Verhältnis zueinander setzen zu
können, wissen, was darunter zu verstehen ist, doch gerade dies erweist sich beim Mentalen
bisher als nicht möglich. Es gibt zwar Merkmale, die auf viele mentale Zustände zutreffen,
aber keines eignet sich als Universalmerkmal. Deshalb muss man sich hier mit einer Annä-
herung an das Mentale, wie beispielsweise mit Wahrnehmen, Fühlen und Denken, begnügen.
          Zum anderen steht sich eine Vielzahl an Zugängen zur Problematik gegenüber, die
sich nicht nur durch ihre Grundannahmen in die Positionen des Monismus und des Dualis-
mus einteilen, sondern sich auch innerhalb von diesen in verschiedene Sichtweisen unter-
gliedern lassen – jede mit ihren eigenen Stärken und Schwächen.
Die interaktionistisch-substanzdualistische Sichtweise, begründet durch René Descartes,
sieht im Mentalen und im Physischen zwei unabhängig existierende und wesensverschiedene
Substanzen, die in Wechselwirkung zueinander stehen. Doch eben diese Wechselwirkung
stellt die größte Schwachstelle dar, da bisher weder der Ort noch die Art und Weise dieser
Wechselwirkung bestimmt werden konnte.
Nichtsdestotrotz bietet der interaktionistische Substanzdualismus plausible und interessante
Erklärungsversuche zu Leib-Seele-Problematik.

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     Vgl. Beckermann, Analytische Einführung, S. 52ff.

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