Häuser, Palisaden - und "Gärten"? - vor über 5000 Jahren Das neolithische Dorf Überlingen-Osthafen
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Häuser, Palisaden – und „Gärten“? – vor über 5000 Jahren Das neolithische Dorf Überlingen-Osthafen Ob schon die jungsteinzeitlichen Bauern der Pfahlbausiedlungen am Boden- see Linsen und Erbsen in Gärten im heutigen Sinne angebaut haben, ist nicht genau zu sagen. Ungeachtet dessen bot die 2021 in Überlingen stattfin- dende Landesgartenschau einen Anlass, die spätestens seit 1935 bekannten Pfahlfeldreste vor Überlingen durch die Landesdenkmalpflege näher zu unter- suchen, um diese besser schützen zu können. Dabei wurden der Erhaltungs- zustand erfasst sowie neues Material für Datierung und Untersuchung der Holzarten geborgen, Funde aus privaten Sammlungen und dem Stadtmuseum Überlingen gesichtet und neu eingeordnet. Die jungsteinzeitliche Siedlung existierte nach ersten Ergebnissen der laufenden dendrochronologischen Ana- lysen ab dem Jahr 3197 v. Chr. Ihr Beginn ist somit etwa 20 Jahre vor der ersten Bauphase der nahegelegenen Seeufersiedlung von Nußdorf-Strandbad anzu- setzen. Im Umfeld, dem heutigen Stadtgebiet, wurden Äcker bewirtschaftet und neben Getreide Lein und Mohn angebaut, wie erste archäobotanische Analysen zeigen. Joachim Köninger/ Sabine Hagmann/ Tanja Märkle/ Elena Marinova/ Oliver Nelle Pfähle vor Überlingen – sein: Auf der von Ludwig Erb angefertigten geo- schon lange bekannt? logischen Spezialkarte von Baden (Blatt Mainau) wird am Ufer vor Überlingen ein ausgedehntes Mit der Landesgartenschau rückten die Überlinger Pfahlbauareal ausgewiesen. Pfahlbauten in den Fokus der Denkmalpflege. Der Bis Anfang der 1990er Jahre basierte das Wissen Bodensee gilt manchen „als Wiege der deutschen zu den Überlinger Seefundstellen auf Angaben der Glossar Gartenbaukunst (…). Schon die Menschen in den Sammler, die seit den 1960er Jahren Funde auf- Brandschicht prähistorischen Pfahlbausiedlungen am See gärt- gelesen hatten und Angaben zu den Fundarealen Eine Kulturschicht, die nerten“ (aus: Sehnsuchtsorte, Magazin der Schlös- machten. Demnach stammte das Fundmaterial überwiegend aus dem ser, Burgen, Gärten und Klöster in Baden-Würt- aus den Flachwasserzonen östlich des 1977 an- Schutt abgebrannter Pfahl- temberg 2020/21). Allerdings dürften die jung- gelegten Osthafens und westlich davon aus dem häuser besteht. steinzeitlichen „Gärten“ kaum dem entsprochen Bereich des heutigen Strandbades. haben, was heute unter einem Garten zu verste- Die zwischen 1993 und 2003 vom Landesdenkmal- Detritus hen ist. amt Baden-Württemberg durchgeführten Prospek- lat. „Abrieb“, bezeichnet Die Überlinger Pfahlbauten standen lange Zeit im tionsmaßnahmen brachten erste Informationen zerfallende organische Schatten der bereits in den 1860er Jahren ent- zur Ausdehnung und zum Zustand der einzelnen Substanzen (Reste von to- ten Pflanzen und Tieren) in deckten Seeufersiedlungen im benachbarten Nuß- Fundstellen. Demnach lassen sich vier Siedlungs- Gewässern im Zustand der dorf und Maurach, die leichter zugänglich und areale unterscheiden (Abb. 1). Kulturschichten und Aufschließung, bildet die durch ihren Fundreichtum wesentlich lukrativer Pfahlfeld in nennenswerter Ausdehnung konnten Matrix der Kulturschichten. waren. Dem Archiv des Überlinger Stadtmuseums indes einzig für die Station Überlingen-Osthafen zufolge dürften die Überlinger Pfahlbauten frü- festgestellt werden (Abb. 2). Die Ufersiedlungen Horgener Kultur hestens in den 1880er Jahren entdeckt worden am Mantelhafen und am Strandbad liegen über- eine jungsteinzeitliche Kul- sein. Frühe Fundvermerke datieren in die 1890er wiegend unter Uferaufschüttungen und sind so- tur zwischen 3400 und Jahre. In den einschlägigen Veröffentlichungen des mit Nachforschungen weitgehend entzogen. Die 2800 v. Chr. auf dem Ge- 19. und frühen 20. Jahrhunderts wurden dagegen Station am Yachthafen wurde seit dessen Anlage biet der Schweiz und des südlichen Baden-Württem- für das Ufer der Stadt Überlingen keine Pfahlbau- in den 1930er Jahren sukzessive durch ausgrei- bergs, mit zahlreichen See- ten vermeldet. Spätestens im Jahr 1935 müssen fende Baggerungen bis auf Kulturschichtreste vor ufersiedlungen. Pfähle und Strukturen jedoch bekannt gewesen der Schwallwand des Hafens größtenteils beseitigt. 126 Denkmalpflege in Baden-Württemberg 2 | 2021
1 Ufersiedlungen in der Siedlungskammer von h nbac Überlingen-Nußdorf. ch ba Nelle el b To A D B1 Kulturschicht 1 Im wassergesättigten Milieu der Seesedimente 2 mente unter Sauerstoff- ac h abschluss hervorragend ßb Nu erhalten gebliebener Sied- lungsabfall. Insbesondere 3 hervorzuheben sind die B2 zahlreichen makroskopi- schen und mikroskopi- 4 schen Pflanzenreste 250 0 250 500 m (Früchte, Samen, Blätter, Pollen, Hölzer) und Tier- 1 Überlingen-Mantelhafen 2 Überlingen-Yachthafen A Überlingen, Gräben der mittelalterlichen Stadtmauer B potentielle Anbauflächen 5 C reste (neben Knochen und 3 Überlingen-Strandbad 1 Parabraunerden/-rendzinen aus Geschiebemergel, Geweih auch Insekten- 4 Überlingen-Osthafen 5 Nußdorf-Seehalde 2 Parabraunerden aus würmzeitlichen Schottern C Bodenseeried 6 sowie Parasitenreste) die 6 Nußdorf-Strandbad D Hügelland eiszeitlicher Drumlins außerhalb der Feuchtge- 7 Nußdorf-Constantinhalde 7 biete und Seen kaum er- haltungsfähigen organi- Sämtliche Siedlungsreste am Mantelhafen und am Im März 2009 wurden drei Erosionsmarker gesetzt schen Funde wie z. B. ge- webte Textilien aus Flachs Yachthafen liegen ganzjährig zum Teil in erheb- und in der Folgezeit bis 2018 regelmäßig abgele- oder Geflechte aus Gehölz- licher Wassertiefe. Ohne Tauchausrüstung sind nur sen (Abb. 3). Die festgestellten Abspülungen, vor bast, darunter Netze und die landseitigen Areale am Osthafen zugänglich. allem aber der Umstand, dass das Pfahlfeld in wei- Schnüre, Reste von Schu- ten Teilen im Abgang begriffen ist, machten aus hen und Hüten, Holz- Überlingen-Osthafen denkmalpflegerischen Gründen eine systemati- gegenstände und -abfälle sche Pfahlfeldaufnahme nötig, die seit 2019 unter (Beilgriffe, Pfeile und Pfeil- bögen, Holzabfälle wie In einem ersten Prospektionstauchgang im Jahr Einsatz satellitengestützter GPS-Systeme stattfin- Späne). 1993 konnte östlich des Osthafens das Pfahlfeld det (Abb. 4). Bis Januar 2021 konnten knapp 1000 und an dessen seeseitigem Rand ein an der Ober- Pfähle kartiert und durch Beproben gesichert wer- fläche austretender Kulturschichtstreifen lokalisiert den. Die Oberfläche des umgebenden Seegrundes werden. In weiteren Tauchgängen wurde das wird mithilfe von georeferenzierten Drohnenauf- Fundareal mehrfach abgeschwommen, die an der nahmen fortlaufend dokumentiert (Abb. 5), um 2 Überlingen-Osthafen Oberfläche sichtbaren Pfahlfeldbereiche und Kul- mögliche tiefgreifende Veränderungen am See- aus der Drohnenperspek- turschichtabschnitte ausgesteckt und per Hand- grund bereits im Vorfeld erkennen zu können. Zu- tive. Die Arbeitsboote in GPS eingemessen. Einzelne bereits 1993 zu Da- dem wurden vier weitere Erosionsmarker im bis der Flachwasserzone tierungszwecken entnommene Eichenpfahlpro- dato weniger bekannten östlichen Pfahlfeld ge- liegen über den Pfahlbau- ben blieben zunächst undatiert. setzt. resten am Osthafen.
Fundstellen wie auch die Schutzmaßnahmen sehr unterschiedlich waren und sind. Die Pfahlbaustationen vor Überlingen gehören nicht zu den nominell auf der Welterbeliste ver- zeichneten Fundstellen, dennoch sind sie als as- soziierte Pfahlbaustationen als Teil des Phänomens im Welterbeantrag enthalten. Sie sind von großer Bedeutung für Fragen zur vorgeschichtlichen Be- siedlung am Überlinger See. Quaggamuscheln und Kamberkrebse Im Überlinger See wird seit geraumer Zeit das Um- feld der Ufersiedlungen durch neu eingewanderte Arten zum Teil tiefgreifend verändert. Die erstmals Ende der 1990er Jahre bei Wallhausen gesichteten Kamberkrebse (Orconectes limosus) destabilisieren 3 Taucher beim Ablesen Es ist aber bereits jetzt schon absehbar, dass ohne durch flach in die weiche Seekreide gegrabene eines Erosionsmarkers – flankierende aktive Schutzmaßnahmen die Sied- Bauten den Sedimentkörper und fördern die Flä- Holzpflöcke mit bekann- lungsreste von Überlingen-Osthafen kaum im See- chenerosion. Die im Jahr 2016 im Bodensee durch ten Höhen- und Lage- grund zu erhalten sein werden. Es ist zu diskutie- Taucher entdeckte Quaggamuschel (Dreissena ros- koordinaten dienen als ren, ob das gefährdete Pfahlfeld und der Kultur- triformis) hat 2018 die Flachwasserzonen des Über- Bezugsgröße beim Mes- schichtstreifen durch eine schützende, aber teure linger Sees erreicht. Sie bildet seitdem flächende- sen des Seegrundniveaus im Markerbereich mit Kiesabdeckung der Erosion entzogen oder aber die ckende Muschelteppiche (Abb. 6) und zentime- einer eigens hierfür kon- Sicherung von Pfahlfeld und Kulturschicht durch terdicken Besatz an den Pfählen (s. a. Abb. 3). struierten Messhilfe. die komplette Beprobung der Pfähle und die Aus- Soweit dies bis jetzt zu beurteilen ist, fördert dies grabung ausgewählter Schichtabschnitte ge- die Entstehung von Erosionsrinnen zwischen den währleistet werden soll. Muschelbänken. Was die Beobachtung der Ufer- siedlungen betrifft, so sind vormals offenliegende Welterbe-Monitoring Flächen durch die Muschelbänke dem beurteilen- den Blick entzogen. Das Monitoring wird dadurch Monitoringmaßnahmen vor Überlingen geschehen erheblich erschwert. im Rahmen eines fünfjährigen Gesamtkonzeptes zur Erfassung des Erhaltungszustandes der Feucht- Das Pfahlfeld von Überlingen-Osthafen bodenfundstellen in Baden-Württemberg. Bei der Erarbeitung der Antragsunterlagen für den seriel- Das bis dato anhand der deutlich den Seegrund len transnationalen Welterbeantrag „Prähistori- überragenden Eichenpfähle kartierte Pfahlfeld 4 Kartierung freigelegter sche Pfahlbauten um die Alpen“ in den Jahren wurde in einer Gesamtfläche von 265 m2, verteilt und etikettierter Pfähle 2004 bis 2010 entstand erstmals ein Inventar der auf vier senkrecht zum Ufer liegende Streifen, sys- mit Präzisions-GPS im Fundstellen im gesamten Alpenraum. Dabei wurde tematisch aufgenommen. Insgesamt wurden 984 Flachwasser. deutlich, dass sowohl der Kenntnisstand zu den Pfähle bei Tauch-Einsätzen für eine Holzartenbe- stimmung und dendrochronologische Datierung beprobt. Das Pfahlfeld erstreckt sich demnach in einem 20 bis 25 m breiten uferparallelen Streifen auf einer Länge von 120 m. Werden die im Westen bis in die 1970er Jahre offenliegenden Bereiche hinzugenommen, sind es etwa 200 m Länge. Im Osten ist die Ausdehnung nicht abschließend ge- klärt. Berücksichtigt man die ernst zu nehmenden Angaben der Privatsammler zur Herkunft ihrer Funde, so könnte das Pfahlfeld uferparallel ehe- mals 400 bis 500 m lang gewesen sein. Schon beim derzeitigen Untersuchungsstand ist klar, dass das Pfahlfeld wesentlich größer ist als bisher an- genommen. Richtung Ufer sind die Pfähle bereits bis in den Spitzenbereich erodiert (Abb. 7) und so- mit nur noch die tiefer gegründeten erhalten. Das Pfahlfeld ist hier im Verschwinden begriffen.
5 Georeferenzierte Drohnenaufnahme des Seegrundes mit einge- tragenen Oberflächen- befunden und aufgenom- menen Pfahlfeldflächen. Pfahlfeld Fläche mit Pfahlstümpfen im Seegrund, welche die Ausdehnung von Sied- lungsarealen und Pfahlbau- stationen markieren. Ein Pfahlfeld ist somit die Summe der Pfähle einer oder mehrerer Pfahlbau- siedlungen (Station). Seeseitig wird das Pfahlfeld durch mehrere bis zu Die Anlage fällt somit in den äußerst spannenden 2 m breite Streifen dicht beieinander stehender Abschnitt der Horgener Kultur, der sich durch mas- Pfähle begleitet (Abb. 8). Teilweise dürften diese sive Einflüsse aus dem Einzugsgebiet der Donau palisadenartig angeordneten Pfahlreihen aufgrund auszeichnet, was vor allem an der Gefäßkeramik einiger Radiokarbon-datierter Pfähle der Horgener festzumachen ist. Verbunden werden damit tech- Anlage angehören (zur Datierung siehe unten). Die nische Innovationen: zum einen Rad und Wagen, 6 Dichter Quagga- seeseitig vorhandenen Pfahlreihen müssen jünger der Einsatz von Zugtieren und der Beginn des muschelbesatz im Pfahl- sein, da sie in den Ablagerungen über der Horge- Pflugackerbaus; zum anderen die Intensivierung feldbereich. Oberflächen- ner Kulturschicht stecken. Sie könnten somit bron- der Textilproduktion, gebunden an verstärkten beschaffenheit und Pfähle werden erst nach zezeitlich datieren. Leinanbau zur Gewinnung von Flachsfasern – er- dem Abräumen der kennbar an den zahlreichen Spinnwirteln im kera- Muschelschicht erkenn- Bauhölzer und erste Datierungen mischen Fundmaterial. bar. Dicht von Muscheln überzogener Eichenpfahl Gut die Hälfte der bisher geborgenen Pfähle ist auf Kulturschichten und botanische Funde (schwarzer Pfeil) und die Holzart bestimmt. Sie stammen überwiegend frisch ausgeworfenes von Eschen, Eichen und Pappeln. Hölzer von Erlen Durch geologische Bohrungen in vier Fluchten und Seesediment eines Kam- sind mit 15 Prozent an vierter Stelle und von Wei- einem Aufschluss wurde der Sedimentaufbau in berbaues (roter Pfeil). den mit 6 Prozent vertreten. Ferner wurde Mate- rial von Birken, Ahornbäumen, Rotbuchen, Hasel- sträuchern und Linden verwendet. Holzartenspek- trum und relative Verteilung ähneln auffällig dem Pfahlfeld von Nußdorf-Strandbad. Auch dort wur- de hauptsächlich mit Eschen- und Eichenholz gebaut, auch dort ist die Pappel die dritthäufigste vertretene Gehölzart. Dendrochronologische Ana- lysen an den jahrringreichsten Eichenhölzern erga- ben Fälldaten, die von 3197 v. Chr. bis 3131 v. Chr. streuen. Es lassen sich also schon jetzt verschie- dene Bauphasen zur Zeit der mittleren Horgener Kultur erkennen. Die möglicherweise erste Phase beginnt gut 20 Jahre vor der ersten Phase der Sied- lung Nußdorf-Strandbad. Weitere Bauphasen deu- ten sich als entweder parallel oder auch alternie- rend zu Nußdorf an. Denkmalpflege in Baden-Württemberg 2 | 2021 129
7 Pfahlspitzen vom der Flachwasserzone erfasst. Demnach ist der land- ten darauf hin, dass die steinzeitliche Landnutzung landseitigen Rand des wärtige Seegrund bereits bis auf den anstehenden die Ausbreitung der Obstsorten wie Äpfel, Hasel, Pfahlfeldes. glazialen Ton erodiert. Seekreide ist in einem bis Brombeeren und ähnliche begünstigten. Die licht- 40 m breiten Bereich vor der Halde, dem Steilabfall liebenden kleinen Bäume und Sträucher, die große 8 Dicht steckende Pfähle zwischen Flachwasserzone und dem eigentlichen Mengen an Früchten und Nüssen produzieren, wa- aus dem Bereich der Seebecken, erhalten geblieben. In Haldennähe ren bestimmt willkommener und wahrscheinlich Palisaden am seeseitigen Rand des Pfahlfeldes. Der konnten zumindest am seeseitigen Rand des Pfahl- geschützter Bestandteil der durch Beweidung und Pfahlstreifen läuft quer feldes zwei Kulturschichtabschnitte erfasst wer- weitere menschliche Tätigkeiten gelichteten Ei- durch die Horgener Kul- den. Der steil nach unten ziehende und wenige chenmischwälder. Somit führte die steinzeitliche turschicht und sollte Meter breite uferparallele Schichtstreifen konnte Landnutzung zu einer deutlichen Veränderung der demnach jünger datieren. insgesamt auf etwa 50 m nachgewiesen werden. Waldzusammensetzung und schuf durch diese Das geborgene Fundmaterial weist die organi- menschliche Tätigkeit während der Horgener Zeit schen Detritusschicht(en) der Horgener Kultur zu. auch eine Art vorgeschichtliche „Gärten“ am Bo- Seewärts davon konnten in den Bohrkernen bis densee. dato keine weiteren, das heißt jüngeren Kultur- schichten, wie sie im Altfundbestand des Städti- Funde aus Grabungen und Sammlungen schen Museums angezeigt sind (siehe unten), er- bohrt werden. Das von der Oberfläche und aus den Schichtkeilen Eine Sedimentprobe aus der Kulturschicht wurde geborgene Fundmaterial ist ausgesprochen spär- archäobotanisch analysiert und erlaubt somit Ein- lich. Es besteht aus wenigen Horgener Scherben blicke in die horgenzeitliche Landwirtschaft und von Gefäßkeramik, Steinbeilbruchstücken und Landnutzung in Überlingen. Die Probe mit einem -meißeln, Silices und dem Fragment eines gegos- Volumen von 860 ml enthielt insgesamt 10 617 bo- senen Bronzestückes. In Privatsammlungen finden tanische Funde, darunter zahlreiche Reste von Kul- sich vorwiegend (aus Silex gefertigte) Steinarte- turpflanzen, Wildobst und Nüsse. Es konnten fakte, Funde aus anderen Materalien sind dagegen 6 Kulturpflanzenarten nachgewiesen werden, vier selten. Herausragend ist hier eine Dolchklinge aus verschiedene Getreide (Gerste, Einkorn, Emmer dichtem, an seinen Rändern trotz dunkler Patinie- und Nacktweizen) und zwei Ölpflanzen (Lein und rung durch einen dem Rohmaterial mit dunklen, Mohn). Neben den Kulturpflanzen sind die Funde punktförmigen Einschlüssen. Zu vermuten ist, dass 9 Flächenretuschierter von Sammelobst, zum Beispiel die Wildapfel- und es sich hierbei um nordischen Kreideflint handelt Dolch aus mutmaßlich Haselnuss-Funde so häufig, dass sie nur aus 20 Pro- (Abb. 9), wobei die genauere Herkunft aus dem baltischem Flint aus der zent der 2 mm-Schlämmfraktion ausgelesen wur- Raum zwischen Baltikum und Nordfrankreich erst Sammlung Peter Huhn, den, um eine repräsentative Stichprobe zu bekom- anhand der mikroskopischen Bestimmung der im Verbleib LAD (Länge circa men. Diese Funde bestätigen auch frühere Beob- Objekt eingeschlossenen Mikrofossilien zu präzi- 10 cm). achtungen aus Allensbach-Strandbad (Maier sieren sein wird. Der Silexdolch dürfte den Horge- 2015), dass während der Horgener Zeit am Bo- ner Siedlungsphasen des 32. Jahrhunderts v. Chr. densee Wildäpfel, Haselnüsse, Erdbeeren, Himbee- zuzuordnen sein. ren, Brombeeren aber auch Holunder, Judenkir- schen und Weißdorn eine große Bedeutung in der Bestände im Museum der Stadt Station, auch Pfahlbau- Ernährung hatten. Die meisten dieser Sammel- Überlingen station pflanzen gehören zur Vegetation des Waldrandes Uferabschnitt mit mehre- und der Waldlichtungen, daher muss auf aufge- Wie an vielen Uferabschnitten des Bodensees sind ren Pfahlbausiedlungen, deren Kulturschichten lichtete Wälder zu dieser Zeit in der Umgebung auch die Funde aus der Flachwasserzone vor Über- und Pfahlfelder sich über- von Überlingen geschlossen werden. Etliche ähn- lingen im städtischen Museum nicht nach Statio- schneiden und überlagern liche Obstfunde aus Mitteleuropa seit der Mittle- nen getrennt inventarisiert. Insofern war lange un- können. ren Steinzeit und besonders der Jungsteinzeit deu- klar, von welcher Fundstelle das Material eigent- 130 Denkmalpflege in Baden-Württemberg 2 | 2021
lich stammt. Die Nachforschungen konnten nun Dorfzaun umgeben. Dies ist neu, denn Palisaden etwas Klarheit schaffen: Aus der bereits im dieses Zuschnitts im Kontext der Horgener Kultur 18. Jahrhundert überdeckten Station Mantelhafen waren am Bodensee bislang erst aus deren Spät- können die Funde kaum kommen. Die im Tief- phase im 30./ 29. Jahrhundert v. Chr. zu belegen. wasser zugänglichen Kulturschichtreste datieren Die besondere Bedeutung der Horgener Anlage nach Radiokarbonmessungen in das frühe 4. Jahr- gibt Anlass dazu, weitere Sondierungen und Ana- tausend v. Chr. Ebenso fällt die Station im Yacht- lysen durchzuführen. Vor allem gilt es zu klären, hafen aus, die dort erhaltene Kulturschicht befin- wie weit das Pfahlfeld heute noch nach Osten det sich im Haldenbereich und datiert gleichfalls reicht. Zudem geht die Suche nach Resten einer an- ins frühe 4. Jahrtausend v. Chr. Die Funde im Mu- genommenen bronzezeitlichen Besiedlung weiter. seum gehören jedoch aufgrund typologischer Ein- Denn wenn auch jetzt schon klar ist, dass in der ordnungen allesamt jüngeren Besiedlungsphasen Umgebung des Horgener Dorfes bereits vor über an, die unter den Funden und durch die Dendro- 5000 Jahren Kulturpflanzen angebaut wurden, ist daten vom Osthafen vertreten sind. Zudem ist ein- die Dauer und Intensität der neolithischen Anbau- zig das Siedlungsareal Osthafen bei Niedrigwasser aktivitäten oder gar „Gärten“ im Umfeld der Sied- in Watstiefeln begehbar. Zu den Dendrodaten des lung noch Gegenstand der Forschung. 32. Jahrhunderts v. Chr. passen zudem die durch Leisten und Doppelknubben verzierten Horgener Literatur Scherben im Städtischen Museum Überlingen bes- tens. Joachim Köninger, Petra Kieselbach, Karlheinz Step- Auch für die im Museum vorhandenen Bronzen pan, Alfred Galik, Oliver Nelle, André Billamboz, Wolf- und Keramikscherben der frühen und späten gang Ostendorp und Christiane Runge-Froböse: Nuß- Bronzezeit (Abb. 10) kommt als Fundort vor Über- dorf-Strandbad. Die Horgener Pfahlbausiedlung an lingen eigentlich nur der Osthafen in Frage, zumal der Liebesinsel. Befunde und Funde aus den Sonda- sich unter den jetzt gehobenen Funden das Bruch- gen und Prospektionsarbeiten des «Projektes Boden- stück einer gegossenen Bronze befindet. Unsicher see-Oberschwaben » 1981, 1982, 1992 und 1993, in: ist momentan noch, ob einzelne Pfahlreihen der Hemmenhofener Skripte 12, Freiburg i. Br. 2020. seeseitigen Pfahlstreifen der bronzezeitlichen Be- Renate Ebersbach, Martin Mainberger, Julia Gold- siedlung zuzuweisen sind. hammer und Wolfgang Ostendorp: Archäologische Das im Städtischen Museum aufbewahrte spät- Denkmalpflege in der Uferzone des Bodensees, in: Hil- neolithische und bronzezeitliche Fundmaterial aus mar Hoffmann, Wolfgang Ostendorp: Seeufer: Wel- dem Überlinger Seeufer dürfte demnach also len – Erosion – Schutz – Renaturierung. Handlungs- mehrheitlich aus der Station Überlingen-Osthafen empfehlungen für den Gewässerschutz – Ergebnisse stammen. aus dem ReWaM-Verbundprojekt HyMoBioStrategie, Konstanz 2019, S. 119– 126. Fazit und Fortsetzung Prehistoric Pile Dwellings around the Alps. World Her- itage Nomination, 2010, Database of Sites, MAP. Die Sondagen in der Station am Osthafen förder- Adalbert Müller: Unterwasserarchäologische Prospek- ten schon jetzt Überraschendes zutage. Die Art der tionsarbeiten vor Überlingen/ Bodensee, in: Nachrich- Funde im Zusammenhang mit der Sondierung der tenblatt Arbeitskreis Unterwasserarchäologie (NAU) übrigen Überlinger Stationen zeigt, dass das Fund- 8, 2001, S. 85–88. material im Überlinger Stadtmuseum aus der Sta- Ursula Maier 2015 Archäobotanische Untersuchung tion im Osthafen stammt. Die Pfahlfeldaufnahme von Kulturschichtproben aus der Fundstelle Allens- führt vor Augen, dass auch rudimentär erhaltene bach-Strandbad – Grabung 2003. Hemmenhofener Pfahlfelder wissenschaftlich bedeutsam sind. Die Skripte 10: S. 227– 238 das gesamte 32. Jahrhundert abdeckende abde- ckenden Dendrodaten und die Streuung der da- Dr. Joachim Köninger tierten Pfähle nahezu im gesamten Pfahlfeld las- Terramare – archäologische Dienstleistungen sen allein durch ihre Größe und Dauer eine be- Astrid-Lindgren-Straße 4 deutende Horgener Seeufersiedlung erkennen, die 79100 Freiburg i. Br. im Wechsel oder zeitgleich mit jener von Nußdorf 10 Frühbronzezeitliche Bronzenadel. Die unter bestand und eine doppelte Belegung der Sied- Sabine Hagmann Patinierung liegende Ver- lungskammer von Nußdorf-Überlingen anzeigt. Tanja Märkle zierung am Nadelkopf Zweifelsohne war – obwohl durch Fundmaterial Dr. Elena Marinova (schräg stehende Strich- kaum repräsentiert – der spätneolithische Sied- Dr. Oliver Nelle gruppen) und am Nadel- lungsplatz von Überlingen-Osthafen der gewich- Landesamt für Denkmalpflege schaft (stehende Drei- tigere von beiden: Er war deutlich größer und zu- im Regierungspräsidium Stuttgart ecke) ist nur undeutlich mindest phasenweise von einem palisadenartigen Dienstsitz Hemmenhofen zu erkennen. Denkmalpflege in Baden-Württemberg 2 | 2021 131
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