Herausforderungen bei der Anrechnung von erneuerbarem Strombezug in Klimabilanzen
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STATISTIK Herausforderungen bei der Anrechnung von erneuerbarem Strombezug in Klimabilanzen Dominik Seebach und Christof Timpe Die Berechnung und Veröffentlichung von Klimabilanzen für Unternehmen, Produkte und Dienstleistungen hat in den letzten Jahren mehr und mehr an Verbreitung gewonnen. Hierbei wird beim Bezug von Strom aus erneuerbaren Energien (EE) oftmals ein entsprechend niedriger Emissionsfaktor oder pauschal eine „Null-Emission“ angesetzt. Die Möglichkeit, Klimabilanzen auf diese Weise positiv zu beeinflussen, ist zu einem wichtigen Treiber im europäischen Handel mit EE-Strom geworden. Auf den ersten Blick erscheint es naheliegend, hier eine Null-Emission anzusetzen, die auch in der gesetzlich verpflichtenden Stromkennzeichnung verwendet wird. Eine genauere Analyse zeigt jedoch, dass einfache Ansätze nicht not- wendigerweise zu sinnvollen Ergebnissen führen. Im Folgenden wird dargestellt, unter welchen Umständen der freiwillige Ökostrommarkt Ausbauanreize für EE setzen kann und welche Handlungsanreize durch verschiedene methodische Ansätze für die Berücksichtigung von EE-Strom in Klimabilanzen gesetzt werden. Mit dem Instrument „Klimabilanz“ soll gegenüber Kunden, Investoren und der Öf- fentlichkeit deutlich gemacht werden, wel- che Fortschritte ein Unternehmen bei der Vermeidung von Treibhausgas-Emissionen erzielt hat. Das Ergebnis der Klimabilanz hängt vor allem vom Energieverbrauch und von den hierfür anzulegenden Emissions- faktoren für die einzelnen Energieträger ab. Zu fragen ist insbesondere, inwiefern Klima- bilanzen geeignet sind, ökologisch sinnvolle Entscheidungen von Unternehmen im Be- reich ihres Stromverbrauchs anzureizen und zu einer dauerhaften Emissionsreduk- tion beizutragen, sei es durch geringeren Energieverbrauch oder durch einen Beitrag zum Ausbau erneuerbarer Stromerzeugung. Die Ausführungen basieren auf einer Analy- se, die im Rahmen des Forschungsprojektes „Reliable Disclosure for Europe – Phase II“ (RE-DISS II) durchgeführt und als Projektbe- richt veröffentlich wurde [1]. Dynamiken im europäi- Grundsätzlich ist aus ökologischen Gesichtspunkten eine einheitliche Methodik zur Behandlung von EE-Strom in Klimabilanzen sinnvoll schen Markt für EE-Strom Der Markt für Strom aus erneuerbaren Ener- aus zumeist schon älteren Wasserkraftanla- betrachtete europäische Ländergruppe be- gien ist Teil des europäischen Binnenmark- gen, welche schon vor Beginn der Liberali- trägt die zu erwartende EE-Stromerzeugung tes für Strom und daher grenzüberschrei- sierung in Betrieb waren. voraussichtlich ca. 1.500 TWh im Jahr 2020 tend organisiert. Somit muss eine Analyse [3, 6, 7, 8]. Die Erreichung dieses Ziels kann der Effekte freiwilliger Ökostrommärkte das Bis zum Jahr 2020 ist durch die bis dahin gel- somit als Business-as-Usual (BAU)-Szenario Verhältnis von Angebot und Nachfrage auf tende europäische Erneuerbaren-Energie- betrachtet werden. europäischer Ebene berücksichtigen, statt Richtlinie 2009/28/EG [5] und die darauf sich auf eine rein nationale (z. B. deutsche) basierenden Nationalen Aktionspläne für Das Projekt RE-DISS II hat ermittelt, dass von Betrachtung zu fokussieren. Im Jahr 2014 erneuerbare Energie (National Renewable der gesamten aktuellen Produktion an EE- lag die Produktion an EE-Strom in Europa Energy Action Plans – NREAP) vorgegeben, Strom in Europa jährlich ca. 250-300 TWh [2] bei ca. 950 TWh [1, 3, 4]. Ungefähr die welcher Ausbau an erneuerbarer Strompro- in Form von Herkunftsnachweisen (EE-HKN) Hälfte hiervon entspricht der Erzeugung duktion noch zu erwarten ist. Für die hier international transferiert werden, und ins- 44 ENERGIEWIRTSCHAFTLICHE TAGESFRAGEN 66. Jg. (2016) Heft 8
STATISTIK gesamt etwa zwei Drittel (ca. 600 TWh) im schnittlich 20,50 € und entsprechen somit tem EE-Strom keine Effekte über das BAU- Rahmen der Stromkennzeichnung gegen- dem 70- bis 200-fachen des Preises für EE- Szenario hinaus ergeben, so übernimmt über den Endkunden als EE-Strom ausgewie- HKN [12]. der Ökostrom-Kunde immerhin selbst die sen wurden [1]. Die explizite Nachfrage der Kosten des EE-Ausbaus, statt andere hierfür Verbraucher nach Ökostrom, z. B. durch die Vor diesem Hintergrund kann kaum davon zahlen zu lassen und sich selbst lediglich Wahl eines entsprechenden Produkts oder ausgegangen werden, dass der europäische den Klimanutzen anzurechnen. Anbieters, liegt jedoch deutlich niedriger: Ökostrommarkt auf Grundlage eines undif- Knapp ein Drittel der genannten 600 TWh ferenzierten Handels mit EE-HKN einen rele- Als mögliche Alternative zu dieser stark dif- entfällt auf die Kennzeichnung von EE-Strom vanten Anreiz zur Erzeugung von Strom aus ferenzierenden Betrachtung vertreten einige im Rahmen öffentlicher Fördersysteme, z. B. erneuerbaren Energien oder gar zum aktiven Akteure den Ansatz, dass eine weiter wach- dem deutschen EEG-Mechanismus [9]. Darü- Ausbau erneuerbarer Kapazitäten leisten sende Nachfrage nach EE-Strom schon bald ber hinaus werden EE-HKN auch für Stan- kann. Hierfür wäre eine deutlich höhere Zah- das bestehende Angebot übersteigen könnte dardprodukte von Stromanbietern eingesetzt, lungsbereitschaft der Endkunden notwendig, und sich allein hieraus ein marktgetriebener ohne dass die Kunden explizit EE-Strom als dies im Massenmarkt bisher der Fall ist. Ausbauanreiz für die erneuerbare Strompro- nachgefragt hätten. In einigen Ökostrom-Produkten wird dieses duktion ergäbe. Tatsächlich steigt die Ver- Ziel bereits verfolgt, indem die Nachfrage auf wendung von EE-HKN europaweit beständig Zur Beurteilung der Frage, welcher Beitrag bestimmte, i. d. R. neue Erzeugungsanlagen an und hat mit den oben genannten Mengen zur Förderung des EE-Ausbaus durch den fokussiert wird. Diese Produkte sind jedoch im Jahr 2015 einen neuen Höchststand er- europäischen Ökostrommarkt geleistet wer- weit überwiegend im Marktsegment der reicht. Doch selbst wenn es tatsächlich zu den kann, lohnt sich ein Blick auf die Erlös- Haushaltskunden angesiedelt und insofern einem „Break Even“ von Angebot und Nach- möglichkeiten für EE-Anlagenbetreiber, die in für die hier betrachteten Klimabilanzen nur frage kommen sollte, sind hier einige gravie- diesem Markt aktiv sind. Die Betreiber veräu- in Ausnahmefällen relevant. rende Einschränkungen zu nennen. ßern ihren erzeugten Strom üblicherweise am regulären Strommarkt, der nicht zwischen Impulse zum Ausbau der ■ Um nach Erreichen des Break Even für den Erzeugungsarten des Stroms unterschei- EE-Stromerzeugung Anlagenbetreiber tatsächlich einen Anreiz det, und erzielen durch die EE-HKN zusätzli- zum Neubau weiterer Anlagen zu geben, che Erlöse. Auch wenn die Preise für HKN zu Der wesentliche Treiber für den Ausbau der wäre ein dramatischer Anstieg der Preise weiten Teilen nicht transparent sind, decken erneuerbaren Stromerzeugung sind also der HKN notwendig. Dieser müsste so groß sich Angaben von Marktteilnehmern mit den bisher die Förderinstrumente, welche von sein, dass durch die Summe aus den Erlösen öffentlich verfügbaren Informationen zu den den europäischen Ländern eingeführt wur- am Strommarkt und denen aus dem Verkauf Preisen für EE-HKN an der Strombörse EEX, den, um die u. a. in der EE-Richtlinie gesetz- von HKN die Vollkosten neuer EE-Anlagen wonach für die mengenmäßig dominierenden ten Ausbauziele zu erreichen. Daher stellt gedeckt werden können. Die bisher übli- HKN aus Wasserkraft Preise von 0,10-0,30 €/ sich die Frage, welche Rolle die Nachfrage chen Preisaufschläge für EE-HKN müssten MWh erzielt werden [10]. von Verbrauchern nach EE-Strom in diesem sich demnach um ein Vielfaches erhöhen. Zusammenhang überhaupt spielen und wie Hier stellt sich die Frage, wie viele Kunden Zum Vergleich: Der Durchschnittserlös für sie ggf. verstärkt werden kann. bereit wären, entsprechend höhere Preise Strom in den norwegischen und schwe- für Ökostrom zu zahlen. Zu erwarten ist viel- dischen Preiszonen der skandinavischen Zur Beurteilung des Einflusses der Verbrau- mehr, dass die Nachfrage eine spürbare Preis- Strombörse Nordpool Spot betrug über die chernachfrage auf die EE-Stromerzeugung elastizität aufweist und daher auf absehbare Jahre 2013-2015 ca. 30 €/MWh [11]. Dem- sind zwei Aspekte relevant: Zum einen stellt Zeit nicht über das Angebot hinaus anwächst. nach erhalten die Erzeuger von skandinavi- sich die Frage, ob zusätzliche EE-Anlagen ■ Sollte es doch eine nennenswerte Nach- scher Wasserkraft für die erneuerbare Eigen- gebaut wurden (bzw. ob in bestehende An- frage nach EE-Strom auch zu Preisen geben, schaft ihres Stroms einen Preisaufschlag von lagen umfassend reinvestiert wurde), und die den Vollkosten neuer Anlagen entspre- lediglich 0,3 bis 1 % des Großhandelspreises zum anderen, ob diese Anlagen eine öffent- chen, so müsste sich hierzu der bisher weit- für Strom. Dies unterstreicht, dass der Markt liche Förderung erhalten haben [13]. gehend homogene HKN-Markt sehr stark für EE-Strom in Europa durch ein erhebliches umstellen und zwischen Alt- und Neuanla- Überangebot gekennzeichnet ist. Hierdurch wird ersichtlich, in welchem gen klar differenzieren. Bliebe es bei einem Maße die jeweiligen Anlagen zur Verände- größtenteils homogenen HKN-Markt, so wür- Als grober Indikator für den Mehrerlös, wel- rung des Status Quo beitragen (bzw. kürz- de die Zahlungsbereitschaft der Endkunden cher zur Finanzierung eines Zubaus neuer lich dazu beigetragen haben), und ob die nicht auf solche Anlagen fokussiert, welche EE-Kraftwerke in Norwegen oder Schweden Mehrkosten für diese Veränderung durch die höheren Erlöse zur Deckung ihrer Voll- erforderlich wäre, können die Preise für die die Allgemeinheit (über die Fördersysteme) kosten benötigen, sondern käme gleicher- Förderzertifikate (Elcertificates) des nor- oder durch den einzelnen Stromkunden ge- maßen auch einer großen Menge an alten, wegisch-schwedischen Quotensystems zur tragen werden, wie bspw. in [1] näher erläu- abgeschriebenen Anlagen oder Anlagen mit EE-Förderung herangezogen werden. Diese tert ist. Auch wenn sich durch die Nachfrage auskömmlicher Förderung zugute. Somit er- lagen im Zeitraum 2013-2015 bei durch- nach neuem und nicht staatlich geförder- gäben sich bei diesen Anlagen beträchtliche ENERGIEWIRTSCHAFTLICHE TAGESFRAGEN 66. Jg. (2016) Heft 8 45
STATISTIK Anreizwirkungen zwischen dem marktbezo- genen Ansatz und dem ortsbezogenen An- satz lassen sich anhand einiger Fallbeispiele darstellen. Auf dieser Grundlage kann beur- teilt werden, welche sinnvollen Aussagen auf Basis der Emissionsbilanz getroffen werden können. Hierzu wird zum einen anhand der Beispielländer Norwegen und Deutschland der EE-Anteil an der nationalen Stromerzeu- gung und somit die Höhe des durchschnitt- lichen netzbezogenen Emissionsfaktors va- riiert. Zum anderen wird zwischen Kunden eines EE-Stromprodukts und Kunden eines Abb. Mitnahmeeffekte bei einem weitgehend homogenen Markt für EE-Strom Grafik: Öko-Institut „Graustromprodukts“ differenziert [17]. Hin- sichtlich der Anreizstruktur können die fol- genden Dimensionen unterschieden werden: Mitnahmeeffekte und somit eine ineffiziente der Emissionen, ohne Berücksichtigung der Allokation der von den Verbrauchern zur Frage, welcher ökologisch relevante Beitrag ■ Anreize für Maßnahmen zur Steigerung Verfügung gestellten Mittel. Dieser Effekt ist zur Emissionsminderung gegenüber einem der Energieeffizienz und Energieeinsparung grob schematisch in der Abbildung darge- Business-as-Usual-Szenario (BAU) von einem im Zuge einer CO2-Minderungsstrategie des stellt. Die schraffierte Fläche stellt die Mit- Akteur geleistet wird. Im Gegensatz hierzu Unternehmens; nahmeeffekte bei ausreichend geförderten würde beim „Consequential Approach“ die ■ Anreize zur Wahl eines bestimmten und bei Bestandsanlagen in dem Fall dar, Veränderung aufgrund eines Wechsels zwi- Stromprodukts, ggf. mit Wirkung auf den dass die Zahlungsbereitschaft der Ökostrom- schen zwei Alternativen quantifiziert und Ausbau der EE-Stromerzeugung; kunden deutlich ansteigen würde. Die graue bewertet. Zudem bestehen Ansätze, auch im ■ Anreize zur Standortwahl eines Unter- Fläche kennzeichnet im Vergleich dazu den Rahmen des „Attributional Approach“ die nehmens (bzw. Unterschiede zwischen Wett- erheblich geringeren tatsächlichen Förderbe- Auswirkungen des Handelns einzelner Ak- bewerbern aus verschiedenen Ländern). darf für zusätzliche Stromerzeugung. teure berücksichtigen zu können (z. B. [16]). Anhand der Fallbeispiele können folgende Methodische Ansätze zur Be- Im Rahmen des „Attributional Approach“ Ergebnisse abgeleitet werden: stimmung des Emissionsfaktors besteht außerdem noch die Wahl zwi- von Strom in Klimabilanzen schen den Ansätzen, welche in der Scope 2 ■ Sowohl der markt- als auch der ortsbe- Guidance des GHG Protocol als „marktbezo- zogene Ansatz können zu Ergebnissen füh- Bei der Erstellung einer Klimabilanz stellt gener Ansatz“ und „ortsbezogener Ansatz“ ren, welche den jeweiligen Unternehmen sich generell die methodische Frage, wel- bezeichnet werden. Hierbei wird unterschie- keine oder sehr geringe Anreize für Ener- chen Emissionsfaktor man für den aus dem den, ob der Bezug eines bestimmten Strom- gieeffizienz und -einsparungen geben. Dies Netz bezogenen Strom anlegen soll. Es gibt produkts den Emissionsfaktor bestimmt, umfasst bspw. die folgenden Fälle: hierfür mehrere Leitfäden und Standards, welcher in der Klimabilanz genutzt wird, Ein norwegisches Unternehmen folgt welche zum Teil voneinander abweichende oder ob dieser Emissionsfaktor allein durch dem ortsbezogenen Ansatz (mit einem methodische Vorgaben machen. Die offiziel- das Stromnetz mit seinem nationalen Erzeu- sehr geringen Emissionsfaktor von ca. len Standards umfassen ISO 14040/14044, gungsmix definiert wird, aus dem der Strom 10 g CO2 /kWh für das norwegische ISO 14064-1 sowie ISO/TS 14067 [14]. Nach entnommen wird. Diese Alternativen haben Stromnetz). Die Verwendung dieses mehrjähriger Entwicklungsarbeit wurde offensichtlich entscheidenden Einfluss da- Werts führt bei Maßnahmen zur Ener- außerdem im Januar 2015 der Leitfaden rauf, wie der Bezug von EE-Strom bewertet gieeinsparung zu enorm hohen CO2- „Scope 2 Guidance“ zur Berücksichtigung wird. Das GHG Protocol empfiehlt letztlich, Vermeidungskosten und entsprechend von Strom in institutionellen Klimabilanzen beide Varianten zu berechnen und lässt es geringen Anreizen. im Rahmen des breit angewendeten Green- den Akteuren offen, welche der beiden Va- Ein deutsches Unternehmen folgt dem house Gas (GHG) Protocol veröffentlicht, rianten als Grundlage für die Berechnung marktbezogenen Ansatz und reduziert welches im Vergleich zu den genannten der Gesamtemissionen zugrunde gelegt und durch den Bezug eines EE-Strompro- ISO-Normen wesentlich detailliertere me- bevorzugt kommuniziert wird. dukts den für ein durchschnittliches thodische Vorgaben macht [15]. deutsches Stromprodukt anzulegenden Fallbeispiele für die Anwen- Emissionsfaktor von ca. 500 g CO2/kWh Die oben genannten Leitfäden folgen grund- dung der beiden Ansätze auf 0 g CO2/kWh. Auch hieraus ergeben sätzlich dem sog. „Attributional Approach“. sich hinsichtlich weiterer Effizienzmaß- Demnach geht es bei der Erstellung der Die Unterschiede bei den Ergebnissen der nahmen (unendlich) hohe CO2-Vermei- Klimabilanz um eine reine Inventarisierung Klimabilanz und den daraus resultierenden dungskosten und keine Anreize. 46 ENERGIEWIRTSCHAFTLICHE TAGESFRAGEN 66. Jg. (2016) Heft 8
STATISTIK In beiden Fällen stellt sich für die Unterneh- räumen. Wie vorstehend genannt, sind nach Erzeugung Herkunftsnachweise exportieren. men die Frage: „Weshalb sollte ich verstärkt einer solchen Entscheidung die Anreize für Besonders deutlich wird dies am Beispiel Nor- Energie sparen, wenn ich gemäß meiner Effizienzmaßnahmen aus der Klimabilanz wegens, das im Jahr 2015 netto knapp 70 % Klimabilanz ohnehin schon (fast) klimaneu- heraus sehr gering. seiner EE-Stromproduktion über Herkunfts- tral bin?“ ■ Keiner der hier dargestellten Ansät- nachweise ins Ausland exportiert hat [18]. ze bietet einen Anreiz zur Wahl eines EE- ■ Da der ortsbezogene Ansatz auf dem je- Stromprodukts, das auf den Ausbau der Es ist zu vermuten, dass ein nicht unwesent- weiligen nationalen Erzeugungsmix basiert, Stromerzeugung aus EE hinwirkt. Da die auf licher Teil dieses EE-Stromexports auf Basis wird der Standort eines Unternehmens den EE-Ausbau zielenden Stromprodukte des marktbezogenen Ansatzes in Klimabilan- zu einem entscheidenden Faktor für die i. d. R. deutlich höhere Preise aufweisen als zen ausländischer Unternehmen eingeflos- Klimabilanz des Strombezugs. Dies führt Produkte, die sich nur auf die Lieferung von sen ist. Wenn es zugleich aber zulässig ist, insbesondere in grenznahen Regionen zu EE-Strom beschränken, werden sich viele Un- dass norwegische Unternehmen den ortsbe- unplausiblen Verzerrungen. So kämen z. B. ternehmen für die kostengünstigen, wenig zogenen Ansatz wählen und somit den nati- im Wettbewerb zueinander stehende Unter- ambitionierten Stromangebote entscheiden. onalen Stromerzeugungsmix zur Grundlage nehmen im Dreiländereck von Deutschland, ihrer Klimabilanz machen, dann kommt es Frankreich und der Schweiz aufgrund der Zudem ist festzuhalten, dass durch die Par- zu Doppelzählungen von EE-Strom. sich stark unterscheidenden durchschnitt- allelität von ortsbezogenem und marktbe- lichen nationalen Emissionsfaktoren trotz zogenem Ansatz, wie sie z. B. die „Scope 2 Bilanzierungsmethode hat gro- identischer Produktionsprozesse und direk- Guidance“ des GHG Protocol zulässt, in Bezug ßen Einfluss auf die Klimabilanz ter räumlicher Nähe zu großen Unterschie- auf die letztlich von den Unternehmen bevor- den in ihrer Klimabilanz. zugt kommunizierten Daten Inkonsistenzen Die Analyse der ausgewählten Fälle zeigt, ■ Der marktorientierte Ansatz behandelt und Doppelzählungen von Stromerzeugung dass die Wahlmöglichkeit zwischen der rechnerische Emissionsminderungen durch mit niedrigem Emissionsfaktor entstehen. ortsbezogenen und der marktorientierten die Wahl des Strombezugs, die je nach der Unternehmen in Ländern mit niedrigem CO2- Bilanzierungsmethode für EE-Strom einen Laufzeit des Stromliefervertrags auch kurz- Faktor des nationalen Strommixes werden größeren Einfluss auf das Ergebnis der fristig wieder verändert werden können, tendenziell eher den ortsbezogenen Ansatz Klimabilanz haben kann als die Emissions- genauso wie real erzielte Energieeinsparun- wählen, während in Ländern mit hohem minderungen, die ein Unternehmen durch gen durch Effizienzmaßnahmen, die in der durchschnittlichen CO2-Faktor der Bezug von Effizienzmaßnahmen erzielt hat, oder als Regel eine längere Lebensdauer haben. Da EE-Strom und die Anwendung des marktba- die Effekte der Wahl eines Stromprodukts. günstige EE-Stromprodukte aufgrund der sierten Ansatzes attraktiv sind. Zudem führen die Klimabilanzen nach bei- niedrigen Preise der Herkunftsnachweise den methodischen Alternativen nicht immer zu sehr geringen Mehrkosten gegenüber Hierbei wird jedoch nicht berücksichtigt, dass zu sachgerechten Anreizen für weitere Ener- konventionellem Strom angeboten werden es einen erheblichen europaweiten Handel gieeffizienzmaßnahmen beim Strombedarf können, besteht die Gefahr, dass Unterneh- mit EE-Strom gibt, in dessen Rahmen insbe- des Unternehmens und zu Verzerrungen men dem EE-Strombezug den Vorrang ein- sondere die Länder mit hohem Anteil an EE- zwischen Unternehmen mit ansonsten weit- 7. Fachtagung Energie Schaltanlagen und Netzstationen für die Energieverteilung 8. bis 9. November 2016, Gelsenkirchen © Schneider Electric Wissen ist unsere Energie. < Alternativen zu SF6 als Isoliergas Kontakt: sonja.link@ew-online.de < Schutz- und Automatisierungstechnik in aktiven Verteilnetzen < Komponenten für das Smart Grid EW Medien und Kongresse < Regelbare Ortsnetztransformatoren & Auswirkungen der Kleyerstraße 88 | 60326 Frankfurt am Main EU-Ökodesign-Verordnung Telefon 0 69.710 46 87-553 < Konzepte für Prüfung und Wartung von Schaltanlagen Telefax 0 69.710 46 87-9553 < Effizienz von Schaltanlagen info@ew-online.de | www.ew-online.de EW_AZ_185x88_Schaltanlagen.indd 1 25.07.16 09:54 ENERGIEWIRTSCHAFTLICHE TAGESFRAGEN 66. Jg. (2016) Heft 8 47
STATISTIK gehend vergleichbaren Leistungen bei der bilanzen als Beitrag zur Entwicklung eines unter: http://necs.statnett.no/WebPartPages/Average- Emissionsvermeidung. klimafreundlichen zukünftigen Wirtschaf- PricePage.aspx?AspxAutoDetectCookieSupport=1 tens zu stärken. [13] Die Qualitätsdebatte zum Thema Ökostrom nimmt Auch innerhalb des marktbasierten Ansatzes in letzter Zeit neben dem EE-Ausbau auch Beiträge des ist die Aussagekraft der Klimabilanzen über Anmerkungen Ökostrommarktes zur verbesserten Systemintegration die Auswirkungen, die die genutzten Strom- der Erneuerbaren, vor allem der fluktuierenden Er- produkte z. B. auf den weiteren Ausbau der [1] Seebach, D. und Timpe, C.: Electricity Disclosure zeugung, in den Fokus (siehe bspw. Hamburg Institut: Stromerzeugung aus EE und damit auf die and Carbon Footprinting: Effects and incentives resul- Weiterentwicklung des freiwilligen Ökostrommarktes tatsächliche Vermeidung von Treibhausgas- ting from different approaches to account for electricity – Endbericht im Auftrag des EnergieVision e.V., Ham- Emissionen im Bereich der Stromerzeugung consumption in carbon footprints (Deliverable 6.2 of burg 2013). Diese Aspekte sind jedoch noch schwerer im haben, sehr gering. Zudem kommt es durch the RE-DISS II Project); Freiburg September 2015. Das Rahmen von Klimabilanzen zu fassen als eine Änderung die parallel zulässige Anwendung der bei- Projekt RE-DISS II wurde durch das Programm „Intelli- des Erzeugungsmixes. Daher konzentriert sich die vor- den Bilanzierungsmethoden und die feh- gente Energie Europa“ der Europäischen Kommission liegende Analyse auf diesen Aspekt der „Zusätzlichkeit“. lende Berücksichtigung von Exporten von sowie durch das Bundesministerium für Wirtschaft [14] International Organisation for Standardisation EE-Strom in den nationalen Strommixen des und Energie gefördert. (ISO): Environmental Management – Life cycle assess- ortsbasierten Ansatzes zu Doppelzählungen [2] Mit „Europa“ werden hier in Anlehnung an das RE- ment – Principles and frameworks (ISO 14040:2006); der Emissionsminderung eines Teils der EE- DISS II-Projekt die 28 EU-Mitgliedstaaten sowie die International Organisation for Standardisation (ISO): Stromerzeugung in Europa. Schweiz, Norwegen und Island bezeichnet. Environmental Management – Life cycle assessment [3] Eurostat: Versorgung, Umwandlung, Verbrauch – – Requirements and guidelines (ISO 14044:2006), Grundsätzlich wäre aus ökologischen Ge- Elektrizität – jährliche Daten [nrg_105a]. Brüssel 2016. Deutsche und Englische Fassung EN ISO 14044:2006; sichtspunkten eine einheitliche, allgemein Abrufbar unter http://ec.europa.eu/eurostat/de/web/ International Organisation for Standardisation (ISO): anzuwendende Methodik zur Behandlung products-datasets/-/NRG_105A Greenhouse Gases: Part 1: Specification with guidance von EE-Strom in Klimabilanzen sinnvoll, [4] Bundesamt für Energie (Schweiz): ESS – Eurostat – at the organization level for quantification and re- welche sowohl die Erschließung von Effi- Europäische Kennzahlen. Abrufbar unter http://www. porting of greenhouse gas emissions and removals; zienzpotenzialen wie auch die Wahl eines bfs.admin.ch/bfs/portal/de/index/international/04.html Reference number ISO 14064-1:2006(E); International ökologisch anspruchsvollen EE-Strompro- [5] Richtlinie 2009/28/EG des Europäischen Parla- Organisation for Standardisation (ISO): Greenhouse duktes wirksam anreizt. Zur Stärkung des ments und des Rates vom 23.4.2009 zur Förderung Gases: Carbon footprint of products – Requirements Effizienzaspektes wäre kurzfristig eine pro- der Nutzung von Energie aus erneuerbaren Quellen and guidelines for quantification and communication; minentere Berücksichtigung des absoluten und zur Änderung und anschließenden Aufhebung der Reference number ISO/TS 14067:2013(E). Energieverbrauchs in der Kommunikation Richtlinien 2001/77/EG und 2003/30/EG. [15] World Business Council for Sustainable Develop- der Klimabilanz möglich, was allerdings [6] Beurskens, L. W. M. und Hekkenberg, M. (ECN): ment (WBCSD), World Resources Institut (WRI): GHG dem Anspruch leicht verständlicherer Mar- Renewable Energy Projections as Published in the Na- Protocol Scope 2 Guidance – A supplement to the GHG ketingaussagen („CO2-frei!“) zuwider läuft. tional Renewable Energy Action Plans of the European Protocol Corporate Standard, Washington D. C., Janu- Member States – Covering all 27 EU Member States, ary 2015. Eine letzten Endes zielführende Lösung Amsterdam 2011. [16] Pehnt, M. (ifeu-Institut); Seebach, D. (Öko-Institut müsste wohl durch die Definition allgemein [7] Ministarstvo gospodarstva (MinGo – Croatian Mi- e. V.); Irrek, W. (Wuppertal Institut); Seifried, D. (Büro anerkannter Kriterien für „zusätzlichen“ nistry of Economy): National Action Plan for Renewable Ö-Quadrat): Umweltnutzen von Ökostrom – Vorschlag EE-Strom und Regeln für dessen bevorzug- Energy Sources to 2020 – provisional translation, Za- zur Berücksichtigung in Klimaschutzkonzepten (Dis- te Anrechnung in Klimabilanzen erfolgen, greb 2013. kussionspapier). Heidelberg, Freiburg, Wuppertal 2009. auch wenn man hierfür von der strengen [8] Olje- og energidepartementet (OED – Norwegian Mi- [17] An dieser Stelle sei darauf hingewiesen, dass methodischen Leitlinie des „Attributional nistry of Petroleum and Energy): National Renewable die hier getroffenen Schlussfolgerungen nicht in Approach“ abweichen müsste. Dies er- Energy Action Plan under Directive 2009/28/EC – Nor- gleichem Maße für Länder mit einem hohen Anteil scheint aber vertretbar, um Bilanzierungs- way (Inofficial translation of September 2012, based on nuklearer Erzeugung gelten, welche ebenfalls einen ergebnisse zu erhalten, die zu ökologischem NRAP in Norwegian of June 2012), Oslo 2013. niedrigen durchschnittlichen CO2-Emissionsfaktor Handeln anregen. [9] Klimscheffskij, M. und David, L.: The Size of the aufweisen. Renewable Energy Market, Präsentation beim RECS [18] Association of Issuing Bodies (AIB): AIB Statis- Es ist daher zu hoffen, dass entsprechende Market Meeting, Oslo 2015. tics 2015Q4; Statistics Norway (2016): Statistics – Ansätze schon kurzfristig von ökologisch [10] EEX: Marktdaten für Herkunftsnachweise, Pro- Electricity (monthly data); Abrufbar unter https:// motivierten Anwendern im Rahmen ihrer dukt „Nordic Hydro”. Leipzig, Juni 2013 bis April 2015, www.ssb.no/en/energi-og-industri/statistikker/elek- Klimabilanzen umgesetzt werden. Mittel- abrufbar unter: http://www.eex.com trisitet/maaned bis langfristig wird hoffentlich die hier vor- [11] Nordpool: Elspot prices, Yearly, nach Preiszo- gebrachte Anregung von den einschlägigen nen. Lysaker 2016. Abrufbar unter: http://nord- D. Seebach, Senior Researcher, C. Timpe, Normungsgremien bei ISO, CEN und DIN, poolspot.com/Market-data1/Elspot/Area-Prices/ALL1/ Leiter Bereich Energie & Klimaschutz, Öko- aber auch bei einer nächsten Revision der Yearly/?view=table Institut e. V. – Institut für angewandte Öko- Scope 2 Guidance des GHG Protocol mit [12] Statnett: Statistics Elcertificates, Januar 2013 – logie, Freiburg aufgegriffen, um die Funktion von Klima- Dezember 2015, Wechselkurs vom 16.3.2016; Abrufbar D.Seebach@oeko.de 48 ENERGIEWIRTSCHAFTLICHE TAGESFRAGEN 66. Jg. (2016) Heft 8
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