HERTHA B.S.C. im Dritten Reich - Die Jahre 1933 1945 - Von Daniel Koerfer
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HERTHA B.S.C. im Dritten Reich – Die Jahre 1933 - 1945 Von Daniel Koerfer*
Inhaltsverzeichnis Seite Einleitung und Zusammenfassung ..................................................................................2 I. Propagandaaktion von Hertha B.S.C. nach dem April Boykott 1933 ....................4 II. „Vereinsführer“ – Hertha B.S.C. und die Gleichschaltung......................................7 III. Politisch motivierte Umgestaltungen.....................................................................11 IV. „Dietwart“ Karl Neumann: NS-Propagandist und Schlüsselfigur ........................16 V. Hanne Sobek: Herthas Held? .................................................................................18 VI. Einschwenken der Vereinsspitze auf das braune Regime...................................21 VII. Dr. Hermann Horwitz und die „Pfeiffer-Krise“ ......................................................24 VIII. Der Führungswechsel: Das Team Rinderspacher/Windgassen ..........................29 IX. Ausweg aus Finanzkalamitäten: „Ehrenmal“ und Kooperation mit den Machthabern? ..........................................................................................................31 X. Hertha B.S.C. und „Führers Geburtstag“ 1939 ......................................................42 XI. Der Verein im Krieg ..................................................................................................44 XII. Der Schwur von Pressburg 1940 – Propagandareise im Staatsinteresse ...........46 XIII. Verbale Militarisierung nach aussen, Zusammenhalt nach innen .......................50 XIV. Hertha B.S.C. und der Feldzug gegen die Sowjetunion........................................52 XV. Briefwechsel zwischen Front und Heimat: Fussball im Krieg..............................56 XVI. Ende und Neugründung ..........................................................................................62 Quellen- und Literaturverzeichnis..................................................................................63 Anhang: Akten/Aussagen zum Entnazifizierungsverfahen……………………………...64 1
Einleitung und Zusammenfassung Die Beschäftigung mit der Geschichte des Berliner Fussballclubs Hertha B.S.C. im Dritten Reich ist aus verschiedenen Gründen schwierig. Die Mate- riallage ist äusserst dünn. Ein Hertha-Archiv, das den Namen verdient, exis- tiert nicht. Lediglich einige wenige Aktenstücke (etwa zur Pressburg-Reise 1940) sind bis heute erhalten geblieben. Als Ausgangsbasis für die Recher- che und zugleich als zentrale Grundlage für die Erarbeitung mindestens einer fragmentarischen Vereinsgeschichte können die in loser Folge zwischen 1933 und 1943 erschienenen Hertha-Vereinsnachrichten herangezogen wer- den. Diese Blätter, die in den Kriegsjahren bei viertel- bzw. halbjährigem Er- scheinen bis zu 48 Seiten umfassen konnten, spiegeln den Verein in doppel- ter Weise. Zum einen enthalten sie die wesentlichen Informationen zur Aus- sendarstellung des Vereins, zum anderen eine Vielzahl von Hinweisen zum alltäglichen Umgang der Vereinsmitglieder untereinander im Club. Im Fol- genden werden nahezu ausschliesslich die Aussagen mit politischem Bezug und Hintergrund herangezogen und ausgewertet. Diese Informationen ma- chen zwischen 5 und 10 Prozent der Gesamttexte aus. Insofern wird bewusst ein etwas schiefes Bild erzeugt. Der allergrösste Teil der Vereinsinformatio- nen im Dritten Reich ist auch bei sorgfältigster Analyse als „unpolitisch“ ein- zustufen, behandelt Spielberichte, Schiedsrichteransetzungen, Keglerthemen usw.! Insgesamt kann man auf den Verein wohl eine Art „Hüllentheorie“ anwenden. Es gab so etwas wie eine zunehmend vom Nationalsozialismus infizierte Hül- le, die von grossen Teilen der Vereinsspitze getragen und ausgestaltet wur- de. Die allermeisten der Mitglieder und Spieler in diesem Verein aus dem Berliner Wedding mit seiner eher proleatrisch-linken Tradition und Bevölke- rungsstruktur – bei den letzten Reichstagswahlen 1930 und zweimal im Jahre 1932 hatten im Wedding über 43 Prozent KPD gewählt, im November 1932 sogar fast 50 Prozent, während sich nur noch 23 Prozent für die SPD ent- schieden - blieben dem Nationalsozialismus gegenüber distanziert - auch wenn Hitlers zunehmend sichtbare innen-, wirtschafts- und aussenpolitische Erfolge, später dann seine militärischen Siege und Eroberungen ihm selbst in diesem Milieu eine wachsende und über lange Zeit wohl auch beträchtliche Zustimmung bis weit in den Krieg hinein, möglicherweise sogar bis zur Wen- de von Stalingrad eintrugen. Die grosse Mehrheit der Mitglieder von Hertha BSC ist nicht in die NSDAP eingetreten. Selbst in der Vereinsführung finden wir keine vollumfängliche Parteimitgliedschaft aller Repräsentanten. Durch die Funde in den diversen Berliner Archiven lassen sich allerdings nunmehr endlich präzisere Angaben zur Entwicklung des Vereins zwischen 1933 und 1945 machen. Mit dieser Studie wird die Entwicklung in jenen Jahren allerdings zum ersten Mal er- forscht. Sie tastet sich damit auf Neuland vor, kann manchmal, etwa über die 2
Substanz der Verbindungen zwischen der Gausportführung, der NS- Gauleitung, aber auch der SA und ab 1936/37 der SS und Hertha B.S.C., keine ganz präzisen Informationen, sondern allenfalls auf Spurenelemente gestützte Vermutungen liefern. Fest steht, Hertha B.S.C. war kein nationalso- zialistisch infizierter Verein, hat, anders als etwa der VfB Stuttgart, als Werder Bremen oder 1860 München nicht schon vor 1933 Kontakte zur braunen Be- wegung geknüpft. Aber auch Hertha B.S.C ist nicht völlig unbeschädigt durch das Dritte Reich hindurch gekommen. Blenden wir zurück – Hertha B.S.C. ist in der Endphase der Weimarer Republik 1930 und 1931 gerade zweimal hin- tereinander Deutscher Meister geworden: Der am 25. Juli 1892 gegründete Fussballverein führt den Namen „Hertha, Berliner Sport-Club (Hertha-B.S.C.)“ und ist seit dem 13. Januar 1931 nach der Eintragung in das Vereinsregister des Amtsgerichts Berlin-Wedding ein „eingetragener Verein“ (e.V.). „Ordentliches Mitglied kann jede unbescholtene männliche Person werden, welche das 18. Lebensjahr vollendet hat und sich den Satzungen unterwirft“, heisst es in § 5 der Satzung von 1931. Die Sat- zung weist ansonsten keinerlei Besonderheiten auf, sieht man einmal davon ab, dass in § 64 ausdrücklich vermerkt wird, dass „das Rauchen in Sportklei- dung, auch im Ankleidelokal, auf keinen Fall gestattet (ist)“ (Satzung im Landesarchiv Berlin, Bestand Hertha BSC). Innerhalb weniger Monate vollzog sich nach dem 30. Januar 1933 in ganz Deutschland eine im Rückblick erstaunlich rasante wie umfassende national- sozialistische Gleichschaltung. Zentrale Grund- und Menschenrechte, rechts- staatliche, föderative und demokratische Sicherungen wurden beiseite ge- wischt. Zudem begleitete eine Terrorwelle gegen Andersdenkende und jüdi- sche Deutsche die Etablierung des „Führer-Staates“. Die Errichtung des ers- ten KZ in Dachau – von Himmler auf einer Pressekonferenz im März 1933 öffentlich angekündigt – hatte keineswegs zur massenhaften Abkehr vom neuen Regime geführt. Im Gegenteil, die neuen Machthaber mit einem durch raffinierte Propaganda schon früh verklärten, entrückten Hitler an der Spitze wurden von einer Welle der Begeisterung und Zustimmung eines Grossteils der deutschen Bevölkerung getragen, sofern man nicht zur Gruppe der poli- tisch oder aus Gründen des Rassenwahns Verfolgten, Bedrängten, Ge- schundenen gehörte. Dabei erwies sich die braune Diktatur schon bald als ein System, das alles und jeden anzusprechen, zu erfassen, zu gewinnen, andererseits aber auch jeden potentiellen Gegner erbittert zu bekämpfen und zu vernichten suchte. Verführung und brutale Gewalt waren die zwei Seiten der braunen „Medaille“. Alle Bereiche des Lebens wurden von diesem Pro- zess berührt. Sich abseits zu halten, sich sichere Nischen zu schaffen, war schwer, fast unmöglich. Vorauseilender Gehorsam und eine weit verbreitete Anpassungsbereitschaft erleichterte Hitler und seinen Gefolgsleuten die radi- kale Umgestaltung Deutschlands. 3
Auch der Sport machte keine Ausnahme. Auch er wurde vom Hitler-Regime mit Beschlag belegt, wurde dadurch zweifellos „kontaminiert“. Schon im „un- abänderlichen“ 25-Punkte-Programm der NSDAP vom 24. Februar 1920 war (unter Punkt 21) die „Herbeiführung körperlicher Ertüchtigung mittels gesetz- licher Festlegung einer Turn- und Sportpflicht, durch grösste Unterstützung aller sich mit körperlicher Jugend-Ausbildung beschäftigenden V e r e i n e“ festgeschrieben worden. Im Hintergrund stand natürlich bei alledem die – in der Sprache der Zeit so genannte - „Wehrhaftmachung der Volkesgemein- schaft“, die Gewinnung möglichst vieler austrainierter junger Soldaten. „Man gebe der Nation sechs Millionen sportlich tadellos trainierter Körper, alle von fanatischer Vaterlandsliebe durchglüht und zu höchstem Angriffsgeist erzo- gen, und ein nationaler Staat wird aus ihnen, wenn notwendig, in nicht einmal zwei Jahren eine Armee geschaffen haben“, wird Hitler im zweiten Band von „Mein Kampf“ (auf S. 611) 1926 formulieren. I. Propagandaaktion von Hertha B.S.C. nach dem April Boykott 1933 Auch im Sport war die Zahl derjenigen beträchtlich, die nach dem 30. Januar 1933 rasch und voller Enthusiasmus auf die neue Linie einschwenkten. Damit einher ging die Bereitschaft, über die früh sichtbaren düsteren Seiten des Regimes hinweg zu sehen oder sie sogar als notwendige Begleiterscheinun- gen eines unabdingbaren Wandlungsprozesses zu rechtfertigen. Unmittelbar nach den ersten von Goebbels, Streicher und anderen gesteuerten, breit an- gelegten antisemitischen Ausschreitungen im Zuge des sogenannten „April- Boykotts“ 1933 gegen Geschäfte und Unternehmen jüdischer Deutscher tra- ten auch Sportvereine öffentlich als Verteidiger des Regimes in Erscheinung. Ausländische Zeitungen vor allem in England und den USA hatten ausführlich und kritisch über eine progromartige Stimmung im Lande berichtet. Dagegen startete die Reichsregierung mit Blick auf die Olympischen Spiele 1936 eine Gegenpropaganda-Aktion. DFB und DSB publizierten eine Erklärung: „An die Sportsleute aller Länder! Der Vorstand des DFB und der Vorstand der Deutschen Sportbehörde für Leichtathletik versichern den ausländischen Sport- kameraden, dass die im Ausland verbreiteten unsinnigen Meldungen über die Zustände in Deutschland keinen Glauben verdienen. D i e O r d n u n g i n D e u t s c h l a n d i s t g e f e s t i g t e r d e n n j e. Zahlreiche in den letzten Wochen in allen Teilen Deutschlands ausgetragene Wettspiele gegen ausländi- sche Gegner, von denen einzelne von 50.000 Personen, darunter viele Tausende von Ausländern, besucht wurden, beweisen durch ihren guten Verlauf sehr ein- dringlich, dass die im Ausland verbreiteten Berichte als ü b e l w o l l e n d e T e n d e n z m e l d u n g e n anzusprechen sind.“ Unter der Überschrift „Unterstützung der Abwehr-Propaganda“ berichtet die „Fussballwoche“ vom 3. April 1933 über dieses Thema. Es wird dort aus- 4
drücklich darauf verwiesen, dass HERTHA B.S.C. als Berliner Club mit den besten Auslandsverbindungen obige Erklärung wortgleich in seinem „Vereins- Megaphon“ übernahm und, versehen mit einem Begleitschreiben, an 23 be- freundete ausländische Vereine, darunter in England etwa FC Sunderland, Westham United, Blackburn Rovers, Celtic Glasgow (in Schottland), an Red Star (Paris), Ajax Amsterdam, den FC Barcelona, nach Polen an Garbania (Krakau) oder zu den Grasshoppers nach Zürich schickte. Die Redaktion schliesst mit den Zeilen „Es wäre erfreulich, wenn auch die anderen V.B.B.- Vereine mit internationalen Beziehungen (Viktoria, Tennis-Borussia, Preussen, Blauweiss, Minerva etc.) sich in ähnlicher Weise mit ihren ausländischen Freunden in Verbindung setzen würden“ (FuWo vom 3.4.1933, S.4, vgl. dazu auch Vereins- Megaphon vom 8.4.1933, S.4). Hertha B.S.C. hatte sich also früh in den „Propaganda-Dienst“ des neuen Hit- ler-Regimes gestellt. Weshalb? Weil zumindest ein Teil der Verantwortlichen in der Vereinsführung – der stellvertretende Vorsitzende, der Kassenwart – mit der neuen „Regierung der nationalen Konzentration“ sympathisierten, kurz zuvor in die NSDAP eingetreten waren. Weil Hitler so etwas wie eine Besserung der ökonomischen Verhältnisse versprach, trotz allem Verfol- gungsdruck gegen Kommunisten und Sozialdemokraten, den man natürlich im tendenziell eher „roten“ Berliner Wedding deutlich wahrnahm. Dass sich die wirtschaftlichen Gegebenheiten denn auch bald besserten, weil die schon von den Vorgängerregierungen Brüning/Papen/Schleicher eingeleiteten Ar- beitsbeschaffungsmassnahmen zusammen mit der von Hitler begonnenen und auf Pump sowie über preisgestoppte Inflation finanzierten Aufrüstung ih- re positiven Wirkungen auf dem Arbeitsmarkt entfalteten, hat ja auch die Po- pularität des „Führers“ sehr nachhaltig unterfüttert. Anfang 1933 aber war die wirtschaftliche Lage tatsächlich für viele desaströs. Die Arbeitslosigkeit lag in Deutschland im Januar abermals, wie im Januar des Vorjahres, bei über 6 Millionen, bei fast 30 Prozent. Auch in den Vereinsnachrichten von Hertha B.S.C. finden sich Spuren jener heftigen ökonomischen Krise, von deren Ausmass die Wohlstandsdeutschen heute kaum mehr eine Vorstellung haben. Die vergleichsweise schlechten sportlichen Resultate der ersten Mannschaft werden im April 1933 wie folgt erklärt: „Die ungeheure wirtschaftliche Not drückt irgendwie auf die Spieler. Wo ist noch eine Familie, die nicht von dieser Not, sei es Arbeitslosigkeit, Geschäfts- rückgang, Einkommensminderung, betroffen ist? Vergessen wir auch nicht, dass der brutale Kampf ums tägliche Brot Formen angenommen hat, die man früher nur in Ausnahmefällen kannte und wie dadurch die Kraft über Gebühr in An- spruch genommen wird. Es spielt sich nicht gut mit schweren Sorgen im Kopf – und, Hand aufs Herz, wer hätte sie heute nicht…“ (Hertha B.S.C. Vereins-Nachrichten vom April 1933, S. 2). 5
Erstaunt es da, wenn der Verein gleichzeitig seinen Mitgliedern mitteilt „Infol- ge der allgemeinen wirtschaftlichen Lage haben wir von Vergnügungen jeglicher Art Abstand genommen“ (Vereins-Nachrichten, April 1933, S. 1)? Mit anderen Worten: Alle vom Verein organisierten Kameradschaftsabende abseits vom reinen Fuss- ballsport sind gestrichen, fallen aus. Auch die Zahl der Mitglieder wird von der dramatischen Entwicklung berührt. Der Verein muss in diesen Wochen 40 Mitglieder - das entspricht etwa 10 Prozent der Gesamtmitgliedschaft - aus- schliessen, weil sie den monatlichen Mitgliedsbeitrag von 1 RM nicht bezah- len konnten (ebd.)! Niemals später im Dritten Reich wird das wieder vorkom- men. Die Zahl der Austritte, es sind 32, ist im Frühjahr 1933 recht hoch, wird aber durch die 56 Neueintritte mehr als ausgeglichen. Fussball ist gerade im proletarischen Milieu um den Gesundbrunnen für junge Männer eine will- kommene Ablenkungsmöglichkeit, der zweifache deutsche Meister als sport- liche Adresse attraktiv. Aber der 1. Vorsitzende, der Sozialdemokrat und Ge- werkschaftsmann Wilhelm Wernicke, seit 1903 Vorsitzender und mithin schon jetzt ein Hertha-Urgestein, - er wird dem Verein bis zu seinem Tode 1967 eng verbunden bleiben - macht seine Sorgen jetzt öffentlich: „Wofür alles im Verein gesorgt und woran gedacht werden muss? Termine für die 1. Mannschaft, Abschlüsse, Reisen, Training aller Mannschaften, Arzt, Mas- seur, Plätze für die zahllosen unteren Mannschaften, Hypothekenzinsen, Platz- pacht, Bezahlung der Angestellten, Sitzungen, Beschwerden, Wünsche, Erhal- tung der Disziplin, Instandhaltung des Materials, Neubeschaffungen, Vereinszei- tung und – Geld, Geld, Geld. Geht denn aus den genannten Dingen nicht schon genügend hervor, wie wichtig dieser letzte Faktor für uns ist? Für einen so um- fassenden Spielbetrieb? Unser Mitgliedsbeitrag beträgt 1 RM monatlich – das bringt uns bei ca. 400 zahlenden Mitgliedern knapp die Unkosten für die Ge- schäftsstelle ein. Unseren Platz in Pankow mussten wir aufgeben, weil er zu teu- er wurde. Den in Rosenthal (für die Jugendmannschaften, Anm.d.Verf.) besitzen wir noch, er kostet viel Hypothekenzinsen und der Platz am Gesundbrunnen kostet Pacht. Man mag sich ein Bild machen, welche Summen laufend benötigt werden, und wir sind froh, dass bei unseren noch relativ guten Zuschauerzahlen wir uns immer noch so leidlich durchwürgen. Aber oft genug sitzen wir mit di- cken Köpfen, denn wir haben wochenlang schlechte Wochen durch Ausfälle, Regenwetter, unwichtige und daher schlecht besuchte Spiele, auch durch solche, bei denen die Abgaben (Platz, Gegner, Verbände) besonders hoch sind…“ (Ver- eins-Megaphon – offizielle Vereinszeitung für jeden V.B.B-Verein, Nr. 1, 8.4.33, S. 5). Eine sehr anschauliche Momentaufnahme. Die Zuschauer waren damals – Fernsehgelder gab es nicht – die wichtigste Einnahmequelle. Und: Herthas heutige finanzielle Probleme können auf eine lange Tradition verweisen. Von einem Ruf nach staatlicher oder städtischer Unterstützung ist ausserdem bei Wernicke an keiner Stelle die Rede. Bis es dazu kommt, werden noch einige Jahre vergehen. Die mit der nationalsozialistischen Machtergreifung verbun- dene tiefgreifende politische Umgestaltung erreicht allerdings den Verein schon jetzt. 6
II. „Vereinsführer“ – Hertha B.S.C. und die Gleichschaltung Im Zuge der Gleichschaltung wurde in ganz Deutschland bekanntlich das „Führerprinzip“ eingeführt, gab es plötzlich überall kleine Hitler. In den Betrie- ben hiessen sie „Betriebsführer“, in den Vereinen entsprechend „Vereinsfüh- rer“. Die Zuständigkeiten und Kompetenzen von Gremien wie Hauptver- sammlungen oder Mitgliederversammlungen wurden beschnitten, die Allein- verantwortung von Vorständen und Direktoren gestärkt. Das geschah im Sommer 1933 auch bei HERTHA B.S.C. - alle Formen vereinsinterner Demo- kratie mit Ausnahme der Wahl des „Vereinsführers“ wurden stark einge- schränkt. Das geschah hier eher beiläufig, en passant. Auf der Tagesordnung der entscheidenden, von lediglich 160 Mitgliedern besuchten Generalver- sammlung am Dienstag, dem 27. Juni 1933 in den Atlantic-Festsälen in der Behmstrasse 3 - 5 ist der ja schwerlich ganz unwichtige Punkt „Satzungsän- derung“ nicht gesondert ausgewiesen, wird unter Punkt 4, „Anträge“ behan- delt werden. Zunächst steht der sportliche Teil im Mittelpunkt. Sportwart (Trainer) „Kaiser“ Karl Tewes, selbst über lange Jahre Spieler im Verein – er spielte seit 1920 87 mal für die erste Mannschaft, Hanne Sobek wird als Spie- ler bis 1936 allerdings 453 Spiele machen, übertroffen allein noch durch Max Fischer (628), Willy Haberstroh (513) und Sobeks Stürmerkollegen Willi Kirsei (484) (vgl. Statistik in Hertha-Nachrichten 3/August 1936, S.12), referierten zunächst ausführ- lich über die 1. Mannschaft. „Es erfolgt eine längere Aussprache über das verloren gegangene Spiel in Allenstein (Ostpreussen) um die Deutsche Meis- terschaft,“ vermerkt an dieser Stelle das Protokoll – das sensationell frühe Aus des Favoriten von Anfang Mai trieb die Vereinsmitglieder auch noch sie- ben Wochen später um (Protokoll, S.1). Berichte des Sportausschusses, der Ju- gendabteilung, der Schiedsrichter, der Platzkommission, des Ehrenrates, des Vergnügungsausschusses („es haben keine Veranstaltungen stattgefunden“), der Gesangsabteilung und – der Bericht füllt im Protokoll viele Seiten – der erfolgreichen Kegelabteilung, all das stand vor der Verabschiedung der ge- änderten Satzung. In dieser modifizierten Satzung fallen vor allem zwei Änderungen auf: die E- tablierung des ersten Vorsitzenden als „Führer des Vereins“, der gemäss dem neu formulierten § 25 zunächst für ein Jahr (später für zwei Jahre) ge- wählt wird und alle übrigen Mitglieder des Vorstandes alleinverantwortlich er- nennt sowie deren Mitarbeiter bestätigt oder abberuft: „Führerdemokratie“ nach Hitlers Vorbild. Die weitreichenden vereinsrechtlichen Kompetenzen des neuen Vereinsführers werden schon bald in Erscheinung treten. Ausserdem wird in § 2 gestrichen, dass der „Verein Gesundheit, Willenstärke, Gewandtheit, Ausdauer und Körperkraft seiner Mitglieder heben (will), unter Ausschluss jeglicher politischer und religiöser Bestrebungen“ (Protokoll S.5f., Landes- archiv Berlin, Bestand Hertha). Das Bekenntnis zu den politischen Zielen des neuen Staates steckt implizit in dieser Streichung, denn fortan gehörte politische Schulung im Sinne des Regimes mit zur Vereinsaufgabe. 7
In einer weiteren, diesmal ausserordentlichen Generalversammlung am 1. Dezember 1933 wird der Vereinsführer ermächtigt, „die bisherigen Bestim- mungen der Vereinssatzungen in einzelnen Punkten abzuändern. Die Festset- zung der abzuändernden Satzungsbestimmungen bleibt dem Vereinsführer ü- berlassen, wobei dieser in verschiedenen Punkten die Mustersatzungen des Bundesführers im Deutschen Fussballbund zugrunde legt“(Protokoll Bestand Hertha BSC, Akten Amtsgericht Berlin). Bei dieser abermaligen Überarbeitung wird gemäss der Mustersatzung des DFB nunmehr besagter § 2 deutlicher gefasst. Er lautet jetzt: “Der Verein be- zweckt die leibliche und seelische Erziehung seiner Mitglieder im Geiste des natio- nalsozialistischen Volksstaates durch die planmässige Pflege der Leibesübungen, insbesondere Fussball und Kegeln. Die Farben des Vereins sind blau - weiss“ (Sat- zung vom Reichssportführer geprüft und genehmigt am 9.7.1935, Aktenvermerk „Anlage zum Protokoll v.1/12.33“, im Bestand Hertha BSC, Akten Amtsgericht Berlin, Kursiv gesetzt Text d.Musterfassung des DFB). Ausserdem wird gemäss dem geänderten § 9 nun der „Vereinsführer auf 2 Jahre gewählt. Er bedarf der Bestätigung durch den Reichssportführer und kann von diesem jederzeit abberufen werden.“ Hiermit ist nach aussen hin, vor allem gegenüber den sportlich übergeordne- ten Gremien wie auch gegenüber den staatlichen, bzw. polizeilichen Prüfstel- len deutlich gemacht, dass sich der Verein den Prämissen des NS-Staates zu unterwerfen bereit ist – mehr sollte man aus diesen Zeilen aber wohl nicht herauslesen. Bei der „Wahl des Führers“ im Juni 1933 waren zwei Vorschläge gemacht worden: Wilhelm Wernicke, Jahrgang 1882, langjähriges SPD-Mitglied im Berliner Wedding, schon seit 1903 - 1933 Vereinsvorsitzender, so etwas wie die Zentral- und Schlüsselfigur bei Hertha über Jahrzehnte hinweg. Nach der Zerschlagung der deutschen Gewerkschaften am 2. Mai 1933 – am Tag zu- vor war der „1. Mai“ von Hitler dem deutschen Arbeiter feierlich als Staatsfei- ertag „geschenkt“ worden (und ist seither bekanntlich in Deutschland gesetz- licher Feiertag geblieben) - war Wernicke zwangsweise Mitglied in der Deut- schen Arbeitsfront (DAF) geworden, jener mit rund 23 Millionen grössten NS- Massenorganisation, die alle „schaffenden Deutschen“ vereinigen sollte, blieb aber ansonsten auf Distanz zur NSDAP, liess sich nicht von der Partei ver- einnahmen, trat nie in sie ein. Sein langjähriger stellvertretender Vereinsvorsitzender, nun ebenfalls zur Wahl vorgeschlagen, der Jurist und Syndikus Hans W. Pfeiffer, geboren 1897, hatte es da anders gehalten. Er war seit dem 1. Januar 1933 NSDAP-Mitglied Nr. 1.435.282 in der Ortsgruppe am Stettiner Bahnhof, war 1933 bereits Amtswalter des Bundes Nationalsozialistischer Deutscher Juristen und Grup- penführer und Fraktionsvorsitzender der Deutschen Christen (D.C.), in der Gemeinde St. Elisabeth (siehe hierzu die Angaben im Stapo-Schreiben von Vereinsführer Pfeiffer 8.6.34, in den Akten Landesarchiv Berlin, Bestand Hertha sowie Bundesarchiv Berlin-Lichterfelde, NSDAP-Reichskartei/Berlin Do- 8
Pfeiffer hatte noch vor der Amtseinsetzung Hitlers als Reichs- cument Center LO131). kanzler, vor der anschliessenden skrupellos durchgesetzten NS- Machtergreifung erkannt, aus welcher Richtung der Wind wehte. Und hatte persönlich die Konsequenzen gezogen. Pfeiffer war als Galionsfigur jetzt der rechte Mann im Wortsinn, um nach aussen hin die Neuausrichtung des Ver- eins zu dokumentieren, ohne nach innen allzu viel umwerfen zu müssen. Nachdem Wernicke im Protokoll nicht näher vermerkte Gründe angibt, wes- halb er eine Wahl zum „Führer des Vereins“ nicht annehmen könne – er wird vermutlich genau auf diesen Zusammenhang, seine für Nationalsozialisten schwer erträgliche SPD-Mitgliedschaft und Gewerkschaftsnähe etc. hinge- wiesen haben - wird Hans Pfeiffer schlicht als Führer des Vereins „bestätigt“. Wahlen gelten damals bereits als anachronistisches Teufelszeug aus der „Systemzeit“ der Weimarer Jahre, man sucht sie zu vermeiden, wo immer es nur ging, die Kassenprüfer oder auch die Mitglieder des Ehrenrates werden von der Vereinsversammlung in den Folgejahren aber weiterhin gewählt (Eine Abschrift des vollständigen Protokolls der „Generalversammlung“ vom 27.6.1933 findet sich in den Akten des Landesar- chivs Berlin, Bestand Hertha). Die Zusammensetzung des Ältestenausschusses bestimmt allerdings Pfeiffer als „Vereinsführer“. Auf der ausserordentlichen Generalversammlung am 1.12.1933 schlägt er u.a. neben Wilhelm Wernicke noch Hanne Sobek, Gottfried Rinderspacher und Karl Windgassen vor – allesamt Schlüsselfi- guren in den Folgejahren. PG ist zu diesem Zeitpunkt keiner, Gottfried Rin- derspacher allerdings wird im März 1934 in die SA eintreten. „Andere Vor- schläge werden nicht gemacht, somit sind vorstehende Herren in den Äl- testenausschuss gewählt worden“, vermerkt das Protokoll (Eine Abschrift des voll- ständigen Protokolls der „ausserordentlichen Generalversammlung“ vom 1.12.1933 findet sich in den Akten des Landesarchivs Berlin, Bestand Hertha. Weiter vorgeschlagen waren von Pfeiffer die Herren Michaelis, Schlag, Theodor Haase, Maulhardt, Koschnitzki, Schnötke, Weixer, Max und Erich Fischer, Baumann, Gimbel – die Ge- neralversammlung war erforderlich geworden, weil die Satzung den Gau- und DFB-Vorschriften entsprechend geändert werden musste). Das Verhältnis zwischen Wernicke und Pfeiffer blieb weiterhin kooperativ, nach aussen hin wurden die Spitzenfunktionen im Verein einfach umgedreht, denn Wernicke wird von Pfeiffer gegenüber der Staatspolizei noch im Som- mer 1934 als „Stellvertreter des Vereinsführers“ gemeldet (Schreiben Pfeiffer vom 8.6.1934 an den Polizeipräsidenten von Berlin, Staatspolizeistelle, Berlin-Alexanderplatz, AZ „Stapo 3c.4901 Diese Aufteilung lässt sich 1935 nicht mehr auf- Landesarchiv Berlin, Bestand Hertha). recht erhalten, Wernicke muss nach aussen hin stärker in den Hintergrund treten, die Position des stellvertretenden Vereinsführers bleibt für die nächs- ten Jahre unbesetzt. Beim Verein hatte man es übrigens nicht eilig, die beschlossenen Satzungs- änderungen und die Liste mit der neuen, nunmehr vom Vereinsführer allein- verantwortlich zusammengesetzten Vereinsspitze den staatlichen Stellen, insbesondere der Staatspolizeistelle für den Landespolizeibezirk Berlin zuzu- stellen. Das geschieht erst ein knappes Jahr später. Die bürokratischen Müh- 9
len der ersten deutschen Diktatur arbeiten offenbar im Sportbereich noch langsam. Weil auf der übermittelten Liste die Parteimitgliedschaft der Vereinsspitze nicht kenntlich gemacht worden ist, hakt die Staatspolizeistelle aber am 19. Mai 1934 brieflich und am 21. Mai 1934 telefonisch nach, verlangt ausserdem jetzt endlich die neu gefasste Satzung und die Übermittlung der Anerkennung durch den Gauführer im Gau III Berlin-Brandenburg im DFB. Nachdem diese Anerkennung per 31.5.1934 erfolgt ist, übermittelt Pfeiffer die gewünschten Personal-Unterlagen am 8. Juni 1934. Die neue Vereinssatzung allerdings könne er nicht übersenden, weil „das einzige Exemplar z. Zt. beim Vereinsre- gister, bzw. bei Ihnen liegt. Sobald ich die Satzungen vom Gericht zurücker- halten, will ich Ihnen eine beglaubigte Abschrift einsenden“, verspricht er (Schreiben Pfeiffer vom 8.6.1934, Landesarchiv Berlin, Bestand Hertha). Fast genau ein weiteres Jahr später, am 24. April 1935, fordert die Staatspo- lizeistelle den Vereinsführer Pfeiffer nunmehr doch in scharfem Tone auf, die immer noch nicht übermittelte Satzung „innerhalb von 5 Tagen“ beizubringen (Stapo-Schreiben vom 24.4.1934, Landesarchiv Berlin, Bestand Hertha). Mit einem Begleitschreiben, das auf den 2. Mai 1934 datiert ist, aber laut Eingangsstempel erst am 3. Mai 1935 bei der Staatspolizeistelle eingeht (!), übermittelt Hertha- Geschäftsführer Drössler endlich die angeforderten Unterlagen und schreibt dazu treuherzig: „Durch ein Versehen unsererseits und teilweise Überlastung unserer Geschäftsstelle, bitten wir gütigst entschuldigen zu wollen, dass wir Ihnen erst jetzt eine Abschrift unserer Satzung zustellen“ (Schreiben Drössler vom 2.5.1934, Landesarchiv Berlin, Bestand Hertha). Offenbar hatte man beim Verein die Ange- legenheit tatsächlich ein volles Jahr beiseite gelegt und nicht bearbeitet. Vor- auseilender Staatsgehorsam sieht anders aus. Dabei hat zumindest rhetorisch der neue nationalsozialistische Geist allmäh- lich Einzug gehalten in den Publikationen des Vereins. Darüber und über die Entwicklung bei Hertha B.S.C. im Laufe des Jahres 1933 gibt das „Hertha- Nachrichtenblatt Nr. 26“ vom November 1933 recht anschaulich Auskunft. Es wurde redaktionell und inhaltlich noch von Wilhelm Wernicke verantwortet, der weiterhin im Verein hinter den Kulissen emsig tätig ist und das auch wäh- rend der 12 Jahre des Dritten Reiches bleibt, bzw. bleiben kann. Seine SPD- Mitgliedschaft, sein Einsatz als Gewerkschafter in der Weimarer Republik sind kein Hinderungsgrund. Am Anfang des Heftes steht ein vermutlich von Pfeiffer verfasstes Editorial. Es belegt, dass die allermeisten Vereins- Mitglieder aus dem Arbeiterbezirk, dem tendenziell roten Berliner Bezirk Wedding bis 1933 den Nationalsozialisten eher mit Distanziertheit begegnet sind, dass das Einschwenken auf die „neue Zeit“ nunmehr aber auch bei Her- tha B.S.C. begonnen hatte. Unter der Überschrift „Liebe Klubkameraden!“ heisst es dort in teilweise erstaunlich ungelenk wirkenden Formulierungen: „Zum ersten Mal erscheint heute die Vereinszeitung in der neuen Zeit, die für Deutschland und als Folge auch für Deutschlands Sport herangebrochen ist. 10
Hertha B.S.C. ist durchaus nicht von denen gewesen, die an dem Tage, da end- lich die Bahn für das Grosse, das Neue und Aufrechte frei wurde, blindlings al- les über Bord warf und sich als grosser heimlicher Vorkämpfer des Nationalso- zialismus aufspielte. Wohl haben auch in Herthas Kreisen viele Nationalsozialis- ten seit Jahr und Tag gestanden, wohl hat Hertha stets dafür Sorge getragen, dass kommunistische Gedanken nicht aufwucherten, aber das Gros der Mitglie- der stand dem neuen Gedanken doch zunächst fremd gegenüber. Es ist – seitdem Hertha unter nationalsozialistischer Führung steht – eine der grossen Aufgaben des Vereins geworden, die Liebe und das Verständnis für den neuen Staat zu fördern und Herthas Führung erkennt mit Stolz und Freude, dass sie auf dem rechten Wege ist. Selbstbewusste, harte, ehrenhafte Männer aus ihrer Jugend zu machen, Männer, die ihr Vaterland lieben, ihr Vaterland lieben und nochmals ihr Vaterland lieben. Und so nämlich sehen die Männer des Nationalsozialismus aus. Über allem steht der Gemeinnutz! Wehrhafte Sportsleute sind im neuen Staat besonders willkommene Mitglieder. Adolf Hitler sagt in seinem Buch: ‚Der völkische Staat muss von der Vorausset- zung ausgehen, dass ein zwar wissenschaftlich nicht gebildeter, aber körperlich gesunder Mensch mit gutem festem Charakter, erfüllt von Entschlussfreudigkeit und Willenskraft, für die Volksgemeinschaft wertvoller ist als ein geistreicher Schwächling’. Mögen unsere Vereinskameraden also mit felsenfestem Vertrauen der Zukunft unserer Hertha entgegenschauen. Der Weg ist in den schweren Zei- ten langsamen wirtschaftlichen Wiederaufbaus beschwerlich, aber er ist ehern vorgezeichnet und er führt d o c h zum Ziel: Zur wahrhaften, beglückenden Volksgemeinschaft!“ (Hertha-Nachrichtenblatt 26/1933, S.1) Der mehrfach verwendete Begriff der „Volksgemeinschaft“ war ein von der nationalsozialistischen Propaganda ideologisch aufgeladener Begriff, der mit dem Bild einer von Klassengegensätzen freien Gesellschaft, einer brüderli- chen Gemeinschaft der „Arbeiter der Faust“ und der „Arbeiter der Stirn“ lockte und geschickt das in Deutschland verbreitete Harmonie- und Gerechtigkeits- bedürfnis ansprach. Dass die deutsche Gesellschaft im Dritten Reich weiter- hin von massiven Unterschieden bei Herkunft, Bildung, Vermögen usw. be- stimmt war, wurde dadurch partiell ebenso überdeckt wie die ausufernden Privilegien für die neuen „Parteibonzen“ (siehe dazu u.a. W. Benz u.a. (Hg.), Enzyklopädie des Nationalsozialismus, München 1997, S.786). III. Politisch motivierte Umgestaltungen Für das Leben im Verein kündigt Pfeiffer unter der Überschrift „Kamerad- schaftsabend“ jedenfalls tiefgreifende Veränderungen an. Schulungen im Sin- ne des neuen Staates sollten an die Stelle der bisher üblichen lockeren Tref- fen treten, die Zeit vereinsinterner Debatten und Dispute sollte vorbei sein, mit demokratischen Gepflogenheiten – die Demokratie ist der Krebsschaden, 11
hiess es in der Endphase der Weimarer Republik ja allenthalben - wurde auch auf Vereinsebene Schluss gemacht: „Die früheren regelmässigen Sitzungen finden nicht mehr statt. Ihr Zweck war auch meistens kein idealer. Kleine Zänkereien, Grenzstreitigkeiten und oftmals Kritik an falscher Stelle, die persönliche Angriffe nicht scheute und solche – mit vielen Themen durchsetzte – Versammlungen dienten dem Fortschritt recht sel- ten, dafür werden nach Bedarf Kameradschaftsabende angesetzt, an deren s ä m t l i c h e Mitglieder zur Teilnahme verpflichtet sind. Auf ihnen wird ein Bericht des Führers gegeben, Vorträge gehalten und auch die Gemeinschaft der Mitglieder zwischen alt und jung soll hier gepflegt und ge- fördert werden. Das Vereinsleben, welches augenblicklich nicht recht pulsiert, viele Gründe, die mehr auf wirtschaftlichem Gebiet liegen, lassen sich anführen, wird hiermit gehoben und freudig und gern sollen die Stunden, im Kreise aller Mitglieder erlebt, empfunden werden. Der erste Abend findet am Freitag, dem 1. Dezember 1933 im Spiegelsaal der Atlantikfestsäle statt. Den Arbeitslosen soll der Besuch durch die Spende eines Unbekannten etwas erleichtert werden“ (Her- tha-Nachrichtenblatt 26/1933,S.2). Der grosszügige „Unbekannte“ dürfte Pfeiffer selbst gewesen sein, der sich ein gutes „Entrée“ verschaffen wollte – und noch waren die wirtschaftlichen Bedingungen schlecht, Not und Arbeitslosigkeit nicht allein im Berliner Wed- ding hoch. Pfeiffer war vermutlich vor allem deshalb als „Vereinsführer“ an die Spitze gerückt, weil er sich als „hundertprozentiger“ Nationalsozialist in Szene setz- te. Als solcher trat er auch bei seinem ersten, namentlich gezeichneten Bei- trag im Vereinsblatt im November 1933 in Erscheinung. Hitler hatte kurz zu- vor, am 12. November 1933, eine „Reichstagswahl“ abgehalten, wo über 92 Prozent der Wahlberechtigten (bei einer Wahlbeteiligung von über 90 Pro- zent) für die allein noch zur Wahl stehende Liste der mittlerweile zur alleini- gen Staatspartei avancierten NSDAP votierten und er hatte sich zugleich in einem daran gekoppelten Plebiszit den Austritt aus dem Völkerbund – eben- falls mit einer Mehrheit von über 95 Prozent – gutheissen lassen. Pfeiffer wählte daher nicht von ungefähr die Überschrift „Ein Volk, ein Führer, ein Ja“ und teilte den Vereinsmitgliedern folgendes mit: „… So wie alle dem Ruf unseres grossen Führers aus innerlicher Überzeugung gefolgt sind, muss ein Jeder von Euch kleinliche Bedenken und Erwägungen ü- ber Bord werfen und an der Neugestaltung des Fussballsports mit allerbesten Kräften mitwirken. Auf jeden von Euch, ob jung oder alt, kommt es an, gilt es doch jetzt, die Saat, die gelegt ist, zum Aufblühen zu bringen… Der Bundesführer (Hans von Tschammer und Osten, Anm. D.K.) hat ein- schneidende Massnahmen getroffen, sie waren notwendig, um das morsche Sys- 12
tem ein für allemal zu vernichten. Unserem Gauführer, Professor Glöckler, ei- nem Mann lautester und edelster Gesinnung voll und ganz zu vertrauen, ihm unbedingte Gefolgschaft zu leisten, ist mir Herzensbedürfnis und muss und wird allen meinen Clubkameraden richtunggebend sein… Das unfruchtbare parlamentarische System im Clubleben hat aufgehört zu exis- tieren. Der Führer soll nicht nur Führer, sondern der beste Kamerad dem ande- ren sein… Auf unserem ersten grossen Clubkameradschaftsabend am 1. De- zember d. J. wird der Pressewart des Gaues, Pg. Ernst Bauer, über ein aktuelles Thema sprechen. Die Sorgen, die uns bedrücken, ich denke dabei an die grossen finanziellen Verpflichtungen, sind nicht so schwer, als dass sie nicht überwunden werden können. Privatwirtschaftliche Interessen müssen aus dem Sport und dem Ver- einsleben verschwinden. Was dem Sport dient, muss Gemeingut des Sportes, des Vereins werden. Wer sich dagegen stemmt, ist nicht wert, in unseren Reihen zu stehen und hemmt unseren Lauf in der Erreichung des grossen Zieles. Ich habe das feste Vertrauen zu meinen Mitarbeitern und zu Euch allen, so wie Euer Ver- trauen mich an die Spitze des Clubs gestellt hat, dass alle mitarbeiten , um das grosse Ziel, den Wunsch unseres Gauführers „Fussballsport muss Mittelpunkt einer wahren und lebendigen Volksgemeinschaft werden“ zu erreichen. Sieg Heil für Hertha B.S.C.“ (Hertha-Nachrichtenblatt 26/1933, S.3). Das antiparlamentarische Ressentiment, das aus diesen Zeilen spricht, war damals bis weit ins Bürgertum hinein verbreitet und keine ausschliesslich auf überzeugte Nationalsozialisten beschränkte Grundhaltung. Bemerkenswert ist jedoch Pfeiffers explizite Vertrauenserklärung für SA-Obersturmbannführer Oskar Glöckler, geboren 1893 und damals „Gauführer“ und Fachamtsleiter im Gau III Berlin-Brandenburg des DFB. Glöckler war ein ursprünglich aus Stutt- gart stammender alter Kämpfer der Partei, der im 1. Weltkrieg von den Briten gefangen genommen und nach Fluchtversuchen in ein Straflager nach Afrika verlegt worden war. Erst Ende 1919 freigelassen, trat er, enttäuscht über Niederlage, Versailler Vertrag, das neu etablierte parlamentarische System und seine schlechten Zukunftsaussichten als Bildender Künstler schon 1922 in die NSDAP ein, organisierte die Stuttgarter SA, war sogar am Hitler-Putsch 1923 beteiligt. Zwischenzeitlich trat er wieder aus, kehrte aber nach dem für alle Anhänger unerwartet-imposanten Wahlsieg der NSDAP im September 1930 und wohl auch angezogen durch den Berliner Gauleiter Goebbels wie- der zur Partei und SA zurück. Mit der Machtergreifung machte Glöckler rasch Karriere - sein SA-Rang 1933 entsprach immerhin dem eines Oberstleut- nants; er entwarf im Sommer dieses Jahres sogar die offizielle „Gedenkmün- ze zur deutschen Schicksalswende“, die vom „Herrn Reichskanzler Hitler selbst genehmigt wurde“, erhielt anschliessend über Goebbels noch eine Reihe weiterer staatlicher Aufträge, nachdem dieser seine Plakette für das SA-Gruppensportfest gesehen hatte. Glöckler sollte für das Reichsfinanzmi- nisterium das 2- und 5-Mark-Stück sowie 1938 das neue Reichsmarkstück 13
gestalten und gute Verbindungen zu Kurt Daluege, nach der Machtergreifung ab Mitte 1933 Chef der Polizei in Preussen, 1934 SS-Obergruppenführer und seit 1936 Chef der Ordnungspolizei (ORPO). Einen Auftrag wird Glöckler auch von Hertha B.S.C. erhalten (vgl. zur Biographie u.a. Nils Havemann, Fussball unterm Ha- kenkreuz, Frankfurt 2005, S.107f. sowie die SA-Personalakten Gloeckler inkl. Schreiben an Daluege vom 25.4.1934 samt Anlage – es geht um den angeblich zu Unrecht geführten Professorentitel von Glöckler, den er nie getragen haben will, und wogegen er sich mit Dalueges Hilfe verwahren will, Bundesarchiv Berlin- Lichterfelde, Bestand Berlin Document Center, Rk / A8, Seiten 2310-2332). Doch zurück zu Pfeiffer. Anschliessend folgt in dem oben erwähnten Heft in einem weiteren, namentlich gezeichneten Beitrag von ihm unter der Über- schrift „Führung“ eine Präsentation der neuen Vereinsführung, wobei er sei- nen Stellvertreter Wernicke hierbei nicht erwähnt: „Die Leitung des Vereins liegt ausschliesslich in meinen Händen. Die sportliche Leitung habe ich Herrn Carl Tewes übertragen, dessen Stellvertreter Herr Kurt Genz ist. Die Kassengeschäfte erledigt Herr Neumann. Obmann der gesamten Jugendabteilung ist Herr Kurt Wunderlich. Die Funktionen in der Leitung der Platzkommission üben Herr Hermann Schüler und als Stellvertreter Herr Otto Lage aus. Kassenprüfer sind die Herren Jung und Windgassen. Durch die Umschaltung sind einige Posten nicht wieder besetzt worden. Allen bisherigen Mitarbeitern sei hiermit für die geleistete aufopferungsvolle Arbeit im Interesse des Clubs, der Dank ausgesprochen…“ (Hertha-Nachrichtenblatt 26/1933, S.3). Der neue Kurs im Verein führte nicht zu massenhaften Austritten, allerdings gab es Ende 1933 etwas mehr Aus- als Eintritte. Im Herbst ausgetreten wa- ren 16 Mitglieder, darunter mit David Saenger ein vermutlich jüdischer Deut- scher. Weiter traten aus Martin Saenger, Walter Schreiber, Hans Dancke, Ernst Müller, Wilhelm Rupp, Richard Höfe, Alfred Beier, Richard Laskowski, Egbert Liebig, Walter Lorz, Erwin Luckas, Kurt Mann, Joseph Martin, Richard Marsch, Sanja Wilnewski. Dem standen 9 Eintritte gegenüber (Hertha- Nachrichtenblatt 26/1933, S.5). Der Verein bleibt dabei weiterhin zahlenmässig eher klein für einen so gros- sen Sportverein. Die Mitglieder wollen entweder aktiv Fussball spielen oder kegeln. Die Mitgliedszahlen schwanken in den Jahren 1933 bis 1945 stets zwischen 380 und 420 Mitgliedern. Der Mitgliedsbeitrag betrug einmalig beim Eintritt 3 RM, dann jährlich 1 RM, Jugendliche zahlten einmalig 50 Pfennig, als Knaben anschliessend monatlich 20 Pfennig, als B-Jugendspieler 25 und als A-Jugendspieler 50 Pfennig monatlich (§ 8 der Satzung vom 1.12.1933, vom Reichssport- führer geprüft und genehmigt am 9.7.1935, Aktenvermerk „Anlage zum Protokoll v.1/12.33“, im Bestand Hertha BSC, Akten Amtsgericht Berlin). Der Verein teilt seinen Mitgliedern Ende 1933 sogleich die neuen DFB- Regeln (Bekanntmachung Nr. 22 / 1933 des D.F.B.) mit. So werden aus- nahmslos alle Vereinsmitglieder – auch alle Arbeitslosen, Jugendlichen und passiven Mitglieder - verpflichtet, auf der Geschäftsstelle einen sogenannten „Kampfunterstützungsgroschen“ abzugeben, der gesammelte Betrag musste 14
bis zum 31.10.1933 auf das Postscheckkonto des Gaus III Brandenburg- Berlin eingezahlt sein. Weiter wird ab Herbst 1933 bei allen Mannschaften im Spielbetrieb verbind- lich der „deutsche Gruss“ eingeführt, allerdings nur, sofern Zuschauer vor- handen sind: „Vor Beginn jedes vor Zuschauern ausgetragenen Spiels begeben sich beide Mannschaften mit den Linienrichtern unter Führung des Schiedsrichters in gu- ter Ordnung nach der Mitte des Spielfeldes. Sie stellen sich parallel rechts und links vom Schiedsrichter auf und grüssen schweigend nach beiden Seiten mit dem Deutschen Gruss. Nach Beendigung des Spieles treten sich die Mannschaf- ten auf der Mittellinie des Spiels gegenüber und bringen gegenseitig als Zeichen der Sportkameradschaft ein dreifaches „Sieg-Heil“ aus. Die unterlegene Partei bringt zuerst der siegenden Partei den Sportruf aus“ (Hertha-Nachrichtenblatt 26/1933, S. 7). Zugleich gerät der Verein in den Jahren nach der Meisterschaft zunehmend in finanzielle Nöte. Der für die Vereinsfinanzen verantwortliche Karl Neumann malt ein düsteres Bild unter der Überschrift „Unsere Finanzlage“: „Mit der allgemeinen Umwälzung im Staatsleben ist auch für die Fussballverei- ne eine neue Epoche angebrochen. Nicht allein, dass nunmehr hinter den Verei- nen die Macht des Staates steht und von ihnen gebieterisch solide Erziehungsar- beit in sportlicher, moralischer und vaterländischer Hinsicht verlangt, so muss auch die finanzielle Führung sich den veränderten Zeitverhältnissen anpassen. Die Zeiten mit den Rieseneinnahmen und den Rekordbesuchen sind vorläufig vorüber. Mit dem Sichtbarwerden der rauen Wirklichkeit ist der einstige Glanz verschwunden. Der vermeintliche Wohlstand war nur scheinbarer Natur und verleitete uns, Verpflichtungen einzugehen, die uns heute schwer bedrücken“ (Hertha-Nachrichtenblatt 26/1933, S.9). Die Spiel-Einnahmen betrugen: 1930/31 1931/32 1932/33 1933/34 180.000 RM 110.000 RM 91.500RM 17.000 RM* Das zweite Meister-Jahr 1930/31 mit seinen hohen Zuschauerzahlen hatte trotz der weit verbreiteten wirtschaftlichen Krise im Land und der beträchtli- chen Arbeitslosigkeit auch und gerade in Berlins Arbeiterbezirken noch ent- sprechend hohe Einnahmen gebracht. Aber von da an ging’s bergab – von August bis November 1933 (*) schlugen nur noch 17.000 RM (gegenüber 37.000 RM im Vorjahreszeitraum) zu Buche. Nicht von ungefähr kommentiert Neumann die Entwicklung: „Das ist ein erschreckender, geradezu katastrophaler Rückgang. Man bedenke, rund 20.000 Mark weniger Einnahmen (im letzten Vierteljahr) aber weiter lau- fende Verpflichtungen in alter Höhe. Vierteljährlich fällige Hypothekenzinsen, 15
Steuern, Löhne, Geschäftsunkosten, Mannschaftsunkosten für Essen und Fahr- gelder. Wie sollen die benötigten Gelder bei dem Mangel von Spielen herein- kommen? Vertrauen wir nicht auf die kommenden Monate. Schnee, Eis und Tauwetter sind nicht unsere Bundesgenossen…“ (Hertha-Nachrichtenblatt 26/1933, S.9). Den schwindenden Einnahmen gegenüber standen Verbindlichkeiten und Forderungen in einer Gesamthöhe von immerhin doch 67.200 RM. Kassen- wart Neumann bemerkt nicht von ungefähr schon damals dazu düster: „Diese Verpflichtungen, die uns durch die laufenden Zahlungen ständig unsere erübrigten Gelder nicht nur fortziehen, sondern darüber hinaus zwingen, Dar- lehen aufzunehmen, weil wir nicht genügend Spiel-Einnahmen und damit keine ausreichenden Barmittel haben, sind es, die unseren Vereinskörper entkräften und ihm das zum Leben notwendige Blut entziehen. Und die Folgerung hieraus ist? Die Schulden des Vereins müssen konsolidiert werden. … Ich möchte hier nicht versäumen, darauf hinzuweisen, dass vor allen Dingen der Gau auf unsere Veranlassung hin, sich unserer Sache angenommen hat und wir natürlich jetzt erst abwarten müssen, welche Ergebnisse die Aktion des Gaues zeitigen wird“ (Hertha Nachrichtenblatt 26/1933, S.9f.). Die Verbindungen zwischen Hertha B.S.C. und der Gauführung waren mithin so eng, dass eine handfeste Hilfe bei der Lösung der finanziellen Probleme den Mitgliedern in Aussicht gestellt werden konnte – das erinnert an die Fi- nanznöte von 1860 München, wo Wilhelm Brückner, seit 1912 Vereinsmit- glied und nunmehr persönlicher Adjutant von Hitler, seine Kontakte hatte spielen lassen (vgl. Nils Havemann, Fussball unterm Hakenkreuz, Frankfurt 2005, S.217). IV. „Dietwart“ Karl Neumann: NS-Propagandist und Schlüsselfigur Eine Schlüsselfigur hierbei war vermutlich Neumann selbst. Der Kassenwart des Vereins, Jahrgang 1893, war ein sog. „Märzgefallener“, der sich kurz vor der letzten, schon nicht mehr freien Reichstagswahl am 1. März 1933 der NSDAP in der Ortsgruppe Humboldthain angeschlossen und die Mitglieds- nummer 2643313 erhalten hatte. Zugleich war er Mitglied der SA geworden und dort in Rotte 2 („Grünes Korps“) Hauptstellenleiter der Ortsgruppe Fal- kensee. Hauptberuflich arbeitete Neumann im Polizeidienst, er begegnet uns 1942 als Hauptwachtmeister der Schutzpolizei der Reserve beim Chef der Ordnungspolizei (Personalangaben aus dem Stapo-Schreiben Vereinsführer Pfeiffer 8.6.34, Schreiben Vereins- führer Windgassen an Berliner Polizeipräsidenten vom 6.2.1942, jeweils Akten Landesarchiv Berlin, Bestand Hertha). Neumann wird in den Quellen zur Vereinsgeschichte in den Folgejahren im- mer wieder als besonders überzeugter Nationalsozialist auftauchen. Entspre- chend erstaunt es auch nicht, dass die Gauführung im Oktober 1933 Hertha B.S.C. im Vorfeld der Saar-Abstimmung zu einer von Neumann begleiteten „Propagandareise“ - die Reise wurde in den Hertha-Nachrichten ganz unver- hüllt als solche bezeichnet - ins von Frankreich besetzte Saargebiet entsandt 16
hatte. Neumann berichtet uns darüber ganz im Geiste der nationalsozialisti- schen Propaganda und Diktion jener Tage über diese Fahrt unter anderem: „Am 28. und 29. Oktober dieses Jahres (1933) fiel uns die ehrenvolle Aufgabe zu, unseren Gau und damit die Reichshauptstadt im Saargebiet zu vertreten und die Verbundenheit des Reichs mit den Saarländern zu betonen. Es war dies eine absolute Notwendigkeit und auch eine nationale Pflicht, unseren Landsleuten zu zeigen, dass wir mit ihnen fühlen, dass wir sie verstehen und sie unterstützen in ihrem grandiosen, zähen, heldenmütigen Kampf, um die Erhaltung der deut- schen Saar. Denn deutsch ist die Saar, das hat ein jeder festgestellt… Hier fühlte ein Jeder, hier schlägt das deutsche Herz, hier lebt die deutsche Seele. Franzö- sisch war nur das Geld. Der Franc rollt im Saargebiet. Französisch ist der Ar- beitgeber, der Besitzer der (Kohle-)Gruben. Und je grösser der Druck von oben, um so geschlossener ist die deutsche Front. Die Saarländer sind deutscher als das Reich. Das Ergebnis der Abstimmung kann nicht zweifelhaft sein…“ (Hertha- Nachrichtenblatt 26, Nov. 1933/S.13). Neumann, der noch sein „Unbehagen“ über die „Anwesenheit fremder Uni- formen“ bei der Kontrolle durch die französischen Zöllner zu Protokoll gibt, obwohl man völlig „unbehelligt“ geblieben sei, hatte das Abstimmungsergeb- nis richtig vorausgesagt. Mit überwältigender Mehrheit sollten fast 91 Prozent der Saarländer am 13. Januar 1935 für eine Rückkehr ins deutsche Reich, in das Reich des deutschen Diktators Adolf Hitler votieren. Hertha hatte sich üb- rigens bei seinem Besuch als überaus freundlicher Botschafter dieses gros- sen Reiches erwiesen, das Spiel gegen Saar 05 unentschieden (2:2) gestal- tet, das Spiel gegen Borussia V.f.B. Neunkirchen 0:2 verloren. Karl Neumann wird nach der verpflichtenden Einführung des Amtes durch den Reichssportführer zum Dietwart bei Hertha BSC. Der Begriff „Diet“ stammt aus dem Althochdeutschen, stellt eine Abwandlung des lateinischen Begriffes „theodiske“ = Volk dar. Der Dietwart hatte mithin so etwas wie der „Volkswart“, der „Deutschwart“ in den Vereinen zu sein. Streng den Zielen des Nationalsozialismus verpflichtet, sollte er als eine Art politischer Leiter die Vereinsmitglieder in Rassebewusstsein, völkischer Haltung, Gemeinschafts- sinn, antijüdischem Ressentiment schulen, „Volkskundevorträge“ organisie- ren und sogar in sog. „Dietprüfungen“ die völkische Haltung der Sportler kon- trollieren (vgl. hierzu W. Benz u.a. (Hg.), Enzyklopädie des Nationalsozialismus, München 1997, S.251f.). Allerdings waren Neumanns Bemühungen auf diesem Sektor offenbar nicht sonderlich erfolgreich, seine Erfolge wenig eindrucksvoll. Hanne Sobek, ne- ben Wernicke eine weitere Schlüsselfigur im Verein in jenen Jahren, nimmt in seinem Entnazifizierungsverfahren vor der Entnazifizierungskommission für Kunstschaffende – er war nach seiner aktiven Fussballerzeit im Dritten Reich Sportjournalist geworden und 1940 in die NSDAP eingetreten - am 4.8.1948 dazu wie folgt Stellung: „Die Dietwarte sollten in den Sportvereinen eine nationalsozialistische Beein- flussung ausüben. Bei uns (= Hertha BSC) fanden zwei solche Veranstaltungen 17
mit Dietwarten statt. Ich habe sie mit der Mannschaft bewusst sabotiert. Einmal sind wir ins Kino gegangen. Das andere Mal haben wir Skat und Doppelkopf gespielt. Das wurde der Ortsgruppe gemeldet. Im übrigen ist die Dietwartange- legenheit nach diesen zwei Versuchen eingeschlafen…“ (Entnazifizierungsakte Sobek, Protokoll des Verfahrens, Landesarchiv Berlin; S.3f.). Die Angaben in den Hertha-Nachrichten stützen diese Darstellung, Vorträge etwa über Himalaya-Expeditionen dominieren später, während zu Beginn häufiger Gau-Vertreter zu Wort kommen. Im Frühjahr 1937 – Hitler hat inzwi- schen die allgemeine Wehrpflicht wieder eingeführt - gibt es einen „Rekruten- abschied“. Das mag daran gelegen haben, dass einige Herthaner, nicht zu- letzt Hanne Sobek selbst, im März zu einem achtwöchigen militärischen Schulungskurs in Tegel einrücken mussten. „Wir sind alle gespannt, wie wohl unser Hanne in der Uniform aussieht“, heisst es dazu im Vereinsblatt (Hertha- Nachrichten 2/Februar 1937, S.9). V. Hanne Sobek: Herthas Held? Die Ehrenerklärungen für Sobek nach dem Krieg sind im gleichen Tenor gehalten. Hinzu kommt, dass ihm etwa aus dem Spielerkreis noch am 9.6.1948 bescheinigt wird: „Wir bestätigen hiermit als alte Mitglieder von Hertha B.S.C., in anliegendem Verzeichnis durch Unterschrift bekundet, dass wir Herrn Hans Sobek seit Jah- ren als aktiven Spieler kennengelernt haben und zum grössten Teil nicht wuss- ten, dass er Mitglied der NSDAP gewesen sein konnte. Als Mannschaftsleiter hat er politische Tendenzen nie geäussert, auch keine Meinungsansichten ausge- sprochen, sodass stets als feststehend angenommen wurde, dass Sobek einer Par- tei nicht angehörte. Auch die vielen jüdischen Mitglieder von Hertha B.S.C. ha- ben Sobek gern in ihrer Mitte gesehen und es kann bezeugt werden, dass er Um- gang u.a. mit Wallach und Ringelnatz hatte“ (Entnazifizierungsakte Sobek, Landesarchiv Ber- lin, Entlastungsschreiben der „Sportgruppe Gesundbrunnen/Sparte Fussball“ – die Unterschriftenliste ist nicht erhalten). Besonders wichtig erscheint aber in diesem Zusammenhang die Aussage, die Wilhelm Wernicke vor dem Entnazifizierungsausschuss machte. Er trat entschieden an die Seite von Sobek, indem er ausführte: „Ich kenne Herrn Sobek über 25 Jahre, seit er unserem Club „Hertha BSC“ beitrat. Ich war Gewerkschaftssekretär, gehörte der SPD an und versuchte, den Club nach Links zu bringen, was mir auch gelang. 1933 musste ich mein Amt zur Verfügung stellen. Ich war dann noch Geschäftsführer im Verein. Herr So- bek hat immer meine Richtung eingehalten. Wir hatten damals jüdische Mit- glieder im Verein und es kam die Parole auf, sie dürften die Tribüne nicht mehr benutzen. Viele protestierten dagegen und auch Sobek setzte sich für die jüdi- schen Mitglieder ein. Er verkehrte auch weiter mit ihnen“ (Entnazifizierungsakte Sobek, Protokoll des Verfahrens, Landesarchiv Berlin; S.7). 18
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