Hochwasser - Staatsfeind Nr.
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Die Überschrift klingt zugegebenermaßen reißerisch. Tatsache ist jedoch, dass kein anderes Naturphänomen weltweit so häufig auftritt und in der Summe so hohe Schä- den verursacht wie die verschiedenen Arten von Überschwemmungen (/1/). Traurige Aktualität gewinnt die Hochwasserproblematik durch die Flutkatastrophe in Ost- deutschland, Österreich und Tschechien, die zu bislang unerreichten Pegelständen in Dresden (Abb. 1) und allein in Deutschland zu Schäden in Milliardenhöhe geführt hat. Extreme Hochwasser wie dieses sind kein Einzelfall, und praktisch kein Ort auf der Erde ist sicher vor der zerstörerischen Kraft des Wassers. Ein weiteres, in Aus- maß und Dauer schwer vorstellbares Hoch- wasser ereignete sich am Mississippi im Jahre 1993 (/2/), durch das weite Teile Abb. 2: Der Zusammenfluss des Illinois, Mississippi des US-Bundesstaates Illinois mehrere und Missouri aus dem Weltraum. Oben im Normalzu- stand, unten während des Hochwassers 1993. Monate überschwemmt wurden. 16.000 Menschen verloren ihre Heimat, Schäden In diesem Beitrag wird zusammen mit in Höhe von mehreren Milliarden US- einer Erläuterung der Entstehung und der Dollar waren zu beklagen. Die Ausdeh- verschiedenen Arten von Hochwasser ein nung der Überschwemmungsgebiete kurzer Überblick über die Arten des Hoch- war zeitweise so groß, dass sie selbst aus wasserschutzes und der Hochwasservor- dem Weltraum deutlich zu sehen waren hersage gegeben. Während sich die (Abb. 2). staatlichen Vorhersageinstitutionen mo- Wie entstehen Hochwasser, wie kann mentan hauptsächlich auf große Flüsse man ihr Auftreten vorhersagen und ihre wie Donau, Rhein und Neckar konzentrie- Schäden bergrenzen? Diese Frage be- ren, wurde im Rahmen eines Forschungs- schäftigt die Menschheit schon seit vie- projekts am Institut für Wasserbau (IWS) len Jahrhunderten, da viele Siedlungen ein Vorhersage- und Warnsystem für ein an Flüssen als natürliche Verkehrswege kleines Flusseinzugsgebiet, den Golders- entstanden und daher das Wohl und bach bei Tübingen, entwickelt. Wehe der Bewohner eng mit dem Fluss verknüpft war und ist. Uwe Ehret / András Bárdossy y Hochwasser – Staatsfeind Nr. 1 y Abb. 1: Das Augusthochwasser 2002 setzt Dresden tagelang unter Wasser. 53
WechselWirkungen y ebenso schnell wieder ab. Eine Vorwar- trieben. Dabei ist nicht nur die akute Ge- Jahrbuch 2002 y nung für diese Art von Hochwasser ist fahr von Verschmutzungen und Infektio- wegen der oft sehr kurzen Zeitspanne nen durch das Hochwasser und zurück- zwischen Niederschlagsbeginn und bleibende Schlammansammlungen, son- Hochwasserscheitel nur schwer möglich dern auch die Gefahr langfristiger Verun- und bedarf, um ausreichende Vorwarn- reinigungen des Grundwassers zu be- zeiten zu erreichen, zusätzlich einer Nie- fürchten. derschlagsvorhersage. Fließendes Wasser hat eine zerstöreri- Hochwasserschutz sche Kraft. Insbesondere bei Sturzfluten bewegt es sich mit beträchtlicher Ge- Die Maßnahmen, welche der Mensch Entstehung und Arten von schwindigkeit und erodiert den Unter- zum Schutz gegen Hochwasser ent- Hochwasser grund, Gebäude usw. Neben den Schä- wickelt hat, können grob in vier Teilberei- den durch Erosion sorgt aber auch der che unterteilt werden: Raumordnerische Einführend sei kurz darauf hingewiesen, gegenteilige Effekt, Sedimentation (die Maßnahmen, baulicher Hochwasser- dass der Begriff ,Hochwasser’ hier immer Ablagerung von im Wasser mitgeführten schutz, organisatorische Maßnahmen ein Flusshochwasser bezeichnet, Über- Stoffen an Stellen verminderter Fließge- und Risikovorsorge. schwemmungen und Hochwasser durch schwindigkeit) und Anlagerung von das Meer sind nicht berücksichtigt. Ganz Treibgut, für große Schäden: Bäume, allgemein entstehen Hochwasser durch Bauteile oder Autos verkeilen sich an Raumordnerische Maßnahmen lang anhaltenden oder sehr intensiven Brückendurchlässen und erzeugen einen Niederschlag auf ein großes Gebiet oder Raumordnerische Maßnahmen sind ein Rückstau, der auch bei einem kleinen mitunter auch durch Schneeschmelze. Im sehr altes und gleichzeitig wieder sehr Hochwasser schon sehr hohe Wasser- Gewässersystem baut sich eine Flutwelle aktuelles Mittel, der Hochwassergefahr zu stände zur Folge haben kann. Weiterhin auf, die sich flussabwärts bewegt. Wenn begegnen. Hochwasser ist ja nicht per se können insbesondere bei Starknieder- die Abflusskapazität an einer Gewässer- ein Unglück, es wird erst dazu, wenn schlägen Muren und Hangrutschungen stelle überschritten wird, kommt es zur menschliche Besitztümer und Hochwas- ausgelöst werden. Muren sind ein Ge- Ausuferung. Ob ein Niederschlagsereig- ser zusammentreffen. Um dies zu vermei- misch von Wasser und Geschiebe, das nis ein Hochwasser nach sich zieht, hängt den, existieren zwei Möglichkeiten: Zum sich mit Geschwindigkeiten von 50 Kilo- wesentlich auch von den Vorbedingun- einen kann der Mensch dem Hochwasser metern pro Stunde und mehr vorwärts gen im betreffenden Gebiet ab: durch- aus dem Weg gehen. Dies ist der Ansatz bewegt und alles mit sich reißt. Hangrut- feuchtete oder gefrorene Böden begüns- der raumordnerischen Maßnahmen: Ge- schungen entstehen, wenn starke Nieder- tigen ein Hochwasser, trockene Böden biete wie beispielsweise Flussauen, die schläge den Boden aufgesättigt haben. mit hohem Wasserspeicherungsvermö- potentiell überflutungsgefährdet sind, Durch das Füllen der Bodenporen mit gen halten Niederschlagswasser zurück werden von Bebauungen freigehalten Wasser steigt das Gewicht des Bodens, und geben es, über lange Zeiträume ver- (Abb. 4). Weiterhin kann das Volumen gleichzeitig sinkt dessen Scherfestigkeit. teilt, in unschädlichen Mengen an den eines Hochwassers durch Freihalten von Wird ein kritisches Maß überschritten, Fluss ab. Hochwasser in großen Flussein- Versickerungsflächen sowohl in ländlichen können ganze Hangflanken abrutschen zugsgebieten dauern in der Regel mehre- als auch urbanen Gebieten herabgesetzt (Abb. 3). re Tage bis Wochen; Vorhersage und Vor- werden. Zum anderen kann man das warnung sind meist möglich. Eine weitere, ernst zu nehmende Ge- Hochwasser zwingen, dem Menschen fahr sind Kontaminationen aller Art. Diese aus dem Weg zu gehen. Dies wird mit Im Gegensatz dazu entstehen Sturzflu- entstehen hauptsächlich durch die Über- dem baulichen Hochwasserschutz be- ten nach lokalen Starkniederschlägen mit flutung von Kläranlagen oder Industriebe- zweckt. hoher Intensität, oft in Verbindung mit ei- nem Gewitter. Sie sind weitgehend unab- hängig vom aktuellen Gebietszustand, er- reichen in Minuten bis wenigen Stunden ihren Abflussscheitel und klingen meist Abb. 4: Hochwasser an der Jagst. Der ursprüng- lich mäandrierende Fluss, markiert durch Baumrei- hen, hat die gesamte Brei- te der Flussauen überflu- tet. Dieser Bereich muss als Überschwemmungs- Abb. 3: Augusthochwasser 2002, Hangrutschungen fläche frei gehalten wer- an Straßen in Österreich. den. 54
Baulicher Hochwasserschutz sungsgrundlage, das heißt der Extrapola- tion von beobachteten Beziehungen von Baulicher Hochwasserschutz zielt darauf Hochwasserhäufigkeit und –größe über ab, Teile einer Hochwasserwelle zurück- die Dauer des Messzeitraumes hinaus. zuhalten und zeitlich verzögert abzuge- Dabei geht man von einer über die Zeit ben oder eine ablaufende Flutwelle inner- gleichbleibenden, stationären Beziehung halb des Flussbettes oder außerhalb dieser Größen aus. Diese Annahme er- schützenswerter Objekte zu halten. Der scheint jedoch seit einigen Jahren zuneh- Rückhalt wird durch Hochwasserrückhal- mend fragwürdig, zumindest in Südwest- tebecken oder speziell für den Hochwas- deutschland. Untersuchungen an 13 Pe- serschutz freigehaltenem Speichervolu- geln in Baden-Württemberg (/3/) erga- men in Talsperren erreicht. Die Lenkung ben ein seit den siebziger Jahren ange- der Wassermassen kann durch Deiche stiegenes Hochwasserrisiko an zehn die- längs des Gewässerlaufes, Gewässeraus- ser Stationen. Dies führt zu einer teilweise bau wie beispielsweise Gerinneverbreite- dramatischen Verschiebung der Hoch- rung oder mobile Schutzwände (Abb. 5) wasser-Bemessungswerte. War in den erreicht werden. Jahren 1932 – 1976 das hundertjährige Alle diese Maßnahmen müssen im Hochwasser am Enzpegel in Pforzheim Spannungsfeld zwischen größtmögli- noch 368 Kubikmeter pro Sekunde, so chem Hochwasserschutz (maximaler sank die Wiederkehrwahrscheinlichkeit Ausbau), Ökonomie (minimaler Ausbau) desselben Abflusses, gerechnet im Zeit- und Ökologie (möglichst naturbelassener raum 1932 – 1999, auf nur 25 Jahre! Gewässerzustand) geplant werden. Übli- Ähnliche Tendenzen konnten auch an an- cherweise werden bauliche Maßnahmen deren Pegeln beobachtet (/4/) und ein so dimensioniert, dass sie ein im statisti- Zusammenhang zwischen dem vermehr- schen Mittel einmal in hundert Jahren ten Auftreten der Großwetterlage ,West auftretendes Hochwasser schadlos spei- zyklonal’ im Winter und dem angestiege- chern beziehungsweise abführen können. nen Hochwasserrisiko identifiziert wer- Darin liegen jedoch zwei Probleme. Einer- den (/5/). Offensichtlich muss die Be- seits wird den Menschen durch verbes- messung von Hochwasserbauwerken, serte Schutzmaßnahmen, die Über- basierend auf extremwertstatistischen schwemmungsereignisse seltener ma- Methoden, bei weiteren Indizien insta- chen, ein – oft falsches – Gefühl der Si- tionärer Niederschlags- und Abflussbedin- cherheit vermittelt, was die Situation im gungen kritisch hinterfragt und gegebe- Katastrophenfall zusätzlich verschlimmert. nenfalls geändert werden. Daher sind an vielen großen Flüssen der Welt im Schatten der Hochwasserdeiche mittlerweile riesige Schadenspotentiale Organisatorische Maßnahmen entstanden, die bei einem Deichbruch Um im Ernstfall, wenn das Zusammen- (Abb. 6) schlagartig aktiviert werden. treffen von Mensch und Hochwasser Andererseits ergeben sich Probleme nicht durch vorbeugende Maßnahmen durch die extremwertstatistische Bemes- verhindert werden konnte, die Gefahr für Abb. 6: Ein Deich bricht. Nach tagelangem Hochwas- ser ist der Damm vollständig durchfeuchtet. Es kommt zum plötzlichen Abrutschen von Teilen des Deichkör- pers. Innerhalb von Minuten hat das Wasser eine brei- te Schneise in die Dammkrone gegraben, eine Was- serflut ergießt sich in das tieferliegende Umland. Am Ende klafft im Deich eine mehrere hundert Meter breite Lücke (Hochwasser an der Tisza, Ungarn, April Abb. 5: Aufbau mobiler 2000). Hochwasser-Schutzwän- de in Untermberg an der Enz. WechselWirkungen y Jahrbuch 2002 y 55
WechselWirkungen y Dass dies kein exotischer Einzelfall ist, Jahrbuch 2002 y sondern sich derartige Ereignisse auch in unseren Breiten ereignen können, muss- ten die Anwohner von Tübingen-Lustnau zuletzt im Juli 1987 erfahren. Obwohl das Einzugsgebiet des Goldersbaches mit nur 75 Quadratkilometern relativ klein und zudem fast vollständig bewaldet ist, erzeugte ein dreistündiger Starkregen auf das durch Regen vom Vortag gesättigte Gebiet eine Hochwasserwelle. Innerhalb von nur eineinhalb Stunden erreichte sie Menschenleben und Eigentum zu mini- eine erste Spitze, nach drei Stunden mieren, sind staatlich oder kommunal ge- ihren Scheitelwert. Das Goldersbachtal lenkte, organisatorische Maßnahmen vor (Abb. 8) und erhebliche Teile von Lust- und während eines Hochwassers not- nau (Abb. 9) wurden überflutet, was zu wendig. Dies umfasst die Organisation Schäden in Millionenhöhe führte. des Katastrophenschutzes einschließlich von Alarm- und Rettungsplänen sowie Während die Hochwassergefahr in der Katastrophenabwehr wie beispiels- großen Flusssystemen durch Pegelmes- weise Deichverteidigung. Weiterhin ist es sungen und Niederschlags-Abfluss-Vor- notwendig, Mess-, Vorhersage- und Abb. 7: Die Sturzflut in Algier, November 2001. hersage relativ zuverlässig angekündigt Warneinrichtungen zu installieren und zu werden kann, lassen sich Hochwasser in betreiben. In Baden-Württemberg wird solch kleinen Gebieten nur sehr schwer diese Aufgabe von der Hochwasservor- vorhersagen. Eine Abflussprognose durch hersagezentrale (HVZ) in Karlsruhe wahr- die Beobachtung flussaufwärts liegender genommen. Mit einem flächendecken- Pegel ist wegen der begrenzten Länge den Pegel- und Niederschlagsmessnetz der Flussläufe kaum möglich; die Nut- ist sie nicht nur in der Lage, jederzeit ak- zung von Niederschlagsmessungen in tuelle Wasserstände und Niederschlags- Niederschlags-Abfluss-Modellen bietet summen abzurufen, über die mathemati- nur eine begrenzte Vorwarnzeit. Die einzi- sche Modellierung des Niederschlags- gen Möglichkeiten, diese Zeitspanne zu Abfluss-Prozesses können auch Wasser- verlängern, besteht im Auffangen der ge- standsprognosen für ausgewählte Pegel samten oder von Teilen der Hochwasser- abgegeben werden. welle in Rückhaltebecken oder durch Nie- Abb. 8: Der Goldersbach überflutet die gesamte Tal- breite, Hochwasser Juli 1987. derschlagsvorhersage. Während die Wet- tervorhersagen des Deutschen Wetter- Risikovorsorge dienstes momentan räumlich und zeitlich nicht ausreichend detailliert für diesen Für den Fall eines Hochwasserschadens Zweck sind, bieten die Fortschritte in der muss von staatlicher Seite durch Rah- Nutzung von Wetterradar eine Möglich- menbedingungen im Planungs-, Bau- und keit, lokale Niederschlagsprognosen für Versicherungsrecht, von privater Seite einen Zeithorizont von wenigen Stunden durch den Abschluss von Versicherungen erstellen zu können. und die Bildung von Rücklagen ein Ruin von Hochwasseropfern verhindert wer- den. Das Goldersbach Projekt Abb. 9: Das Goldersbachhochwasser in Tübingen- Nachdem Tübingen-Lustnau bereits Lustnau, Juli 1987. Hochwasser in kleinen Einzugs- mehrfach durch Hochwasser des Gol- gebieten dersbaches überflutet worden war, zu- letzt in den Jahren 1978 und 1987, Während man beim Begriff ,Hochwasser’ che Gefahr und führen in der Summe zu wurden verschiedene, „konventionelle“ meist an die Überschwemmungen großen Schäden. So kostete die Sturzflut Abhilfemaßnahmen untersucht. Leider großer Flüsse denkt, wird die Gefahr in Algier im November 2001 über 700 mussten nach eingehender Prüfung alle durch lokal begrenzte Hochwasser oder Menschenleben! Nach extremen Nieder- abgelehnt werden: Die Ausweisung von Sturzfluten, aufgrund ihrer kürzeren Dauer, schlägen wurde die Bevölkerung ohne Überflutungsflächen war aus Platzgrün- geringerer Abflussvolumen und einer klei- Vorwarnung von Überflutungen, Muren den nicht möglich, ein Entlastungskanal neren Zahl direkt Betroffener, eher unter- und Hangrutschungen überrascht. um Lustnau herum war zu kostspielig, ein schätzt. Durch ihr äußerst schnelles Auf- 24 000 Menschen mussten evakuiert System kleiner, über das Einzugsgebiet treten, das wenig Zeit für Vorwarnung werden, der Gesamtschaden wurde auf verteilter Rückhaltebecken erbrachte lässt, bilden jedoch auch sie eine erhebli- 300 Mio. US-Dollar geschätzt (Abb. 7). nicht das erforderliche Speichervolumen, 56
einen Großdamm vor dem Ortseingang Das IWS wurde daher im Juli 1999 b Identifikation unterschiedlicher Nieder- mit einer Kronenhöhe von 14 Metern, mit der Entwicklung und Realisierung ei- schlagstypen anhand von Radarbil- groß genug, um ein hundertjährliches nes Niederschlags- und Abflussvorhersa- dern. Da diese teilweise sehr unter- Hochwasser aufzunehmen, wurde aus gesystems für den Goldersbach beauf- schiedliche Eigenarten bezüglich Le- Gründen der Ökologie und des Land- tragt. Um Zivil- und Objektschutzmaßnah- benszyklus und Niederschlagsintensitä- schaftsschutzes nicht realisiert. men wirkungsvoll durchführen zu können, ten aufweisen, ist diese Information so- lag von Seiten der Stadt der gewünschte wohl bei der räumlichen Nieder- Schließlich wurde ein neuer Ansatz, Vorhersagehorizont bei sechs Stunden. schlagsschätzung als auch bei der Vor- bestehend aus drei Bausteinen, ent- Nach ersten Analysen war klar, dass diese hersage eine wertvolle Hilfe. wickelt: Auf Basis einer präzisen Kurzzeit- Zeitspanne nur durch eine Kombination b Bewertung bestehender und/oder Ent- Niederschlags- und Abflussvorhersage von Niederschlags- und Abflussvorhersage wicklung neuer Methoden zur kombi- wird ein kleineres Rückhaltebecken, be- sowie der teilweisen Speicherung der nierten Schätzung des räumlichen Nie- messen für ein Hochwasser mit einer Flutwelle in einem Rückhaltebecken er- derschlages aus Wetterradar und Bo- Wiederkehrzeit von ungefähr 25 Jahren, reicht werden kann. Die maximale Dauer denstationsdaten. gesteuert. Die Steuerung ist notwendig, der Niederschlagsvorhersage kann, je b Entwicklung einer räumlich und zeit- da eine Straße das Rückhaltebecken und nach Niederschlagstyp variierend, mit un- lich hochauflösenden Niederschlags- den Damm schneidet und im Ernstfall gefähr zwei Stunden angesetzt werden. vorhersagetechnik mit Hilfe von Wet- durch bewegliche Verschlüsse versperrt Der Zeitgewinn durch Niederschlags-Ab- terradardaten. Um der teilweise chaoti- werden muss. Neben der Hochwasservor- fluss Modellierung beträgt1.5 Stunden, schen, nicht vorhersagbaren Natur des hersage und dem teilweisen Hochwas- die Befüllung der Rückhalteräume er- Niederschlagsgeschehens zu entspre- serrückhalt soll durch einen Alarmplan reicht, gerechnet für den Fall des Extrem- chen, sollte die Vorhersage als Ensem- und Objektschutzmaßnahmen an bedroh- hochwasssers 1987, weitere 2.5 Stunden. ble möglicher Entwicklungen, nicht als ten Gebäuden das Gefahren- und Scha- Die Aufgabenstellung an das IWS Einzelvorhersage, entwickelt werden. denspotential in Lustnau minimiert wer- konnte daher in folgende Teilaufgaben b Anpassung und Vergleich zweier Nie- den. untergliedert werden: derschlags-Abfluss Modelle an das Gol- Dieser Ansatz stellt einen gewissen dersbachgebiet. Dies ist zum einen das Paradigmenwechsel dar, als er von der b Einrichtung eines in Echtzeit abrufba- FGMOD/LARSIM Modell (/6/), das Zielvorgabe hundertjährigen (in der Öf- ren Niederschlags- und Abflussmess- auch bei der HVZ in operationellem Be- fentlichkeit oft verwechselt mit hundert- systems im Goldersbachgebiet und der trieb ist, als auch das am IWS im Einsatz prozentigem) Hochwasserschutzes ab- notwendigen Kommunikationsstruktu- befindliche HBV-IWS Modell. Mit den rückt und sich in Richtung Risikomana- ren für die Datenübertragung. Szenarien vorhergesagter Niederschlags- gement entwickelt. Der Vorteil besteht b Entwicklung eines Datenbanksystems entwicklungen als Input sollen die Ab- dabei darin, dass sich sowohl Behörden für effiziente Datenhaltung und schnel- flussvorhersagen ebenfalls als Ensem- als auch die Öffentlichkeit mit der stets len Datenzugriff. ble gerechnet werden, so dass obere präsenten Hochwassergefahr auseinan- b Entwicklung von Methoden zur Schät- und untere Grenzen der weiteren Ent- dersetzen müssen und dadurch im Ernst- zung der aktuellen Windverhältnisse in wicklung angegeben werden können. fall besser reagieren können. Ein weite- einem Radarbild. Diese Information ist rer Vorteil ist die Vermeidung großer vor allem bei schnell ziehenden Nie- Auf jeden der genannten Punkte, gra- Eingriffe in den natürlichen Wasserhaus- derschlagsfeldern wichtig für die Vor- phisch dargestellt in Abbildung 10, soll halt. hersage. im Folgenden kurz eingegangen werden. WechselWirkungen y Abb. 10: Schema des Mess- und Vorhersagesystems für den Goldersbach. Jahrbuch 2002 y 57
WechselWirkungen y Jahrbuch 2002 y Messnetz und Datenbank- system Im Goldersbachgebiet wurde zunächst ein Netz aus Niederschlagsstationen und Pegeln aufgebaut (Abb. 11). Während die Niederschlagsmesser neu installiert werden mussten, konnte bei dem Pegel auf bereits existierende Pegel des landes- eigenen Messnetzes zurückgegriffen wer- den. Diese mussten lediglich mit Zusatz- einrichtungen zur Datenkommunikation ausgerüstet werden. Alle Stationen kön- Abb. 11: Das Einzugsgebiet des Goldersbaches mit Pegeln und Niederschlagsmessstationen (,N-Stationen’). nen im Zehnminutentakt über das Mobil- Alle Messdaten werden in Datenbanken abgelegt, um mit einem Minimum an Speicherplatz ein Maximum an netz abgerufen werden. Um die Nieder- Zugriffsgeschwindigkeit zu erreichen. schlagsmessung weiter zu verbessern, wurden weitere fünf Niederschlagsstatio- nen des Online-Messnetzes von Land und Deutschem Wetterdienst in das Sys- tem integriert. Die wichtigste Datenquel- le für die Gewinnung flächendeckender Niederschlagsinformationen und für die Niederschlagsprognose aber ist das Doppler-Wetterradar des Forschungszen- trums Karlsruhe, dessen Daten ebenfalls im Zehnminutenabstand, mit einem Ras- ter von 500 x 500 Metern Südwest- Baden- Württemberg abdeckend, genutzt werden. Windverhältnisse Unter Ausnutzung des Doppler-Effekts Abb. 12: Schätzung der Verschiebung von Niederschlagsfeldern – Vergleich des Dopplerverfahrens und der (bekannt vom Phänomen, dass die Sirene Kovarianz-Maximierung anhand summierter Verschiebungen. eines vorbeifahrenden Krankenwagens je nach Position in unterschiedlicher Tonla- gen zu hören ist) war man mit dem Wet- Um bei Feldgrößen von 350 x 350 Pi- In Abbildung 12 sind die über einen terradar in der glücklichen Lage, nicht xeln nicht eine riesige Zahl möglicher Tag aufsummierten Verschiebungsvekto- nur über hochaufgelöste Niederschlagsin- Vektoren testen zu müssen, wurde der ren beider Verfahren dargestellt. Bildlich formationen, sondern auch über eine iterative ,Simulated Annealing’ Optimie- kann man sich die Kurven als Zugbahn gute Schätzung der aktuellen Zugrich- rungsalgorithmus verwendet. Dieser er- eines Ballons vorstellen. Beide Verfahren tung und –geschwindigkeit der Nieder- laubt zu Anfang der Suche große ,Sprün- liefern ähnliche Ergebnisse. Einzig in den schlagsfelder zu verfügen. Da diese Infor- ge’ auf der Suche nach dem optimalen Fällen, wenn ein größeres Niederschlags- mation jedoch nicht immer errechnet Vektor, mit zunehmender Suchdauer, gebiet den Bereich der Radarbilder betritt werden konnte, wurde aus Gründen der wenn man dem Optimum nähergekom- oder verlässt, es also nicht auf zwei zeit- Redundanz eine weitere Methode ent- men ist, werden immer kleinere Sprung- lich benachbarten Bildern zu sehen ist, wickelt, bei der die zwischen zwei Radar- weiten erlaubt. irrt sich das Kovarianzverfahren. Im Bild bildern stattgefundene Verschiebung der ist dies zweimal als unrealistischer Niederschlagsfelder durch Maximierung ,Sprung’ des Ballons nach Norden zu se- der Kovarianz zwischen den Bildern be- hen. Sobald das Niederschlagsfeld jedoch stimmt wird. Man nimmt dabei einen mit: dauerhaft im Radarbild zu sehen ist, stabi- möglichen Verschiebungsvektor an und COV Kovarianz zwischen zwei Fel- lisiert sich die Windschätzung wieder. errechnet damit die Kovarianz zwischen dern den Bildern, die, je besser der angenom- U, V Größe eines Feldes mene mit dem tatsächlichen Verschie- M, N Felder bungsvektor übereinstimmt, zunimmt. M, N Mittelwert des Feldes M bzw N 58
Für die Niederschlagsvorhersage spielt Tabelle 1: Überdeckungsgrade [%] von Radarbildern verschiedener Niederschlagstypen und ihre Darstellung als Fuzzymengen die Windschätzung eine wichtige Rolle. Mit den beiden Verfahren war nun sicher- gestellt, dass auch beim Ausfall eines der beiden immer noch ein Schätzwert vor- liegt. Niederschlagstypen Niederschlag ist nicht einfach gleich Nie- derschlag, er kann, hauptsächlich auf- grund seiner Entstehungsgeschichte, in Typen unterteilt werden. Diese können sich, was ihre Dauer, räumliche Er- streckung und ihre typischen Intensitäten angeht, deutlich voneinander unterschei- den. In Abbildung 13 ist exemplarisch die Niederschlagsüberdeckung, also der Prozentsatz eines Radarbildes, der Nieder- schlag aufweist, verschiedener Typen ge- zeigt. Während konvektive Zellen, die oft mit Gewittern einhergehen, nur selten mehr als zehn Prozent des Bildes über- decken, können Warmfrontniederschläge durchaus das gesamte Bild ausfüllen. Für die Vorhersage ist die Kenntnis ty- pischer weiterer Entwicklungen von Nie- derschlagsfeldern sehr hilfreich, daher wurde anhand der aus Radarbildern ex- trahierten Informationen Überdeckungs- grad, mittlere Niederschlagsintensität und Anteil hoher Niederschlagsintensitä- ten versucht, die einzelnen Typen mög- Objekt entweder ganz oder gar nicht zu kann ein 39-Jähriger zu 0.52 zur Menge lichst präzise zu identifizieren. Da sich de- einer Menge gehört, erlaubt Fuzzy oder ,Jung’ gehören und zu 0.48 zur Menge ren Eigenschaften teilweise überschnit- ,unscharfe’ Logik teilweise Zugehörigkei- ,Alt’. Allmähliche Übergänge, die dem ten, bot sich eine Klassifizierung auf Basis ten. Ein Beispiel: Wenn die Grenze zwi- menschlichen Denken besser entspre- von Fuzzy Logik an. schen ,Alt’ und ,Jung’ bei vierzig Jahren chen, sind also möglich und erleichtern Fuzzy Logik wurde erstmals 1965 gezogen wird, dann ist nach binärer Lo- die Integration von Expertenwissen in Re- (/7/) als Erweiterung der konventionel- gik ein 39-Jähriger jung, ein 41-Jähriger gel- und Entscheidunsgsysteme. len (binären) Logik vorgeschlagen. Im Ge- alt, offensichtlich eine zu scharfe Grenz- gensatz zur normalen Logik, in der ein ziehung. Nach einer Fuzzy Einteilung Für das Goldersbach Projekt wurde un- ter Mithilfe von Wissenschaftlern des For- schugszentrums Karlsruhe ein Fuzzy Re- gelsystem für die automatische Klassifika- tion von Radarbildern entwickelt. Als Input wurden die drei oben erwähnten, schnell aus einem Radarbild bestimmba- ren Parameter verwendet. Exemplarisch sind in Tabelle 1 für den Parameter Über- deckungsgrad die aus Expertenwissen abgeleiteten Minimal- und Maximalwerte dargestellt. Die zugehörige Fuzzymenge beschreibt für jeden Überdeckungsgrad dessen Grad der Zugehörigkeit zu einem bestimmten Niederschlagstyp. WechselWirkungen y Abb. 13: Typische Zeitreihen der Niederschlagsüberdeckung eines Radarbildes für verschiedene Niederschlagstypen. Jahrbuch 2002 y 59
WechselWirkungen y schlagsstationen waren, konnte man ihr nen Stationsniederschlägen eine räum- Jahrbuch 2002 y nur unzureichend gerecht werden. Ob- liche Information zu gewinnen, werden wohl die Kenntnis von Niederschlagspro- sie mit einem geeigneten Verfahren, zessen mit dem Wetterradar einen Quan- hier Kriging, interpoliert. An den Statio- tensprung erlebte, hat dieser auch seine nen und im räumlichen Mittel sind die Tücken. Da er Niederschlag nur indirekt Werte zwar korrekt, das Bild zeigt aber in Form reflektierter elektromagnetischer eine unrealistische, ,glatte’ Struktur. Wellen misst, und das üblicherweise c) Nun wird mit den Beobachtungen des auch noch in beträchtlicher Höhe über Radars direkt an den Stationskoordina- Aus den aufgestellten Fuzzymengen dem Boden, treten bisweilen Messfehler ten und demselben Interpolationsver- kann über ein Fuzzy Regelsystem die Zu- in der Größenordnung von 100 Prozent fahren ein ähnlich glattes Nieder- gehörigkeit eines Radarbildes zu jedem auf. schlagsfeld erzeugt. Im gezeigten Bei- der Niederschlagstypen errechnet und damit das Bild klassifiziert werden. In Es liegt daher nahe, die Vorteile der spiel hat der Radar die Bodenmessun- Testläufen wurde mit diesem System ei- beiden Messmethoden, die Genauigkeit gen unterschätzt, das interpolierte Feld ne Trefferquote von 63 Prozent erreicht, der Stationsmessungen und die räumli- zeigt weniger intensive Niederschläge wobei Fehlklassifikationen vor allem zwi- che Information der Radardaten, zu kom- als das aus b). schen Kaltfront- und Schauerwetter auf- binieren. Während schon seit einigen d) Zuletzt zieht man vom ursprünglichen traten. Jahren multiplikative Korrekturverfahren Radarbild das interpolierte ab und ad- existieren, wurde für das Goldersbach diert die Interpolation aus den Stations- Projekt ein neues Verfahren entwickelt. messungen dazu. Damit hat man an Räumliche Niederschlags- Die einzelnen Schritte des Verfahrens den Koordinaten der Stationen die Bo- schätzung können anhand Abbildung 14 verdeut- denmesswerte, im Mittelwert das inter- licht werden: polierte Stationsfeld, aber in der räum- Niederschlag ist ein zeitlich und räumlich a) Zunächst ist im Original-Radarbild ein lichen Struktur das Radarbild weitge- höchst variabler Prozess. Das ist eine Bin- Starkniederschlagsfeld zu sehen. Die hend erhalten. Im Bild ist wieder die senweisheit, vor dem Einsatz von Wetter- Struktur ist gut zu erkennen, die Abso- Form des Niederschlagsfeldes zu er- radar mit seiner hohen räumlichen Auflö- lutwerte weichen jedoch von den Sta- kennen, die Werte sind allerdings auf sung jedoch, als die einzige Informations- tionsmessungen ab. das Niveau der Bodenmessungen an- quelle die Aufzeichnungen von Nieder- b) Um aus den nur an Punkten gemesse- gehoben worden. a) Radarbild b) Interpolation aus Stationsdaten c) Interpoliertes Radarbild d) Kombination aus Radar und Stationsdaten Abb. 14: Kombination von interpolierten Stationsdaten und Radardaten zu einem räumlichen Niederschlagsbild. 60
Mit diesem Verfahren kann zwar die φ k autoregressiver Parameter für digkeit der Niederschlagsfelder verscho- Niederschlagsvorhersage, die ausschließ- Zeitabstand k ben. lich auf Radardaten beruht, nicht verbes- X Mittelwert der Serie x Wie man an dem Vergleich in Abbil- sert werden, aber die bis zum Beginn der ε t+1 Zufallsanteil dung 15 erkennen kann, wird die Ent- Vorhersage gemessenen Niederschlags- wicklung gemessener Niederschlagsfel- werte. Da die Niederschlags-Abfluss-Mo- Auf der Skala der Rasterzellen be- der durch die Vorhersage zufriedenstel- dellierung stets auf gemessenen und vor- schreibt eine Markov-Kette die weitere lend reproduziert. Allerdings wird an dem hergesagten Niederschlägen beruht, wird Entwicklung. Dazu muss es möglich sein, sich von Nordwesten her in die Vorhersa- damit letztlich auch die Abflussvorhersage alle Zustände, in denen sich ein betrach- gebilder bewegenden Streifen ohne Vor- verbessert. tetes System (hier eine Rasterzelle des hersage auch ein Limit der Vorhersage- Radarbildes) befinden kann, zu definie- dauer erkennbar: Bei Niederschlagsereig- ren. Hier wurde der Zustand einer Raster- nissen mit hoher Zuggeschwindigkeit Niederschlagsvorhersage zelle durch ihre aktuelle Niederschlagsin- vergrößert sich durch die Verschiebung tensität, den aktuellen Niederschlagstyp mit jedem Zeitschritt im Bild der Bereich, Da die Niederschlagsvorhersage in Form und die Niederschlagsentwicklung der der nicht vorhersagbar ist, da wegen der von Szenarien gerechnet werden soll, letzten 30 Minuten innerhalb der Zelle begrenzten Größe des Radarbildes Aus- muss in den Vorhersageprozess eine Zu- beschrieben. Aus beobachteten Zeitrei- gangsmessungen fehlen. fallskomponente integriert werden, die bei hen konnte nun über einfaches Abzählen wiederholten Berechnungen, selbst bei die Wahrscheinlichkeit bestimmt werden, gleichen Anfangsbedingungen, unter- dass das System von einem definierten schiedliche Vorhersagen zur Folge hat. Im Abflussvorhersage Zustand in einen anderen übergeht. Die- Gegensatz zu diesem stochastischen Mo- se Übergangswahrscheinlichkeiten kön- Mit den gemessenen und vorhergesag- dellierungsansatz versucht die determinis- nen als Matrix dargestellt werden, in der ten Niederschlägen als Input war nun tische Modellierung, durch die möglichst alle möglichen Übergänge enthalten sind. noch die Modellierung des Nieder- präzise Beschreibung aller relevanten phy- schlags-Abfluss-Prozesses, also die Trans- sikalischen Prozesse eine eindeutige Prog- formation des Wassers von Niederschlag nose der zukünftigen Entwicklung zu er- zu Abfluss, durch das Einzugsgebiet not- möglichen. Für die lokale Kurzzeit-Nieder- wendig. Die dazu entwickelten, so ge- schlagsvorhersage hat sich jedoch bisher nannten Niederschlags-Abfluss Modelle der erste Ansatz besser bewährt. lassen sich nach ihrem Abstraktionsgrad Für das Tübinger Vorhersagemodell generell in drei Gruppen einteilen: Die Re- wurde ein hierarchisches Vorhersagekon- wobei: produktion aller beteiligten physikali- zept, angelehnt an das ,String of Beads’ P Übergangsmatrix schen Prozesse bei der physikalischen Modell (/8/), entwickelt: Zuerst wird für p1,2 Übergangswahrscheinlichkeit Modellierung ist zwar der theoretisch das gesamte Radarbild die Entwicklung von Systemzustand 1 zu beste Ansatz, in der Praxis setzt jedoch der Überdeckung und der mittleren Nie- Systemzustand 2 die große, nicht messbare Heterogenität derschlagsintensität gerechnet, dann die n Anzahl möglicher Systemzustände wichtiger Parameter wie beispielsweise Entwicklung jeder einzelnen Rasterzelle das Speicherverhalten des Bodens der im Bild. Die Rastervorhersage wird an die Von jedem beliebigen Anfangszustand Qualität der Ergebnisse Grenzen. Bei den Bildvorhersage angepasst und schließlich eines Systems kann nun mit Hilfe einer so genannten Blockmodellen wird des- das vorhergesagte Radarbild mit der aktu- Zufallszahl der Übergang zu einem neuen halb die für die physikalische Modellie- ellen Zugrichtung und –geschwindigkeit Zustand simuliert werden. Dabei kom- rung notwendige, hohe räumliche Auflö- der Niederschlagsfelder verschoben. men Übergänge mit hohen Wahrschein- sung aufgegeben und das Einzugsgebiet lichkeiten entsprechend häufiger vor als nur noch in charakteristische Gebiete un- Auf der Bildskale wird die Entwicklung solche mit geringen. Auf diese Weise terteilt. Diese werden dann mit verein- durch einen autoregressiven Prozess be- kann eine beliebig lange Sequenz von fachten, physikalisch basierten Ansätzen schrieben, das heißt die Vorhersage für Systemzuständen, verkettet durch die beschrieben. Der maximale Abstraktions- den nächsten Zeitpunkt ist die gewichte- Übergangsmatrix, erzeugt werden: die grad wird bei den ,Black Box’ Modellen te Summe der zuvor gemessenen Werte, Niederschlagsvorhersage für die Raster- erreicht, bei denen, ohne direkte Berück- wobei die Gewichte für jeden Zeitschritt zelle. sichtigung der zugrundeliegenden Physik, über die Autokorrelationsanalyse beob- Da es wahrscheinlich ist, dass sich na- ein direkter Zusammenhang zwischen achteter Zeitreihen bestimmt werden kön- he beieinanderliegende Rasterzellen ähn- Input (zum Beispiel Niederschlag) und nen. Dazu kommt noch der Zufallsanteil. lich entwickeln, wird die Vorhersage Output (beispielsweise Abfluss) eines nicht für jede Zelle völlig unabhängig Systems hergestellt wird. durchgeführt, sondern durch nachträgli- ches Aufprägen einer räumlichen Struk- mit: tur eine gewisse Einheitlichkeit der Ent- k Ordnung des autoregressiven wicklung erreicht. Am Ende der Vorhersa- Prozesses geprozedur wird das vorhergesagte Radar- xt+1 Vorhersage von x zum bild in seiner Gesamtheit mit der vorher- WechselWirkungen y Zeitschritt t+1 gesagten Zugrichtung und –geschwin- Jahrbuch 2002 y 61
WechselWirkungen y Beide im Goldersbachprojekt ange- Verdunstung usw. kontinuierlich model- Jahrbuch 2002 y wandten Modelle, FGMOD/LARSIM und liert, eine ereignisabhängige Anpassung HBV-IWS, sind Blockmodelle. Während ist nicht notwendig (Abb.16). FGMOD/LARSIM ein ereignisbasiertes Modell ist, also eine (automatische) Para- Gefördert durch das Land Baden-Würt- meteroptimierung für jedes Niederschlag- temberg wurde das bei der HVZ im Ein- Abfluss-Ereignis durchgeführt wird, ist satz befindliche FGMOD/LARSIM an das HBV-IWS, ein Wasserhaushaltsmodell. Goldersbachgebiet angepasst, zu Ver- Dabei werden alle Wasserhaushaltskom- gleichszwecken auch HBV-IWS. Wie sich ponenten wie Abfluss, Bodenfeuchte, zeigte, waren beide ähnlich gut für die a) Beobachtung 23:00 d) 10-Minuten Vorhersage 23:00 b) Beobachtung 23:10 e) 20-Minuten Vorhersage 23:10 c) Beobachtung 23:20 e) 30-Minuten Vorhersage 23:20 Abb. 15: Beobachteter und vorhergesagter Niederschlag über Südwest-Baden-Württemberg, 20 März 2001, 23:00 – 23:20 Uhr. 62
Abb. 17: Abflussbeobachtung, Simulation und Vorhersage 8. Juli 1996 am Pegel Bebenhausen/Goldersbach. Die Vorhersage ist als oberes und unteres Limit der Vorhersageszenarien sowie als Mittelwert aller Szenarien Abb. 16: Die Struktur des HBV Niederschlags-Abfluss- dargestellt. Modells: Unterteilung in Teileinzugsgebiete, Höhen- und Vegetationszonen, gesättigte und ungesättigte Boden- zone, Konzentration und Ablauf des Wassers im Ge- wässernetz. Hochwasservorhersage im Goldersbach- beschritten. Während das geplante Rück- Literatur gebiet geeignet. In Abbildung 17 ist eine haltebecken momentan noch durch die mit HBV-IWS gerechnete Hochwasservor- Umweltverträglichkeitsprüfung geneh- [1] Münchener Rückversicherungs-Gesellschaft (2000): CD-ROM, ,Welt der Naturgefahren’, München hersage zu sehen. Bis zum Vorhersage- migt werden muss, wird das Mess- und [2] Bhowmik, N.G., et al. (1993): The 1993 Flood on zeitpunkt konnten gemessene, eindeutige Vorhersagesystem im Herbst 2002 in the Mississippi River in Illinois. Illinois State Water Sur- Niederschlagsdaten verwendet werden, Betrieb gehen. Obwohl dessen Funk- vey, Champaign, Miscellaneous Publication 151 daher ist bis zu diesem Zeitpunkt auch tionsfähigkeit wichtig ist, muss man es [3] Bárdossy, A. (1995): Untersuchung zur Stationa- rität der Extremabflüsse an ausgewählten Pegeln in die Abflusssimulation eindeutig. Jenseits im größeren Zusammenhang nur als ein Baden-Württemberg. Technischer Bericht 95/18, des Vorhersagezeitpunkts werden die Glied in einer Alarmkette ansehen. Für Landesanstalt für Umweltschutz, Karlsruhe Werte der Niederschlagsszenarien ge- effektives Hochwassermanagement ist [4] Caspary, H. (2001): Zusammenhang zwischen der nutzt (im Bild nicht gezeigt), die Abfluss- neben der Vorhersage mindestens eben- Verschärfung des Hochwasserrisikos in Südwest- deutschland seit Mitte der siebziger Jahre und einem vorhersage spaltet sich in eine Vielzahl so wichtig, dass mit allen im Ernstfall veränderten Winterklima. GAIA – Ecological Perspec- einzelner Kurven auf. Während die maxi- Beteiligten wie Polizei, Feuerwehr, Ord- tives in Science, Humanities, and Economics 10, No. 4, male und die minimale Abflussprognose nungsamt und Anwohnern eine lücken- pp. 286 – 293 durch die maximale beziehungsweise mi- und reibungslose Zusammenarbeit be- [5] Caspary, H., Bárdossy, A. (1995): Markieren die Winterhochwasser 1990 und 1993 das Ende der nimale Niederschlagsprognose entsteht steht. Stationarität in der Hochwasserhydrologie infolge von und die Bandbreite möglicher, weiterer Klimaänderungen? Wasser & Boden, 47. Jg., 3/1195, Und letzten Endes sollte man sich im- pp. 18-24 Entwicklungen anzeigt, stimmt das aus mer bewusst sein, dass, auch wenn man [6] Homagk, P., Ludwig, K. (1998): Operationeller Ein- allen Vorhersagen gemittelte Szenario mit höherem Risikobewusstsein und bes- satz von Flussgebietsmodellen bei der Hochwasser- mit dem tatsächlich gemessenen Verlauf Vorhersage-Zentrale Baden-Württemberg. Wasserwirt- seren Vorhersagen Schäden minimieren relativ gut überein. Mit Hilfe dieser Ab- schaft 88, pp. 160 - 167 kann, Hochwasser Naturereignisse sind, flussprognosen kann der Einsatzleiter in [7] Zadeh, L. (1965): Fuzzy Sets. Information and die nie vollständig vorhersagbar oder be- Control, 8, pp. 338-353 Tübingen mit einem zeitlichen Vorlauf herrschbar sein werden (Abb. 18). [8] Pegram, G., Clothier, A. (2001): High-resolution von ungefähr 3.5 Stunden (ohne den Space-Time Modelling of Rainfall: The „String of Be- Betrieb des Rückhaltebeckens) Entschei- ads" model. J. Hydrology. Vol. 241, pp. 26-41 dungen über einzuleitende Maßnahmen für den Hochwasserschutz von Lustnau treffen. Ausblick Mit dem Tübinger 3-Säulen-Modell aus Hochwasservorhersage, teilweisem Hochwasserrückhalt und Objektschutz- maßnahmen wurden im Hochwasser- Abb. 18: Hochwasser macht auch vor der Polizei WechselWirkungen y schutz kleiner Einzugsgebiete neue Wege nicht Halt. Jahrbuch 2002 y 63
WechselWirkungen y Jahrbuch 2002 y Dr.-Ing. Uwe Ehret Prof. Dr. rer. nat. Dr.-Ing. András Bárdossy studierte von 1992 bis 1996 Bauingenieurwesen mit der Ver- wurde am 18. November 1954 tiefungsrichtung Allgemeiner In- in Budapest/Ungarn geboren. Er genieurbau an der Fachhoch- studierte Mathematik an der Uni- schule für Technik Stuttgart und versität Eötvös Lóránd, Buda- schloss mit seiner Diplomarbeit pest, und promovierte 1980 über über „Raum-Zeit Niederschlags- „Banach-Räume Stetiger Funk- modellierung im Einzugsgebiet tionen“ zum Dr. rer. nat. Nach der Aller unter besonderer seiner zweiten Promotion mit Berücksichtigung globaler Kli- dem Thema „Stochastische Mo- maänderungen“ zum Diplomin- delle zur Beschreibung der raum- genieur (FH) ab. Anschließend zeitlichen Variabilität des Nieder- begann der am 22. April 1971 in schlags“ zum Dr.-Ing. habilitierte Stuttgart geborene Uwe Ehret sich András Bárdossy 1994 an das Studium des Bauingenieur- der Universität Karlsruhe für das wesens mit den Vertiefungs- Fach „Hydrologie“. Nach Tätig- fächern Wassermengenwirt- keiten in der Industrie, am For- schaft und Hydromechanik an schungsinstitut für Bergbau, der Universität Stuttgart, schrieb Budapest, an der Universität für 1998 seine Diplomarbeit und Bodenkultur in Wien und an der promovierte im Oktober 2002 Universität Karlsruhe übernahm zum Thema „Rainfall and Flood Prof. Bárdossy am 1. Januar Nowcasting in Small Catchments 1995 den Lehrstuhl für Wasser- Using Weather Radar“. Uwe Eh- mengenwirtschaft am Institut ret ist seit Juni 1998 Wissen- für Wasserbau. Seine For- schaftlicher Mitarbeiter am Insti- schungsschwerpunkte sind un- tut für Wasserbau, Lehrstuhl für ter anderem Regionalisierung hy- Wasserbau und Wasserwirt- drologischer und hydrogeologi- schaft. Arbeitsschwerpunkte scher Parameter sowie Auswir- sind unter anderem „Hochwas- kungen von Klimaänderungen servorhersage für Tübingen-Lust- auf den Wasserhaushalt. nau: Entwicklung eines Systems zur operationellen Hochwasser- vorhersage“, „Untersuchungen zu Hochwasserereignissen im oberen und mittleren Donau- becken“ im Rahmen der wissen- schaftlich-technischen Zusam- menarbeit mit Ungarn bezie- hungsweise „Rainfall-Runoff Mo- delling for Reservoir Manage- ment with Account for Uncertain- ties“ gemeinsam mit Tunesien. 64
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