Dann die Moral Erst kommt der Test
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Erst kommt der Test, dann die Moral Wann ist es legitim, dass Gesetze auf ethische Regeln Bezug nehmen? Dieser Frage geht eine unabhängige Forschungsgruppe um Silja Vöneky am Max-Planck-Institut für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht in Heidelberg nach. Die Doktorandin Mira Chang unter- sucht, wann grenzüberschreitende Arzneimitteltests rechtswidrig sein können. TEXT HUBERT BEYERLE I m Film ist die Sache ganz einfach: der andere wissenschaftliche Fortschritt Dafür gibt es vor allem zwei Gründe: Da gibt es die Guten auf der einen – über Versuch und Irrtum. Nur, dass in Angebot und Nachfrage. Einerseits sind Seite und die Bösen auf der anderen. der Medizin Irrtum tödlich sein kann. Versuche teuer. Es dauert mitunter bis Im vor wenigen Jahren verfilmten Vieles lässt sich theoretisch klären, aber zu zehn Jahre oder noch mehr, bis ein Roman Der ewige Gärtner von John nicht alles. Und so gibt es bei der Ein- Medikament zugelassen wird. Die Kos- le Carré sind die Bösen die Leute von führung neuer Medikamente irgend- ten der Markteinführung können Hun- den skrupellosen Pharmafirmen, die wann den Punkt, wo die Tierversuche derte Millionen Euro, sogar bis zu einer ihre neuen Medikamente in Afrika tes- alle gemacht sind und zum ersten Mal Milliarde Euro betragen. Solche Zahlen ten und dabei Tote in Kauf nehmen. Im an einem Menschen getestet wird. Er ist sind zwar umstritten, aber in jedem Fall Nachwort fügt der Autor donnernd in jedem Fall eine Versuchsperson. Und gilt: Tests sind teuer. Da lohnt es sich, hinzu, verglichen mit den tatsächli- er ist dann Instrument, nicht Zweck. sie in ärmeren Ländern zu machen. chen Praktiken sei sein Roman wie eine Aber nicht nur das Geld treibt die „Postkarte aus den Ferien“. ARME LÄNDER IM FOKUS Pharmakonzerne mit ihrer Forschung In Roman und Film ist Schwarz- DER PHARMAINDUSTRIE in die weite Welt: Immer weniger Men- Weiß erlaubt. Die Wirklichkeit hingegen schen in den reichen Ländern Europas gestaltet sich komplizierter. Wie kompli- Die Globalisierung der Pharmafor- oder Nordamerikas sind bereit, sich als ziert, das zeigt sich erst durch systemati- schung hat diesen moralischen Konflikt Testperson zur Verfügung zu stellen. sche Forschung. Aber wie forscht man noch verschärft: Immer mehr Medika- Manche Studien sprechen davon, dass über Gut und Böse, über Recht und Un- mente werden in armen Ländern getes- inzwischen mehr als die Hälfte der recht im Rahmen von allgemein nach- tet. In den vergangenen 15 Jahren hat weltweiten Tests außerhalb der etab- vollziehbarer Wissenschaft? sich die Medikamentenerforschung suk- lierten Märkte USA, EU und Japan ge- Der Skandal des medizinischen zessive nach Lateinamerika, Asien, Ost- macht wird. Die globalisierte Medika- Fortschritts ist alt: Er besteht in der Di- europa und Afrika verschoben. China mentenforschung birgt erhebliche vergenz zwischen seinen Erbringern und Indien insbesondere sind die neu- moralische Sprengkraft. Das haben die und seinen Nutznießern. Denn medizi- en Hotspots. Es ist ein inzwischen viele Pharmafirmen und ihre Dienstleister, nischer Fortschritt funktioniert – wie je- Milliarden Euro umfassender Markt. die Contract Research Organisations, 34 MaxPlanckForschung 1 | 11
KULTUR &FOKUS_Medizin GESELLSCHAFT_xxxxxxxxxx von morgen erkannt und weisen immer wieder da- rauf hin, dass sie sich an „ethische Standards“ halten. Tatsächlich gibt es längst zur Genü- ge internationale Kodizes, Konventio- nen und Standards der guten Praxis. Re- gulierungsbehörden und Pharmafirmen selbst haben sich hier internationale Regeln auferlegt, die zumindest gut klingen. Sie haben Ethik-Ausschüsse etabliert, welche die Einhaltung der Re- geln beachten sollen. Im Kern geht es dabei immer um eine Verpflichtung zu „ethischen Prinzipien“. Sind damit alle Probleme gelöst? „Nein“, sagt Mira Chang. Die Dok- torandin am Max-Planck-Institut für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht in Heidelberg sieht diese häufige Referenz an ethische Standards sehr kritisch. „Ethische Standards sind schön und gut. Aber es geht hier nicht Illustration: corbis allein um Ethik, sondern um zentrale Ethik und Wissenschaft im Widerstreit: Pharmakonzerne testen immer mehr neue rechtliche Fragen: Medikamententests Medikamente in armen Ländern. Das birgt können Menschenrechte verletzen“, moralische Sprengkraft. sagt sie. „Es gibt zwar internationale 1 | 11 MaxPlanckForschung 35
um beschlossen worden, dessen Legi- lematisch. Aus Sicht von Mira Chang timität anzuzweifeln ist. Es dominie- kann die Lösung hier nur lauten: „Gibt ren in diesem Gremium europäische es ein anderes, bereits bewährtes Mittel, und nordamerikanische Ärzteverbän- sind unwirksame Placebo-Tests bei le- de. Von einer Vertretung aller Ärzte bensgefährlichen Krankheiten nicht zu kann keine Rede sein und Drittbetrof- rechtfertigen.“ fene, wie Probanden, entscheiden Können Arzneimittelversuche gegen nicht mit.“ Mitgliedschaft und Stimm- FORSCHEN IM GRENZGEBIET internationale Menschenrechte verstoßen? berechtigung seien zudem abhängig ZWISCHEN ETHIK UND RECHT Das erforscht Mira Chang am Max-Planck- vom jeweiligen finanziellen Mitglieds- Institut für ausländisches öffentliches beitrag. „Das sind schlechte Bedingun- Was moralisch richtig und falsch ist, Recht und Völkerrecht. gen für ein Gremium, dessen ethische lässt sich wissenschaftlich nicht end- Deklarationen, die ethische Standards Prinzipien weltweit gelten sollen“, kri- gültig sagen. „Moral kann als empiri- festlegen. Aber wenn diese von priva- tisiert Chang. sches Phänomen zwar Gegenstand der ten Institutionen stammen, kann deren In Reinform zeigt sich das ganze Wissenschaft sein, aber für viele mo- Legitimität zweifelhaft sein.“ moralische Dilemma der medizini- ralische Probleme kann die Wissen- schen Forschung im Placebo-Problem. schaft nicht nur eine richtige und VON EINER VERTRETUNG ALLER Forscher und Regulierungsbehörden unbezweifelbare Lösung geben“, sagt ÄRZTE KANN KEINE REDE SEIN sind sich weitgehend einig, dass Place- Silja Vöneky, Professorin an der bo-Tests nötig sind, um einigermaßen Albert-Ludwig-Universität Freiburg Die wichtigste Deklaration, die Ethi- sicher zu sein, ob ein Medikament ers- und Leiterin der unabhängigen For- schen Grundsätze für die medizinische tens ungefährlich ist und zweitens schungsgruppe am Heidelberger Max- Forschung am Menschen, wurde vom wirkt. Im Idealfall ist es doppelt-blind Planck-Institut. Dabei gibt es aller- Weltärztebund (WMA) im Juni 1964 in angelegt, weder Patient noch behan- dings einen entscheidenden Unter- Helsinki beschlossen und zuletzt im delnder Arzt wissen also, in welcher schied zwischen Moral und Ethik. Jahr 2008 revidiert. Darin heißt es vor Pille was drin ist. Ein Arzt ist aber qua „Ethik als Reflexionswissenschaft ist allem, das Wohlergehen des Patienten Beruf dazu verpflichtet, die beste ver- normative Wissenschaft. Es geht bei müsse über den Interessen von Wissen- fügbare Medizin zu geben. Wie kann er ihr um die Antwort auf die Frage: Was schaft und Gesellschaft stehen. Zudem nun absichtlich einem Teil seiner Pati- sollen, was dürfen wir tun? Dabei un- müssten die besonderen Bedürfnisse enten ein vermutlich wirksames Medi- tersucht die Ethik, ob eine Lösung, von ökonomisch und medizinisch be- kament vorenthalten? eine Antwort in sich stimmig oder wi- nachteiligten Menschen besonders be- Das Dilemma: Einerseits werden dersprüchlich ist“, sagt Vöneky. rücksichtigt werden. diejenigen, die den Wirkstoff bekom- Die Wissenschaftlerin forscht im Das klingt gut. Ist damit nicht alles men, als Versuchskaninchen benutzt, Grenzgebiet zwischen Ethik und Recht. gesagt und geregelt? „Nein, ganz be- ohne eine wirkliche Sicherheit über die Sie und ihre Mitarbeiter gehen der Foto: Manuela Meyer stimmt nicht“, sagt Chang. Tatsäch- Wirkung zu haben. Und den Empfän- Frage nach, wo und wie explizit ethi- lich fängt die Arbeit für den Juristen gern der unwirksamen Placebo-Pillen sche Regeln weltweit Einzug in die hier erst an. „Diese Konvention ist wird genau dieser Wirkstoff vorenthal- Rechtssysteme halten und wie sich der kein Rechtstext“, so Chang. „Sie ist ten, obwohl er ihnen wahrscheinlich Verweis auf ethische Standards legiti- von einem exklusiven Expertengremi- helfen könnte. Beides ist ethisch prob- mieren lässt. Dass rechtliche Regeln 36 MaxPlanckForschung 1 | 11
FOKUS_Medizin von morgen » Medizinische Forschung scheint bis vor wenigen Jahrzehnten – jedenfalls praktisch – ein fast rechts- und ethikfreier Raum gewesen zu sein. Der allgemeine Glaube an den Fortschritt war bis in die 1960er-Jahre noch ungebrochen. möglichst nicht im Widerspruch zu 1960er-Jahre noch ungebrochen. Als das Medikament Contergan mit dem ethischen Prinzipien oder der morali- der Mediziner Jonas Salk 1954 in den Wirkstoff Thalidomid. Es hatten kaum schen Intuition stehen sollten, er- USA seinen Impfstoff gegen Kinder- Tests stattgefunden, weil es kaum Vor- scheint als selbstverständlich. lähmung im Versuch im Vergleich zu schriften gab. Allein in Deutschland „Trotzdem ist es problematisch, dass einem unwirksamen Placebo testen kamen etwa 5000 Kinder mit schweren Rechtsregeln zunehmend explizit Bezug wollte, weigerten sich die lokalen Ge- Schäden zur Welt. nehmen auf sogenannte ethische Prin- sundheitsämter teilzunehmen. zipien und Ethik-Ausschüsse zu Ent- Stein des Anstoßes war aber nicht FÜR TESTS BRAUCHT MAN scheidungen ermächtigen. Wer sagt etwa der neue Wirkstoff, sondern das AM ENDE VERSUCHSPERSONEN denn, dass diese Ausschüsse wirklich unwirksame Placebo. Das Vertrauen in kompetent sind? Immerhin gibt es be- die Forschung war so groß, dass man es In der Folge hat sich die Haltung von rechtigte Zweifel daran, dass Ärzte allein nicht für vertretbar hielt, Kindern den Fachwelt und Öffentlichkeit gegenüber die richtigen Fachleute für ethische Fra- neuen, noch unerprobten Impfstoff dem medizinischen Fortschritt entschei- gestellungen sind“, meint Silja Vöneky. vorzuenthalten. Als dann das Ergebnis dend verändert. Es kam zu einer Welle Ethik-Kodizes und Ethik-Ausschüsse der Testreihen veröffentlicht wurde, der Regulierung weltweit. Bevor Medika- Foto: dpa – picture alliance sind ein relativ neues Phänomen. Medi- war es ein nationales Ereignis. Da läu- mente zugelassen werden, sind sie seit- zinische Forschung scheint bis vor we- teten sogar die Kirchenglocken. her strengen Verfahren unterworfen. > nigen Jahrzehnten – jedenfalls praktisch Der Contergan-Skandal zerstörte Besinnung auf die Grundwerte: Die Einstellung – ein fast rechts- und ethikfreier Raum diesen Optimismus ziemlich schlagar- von Fachleuten und Öffentlichkeit gegenüber gewesen zu sein. Der allgemeine Glau- tig. Zwischen 1957 und 1961 nahmen dem medizinischen Fortschritt hat sich in den be an den Fortschritt war bis in die weltweit Tausende schwangere Frauen vergangenen Jahren verändert. 1 | 11 MaxPlanckForschung 37
FOKUS_Medizin von morgen » In ihrer rechtswissenschaftlichen Arbeit versucht Mira Chang, die Sache mit den globalen Medikamententests nicht nur ethisch durchzudeklinieren, sondern mit den Instrumenten des Rechts in den Griff zu bekommen. Das soll die Patienten schützen. Die ber, und es kam zum landesweiten „Denn daraus entstehen kaum Pflich- ethische Kehrseite: Für Tests braucht Aufschrei. Das Experiment wurde nach ten für die Unternehmen.“ Aber das man am Ende Versuchspersonen. rund 40 Jahren abgebrochen. Noch die könnte sich ändern. Irgendwann ein- Damit das ethisch zu rechtfertigen Präsidenten Bill Clinton und Barack mal könnte sich eine Möglichkeit er- ist, gilt ein zentrales Prinzip: Das frei- Obama entschuldigten sich für die öffnen, dass Bürger eines afrikanischen willige Einverständnis des Patienten ist Menschenversuche, die immerhin über Staates in Europa oder den USA auf absolut essenziell. Es war bereits einer Jahrzehnte gelaufen waren. Verletzung ihrer Menschenrechte kla- der zehn Punkte des sogenannten In ihrer rechtswissenschaftlichen gen, wenn die Testbedingungen klar Nürnberg-Kodexes, den ein US-Militär- Arbeit versucht Mira Chang, die Sache den üblichen Mindeststandards wider- tribunal im Ärzteprozess – einem der mit den globalen Medikamententests sprochen haben. Nürnberger Kriegsverbrecherprozesse – nicht nur ethisch durchzudeklinieren, im Jahr 1947 erlassen hat. Das Tribunal sondern mit den Instrumenten des WER NICHT HILFT, hatte 13 deutsche Ärzte und drei weite- Rechts in den Griff zu bekommen. Was MACHT SICH STRAFBAR re hochrangige Beteiligte wegen medi- nicht einfach ist, denn noch immer zinischer Menschenversuche schuldig sind die Rechtssysteme im Wesentli- Eigentlich ist das gar nicht so uto- gesprochen und sieben von ihnen zum chen national, weil die letzten Instan- pisch: Es passiert schon jetzt, weil es in Tode verurteilt. zen der Souveränität die Nationen sind. den USA ein ungewöhnliches Gesetz Wer aber ist zuständig, wenn eine US- gibt, das eine solche Klage zulässt. Das DIE TUSKEGEE-STUDIE WURDE Firma in Afrika Medikamente testet? hat zuletzt der Konzern Pfizer zu spü- NACH 40 JAHREN ABGEBROCHEN Das ist eine Frage des Völkerrechts ren bekommen. Pfizer hatte in Nigeria – einer Rechtsdisziplin, die in der 1996 in einer Meningitis-Epidemie ein Über Jahre waren diese Prinzipien zwar Zunft immer schon mit dem Idealis- etabliertes gegen ein neues Antibioti- bekannt, spielten aber fast keine Rolle. mus-Verdacht zu kämpfen hat. Insbe- kum getestet. Es starben elf Kinder, Bis in die 1970er-Jahre gab es kaum sondere seit in den vergangenen Jah- fünf hatten das neue Trovan bekom- Vorschriften der Medikamentenregulie- ren individuelle Menschenrechte men, sechs das altbewährte Ceftriaxon rung, die diese ethischen Prinzipen gegenüber der kollektiven, nationalen – aber laut Urteilsschrift in bewusst zu rechtlich bindend machten. Erst der Souveränität ständig an Gewicht ge- geringer Dosis. Contergan-Skandal und das in den USA wonnen haben, wie sich etwa in der Der Fall gilt als eines der Parade- ebenso berüchtigte Tuskegee-Experi- Diskussion um die Legitimität von beispiele moralischen Versagens der ment ließen im Laufe der 1960er- und Kriegseinsätzen auf dem Balkan, Af- Pharmafirmen. Aber immerhin erhielt 1970er-Jahre das Bewusstsein dafür rei- ghanistan oder Irak zeigt. Trovan später in den USA eine Teilzu- fen, dass der Medikamentenmarkt regu- „Es gibt derzeit einige interessante lassung. Vergangenes Jahr ließ das zu- liert werden muss. Entwicklungen im Völkerrecht. Die ständige US-Gericht die Klage gegen In der Tuskegee-Studie wurden seit Menschenrechte werden wichtiger, Pfizer zu. Doch damit ist das Problem 1932 Hunderten schwarzen US-Ameri- und Unternehmen sind heute partiell nicht wirklich gelöst. Fest steht: Wer kanern mit Syphilis die damals bereits selbst Rechtssubjekte. Das könnte für nicht hilft, obwohl er es könnte und bekannten Antibiotika vorenthalten, die Debatte um Medikamententests müsste, handelt unmoralisch und um den natürlichen Verlauf der Krank- große Bedeutung haben“, sagt Chang. macht sich strafbar. Aber für wen gilt heit zu beobachten. Erst in den 1970er- Noch ist es aber nicht so weit. Bisher das? Bei unterlassener Hilfeleistung Jahren berichteten die Zeitungen darü- hilft das betroffenen Patienten wenig. im Straßenverkehr ist klar, dass sie 38 MaxPlanckForschung 1 | 11
„Aus den Unterschieden im Gesund- heitssystem kann nicht folgen, dass die- se Menschen rechtlich unterschiedlich behandelt werden“, sagt Chang. Wie sieht die Zukunft aus? Tatsäch- lich lässt sich auch im heutigen, wenig perfekten Rechtssystem einiges ver- bessern. „Ich denke, wir können bei den Zulassungsverfahren ansetzen“, meint die Max-Planck-Doktorandin. So regeln EU-Gesetze zwar, dass Aus- landsstudien eine Erklärung beigefügt werden muss, dass sie den ethischen Anforderungen der EU-Richtlinie zur guten klinischen Praxis genügen. Die- se EU-Richtlinie verweist dann wiede- rum auf die oben erwähnte Helsinki- Deklaration. „Diese Bestimmungen sind doch sehr vage“, so Chang. „Das sollte man besser rechtlich bindend gestalten.“ DIE STANDARDS DIENEN VOR ALLEM DER WISSENSCHAFT Skandale wie jene um das Präparat Contergan (oben) oder der Test des Antibiotikums Trovan an Kindern in Nigeria (ganz oben eine Demonstration gegen den Konzern Pfizer) Eine konkrete Folgerung für rechtliche gelten als Beispiele für das moralische Versagen von Pharmafirmen. Normen könnte sein, dass Tests nur dann zugelassen werden, wenn die Ab- denjenigen betrifft, der vor Ort ist. Damit würde die Argumentation der sicht besteht, das Medikament auch Fotos: getty images (oben), dpa – picture alliance Aber wer ist bei der Aids-Epidemie in Pharmafirmen in sich zusammenfallen. später im Testland anzuwenden. Man Afrika „vor Ort“? Immer wieder betonen diese zu ihrer könnte wenigstens im Nachhinein den Changs Lösungsvorschlag für die Verteidigung: „Wir müssten ja nicht tes- Bruch der Abmachung sanktionieren. Medikamententests: Adressat ist das ten. Dann ginge es den Betroffenen „Mir scheint es ethisch geboten, dort Pharmaunternehmen, das den Test noch schlechter, denn sie hätten gar kei- wo Tests gemacht werden, der Bevölke- macht. Testen verpflichtet. Und: Wer ne Behandlung.“ Tatsächlich sind die rung einen potenziellen Nutzen zu- einen Test macht, der ist auch für ganz Gesundheitssysteme in vielen Ländern kommen zu lassen, indem vor allem andere Dinge verantwortlich, etwa der Welt so miserabel, dass die Teilnah- das Arzneimittel dort auch vertrieben für eine saubere Nachbetreuung der me an einem Test die einzige Behand- wird, wenn es zugelassen wird. Daraus Patienten. Auch das ist keine Selbst- lungsmöglichkeit ist. Aber spielt dieses ließe sich auch eine rechtlich bindende verständlichkeit. „Was-wäre-wenn-nicht?“ eine Rolle? Regel machen“, meint Mira Chang. > 1 | 11 MaxPlanckForschung 39
„Es gibt berechtigte Zweifel daran, dass Ärzte allein die richtigen Fachleute für ethische Fragestellungen sind.“ Silja Vöneky, Leiterin einer unabhängigen Forschungsgruppe am Max-Planck-Institut für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht. In den vergangenen Jahren hat sich be- Rechtswissenschaftliche Forschung ist ist nicht komplett steuerbar. Es entwi- reits einiges verbessert. In vielen Län- damit teilweise visionär, teilweise aber ckelt sich weiter, im Kontext des kultu- dern, etwa in China, haben sich ethi- sehr pragmatisch. Wünschenswert wäre rellen Umfeldes. Was vor 50 Jahren nor- sche und rechtliche Schutzstandards vieles, aber ist es auch realistisch? Und mal war, ist heute unmöglich und etabliert, die auf den ersten Blick so gut was heißt realistisch? Realistisch heißt umgekehrt. Vor allem sind rechtliche sind wie die in Europa oder den USA. für den Juristen, dass eine Position Normen heute viel stärker explizit von „Das gilt aber nur prima facie“, so zwingend aus dem entwickelt und ab- ethischen Normen abhängig als früher. Chang. Beim zweiten Blick zeigt sich: geleitet werden kann, was allgemein Die Standards dienen vor allem der Wis- anerkannt ist, etwa der Erklärung der DIE UNTERSCHIEDE SIND senschaft. Sie sollen die Datenqualität Menschenrechte. KULTURELL GEPRÄGT erhöhen und später die Wahrschein- Dabei zeigt sich eine spezifische Ei- lichkeit einer Zulassung. Nur zum Teil genart des Rechts, das die Arbeit daran Heute gilt als selbstverständlich, dass sollen sie die Patienten schützen. Und so schwierig, aber auch interessant eine juristisch einwandfreie Lösung am ob die Standards in der Praxis auch ein- macht. Das Recht ist zwar menschenge- Ende auch moralisch überzeugen muss. gehalten werden, ist kaum bekannt. macht, aber lebt doch auch selbst und Dennoch: Die moralische Intuition ist wichtig, aber sie ist nicht alles. „Kon- traintuitive Lösungen sind erlaubt, aber sie erfordern einen höheren Begrün- dungsaufwand“, sagt Silja Vöneky. Ethik-Konventionen, Kodizes oder Ethik-Ausschüsse erhalten in letzter Zeit überall – nicht nur in der Medizin – eine zunehmende Bedeutung. Sie können sich in den wesentlichen Fra- gen auf allgemeingültige Grundsätze einigen. Im Detail eröffnen sich aber er- hebliche kulturell geprägte Unterschie- de. Etwa zwischen einer utilitaristi- schen Sicht, die den wissenschaftlichen Vor 47 Jahren beschloss der Weltärztebund Foto: Claudia Döring die „Ethischen Grundsätze für medizinische Forschung am Menschen“. Die Deklaration wurde zuletzt 2008 revidiert. Das Wohl- ergehen des Patienten müsse über den Interessen von Wissenschaft und Gesell- schaft stehen, heißt es darin.
FOKUS_Medizin von morgen Fortschritt in der Abwägung recht hoch bewertet, und einer deontologischen Sicht, die den Sinn von ethischen Nor- GLOSSAR men in diesen selbst sieht und tenden- Deontologie Utilitarismus ziell den Schutz des Individuums höher Deontologie bezeichnet eine Klasse von Gemäß dem Utilitarismus ist die stellt – etwa in der Form des kategori- ethischen Theorien, die einigen Handlungen Grundlage für die ethische Bewertung schen Imperativs, wonach kein Mensch zuschreiben, ihrer selbst willen gut oder einer Handlung das Nützlichkeits- ausschließlich Instrument für jeman- schlecht zu sein. Innerhalb der Deontologie prinzip. Dabei gilt die Maxime: „Handle gibt es verschiedene Ausprägungen. so, dass das größtmögliche Maß an den sein darf. Während moderate Deontologen Konse- Glück entsteht!“ Noch einmal andere Schwerpunk- quenzen auch eine moralische Relevanz Weltärztebund te haben beispielsweise asiatische Wer- zugestehen, sind im moralischen Absolu- Der Weltärztebund (World Medical tesysteme. Das Medikamententestpro- tismus bestimmte Handlungen unter Association, WMA) ist ein Zusammen- blem befindet sich damit genau im allen Umständen und ungeachtet ihrer schluss nationaler Ärzteverbände. Konsequenzen verboten. Er wurde im Jahr 1947 gegründet und Schnittfeld: Auf der einen Seite steht Ethik repräsentiert nahezu 100 nationale der Nutzen für die Menschheit, auf der Großes Teilgebiet der Philosophie, das sich Berufsvereinigungen. Der WMA ver- anderen das Recht des Einzelnen auf mit Moral befasst, insbesondere hinsichtlich sucht einen hohen ethischen Standard körperliche Unversehrtheit. Welche ihrer Begründbarkeit. Die Ethik untersucht im Gesundheitswesen zu fördern so- Ethik ist richtig? Definitiv lässt sich das menschliche Handeln; aus ihr leiten wie Mediziner in Form von Deklaratio- sich unterschiedliche Disziplinen ab, etwa nen und Stellungnahmen ethische das nicht klären. „Darum können Rechts-, Staats- und Sozialphilosophie. Leitlinien an die Hand zu geben. Ethik-Gremien nicht das letzte Wort haben“, sagt Chang. Der neue Mai Tai® eHP DeepSee™ Konzipiert für höchstauflösende Biologische Multiphotonen Bildgebung, liefert der Mai Tai eHP DeepSee Laser im Vergleich zu Geräten anderer Hersteller eine 65 % höhere Pulsspitzenleistung. In Kombination mit seiner systemintegrierten Dispersions- vorkompensation gewährleistet der Laser maximale Proben-Fluoreszenz bei maximaler Bildtiefe. • Höchste Spitzenleistung : 380 kW • Einstellbare Pulsdauer (70 fs bis zu >500 fs) an der Probe • Vollständig automatisiert und computergesteuert Der Mai Tai eHP DeepSee ist das neuste Ultrakurzpuls-Laser Modell der bewährten Mai Tai Serie von Spectra-Physics mit der größten installierten Basis in der Industrie. Für weitere Details rufen Sie uns bitte an oder besuchen Sie unsere Homepage www.newport.com/DeepSee Newport Spectra-Physics GmbH Guerickeweg 7 – 64291 Darmstadt Telefon: +49 (0) 61 51 / 708 – 0 • Telefax: +49 (0) 61 51 / 708 – 217 oder – 950 E-Mail: germany@newport.com © 2011 Newport Corporation. AD-021103-GR 1 | 11 MaxPlanckForschung 41
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