IAS - Viel Fortbildung und ein paar wissenschaftliche Highlights
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KONGRESS 11TH IAS CONFERENCE ON HIV SCIENCE 18-21 JULY 2021 IAS – Viel Fortbildung und ein paar wissenschaftliche Highlights Der „wissenschaftlich einflussreichste HIV-Kongress“ (Wording der IAS) fand mit Ausnahme des kleinen hybriden German Hub in Berlin virtuell statt. Möglicherweise dem Format geschuldet gab es viele gute Übersichtsvorträge und nur wenige wegweisende neue Studien. Die großen „CME-Plenarvorträge“ B/F/TAF und LEN+F/TAF vergleichbar, Auswertung der 96-Wochen-Daten der wurden von Dr. Eckhart von Hirsch- in der Salvage-Studie CAPELLA an Studie P011 ergab eine gute Verträg- hausen angekündigt, dessen Anmode- stark Vorbehandelten mit Therapiever- lichkeit von Islatravir in Kombination ration und Auftre- sagen hatten 81% unter Lenacapavir + mit Doravirin. Kopfschmerzen waren ten an Sprecher OBR eine Virus-last
KONGRESS CABOTEGRAVIR Der INSTI Cabotegravir wird aktuell Quo vadis IAS? auch zur PrEP entwickelt. In HPTN084 Vom schweren Weg in eine neue Normalität war Spritze alle acht Wochen der täg- Die jährlichen Konferenzen der International Aids Society (IAS) haben ihren eigenen, zweijährigen Rhythmus. lichen Einnahme von F/TDF bereits so In einem Jahr als pompöse „Welt-Aids-Konferenz“ mit viel Gehüpfe, Trommeln, Demos und Mediengetöse, dann überlegen, dass die Studie abgebro- wieder als etwas leisere und schlichte „IAS-Konferenz“. 2021 war wieder eines der leiseren Jahre, was aber chen wurde. Die nun präsentierte Aus- vor allem mit der Dominanz der Corona-Epidemie in den Medien (und auch in der Wissenschaft) zu tun hatte. wertung belegt einen ähnlich guten VIRTUELL MIT PRÄSENZ Effekt bei Frauen ebenfalls aufgrund Inzwischen hatten wir uns ja fast schon daran gewöhnt, nicht mehr um den hal- der besseren Adhärenz. Alle vier HIV- ben Erdball zu jetten, um nach einem mittelmäßigen Konferenzhotelfrühstück in Infektionen im Cabotegravir-Arm dunklen und eiskalt klimatisierten Hallen dem Erkenntnisgewinn entgegenzudösen ereigneten sich bei Frauen mit nicht (wegen des Jetlags), sondern statt dessen ausgeschlafen und gut gelaunt am hei- adäquaten Injektionsabständen (Mar- mischen Bildschirm im eigenen Rhythmus den Vorträgen folgen zu können. Doch zinke M et al. PECLB25). die IAS versuchte diesmal einen Spagat zwischen virtuellem Kongress und Prä- senzveranstaltung. Gar nicht so einfach, weil die Planungen ja Monate vor dem eigentlichen Ereignis stattfanden und niemand wusste, wie sich die Corona-Lage DOLUTEGRAVIR + RILPIVIRIN entwickeln würde. Bis zum Schluss war nicht ganz klar, welche Veranstaltungen In der Studie FLAIR wird Cabotegravir vor Ort stattfinden können, welche Referenten anreisen können und – nicht zuletzt + Rilpivirin IM Q4W als Firstline ge- – wie viele Teilnehmer vor Ort sein würden. prüft. Zwischen Woche 96 und 124 Somit lag der Schwerpunkt nach wie vor auf dem virtuellen Teil des Kongresses. wurde ein virologisches Versagen mit Vier „klassische“ Tracks (die im Programm tatsächlich nur einmal versteckt benannt wurden – danach hießen sie nur noch A, B, C, D), ein ominöser „IAS+“-Track, der resultierenden INSTI- und NNRTI-RAMs sich mir nicht so ganz erschloss, sowie eben der „Berlin Hub“, also der Teil, der zwar beobachtet. Insgesamt kam es in den als Präsenz-Veranstaltung stattfand, aber natürlich auch ins Netz übertragen wurde. FALLSTRICK TECHNIK Ach ja, die Online-Plattform: Man könnte meinen, nach über einem Jahr Pande- mie hätte man eine einfach bedienbare und funktionale Software gefunden. Aber weit gefehlt. Jeder Kongressveranstalter glaubt, das Rad neu erfinden zu müssen. Immer neuer Schnickschnack, den niemand braucht, statt einer eingängigen, lo- gischen und anwenderfreundlichen Bedienung. Beispiele gefällig? Eine Chatfunk- tion, die es unmöglich machte, während einer laufenden Präsentation Fragen zu stellen, Barrieren für Journalisten und andere Nicht-Mediziner, die ein Anschauen von Satellitensymposien verhinderten (angeblich wegen des deutschen Heilmittel- werbegesetzes) – während die (Werbe-)Ausstellung der Pharmafirmen problemlos zugänglich war. Auch ein einfacher Überblick über alle Poster war nicht einfach möglich; man musste immer einem vorgegeben Hierarchiebaum folgen. Hier ist wirklich noch viel Raum für Verbesserungen. Abb 2 FLAIR: Cabotegravir + Rilpivirin IM Q4W als Firstline. 124 Wochen. Snapshot- Community bleibt vor der Tür? Analyse Letztendlich sind das aber Kleinigkeiten. Ein viel wichtiger Kritikpunkt für mich ist, 124 Wochen somit bei fünf Patienten dass die IAS seit Jahren ihr Verhältnis zur Community nicht geregelt bekommt. Nachdem es die letztjährige Welt-Aids-Konferenz sogar zerrissen hatte (man hatte zum virologischen Versagen (Abb. 2). sich über den Veranstaltungsort nicht einigen können – deshalb fand eine eigene, Die Verträglichkeit der Spritzen war konkurrierende Konferenz der Community statt), war es auch dieses Jahr wieder kein Problem, sie wurde im Lauf der verbreitet, über Menschen zu reden statt mit ihnen. Trauriges Beispiel: Die Session Zeit sogar immer besser. Lediglich ein „Is the rise in STI under PrEP acceptable?” vor Ort im Estrel-Hotel in Berlin. Das Patient brach die Behandlung deshalb Thema hatte viele spannende Facetten, aber leider hatte man versäumt einen PrEP- zwischen Woche 96 und 124 ab (Orkin User (oder vielleicht sogar eine User:in?) einzuladen, um auch die Perspektive der Menschen abzubilden, die das am eigenen Leibe mitmachen. Auf der anderen Seite C et al., OAB00413). der löbliche Versuch, viele Sessions mit einem „Summary for the Community“ abzu- Gibt es Prädiktoren für das Versagen schließen, was je nach Referent:in mal mehr, mal weniger gut (d.h. verständlich) gelang. einer LA-Spritzentherapie? Eine Ar- HIV&more 3/2021 9
KONGRESS Lamividin erwartungsgemäß zur ra- scheren Senkung der Viruslast als Darunavir/r plus F/TDF allerdings ohne günstigeren Effekt auf das HIV- Reservoir im Blut (Cheret A et al., E01B31). Im Switch-Setting hat sich Dolute- gravir/3TC bereits in der TANGO-Stu- die bewährt (Wyk van W et al., PEB164). Auch in der SALSA-Studie hat die Umstellung von einem konven- tionellen 3er-Regime bei supprimier- ten Patienten gut funktioniert, aller- Abb 3 HIV HEART AGING-Kohorte im Ruhrgebiet. Gewichtsverlauf über 5 Jahre bei Menschen mit dings kam es unter dem 2DR innerhalb und ohne HIV eines Jahres zu einer stärkeren Ge- wichtszunahme (2,1 kg vs 0,6 kg) (Llibre JM et al,, OALB0303). DOLUTEGRAVIR BEI KONZEPTION Dolutegravir während der Konzeption hat keinen Einfluss auf die Entstehung Abb 4 ZeNix: Bedaquilin, Pretomanid und Linezolid bei hochresistenter Tuberkulose. MITT-Analyse von Neuralrohrdefekten. In der noch laufenden Tsepamo-Studie wurden mittlerweile deutlich mehr Konzep- tionen/Schwangerschaften unter Dolu- tegravir dokumentiert. Die neue Aus- wertung der Daten bis 31. März 2021 zeigte keinen Unterschied in der Häu- figkeit von Neuralrohrdefekten bei Neu- geborenen von Müttern mit oder ohne Dolutegravir. Dies unterstützt – so die Autorin – die Empfehlung der WHO von Dolutegravir als Firstline für alle Er- wachsenen auch für Frauen im gebär- Abb 5 AMBITION-cm: Einmalig hochdosiertes liposomales Amphotericin B vs 7 Tage fähigen Alter (Zash R et al., PEBLB14). Amphotericin B jeweils plus FU und FLU. Gesamtmortalität zu Woche 10 beitsgruppe aus drei großen Pariser DOLUTEGRAVIR/LAMIVUDIN LANGZEIT-UPDATES Kliniken hat einen höheren BMI, den Das 2DR Dolutegravir/3TC funktioniert Langzeitdaten geben Sicherheit. HIV-1 Subtyp A6/A1 sowie Rilpivirin- auch in einem Test-and-Treat Setting, So war Doravirin/3TC/TDF in DRIVE- RAMs als Risikofaktoren identifiziert selbst wenn die Viruslast hoch ist. Nur AHEAD auch nach 192 Wochen effek- (Charpentier C et al., OAB030622). bei wenigen Teilnehmern der STAT- tiv und gut verträglich (Orkin C et al., Eine archivierte K103N vor dem Switch Studie musste die Therapie wegen PEB147). Biktegravir/F/TAF war nach bei supprimierten Patienten scheint einer Hepatitis B-Koinfektion oder vier Jahren ebenfalls gut wirksam, dagegen kein Problem darzustellen. eines virologischen Versagens (n=2/ verträglich und ohne Resistenzent- Das ergab die 24-Wochen-Analyse 100 ohne RAMs) angepasst werden wicklung (Arribas J et al., PEP151) einer europäischen Multizenter-Studie (Rolle C-P et al., PEB182). Bei der aku- und im Hinblick auf die virologische (Moyle G et al., PEBLB12). ten HIV-Infektion führt Dolutegravir/ Wirksamkeit nach 144 Wochen mit 10 HIV&more 3/2021
KONGRESS Dolutegravir/ABC/3TC bzw. Dolute- gravir plus F/TAF vergleichbar (Acosta LOCAL HUB BERLIN Fast war man versucht, sich in die „gute, alte Zeit“ zurück R et al., PEB150). zu wünschen, wenn man die leeren Hallen des Estrel-Hotels in Berlin sah. Wo sich eigentlich Menschenmassen tummeln GEWICHTSZUNAHME sollten, um den neuesten Forschungsergebnissen hinterherzu- Eine Gewichtszunahme unter ART hecheln, saßen gerade ein paar Handvoll Menschen in zwei etwas größeren Konfe- wirft die Frage auf, inwieweit die Medi- renzräumen, die nicht annähernd gefüllt waren – was vermutlich dem Termin (Montag kamente ursächlich beteiligt sind. Die und Dienstag) sowie den hohen Teilnahmegebühren geschuldet war. Umso aufge- peppter war das Online-Angebot. Mit Eckhardt von Hirschhausen als Conférencier, Frage wird derzeit kontrovers disku- der gerade versucht, die Gebiete Comedy, Medizin und Umweltaktivismus zu kom- tiert, eine klare Antwort ist nicht in binieren (Environmental Comedician?) und in TV-Formaten und Büchern an die Ge- Sicht (Vergl. Kommentar Rock- neration 50+ zu bringen. Die beiden Kongress-Präsident:innen waren Adeeba Kama- stroh Seite 22). Die Auswertung rulzaman und Hendrick Streeck, den man einfach bewundern der deutschen HIV HEART AGING muss, wie er die Zeit aufbringt, neben klinischer Tätigkeit, Arbeitsgruppe hat einen neuen Buchautor und Dauergast in Talkshows auch noch zwischen Aufnahmestudios und „Berlin Hub“ hin-und-herzupendeln. Aspekt eingebracht. Beim Ver- Die einstimmende Begrüßungsrede von Angela Merkel gleich ihrer Kohorte mit der Nor- war natürlich vorher aufgezeichnet und so wunderte sich malbevölkerung kamen die Auto- manche:r, dass sie kein Wort zur Flutkatastrophe verlor. Da ren zum Schluss, dass Übergewicht fiel auch kaum auf, dass ihr Plädoyer, das medizinischer (zumindest im Ruhrgebiet) ein Fortschritt allen Menschen weltweit zu Gute kommen müs- häufiges Problem ist und die beo- se, wenig glaubwürdig klang vor dem Hintergrund der deut- bachtete Gewichtzunahme bei schen Weigerung, Pharmapatente (z.B. für Corona-Impf- stoffe) zumindest zeitweise aufzuheben. Menschen mit HIV möglicherweise Inhaltlich war auch die Konferenz deutlich „Corona-infiziert“. Das ist aber gar nicht ne- nicht ein „return to health“, sondern gativ gemeint. Zum einen gibt es spannende Parallelen (aber auch Unterschiede) zwi- ein „coming back to normal“ darstellt schen beiden Viren bzw. Infektionen. Zum anderen ist aber immer noch viel zu wenig (Abb. 3) (Mavrani L et al., PEB 125). bekannt, inwieweit Menschen mit HIV von Corona und seinen Folgen stärker betroffen sind und ob es bei den Impfungen Unterschiede zu Menschen ohne HIV gibt. Hier war er- KLINISCH RELEVANT kennbar, dass zwar beide Forschungsgebiete um Ressourcen (und Forscher:innen) kon- kurieren, dass sie sich aber eben auch gegenseitig befruchten und voneinander lernen. Klinisch relevante Studien gab es zur hochresistenten Tuberkulose und WEGE DER ZUKUNFT Kryptokokken-Meningitis. In der Stu- Drei große Schwerpunkte für die Zukunft waren für mich erkennbar: die ZeNix konnte bei der hoch- • „Long-acting“ Therapien werden in den nächsten Jahren die Therapielandschaft resistenten Tuberkulose beim Regime und die PrEP bereichern. Allerdings sind damit auch neue Herausforderungen für Anwender:innen und Ärzt:innen verbunden. Pretomanid, Bedaquilin und Linezolid • Gentherapeutische Verfahren finden langsam ihren Weg von der Forschung in die Therapiedauer und Dosis von Line- die praktische Anwendung. Viele waren überrascht, dass inzwischen schon zehn zolid erfolgreich reduziert werden gentherapeutische Medikament zugelassen sind. Weitere Studien laufen. Hier (Abb. 4). Die Nebenwirkungen von hat man den Eindruck, dass gerade die mRNA-Impfstoffe für eine breitere Akzep- Linezolid auf Knochenmark und Ner- tanz in der Bevölkerung gesorgt haben und damit den Einsatz entsprechender ven waren deutlich geringer (Conradie Therapieformen beschleunigt haben könnten. • Bei der Entwicklung neuer Therapien wird heute von Anfang an mitgedacht, wie F et al., OALB01LB02). Bei der Krypto- man diese weltweit zum Einsatz bringen kann, also eben auch in ressourcen- kokken-Meningitis hat sich die einma- armen Ländern. Hier hat sich die Erkenntnis aus der Corona-Krise durchgesetzt, lige Gabe von hochdosiertem liposo- dass man globale Probleme mit globalen Strategien angehen muss. malen Amphotericin B dem konven- Für die IAS gibt es viel zu tun: Herausforderungen durch neue Erkrankungen, neue tionellen Amphotericin B über sieben Therapiestrategien („long acting“) und das immer noch nicht eingelöste Verspre- Tage jeweils in Kombination mit 5FC chen der Heilung, aber auch der Umgang mit virtuellen Konferenzen (die uns sicher und FLU als überlegen erwiesen (Abb. auch in Zukunft erhalten bleiben), mit der Community und mit der Tatsache, dass sowohl HIV als auch Corona globale Bewältigungsstrategien erfordern. Die nächste 5) (Lawrence C et al., OALB01LB03). Chance dafür bietet sich 2022 in Montreal, Kanada. Siegfried Schwarze, Berlin Dr. Ramona Pauli, München HIV&more 3/2021 11
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