Ibero-Online.de - Publikationsserver des IAI

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Nr. 16                                                                       April 2022

           Die deutsch-venezolanischen
         Kulturbeziehungen und ihre Rolle
         zur Stärkung der Zivilgesellschaft

                                 Ramón Cardozo

Ramon Heriberto Cardozo Alvarez ist Professor an der Universidad Católica Monteávila
sowie der Universidad Metropolitana in Caracas und arbeitet seit vielen Jahren aktiv in den
Bereichen Demokratisierung, Kultur und Bildung.
IBERO-ONLINE.DE

Das Ibero-Amerikanische Institut (IAI) ist ein Disziplinen übergreifend konzipiertes Zen­trum
der wissenschaftlichen Arbeit sowie des akademischen und kulturellen Austauschs mit Latein-
amerika, Spanien und Portugal. Es beherbergt die größte europäische Spezialbibliothek für den
ibero-amerikanischen Kulturraum, zugleich die drittgrößte auf diesen Bereich spezialisierte Bi-
bliothek weltweit. Gleichzeitig erfüllt das IAI eine Funktion als Stätte der außeruniversitären
wissenschaftlichen Forschung sowie als Forum des Dialogs zwischen Deutschland, Europa und
Ibero-Amerika.
    In der Reihe IBERO-ONLINE.DE werden in loser Folge Texte auf der Grundlage von Vorträgen
und Symposien veröffentlicht, die am Ibero-Amerikanischen Institut PK stattgefunden haben. Die
Reihe dient der Diffusion der Ergebnisse wissenschaftlicher Veranstaltungen des Ibero-Amerikani-
schen Institutes und soll zu deren Verbreitung über den regionalen Rahmen und die Teilnehmerin-
nen und Teilnehmer der Veranstaltungen hinaus beitragen. Die Publikationen der Reihe IBERO-
ONLINE.DE können über die Homepage des IAI unter http://www.ibero-online.de bzw. über den
institutionellen Publikationsserver unter https://publications.iai.spk-berlin.de heruntergeladen wer-
den. Sie werden bei Bedarf auch als Druckversion aufgelegt.

El Instituto Ibero-Americano Fundación Patrimonio Cultural Prusiano es un centro interdisci-
plinario que se dedica al intercambio científico y cultural con América Latina, España y Portugal.
Alberga la mayor biblioteca especializada en Europa en cuanto al ámbito cultural iberoamerica-
no. Asimismo, es un lugar de investigación extrauniversitaria, y tiene como objetivo la intensifi-
cación del diálogo entre Alemania e Ibero-América.
    En la serie IBERO-ONLINE.DE se publican textos provenientes de conferencias y simposios
llevados a cabo en el Instituto Ibero-Americano. La serie se propone difundir los resultados de
las actividades científicas del Instituto más allá del contexto local. Las publicaciones de la serie
IBERO-ONLINE.DE se pueden bajar en formato PDF de la página web del Instituto (http://www.
ibero-online.de) o del Repositorio Institucional (https://publications.iai.spk-berlin.de). A pedido espe-
cial, los textos de la serie también pueden ser publicados en versión impresa.

Übersetzung aus dem Spanischen/Traducción: Janina Tzieply (JT)
Satz/Composición: Patricia Schulze
1. Auflage/1a edición 2022
ISBN: 978-3-935656-86-3
© Ibero-Amerikanisches Institut Preußischer Kulturbesitz, Potsdamer Str. 37,
10785 Berlin

This work is licensed under the Creative Commons Attribution-ShareAlike 4.0 International License. To
view a copy of this license, visit http://creativecommons.org/licenses/by-sa/4.0/

The online version of this work can be found at:
https://publications.iai.spk-berlin.de/receive/iai_mods_00000128
Inhalt

1. Einleitung                                                                                      4
2. Kulturbeziehungen und auswärtige Kulturpolitik                                                  5
   2.1 Die Auswärtige Kultur- und Bildungspolitik der Bundesrepublik Deutschland                  7
   2.2 Die auswärtige Kulturpolitik Venezuelas                                                   12
3. Zivilgesellschaft, Kultur und Demokratie                                                      17
4. Kulturbeziehungen zwischen Deutschland und Venezuela                                          24
   4.1 Verflochtene Geschichten: Deutsche Einwanderung nach Venezuela                            24
   4.2 Die deutschen Schulen in Venezuela                                                        29
   4.3 Die Bedeutung des Goethe-Instituts und der Asociación Cultural Humboldt
       für die kulturellen Beziehungen zwischen Deutschland und Venezuela                        34
   4.4 Die internationale wissenschaftliche Zusammenarbeit als wichtige Dimension
       der kulturellen Beziehungen zwischen Deutschland und Venezuela                            39
   4.5 Die Bedeutung der Zentren für Lateinamerikastudien in Deutschland                         43
   4.6 Die Rolle der deutschen politischen Stiftungen in Venezuela bei der Stärkung
       der Zivilgesellschaft                                                                     46
        4.6.1 Kooperationsaktivitäten der Konrad-Adenauer-Stiftung in Venezuela 53
        4.6.2 Kooperationsaktivitäten der Hanns-Seidel-Stiftung in Venezuela    58
        4.6.3 Kooperationsaktivitäten der Friedrich-Ebert-Stiftung in Venezuela61
5. Schlussfolgerungen                                                                            65
Literaturverzeichnis                                                                             69

                                                                               Ibero-Online 15 – Inhalt   3
1. Einleitung
    Die Beziehungen zwischen Venezuela und Deutschland haben ihre Wurzeln in der Kolonialzeit
    und in den Anfängen der Entwicklung Venezuelas zu einer modernen Nation: Im Jahr 1528
    traf die spanische Krone mit der Familie Welser eine Vereinbarung, die sie ermächtigte, das
    Land an der Nordküste des heutigen Venezuela zu entdecken, zu erobern und zu besiedeln. Ein
    weiteres frühes Ereignis, das die Beziehungen zwischen den beiden Ländern prägte, war die
    Forschungsreise des Wissenschaftlers Alexander von Humboldt im Jahr 1799. Diese Ereignisse
    sowie die Teilnahme deutscher Freiwilliger am Unabhängigkeitskrieg Venezuelas und die An-
    kunft der ersten deutschen Einwanderer in Venezuela in der Mitte des 19. Jahrhunderts bilden
    die Ausgangspunkte eines Austauschs zwischen den beiden Nationen, der mit mehr Höhen als
    Tiefen bis zum heutigen Tag andauert. Obwohl Umfang und Intensität der kulturellen, wis-
    senschaftlichen und wirtschaftlichen Beziehungen Deutschlands mit Venezuela geringer sind
    als mit anderen lateinamerikanischen Ländern wie Argentinien, Brasilien, Chile oder Mexi-
    ko (Hofmeister 1998, 61, 63; Pintor 2006, 19; Pintor 2013, 5-8), waren sie dennoch für beide
    Gesellschaften vorteilhaft. Für Venezuela gilt dies ganz besonders für den kulturellen Bereich
    (Veracochea 1999, 13).
        In dieser Studie werden die kulturellen Beziehungen zwischen Deutschland und Venezuela
    aus dem Blickwinkel der deutschen Auswärtigen Kulturpolitik analysiert, ein Aspekt, der bis-
    her wenig erforscht wurde. Die Annäherung an das Thema erfolgt in erster Linie aus histori-
    scher Perspektive. Der Schwerpunkt liegt auf der Auswärtigen Kulturpolitik der Bundesrepublik
    Deutschland (BRD) gegenüber Venezuela in der zweiten Hälfte des zwanzigsten Jahrhunderts.
    In diesem Sinne werden wir uns in dieser ersten Studie nicht mit der Analyse der auswärtigen
    Kulturpolitik der Deutschen Demokratischen Republik (DDR) gegenüber Venezuela befassen.1
        Die Beziehungen zwischen Deutschland und Venezuela sind eine Geschichte der Verflech-
    tungen, in der Migrationsprozesse eine wichtige Rolle spielen. In dieser Studie wird kurz auf die
    Bedeutung der deutschen Einwanderung nach Venezuela eingegangen. Die Auswirkungen der
    venezolanischen Einwanderung nach Deutschland auf die kulturellen Beziehungen zwischen
    den beiden Gesellschaften werden aufgrund begrenzter personeller und zeitlicher Ressourcen
    Gegenstand zukünftiger Untersuchungen sein müssen. Angesichts der Krisen, unter denen Ve-
    nezuela im letzten Jahrzehnt gelitten hat, hat die Zuwanderung nach Deutschland zugenom-
    men. Obwohl sie in absoluten Zahlen nicht sehr groß ist, war ihre Wachstumsrate in den letzten
    Jahren im Vergleich zur Zuwanderung von Menschen aus anderen lateinamerikanischen Län-
    dern hoch.2

    1 Anmerkung: Ramón Heriberto Cardozo Álvarez erstellte dieses Arbeitspapier im Rahmen eines vom Auswär-
      tigen Amt finanzierten Projekts. Er hat daran zwischen Juni 2021 und März 2022 am Ibero-Amerikanischen
      Institut in Berlin gearbeitet.
    2 Es sind bereits einige Auswirkungen dieser jüngsten venezolanischen Einwanderung auf die interkulturellen
      Beziehungen zu beobachten, wie z. B. die Arbeit einer Reihe von Bürgervereinen. Hier ist zu nennen: „Ein-
      heit für Venezuela“, 2017 in Nordrhein-Westfalen von Venezolanern und Freunden Venezuelas in Deutsch-
      land gegründet. Zu den Zielen des Vereins gehört die „Förderung der politischen Bildung und Information
      für Deutsche, Venezolaner und Lateinamerikaner“ (https://einheit-venezuela.org/homesp.php; letzter Zugriff
      11.03.2022). Ein anderes Beispiel ist das kulturelle und soziale Projekt für Kinder und Jugendliche des 2017 in
      München gegründeten gemeinnützigen Vereins C.O.N. SONANZA e.V.

4    Ibero-Online 16 – Einleitung
2. Kulturbeziehungen und auswärtige Kulturpolitik
Alfred Kroeber und Clyde Kluckhohn stellten 1952 eine Liste von 164 Definitionen des Begriffs
„Kultur“ zusammen (Kroeber und Kluckhohn 1985, 149), was nicht nur den vielschichtigen
Charakter des Begriffs, sondern auch seine Komplexität verdeutlicht. In diesem Arbeitspa-
pier werden wir uns an dem breiten Verständnis orientieren, das wichtige multilaterale Orga-
nisationen wie die UNESCO und die Europäische Kommission dem Begriff gegeben haben.
Die UNESCO definierte in ihrer „Erklärung von Mexiko-Stadt“, die 1982 auf der UNESCO-
Weltkonferenz verabschiedet wurde, Kultur als „die Gesamtheit der charakteristischen geisti-
gen, materiellen, intellektuellen und emotionalen Merkmale, die eine Gesellschaft oder soziale
Gruppe kennzeichnen. Sie umfasst neben Kunst und Literatur auch Lebensformen, grundlegen-
de Menschenrechte, Wertesysteme, Traditionen und Glaubensvorstellungen“ (UNESCO 1982,
1). In gleicher Weise wies die Europäische Kommission 2007 darauf hin, dass über Kunstwerke,
Kulturgüter und kulturelle Dienstleistungen hinaus Kultur „[…] als eine Reihe von besonderen
geistigen und materiellen Merkmalen, die eine Gesellschaft und eine soziale Gruppe charakteri-
sieren, gesehen werden sollte. Sie umfasst Literatur und Kunst, aber auch Lebensweisen, Werte-
systeme, Traditionen und Überzeugungen“ (Europäische Kommission 2007, 1).
    Grenzüberschreitende Migration, Begegnungen von Lebensweisen und kulturelle Verflech-
tungen, die im Laufe der Geschichte zwischen verschiedenen Gesellschaften stattgefunden ha-
ben, sind eine Konstante in der Geschichte der Menschheit, die sich in dieser Phase der Glo-
balisierung intensiviert hat und noch komplexer geworden ist. Es handelt sich um kulturelle
Interaktionen und Austausch, die zwar oft zu Spannungen und Konflikten geführt haben, aber
in den allermeisten Fällen für die Gesellschaften, die mit ihnen in Kontakt gekommen sind,
von Vorteil waren. Sie machen den Gesellschaften die Komplexität und Vielschichtigkeit der
Wirklichkeit deutlich. Sie zeigen ihnen, dass es andere gültige Perspektiven gibt, die sich von
ihren eigenen unterscheiden; sie lehren sie, dass es andere Wege gibt, zu leben, mit der Umwelt
in Beziehung zu treten und menschliches Wohlergehen zu erreichen; und schließlich machen
sie deutlich, dass es trotz der großen kulturellen Unterschiede, die zwischen den Gesellschaften
bestehen können, eine gemeinsame Basis unter den Menschen gibt, die trotz der Unterschie-
de Verständnis, Verständigung und kulturellen Austausch ermöglicht. „Kultureller Austausch
gibt uns die Möglichkeit, Gemeinsamkeiten zu schätzen und dort, wo es Unterschiede gibt, die
Beweggründe und die Menschlichkeit, die ihnen zugrunde liegen, zu verstehen“ (Bound et al.
2007, 11).
    In dieser Arbeit werden wir unter dem Begriff „Kulturbeziehungen“ jene Beziehungen zu-
sammenfassen, die „wechselseitige transnationale Interaktionen zwischen zwei oder mehr Kul-
turen sind, die eine Reihe von Aktivitäten umfassen, die von staatlichen und/oder nichtstaat-
lichen Akteuren im Raum der Kultur und der Zivilgesellschaft durchgeführt werden“ (Goethe
Institut und British Council 2018, 7). Durch Austausch, Dialog und Zusammenarbeit anstelle
von Zwang fördern kulturelle Beziehungen Toleranz, Respekt und ein besseres Verständnis zwi-
schen den Menschen und Gesellschaften.
    Analytisch kann zwischen zwei Logiken der kulturellen Beziehungen zwischen Gesell-
schaften verschiedener Länder unterschieden werden (Rose 2017, 1). Auf der einen Seite gibt
es kulturelle Beziehungen, die aus spontanen und sehr unterschiedlichen Begegnungen, ge-

                                            Ibero-Online 16 – Kulturbeziehungen und auswärtige Kulturpolitik   5
meinsamen Projekten oder konkreter Zusammenarbeit zwischen Mitgliedern der Zivilgesell-
    schaft aus verschiedenen Ländern entstehen. Autoren wie Richard Arndt (2005) bezeichnen
    diese Beziehungen im engeren Sinne als kulturelle Beziehungen und definieren sie als „[…]
    the relations between national cultures, those aspects of intellect and education lodged in any
    society that tend to cross borders and connect with foreign institutions. Cultural relations grow
    naturally and organically, without government intervention“ (Arndt 2005, xviii). Gemeint sind
    hier grenzüberschreitende kulturelle Beziehungen zwischen Mitgliedern und Organisationen
    der Zivilgesellschaft.
         Andererseits gibt es kulturelle Beziehungen, die sich aus der staatlichen Politik ergeben, wie
    z. B. die „Auswärtige Kulturpolitik“ oder „Kulturdiplomatie“, die als „exchange of ideas, infor-
    mation, art, and other aspects of culture among nations and their peoples in order to foster mu-
    tual understanding“ (Cummings 2003, 1) verstanden werden können. Diese bewussten Bemü-
    hungen von Staaten, sich der Welt durch ihre kulturellen Ausdrucksformen und ihr kulturelles
    Erbe bekannt zu machen, zielen mittel- und langfristig darauf ab, die Beziehungen zu anderen
    Nationen zu stärken, durch ein größeres gegenseitiges Verständnis Vertrauen aufzubauen und
    den Weg für die Entwicklung stärkerer und stabilerer politischer und wirtschaftlicher Bezie-
    hungen zu ebnen. Seit Beginn des 20. Jahrhunderts wurde die Kulturdiplomatie, die als weiche
    Strategie der Einflussnahme und mit einer breiten Palette von Formaten und Instrumenten der
    kulturellen Zusammenarbeit entwickelt wurde, institutionalisiert und hat in der Außenpolitik
    von Staaten zunehmend an Bedeutung gewonnen (Bonet, Négrier und Zambrano 2019, 42).
         Obwohl die beschriebenen Arten von kulturellen Beziehungen komplementär sind, gehen
    sie oft getrennte Wege. Einerseits kann die Kulturdiplomatie, die einseitig von der Außenpolitik
    eines Landes betrieben wird, nur schwer umfassende und dauerhafte kulturelle Beziehungen
    aufbauen, die über bestimmte politische Anlässe und strategische Prioritäten hinausgehen. An-
    dererseits können die grenzüberschreitenden kulturellen Beziehungen zwischen verschiedenen
    Akteuren und gesellschaftlichen Gruppen gestärkt und artikuliert werden, wenn sie von der
    auswärtigen Kulturpolitik der jeweiligen Länder unterstützt werden.
         Eine intermediäre Instanz zwischen breit angelegten und diffusen kulturellen Beziehungen
    zwischen Mitgliedern der Zivilgesellschaften und der aus strategischen Gründen betriebenen
    auswärtigen Kulturpolitik verschiedener Ländern bilden diejenigen Institutionen und Organi-
    sationen, die als „Kulturvermittler“ fungieren. Mit einer längeren zeitlichen Perspektive und
    größerer institutioneller Stabilität als Einzelpersonen bauen sie stabile Brücken zwischen ver-
    schiedenen Gesellschaften auf, betonen verschiedene Bereiche der Zusammenarbeit und sind
    Knotenpunkte für die Artikulation transnationaler Netzwerke. Um diese Aufgabe angemessen
    erfüllen zu können, müssen Kulturvermittler nicht nur über sprachliche und interkulturelle
    Kompetenzen verfügen, sondern auch über Managementfähigkeiten und eine angemessene Fi-
    nanzierung. Beispiele für Kulturvermittler sind das Goethe-Institut (GI), die politischen Stif-
    tungen, die Kirchen mit ihren Organisationen in anderen Ländern oder auch außeruniversitäre
    Forschungseinrichtungen mit Lateinamerika-Bezug wie das Ibero-Amerikanische Institut (IAI)
    der Stiftung Preußischer Kulturbesitz (SPK) in Berlin, das sich als Brücke zwischen zwei Welten
    versteht, als Bindeglied sowie als Begegnungsstätte für den interkulturellen Dialog zwischen
    Deutschland, Lateinamerika und der Karibik.

6   Ibero-Online 15 – Kulturbeziehungen und auswärtige Kulturpolitik
2.1 Die Auswärtige Kultur- und Bildungspolitik der Bundesrepublik Deutschland
Im föderalen System Deutschlands liegt die Zuständigkeit für Kultur, Bildung und Wissenschaft
bei den Bundesländern. Tatsächlich gibt es kein Bundeskulturministerium als solches, sondern
eine Beauftragte der Bundesregierung für Kultur und Medien (BKM).3 Die auswärtigen Bezie-
hungen fallen jedoch in die Zuständigkeit der Bundesregierung, wie es in Artikel 32 Absatz 1
des Grundgesetzes (GG) für die Bundesrepublik Deutschland heißt: „Die Pflege der Beziehun-
gen zu den auswärtigen Staaten ist Sache des Bundes“. Auf dieser Rechtsgrundlage etablierte
Willi Brandt als Außenminister im Jahr 1967 die Auswärtige Kulturpolitik. Fortan sollte die
Auswärtige Kultur- und Bildungspolitik (AKBP) als dritte Säule der deutschen Außenpolitik4
zur Sicherheits- und Handelspolitik hinzukommen. Zu den kulturpolitischen Instrumenten der
AKBP gehören der akademische Austausch, das Auslandsschulwesen und die Förderung von
Deutsch als Fremdsprache.
    Die Einbindung einer kulturellen Dimension in die deutsche Außenpolitik hat eine lange
Geschichte, welche die Mehrdeutigkeit der kulturellen Dimension und ihre politische Nutzung
widerspiegelt. Bereits 1920 gab es im Auswärtigen Amt die Abteilung VI, die zunächst Abteilung
für Deutschtum im Ausland und kulturelle Angelegenheiten und später Kulturabteilung hieß.
Zu den vorrangigen Aufgaben dieser Abteilung gehörten die Verbreitung der deutschen Sprache
und Kultur unter den deutschen Emigranten, insbesondere durch deutsche Schulen im Ausland,
die Organisation des akademischen Austauschs mit dem Ausland, die Durchführung kultureller
und wissenschaftlicher Veranstaltungen sowie die Anerkennung ausländischer akademischer
Zeugnisse (Abelein 1968, 113). Im Jahr 1933 wurde die Kulturabteilung in Kulturpolitische Ab-
teilung umbenannt. Im Jahr 1949, mit der Gründung der Bundesrepublik Deutschland, wurde
das Kulturreferat der Verbindungsstelle des Bundeskanzleramtes zur Alliierten Hohen Kom-
mission eingerichtet. Diese Abteilung hatte die Aufgabe, in der neuen Bundesregierung die Vo-
raussetzungen für die Entwicklung weiterer kultureller Beziehungen zum Ausland zu schaffen.
Im Jahr 1950 wurde aus dieser Einheit die Dienststelle für Auswärtige Angelegenheiten (Singer
2003, 6-7). Erst 1951 wurde die Kulturabteilung im Auswärtigen Amt (AA) wiedereröffnet, die
2001 in Abteilung für Auswärtige Kultur- und Bildungspolitik umbenannt wurde. Im Jahr 2007
wurden die Abteilung für Auswärtige Kultur- und Bildungspolitik und die Abteilung für Kom-
munikation5 des AA zur heutigen Abteilung Kultur und Kommunikation zusammengelegt. Ihre
Aufgabe ist die Planung, Koordinierung und Steuerung der auswärtigen Kultur-, Bildungs- und
Kommunikationspolitik sowie der politischen Öffentlichkeitsarbeit.
    Die Geschichte der deutschen Kultur-, Bildungs- und Wissenschaftsdiplomatie lässt sich bis
in die Mitte des 19. Jahrhunderts zurückverfolgen, als eine Reihe von Mittlerorganisationen –
oft auf private Initiative hin – entstanden, die Aufgaben des kulturellen, wissenschaftlichen und
bildungspolitischen Austauschs zwischen Deutschland und anderen Ländern wahrnahmen.
Nach dem Zweiten Weltkrieg begann die Bundesrepublik Deutschland, dieses Netz von Fachor-
3 https://www.bundesregierung.de/breg-de/bundesregierung/bundeskanzleramt/staatsministerin-fuer-kultur-
  und-medien (letzter Aufruf 20.11.2021).
4 https://www.auswaertiges-amt.de/de/aussenpolitik/themen/grundprinzipien/216474   (letzter     Aufruf
  20.11.2021).
5 https://www.auswaertiges-amt.de/de/aamt/auswdienst/abteilungen/kulturundkommunikation-node (letzter
  Aufruf 20.11.2021).

                                              Ibero-Online 15 – Kulturbeziehungen und auswärtige Kulturpolitikr   7
ganisationen für den Kulturaustausch für ihre Außenpolitik zu nutzen. Im Laufe der Jahre wur-
    den die Vermittlungsinstitutionen und -organisationen nach und nach in die Ministerial- und
    Verwaltungsstruktur der Bundesrepublik Deutschland eingegliedert. Sie erhalten öffentliche
    Mittel und werden vertraglich mit der Umsetzung der auswärtigen Kulturpolitik des deutschen
    Staates betraut. Auf der Grundlage des Delegationsprinzips sind sie den deutschen Botschaften
    im Ausland nicht direkt unterstellt und fungieren somit als Mittler zwischen der deutschen
    Politik und ihren Interessen einerseits und den Gesellschaften der Gastländer andererseits. Die-
    se Autonomie ermöglicht es den Mittlerorganisationen, eine respektvollere, kritischere, auto-
    nomere und professionellere Politik der Zusammenarbeit zu entwickeln als ihre Pendants in
    anderen Ländern (Denscheilmann 2012, 117; Singer 2003, 7; Jacob 1994, 283). In diesem Sinne
    betont Barthold Witte, dass „[die] Verleihung des AKP-Status an eine Vielzahl von Vermittlern
    eine bewusste Entscheidung war, um eine Instrumentalisierung der Kultur durch den Staat für
    diplomatische Zwecke so weit wie möglich zu verhindern“ (Goethe Institut und British Council
    2018, 16). Darüber hinaus wurde darauf hingewiesen, dass diese Organisationen im Vergleich
    zu den Ministerien unter anderem über mehr Flexibilität, Fachwissen, Innovationsfähigkeit,
    Medienvielfalt und die Möglichkeit verfügen, ein viel größeres Publikum zu erreichen. Darüber
    hinaus vermittelt die Pluralität dieser Organisationen in den Gastländern ein differenzierteres
    und breiteres Bild von Deutschland (Maaß 2015, 267-269).
        Es handelt sich um Mittlerorganisationen wie die Zentralstelle für das Auslandsschulwe-
    sen (ZfA), das Goethe-Institut, den Deutschen Akademischen Austauschdienst (DAAD), die
    Alexander von Humboldt-Stiftung (AvH), welche für ganz Lateinamerika und auch für Ve-
    nezuela relevant sind. Wichtig in einem allgemeineren und nicht spezifisch regionalen Sinne
    sind auch Vermittlungsinstitutionen wie das Institut für Auslandsbeziehungen e.V. (ifa),6 die

    6 Das Institut für Auslandsbeziehungen e.V. (ifa) wurde 1949 gegründet. Die Ursprünge des ifa gehen auf das Jahr
      1917 zurück, als das Museum und Institut zur Kunde des Auslanddeutschtums und zur Förderung deutscher
      Interessen im Ausland auf private Initiative hin gegründet und noch im selben Jahr in Deutsches Ausland-
      Institut (DAI) umbenannt wurde. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde das DAI in Institut für Auslandsbezie-
      hungen e.V. (ifa) umbenannt. Hauptziel des ifa ist die Förderung des transnationalen Austauschs, des inter-
      kulturellen Dialogs und der Kenntnis und des Verständnisses für Deutschland im Ausland. Im Rahmen seiner
      Aufgaben unterstützt das ifa die AKBP wissenschaftlich durch Forschung und Veröffentlichung von Studien
      zu Themen der Auswärtigen Kulturpolitik. Darüber hinaus unterstützt es den künstlerischen und kulturellen
      Austausch durch seine Programme für Vorträge, Dialoge und Ausstellungen über Design, Architektur und
      bildende Kunst. Es stellt Mittel und Zuschüsse für Projekte und Studien in den Bereichen Kunst, Kultur und
      interkultureller Dialog bereit. Gleichzeitig fördert und pflegt das ifa das ifa-Alumni-Netzwerk; Über das mehr
      als 1.000 Alumni (ehemalige Sponsoren, Delegierte und Experten) die Möglichkeit haben, gemeinsam neue
      Initiativen und Projekte zu entwickeln. Im März 2018 ging das Kunstmagazin C& Latin America online. Diese
      Publikation befasst sich mit den Verbindungen zwischen Afrika, Lateinamerika und der Karibik und wird auf
      Spanisch, Portugiesisch und Englisch veröffentlicht.

8    Ibero-Online 15 – Kulturbeziehungen und auswärtige Kulturpolitik
Deutsche Welle (DW),7 das Deutsche Archäologische Institut (DAI)8 und die Max Weber Stif-
tung – Deutsche Geisteswissenschaftliche Institute im Ausland (MWS).9 Auch die Zentren für
Lateinamerika-Studien in Deutschland spielen eine zentrale Rolle für den wissenschaftlichen
Austausch zwischen Deutschland und Lateinamerika. Sie haben zum Wissen über Venezuela in
Deutschland beigetragen und machen wissenschaftliche Produktionen aus Venezuela sichtbar.
Darüber hinaus haben auch die politischen Stiftungen eine wichtige Rolle bei der Stärkung der
Entwicklung der Zivilgesellschaft in Venezuela gespielt.
    Die deutsche Kulturdiplomatie wird auf der Grundlage strategischer Leitlinien der Bundes-
regierung entwickelt, die als Rahmen für bilaterale Kulturabkommen dienen, die der deutsche
Staat mit anderen Nationalstaaten abschließt. Die wichtigsten Leitlinien sind: Leitsätze für die
Auswärtige Kulturpolitik (Auswärtiges Amt 1970), Zehn Thesen zur kulturellen Begegnung und
Zusammenarbeit mit Ländern der Dritten Welt (Auswärtiges Amt 1982) und Globalisierung ge-
stalten – Partnerschaften ausbauen – Verantwortung teilen. Konzept der Bundesregierung (Aus-
7 Die Deutsche Welle (DW) ist die internationale öffentlich-rechtliche Rundfunkanstalt der Bundesrepublik
  Deutschland. 1953 gegründet, hat sie als Vorgänger den 1929 gegründeten Weltrundfunksender. Die DW wird
  aus dem Bundeshaushalt finanziert und steht seit 1999 unter der Verantwortung des/der Bundesbeauftrag-
  ten für Kultur und Medien (BKM). Ziel der DW ist es, durch eine unabhängige journalistische Berichterstat-
  tung über Deutschland, Europa und die Welt ein breites Bild zu vermitteln, um den Dialog zwischen den Ge-
  sellschaften und das gegenseitige Verständnis zu fördern. Die DW verfügt über einen Rundfunkdienst in 32
  Sprachen, einen Satellitenfernsehdienst mit Kanälen in Englisch, Deutsch, Spanisch und Arabisch sowie eine
  digitale Internetplattform. Darüber hinaus arbeitet die DW mit einem globalen Netzwerk von mehr als 4.400
  Partnern auf der ganzen Welt zusammen, die ihre Inhalte im Fernsehen, im Radio, im Internet und auf dem
  Handy veröffentlichen und weiterverbreiten. Da das Interesse am Kurzwellenradio in den letzten Jahren in
  einigen Regionen dramatisch zurückgegangen ist, hat die DW die Ausstrahlung ihrer deutsch- und englisch-
  sprachigen Kurzwellenradioprogramme in Nordamerika und Südwesteuropa eingestellt. Zu den Aufgaben der
  DW gehört es auch, den Zugang zur deutschen Sprache und das Erlernen der deutschen Sprache in der ganzen
  Welt zu fördern und zu erleichtern. Sie tut dies insbesondere über ihre digitale Plattform. Seit 1964 baut die
  DW auch die DW-Akademie als Zentrum für internationale Medienentwicklung, Journalismusausbildung und
  Wissenstransfer auf. Mit ihren Projekten in mehr als 50 Ländern will die DW-Akademie die Meinungsfreiheit
  und den freien Zugang zu Informationen stärken und fördern. In Lateinamerika unterstützt die DW-Akademie
  Bürgerradios, Netzwerke von Lokaljournalisten und Digitalaktivisten, berät alternative Medien bei der Ent-
  wicklung nachhaltiger Geschäftsmodelle und fördert den Dialog als Weg zur Versöhnung. Die DW-Akademie
  hat lokale Partner in Bolivien, Ecuador, Guatemala, Kolumbien und Mexiko.
8 Das Deutsche Archäologische Institut (DAI), dessen Gründung auf das Jahr 1829 zurückgeht, hat sich zum Ziel
  gesetzt, weltweit archäologische Forschung zu betreiben, um grundlegende Fragen der Menschheitsgeschichte
  und der antiken Kulturen als Grundlage unserer heutigen Gesellschaften zu verstehen. Gemeinsam mit Part-
  nern in den Gastländern führt das DAI derzeit mehr als 350 wissenschaftliche Projekte auf fünf Kontinenten
  durch. In Lateinamerika ist es mit 15 Kooperationsprojekten vertreten: zwei in Honduras, zwei in Ecuador,
  sechs in Peru, vier in Bolivien und eines in Chile. Bislang hat das DAI keine archäologischen Projekte in Vene-
  zuela durchgeführt.
9 Die Max Weber Stiftung – Deutsche Geisteswissenschaftliche Institute im Ausland (MWS) wurde im Jahr 2012
  gegründet und löste die 2002 gegründete „Stiftung Deutsche Geisteswissenschaftliche Institute im Ausland
  (DGIA) ab. Ziel der MWS ist es, die Forschung auf den Gebieten der Geschichts-, Kultur-, Wirtschafts- und So-
  zialwissenschaften im Ausland zu fördern und das gegenseitige Verständnis zwischen Deutschland und diesen
  Ländern zu unterstützen. Die MWS wird durch das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF)
  gefördert. Das Deutsche Historische Institut Washington, D. C. (DHI), gegründet 1987, entwickelt in Zusam-
  menarbeit mit dem Institute for European Studies an der Universität Berkeley, Kalifornien, ein internationales,
  interdisziplinäres Forschungsnetzwerk zum Thema Migration und Wissen. Das zentrale Forschungsthema des
  Netzwerks sind Migranten als Träger und Produzenten von Wissen, wobei ein besonderer Schwerpunkt auf der
  Rolle von Kindern und Jugendlichen liegt, die als Vermittler oder Übersetzer zwischen den Kulturen fungieren.
  Forscher aus Lateinamerika werden in dieses Netz einbezogen.

                                                   Ibero-Online 15 – Kulturbeziehungen und auswärtige Kulturpolitikr   9
wärtiges Amt 2012).10 Im Zusammenhang mit der AKBP hebt die letztgenannte Leitlinie die Be-
     deutung der Zivilgesellschaft und der nichtstaatlichen Akteure in den heutigen internationalen
     Beziehungen hervor. Die Leitlinie unterstreicht den Dialog, den deutsche Kultur- und Bildungs-
     politik im Ausland bietet, der zur Stärkung der Zivilgesellschaften und zum Austausch zwi-
     schen ihnen beiträgt. Sie ist Ausdruck des Engagements der Bundesregierung, den Austausch
     zwischen den Kulturen und Zivilgesellschaften zu intensivieren und auszubauen. Die Leitlinie
     betont ebenfalls, dass Deutschland und Europa zivilgesellschaftliche Bewegungen unterstützen,
     die sich für Demokratie, Entwicklung, Menschenrechte, Gleichberechtigung und faire Chancen
     für Frauen und Männer sowie für politische Grundfreiheiten einsetzen (Auswärtiges Amt 2012,
     15-17).
         Neben den bilateralen Beziehungen zu anderen Staaten ist die deutsche Außenpolitik auch
     regional ausgerichtet, wobei für jede Region spezifische Leitlinien entwickelt werden. In Be-
     zug auf Lateinamerika hat die Bundesregierung 1993 die Thesen zur Lateinamerikapolitik ver-
     abschiedet und 1995 das Dokument Deutschland, Lateinamerika und die Karibik: Konzept der
     Bundesregierung vorgelegt, das 2010 erweitert und aktualisiert wurde (Auswärtiges Amt 2010).11
         Mehrere deutsche Lateinamerika-Wissenschaftler haben darauf hingewiesen, dass Latein-
     amerika und die Karibik nicht zu den Prioritäten der deutschen Außenpolitik gehören (Nolte
     1994; Hofmeister 1998; Mols und Wagner 1999). Nach dem Zweiten Weltkrieg beschränkten
     sich die außenpolitischen Prioritäten der Bundesrepublik Deutschland auf die Aussöhnung mit
     den westlichen und später auch mit den östlichen Nachbarn, wobei die europäische Integration
     und das Atlantische Bündnis im Vordergrund standen (Mols 2007). Ab Mitte der 1980er Jahre,
     mit dem Fall der Berliner Mauer, dem Ende des Kalten Krieges und der Beschleunigung des
     Globalisierungsprozesses, verlagerten sich die Prioritäten der deutschen Politik und Wirtschaft
     auf Osteuropa, die Balkanländer und den Nahen Osten und Asien (Bodemer 2010, 10). Mitte
     der 1990er Jahre wies Detlef Nolte darauf hin, dass davon auszugehen sei, dass Lateinamerika
     in der deutschen Außenpolitik nur eine untergeordnete Rolle spiele. Lateinamerika sei weit ent-
     fernt von den Interessen der Europäischen Gemeinschaft, den Beziehungen zu den Vereinigten
     Staaten, den Wirtschaftsbeziehungen zu den asiatischen Ländern und den politischen Konflik-
     ten in Osteuropa, wo sich die Sicherheitsinteressen der BRD konzentrieren (Nolte 1994, 163).
         Doch Nolte wies auch darauf hin, dass „Lateinamerika […] aber gleichzeitig zu wichtig [sei],
     um es zu vernachlässigen“ (Nolte 1994, 163). Aus diesem Grund habe die Bundesregierung ab
     1993 begonnen, strategische Leitlinien für ihre Beziehungen zur lateinamerikanischen Regi-
     on zu entwickeln. Hofmeister betont, dass „auf der Ebene der so genannten transnationalen
     Beziehungen, die sich auf die wirtschaftlichen und menschlichen Beziehungen zwischen ver-
     schiedenen Gesellschaften beziehen, seit vielen Jahren gute und enge Beziehungen bestanden,
     ohne dass es notwendig gewesen wäre, eine Politik gegenüber Lateinamerika zu formulieren, zu
     gestalten oder offiziell zu definieren“ (Hofmeister 1998, 58; Übersetzung JT). Diese Art der stra-
     tegischen Positionierung wurde jedoch seit Jahrzehnten von Akademikern und Geschäftsleuten

     10 https://www.auswaertiges-amt.de/blob/216964/09ff755d2f1ba268ce4ebc580da0082c/gestaltungsmaechtekon-
        zept-dt-data.pdf (letzter Aufruf 20.11.2021).
     11 https://www.auswaertiges-amt.de/de/aussenpolitik/regionaleschwerpunkte/lateinamerika/lateinamerika-kon-
        zept/201500 (letzter Aufruf 20.11.2021).

10   Ibero-Online 15 – Kulturbeziehungen und auswärtige Kulturpolitik
mit Bezug zu Lateinamerika gefordert (Mols 2007, 548). Auf die Verabschiedung der Leitlinien
von 1993 folgte 1995 eine Regierungserklärung, nach der erstmals eine Debatte über Latein-
amerika und die Karibik im Bundestag geführt wurde (Hofmeister 1998, 65).
    Die Leitlinien aus dem Jahr 2010 Deutschland, Lateinamerika und die Karibik: Konzept der
Bundesregierung basieren auf der Erkenntnis, dass „Deutschland und Lateinamerika […] durch
ihre jahrhundertelangen Beziehungen eng miteinander verbunden [sind]. Nur wenige Länder
verfügen über so tief verwurzelte und bis heute außergewöhnlich dichte Bindungen mit Latein-
amerika“ (Auswärtiges Amt 2010, 10). Zwischen Deutschland und Lateinamerika wird seit jeher
ein freundschaftlicher Respekt für die jeweils andere Kultur gepflegt. Transnationale Koopera-
tionsnetzwerke haben sich durch Handel, Entwicklungszusammenarbeit, kulturellen und wis-
senschaftlichen Austausch, das Netzwerk deutscher Schulen, Beziehungen zwischen Kirchen,
politischen Parteien, Gewerkschaften, Universitäten und Forschungseinrichtungen entwickelt.
Auch Migrationsbewegungen spielen eine wichtige Rolle. Es wird geschätzt, dass etwa fünf Mil-
lionen Lateinamerikaner deutscher Herkunft sind und in ihren kulturellen Praktiken wichtige
Merkmale der deutschen Identität beibehalten haben (Mols 2007). Diese Beziehungen werden
durch „gemeinsame Werte und konvergierende Interessen sowie enge kulturelle Bindungen mit
historischen Wurzeln“ (Auswärtiges Amt 2010, 5) untermauert. Die Bundesregierung argumen-
tiert, dass diese traditionell guten Beziehungen vertieft werden sollten, um „gemeinsam neue
Chancen zu ergreifen und globale Herausforderungen gemeinsam zu bewältigen“ (Auswärtiges
Amt 2010, 10). Andererseits räumt sie die Gefahr ein, dass diese Beziehungen nachlassen könn-
ten, da einige lateinamerikanische Länder „ihre Außenbeziehungen in den letzten Jahren stark
diversifiziert [haben]. Sie kooperieren politisch und wirtschaftlich verstärkt mit Regionen au-
ßerhalb Europas. Dabei orientieren sie sich teilweise stärker nach Asien, nach anderen Schwel-
lenländern und zu anderen Ländern des Südens“ (Auswärtiges Amt 2010, 11). Deshalb will
die Bundesregierung die Beziehungen intensivieren und Lateinamerika stärker als bisher zu ei-
nem zentralen Element der deutschen Außen-, Entwicklungs-, Wirtschafts-, Kultur-, Bildungs-,
Forschungs- und Umweltpolitik machen (Auswärtiges Amt 2010, 11). Die zentralen Aufgaben,
die in der Leitlinie des AA skizziert und entwickelt werden, sind: a) Erhaltung und Stärkung
gemeinsamer Werte; b) gemeinsames Handeln mit Lateinamerika im Bereich der globalen Ver-
antwortung; c) gemeinsame Nutzung wirtschaftlicher Chancen; d) Schaffung von Forschungs-
netzwerken, Stimulierung von Innovationen, Zusammenführung von Menschen, Förderung
der deutschen Sprache und Kultur; und e) aktive Entwicklung der deutschen Lateinamerika-
Politik in Europa.
    Im Jahr 2019 rief der damalige Bundesaußenminister Heiko Maas die Lateinamerika-Kari-
bik-Initiative ins Leben. Der Schwerpunkt dieser Initiative liegt auf der Stärkung von Partner-
schaften und der Erhöhung der Wirksamkeit der Zusammenarbeit zwischen Deutschland und
der lateinamerikanischen Region.
    Ein großer Teil der deutschen Beziehungen zu Lateinamerika findet im Rahmen der Euro-
päischen Union (EU) statt. Seit dem Vertrag von Maastricht hat die Kulturpolitik in der EU eine
Rechtsgrundlage. Artikel 167, Titel XIII des Vertrags über die Europäische Union verleiht ihr
die Zuständigkeit für die kulturelle Außenpolitik auf EU-Ebene. In Absatz drei (3) heißt es aus-
drücklich: „Die Union und die Mitgliedstaaten fördern die Zusammenarbeit mit dritten Län-

                                           Ibero-Online 15 – Kulturbeziehungen und auswärtige Kulturpolitikr   11
dern und den für den Kulturbereich zuständigen internationalen Organisationen, insbesondere
     mit dem Europarat. Es ist zu betonen, dass diese Zuständigkeiten der EU in der auswärtigen
     Kulturpolitik subsidiärer Natur sind. Sie zielen darauf ab, die innerstaatlichen Maßnahmen der
     Mitgliedstaaten nur dann zu unterstützen, zu koordinieren und zu ergänzen, wenn dies erfor-
     derlich ist“ (EU 2012, Art. 6). Diesem rechtlichen Rahmen entsprechend wurden mehrere Leit-
     linien für die Kulturdiplomatie der EU entwickelt, von denen einige besonders hervorzuheben
     sind: Der gemeinsame Bericht der Europäischen Kommission Über die künftige Strategie der EU
     für internationale Kulturbeziehungen (Europäische Kommission 2016) und die Neue Kultura-
     genda der Kommission (Europäische Kommission 2018).
         Die bi-regionale kulturelle Zusammenarbeit zwischen der EU und Lateinamerika und der
     Karibik ist seit den 1980er Jahren institutionalisiert und wächst (Birle, Göbel und Krusche 2019,
     80). 1984 wurde auf Initiative einer Gruppe von Wissenschaftlern, Journalisten und Diplomaten
     und unter der Schirmherrschaft der Kommission der EU und des Europäischen und Lateiname-
     rikanischen Parlaments das Institut für europäisch-lateinamerikanische Beziehungen (IRELA)
     gegründet. Eine privatrechtlich organisierte, gemeinnützige internationale Einrichtung, deren
     Ziel die Förderung und Stärkung der politischen, wirtschaftlichen und kulturellen Beziehungen
     zwischen Europa und Lateinamerika war. In den 1990er Jahren und zu Beginn des 21. Jahrhun-
     derts war das in Madrid ansässige Institut in beiden Regionen sehr aktiv. Im Jahr 2010 hat das
     Institut jedoch seine Tätigkeit eingestellt (Van Klaveren 2011). Im selben Jahr wurde auf dem
     VI. Gipfeltreffen der Staats- und Regierungschefs der EU-LAK (Europäische Union – Latein-
     amerika und Karibik) mit dem Ziel, die strategische Partnerschaft zwischen den beiden Regi-
     onen zu stärken, eine internationale zwischenstaatliche Organisation, die EU-Lateinamerika-
     Karibik-Stiftung12 gegründet. Der Gründungsvertrag der Stiftung ist am 17. Mai 2019 in Kraft
     getreten und der Sitz der Stiftung wurde in Hamburg eingerichtet. „Diese Stiftung ist als nütz-
     liches Instrument zur Stärkung unserer bi-regionalen Partnerschaft und als Mittel zur Anre-
     gung der Debatte über gemeinsame Strategien und Maßnahmen sowie zur Verbesserung ihrer
     Sichtbarkeit gedacht“ (EU-LAC 2010, 9). Ziel der Stiftung ist es, die kulturelle Zusammenar-
     beit zwischen den beiden Regionen zu fördern, zum gegenseitigen Kennenlernen und besseren
     Verständnis beizutragen und Regierungen und andere relevante Akteure in beiden Regionen
     bei der Schaffung, Verknüpfung und Förderung von Wissensnetzwerken zu unterstützen. Im
     Rahmen ihrer Tätigkeit führt die Stiftung Studien zu Problemen durch, die zuvor von beiden
     Regionen identifiziert wurden. Sie stellt auch digitale Ressourcen und Datenbanken zur Verfü-
     gung, die Informationen über die Mitgliedstaaten und Partner sowie über die verschiedenen
     akademischen Einrichtungen und Referenzen liefern, die für die Entwicklung der bi-regionalen
     Zusammenarbeit relevant sind.

     2.2 Die auswärtige Kulturpolitik Venezuelas
     Mit der Verfassung von 1961 wurde in Venezuela ein präsidentielles Regierungssystem einge-
     führt, in dem die Außenpolitik in erster Linie der nationalen Exekutive obliegt. Der Präsident
     der Republik hatte die Befugnis, „die auswärtigen Beziehungen der Republik zu leiten und in-

     12 https://eulacfoundation.org/es (letzter Aufruf 05.11.2021).

12    Ibero-Online 15 – Kulturbeziehungen und auswärtige Kulturpolitik
ternationale Verträge, Konventionen oder Abkommen abzuschließen und zu ratifizieren“ (Na-
tionale Verfassung der Republik Venezuela 1961, Art. 190, 5º), eine Befugnis, die die Verfas-
sung von 1999 beibehielt (Verfassung der Bolivarischen Republik Venezuela 1999, Art. 236, 4).
Diese gesetzlichen Bestimmungen haben dem Präsidenten der Republik einen weiten Ermes-
sensspielraum in außenpolitischen Angelegenheiten eingeräumt. „Der Präsident kann Verträge
abschließen, internationale Notmaßnahmen einleiten und direkte Beziehungen zu Staats- und
Regierungschefs unterhalten“ (Romero 1992, 214). Bei der Ausübung seiner Befugnisse in die-
sem Bereich wird der Chef der Exekutive vom Außenminister unterstützt, der auch als Kanzler
bezeichnet wird und dem venezolanischen Außenministerium (Ministerio del Poder Popular
para Relaciones Exteriores, MPPRE) vorsteht.
    In der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts und bis in das erste Jahrzehnt des 21. Jahrhun-
derts war die Generaldirektion für kulturelle Angelegenheiten des Außenministeriums für die
Formulierung, Ausrichtung, Bewertung und Durchführung der venezolanischen Kulturpolitik
im Ausland zuständig. Diese Direktion war verantwortlich für: a) die Förderung und Verbrei-
tung der venezolanischen Identität und der kulturellen Werte auf internationaler Ebene; b) die
Förderung und Koordinierung der Zusammenarbeit zwischen Venezuela und anderen Ländern
in den Bereichen Kultur, Bildung und Sport; c) die Zusammenarbeit mit den kulturellen Akti-
vitäten der diplomatischen Vertretungen und konsularischen Einrichtungen Venezuelas; und
d) die Aushandlung und Umsetzung von Abkommen und Konventionen im Bereich Kultur
und Bildung (Reglamento Orgánico del MPPRE 1999, Art. 16). Diese Aufgaben wurden mit
Unterstützung des Consejo Nacional de la Cultura (CONAC, Nationaler Rat für Kultur) in Ca-
racas durchgeführt. Der CONAC wurde 1975 als autonomes staatliches Institut zur Förderung
und Koordinierung der kulturellen Aktivitäten in Venezuela gegründet. Sein Gründungsgesetz
wies ihm unter anderem die Aufgabe zu, mit dem Ministerio de Relaciones Exteriores (MRE,
Ministerium für auswärtige Angelegenheiten) in Fragen der auswärtigen Kulturpolitik zusam-
menzuarbeiten (Ley del Consejo Nacional de la Cultura 1975, Art. 6). Die für diese Aufgabe zu-
ständige Abteilung innerhalb des CONAC war das Büro für internationale Beziehungen, das für
die Entwicklung und Durchführung von Maßnahmen zur Förderung und Stärkung des Images
Venezuelas und seiner kulturellen Werte auf internationaler Ebene sowie für die Förderung,
Vorbereitung, Koordinierung, Durchführung; Überwachung und Bewertung von Maßnahmen,
Abkommen und Verträgen zur kulturellen Zusammenarbeit des venezolanischen Staates mit
ausländischen Regierungen und multilateralen Organisationen zuständig war. Das Büro über-
nimmt die Planung einer internationalen Kulturpolitik und einer Politik der kulturellen Zu-
sammenarbeit, wobei letztere grundsätzlich auf Lateinamerika und die Karibik ausgerichtet ist
(Romero 1992, 221). Bis 1977 hatte die CONAC im internationalen Bereich unter anderem das
Ziel, „die passiv-rezeptive Haltung in den internationalen Kulturbeziehungen zu ersetzen […]
[und] in Zusammenarbeit mit dem MRE die Prioritäten einer aktiven kulturellen Präsenz Ve-
nezuelas im Ausland auf der Grundlage politischer Prioritäten festzulegen“ (Massiani 1977, 46;
Übersetzung JT).
    Im Jahr 1970 wurden im Rahmen der Politik der kulturellen Zusammenarbeit die Institutos
Venezolanos para la Cultura y la Cooperación (IVCC, Venezolanische Institute für Kultur und
Zusammenarbeit) von der nationalen Exekutive gegründet. Diese Institute wurden dem Außen-

                                          Ibero-Online 15 – Kulturbeziehungen und auswärtige Kulturpolitikr   13
ministerium unterstellt und haben die Aufgabe, das Image Venezuelas in seinen verschiedenen
     kulturellen Erscheinungsformen in der Karibik und in Mittelamerika zu fördern. Im Falle der
     englischsprachigen Länder der Karibik besteht der zusätzliche Auftrag des IVCC darin, die spa-
     nische Sprache zu unterrichten. Derzeit gibt es insgesamt 14 Institute in Bonaire, Trinidad und
     Tobago, Surinam, Guyana, Jamaika, St. Vincent, Curaçao, Dominica, St. Kitts und Nevis, Anti-
     gua und Barbuda, Aruba, Grenada, St. Lucia und Barbados.

                   Grafik 1: Organigramm der venezolanischen Diplomatie. Eigene Ausarbeitung.

     Im Jahr 2005 wurde die Organisationsstruktur Ministerio del Poder Popular para las relaciones
     exteriores de Venezuela (MPPRE, Ministerium der Volksmacht für auswärtige Angelegenhei-
     ten von Venezuela) geändert. Es entstanden fünf Vizeministerien für Außenbeziehungen nach
     geografischen Gebieten: Nordamerika, Lateinamerika und Karibik, Europa, Afrika und Asien,
     Naher Osten und Ozeanien (Reglamento Orgánico del MPPRE 2005, Art. 1). Obwohl jedes die-
     ser Vize-Ministerien für die Koordinierung und Evaluierung der Außenpolitik in der jeweiligen
     Region zuständig ist, bleibt die Entwicklung und Koordinierung der auswärtigen Kulturpolitik
     bei der Dirección General de Asuntos Culturales (Generaldirektion für kulturelle Angelegen-
     heiten) zentralisiert (Reglamento Orgánico del MPPRE 2005, Art. 21). Im Jahr 2007 wurde diese
     Direktion in Amt für Kultur und Solidarität mit den Völkern umbenannt. Zu seinen Kompe-
     tenzen gehören die Planung von Mechanismen zur Koordinierung der Beziehungen zwischen
     den sozialen Bewegungen und den Völkern auf nationaler und internationaler Ebene und die
     Koordinierung mit den Büros der Vizeminister für ihre Außenwirkung (Reglamento Organico
     del MPPRE 2007, Art. 14, Ziffer 11) und der Aufbau eines Netzwerks sozialer und politischer
     Bewegungen in Solidarität mit den Völkern und ihre Ausrichtung auf die Völker des Südens
     (República Bolivariana de Venezuela, RBV 2007, Art. 14, Ziffer 12). Dieses Büro strebte eine
     ganzheitliche Neuausrichtung der öffentlichen Kulturpolitik an, die sich auf die internationa-

14   Ibero-Online 15 – Kulturbeziehungen und auswärtige Kulturpolitik
len Beziehungen in der Pluripolarität bezieht und auf den Grundsätzen der Zusammenarbeit,
Solidarität, Komplementarität und Integration beruht (Lejter 2008, 135). Im Jahr 2012 wurde
durch eine Reform der Geschäftsordnung des MPPRE das Amt für Kultur und Solidarität mit
den Völkern abgeschafft und seine Zuständigkeiten den einzelnen stellvertretenden Ministern
zugewiesen, die von nun an in Abstimmung mit der zuständigen Stelle für kulturelle Angelegen-
heiten die Kulturpolitik in ihrer jeweiligen Region formulieren, leiten, bewerten und umsetzen
sollten (Geschäftsordnung des MPPRE 2012, Kap. III).
    Im Jahr 2005 wurde das Ministerio del Poder Popular para la Cultura (MPPC, Ministerium
der Volksmacht für Kultur) als Organ der nationalen Exekutive geschaffen, das für die Ent-
wicklung und Umsetzung der kulturellen Leitlinien und der Politik des venezolanischen Staates
zuständig ist. Die Schaffung dieses neuen Ministeriums bedeutete in der Praxis das Verschwin-
den des CONAC. Innerhalb des MPPC ist das Büro für Integration und internationale Ange-
legenheiten dafür zuständig, den Ministern bei der Formulierung von Politiken, Plänen und
Aktionen in kulturellen Angelegenheiten der Außenpolitik zu beraten und zu unterstützen und
das MPPRE durch die Ernennung von Kulturattachés der venezolanischen diplomatischen Ver-
tretungen in anderen Ländern zu beraten (Reglamento Orgánico del MPPC 2015, Art. 7). Im
Jahr 2014 wurde mit der Verabschiedung des Organgesetzes über Kultur die Abschaffung des
CONAC formalisiert (Ley Orgánica de Cultura 2014, Disposición derogatoria). Dieses neue Ge-
setz legte Multiethnizität, Plurikulturalität, Mehrsprachigkeit und Interkulturalität als Leitprin-
zipien der venezolanischen Kulturpolitik fest (Ley Orgánica de Cultura 2014, Art. 4). Außerdem
wurde festgelegt, dass das MPPC in Abstimmung mit dem MPPRE für die Planung, Förderung,
Unterstützung und Stärkung der notwendigen Maßnahmen zur Gewährleistung der Projektion
und Förderung der venezolanischen Kultur im Ausland sowie für die Zusammenarbeit und den
Austausch von Erfahrungen und Wissen mit anderen Nationen zuständig ist (Ley Orgánica de
Cultura 2014, Art. 35).
    Die internationalen politischen Beziehungen, die von den venezolanischen Regierungen
ab 1959 entwickelt wurden, spiegeln die dauerhaften Interessen wider, die sich aus dem Status
Venezuelas als amerikanisches, westliches, demokratisches, ölproduzierendes und sich entwi-
ckelndes Land ergeben (Josco de Guerón 1992, 41). Auch das internationale Handeln Venezu-
elas wird von den in der Präambel und im Text der nationalen Verfassung enthaltenen Zielen
und Grundsätzen geleitet. Dazu gehören: a) die Verteidigung der Souveränität, der Unabhän-
gigkeit und der Integrität des Territoriums; b) das Streben nach lateinamerikanischer Integra-
tion; c) die Bewahrung der Demokratie im Lande und ihre friedliche Förderung in der Welt;
d) die Unterstützung der internationalen Zusammenarbeit, insbesondere mit den Ländern des
amerikanischen Kontinents, auf der Grundlage der gegenseitigen Achtung der Souveränität, der
Selbstbestimmung der Völker, der universellen Garantie der individuellen und sozialen Rechte
der menschlichen Person und der Ablehnung von Krieg, Eroberung und wirtschaftlicher Vor-
herrschaft als Instrumente der internationalen Politik (Constitución Nacional de la República
de Venezuela 1961, Preámbulo).
    Aufgrund seiner geografischen Lage und seines historischen und kulturellen Erbes ist Ve-
nezuela ein Teil Lateinamerikas und mit der Zukunft dieses Kontinents verbunden. Venezuela
hat auch eine andine, eine karibische, eine amazonische Zugehörigkeit. Angesichts dieser Tat-

                                            Ibero-Online 15 – Kulturbeziehungen und auswärtige Kulturpolitikr   15
sachen hat Venezuela zahlreiche Integrations- und Kooperationsinitiativen mit den Ländern
     Lateinamerikas und der Karibik gefördert oder sich ihnen angeschlossen, wie zum Beispiel die
     Lateinamerikanische Freihandelsassoziation (Asociación Latinoamericana de Libre Comercio,
     ALALC, 1960-1980); das Lateinamerikanische und Karibische Parlament (Parlamento Latino-
     americano y Caribeño, PARLATINO; 1964); die Andengemeinschaft (Comunidad Andina de
     Naciones; CAN, 1973); das Lateinamerikanische und Karibische Wirtschaftssystem (Sistema
     Económico Latinoamericano y del Caribe, SELA, 1975); den Vertrag über die Zusammenarbeit
     im Amazonasgebiet (Tratado de Cooperación Amazónica; TCA, 1978); die Lateinamerikani-
     sche Vereinigung für Integration (Asociación Latinoamericana de Integración; ALADI, 1980)
     und das 1980 unter Einbeziehung Mexikos unterzeichnete Abkommen von San José, durch das
     Erdöl zu Vorzugsbedingungen in die Länder Zentralamerikas und der Karibik geliefert wurde.
     Andererseits räumt die venezolanische Außenpolitik innerhalb der Region den Beziehungen zu
     den Nachbarländern Brasilien, Kolumbien und Guyana Vorrang ein, mit denen Grenzstreitig-
     keiten bestehen, mit denen aber gleichzeitig gemeinsame Anstrengungen unternommen wer-
     den sollen, um die internen und internationalen Herausforderungen zu bewältigen (Josco de
     Guerón 1992, 68-69).
         Als Ausdruck seines Selbstverständnisses als demokratisches Land, das sich für die friedli-
     che Förderung der Demokratien in der Welt einsetzt, förderte die venezolanische Außenpolitik
     in den frühen 1960er Jahren die Betancourt-Doktrin, der zufolge demokratische Regierungen
     die diplomatischen Beziehungen zu De-facto-Regimen, die verfassungsmäßige Regierungen ge-
     stürzt hatten, abbrechen sollten. Im Rahmen der Betancourt-Doktrin brach Venezuela die di-
     plomatischen Beziehungen zu den Regierungen von Spanien, Kuba, der Dominikanischen Re-
     publik, Argentinien, Peru, Ecuador, Guatemala, Honduras und Haiti ab. In den frühen 1970er
     Jahren wurde diese Doktrin flexibler gestaltet und schließlich durch andere, wirksamere Me-
     chanismen zur Verteidigung und Wiederherstellung von Demokratien ersetzt. In den 1980er
     Jahren unterstützte Venezuela die Demokratisierungsprozesse in El Salvador, Honduras und
     Guatemala. Im Kontext des Kalten Krieges schloss sich Venezuela dem westlichen Block an und
     entwickelte sich zu einem zuverlässigen – wenn auch autonomen – Verbündeten der USA, die
     auch sein wichtigster Handelspartner waren (Romero 2004, 246-247; Josco de Guerón 1992,
     275).
         In Verbindung mit seinem Status als ölproduzierendes Land mit einer stark von den Ölein-
     nahmen abhängigen Wirtschaft war die Verteidigung der internationalen Ölpreise eine der Pri-
     oritäten der venezolanischen Außenpolitik. Im Jahr 1960 förderte Venezuela die Gründung der
     Organisation Erdöl exportierender Länder (OPEC, Organization of the Petroleum Exporting
     Countries). Eine weitere Priorität der venezolanischen Außenpolitik war die Verteidigung sei-
     ner Märkte. Zu diesem Zweck präsentierte sich das Land der Welt als zuverlässiger Produzent
     und Verfechter moderater Preise. Um die Märkte zu erhalten, entwickelte Venezuela ab 1982
     eine Politik der Internationalisierung des Erdöls, in deren Rahmen die staatliche Erdölgesell-
     schaft Petróleos de Venezuela (PDVSA) im Ausland Unternehmen der Erdölverarbeitung und
     -vermarktung erwarb oder Partnerschaften mit ihnen einging. Im Rahmen dieser Strategie ging
     PDVSA 1982 ein Joint Venture mit dem deutschen Unternehmen VEBA Öl AG ein und kaufte
     1986 das US-amerikanische Unternehmen CITGO. Diese Strategie wurde 1992 mit der „apertu-

16   Ibero-Online 15 – Kulturbeziehungen und auswärtige Kulturpolitik
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