Ich bin bei dir - Die oberösterreichische Hospiz- und Palliativzeitung Ausgabe 2 / 2020 - Landesverband Hospiz OÖ
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Inhalt Sehr geehrte Thema Hospiz- und 5 Ich bin bei dir Palliativ- Pflege mitarbeiter*innen! 7 9 Was bleibt? Meine Arbeit – ein Geschenk Die letzten Monate haben uns allen viel abverlangt, im Medizin Privaten wie im Beruflichen. Wir erleben einen Wan- 11 Ich bin bei dir – wie kann es gelingen? del unseres alltäglichen Lebens und werden auf uns selbst zurückgeworfen. Wir entrümpeln unsere Dinge Patient*innen und überdenken unsere Werte. Somit berührt diese 13 „da ist ein Panzer von mir abgefallen …“ Pandemie unsere Grundfesten. Ehrenamtliche Umso wichtiger ist es, unsere hospizlichen Grundfesten 14 20 Jahre Kaprun – eine Erinnerung zu bewahren und zu bestärken und sie auch tagtäglich 16 Ein halbes Königreich würde ich verschenken im Umgang mit den Menschen zu leben. Es ist gerade jetzt wichtig, mitmenschlich zu handeln, sich um die Angehörige 18 Ich bin bei dir Kranken und Sterbenden und ihre Familien zu küm- mern und sich für sie einzusetzen. Jemanden in einer 20 Wenn gemeinsame Zeit zu etwas ganz schwierigen Situation nicht alleine zu lassen, bekommt Besonderem wird in Zeiten der sozialen Isolation eine neue Bedeutung und Dimension und ist eine besondere Qualität. Das Weitere Sichtweisen soll das Motto dieser Ausgabe „Ich bin bei dir“ unter- 22 „Ich bin bei dir“ – streichen. eine spirituelle Sicht aus islamischer Perspektive 24 Mein virtuelles Beileid Ich erlebe unsere Palliativarbeit unter erschwerten Be- dingungen als persönliche Bereicherung und jedes Ge- Aktuelles & Nützliches spräch wirkt noch intensiver als sonst. So denke ich oft 3 Neues vom Landesverband 26 Literaturtipps an Peter Fässler-Weibel, der uns die Maxime „in jeder 28 Neues aus den Regionen Störung liegt eine Ressource“ mit auf den Weg gegeben 46 Kontakte Hospiz & Palliative Care OÖ hat. Unter diesem Gesichtspunkt lässt es sich aushalten. Ihnen wünsche ich ein gutes Durchhaltevermögen und viele gute Begegnungen. Mit bestem Dank für Ihr Tun, Kontakt Landesverband Hospiz OÖ Büroleitung: Wolfgang Wöger & Andrea Peterwagner Dr.in Christina Grebe Pfalzgasse 2, 4055 Pucking Vorsitzende des Landesverbandes Hospiz OÖ Telefon: 0699 173 470 24; E-Mail: lvhospizooe@gmx.at Bürozeiten Montag und Mittwoch: 8.30 - 15.30 Uhr 2
Landesverband Bitte um Ihre Unterstützung Web-Site In der Finanzierung der Hospiz- und Spendenkonto NEU: Sparkasse OÖ, Landesverband Palliativversorgung sind wir in Oberös- terreich weiterhin sehr auf Ihre Spen- IBAN AT88 2032 0324 0203 1474 Auch die Mitarbeit von Freiwilligen ist Hospiz OÖ den angewiesen. Dies betrifft sowohl ein wichtiges Element in der Hospiz- Auf http://www.hospiz-ooe.at fin- den Landesverband selbst, als auch un- und Palliative-Care-Versorgung. Enga- den Sie ausführliche Informatio- sere Mitgliedsvereine. gieren können Sie sich beispielsweise nen zu den Themen Hospiz und Palliative Care, dazu Adressen und Mit Ihren finanziellen Beiträgen unter- bei den Hospizvereinen, aber auch bei Weiterbildungsangebote in Ober- stützen Sie unsere Arbeit und setzen so zahlreichen anderen Einrichtungen, de- österreich und Informationen zu Impulse, die Begleitung in der letzten ren Kontakte Sie auf den letzten beiden Projekten des Landesverbandes. Lebensphase zu verbessern und Ak- Seiten dieser Ausgabe finden. Wir freuen uns auf Ihren Besuch zente in der Öffentlichkeitsarbeit zu Bei Fragen wenden Sie sich jederzeit an auch dort! setzen. uns: lvhospizooe@gmx.at Porträt Angelika Schwarz Das aktuelle Thema des Heftes „Ich bin bei dir“ möchte ich gerne durch ein Material begleiten – Holz, das die Menschen schon von Urzeiten an begleitet und „bei uns ist“. Es hat unterschiedliche Qualitäten, hart, weich, biegsam, sprö- de, feucht und trocken, … es wärmt als Feuer und kühlt als Schatten. Wir finden es in unterschiedlichen Formen. Holz altert und verändert sich. Der gefällte Baum wird zum Material, er schenkt sich uns, so ist Holz eine Verbindung vom Tod zum Leben. Lassen Sie sich ein auf die Vielfalt des Holzes … Angelika Schwarz Dank & Impressum Vielen Dank allen Mitarbeiter*innen fer, Lisa Buchegger, Claudia Glössl, Spenden auf Grundlage des EStG. der regionalen Hospiz-Stützpunkte Claudia Kargl, Elisabeth Neureiter, Ihre Spende wird an die Mitglieder des und Palliativstationen für ihre Beiträge Andrea Peterwagner, Gerald Prames- Landesverbands Hospiz OÖ weiter- für Lebenswert. Fotos, wenn nicht an- berger, Veronika Praxmarer, Angeli- geleitet und dabei werden Name, Ad- ders angegeben, Angelika Schwarz. ka Schwarz, Wolfgang Wöger, Karin resse und Spendebetrag weitergegeben. Für den Inhalt verantwortlich: Zwirzitz; Lektorat: Stefan Maringer, Weitere Infos zum Datenschutz finden Dr.in Christina Grebe Ursula Leithinger. Sie hier: www.hospiz-ooe.at Pfalzgasse 2, 4055 Pucking Die Verarbeitung Ihrer Daten erfolgt Wollen Sie Lebenswert abbestellen, Redaktionsteam: Anneliese Amerstor- nur zu Verwaltungszwecken Ihrer nehmen Sie bitte Kontakt mit uns auf! 3
Thema Ich bin bei dir Peter Haidinger 10 Jahre ehrenamtlicher Krankenhausseelsorger auf der Palliativstation im Klinikum Wels-Grieskirchen Als ehrenamtlicher Krankenhausseelsor Gespräch und ich erfuhr, dass sie sich Bett und wir machten ein Foto von ger habe ich gleich nach meiner Ausbil in Kroatien ein Haus gekauft hatten uns. Ich druckte das Foto aus und gab dung auf Anraten bzw. Drängen meines und dieses gerade renovieren. Sie zeig- es ihnen. Sie befestigten das Bild an der Mentors hin, dem Leiter der Kranken ten mir Fotos von ihrem Lebenstraum Pinnwand, wo bereits die Kroatienfotos hausseelsorge am Klinikum, Herrn – sie wollten nach der Pensionierung hingen. Als ich mich verabschiedete, be- Diakon Herbert Mitterlehner, auf der von Herrn K. in ihr Haus nach Kroatien dankte sich Herr K. bei mir und sagte: Palliativstation begonnen. Ich war mir ziehen. „Sie tun mir so gut, ich habe schon lange am Anfang sehr unsicher, ob ich dieser Nach meinem ersten Besuch bat er nicht mehr so gelacht.“ großen Aufgabe gewachsen bin. Herbert mich, ihn wieder zu besuchen. Jedes Herr K. verstarb einige Tage später. Sei- hat mich sehr ermutigt, diesen Dienst an Mal, wenn ich auf der Station war, ging ne Frau sagte mir, er sei sehr friedlich den unheilbar kranken und sterbenden ich auch in das Zimmer von Herrn K. eingeschlafen. Menschen zu übernehmen. Ein Satz ist Es waren immer sehr intensive Gesprä- Ich bin bei dir mir noch in sehr guter Erinnerung ge che über alles, was ihn bewegte. So re- blieben: „Du kannst keine Fehler machen, Als ich Herrn Ö. das erste Mal auf der deten wir über viele Dinge und Fragen Palliativstation besuchte, war er sehr außer in ein Krankenzimmer nicht hin des Lebens. Er sprach auch über seinen einzugehen. Sei einfach mit deinem Sein, kurz angebunden und meinte nur, es sei Glauben, seine Spiritualität und seine noch nicht so weit, dass er einen Pfar- so wie du bist, bei den Patienten und unheilbare Krankheit. Angehörigen.“ Diese Worte waren mir rer bräuchte. Ich erklärte ihm, dass ich eine große Hilfe und haben mir meine Als ich ihn einmal fragte, ob er Angst kein Priester, sondern ein ehrenamtli- anfänglichen Zweifel genommen. vor dem Sterben habe, sagte er: „Vor cher Seelsorger auf dieser Station sei. Er dem Sterben habe ich keine Angst, meinte nur, er werde sich melden, wenn Anhand von einigen Begegnungen mit aber dass ich starke Schmerzen habe er jemanden bräuchte. Wir wechselten kranken Menschen und ihren Ange- oder dass ich ersticke, davor habe ich noch einige Worte und dann verab- hörigen möchte ich aufzeigen, was für Angst. Ich möchte aber noch länger schiedete ich mich von ihm. mich Seelsorge bedeutet hat und auch leben, damit ich meinen Lebenstraum Herr Ö. war zu diesem Zeitpunkt noch heute noch bedeutet. Einfach bei dem in Kroatien vollenden kann. Sie sind mobil und ging täglich mehrmals auf Menschen zu sein – „Ich bin bei dir“ so ein fröhlicher und positiver Mensch die Terrasse oder in den Garten eine und die Gespräche mit Ihnen geben mir Zigarette rauchen. Dadurch begegneten Ich bin bei dir sehr viel Hoffnung. Es tut mir so gut, wir uns des Öfteren am Gang, grüßten Herr K. war fast 6 Wochen als Patient wenn Sie bei mir zu Besuch sind.“ Das uns und wechselten einige belanglose auf der Palliativstation. Er war an Lun- erste Mal sah ich ein Lächeln in seinem Worte. Einmal fragte ich ihn, ob ich in genkrebs erkrankt, hatte bereits sehr viel Gesicht. Ich nahm meine Clownnase, den Garten mitkommen könnte und an Gewicht verloren und konnte nicht die ich immer bei mir hatte, aus meiner er meinte kurz angebunden: „Ja, aber mehr aufstehen. Aufgrund seiner star- Tasche und setzte sie auf meine Nase. glauben Sie nicht, dass Sie mich aus- ken Atemprobleme wurde er mit Sau- Herr K. und auch seine Frau begannen quetschen können.“ Weiters erklärte er erstoff versorgt. Seine Frau war in dieser so herzlich zu lachen, dass sie Tränen in mir noch, dass er hier niemand hinein- Zeit Tag und Nacht bei ihm und strick- den Augen hatten. Herr K. fragte mich, sehen lasse und klopfte sich dabei mit te Socken, insgesamt 24 Stück, für uns ob er die Nase auch aufsetzen könnte. der Faust auf die Brust. Zuerst gingen Mitarbeiter der Palliativstation. Ich holte noch zwei Nasen und setzte wir eine Weile im Garten spazieren und Gleich bei meinem ersten Besuch ent- diese den beiden auf. Frau K. und ich setzten uns dann auf eine Bank. Ich wickelte sich ein sehr gutes und langes stellten uns rechts und links neben das fragte ihn, woher er komme und ob er 5
Thema denn keine Verwandten habe, da ihn nie mer, ohne zu wissen, auf wen ich hier Einige Tage später verstarb er an Bauch- jemand besuchte. Da erzählte er mir sei- treffen würde. Als ich ihn begrüßen speicheldrüsenkrebs. ne ganze Geschichte: wollte, sagte er: „Was machst denn Herr Ö. erzählte, dass er vor 8 Jahren du hier?“ Es war unser erstes Zusam- „Ich bin bei dir“ von Ostdeutschland nach Südtirol ge- mentreffen nach unserer beider Pen- heißt für mich vorurteilsfrei auf die zogen sei, um Arbeit zu finden. Da er sionierung. Ich teilte ihm mit, dass ich Menschen zuzugehen und sie nicht keine Arbeit fand, übersiedelte er zu- als ehrenamtlicher Seelsorger Teil des gleich einer bestimmten Ecke zuzuord- erst nach Innsbruck und später nach Teams der Palliativstation sei. „Bist du nen. Die eigene Lebensgeschichte prägt Wels, wo er nun seit 5 Jahren wohnt jetzt Pfarrer geworden?“, war seine erste das Leben jedes Menschen und so auch und arbeitet. Vor einem halben Jahr er- Reaktion und wir mussten beide lachen. sein Sterben. Daher war es für mich in hielt er die Diagnose Lungenkrebs und Es war übrigens das einzige Lachen, das der Seelsorge für schwerkranke Men- wurde mit einer Chemotherapie be- ihm bei unseren Begegnungen über die schen wichtig, mich auf die jeweilige handelt. Da aber der Lungenkrebs sehr Lippen kam. Person einzulassen und die persönliche schnell vorangeschritten ist, wurde die Bei all unseren Treffen sprachen wir Situation ernst zu nehmen. Es ist auch Therapie abgebrochen und Herr Ö. auf meistens nur über unsere gemeinsame wichtig, ihre Bedürfnisse zu erkennen die Palliativstation verlegt. Während Vergangenheit. Wenn ich ihn zu seiner und soweit es möglich ist, diese noch zu des Gespräches, das beinahe 2 Stun- unheilbaren Krankheit, zu seinem seeli- erfüllen. Dazu bedarf es vor allem zuzu- den dauerte, ging es auch um das The- schen Befinden bzw. spirituelle Fragen hören und hinzuhören. Wesentlich für ma Schmerzen. Als ich ihn fragte, ob stellte, blockte er sofort ab und wurde mich war auch, schwierige Momente er Schmerzen habe, meinte er, dass die schweigsam. Aus dem einst so eloquen- und Situationen auszuhalten und Hoff- körperlichen Schmerzen zu ertragen ten Manager war, durch die unheilbare nung zu geben. wären und es dagegen ja ausreichend Krankheit, ein verbissener und mürri- scher Mann geworden. Das gesamte Team der Palliativstation Medikamente gäbe, die er hier auf der Bei jedem meiner Besuche ersuchte des Klinikums Wels hat mich dabei un- Palliativstation bekommt. Nach eini- er mich, ihm eine Spritze zu besorgen terstützt und liebevoll in ihre Gemein- gen Minuten des Schweigens sagte er und ihm auf das Nachtkästchen zu le- schaft aufgenommen. Dankbar und zu mir: „Ich hatte vor meiner Krank- gen, damit er seinem unwürdigen Le- reichlich beschenkt blicke ich auf die heit viele Freunde, mit denen ich oft ben ein Ende setzen könne. Obwohl Jahre der ehrenamtlichen und seelsorg- im Wirtshaus saß und Bier getrunken ich ihm immer wieder erklärte, dass lichen Begleitungen von schwerkranken habe. Von denen hat mich noch kei- dies aus rechtlichen Gründen und auch Menschen und deren Angehörigen zu- ner besucht oder angerufen, seit ich so aufgrund meiner religiösen Überzeu- rück. schwer erkrankt bin. Besucht hat mich nur meine Wohnungsnachbarin, die gung unmöglich sei, wollte er dies nicht sich, seit ich im Krankenhaus bin, um wahrhaben. Ich teilte ihm auch immer meine Wohnung umschaut. Wissen mit, dass durch die palliative Versorgung Sie, das ist der eigentliche Schmerz, ge- und die medizinischen Möglichkeiten gen den es keine Tabletten oder sons- ein würdevolles Sterben ohne Schmer- tigen Medikamente gibt.“ Zwei Wo- zen möglich sei. Aber davon wollte er chen nach diesem Gespräch ist Herr nichts wissen. Ö. auf der Palliativstation verstorben. Sein Gesundheitszustand verschlech- terte sich massiv, er zog sich innerlich Ich bin bei dir zurück und sprach kaum noch mit je- Herr D. war ein erfolgreicher Ge- mandem. Bei meinem letzten Besuch schäftsführer eines großen IT-Unter- lag er im Bett, mit dem Rücken zur nehmens, den ich aus meiner früheren Tür und fast ganz zugedeckt. Ich be- beruflichen Tätigkeit kannte, da wir des grüßte ihn und ergriff sanft seine rechte Öfteren zusammengearbeitet hatten. Hand, die aus der Decke herausragte. Außerdem hatten wir auch Kontakt Er drückte fest meine Hand, sagte aber durch eine private Tarockrunde. Er war kein Wort. So saß ich lange bei ihm. Im- ein sehr selbstbewusster und zielstrebi- mer, wenn ich meine Hand lösen wollte, ger Manager, der noch nie die Kontrolle drückte er zusammen. Nach fast einer über sich verloren hatte. Stunde ließ er meine Hand los. Ich legte Mein erster Patientenbesuch auf der meine Hand auf seine Schulter, segnete Station führte mich in das erste Zim- ihn im Stillen und verabschiedete mich. 6
Pflege Was bleibt? DGKP Margret Krebelder Leitung des St. Barbara Hospiz Mein runder Geburtstag und die bevor einen eigenen Ort dafür geben würde, ich mit am Weg war, mit denen ich im stehende Beendigung meiner berufli habe ich damals nicht einmal zu den- selben Strom geschwommen bin, die ken gewagt – geschweige denn, dass ich manchmal bestärkend in meiner Arbeit chen Tätigkeit als Hospizleitung waren einmal in Verantwortung für so eine waren und manchmal auch Mahner Anlass, mehr als sonst üblich über mein Einheit stehen würde. Wann genau bei oder gar Korrektiv. Dankbarkeit für all Leben nachzudenken, und diese beiden mir ein Umdenken stattgefunden hat, die Schüler und Praktikanten, die mich Tatsachen wecken sehr unterschiedliche dass das alles vielleicht doch nicht ganz über die neuesten Erkenntnisse in der Gefühle in mir. Über 40 Jahre lang habe „normal“ ist und vielleicht doch der Be- Pflege informiert haben und denen ich treffende der Fachmann dafür ist, was umgekehrt etwas von meiner Erfah- ich als Krankenschwester arbeiten dür er braucht und was nicht und vor allem rung weitergeben konnte. Dankbarkeit fen, mehr als 15 Jahre davon als Pallia was er möchte und was nicht, kann ich für Möglichkeiten, die ich bekommen tivschwester. Es ist immer noch einer der im Nachhinein nicht mehr sagen; es ist habe, zweimal etwas mitaufzubauen, wenigen Berufe, den ich mir für mein sicher wie so Vieles im Leben ein lang- einmal die Palliativstation am Kran- sames und stetiges Wachstum. kenhaus Elisabethinen und einmal das Leben vorstellen kann und es ist immer St. Barbara Hospiz. David Steindl Rast noch der Beruf, den ich von ganzem Her sagt: „Es ist nicht das Glück, das uns Was bleibt also nun? zen gern mache. Ich habe in den 40 Jah dankbar macht. Es ist die Dankbarkeit, Einmal ist da ein großes Gefühl der die uns glücklich macht!“ Und wie recht ren einen Wandel in der Pflege miterlebt, Dankbarkeit, das alle anderen Gefüh- er damit doch hat. der unglaublich ist, ausgelöst unter ande le bei weitem überwiegt: Dankbarkeit rem durch den Wandel in der Medizin. Es gibt da aber auch ein Gefühl von für all die Vorarbeit, die in diesem Be- Wehmut in mir. Wehmut, dass das jetzt reich schon geleistet wurde, auf diesem Anfangs haben wir als Pflegende noch schon alles gewesen sein soll, dass ich Fundament können wir weiter auf- die Spritzen und Kanülen ausgewa- das alles jetzt hinter mir lassen soll, auch bauen und weiterarbeiten. Das wurde schen und sterilisiert und bettlägerige wenn durchaus recht gute Aussichten mir in den letzten Wochen besonders Patienten wurden wegen eines fehlen- bestehen, die Zeit mit anderen mir auch bewusst, weil ich eine der Pionierin- den Lifts über die Stiege getragen, um sehr wertvollen Dingen füllen zu kön- nen der Palliativ- und Hospizarbeit, zu den nötigen Untersuchungen ge- nen; und ich habe sogar schon Ideen, Sr. Annemarie Gamsjäger, mehrmals fahren zu werden. Das kann man sich welche Dinge das sein könnten. Aber getroffen habe und wir uns auch dar- heute gar nicht mehr vorstellen. Ärzte es ist nur natürlich, dass dieser Abschied über ausgetauscht haben. Dankbarkeit als Götter in Weiß haben gewusst, was auch schmerzt. für all die Patienten, die mir in meinem zu tun ist und auch wir Pflegende waren Leben begegnet sind. Ich werde nicht In mir gibt es auch das Gefühl der De- Fachleute im Wissen, was der Einzelne müde, ihre Lebensgeschichten zu hö- mut. Ich habe oft schon miterleben braucht, ohne jemals den Betroffenen ren, die manchmal so unglaublich sind müssen, dass es Dinge gibt, die wir nicht selbst gefragt zu haben, ob er denn das und so bunt wie die Menschen selbst; in Händen haben, wo wir uns jemand auch möchte oder nicht; und das habe und viele von ihnen werden mich mein oder etwas Größerem hingeben müs- ich als ganz „normal“ empfunden. Leben lang begleiten und sind mir in sen. Ich habe mich in meiner Arbeit Auch das Sterben hat sich in ganz an- vielem Wegweiser geworden – auch für stets geführt und unterstützt gewusst derer Weise abgespielt, als das heute mein Leben. Dankbarkeit für die vielen und mich immer als Werkzeug verstan- der Fall ist; und dass es einmal sogar Kolleginnen und Kollegen, mit denen den; und ich erlebe es als unglaublich 7
Pflege bereichernd, ein Zahnrad in der Pallia- tiv- und Hospizarbeit gewesen zu sein, etwas zur Weiterentwicklung beigetra- gen zu haben. Ich empfinde aber auch ein Gefühl der Erleichterung; dieses große und schöne Ich bin bei dir Projekt in gute Hände übergeben zu können, in dem Wissen, dass es gut wei- tergehen wird, wenn auch etwas anders; Ich bin bei dir mit meiner Wertschätzung für dich, Verantwortung abgeben zu können, um damit Zeit und Raum für andere Dinge begegne dir mit meiner Liebe, die dich nicht einengen will. zu gewinnen. Denke an die Zeit, die wir gemeinsam verbracht haben. Und es weckt das Gefühl der Neugierde Ich möchte dir so viel noch schenken, noch bist du da. in mir: Neugierde auf das, was das Le- ben noch für mich an Überraschungen bereithält, dass ich vielleicht noch ande- re Seiten im Leben kennenlernen darf, Ich bin bei dir mit einem Lächeln, dass ich noch mehr Zeit für Dinge habe, auch wenn Tränen in mir sind, weil ich dich so sehr liebe. die mir auch wichtig sind. Ich spreche dir Mut zu und will dir das Gefühl geben, Was bleibt? geborgen zu sein. Der Glaube daran, dass alles im Leben seinen Sinn hat, auch wenn wir ihn oft nicht gleich erkennen können und dass Ich bin bei dir und liebend für dich da. wir Menschen nie rein zufällig an einen In mir ist so viel Dankbarkeit für alles, was du für mich getan hast. Ort gestellt werden, sondern dass wir da eine Aufgabe zu erfüllen haben. Ich begleite dich auf deinem letzten Weg. Die Hoffnung, dass die Entwicklung im Du bist nicht allein. Gesundheitsbereich nicht rückschritt- lich wird, dass die zunehmende Spezi- alisierung nicht dazu beiträgt, nur mehr Ich bin bei dir mit Dank im Herzen das entsprechende Organ zu sehen und nicht mehr den Menschen dahinter; und Hochachtung vor deiner Güte, Wärme und Liebe. und dass nicht weiter Gesundheitsöko- Du warst für viele Menschen da, hast nicht auf die Zeit gesehen. nomen bestimmen, wieviel Zeit wir für einzelne Tätigkeiten brauchen dürfen. Du warst immer für mich da, lebst noch immer im Jetzt! Die Liebe, denn sie ist das Fundament unseres Menschseins; sie ist die Trieb- feder für Vieles, auch für alles Bemü- Ich bin bei dir und freue mich, dass ich dich kennen darf. hen zur positiven Veränderung und sie Ich reiche dir meine Hand, und wenn du gehen möchtest, ist das Wichtigste in unser aller Leben überhaupt. Dietrich Bonhoeffer sagt: lasse ich dich sanft los und lasse dich gehen. „Da wo Liebe ist, ist das Leben erfüllt.“ Auch dann, wenn es mir sehr schwerfällt. In diesem Sinne bedanke ich mich für die vielen wertvollen Begegnungen mit Ihnen/Euch, für die gute Zusammenar- Elisabeth Neureiter beit und freue mich, wenn ich viele von Ihnen/Euch in einem anderen Kontext wiedersehe, wir uns über „alte Zeiten“ austauschen und einen Kaffee gemein- sam trinken. 8
Pflege Meine Arbeit – ein Geschenk DGKP Sandra Metzbauer Palliativstation Steyr Beginnen möchte ich mit einem Zitat aus gekraft allein ist und dann deren An- Team zweifelten anfangs jedoch, ob sie dem Lehrbuch der Palliativpflege: „Der gehörige neben den anderen Patienten es schaffen könnte, haben sie jedoch Tod ist uns allgegenwärtig und doch selt betreuen muss. gut in allen Bereichen unterstützt. Der sam fremd, er wird medial inszeniert Stimmt, es ist nicht leicht, plötzliche VUPS (Verein zur Unterstützung der und peinlich gemieden. Vermutlich haben palliative Notfälle, wie zum Beispiel Palliativstation am Klinikum Steyr) un- in der Menschheitsgeschichte noch nie so akute Blutungen, mitzuerleben und terstützte die Patientin, indem sie ein viele Menschen so viele Tote und Todes auszuhalten. schönes Zimmer bekam, mit Blick auf arten gesehen und dennoch gleichzeitig das Meer, da wir vermuteten, dass sie persönlich so wenig Berührung mit Ster Stimmt, aber warum mache ich durch die Schmerzen viel Zeit in ihrem benden oder einem Leichnam gehabt.“ diesen Beruf so gerne? Bett verbringen müsste. Sie selbst hätte Ich arbeite seit fast 10 Jahren auf der sich nur ein kleines Zimmer ohne Fens- Was arbeitest du? Palliativstation. Das Gefühl, hilflos zu ter leisten können. Diese Frage stellen neue Bekannte häu- sein, kommt natürlich auch vor. Aber Ein paar Wochen nach ihrer Entlassung fig. Nach meiner Antwort „auf einer dies prägt nicht meinen Arbeitsalltag. rief sie aus Rom an, wo die Schiffsreise Palliativstation“ folgt meistens Stille Ich könnte meinen Arbeitstag so be- endete, und erzählte uns, wie schön es und dann: „Ich könnte das nicht ma- schreiben: Es ist ein Geschenk, dass ich war. Es war für mich ein Wunder, dass chen!“ Warum entstehen solche Situa- tolle Menschen kennenlernen darf, die sie es geschafft hatte. Sie war so stolz, tionen? Ist es wirklich so schwierig, auf mir innerhalb kurzer Zeit ihre Lebens- keinen Schiffsarzt benötigt zu haben – einer Palliativstation zu arbeiten? geschichten anvertrauen. Diese Per- ihre Tochter schon, da diese seekrank Stimmt, es ist nicht leicht, wenn eine sonen darf ich als Pflegeperson einen wurde. Sie besuchte uns noch auf der junge Familie den Vater verliert. Es ist gewissen Lebensabschnitt begleiten. Station und zeigte begeistert Urlaubs- kräftezehrend, weinende Kinder, Ehe- Häufig gehen Patienten fast beschwer- fotos. Kurz nach ihrem Urlaub ist sie frauen und Eltern, die ihr erwachsenes defrei nach Hause, sie empfinden wie- friedlich verstorben. Von dieser Pati- Kind verlieren, zu sehen, wissend, dass der Lebensqualität und dürfen die kur- entin habe ich gelernt, es ist sehr vieles Worte jetzt fehl am Platz sind und man ze verbleibende Zeit zuhause bei ihren möglich, man muss es nur wollen. Und einfach nur da sein soll. Familien verbringen. natürlich gehört eine große Portion Stimmt, es ist nicht leicht, wenn ein Pa- Ich habe hier auf der Palliativstation ge- Mut dazu. tient Total Pain hat, schreit vor Schmer- lernt, es gibt nichts Unmögliches. Dazu Ein lieber bettlägeriger Patient wünsch- zen und man machtlos neben diesem möchte ich zwei Beispiele nennen. te sich, bei der Hochzeit seines Sohnes Patienten sitzt und ihm diese Schmer- Eine Patientin kam zur Aufnahme. Sie dabei zu sein. Da wir eine große Ter- zen trotz sehr guter Schmerzmedika- war von ihrer Krankheit sehr gezeich- rasse haben, konnte die Zeremonie, bei tion nicht nehmen kann, da es nicht net, stark abgemagert und geschwächt, strahlendem Sonnenschein auf unserer „nur“ der körperliche Schmerz ist, son- konnte kaum das Bett verlassen. Beim Station stattfinden. Die Überraschung, dern auch der Schmerz des Loslassen- Aufnahmegespräch erzählte sie uns, dass er der Trauzeuge seines Sohnes Müssens von geliebten Personen und ihr größter Wunsch sei es, eine Schiffs- sein durfte, machte ihn sprachlos. Raus Gewohnheiten. kreuzfahrt zu machen. Sie hatte die aus dem Nachthemd, rein ins festliche Stimmt, es ist nicht leicht, wenn in der Reise schon gebucht. Eine Motivation Trachtengewand. Es war sehr rührend Nacht jemand verstirbt, manchmal sind in Form eines Miniaturkreuzfahrtschif- zu sehen, wie glücklich er und sein Sohn es auch zwei Menschen, man als Pfle- fes stand auf ihrem Nachttisch. Wir als waren. Wir waren überrascht über die 9
Pflege Kräfte, die er für dieses Ereignis mobi- dem Team bringt Leichtigkeit und Un- fühl, dass die Seele weiterziehen darf. lisiert hatte. bekümmertheit in den Arbeitsalltag. Nach diesem Ritual zünde ich bewusst, Auch wenn es nicht immer leicht ist, auf „Das Lächeln ist nicht zu kaufen, zu lei- in Gedanken an den Patienten, eine so einer besonderen Station zu arbeiten, hen oder zu stehlen. Seinen Wert erhält es Kerze für ihn an. es gibt immer Menschen, die einen auf- dadurch, dass man es verschenkt. Mancher Ich gehe nach jedem Dienst bewusst fangen. Auf meiner Station dürfen Trä- Mensch ist zu müde um dir ein Lächeln zu weg von der Station, ich ziehe mir mei- nen fließen, wenn ein Patient verstirbt. schenken. Schenke du ihm ein Lächeln von ne Arbeitskleidung bewusst aus, beim Oder man nimmt sich Zeit für ein kur- dir. Denn es hat niemand ein Lächeln so Rausgehen atme ich bewusst einmal tief zes Gespräch mit Kollegen, um gewisse sehr nötig wie der, der kein Lächeln mehr ein und aus. Dieses Ritual hilft mir, von Situationen nochmal zu hinterfragen. geben kann. Ein Lächeln kostet nichts, aber DGKP Sandra wieder die Privatperson Geben und nehmen, das ist bei uns auf es gibt so viel. Es bereichert die, die es erhal- Sandra zu werden. der Palliativstation im Klinikum Steyr ten, ohne diejenigen ärmer zu machen, die Zuhause angekommen, verbringe ich unter uns Kollegen (Ärzte, Pflege, So- es geben. Niemand ist so reich oder mächtig, gern meine Zeit in der Natur, mit den zialarbeit, Physiotherapeuten, Psycho- dass er ohne es auskommt, und niemand ist Kindern, Mann und Hund. Ich wande- logen, Seelsorge, Ehrenamtliche und so arm, dass er es nicht leisten könnte. Ein re gern, fahre mit dem Rad und genieße Abteilungshelfer) sehr ausgeglichen. Lächeln erzeugt Fröhlichkeit, heitere Ge- das Leben mit Kaffee, Süßspeisen und Braucht jemand Hilfe, Entlastung oder lassenheit.“ lieben Menschen. Damit führe ich eine einfach nur 5 Minuten Pause, kann ich (Aus dem Buch Palliative Care) gewisse Selbstpflege durch. Dies ist sehr mich auf mein tolles interdisziplinäres Gewisse Rituale während und nach wichtig, um lange im palliativen Setting Team verlassen. dem Dienst sind mir sehr wichtig. Mit arbeiten zu können. Auch wenn Schicksale der einzelnen diesen Ritualen schaffe ich es, wieder in Genau das sind meine Kraftquellen. Patienten mit großer Traurigkeit und meiner Mitte zu sein. Ich genieße mein Leben. Somit kann großem Leid behaftet sind, das Lachen Ist ein Patient bei mir verstorben, öffne ich mich wohlfühlen, im Privat- und mit Patienten, Angehörigen und mit ich die Fenster. Dies gibt mir das Ge- Arbeitsalltag. Ich bin dankbar, so ein liebes Team, tolle Familie und Freunde an meiner Seite zu haben, die mir Kraft und Hoffnungen geben, wenn doch mal Zweifel aufkommen sollten, oder die Anforderungen und Belastungen im Beruf nicht mehr mit meinen Bedürf- nissen im Gleichgewicht sind. Und genau mit diesen Kraftquellen und Ritualen schaffe ich es, mit einem guten Gefühl in die Arbeit zu gehen und mei- ne Arbeit mit einer gewissen Leichtig- keit – und meist mit einem Lächeln im Gesicht – zu meistern. Einen Spruch möchte ich Ihnen noch mitgeben: „Nicht warten bis dass die beste Zeit kommt, sondern die jetzige zur besten machen.“ (Monika Minder) Literatur Zitat: Der Tod ist uns allgegenwärtig … Lehrbuch der Palliativpflege 3, überarbeitete Auflage, 2012, Nagele S., Feichtner A.; Wien, Facultas Verlags- und Buchhandels AG, S. 14 Zitat: Das Lächeln ist nicht zu kaufen … Palliative Care. Handbuch für Pflege & Be- gleitung, 2. Auflage. 2007, Kränzle S., Seeger C. Schmid U.; Heidelberg, Springer Medizin Verlag 10
Medizin Ich bin bei dir – wie kann OA Dr. Franz Reiner Langjähriger Leiter es gelingen? der Palliativstation am Klinikum Salzkammergut- Vöcklabruck Ich bin bei dir tionen liefern, z.B. länger fernsehen. Sie Arzt/ die Ärztin sich meines individu- „Danke für das Begleiten in dieser signalisiert mir damit: Ich bin bei dir! ellen Falles annimmt und mich spüren schwierigen Zeit.“ Solche Erlebnisse erzeugen Zuversicht lässt: Er/Sie sieht neben der Sympto- „Wo bleibt die Visite? Ich möchte mit und lassen die Geduld wachsen, auch matik der Erkrankung auch mich als einem Arzt reden.“ „kranke Tage“ zu überstehen. Person, nimmt mich wahr mit meiner So oder ähnlich habe ich es in den letz- Hilfreich in dieser Zeit erschien mir Scham und meinen Ressourcen. ten Jahren oft gehört. Dabei drängt sich auch neben dem Wissen, dass da je- Neben der ärztlichen Betreuung brau- die Frage auf: Was lässt es oft gelin- mand für mich da ist, die Struktur, die che ich aber jene mitmenschliche, fami- gen und was sind die Ursachen für das mir den Tag leichter durchzustehen liäre und freundschaftliche Beziehung Scheitern unserer Arzt-Patient-Bezie- half: Essen, Schlafenszeit, Medikamen- und wenn notwendig auch pflegerische hung? teneinnahme etc. Fachlichkeit. Dasselbe gilt für alle The- Dafür gibt es wohl viele Antwortmög- Meine Enkelkinder lernen mir heute rapeutinnen und Therapeuten. lichkeiten. Eine liegt im Erleben des bei allen Begegnungen, wie selbstver- Ich als Arzt „Ich bin bei dir.“ ständlich das Leben ist. Sie führen mir auch vor Augen, wie sie bei Schwierig- Ich bin bei dir. Wie soll das funktio- Von Seiten der Patientinnen und Pati- keiten und Krankheit Hilfe suchen und nieren? In Österreich haben wir 5,3 enten ebenso wie von Seiten der Ärz- bei wem. Was Vertrauen wachsen lässt. Ärzte auf 1000 Einwohner. (Kuba hat tinnen und Ärzte. Was ich bei Salutogenese kennenge- 8,6, Malawi hat 0,02/1000 EW) d.h. Ich als Patient lernt habe, finde ich oft und oft auch 1 Arzt auf 200 Personen. Das wäre ja Mit meinem hereinbrechenden De- im privaten Umfeld bestätigt. Wir sind gut vorstellbar, da von den 200 Personen fizitgefühl – ob bei Schnupfen, Hus- unterschiedlich begabt mit unserem nur wenige krank sind. Aber die Wirk- ten, Schmerzen, Mattigkeit oder allem Koheränzgefühl (Gefühl des Vertrauens lichkeit sieht nicht nur in der Corona- gleichzeitig – fühle ich mich schwach zu sich und zur Umwelt) und wir sind zeit anders aus. Die Praktischen Ärzte und werde oft hilfsbedürftig. Erst sehr abhängig von der Begegnung mit mit Kassenordinationen sind zu wenig, recht bei fürchterlichen Erkrankungen. unseren Nächsten. Diese stärken oder ebenso haben wir einen Ärztemangel in Schockiert? Meist werden wir ruhiger, beschämen uns. Gerade in Krisenzeiten anderen Fächern wie Psychiatrie, Nuk- manchmal auch unruhiger, je nach Per- wie bei Erkrankungen macht sich das learmedizin oder Radioonkologie und sönlichkeit und Situation. Wir ziehen bemerkbar. etlichen anderen. Wie soll da der An- uns zurück und andere meiden uns, und Für Patienten ist die Möglichkeit zur spruch: Ich bin bei dir! halten? wir sie. Unterstützung meist hilfreich und Neben dem Strukturieren des Ange- Ich erinnere mich an meine Kindheit. angstlösend. Die meisten von ihnen botes gilt es im medizinischen Alltag Wie gut war es zu wissen, die Mutter halten aber auch sehr gut Zeiten des dies selbst auch zu leben! Hier sind wir ist im Haus. Man hört sie das und jenes Alleinseins aus. Oft trauen wir dies aus Ärzte mit unserer Persönlichkeit und tun, weiß: Sie ist da! Wie gut ist es zu unserer Sicht den Einzelnen nicht zu. Struktur gefragt. erfahren, sie stellt mir Tee und Biskot- Individuelles Anpassen ist gefragt. Bei Begegnungen präsent sein und sich ten hin, kommt dann und wann und Meine Erfahrung als Patient im Er- Zeit für den Dialog nehmen. kühlt mich, macht die Wäsche neu und wachsenenalter ist irgendwie ähnlich. Es gibt Untersuchungen, dass wir Ärz- hat Mittel für die Genesung. Oft darf Da ist das Bedürfnis nach Erklärungen te die Patientinnen und Patienten bei ich auch – sonst nicht so gerne gesehene meines Zustandes, so dass ich es verste- Visitengesprächen sehr schnell un- – aber in dieser Situation machbare Ak- hen kann. Also ein Bedürfnis, dass der terbrechen, weil wir weiterkommen 11
Medizin wollen. Ebenso wurde aber auch fest- Glück auch für jene, die es schaffen, sich der jeweiligen Person und seiner mo- gestellt, dass wir beim Patienten durch im Team eingebunden zu wissen und mentanen Situation, sowie die Mög- Zuhören und Präsenz das Gefühl er- Zeit und Raum für die Arzt – Patient- lichkeit, die Nächsten miteinzuschlie- zeugen, viel Zeit zu haben. Wir neigen Beziehung gestalten zu können. ßen, ein Vertrauensverhältnis entwickelt leider mitunter dazu, bei jemandem Durch das Signalisieren von bleiben- hat, welches durch das kollegiale in- zu sein und schon an den nächsten zu dem Interesse (kann auch durch das terdisziplinäre und interprofessionelle denken. Da stimmt es nicht mehr: Ich Team gemacht werden) für die Zeit Miteinander – für Patient und Angehö- bin bei dir! während bzw. nach der Behandlung rige sichtbar – vom „Ich bin bei dir!“ zu Bei der Übermittlung von schlechten entsteht Vertrauen und wird das Gefühl einem „Wir sind bei dir!“ wurde. Nachrichten kennen wir die Psycho- verstärkt: Sie/Er ist da für mich! Vielleicht wächst daraus ein „Danke dynamik bei den Patientinnen und für das Begleiten in dieser schwierigen Gerade in palliativen Situationen, also Patienten. Es braucht eine klare, ver- Zeit“. bei Behandlungen mit unheilbaren Er- ständliche Sprache. Eine entsprechende Der Erfolgsfaktor unserer Arbeit. Ich krankungen, ist die Hoffnung auf ein Umgebung. Und oft ein mehrfaches freue mich, in diesem Gesundheitssys- gutes Leben tragend. Uns Ärzten wird Reden und Einbeziehen der Nächsten. tem gearbeitet zu haben. manchmal vorgeworfen, dies durch un- Dies gestaltet sich gerade jetzt mit den sere Botschaft der Erkrankung brutal eingeschränkten Besuchsmöglichkeiten zu brechen. Der Überbringer schlech- aufwendig. Trotzdem ist es ein Gebot in Büchertipps ter Nachrichten ist kein strahlender dieser Krisenzeit für die Patienten. Es Salutogenese: Wie Gesundheit entsteht, Held. Das Wahrnehmen der Patientin/ signalisiert unser ärztliches und behan- Schatzsuche statt Fehlerfahndung, Eckhard des Patienten und der Dialog mit der Schiffer delndes „Ich bin bei dir!“ Kenntnis um die Psychodynamik in der Es ist gut zu wissen, dieses fachliche Scham: Scham, die tabuisierte Emotion, Ste- jeweiligen Situation, lässt das Gefühl Du kontaktieren zu können. Viele Kol- phan Marks aufleben: Ich bin bei dir. leginnen und Kollegen erzählten mir, Überbringen schlechter Nachrichten: Über dass die Weitergabe von privaten Tele- Auf der Palliativstation und im Pallia- den Schatten springen, vom Entwirren einer fonnummern für den Krisenfall meist tiv-Konsildienst habe ich oft erfahren Krankheit durch Begegnung, Peter Fässler- nicht ausgenützt wird. Es ist gut, um dürfen, dass sich durch das Interesse an Weibel, Arno Gaiger eine Kummernummer zu wissen. Das Mobile Palliativteam, rund um die Uhr besetzt, ist eine solche für palliative Si- tuationen. Natürlich kann das auch ausgenutzt werden. Es hängt von Personen und Situationen ab. Durch unsere heutigen Möglichkeiten wie Handy etc. ist eine permanente Störung möglich. Hier gilt es zu strukturieren. Gerade im Hospiz- und Palliativbereich gibt es eine gute und schon sehr weit ausgebaute Struktur für eine Versorgung in palliativen Situationen. Auch andere Strukturen können genützt werden, wie z.B. bei Krebserkrankungen die Zentren und Ambulanzen sowie Einrichtungen wie Krebshilfe und Selbsthilfegruppen. Dies gibt es auch für manche speziellen psychischen und physischen Erkran- kungen. Wir Ärztinnen und Ärzte kön- nen dies nützen. Wir sollen und dürfen diese auch mit weiter entwickeln. Glücklich, der oder die, die es schaffen, präsent, neugierig und aufmerksam zu bleiben. 12
Patient*innen „da ist ein Panzer von mir abgefallen …“ Anonym Klientin von ARCUS Sozialnetzwerk oberes Mühlviertel Im Interview erzählt die Klientin K. ein Wohnen zu Hause ermöglichten, arbeiten zu fahren, als die Kinder etwas über das Dasein und die Wirkung des konnte ich da auch reden. Bei jedem größer waren. Da habe ich ein Stück aufmerksamen Zuhörens auf das Wohl Hausbesuch konnte ich ein Stück re- Freiheit gespürt. Ich habe viele Schick- befinden, auf die Lebenseinstellung und den, ein wenig von mir, meinen Sorgen salsschläge gemeistert und habe immer auf die Sichtweise der eigenen Biografie. und meiner Lebensgeschichte erzählen. viel gearbeitet. Meine Mutter war sehr Die Pflegenden hörten achtsam zu, be- wichtig für mich, ohne sie hätte ich Liebe K, darf ich dich bitten, dich kurz vor- stärkten mich und machten mir Mut. vieles nicht geschafft, mit den Kindern zustellen: Sie begleiten mich seither und ich habe und dem Haus. Sie war eine Perle und Ich heiße K., bin XY Jahre alt und bin endlich jemanden, dem ich auch meine am Ende des Lebens eine geduldige im oberen Mühlviertel zu Hause. Ich Probleme erzählen kann. Dafür bin ich Patientin. So wie sie möchte ich einmal wohne zusammen mit meinem Sohn, sehr dankbar, es tut unendlich gut und sterben – ohne Schmerzen und beim meiner Schwiegertochter und meinem hat mir sprichwörtlich mein Leben ge- letzten Atemzug ein Lächeln auf den Enkel in einem Haus. Ich kann den rettet. Lippen. Auch Aussagen von ihr habe Alltag selbst gestalten, brauche aber seit ich immer wieder im Kopf. Wenn et- einiger Zeit Unterstützung bei der Pfle- Gibt es für dich Lebenssätze, die dir durchs was nicht funktioniert hat, sagte sie im- ge und bei der Wundversorgung. Leben geholfen haben? Welche Grundsätze mer: „Nimm’ die Hände, dann hat’s ein hast du im Leben verfolgt? Ende“. Der Glaube hat ihr sehr gehol- Was bedeutet für dich der Satz „da ist ein Ironie und Humor haben mir geholfen, fen im Leben, sie flüsterte manches Mal Panzer von mir abgefallen“? mein manchmal schweres Leben zu „Der Herrgott wird’s schon richten“ Ich habe es nicht immer leicht gehabt meistern. Ich kann nun das Leben posi- und vertraute auf diese Zusage. im Leben und habe viele Dinge und tiv sehen und glaube, dass jeder Mensch auch viele Konflikte mit mir selbst aus- immer lernen kann, auch durch Fehler Was ist dein Wunsch für die Zukunft? gemacht. Ich habe nie meine Probleme und Dinge, die nicht so gut funktio- Wenn mich der Herrgott noch ein we- auf meine Kinder übertragen, das war nieren. Die großen Dinge in der Welt nig leben lässt, dann möchte ich noch mir ganz wichtig, dass ich das für mich fangen ganz klein an, das ist mir auch leben. Ich würde gerne die Lebensge- allein ausmache, denn die Kinder sollen wichtig zu sagen. schichte meiner Eltern und mir auf- ihr eigenes Leben leben und ihre eigenen schreiben und sie Menschen schenken, Urteile fällen können. Sie sollen ihre ei- Welche Kraftquellen kannst du für dich ent- die mir wichtig sind. Ich wünsche mir genen Erfahrungen machen. So war ich decken? auch, dass die Menschen lernen, gut oft allein und konnte mit niemandem Ich liebe meine Familie, ich sehe mei- miteinander umzugehen. über Probleme sprechen. Als ich Hilfe ne Enkel sehr gerne. Außerdem bin ich bei der Pflege brauchte, und die mobi- viel in der Natur. Mein Garten ist mein Möchtest du noch etwas erzählen? len Dienste, also die Fachsozialbetreu- Paradies, da bin ich ganz oft und kann ARCUS ist das beste, was mir je pas- erinnen und Hauskrankenschwestern Kraft tanken. siert ist, der Beginn der Betreuung war von ARCUS kamen, um mich bei der ein zweiter Geburtstag für mich – ich Körperpflege und der Wundversorgung Was war bisher für dich in deinem Leben möchte allen ein großes DANKE sa- zu unterstützen, war es mir wirklich, als wichtig? gen. Gut, dass es euch gibt. ob ein Panzer von mir abgefallen wäre, Ich bin viel mit mir allein gewesen, aber als ob ich eine angezogene Rüstung ich habe vieles geschafft. Ganz wichtig Das Interview führte DGKP Angelika endlich weglegen konnte. Denn neben war für mich, gegen den Widerstand Schwarz, Msc, ARCUS Sozialnetzwerk den notwendigen Tätigkeiten, die mir einiger Menschen wieder nach Linz oberes Mühlviertel 13
Ehrenamt 20 Jahre Kaprun – eine Erinnerung Claudia Glössl, MAS MSc Ehrenamtliche Mitarbeiterin der Hospizbewegung Wels-Stadt/Land Fakten Medienandrang musste zusätzlich be- von Hoffnungs- und Hilflosigkeit, Am 11. November 2000 starben insge- wältigt werden. Verzweiflung bis zu Wut, Aggressivi- samt 155 Personen bei der Brandkata- tät und Entlastung. In der Entlastung Krise und Krisenintervention strophe der Gletscherbahn Kaprun 2. kann durch Bearbeitung eine Neuori- Eine psychosoziale Krise liegt vor, wenn entierung erfolgen. Die vier Phasen 92 Menschen kamen aus Österreich ein Ereignis eintritt, das den Verlust des und davon 32 Personen aus Wels bzw. (Schock, Reaktion, Bearbeitung und seelischen Gleichgewichtes zur Folge Neuorientierung) sind, ausgenommen umliegenden Gemeinden, die bei einem hat. Der Verlust des seelischen Gleich- offenen Betriebsausflug des Magistrates der Schockphase, nicht starr voneinan- gewichtes tritt ein, wenn ein Mensch der abgegrenzt. Sie fließen ineinander Wels mit dabei waren. keine verfügbaren Bewältigungsstra- (Sonneck 2000: 16). Es starben 150 (der 162) Passagiere der tegien einsetzen kann, die er aufgrund bergauffahrenden Bahn Kaprun 2. Im seiner bisherigen Biographie erwor- Die Krisenintervention umfasst Hilfe entgegenkommenden Zug (Kaprun 1) ben hat bzw. die Person überfordert ist in der Akutsituation, um Menschen zu starben der Zugführer und ein Tourist (Sonneck 2000: 15). unterstützen, damit die Situation be- sowie drei Personen auf der Bergstation Es gibt grundsätzlich zwei Arten von wältigt werden kann. Mit der Krisenin- durch Rauchgasvergiftung. 12 Personen Krisen: tervention können Folgeerscheinungen im hinteren Zugteil konnten nach Aus- – Traumatische Krisen (plötzlich auf- verhütet und gemildert werden (Son- bruch des Brandes das Fenster einschla- tretende Krisen, die die persönliche neck 2000: 61). Ziel der Kriseninter- gen und sich befreien. Sie überlebten, Integrität in Frage stellt; Beispiele vention ist es, die Betroffenen zu stabi- weil sie entgegen der Kaminwirkung sind Verlust und Tod von emotional lisieren, sodass sie ihre Angelegenheiten nach unten liefen. nahestehenden Menschen, Krank- selbst in die Hand nehmen und meis- Die Hinterbliebenen der 32 „Welser“ heit, Unfall, Trennung/Scheidung, tern können. Damit verbunden ist das Opfer wurden von Beginn an seitens Gewalt in allen Formen, Großscha- Ziel, selbstzerstörerischen und selbst- des Magistrates und weiteren Ein- densereignisse) (Hausmann 2006: verletzenden Ansätzen eine Absage zu richtungen wie den Kriseninterventi- 28). erteilen (Sonneck 2000: 62 f ). Die Krise onsteams des Roten Kreuzes und der – Veränderungskrisen (sind Krisen, die und Realität darf nicht verleugnet, son- Krisenhilfe Oberösterreich betreut. aus großen Lebensumstellungen und dern sie muss wahrgenommen werden, Betreut wurden alle Personen, egal ob Veränderungsphasen, die das Leben mit allen Gefühlen und Reaktionen. hinterbliebene Kinder, Eltern, Ehefrau/ mit sich bringt, erfolgen, wie Puber- Wichtig ist, dass betroffene Personen, Ehemann, Lebenspartner*innen, enge tät, Schwangerschaft, Berufswechsel, besonders in der Schockphase, Un- Freunde, Anverwandte. Alle konnten Pensionierung) (Hausmann 2006: terstützung sowie Empathie erhalten sich melden und wurden unterstützt. 29). (Sonneck 2000: 19). Es geht also vor al- Es wurde versucht, ihnen in allen Lagen Das Unglück von Kaprun zählt zu den lem darum, Personen nicht allein zu las- behilflich zu sein. Der Magistrat – Poli- traumatischen Krisen. In diesen Krisen sen, sondern es braucht jemanden, der tik und Verwaltung – war in dieser Situ- treffen die Ereignisse die Menschen da ist. Eine Person, die emphatisch und ation außerordentlich empathisch und unvorbereitet und unvorhergesehen. aktiv zuhört, Informationen weitergibt, versuchte alles, soweit es möglich war. Die erste Reaktion ist der Schock, die die zeitliche Abfolge der Geschehnisse Dabei hatte der Magistrat doch selbst von der Reaktionsphase abgelöst wird. klärt. So können Ereignisse strukturiert Arbeitskolleg*innen und Freund*innen Diese Phase, die Tage bis Wochen werden. In diesen Interventionen ist verloren. Eine jedenfalls herausfordern- dauern kann, ist geprägt von den un- vorrangig, ein Gefühl von Sicherheit zu de Situation für alle Beteiligten. Der terschiedlichsten Gefühlen. Sie reichen vermitteln, sodass die betroffene Person 14
Ehrenamt handlungsfähig für Entscheidungen Das war ein wichtiger Baustein in der Alle Pläne für die Zukunft waren mit wird (Hausmann: 2006: 90). Je nach Trauerbewältigung und im Erwachsen- einem Mal dahin. In der Familie des Situation und Umständen werden un- werden. In der Begleitung war es enorm Mannes hatten ihre Bedürfnisse kei- terschiedliche Interventionen gesetzt. wichtig, die Mutter immer wieder da- nen Platz. Die Frau im mittleren Alter Sie hängen vor allem davon ab, welche rauf zu bringen, dass auch ihre Trauer, stand fest mit beiden Beinen im Leben Person, in welchem Kontext und in ihr Trauerprozess wichtig sind und sie und hatte durch eine Freundin eine sehr welchem sozialen Umfeld, betreut wird. nicht auf sich selbst vergessen darf. Die gute Unterstützung. Sie nahm am Be- Die zu betreuende Person steht im Fo- Begleitung kann als gut gelungen an- gräbnis teil, auf dessen Ablauf und Ge- kus der Betreuung und alles orientiert gesehen werden. Die Mutter lebt seit staltung sie aber keinerlei Einfluss hatte. sich ausschließlich an ihr. Jahren in einer neuen Beziehung, die Sie hatte sich, ermuntert durch die Be- Kinder sind erwachsen, mit einer guten gleitung, entschieden, ein zweites per- Begleitungen Ausbildung und leben beide jeweils in sönliches Abschiednehmen am Grab Die Begleitungen waren vielfältig und einer stabilen Beziehung. Der Vater ist zu veranstalten. Sie gestaltete eine Parte von unterschiedlichen Herausforde- in der Erinnerung sichtlich verankert, und lud die beiden besten Freunde des rungen geprägt. Während die einen den durch Bilder in den Haushalten präsent Verstorbenen und ihre beste Freundin Ehemann verloren haben und nun mit und begleitet so seine Familie. dazu ein. Sie brachten persönliche Tex- Kindern ihren Weg finden mussten, Eltern und Schwester haben ihren er- te, die sie abwechselnd vorlasen, Musik erwachsene Kinder, die Vater, Mutter wachsenen Sohn bzw. älteren Bruder und Blumen mit. So wurde sehr persön- oder beide verloren hatten oder Eltern, verloren. In dieser Begleitung gab es lich Abschied genommen. Sie fotogra- die ihr(e) Kind(er) als junge Erwach- anfangs viel Zorn und Wut über die fierte dabei, so wie sie bereits vorab die sene verloren. Jeder Trauerprozess war Unbegreiflichkeit, dass überhaupt ein Urne fotografierte. Mit Bildern aus der herausfordernd. Alle beschritten ihre Brand in der Bahn ausbrechen konnte. gemeinsamen Zeit und des Abschiedes eigenen Wege, denn Trauer kann nicht Für diese Familie waren zwei Punkte in hat sie sich eine Fotocollage erarbeitet, miteinander verglichen werden. Man- der Trauerbewältigung bedeutend. Das die noch heute an der Wand in ihrer che verschoben ihre Trauer, sodass der eine war das Geschehen in der Bahn, Wohnung hängt. Sie lebt in einer Be- Verlauf einen komplizierteren Weg um die zeitliche Abfolge nachvollzie- ziehung, aber er ist Teil ihres Lebens. nahm. Komplizierte Verläufe waren hen, wenn auch nicht verstehen, zu kön- auch bei Eltern zu bemerken, die das nen und der Halt, den der Glaube gab. Literatur Kind verloren hatten. Die Familie legte sich ein für sie passen- Hausmann, Clemens (2006): Einführung in Eine Frau hatte ihren Mann verloren, des Narrativ anhand der Geschehnisse die Psychotraumatologie, Wien: facultas sie blieb mit zwei Kindern im Vorschul- in der Bahn zurecht, wohl wissend, dass Sonneck, Gernot (2000): Krisenintervention bzw. Schulalter, einem neugebauten es eine Geschichte ist. Aber diese Ge- und Suizidverhütung, Wien: facultas Haus und vielen Schulden zurück. Ihre schichte bot ihnen den Halt, Herausforderungen betrafen zunächst den sie letztlich benötigten, im Alltag vor allem ihre Kinder und fi- um das Geschehen in ihrer nanzielle Schwierigkeiten. Bei Kindern Gedanken- und Glaubens- ist das Todeskonzept erst in Entwick- welt einordnen zu können. lung und Begriffe wie „nie wieder“ kön- Der Verstorbene begleitet nen in der Regel nicht oder kaum ein- sie in ihrem Leben und ist geordnet werden. Ihre Trauer kommt in da. Ein jährlicher Besuch in den Entwicklungsphasen zum Erwach- Kaprun gehört seit dem ers- senwerden immer wieder. Sie müssen ten Todestag zur fixen Pla- mit neuem Wissen und Verständnis nung des Jahres dazu. eingeordnet und anschließend in den Eine Frau hat ihren zukünf- Rucksack der Vergangenheit gebettet tigen Lebenspartner verlo- werden. Beim damals jüngeren Kind ren. Es war geplant, dass der war es wichtig, ungefähr 10 Jahre nach Verstorbene im Laufe des der Katastrophe, die Berichterstattung restlichen Novembers fertig des ORF am Tag des Unglücks bzw. am bei ihr einzieht. Die Woh- Tag danach zu besorgen. Durch das An- nung war bereits adaptiert sehen der Berichte von damals, konnte und die Adventzeit sollte Gedenkstätte in Kaprun er seine damaligen Erinnerungen kor- in der nun gemeinsamen Quelle: https://www.kitzsteinhorn.at/bilder/Diverses/Historisch/image- rekt auf einer Zeitschiene einordnen. Wohnung verbracht werden. thumb__655__gallery/GBK_Gedenkst%C3%A4tte_innen.webp [Abruf 26.10.2020] 15
Ehrenamt Ein halbes Königreich Andrea Peterwagner würde ich Kaufmännische Leitung und ehrenamtliche verschenken Mitarbeiterin Hospizbewegung Wels Ein halbes Königreich würde ich ver war so berührend, sowohl in ein ande- bringen lassen?“. Ich lachte mit ihr und schenken, wenn Sie heute Nacht bei mir res Leben als auch in ein anderes Zeit- versicherte, dass sie auch heute noch bleiben könnten … alter einzutauchen, denn Frau B. war die perfekte Gastgeberin sei. Am frü- So begann meine Geschichte mit Frau B. rund 48 Jahre älter als ich. Wie sagte hen Abend kam eine junge Ärztin zur sie? „Zu dieser Zeit schrieb das Leben Visite und legte Frau B. nahe, einer In- In meinem Praktikum auf der Palliativ- noch andere Geschichten!“ In diesem fusion zuzustimmen, da ihre Nahrungs- station lernte ich Frau B. kennen und Augenblick schenkte sie mir den Ein- und Flüssigkeitszufuhr nur mehr sehr schätzen. blick in ihre derzeitige Welt, in der die gering war. Frau B. unterbreitete der Eine Schwester der Palliativstation hatte Zeit schon begrenzt schien. Nichts Ärztin, dass sie eigentlich nichts mehr mich gebeten, doch einmal im Zimmer desto trotz verließ ich nach 3 Stunden, mochte, weil es für sie gut war so wie 205 vorbeizusehen, da diese Patientin mit dem Versprechen sofort wiederzu- es war, außer ich würde ihr noch die sehr gerne plauderte und jegliche Form kommen, das Zimmer, um etwas frische Zeit schenken und so lange an ihrem der Unterhaltung sehr willkommen Luft zu schnappen. Ich hatte gerade erst Bett verweilen, bis die Infusion zu Ende hieß. So machte ich mich auf den Weg das Schwesternzimmer erreicht, da läu- wäre. Wer könnte ihr diesen Wunsch zum Zimmer 205 und war etwas aufge- tete Frau B. schon wieder. Also machte schon abschlagen? Und so blieb ich an regt darüber, was mich erwarten würde. sich die Schwester auf den Weg zu ih- ihrer Seite und hielt noch immer ihre Auch Zweifel kamen in mir auf, ob ich rem Zimmer, um nur einen Augenblick rechte Hand. Da die Zeit bekannt- dieser Patientin die nötige Unterstüt- später mit der Nachricht zurückzu- lich nicht still steht, war es inzwischen zung und den Beistand geben könnte. kommen, dass Frau B. veranlasst hatte, schon später Abend und Frau B. schlief Ich öffnete sehr zaghaft die Tür und mir eine Jause bringen zu lassen, sowie immer wieder ein. Meine Hand ließ sie fand Frau B. halb liegend im Bett vor. auch etwas zu trinken. Sie würde es jedoch immer noch nicht los. Nach etli- Zwei hellwache Augen strahlten mich dann später bezahlen. Wir waren alle zu chen Anläufen verabschiedete ich mich zur Begrüßung an. Alle meine Beden- tiefst berührt von dieser Fürsorge. Nun schließlich um 23:00 Uhr von Frau B. ken verflogen, noch bevor ich mich machte ich mich auf den Weg zurück und versprach ihr, dass ich morgen wie- vorstellte. Auf meine Frage, ob ich mich zu Frau B. und kaum hatte ich erneut der da sei. Sie schlug die Augen auf und an ihr Bett setzen dürfte, antwortete sie neben ihr Platz genommen, wollte sie sagte: „Ein halbes Königreich würde ich mit vor Begeisterung glühenden Augen: wissen, ob ich auch gut versorgt wurde. verschenken, wenn Sie heute Nacht bei „Ich würde mich sehr freuen und wenn So verbrachten wir den ganzen Nach- mir bleiben könnten.“ Ich konnte die- Sie mir dabei auch noch meine rech- mittag zusammen, bis ihr plötzlich die se Nacht nicht bleiben, aber ich konnte te Hand massieren würden, wäre ich Idee kam: „Wollen wir uns einen Kaffee diese eine Nacht verkürzen. Ihnen sehr dankbar.“ So saß ich nun, massierte die rechte Hand und wurde als Dank bestens unterhalten. Wir hat- ten richtig Spaß, sodass die Schwester nach einer Stunde vorbeikam, weil sie Kehr in dich still zurück, ruh in dir selber aus, so fühlst du uns so herzlich lachen hörte. Frau B. höchstes Glück. Friedrich Rückert gab ihre Geschichten des Lebens mit allen Höhen und Tiefen wieder. Es 16
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