Ich bin bei dir - Die oberösterreichische Hospiz- und Palliativzeitung Ausgabe 2 / 2020 - Landesverband Hospiz OÖ

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Ich bin bei dir - Die oberösterreichische Hospiz- und Palliativzeitung Ausgabe 2 / 2020 - Landesverband Hospiz OÖ
Ausgabe 2 / 2020

Die oberösterreichische Hospiz- und Palliativzeitung

                          Ich bin bei dir
Ich bin bei dir - Die oberösterreichische Hospiz- und Palliativzeitung Ausgabe 2 / 2020 - Landesverband Hospiz OÖ
Inhalt
Sehr geehrte                                               Thema
Hospiz- und                                                5     Ich bin bei dir

Palliativ-                                                 Pflege
mitarbeiter*innen!                                         7
                                                           9
                                                                 Was bleibt?
                                                                 Meine Arbeit – ein Geschenk

Die letzten Monate haben uns allen viel abverlangt, im     Medizin
Privaten wie im Beruflichen. Wir erleben einen Wan-        11 Ich bin bei dir – wie kann es gelingen?
del unseres alltäglichen Lebens und werden auf uns
selbst zurückgeworfen. Wir entrümpeln unsere Dinge         Patient*innen
und überdenken unsere Werte. Somit berührt diese           13 „da ist ein Panzer von mir abgefallen …“
Pandemie unsere Grundfesten.
                                                           Ehrenamtliche
Umso wichtiger ist es, unsere hospizlichen Grundfesten     14 20 Jahre Kaprun – eine Erinnerung

zu bewahren und zu bestärken und sie auch tagtäglich       16 Ein halbes Königreich würde ich verschenken
im Umgang mit den Menschen zu leben. Es ist gerade
jetzt wichtig, mitmenschlich zu handeln, sich um die
                                                           Angehörige
                                                           18 Ich bin bei dir
Kranken und Sterbenden und ihre Familien zu küm-
mern und sich für sie einzusetzen. Jemanden in einer       20 Wenn gemeinsame Zeit zu etwas ganz
schwierigen Situation nicht alleine zu lassen, bekommt           Besonderem wird
in Zeiten der sozialen Isolation eine neue Bedeutung
und Dimension und ist eine besondere Qualität. Das
                                                           Weitere Sichtweisen
soll das Motto dieser Ausgabe „Ich bin bei dir“ unter-     22 „Ich bin bei dir“ –

streichen.                                                       eine spirituelle Sicht aus islamischer Perspektive
                                                           24 Mein virtuelles Beileid
Ich erlebe unsere Palliativarbeit unter erschwerten Be-
dingungen als persönliche Bereicherung und jedes Ge-       Aktuelles & Nützliches
spräch wirkt noch intensiver als sonst. So denke ich oft   3     Neues vom Landesverband
                                                           26    Literaturtipps
an Peter Fässler-Weibel, der uns die Maxime „in jeder
                                                           28    Neues aus den Regionen
Störung liegt eine Ressource“ mit auf den Weg gegeben
                                                           46    Kontakte Hospiz & Palliative Care OÖ
hat. Unter diesem Gesichtspunkt lässt es sich aushalten.

Ihnen wünsche ich ein gutes Durchhaltevermögen und
viele gute Begegnungen.

Mit bestem Dank für Ihr Tun,
                                                                Kontakt
                                                               Landesverband Hospiz OÖ
                                                               Büroleitung: Wolfgang Wöger & Andrea Peterwagner
                                 Dr.in Christina Grebe         Pfalzgasse 2, 4055 Pucking
           Vorsitzende des Landesverbandes Hospiz OÖ           Telefon: 0699 173 470 24; E-Mail: lvhospizooe@gmx.at
                                                               Bürozeiten Montag und Mittwoch: 8.30 - 15.30 Uhr

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Landesverband

Bitte um Ihre Unterstützung                                                                Web-Site
In der Finanzierung der Hospiz- und          Spendenkonto NEU: Sparkasse OÖ,               Landesverband
Palliativversorgung sind wir in Oberös-
terreich weiterhin sehr auf Ihre Spen-
                                             IBAN AT88 2032 0324 0203 1474
                                             Auch die Mitarbeit von Freiwilligen ist
                                                                                           Hospiz OÖ
den angewiesen. Dies betrifft sowohl         ein wichtiges Element in der Hospiz-          Auf http://www.hospiz-ooe.at fin-
den Landesverband selbst, als auch un-       und Palliative-Care-Versorgung. Enga-         den Sie ausführliche Informatio-
sere Mitgliedsvereine.                       gieren können Sie sich beispielsweise         nen zu den Themen Hospiz und
                                                                                           Palliative Care, dazu Adressen und
Mit Ihren finanziellen Beiträgen unter-      bei den Hospizvereinen, aber auch bei
                                                                                           Weiterbildungsangebote in Ober-
stützen Sie unsere Arbeit und setzen so      zahlreichen anderen Einrichtungen, de-
                                                                                           österreich und Informationen zu
Impulse, die Begleitung in der letzten       ren Kontakte Sie auf den letzten beiden       Projekten des Landesverbandes.
Lebensphase zu verbessern und Ak-            Seiten dieser Ausgabe finden.                 Wir freuen uns auf Ihren Besuch
zente in der Öffentlichkeitsarbeit zu        Bei Fragen wenden Sie sich jederzeit an       auch dort!
setzen.                                      uns: lvhospizooe@gmx.at

Porträt Angelika Schwarz
                                                                  Das aktuelle Thema des Heftes „Ich bin bei dir“ möchte ich
                                                                  gerne durch ein Material begleiten – Holz, das die Menschen
                                                                  schon von Urzeiten an begleitet und „bei uns ist“.
                                                                  Es hat unterschiedliche Qualitäten, hart, weich, biegsam, sprö-
                                                                  de, feucht und trocken, … es wärmt als Feuer und kühlt als
                                                                  Schatten.
                                                                  Wir finden es in unterschiedlichen Formen. Holz altert und
                                                                  verändert sich. Der gefällte Baum wird zum Material, er
                                                                  schenkt sich uns, so ist Holz eine Verbindung vom Tod zum
                                                                  Leben. Lassen Sie sich ein auf die Vielfalt des Holzes …
                                                                                                               Angelika Schwarz

  Dank & Impressum
  Vielen Dank allen Mitarbeiter*innen        fer, Lisa Buchegger, Claudia Glössl,      Spenden auf Grundlage des EStG.
  der regionalen Hospiz-Stützpunkte          Claudia Kargl, Elisabeth Neureiter,       Ihre Spende wird an die Mitglieder des
  und Palliativstationen für ihre Beiträge   Andrea Peterwagner, Gerald Prames-        Landesverbands Hospiz OÖ weiter-
  für Lebenswert. Fotos, wenn nicht an-      berger, Veronika Praxmarer, Angeli-       geleitet und dabei werden Name, Ad-
  ders angegeben, Angelika Schwarz.          ka Schwarz, Wolfgang Wöger, Karin         resse und Spendebetrag weitergegeben.
  Für den Inhalt verantwortlich:             Zwirzitz; Lektorat: Stefan Maringer,      Weitere Infos zum Datenschutz finden
  Dr.in Christina Grebe                      Ursula Leithinger.                        Sie hier: www.hospiz-ooe.at
  Pfalzgasse 2, 4055 Pucking                 Die Verarbeitung Ihrer Daten erfolgt      Wollen Sie Lebenswert abbestellen,
  Redaktionsteam: Anneliese Amerstor-        nur zu Verwaltungszwecken Ihrer           nehmen Sie bitte Kontakt mit uns auf!

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Ich bin bei dir - Die oberösterreichische Hospiz- und Palliativzeitung Ausgabe 2 / 2020 - Landesverband Hospiz OÖ
Ich bin bei dir - Die oberösterreichische Hospiz- und Palliativzeitung Ausgabe 2 / 2020 - Landesverband Hospiz OÖ
Thema

Ich bin bei dir
                                                                                                              Peter Haidinger
                                                                                                              10 Jahre ehrenamtlicher
                                                                                                              Krankenhausseelsorger auf
                                                                                                              der Palliativstation im
                                                                                                              Klinikum Wels-Grieskirchen

Als ehrenamtlicher Krankenhausseelsor­       Gespräch und ich erfuhr, dass sie sich      Bett und wir machten ein Foto von
ger habe ich gleich nach meiner Ausbil­      in Kroatien ein Haus gekauft hatten         uns. Ich druckte das Foto aus und gab
dung auf Anraten bzw. Drängen meines         und dieses gerade renovieren. Sie zeig-     es ihnen. Sie befestigten das Bild an der
Mentors hin, dem Leiter der Kranken­         ten mir Fotos von ihrem Lebenstraum         Pinnwand, wo bereits die Kroatienfotos
hausseelsorge am Klinikum, Herrn             – sie wollten nach der Pensionierung        hingen. Als ich mich verabschiedete, be-
Diakon Herbert Mitterlehner, auf der         von Herrn K. in ihr Haus nach Kroatien      dankte sich Herr K. bei mir und sagte:
Palliativstation begonnen. Ich war mir       ziehen.                                     „Sie tun mir so gut, ich habe schon lange
am Anfang sehr unsicher, ob ich dieser       Nach meinem ersten Besuch bat er            nicht mehr so gelacht.“
großen Aufgabe gewachsen bin. Herbert        mich, ihn wieder zu besuchen. Jedes         Herr K. verstarb einige Tage später. Sei-
hat mich sehr ermutigt, diesen Dienst an     Mal, wenn ich auf der Station war, ging     ne Frau sagte mir, er sei sehr friedlich
den unheilbar kranken und sterbenden         ich auch in das Zimmer von Herrn K.         eingeschlafen.
Menschen zu übernehmen. Ein Satz ist         Es waren immer sehr intensive Gesprä-       Ich bin bei dir
mir noch in sehr guter Erinnerung ge­        che über alles, was ihn bewegte. So re-
blieben: „Du kannst keine Fehler machen,                                                 Als ich Herrn Ö. das erste Mal auf der
                                             deten wir über viele Dinge und Fragen       Palliativstation besuchte, war er sehr
außer in ein Krankenzimmer nicht hin­        des Lebens. Er sprach auch über seinen
einzugehen. Sei einfach mit deinem Sein,                                                 kurz angebunden und meinte nur, es sei
                                             Glauben, seine Spiritualität und seine      noch nicht so weit, dass er einen Pfar-
so wie du bist, bei den Patienten und        unheilbare Krankheit.
Angehörigen.“ Diese Worte waren mir                                                      rer bräuchte. Ich erklärte ihm, dass ich
eine große Hilfe und haben mir meine         Als ich ihn einmal fragte, ob er Angst      kein Priester, sondern ein ehrenamtli-
anfänglichen Zweifel genommen.               vor dem Sterben habe, sagte er: „Vor        cher Seelsorger auf dieser Station sei. Er
                                             dem Sterben habe ich keine Angst,           meinte nur, er werde sich melden, wenn
Anhand von einigen Begegnungen mit           aber dass ich starke Schmerzen habe         er jemanden bräuchte. Wir wechselten
kranken Menschen und ihren Ange-             oder dass ich ersticke, davor habe ich      noch einige Worte und dann verab-
hörigen möchte ich aufzeigen, was für        Angst. Ich möchte aber noch länger          schiedete ich mich von ihm.
mich Seelsorge bedeutet hat und auch         leben, damit ich meinen Lebenstraum         Herr Ö. war zu diesem Zeitpunkt noch
heute noch bedeutet. Einfach bei dem         in Kroatien vollenden kann. Sie sind        mobil und ging täglich mehrmals auf
Menschen zu sein – „Ich bin bei dir“         so ein fröhlicher und positiver Mensch      die Terrasse oder in den Garten eine
                                             und die Gespräche mit Ihnen geben mir       Zigarette rauchen. Dadurch begegneten
Ich bin bei dir                              sehr viel Hoffnung. Es tut mir so gut,      wir uns des Öfteren am Gang, grüßten
Herr K. war fast 6 Wochen als Patient        wenn Sie bei mir zu Besuch sind.“ Das       uns und wechselten einige belanglose
auf der Palliativstation. Er war an Lun-     erste Mal sah ich ein Lächeln in seinem     Worte. Einmal fragte ich ihn, ob ich in
genkrebs erkrankt, hatte bereits sehr viel   Gesicht. Ich nahm meine Clownnase,          den Garten mitkommen könnte und
an Gewicht verloren und konnte nicht         die ich immer bei mir hatte, aus meiner     er meinte kurz angebunden: „Ja, aber
mehr aufstehen. Aufgrund seiner star-        Tasche und setzte sie auf meine Nase.       glauben Sie nicht, dass Sie mich aus-
ken Atemprobleme wurde er mit Sau-           Herr K. und auch seine Frau begannen        quetschen können.“ Weiters erklärte er
erstoff versorgt. Seine Frau war in dieser   so herzlich zu lachen, dass sie Tränen in   mir noch, dass er hier niemand hinein-
Zeit Tag und Nacht bei ihm und strick-       den Augen hatten. Herr K. fragte mich,      sehen lasse und klopfte sich dabei mit
te Socken, insgesamt 24 Stück, für uns       ob er die Nase auch aufsetzen könnte.       der Faust auf die Brust. Zuerst gingen
Mitarbeiter der Palliativstation.            Ich holte noch zwei Nasen und setzte        wir eine Weile im Garten spazieren und
Gleich bei meinem ersten Besuch ent-         diese den beiden auf. Frau K. und ich       setzten uns dann auf eine Bank. Ich
wickelte sich ein sehr gutes und langes      stellten uns rechts und links neben das     fragte ihn, woher er komme und ob er

                                                                                                                                 5
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Thema

denn keine Verwandten habe, da ihn nie      mer, ohne zu wissen, auf wen ich hier       Einige Tage später verstarb er an Bauch-
jemand besuchte. Da erzählte er mir sei-    treffen würde. Als ich ihn begrüßen         speicheldrüsenkrebs.
ne ganze Geschichte:                        wollte, sagte er: „Was machst denn
Herr Ö. erzählte, dass er vor 8 Jahren      du hier?“ Es war unser erstes Zusam-        „Ich bin bei dir“
von Ostdeutschland nach Südtirol ge-        mentreffen nach unserer beider Pen-         heißt für mich vorurteilsfrei auf die
zogen sei, um Arbeit zu finden. Da er       sionierung. Ich teilte ihm mit, dass ich    Menschen zuzugehen und sie nicht
keine Arbeit fand, übersiedelte er zu-      als ehrenamtlicher Seelsorger Teil des      gleich einer bestimmten Ecke zuzuord-
erst nach Innsbruck und später nach         Teams der Palliativstation sei. „Bist du    nen. Die eigene Lebensgeschichte prägt
Wels, wo er nun seit 5 Jahren wohnt         jetzt Pfarrer geworden?“, war seine erste   das Leben jedes Menschen und so auch
und arbeitet. Vor einem halben Jahr er-     Reaktion und wir mussten beide lachen.      sein Sterben. Daher war es für mich in
hielt er die Diagnose Lungenkrebs und       Es war übrigens das einzige Lachen, das     der Seelsorge für schwerkranke Men-
wurde mit einer Chemotherapie be-           ihm bei unseren Begegnungen über die        schen wichtig, mich auf die jeweilige
handelt. Da aber der Lungenkrebs sehr       Lippen kam.                                 Person einzulassen und die persönliche
schnell vorangeschritten ist, wurde die     Bei all unseren Treffen sprachen wir        Situation ernst zu nehmen. Es ist auch
Therapie abgebrochen und Herr Ö. auf        meistens nur über unsere gemeinsame         wichtig, ihre Bedürfnisse zu erkennen
die Palliativstation verlegt. Während       Vergangenheit. Wenn ich ihn zu seiner       und soweit es möglich ist, diese noch zu
des Gespräches, das beinahe 2 Stun-         unheilbaren Krankheit, zu seinem seeli-     erfüllen. Dazu bedarf es vor allem zuzu-
den dauerte, ging es auch um das The-       schen Befinden bzw. spirituelle Fragen      hören und hinzuhören. Wesentlich für
ma Schmerzen. Als ich ihn fragte, ob        stellte, blockte er sofort ab und wurde     mich war auch, schwierige Momente
er Schmerzen habe, meinte er, dass die      schweigsam. Aus dem einst so eloquen-       und Situationen auszuhalten und Hoff-
körperlichen Schmerzen zu ertragen          ten Manager war, durch die unheilbare       nung zu geben.
wären und es dagegen ja ausreichend         Krankheit, ein verbissener und mürri-
                                            scher Mann geworden.                        Das gesamte Team der Palliativstation
Medikamente gäbe, die er hier auf der
                                            Bei jedem meiner Besuche ersuchte           des Klinikums Wels hat mich dabei un-
Palliativstation bekommt. Nach eini-
                                            er mich, ihm eine Spritze zu besorgen       terstützt und liebevoll in ihre Gemein-
gen Minuten des Schweigens sagte er
                                            und ihm auf das Nachtkästchen zu le-        schaft aufgenommen. Dankbar und
zu mir: „Ich hatte vor meiner Krank-
                                            gen, damit er seinem unwürdigen Le-         reichlich beschenkt blicke ich auf die
heit viele Freunde, mit denen ich oft
                                            ben ein Ende setzen könne. Obwohl           Jahre der ehrenamtlichen und seelsorg-
im Wirtshaus saß und Bier getrunken
                                            ich ihm immer wieder erklärte, dass         lichen Begleitungen von schwerkranken
habe. Von denen hat mich noch kei-
                                            dies aus rechtlichen Gründen und auch       Menschen und deren Angehörigen zu-
ner besucht oder angerufen, seit ich so
                                            aufgrund meiner religiösen Überzeu-         rück.
schwer erkrankt bin. Besucht hat mich
nur meine Wohnungsnachbarin, die            gung unmöglich sei, wollte er dies nicht
sich, seit ich im Krankenhaus bin, um       wahrhaben. Ich teilte ihm auch immer
meine Wohnung umschaut. Wissen              mit, dass durch die palliative Versorgung
Sie, das ist der eigentliche Schmerz, ge-   und die medizinischen Möglichkeiten
gen den es keine Tabletten oder sons-       ein würdevolles Sterben ohne Schmer-
tigen Medikamente gibt.“ Zwei Wo-           zen möglich sei. Aber davon wollte er
chen nach diesem Gespräch ist Herr          nichts wissen.
Ö. auf der Palliativstation verstorben.     Sein Gesundheitszustand verschlech-
                                            terte sich massiv, er zog sich innerlich
Ich bin bei dir                             zurück und sprach kaum noch mit je-
Herr D. war ein erfolgreicher Ge-           mandem. Bei meinem letzten Besuch
schäftsführer eines großen IT-Unter-        lag er im Bett, mit dem Rücken zur
nehmens, den ich aus meiner früheren        Tür und fast ganz zugedeckt. Ich be-
beruflichen Tätigkeit kannte, da wir des    grüßte ihn und ergriff sanft seine rechte
Öfteren zusammengearbeitet hatten.          Hand, die aus der Decke herausragte.
Außerdem hatten wir auch Kontakt            Er drückte fest meine Hand, sagte aber
durch eine private Tarockrunde. Er war      kein Wort. So saß ich lange bei ihm. Im-
ein sehr selbstbewusster und zielstrebi-    mer, wenn ich meine Hand lösen wollte,
ger Manager, der noch nie die Kontrolle     drückte er zusammen. Nach fast einer
über sich verloren hatte.                   Stunde ließ er meine Hand los. Ich legte
Mein erster Patientenbesuch auf der         meine Hand auf seine Schulter, segnete
Station führte mich in das erste Zim-       ihn im Stillen und verabschiedete mich.

6
Ich bin bei dir - Die oberösterreichische Hospiz- und Palliativzeitung Ausgabe 2 / 2020 - Landesverband Hospiz OÖ
Pflege

Was bleibt?
                                                                                                               DGKP Margret Krebelder
                                                                                                               Leitung des
                                                                                                               St. Barbara Hospiz

Mein runder Geburtstag und die bevor­        einen eigenen Ort dafür geben würde,        ich mit am Weg war, mit denen ich im
stehende Beendigung meiner berufli­          habe ich damals nicht einmal zu den-        selben Strom geschwommen bin, die
                                             ken gewagt – geschweige denn, dass ich      manchmal bestärkend in meiner Arbeit
chen Tätigkeit als Hospizleitung waren
                                             einmal in Verantwortung für so eine         waren und manchmal auch Mahner
Anlass, mehr als sonst üblich über mein      Einheit stehen würde. Wann genau bei        oder gar Korrektiv. Dankbarkeit für all
Leben nachzudenken, und diese beiden         mir ein Umdenken stattgefunden hat,         die Schüler und Praktikanten, die mich
Tatsachen wecken sehr unterschiedliche       dass das alles vielleicht doch nicht ganz   über die neuesten Erkenntnisse in der
Gefühle in mir. Über 40 Jahre lang habe      „normal“ ist und vielleicht doch der Be-    Pflege informiert haben und denen ich
                                             treffende der Fachmann dafür ist, was       umgekehrt etwas von meiner Erfah-
ich als Krankenschwester arbeiten dür­       er braucht und was nicht und vor allem      rung weitergeben konnte. Dankbarkeit
fen, mehr als 15 Jahre davon als Pallia­     was er möchte und was nicht, kann ich       für Möglichkeiten, die ich bekommen
tivschwester. Es ist immer noch einer der    im Nachhinein nicht mehr sagen; es ist      habe, zweimal etwas mitaufzubauen,
wenigen Berufe, den ich mir für mein         sicher wie so Vieles im Leben ein lang-     einmal die Palliativstation am Kran-
                                             sames und stetiges Wachstum.                kenhaus Elisabethinen und einmal das
Leben vorstellen kann und es ist immer
                                                                                         St. Barbara Hospiz. David Steindl Rast
noch der Beruf, den ich von ganzem Her­                                                  sagt: „Es ist nicht das Glück, das uns
                                             Was bleibt also nun?
zen gern mache. Ich habe in den 40 Jah­                                                  dankbar macht. Es ist die Dankbarkeit,
                                             Einmal ist da ein großes Gefühl der         die uns glücklich macht!“ Und wie recht
ren einen Wandel in der Pflege miterlebt,
                                             Dankbarkeit, das alle anderen Gefüh-        er damit doch hat.
der unglaublich ist, ausgelöst unter ande­   le bei weitem überwiegt: Dankbarkeit
rem durch den Wandel in der Medizin.                                                     Es gibt da aber auch ein Gefühl von
                                             für all die Vorarbeit, die in diesem Be-
                                                                                         Wehmut in mir. Wehmut, dass das jetzt
                                             reich schon geleistet wurde, auf diesem
Anfangs haben wir als Pflegende noch                                                     schon alles gewesen sein soll, dass ich
                                             Fundament können wir weiter auf-
die Spritzen und Kanülen ausgewa-                                                        das alles jetzt hinter mir lassen soll, auch
                                             bauen und weiterarbeiten. Das wurde
schen und sterilisiert und bettlägerige                                                  wenn durchaus recht gute Aussichten
                                             mir in den letzten Wochen besonders
Patienten wurden wegen eines fehlen-                                                     bestehen, die Zeit mit anderen mir auch
                                             bewusst, weil ich eine der Pionierin-
den Lifts über die Stiege getragen, um                                                   sehr wertvollen Dingen füllen zu kön-
                                             nen der Palliativ- und Hospizarbeit,
zu den nötigen Untersuchungen ge-                                                        nen; und ich habe sogar schon Ideen,
                                             Sr. Annemarie Gamsjäger, mehrmals
fahren zu werden. Das kann man sich                                                      welche Dinge das sein könnten. Aber
                                             getroffen habe und wir uns auch dar-
heute gar nicht mehr vorstellen. Ärzte                                                   es ist nur natürlich, dass dieser Abschied
                                             über ausgetauscht haben. Dankbarkeit
als Götter in Weiß haben gewusst, was                                                    auch schmerzt.
                                             für all die Patienten, die mir in meinem
zu tun ist und auch wir Pflegende waren      Leben begegnet sind. Ich werde nicht        In mir gibt es auch das Gefühl der De-
Fachleute im Wissen, was der Einzelne        müde, ihre Lebensgeschichten zu hö-         mut. Ich habe oft schon miterleben
braucht, ohne jemals den Betroffenen         ren, die manchmal so unglaublich sind       müssen, dass es Dinge gibt, die wir nicht
selbst gefragt zu haben, ob er denn das      und so bunt wie die Menschen selbst;        in Händen haben, wo wir uns jemand
auch möchte oder nicht; und das habe         und viele von ihnen werden mich mein        oder etwas Größerem hingeben müs-
ich als ganz „normal“ empfunden.             Leben lang begleiten und sind mir in        sen. Ich habe mich in meiner Arbeit
Auch das Sterben hat sich in ganz an-        vielem Wegweiser geworden – auch für        stets geführt und unterstützt gewusst
derer Weise abgespielt, als das heute        mein Leben. Dankbarkeit für die vielen      und mich immer als Werkzeug verstan-
der Fall ist; und dass es einmal sogar       Kolleginnen und Kollegen, mit denen         den; und ich erlebe es als unglaublich

                                                                                                                                   7
Ich bin bei dir - Die oberösterreichische Hospiz- und Palliativzeitung Ausgabe 2 / 2020 - Landesverband Hospiz OÖ
Pflege

bereichernd, ein Zahnrad in der Pallia-
tiv- und Hospizarbeit gewesen zu sein,
etwas zur Weiterentwicklung beigetra-
gen zu haben.
Ich empfinde aber auch ein Gefühl der
Erleichterung; dieses große und schöne       Ich bin bei dir
Projekt in gute Hände übergeben zu
können, in dem Wissen, dass es gut wei-
tergehen wird, wenn auch etwas anders;       Ich bin bei dir mit meiner Wertschätzung für dich,
Verantwortung abgeben zu können, um
damit Zeit und Raum für andere Dinge         begegne dir mit meiner Liebe, die dich nicht einengen will.
zu gewinnen.                                 Denke an die Zeit, die wir gemeinsam verbracht haben.
Und es weckt das Gefühl der Neugierde
                                             Ich möchte dir so viel noch schenken, noch bist du da.
in mir: Neugierde auf das, was das Le-
ben noch für mich an Überraschungen
bereithält, dass ich vielleicht noch ande-
re Seiten im Leben kennenlernen darf,        Ich bin bei dir mit einem Lächeln,
dass ich noch mehr Zeit für Dinge habe,      auch wenn Tränen in mir sind, weil ich dich so sehr liebe.
die mir auch wichtig sind.
                                             Ich spreche dir Mut zu und will dir das Gefühl geben,
Was bleibt?                                  geborgen zu sein.
Der Glaube daran, dass alles im Leben
seinen Sinn hat, auch wenn wir ihn oft
nicht gleich erkennen können und dass        Ich bin bei dir und liebend für dich da.
wir Menschen nie rein zufällig an einen      In mir ist so viel Dankbarkeit für alles, was du für mich getan hast.
Ort gestellt werden, sondern dass wir da
eine Aufgabe zu erfüllen haben.              Ich begleite dich auf deinem letzten Weg.
Die Hoffnung, dass die Entwicklung im        Du bist nicht allein.
Gesundheitsbereich nicht rückschritt-
lich wird, dass die zunehmende Spezi-
alisierung nicht dazu beiträgt, nur mehr     Ich bin bei dir mit Dank im Herzen
das entsprechende Organ zu sehen und
nicht mehr den Menschen dahinter;            und Hochachtung vor deiner Güte, Wärme und Liebe.
und dass nicht weiter Gesundheitsöko-
                                             Du warst für viele Menschen da, hast nicht auf die Zeit gesehen.
nomen bestimmen, wieviel Zeit wir für
einzelne Tätigkeiten brauchen dürfen.        Du warst immer für mich da, lebst noch immer im Jetzt!
Die Liebe, denn sie ist das Fundament
unseres Menschseins; sie ist die Trieb-
feder für Vieles, auch für alles Bemü-       Ich bin bei dir und freue mich, dass ich dich kennen darf.
hen zur positiven Veränderung und sie        Ich reiche dir meine Hand, und wenn du gehen möchtest,
ist das Wichtigste in unser aller Leben
überhaupt. Dietrich Bonhoeffer sagt:         lasse ich dich sanft los und lasse dich gehen.
„Da wo Liebe ist, ist das Leben erfüllt.“
                                             Auch dann, wenn es mir sehr schwerfällt.
In diesem Sinne bedanke ich mich für
die vielen wertvollen Begegnungen mit
Ihnen/Euch, für die gute Zusammenar-                                                          Elisabeth Neureiter
beit und freue mich, wenn ich viele von
Ihnen/Euch in einem anderen Kontext
wiedersehe, wir uns über „alte Zeiten“
austauschen und einen Kaffee gemein-
sam trinken.

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Ich bin bei dir - Die oberösterreichische Hospiz- und Palliativzeitung Ausgabe 2 / 2020 - Landesverband Hospiz OÖ
Pflege

Meine Arbeit –
ein Geschenk
                                                                                                              DGKP Sandra Metzbauer
                                                                                                              Palliativstation Steyr

Beginnen möchte ich mit einem Zitat aus     gekraft allein ist und dann deren An-        Team zweifelten anfangs jedoch, ob sie
dem Lehrbuch der Palliativpflege: „Der      gehörige neben den anderen Patienten         es schaffen könnte, haben sie jedoch
Tod ist uns allgegenwärtig und doch selt­   betreuen muss.                               gut in allen Bereichen unterstützt. Der
sam fremd, er wird medial inszeniert        Stimmt, es ist nicht leicht, plötzliche      VUPS (Verein zur Unterstützung der
und peinlich gemieden. Vermutlich haben     palliative Notfälle, wie zum Beispiel        Palliativstation am Klinikum Steyr) un-
in der Menschheitsgeschichte noch nie so    akute Blutungen, mitzuerleben und            terstützte die Patientin, indem sie ein
viele Menschen so viele Tote und Todes­     auszuhalten.                                 schönes Zimmer bekam, mit Blick auf
arten gesehen und dennoch gleichzeitig                                                   das Meer, da wir vermuteten, dass sie
persönlich so wenig Berührung mit Ster­     Stimmt, aber warum mache ich                 durch die Schmerzen viel Zeit in ihrem
benden oder einem Leichnam gehabt.“         diesen Beruf so gerne?                       Bett verbringen müsste. Sie selbst hätte
                                            Ich arbeite seit fast 10 Jahren auf der      sich nur ein kleines Zimmer ohne Fens-
Was arbeitest du?                           Palliativstation. Das Gefühl, hilflos zu     ter leisten können.
Diese Frage stellen neue Bekannte häu-      sein, kommt natürlich auch vor. Aber         Ein paar Wochen nach ihrer Entlassung
fig. Nach meiner Antwort „auf einer         dies prägt nicht meinen Arbeitsalltag.       rief sie aus Rom an, wo die Schiffsreise
Palliativstation“ folgt meistens Stille     Ich könnte meinen Arbeitstag so be-          endete, und erzählte uns, wie schön es
und dann: „Ich könnte das nicht ma-         schreiben: Es ist ein Geschenk, dass ich     war. Es war für mich ein Wunder, dass
chen!“ Warum entstehen solche Situa-        tolle Menschen kennenlernen darf, die        sie es geschafft hatte. Sie war so stolz,
tionen? Ist es wirklich so schwierig, auf   mir innerhalb kurzer Zeit ihre Lebens-       keinen Schiffsarzt benötigt zu haben –
einer Palliativstation zu arbeiten?         geschichten anvertrauen. Diese Per-          ihre Tochter schon, da diese seekrank
Stimmt, es ist nicht leicht, wenn eine      sonen darf ich als Pflegeperson einen        wurde. Sie besuchte uns noch auf der
junge Familie den Vater verliert. Es ist    gewissen Lebensabschnitt begleiten.          Station und zeigte begeistert Urlaubs-
kräftezehrend, weinende Kinder, Ehe-        Häufig gehen Patienten fast beschwer-        fotos. Kurz nach ihrem Urlaub ist sie
frauen und Eltern, die ihr erwachsenes      defrei nach Hause, sie empfinden wie-        friedlich verstorben. Von dieser Pati-
Kind verlieren, zu sehen, wissend, dass     der Lebensqualität und dürfen die kur-       entin habe ich gelernt, es ist sehr vieles
Worte jetzt fehl am Platz sind und man      ze verbleibende Zeit zuhause bei ihren       möglich, man muss es nur wollen. Und
einfach nur da sein soll.                   Familien verbringen.                         natürlich gehört eine große Portion
Stimmt, es ist nicht leicht, wenn ein Pa-   Ich habe hier auf der Palliativstation ge-   Mut dazu.
tient Total Pain hat, schreit vor Schmer-   lernt, es gibt nichts Unmögliches. Dazu      Ein lieber bettlägeriger Patient wünsch-
zen und man machtlos neben diesem           möchte ich zwei Beispiele nennen.            te sich, bei der Hochzeit seines Sohnes
Patienten sitzt und ihm diese Schmer-       Eine Patientin kam zur Aufnahme. Sie         dabei zu sein. Da wir eine große Ter-
zen trotz sehr guter Schmerzmedika-         war von ihrer Krankheit sehr gezeich-        rasse haben, konnte die Zeremonie, bei
tion nicht nehmen kann, da es nicht         net, stark abgemagert und geschwächt,        strahlendem Sonnenschein auf unserer
„nur“ der körperliche Schmerz ist, son-     konnte kaum das Bett verlassen. Beim         Station stattfinden. Die Überraschung,
dern auch der Schmerz des Loslassen-        Aufnahmegespräch erzählte sie uns,           dass er der Trauzeuge seines Sohnes
Müssens von geliebten Personen und          ihr größter Wunsch sei es, eine Schiffs-     sein durfte, machte ihn sprachlos. Raus
Gewohnheiten.                               kreuzfahrt zu machen. Sie hatte die          aus dem Nachthemd, rein ins festliche
Stimmt, es ist nicht leicht, wenn in der    Reise schon gebucht. Eine Motivation         Trachtengewand. Es war sehr rührend
Nacht jemand verstirbt, manchmal sind       in Form eines Miniaturkreuzfahrtschif-       zu sehen, wie glücklich er und sein Sohn
es auch zwei Menschen, man als Pfle-        fes stand auf ihrem Nachttisch. Wir als      waren. Wir waren überrascht über die

                                                                                                                                 9
Ich bin bei dir - Die oberösterreichische Hospiz- und Palliativzeitung Ausgabe 2 / 2020 - Landesverband Hospiz OÖ
Pflege

Kräfte, die er für dieses Ereignis mobi-   dem Team bringt Leichtigkeit und Un-                fühl, dass die Seele weiterziehen darf.
lisiert hatte.                             bekümmertheit in den Arbeitsalltag.                 Nach diesem Ritual zünde ich bewusst,
Auch wenn es nicht immer leicht ist, auf   „Das Lächeln ist nicht zu kaufen, zu lei-           in Gedanken an den Patienten, eine
so einer besonderen Station zu arbeiten,   hen oder zu stehlen. Seinen Wert erhält es          Kerze für ihn an.
es gibt immer Menschen, die einen auf-     dadurch, dass man es verschenkt. Mancher            Ich gehe nach jedem Dienst bewusst
fangen. Auf meiner Station dürfen Trä-     Mensch ist zu müde um dir ein Lächeln zu            weg von der Station, ich ziehe mir mei-
nen fließen, wenn ein Patient verstirbt.   schenken. Schenke du ihm ein Lächeln von            ne Arbeitskleidung bewusst aus, beim
Oder man nimmt sich Zeit für ein kur-      dir. Denn es hat niemand ein Lächeln so             Rausgehen atme ich bewusst einmal tief
zes Gespräch mit Kollegen, um gewisse      sehr nötig wie der, der kein Lächeln mehr           ein und aus. Dieses Ritual hilft mir, von
Situationen nochmal zu hinterfragen.       geben kann. Ein Lächeln kostet nichts, aber         DGKP Sandra wieder die Privatperson
Geben und nehmen, das ist bei uns auf      es gibt so viel. Es bereichert die, die es erhal-   Sandra zu werden.
der Palliativstation im Klinikum Steyr     ten, ohne diejenigen ärmer zu machen, die           Zuhause angekommen, verbringe ich
unter uns Kollegen (Ärzte, Pflege, So-     es geben. Niemand ist so reich oder mächtig,        gern meine Zeit in der Natur, mit den
zialarbeit, Physiotherapeuten, Psycho-     dass er ohne es auskommt, und niemand ist           Kindern, Mann und Hund. Ich wande-
logen, Seelsorge, Ehrenamtliche und        so arm, dass er es nicht leisten könnte. Ein        re gern, fahre mit dem Rad und genieße
Abteilungshelfer) sehr ausgeglichen.       Lächeln erzeugt Fröhlichkeit, heitere Ge-           das Leben mit Kaffee, Süßspeisen und
Braucht jemand Hilfe, Entlastung oder      lassenheit.“                                        lieben Menschen. Damit führe ich eine
einfach nur 5 Minuten Pause, kann ich                  (Aus dem Buch Palliative Care)          gewisse Selbstpflege durch. Dies ist sehr
mich auf mein tolles interdisziplinäres    Gewisse Rituale während und nach                    wichtig, um lange im palliativen Setting
Team verlassen.                            dem Dienst sind mir sehr wichtig. Mit               arbeiten zu können.
Auch wenn Schicksale der einzelnen         diesen Ritualen schaffe ich es, wieder in           Genau das sind meine Kraftquellen.
Patienten mit großer Traurigkeit und       meiner Mitte zu sein.                               Ich genieße mein Leben. Somit kann
großem Leid behaftet sind, das Lachen      Ist ein Patient bei mir verstorben, öffne           ich mich wohlfühlen, im Privat- und
mit Patienten, Angehörigen und mit         ich die Fenster. Dies gibt mir das Ge-              Arbeitsalltag. Ich bin dankbar, so ein
                                                                                               liebes Team, tolle Familie und Freunde
                                                                                               an meiner Seite zu haben, die mir Kraft
                                                                                               und Hoffnungen geben, wenn doch mal
                                                                                               Zweifel aufkommen sollten, oder die
                                                                                               Anforderungen und Belastungen im
                                                                                               Beruf nicht mehr mit meinen Bedürf-
                                                                                               nissen im Gleichgewicht sind.
                                                                                               Und genau mit diesen Kraftquellen und
                                                                                               Ritualen schaffe ich es, mit einem guten
                                                                                               Gefühl in die Arbeit zu gehen und mei-
                                                                                               ne Arbeit mit einer gewissen Leichtig-
                                                                                               keit – und meist mit einem Lächeln im
                                                                                               Gesicht – zu meistern.
                                                                                               Einen Spruch möchte ich Ihnen noch
                                                                                               mitgeben:
                                                                                               „Nicht warten bis dass die beste Zeit kommt,
                                                                                               sondern die jetzige zur besten machen.“
                                                                                                                        (Monika Minder)

                                                                                               Literatur
                                                                                               Zitat: Der Tod ist uns allgegenwärtig …
                                                                                               Lehrbuch der Palliativpflege 3, überarbeitete
                                                                                               Auflage, 2012, Nagele S., Feichtner A.; Wien,
                                                                                               Facultas Verlags- und Buchhandels AG, S. 14
                                                                                               Zitat: Das Lächeln ist nicht zu kaufen …
                                                                                               Palliative Care. Handbuch für Pflege & Be-
                                                                                               gleitung, 2. Auflage. 2007, Kränzle S., Seeger
                                                                                               C. Schmid U.; Heidelberg, Springer Medizin
                                                                                               Verlag

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Medizin

Ich bin bei dir –
wie kann                                                                                                    OA Dr. Franz Reiner
                                                                                                            Langjähriger Leiter
es gelingen?                                                                                                der Palliativstation
                                                                                                            am Klinikum
                                                                                                            Salzkammergut-
                                                                                                            Vöcklabruck

Ich bin bei dir                            tionen liefern, z.B. länger fernsehen. Sie   Arzt/ die Ärztin sich meines individu-
„Danke für das Begleiten in dieser         signalisiert mir damit: Ich bin bei dir!     ellen Falles annimmt und mich spüren
schwierigen Zeit.“                         Solche Erlebnisse erzeugen Zuversicht        lässt: Er/Sie sieht neben der Sympto-
„Wo bleibt die Visite? Ich möchte mit      und lassen die Geduld wachsen, auch          matik der Erkrankung auch mich als
einem Arzt reden.“                         „kranke Tage“ zu überstehen.                 Person, nimmt mich wahr mit meiner
So oder ähnlich habe ich es in den letz-   Hilfreich in dieser Zeit erschien mir        Scham und meinen Ressourcen.
ten Jahren oft gehört. Dabei drängt sich   auch neben dem Wissen, dass da je-           Neben der ärztlichen Betreuung brau-
die Frage auf: Was lässt es oft gelin-     mand für mich da ist, die Struktur, die      che ich aber jene mitmenschliche, fami-
gen und was sind die Ursachen für das      mir den Tag leichter durchzustehen           liäre und freundschaftliche Beziehung
Scheitern unserer Arzt-Patient-Bezie-      half: Essen, Schlafenszeit, Medikamen-       und wenn notwendig auch pflegerische
hung?                                      teneinnahme etc.                             Fachlichkeit. Dasselbe gilt für alle The-
Dafür gibt es wohl viele Antwortmög-       Meine Enkelkinder lernen mir heute           rapeutinnen und Therapeuten.
lichkeiten. Eine liegt im Erleben des      bei allen Begegnungen, wie selbstver-
                                                                                        Ich als Arzt
„Ich bin bei dir.“                         ständlich das Leben ist. Sie führen mir
                                           auch vor Augen, wie sie bei Schwierig-       Ich bin bei dir. Wie soll das funktio-
Von Seiten der Patientinnen und Pati-
                                           keiten und Krankheit Hilfe suchen und        nieren? In Österreich haben wir 5,3
enten ebenso wie von Seiten der Ärz-
                                           bei wem. Was Vertrauen wachsen lässt.        Ärzte auf 1000 Einwohner. (Kuba hat
tinnen und Ärzte.
                                           Was ich bei Salutogenese kennenge-           8,6, Malawi hat 0,02/1000 EW) d.h.
Ich als Patient                            lernt habe, finde ich oft und oft auch       1 Arzt auf 200 Personen. Das wäre ja
Mit meinem hereinbrechenden De-            im privaten Umfeld bestätigt. Wir sind       gut vorstellbar, da von den 200 Personen
fizitgefühl – ob bei Schnupfen, Hus-       unterschiedlich begabt mit unserem           nur wenige krank sind. Aber die Wirk-
ten, Schmerzen, Mattigkeit oder allem      Koheränzgefühl (Gefühl des Vertrauens        lichkeit sieht nicht nur in der Corona-
gleichzeitig – fühle ich mich schwach      zu sich und zur Umwelt) und wir sind         zeit anders aus. Die Praktischen Ärzte
und werde oft hilfsbedürftig. Erst         sehr abhängig von der Begegnung mit          mit Kassenordinationen sind zu wenig,
recht bei fürchterlichen Erkrankungen.     unseren Nächsten. Diese stärken oder         ebenso haben wir einen Ärztemangel in
Schockiert? Meist werden wir ruhiger,      beschämen uns. Gerade in Krisenzeiten        anderen Fächern wie Psychiatrie, Nuk-
manchmal auch unruhiger, je nach Per-      wie bei Erkrankungen macht sich das          learmedizin oder Radioonkologie und
sönlichkeit und Situation. Wir ziehen      bemerkbar.                                   etlichen anderen. Wie soll da der An-
uns zurück und andere meiden uns, und      Für Patienten ist die Möglichkeit zur        spruch: Ich bin bei dir! halten?
wir sie.                                   Unterstützung meist hilfreich und            Neben dem Strukturieren des Ange-
Ich erinnere mich an meine Kindheit.       angstlösend. Die meisten von ihnen           botes gilt es im medizinischen Alltag
Wie gut war es zu wissen, die Mutter       halten aber auch sehr gut Zeiten des         dies selbst auch zu leben! Hier sind wir
ist im Haus. Man hört sie das und jenes    Alleinseins aus. Oft trauen wir dies aus     Ärzte mit unserer Persönlichkeit und
tun, weiß: Sie ist da! Wie gut ist es zu   unserer Sicht den Einzelnen nicht zu.        Struktur gefragt.
erfahren, sie stellt mir Tee und Biskot-   Individuelles Anpassen ist gefragt.          Bei Begegnungen präsent sein und sich
ten hin, kommt dann und wann und           Meine Erfahrung als Patient im Er-           Zeit für den Dialog nehmen.
kühlt mich, macht die Wäsche neu und       wachsenenalter ist irgendwie ähnlich.        Es gibt Untersuchungen, dass wir Ärz-
hat Mittel für die Genesung. Oft darf      Da ist das Bedürfnis nach Erklärungen        te die Patientinnen und Patienten bei
ich auch – sonst nicht so gerne gesehene   meines Zustandes, so dass ich es verste-     Visitengesprächen sehr schnell un-
– aber in dieser Situation machbare Ak-    hen kann. Also ein Bedürfnis, dass der       terbrechen, weil wir weiterkommen

                                                                                                                              11
Medizin

wollen. Ebenso wurde aber auch fest-          Glück auch für jene, die es schaffen, sich   der jeweiligen Person und seiner mo-
gestellt, dass wir beim Patienten durch       im Team eingebunden zu wissen und            mentanen Situation, sowie die Mög-
Zuhören und Präsenz das Gefühl er-            Zeit und Raum für die Arzt – Patient-        lichkeit, die Nächsten miteinzuschlie-
zeugen, viel Zeit zu haben. Wir neigen        Beziehung gestalten zu können.               ßen, ein Vertrauensverhältnis entwickelt
leider mitunter dazu, bei jemandem            Durch das Signalisieren von bleiben-         hat, welches durch das kollegiale in-
zu sein und schon an den nächsten zu          dem Interesse (kann auch durch das           terdisziplinäre und interprofessionelle
denken. Da stimmt es nicht mehr: Ich          Team gemacht werden) für die Zeit            Miteinander – für Patient und Angehö-
bin bei dir!                                  während bzw. nach der Behandlung             rige sichtbar – vom „Ich bin bei dir!“ zu
Bei der Übermittlung von schlechten           entsteht Vertrauen und wird das Gefühl       einem „Wir sind bei dir!“ wurde.
Nachrichten kennen wir die Psycho-            verstärkt: Sie/Er ist da für mich!           Vielleicht wächst daraus ein „Danke
dynamik bei den Patientinnen und                                                           für das Begleiten in dieser schwierigen
                                              Gerade in palliativen Situationen, also
Patienten. Es braucht eine klare, ver-                                                     Zeit“.
                                              bei Behandlungen mit unheilbaren Er-
ständliche Sprache. Eine entsprechende                                                     Der Erfolgsfaktor unserer Arbeit. Ich
                                              krankungen, ist die Hoffnung auf ein
Umgebung. Und oft ein mehrfaches                                                           freue mich, in diesem Gesundheitssys-
                                              gutes Leben tragend. Uns Ärzten wird
Reden und Einbeziehen der Nächsten.                                                        tem gearbeitet zu haben.
                                              manchmal vorgeworfen, dies durch un-
Dies gestaltet sich gerade jetzt mit den
                                              sere Botschaft der Erkrankung brutal
eingeschränkten Besuchsmöglichkeiten
                                              zu brechen. Der Überbringer schlech-
aufwendig. Trotzdem ist es ein Gebot in                                                    Büchertipps
                                              ter Nachrichten ist kein strahlender
dieser Krisenzeit für die Patienten. Es                                                    Salutogenese: Wie Gesundheit entsteht,
                                              Held. Das Wahrnehmen der Patientin/
signalisiert unser ärztliches und behan-                                                   Schatzsuche statt Fehlerfahndung, Eckhard
                                              des Patienten und der Dialog mit der         Schiffer
delndes „Ich bin bei dir!“
                                              Kenntnis um die Psychodynamik in der
Es ist gut zu wissen, dieses fachliche                                                     Scham: Scham, die tabuisierte Emotion, Ste-
                                              jeweiligen Situation, lässt das Gefühl
Du kontaktieren zu können. Viele Kol-                                                      phan Marks
                                              aufleben: Ich bin bei dir.
leginnen und Kollegen erzählten mir,                                                       Überbringen schlechter Nachrichten: Über
dass die Weitergabe von privaten Tele-        Auf der Palliativstation und im Pallia-      den Schatten springen, vom Entwirren einer
fonnummern für den Krisenfall meist           tiv-Konsildienst habe ich oft erfahren       Krankheit durch Begegnung, Peter Fässler-
nicht ausgenützt wird. Es ist gut, um         dürfen, dass sich durch das Interesse an     Weibel, Arno Gaiger
eine Kummernummer zu wissen. Das
Mobile Palliativteam, rund um die Uhr
besetzt, ist eine solche für palliative Si-
tuationen.
Natürlich kann das auch ausgenutzt
werden. Es hängt von Personen und
Situationen ab. Durch unsere heutigen
Möglichkeiten wie Handy etc. ist eine
permanente Störung möglich. Hier gilt
es zu strukturieren.
Gerade im Hospiz- und Palliativbereich
gibt es eine gute und schon sehr weit
ausgebaute Struktur für eine Versorgung
in palliativen Situationen. Auch andere
Strukturen können genützt werden, wie
z.B. bei Krebserkrankungen die Zentren
und Ambulanzen sowie Einrichtungen
wie Krebshilfe und Selbsthilfegruppen.
Dies gibt es auch für manche speziellen
psychischen und physischen Erkran-
kungen. Wir Ärztinnen und Ärzte kön-
nen dies nützen. Wir sollen und dürfen
diese auch mit weiter entwickeln.
Glücklich, der oder die, die es schaffen,
präsent, neugierig und aufmerksam zu
bleiben.

12
Patient*innen

„da ist ein Panzer von
mir abgefallen …“
                                                                                                                   Anonym
                                                                                                                   Klientin von
                                                                                                                   ARCUS Sozialnetzwerk
                                                                                                                   oberes Mühlviertel

Im Interview erzählt die Klientin K.            ein Wohnen zu Hause ermöglichten,              arbeiten zu fahren, als die Kinder etwas
über das Dasein und die Wirkung des             konnte ich da auch reden. Bei jedem            größer waren. Da habe ich ein Stück
aufmerksamen Zuhörens auf das Wohl­             Hausbesuch konnte ich ein Stück re-            Freiheit gespürt. Ich habe viele Schick-
befinden, auf die Lebenseinstellung und         den, ein wenig von mir, meinen Sorgen          salsschläge gemeistert und habe immer
auf die Sichtweise der eigenen Biografie.       und meiner Lebensgeschichte erzählen.          viel gearbeitet. Meine Mutter war sehr
                                                Die Pflegenden hörten achtsam zu, be-          wichtig für mich, ohne sie hätte ich
Liebe K, darf ich dich bitten, dich kurz vor-   stärkten mich und machten mir Mut.             vieles nicht geschafft, mit den Kindern
zustellen:                                      Sie begleiten mich seither und ich habe        und dem Haus. Sie war eine Perle und
Ich heiße K., bin XY Jahre alt und bin          endlich jemanden, dem ich auch meine           am Ende des Lebens eine geduldige
im oberen Mühlviertel zu Hause. Ich             Probleme erzählen kann. Dafür bin ich          Patientin. So wie sie möchte ich einmal
wohne zusammen mit meinem Sohn,                 sehr dankbar, es tut unendlich gut und         sterben – ohne Schmerzen und beim
meiner Schwiegertochter und meinem              hat mir sprichwörtlich mein Leben ge-          letzten Atemzug ein Lächeln auf den
Enkel in einem Haus. Ich kann den               rettet.                                        Lippen. Auch Aussagen von ihr habe
Alltag selbst gestalten, brauche aber seit                                                     ich immer wieder im Kopf. Wenn et-
einiger Zeit Unterstützung bei der Pfle-        Gibt es für dich Lebenssätze, die dir durchs   was nicht funktioniert hat, sagte sie im-
ge und bei der Wundversorgung.                  Leben geholfen haben? Welche Grundsätze        mer: „Nimm’ die Hände, dann hat’s ein
                                                hast du im Leben verfolgt?                     Ende“. Der Glaube hat ihr sehr gehol-
Was bedeutet für dich der Satz „da ist ein      Ironie und Humor haben mir geholfen,           fen im Leben, sie flüsterte manches Mal
Panzer von mir abgefallen“?                     mein manchmal schweres Leben zu                „Der Herrgott wird’s schon richten“
Ich habe es nicht immer leicht gehabt           meistern. Ich kann nun das Leben posi-         und vertraute auf diese Zusage.
im Leben und habe viele Dinge und               tiv sehen und glaube, dass jeder Mensch
auch viele Konflikte mit mir selbst aus-        immer lernen kann, auch durch Fehler           Was ist dein Wunsch für die Zukunft?
gemacht. Ich habe nie meine Probleme            und Dinge, die nicht so gut funktio-           Wenn mich der Herrgott noch ein we-
auf meine Kinder übertragen, das war            nieren. Die großen Dinge in der Welt           nig leben lässt, dann möchte ich noch
mir ganz wichtig, dass ich das für mich         fangen ganz klein an, das ist mir auch         leben. Ich würde gerne die Lebensge-
allein ausmache, denn die Kinder sollen         wichtig zu sagen.                              schichte meiner Eltern und mir auf-
ihr eigenes Leben leben und ihre eigenen                                                       schreiben und sie Menschen schenken,
Urteile fällen können. Sie sollen ihre ei-      Welche Kraftquellen kannst du für dich ent-    die mir wichtig sind. Ich wünsche mir
genen Erfahrungen machen. So war ich            decken?                                        auch, dass die Menschen lernen, gut
oft allein und konnte mit niemandem             Ich liebe meine Familie, ich sehe mei-         miteinander umzugehen.
über Probleme sprechen. Als ich Hilfe           ne Enkel sehr gerne. Außerdem bin ich
bei der Pflege brauchte, und die mobi-          viel in der Natur. Mein Garten ist mein        Möchtest du noch etwas erzählen?
len Dienste, also die Fachsozialbetreu-         Paradies, da bin ich ganz oft und kann         ARCUS ist das beste, was mir je pas-
erinnen und Hauskrankenschwestern               Kraft tanken.                                  siert ist, der Beginn der Betreuung war
von ARCUS kamen, um mich bei der                                                               ein zweiter Geburtstag für mich – ich
Körperpflege und der Wundversorgung             Was war bisher für dich in deinem Leben        möchte allen ein großes DANKE sa-
zu unterstützen, war es mir wirklich, als       wichtig?                                       gen. Gut, dass es euch gibt.
ob ein Panzer von mir abgefallen wäre,          Ich bin viel mit mir allein gewesen, aber
als ob ich eine angezogene Rüstung              ich habe vieles geschafft. Ganz wichtig        Das Interview führte DGKP Angelika
endlich weglegen konnte. Denn neben             war für mich, gegen den Widerstand             Schwarz, Msc, ARCUS Sozialnetzwerk
den notwendigen Tätigkeiten, die mir            einiger Menschen wieder nach Linz              oberes Mühlviertel

                                                                                                                                     13
Ehrenamt

                                                                    20 Jahre Kaprun –
                                                                    eine Erinnerung
Claudia Glössl, MAS MSc
           Ehrenamtliche
            Mitarbeiterin
     der Hospizbewegung
         Wels-Stadt/Land

      Fakten                                      Medienandrang musste zusätzlich be-          von Hoffnungs- und Hilflosigkeit,
      Am 11. November 2000 starben insge-         wältigt werden.                              Verzweiflung bis zu Wut, Aggressivi-
      samt 155 Personen bei der Brandkata-                                                     tät und Entlastung. In der Entlastung
                                                  Krise und Krisenintervention
      strophe der Gletscherbahn Kaprun 2.                                                      kann durch Bearbeitung eine Neuori-
                                                  Eine psychosoziale Krise liegt vor, wenn     entierung erfolgen. Die vier Phasen
      92 Menschen kamen aus Österreich            ein Ereignis eintritt, das den Verlust des
      und davon 32 Personen aus Wels bzw.                                                      (Schock, Reaktion, Bearbeitung und
                                                  seelischen Gleichgewichtes zur Folge         Neuorientierung) sind, ausgenommen
      umliegenden Gemeinden, die bei einem        hat. Der Verlust des seelischen Gleich-
      offenen Betriebsausflug des Magistrates                                                  der Schockphase, nicht starr voneinan-
                                                  gewichtes tritt ein, wenn ein Mensch         der abgegrenzt. Sie fließen ineinander
      Wels mit dabei waren.                       keine verfügbaren Bewältigungsstra-          (Sonneck 2000: 16).
      Es starben 150 (der 162) Passagiere der     tegien einsetzen kann, die er aufgrund
      bergauffahrenden Bahn Kaprun 2. Im          seiner bisherigen Biographie erwor-          Die Krisenintervention umfasst Hilfe
      entgegenkommenden Zug (Kaprun 1)            ben hat bzw. die Person überfordert ist      in der Akutsituation, um Menschen zu
      starben der Zugführer und ein Tourist       (Sonneck 2000: 15).                          unterstützen, damit die Situation be-
      sowie drei Personen auf der Bergstation     Es gibt grundsätzlich zwei Arten von         wältigt werden kann. Mit der Krisenin-
      durch Rauchgasvergiftung. 12 Personen       Krisen:                                      tervention können Folgeerscheinungen
      im hinteren Zugteil konnten nach Aus-       – Traumatische Krisen (plötzlich auf-        verhütet und gemildert werden (Son-
      bruch des Brandes das Fenster einschla-        tretende Krisen, die die persönliche      neck 2000: 61). Ziel der Kriseninter-
      gen und sich befreien. Sie überlebten,         Integrität in Frage stellt; Beispiele     vention ist es, die Betroffenen zu stabi-
      weil sie entgegen der Kaminwirkung             sind Verlust und Tod von emotional        lisieren, sodass sie ihre Angelegenheiten
      nach unten liefen.                             nahestehenden Menschen, Krank-            selbst in die Hand nehmen und meis-
      Die Hinterbliebenen der 32 „Welser“            heit, Unfall, Trennung/Scheidung,         tern können. Damit verbunden ist das
      Opfer wurden von Beginn an seitens             Gewalt in allen Formen, Großscha-         Ziel, selbstzerstörerischen und selbst-
      des Magistrates und weiteren Ein-              densereignisse) (Hausmann 2006:           verletzenden Ansätzen eine Absage zu
      richtungen wie den Kriseninterventi-           28).                                      erteilen (Sonneck 2000: 62 f ). Die Krise
      onsteams des Roten Kreuzes und der          – Veränderungskrisen (sind Krisen, die       und Realität darf nicht verleugnet, son-
      Krisenhilfe Oberösterreich betreut.            aus großen Lebensumstellungen und         dern sie muss wahrgenommen werden,
      Betreut wurden alle Personen, egal ob          Veränderungsphasen, die das Leben         mit allen Gefühlen und Reaktionen.
      hinterbliebene Kinder, Eltern, Ehefrau/        mit sich bringt, erfolgen, wie Puber-     Wichtig ist, dass betroffene Personen,
      Ehemann, Lebenspartner*innen, enge             tät, Schwangerschaft, Berufswechsel,      besonders in der Schockphase, Un-
      Freunde, Anverwandte. Alle konnten             Pensionierung) (Hausmann 2006:            terstützung sowie Empathie erhalten
      sich melden und wurden unterstützt.            29).                                      (Sonneck 2000: 19). Es geht also vor al-
      Es wurde versucht, ihnen in allen Lagen     Das Unglück von Kaprun zählt zu den          lem darum, Personen nicht allein zu las-
      behilflich zu sein. Der Magistrat – Poli-   traumatischen Krisen. In diesen Krisen       sen, sondern es braucht jemanden, der
      tik und Verwaltung – war in dieser Situ-    treffen die Ereignisse die Menschen          da ist. Eine Person, die emphatisch und
      ation außerordentlich empathisch und        unvorbereitet und unvorhergesehen.           aktiv zuhört, Informationen weitergibt,
      versuchte alles, soweit es möglich war.     Die erste Reaktion ist der Schock, die       die zeitliche Abfolge der Geschehnisse
      Dabei hatte der Magistrat doch selbst       von der Reaktionsphase abgelöst wird.        klärt. So können Ereignisse strukturiert
      Arbeitskolleg*innen und Freund*innen        Diese Phase, die Tage bis Wochen             werden. In diesen Interventionen ist
      verloren. Eine jedenfalls herausfordern-    dauern kann, ist geprägt von den un-         vorrangig, ein Gefühl von Sicherheit zu
      de Situation für alle Beteiligten. Der      terschiedlichsten Gefühlen. Sie reichen      vermitteln, sodass die betroffene Person

      14
Ehrenamt

handlungsfähig für Entscheidungen         Das war ein wichtiger Baustein in der             Alle Pläne für die Zukunft waren mit
wird (Hausmann: 2006: 90). Je nach        Trauerbewältigung und im Erwachsen-               einem Mal dahin. In der Familie des
Situation und Umständen werden un-        werden. In der Begleitung war es enorm            Mannes hatten ihre Bedürfnisse kei-
terschiedliche Interventionen gesetzt.    wichtig, die Mutter immer wieder da-              nen Platz. Die Frau im mittleren Alter
Sie hängen vor allem davon ab, welche     rauf zu bringen, dass auch ihre Trauer,           stand fest mit beiden Beinen im Leben
Person, in welchem Kontext und in         ihr Trauerprozess wichtig sind und sie            und hatte durch eine Freundin eine sehr
welchem sozialen Umfeld, betreut wird.    nicht auf sich selbst vergessen darf. Die         gute Unterstützung. Sie nahm am Be-
Die zu betreuende Person steht im Fo-     Begleitung kann als gut gelungen an-              gräbnis teil, auf dessen Ablauf und Ge-
kus der Betreuung und alles orientiert    gesehen werden. Die Mutter lebt seit              staltung sie aber keinerlei Einfluss hatte.
sich ausschließlich an ihr.               Jahren in einer neuen Beziehung, die              Sie hatte sich, ermuntert durch die Be-
                                          Kinder sind erwachsen, mit einer guten            gleitung, entschieden, ein zweites per-
Begleitungen                              Ausbildung und leben beide jeweils in             sönliches Abschiednehmen am Grab
Die Begleitungen waren vielfältig und     einer stabilen Beziehung. Der Vater ist           zu veranstalten. Sie gestaltete eine Parte
von unterschiedlichen Herausforde-        in der Erinnerung sichtlich verankert,            und lud die beiden besten Freunde des
rungen geprägt. Während die einen den     durch Bilder in den Haushalten präsent            Verstorbenen und ihre beste Freundin
Ehemann verloren haben und nun mit        und begleitet so seine Familie.                   dazu ein. Sie brachten persönliche Tex-
Kindern ihren Weg finden mussten,         Eltern und Schwester haben ihren er-              te, die sie abwechselnd vorlasen, Musik
erwachsene Kinder, die Vater, Mutter      wachsenen Sohn bzw. älteren Bruder                und Blumen mit. So wurde sehr persön-
oder beide verloren hatten oder Eltern,   verloren. In dieser Begleitung gab es             lich Abschied genommen. Sie fotogra-
die ihr(e) Kind(er) als junge Erwach-     anfangs viel Zorn und Wut über die                fierte dabei, so wie sie bereits vorab die
sene verloren. Jeder Trauerprozess war    Unbegreiflichkeit, dass überhaupt ein             Urne fotografierte. Mit Bildern aus der
herausfordernd. Alle beschritten ihre     Brand in der Bahn ausbrechen konnte.              gemeinsamen Zeit und des Abschiedes
eigenen Wege, denn Trauer kann nicht      Für diese Familie waren zwei Punkte in            hat sie sich eine Fotocollage erarbeitet,
miteinander verglichen werden. Man-       der Trauerbewältigung bedeutend. Das              die noch heute an der Wand in ihrer
che verschoben ihre Trauer, sodass der    eine war das Geschehen in der Bahn,               Wohnung hängt. Sie lebt in einer Be-
Verlauf einen komplizierteren Weg         um die zeitliche Abfolge nachvollzie-             ziehung, aber er ist Teil ihres Lebens.
nahm. Komplizierte Verläufe waren         hen, wenn auch nicht verstehen, zu kön-
auch bei Eltern zu bemerken, die das      nen und der Halt, den der Glaube gab.             Literatur
Kind verloren hatten.                     Die Familie legte sich ein für sie passen-        Hausmann, Clemens (2006): Einführung in
Eine Frau hatte ihren Mann verloren,      des Narrativ anhand der Geschehnisse              die Psychotraumatologie, Wien: facultas
sie blieb mit zwei Kindern im Vorschul-   in der Bahn zurecht, wohl wissend, dass           Sonneck, Gernot (2000): Krisenintervention
bzw. Schulalter, einem neugebauten        es eine Geschichte ist. Aber diese Ge-            und Suizidverhütung, Wien: facultas
Haus und vielen Schulden zurück. Ihre     schichte bot ihnen den Halt,
Herausforderungen betrafen zunächst       den sie letztlich benötigten,
im Alltag vor allem ihre Kinder und fi-   um das Geschehen in ihrer
nanzielle Schwierigkeiten. Bei Kindern    Gedanken- und Glaubens-
ist das Todeskonzept erst in Entwick-     welt einordnen zu können.
lung und Begriffe wie „nie wieder“ kön-   Der Verstorbene begleitet
nen in der Regel nicht oder kaum ein-     sie in ihrem Leben und ist
geordnet werden. Ihre Trauer kommt in     da. Ein jährlicher Besuch in
den Entwicklungsphasen zum Erwach-        Kaprun gehört seit dem ers-
senwerden immer wieder. Sie müssen        ten Todestag zur fixen Pla-
mit neuem Wissen und Verständnis          nung des Jahres dazu.
eingeordnet und anschließend in den       Eine Frau hat ihren zukünf-
Rucksack der Vergangenheit gebettet       tigen Lebenspartner verlo-
werden. Beim damals jüngeren Kind         ren. Es war geplant, dass der
war es wichtig, ungefähr 10 Jahre nach    Verstorbene im Laufe des
der Katastrophe, die Berichterstattung    restlichen Novembers fertig
des ORF am Tag des Unglücks bzw. am       bei ihr einzieht. Die Woh-
Tag danach zu besorgen. Durch das An-     nung war bereits adaptiert
sehen der Berichte von damals, konnte     und die Adventzeit sollte
                                                                            Gedenkstätte in Kaprun
er seine damaligen Erinnerungen kor-      in der nun gemeinsamen              Quelle: https://www.kitzsteinhorn.at/bilder/Diverses/Historisch/image-
rekt auf einer Zeitschiene einordnen.     Wohnung verbracht werden.                   thumb__655__gallery/GBK_Gedenkst%C3%A4tte_innen.webp
                                                                                                                                  [Abruf 26.10.2020]

                                                                                                                                        15
Ehrenamt

                                                                Ein halbes Königreich
  Andrea Peterwagner
                                                                würde ich
Kaufmännische Leitung
    und ehrenamtliche                                           verschenken
        Mitarbeiterin
 Hospizbewegung Wels

   Ein halbes Königreich würde ich ver­        war so berührend, sowohl in ein ande-       bringen lassen?“. Ich lachte mit ihr und
   schenken, wenn Sie heute Nacht bei mir      res Leben als auch in ein anderes Zeit-     versicherte, dass sie auch heute noch
   bleiben könnten …                           alter einzutauchen, denn Frau B. war        die perfekte Gastgeberin sei. Am frü-
   So begann meine Geschichte mit Frau B.      rund 48 Jahre älter als ich. Wie sagte      hen Abend kam eine junge Ärztin zur
                                               sie? „Zu dieser Zeit schrieb das Leben      Visite und legte Frau B. nahe, einer In-
   In meinem Praktikum auf der Palliativ-      noch andere Geschichten!“ In diesem         fusion zuzustimmen, da ihre Nahrungs-
   station lernte ich Frau B. kennen und       Augenblick schenkte sie mir den Ein-        und Flüssigkeitszufuhr nur mehr sehr
   schätzen.                                   blick in ihre derzeitige Welt, in der die   gering war. Frau B. unterbreitete der
   Eine Schwester der Palliativstation hatte   Zeit schon begrenzt schien. Nichts          Ärztin, dass sie eigentlich nichts mehr
   mich gebeten, doch einmal im Zimmer         desto trotz verließ ich nach 3 Stunden,     mochte, weil es für sie gut war so wie
   205 vorbeizusehen, da diese Patientin       mit dem Versprechen sofort wiederzu-        es war, außer ich würde ihr noch die
   sehr gerne plauderte und jegliche Form      kommen, das Zimmer, um etwas frische        Zeit schenken und so lange an ihrem
   der Unterhaltung sehr willkommen            Luft zu schnappen. Ich hatte gerade erst    Bett verweilen, bis die Infusion zu Ende
   hieß. So machte ich mich auf den Weg        das Schwesternzimmer erreicht, da läu-      wäre. Wer könnte ihr diesen Wunsch
   zum Zimmer 205 und war etwas aufge-         tete Frau B. schon wieder. Also machte      schon abschlagen? Und so blieb ich an
   regt darüber, was mich erwarten würde.      sich die Schwester auf den Weg zu ih-       ihrer Seite und hielt noch immer ihre
   Auch Zweifel kamen in mir auf, ob ich       rem Zimmer, um nur einen Augenblick         rechte Hand. Da die Zeit bekannt-
   dieser Patientin die nötige Unterstüt-      später mit der Nachricht zurückzu-          lich nicht still steht, war es inzwischen
   zung und den Beistand geben könnte.         kommen, dass Frau B. veranlasst hatte,      schon später Abend und Frau B. schlief
   Ich öffnete sehr zaghaft die Tür und        mir eine Jause bringen zu lassen, sowie     immer wieder ein. Meine Hand ließ sie
   fand Frau B. halb liegend im Bett vor.      auch etwas zu trinken. Sie würde es         jedoch immer noch nicht los. Nach etli-
   Zwei hellwache Augen strahlten mich         dann später bezahlen. Wir waren alle zu     chen Anläufen verabschiedete ich mich
   zur Begrüßung an. Alle meine Beden-         tiefst berührt von dieser Fürsorge. Nun     schließlich um 23:00 Uhr von Frau B.
   ken verflogen, noch bevor ich mich          machte ich mich auf den Weg zurück          und versprach ihr, dass ich morgen wie-
   vorstellte. Auf meine Frage, ob ich mich    zu Frau B. und kaum hatte ich erneut        der da sei. Sie schlug die Augen auf und
   an ihr Bett setzen dürfte, antwortete sie   neben ihr Platz genommen, wollte sie        sagte: „Ein halbes Königreich würde ich
   mit vor Begeisterung glühenden Augen:       wissen, ob ich auch gut versorgt wurde.     verschenken, wenn Sie heute Nacht bei
   „Ich würde mich sehr freuen und wenn        So verbrachten wir den ganzen Nach-         mir bleiben könnten.“ Ich konnte die-
   Sie mir dabei auch noch meine rech-         mittag zusammen, bis ihr plötzlich die      se Nacht nicht bleiben, aber ich konnte
   te Hand massieren würden, wäre ich          Idee kam: „Wollen wir uns einen Kaffee      diese eine Nacht verkürzen.
   Ihnen sehr dankbar.“ So saß ich nun,
   massierte die rechte Hand und wurde
   als Dank bestens unterhalten. Wir hat-
   ten richtig Spaß, sodass die Schwester
   nach einer Stunde vorbeikam, weil sie                      Kehr in dich still zurück, ruh in dir selber aus, so fühlst du
   uns so herzlich lachen hörte. Frau B.                      höchstes Glück.                               Friedrich Rückert
   gab ihre Geschichten des Lebens mit
   allen Höhen und Tiefen wieder. Es

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