Freiheit und Verantwortung - Christsein in einer vielfach herausgeforderten Gesellschaft - Evangelische Allianz Deutschland
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1/2021 · ZKZ 65099 gemeinsam glauben, miteinander handeln Das Magazin der Evangelischen Allianz in Deutschland Freiheit und Verantwortung Christsein in einer vielfach herausgeforderten Gesellschaft Standorte Hermann Gröhe (CDU): Weltallianz-Generalsekretär Einheit, Freiheit Christen treten ein Interview mit und Polarisierung? für Menschenwürde Thomas Schirrmacher
INHALT Seite EiNS: 5 Freiheit und Verantwortung Das Editorial Die Seite des Generalsekretärs Von Reinhardt Schink Freiheit und Verantwortung Christsein in einer vielfach herausgeforderten Gesellschaft Verantwortung 6 Wege Jesu in Krisenzeiten gehen tragen Julia Garschagen Wie Christen den Umgang in der Gesellschaft prägen können 12 „Christen treten ein für die gleiche Würde jedes menschlichen Lebens“ Die Rolle evangelikaler Christen in Politik und Gesellschaft EiNS-Gespräch mit dem CDU/CSU-Religionsbeauftragten Hermann Gröhe Gelebte Allianz 8 Einheit, Freiheit und Polarisierung? Christenheit im Fokus Ulrich Eggers – Eine Standortbeschreibung 24 Ein großer Ideenreichtum Ein Rückblick auf die Allianzgebetswoche 2021 Partner der Allianz 15 „Schwarz/Weiß-Denken verstärkt die Spaltung“ Fragen an Hauptkommissar Holger Clas, Vorsitzender der Christlichen Polizeivereinigung Allianz-Originale 16 Peter Strauch: Verantwortung übernehmen Serie: Zeitzeugen der Evangelischen Allianz Allianz weltweit 18 Auf Augenhöhe mit dem Papst? Thomas Schirrmacher ist neuer Generalsekretär der Weltallianz Ein EiNS-Gespräch 22 Ein Band des Friedens knüpfen Johannes Reimer – Christenheit international: Schritte zur Versöhnung In Sachen 26 Gemeinde als Wildwasser-Rafting Evangelische Allianz Ekkehart Vetter – Kolumne: Was die Allianzvorsitzenden bewegt 27 Termine mit Angeboten im Evangelischen Allianzhaus Bad Blankenburg 28 Gottes Barmherzigkeit und Fürsorge – gerade in Krisenzeiten Gabriele Fischer-Schlüter – Kolumne: Ein Brief aus dem Allianzhaus 30 Allianz-Nachrichten 32 Impressum 3
DIE SEITE DES GENERALSEKRETÄRS 1 / 2 0 2 1 · ZK Z 6 5 0 9 9 gemeinsam glauben, miteinander handeln Das Magazin der Evangelischen Allianz in Deutschland Freiheit und Verantwortung Freiheit und Verantwortung Christsein in einer vielfach herausgeforderten Gesellschaft Standorte Hermann Gröhe (CDU): Weltallianz-Generalsekretär Einheit, Freiheit Christen treten ein Interview mit und Polarisierung? für Menschenwürde Thomas Schirrmacher Liebe EiNS-Leserinnen und -Leser, mit großer Dankbarkeit schauen wir zurück auf die 175. Allianzge- Freiraum finden. Oder wie es Paul Imhof (Präsident Akademie St. betswoche zum Thema „Lebenselixier Bibel“. Vieles war neu, überra- Paul) formuliert hat: schend und ungewohnt. Aber Gottes Segen und seine Gegenwart wa- „Erst die Abhängigkeit vom Unabhängigen ren wie in den 174 Allianzgebetswochen davor auch in diesem Jahr macht unabhängig vom Abhängigen.“ erlebbar. Denn Gott ist treu. Er steht zu seinen Verheißungen. Er sel- Das ist die Entdeckungsreise des Glaubens. Wir beugen unsere Knie ber ist gegenwärtig, wenn seine Kinder beten – in Präsenzveranstal- vor Gott, machen uns abhängig vom Unabhängigen, und erleben die tungen oder im virtuellen Raum. Denn er ist Herr über Raum und Zeit. Freiheit der Kinder Gottes. Wer kein Knecht der Sünde mehr ist, ist Davon berichteten viele der ermutigenden Rückmeldungen, die wir unabhängig vom Abhängigen – auch von aller Ich-Zentriertheit. Das erhielten. Gebet ist der Schlüssel zu diesen Schutz- und Freiräumen. Es ist die „Die Beschreibung der Bibel im Thema ist ungewöhnlich. Ein Le- Kraftquelle, um verantwortlich in Freiheit leben zu können. Es ist der benselixier ist laut Lexikon ein ‚Wundertrank/ Zaubertrank, der das Zugang zum Herzen unseres himmlischen Vaters. Und damit das Bes- Leben erhält‘. Die Bibel so zu kennzeichnen, sendet ein doppeltes Sig- te, was wir haben. Dies haben wir in der Allianzgebetswoche erlebt. nal. Nach ‚innen‘: Gottes lebendiges Wort ist wahrhaft lebenserhal- Der Glaube, das Wort Gottes und das Gebet sind so viel umfassen- tend. Für jeden einzelnen Menschen und für die Gesellschaft. Nach der als wir es aus unserer begrenzten Perspektive vermutet hätten. ‚außen‘: Ohne die Bibel verschwinden lebenserhaltende Ordnungen Der Unendliche offenbart sich im Endlichen und wir sind erstaunt. Die und wir enden in einer Ich-zentrierten Gesellschaft.“ So schreibt Ul- Begegnung mit dem Lebendigen macht lebendig und wir schöpfen rich Freischlad, Leiter der Evangelischen Allianz in Krefeld, über die neue Hoffnung. Das Licht strahlt auf in der Dunkelheit und wir gewin- Allianzgebetswoche. Damit schlägt er die Brücke von der Gebetswo- nen Orientierung. Die Wahrheit entlarvt alle Verführung und wir las- che zum Thema dieses EiNS-Magazins: Freiheit und Verantwortung. sen uns von Jesus leiten, der Wahrheit in Person. Dies ist so notwendig Beide verweisen aufeinander und beide sind aufeinander angewiesen. in einer Zeit, in der Verwirrung um sich greift, Freiheit gegen Verant- Ohne ein verantwortliches Handeln geht meine eigene Freiheit zu Las- wortung ausgespielt wird und die Spaltungen in der Gesellschaft zu- ten meiner Mitmenschen. Gleichzeitig kann ich ohne die Freiheit, zwi- nehmen. schen Handlungsalternativen wählen zu können, keine Verantwor- Er ist Schutz- und Freiraum. Er ist Wahrheit und Liebe. Bleiben Sie tung übernehmen. Freiheit und Verantwortung: Das Eine gibt es nicht ihm anbefohlen und gesegnet. ohne das Andere – und beides ist notwendig, damit Leben sich ent- falten kann. Mit herzlichen Grüßen Ihr Entdeckungsreise des Glaubens Leben braucht zugleich Schutz- und Freiräume. Verantwortung und Freiheit. Eine Ich-zentrierte Gesellschaft ist nicht frei, sondern ver- sklavt sich an sich selbst. Gottes Ordnungen sind keine Spaßbremse Foto: Christian Hönig oder drückende Last, sondern lebenserhaltend. Sie sind Schutz- und Reinhardt Schink Freiraum. Oder eben Lebenselixier. Und so wie Schutz- und Freiräume Generalsekretär der begrenzt sind, gibt es keine grenzenlose Freiheit. Vielmehr dürfen wir Evangelischen Allianz den Freiraum im Schutzraum entdecken. Und gleichzeitig Schutz im in Deutschland 5
VERANTWORTUNG TRAGEN Foto: picture alliance/dpa | Uwe Zucchi Wege Jesu in Krisenzeiten gehen Wie Christen den Umgang in der Gesellschaft prägen können Von Julia Garschagen und Heike Breitenstein I m Januar stürmt eine gewalttätige Menschenmenge das Kapitol in gibt vor, der Wahrheit Gehör zu verschaffen, aber seine alternativen Washington. Einige behaupten im Namen Jesu zu handeln. Gesell- Fakten entpuppen sich als Lügen. schaft und auch Kirchen in den USA sind gespalten. Auch in In Zeiten globaler Unsicherheit ist die Sehnsucht groß nach einfachen Deutschland beobachten wir, wie Vertrauen zerstört ist und sich – auch Antworten auf komplexe Phänomene, die Welt in Gut und Böse, Rich- in Kirchen und Gemeinden – mitunter Menschen unversöhnlich ge- tig und Falsch einzuteilen. Dieser normale menschliche Reflex ver- genüber stehen und manches Mal schon keine Gesprächsbasis mehr sucht, im Komplizierten ein Muster zu finden, um uns zu orientieren. finden. Warum? Und wie kann die gute Nachricht von Jesus hier eine Gerade von Jesus her können wir als Christen der Versuchung wi- verbindende Kraft sein? derstehen, gegenüber Andersdenkenden eine Haltung der Abgren- Zunächst: Kritik an Führungspositionen ist ein hohes Gut. Wer eine zung einzunehmen. Machtposition innehat, hat nicht automatisch Recht. Das Ringen um Wir glauben daran, dass es von Gott her einen objektiven Bezugs- Wahrheitsansprüche ist ein kostbares Erbe der Aufklärung: Nach dem rahmen für unser Handeln gibt. Wahrheit ist mehr als ein Konstrukt christlichen Gedanken, dass jeder Mensch ein Abbild Gottes ist und gesellschaftlichen Diskurses; was gut und böse ist, keine kulturelle darum tiefe Würde hat, wurde in der Moderne die Trennung der Sach- Verabredung, sondern definiert sich vom Charakter Gottes her. Ohne von der Personenebene zentrale Grundlage. Zwar kann ich die Mei- diesen objektiven Bezugsrahmen könnten wir z.B. nicht daran fest- nung einer Person abscheulich finden (und kritisieren), den Menschen halten, dass die Menschenrechte tatsächlich unveräußerliche, jedem dahinter aber achten. Menschen innewohnende Rechte sind, auch wenn er in einem Land Später schärften postmoderne Denker (z.B. Michel Foucault) den lebt, die diese nicht achten. Das würde bedeuten, dass die Stärkeren Blick dafür, dass Wahrheitsansprüche häufig mit Machtansprüchen sich immer auf Kosten der Schwächeren durchsetzen. einhergehen. Auch diese Kritik finden wir bereits bei Jesus (z.B. im Zugleich gilt: Wenn Jesus die Wahrheit ist, heißt das: Ich bin sie nicht. Wahrheitsdialog mit Pontius Pilatus (Joh 18)). Ich kann nicht den Gottesstandpunkt vertreten. Ja, ich versuche ihm zu folgen und komme doch selbst immer wieder ab vom Weg, versage. Im Jesus hat Mauern eingerissen christlichen Wahrheitsverständnis ist Demut schon mit eingebaut. Aber leicht schwingt das Pendel in die entgegengesetzte Richtung. Aus Das hat auch damit zu tun, dass mir in Jesus Wahrheit als Person einer gesunden Skepsis, einem mündigen Hinterfragen kritischer Bür- begegnet. Vor dem alttestamentlichen Hintergrund wird klar: Es geht gerinnen und Bürger wird eine Hermeneutik des Misstrauens. Wo um Beziehung, um Treue, Verlässlichkeit, um Wahrhaftigkeit. aber der Vertrauensrahmen fehlt, werden wir anfällig, unterstellen Um es mit den Worten von Klaus Vollmer zu sagen: „Nicht ich habe uns der Autorität einer Führungsperson – die genau das verkörpert, die Wahrheit, sondern die Wahrheit hat mich. Diese Wahrheit hat nicht wogegen wir kämpfen wollten. Siehe Donald Trump: Einer behauptet, recht, sondern lieb. Das ist recht und das verändert.“ 1 Jesus hat Mauern gegen Korruption zu kämpfen – und etabliert ein korruptes System; eingerissen, vorbehaltlos geliebt und demütig selbst Feinden gedient. 6 EiNS Februar 2021
VERANTWORTUNG TRAGEN Wer selbst Verantwortung übernimmt, wird realistisch und gnädig auf andere schauen. Foto: Tyler Merbler Foto: Markus Spiske / unsplash.com Am 6. Januar 2021 stürmte eine Menschenmenge das Kapitol in Washington In diesem Ethos haben Nachfolgerinnen und Nachfolger Jesu in ge- sellschaftlichen Krisenzeiten ihren Mitmenschen gedient. Als in Rom Die Corona-Pandemie bietet Anlass zu kontroversen Diskussionen im 3. Jahrhundert eine Seuche wütete, teilten sie mit ihren Nächsten, kümmerten sich um die Kranken. Sie liebten Menschen in ihre Ge- tiven. Dieses Dilemma beschreibt eindrücklich Dietrich Bonhoeffer meinschaft und gewannen an Glaubwürdigkeit. Sie lebten „in der und warnt davor, dass unser Bedürfnis, zweifelsfrei zwischen Gut und Welt, aber nicht von der Welt“ (Joh 17), gaben sich liebend hin und Böse unterscheiden zu können, eigentlich unsere größte Sünde sei. wussten sich dennoch einer anderen Realität verpflichtet. Neben prak- Denn – so Bonhoeffer – darin wollen wir sein wie Gott und spielen uns tischer Nächstenliebe ist das Gebet für die Regierenden Ausdruck die- zum Richter über andere Menschen auf.3 ser Haltung: Wer für sie betet, übernimmt Verantwortung und macht Dagegen setzt Paulus die Maxime der Liebe: Die Liebe, die geduldig gleichzeitig deutlich, dass sein Leben einen anderen Bezugspunkt hat. und freundlich ist, sich nicht ereifert, prahlt oder sich aufspielt (1Kor Der christliche Glaube, dass in allem Chaos und Unsicherheiten der 14,4). In diesem Geist sind wir gerufen, Verantwortung zu überneh- Welt Gott auf dem Thron regiert, ist eine große Quelle von Hoffnung men, kontrovers zu diskutieren und dabei in bester reformatorischer und Mut: die Realität hinter der Realität, eine zweite Perspektive, die Tradition zwischen Person und Sache zu unterscheiden. Einander die alles verändert. Freiheit einer anderen politischen oder theologischen Meinung zuzu- Das ist erkennbar, wenn Jesus Katastrophen und Umwälzungen be- gestehen und in Liebe und Respekt miteinander umzugehen. schreibt und dann sagt: „Wenn aber dieses anfängt zu geschehen, Wer selbst Verantwortung übernimmt, wird realistisch und gnädig dann seht auf und erhebt eure Häupter, weil sich eure Erlösung naht“ auf andere schauen: Politikerinnen und Politiker machen Fehler. Sie (Lk 21,28). werden diese Welt nicht retten. Der Blick auf den einzigen Retter der Die Realität hinter der Realität, dass uns in all dem der Erlöser ent- Welt bewahrt uns davor, Menschen in verantwortlichen Positionen gegenkommt, hilft uns, Schwierigkeiten nicht zu leugnen. Die Pande- mit Erwartungen zu überfrachten, die utopisch sind. mie ist real, die Welt zerbrochen und unser politisches System zwar Viele Menschen, die in Politik und Gesellschaft Verantwortung tra- die beste aller möglichen Regierungsformen, aber kein paradiesischer gen, sind sich ihrer eigenen Grenzen bewusst. Wenn Jens Spahn von Idealzustand. der eigenen Fehlbarkeit und vom Verzeihen spricht. Wenn Angela Merkel im Bundestag erklärt, wie sehr sie die Folgen ihrer eigenen Auf Gnade und Vergebungsbereitschaft angewiesen Entscheidungen quälen. Eine solche Haltung schafft Vertrauen. Dass Die zweite Realität bewahrt mich auch davor, in Panik zu verfallen aus eine solche Demut keine Schwäche ist, sondern dass daraus Stärke Angst vor Ansteckungen oder existenziellen Zukunftssorgen. Sie erwächst, ist ein zutiefst jesuanischer Gedanke. Solche Werte selbst zu leuchtet jetzt schon hinein in die Gegenwart. Wir können aufrecht ge- leben und sie zu bestärken, wo wir sie vorfinden, mit einer solchen hen. Wer den Blick auf den auferstandenen Jesus richtet, fasst Mut für Haltung können Christinnen und Christen den Umgang, den wir als die Zukunft und lässt sich rufen, etwas von dieser verheißenen Zu- Gesellschaft miteinander haben, entscheidend prägen. kunft schon heute zu leben. „Wer wirklich auf das Reich Gottes hofft, Das ist herausfordernd. Die Kraft für diese Haltung kommt allein der harrt in den Konflikten seines Lebens und den Niederlagen seiner aus dem Evangelium von Jesus Christus: Darum erhebt eure Häupter, Gesellschaft aus. Er bleibt der Erde treu und gibt sie nicht auf. Warum weil sich eure Erlösung naht. nicht? Weil er seinen Blick unverwandt auf jenen Blick richtet, wo der 1 Klaus Vollmer mündlich Fluch der Erde durchbrochen ist und Gottes unbedingtes Ja zur Welt 2 Moltmann, Jürgen, Neuer Lebensstil. Schritte zur Gemeinde, München 1977, 40. erkennbar ist: Die Auferstehung Christi.“ 2 3 Zitiert nach Härry, Thomas, Von der Kunst sich selbst zu führen, SCM R. Wer auf den auferstandenen Jesus schaut, zieht sich nicht zurück, Brockhaus verharrt nicht passiv in einer Opfer-Haltung oder weiß sich scheinbar im Recht. Vielmehr hat er Würde, in der Welt Verantwortung zu überneh- Julia Garschagen, Heike Breitenstein, men und der „Stadt Bestes zu suchen“ (Jer 29,7). Aber wer Verantwor- Leiterin des Bildungsreferentin tung übernimmt, macht sich die Hände schmutzig. In den komplexen Instituts für des Instituts für Situationen, wie wir sie momentan erleben, gibt es kein schwarz-weiß. Wissenschaft, Wissenschaft, Wer sich mutig einsetzt, macht sich schuldig und ist auf die Gnade Kultur und Kultur und Glaube Gottes und auf die Vergebungsbereitschaft seiner Mitmenschen an- Glaube gewiesen. Oft bleibt nur die Wahl zwischen zwei schlechten Alterna- 7
GELEBTE ALLIANZ Einheit, Freiheit und Polarisierung? Was können wir tun angesichts wachsender Fremdheit und auseinanderdriftender Positionen? Von Ulrich Eggers Foto: Ryoji Iwata / unsplash.com 8 EiNS Februar 2021
GELEBTE ALLIANZ Einheit als Arbeitsauftrag Krieges stehen wir vor völlig neuen Groß-Herausforderun- Muss man daran erinnern? Unser Auftrag ist klar: Im Sinne gen, die unser Denken und Verhalten zutiefst verunsichern. Jesu (Johannes 17,21) das Einssein in Christus leben und Und: Diese Themen sind hochkomplex, schwer durchschau- fördern, „damit die Welt glaube“, dass Christus von Gott ge- bar und ineinander verwoben. Es gibt keine schnelle klare sandt wurde. Einheit hat ein klares und hohes Ziel. Es geht Linie, die wieder neu Überblick verschafft. um etwas! Aber: Dieses hohe missionarische Ziel gilt nicht Eine gründliche Analyse der Situation würde dicke Dos- erst, wenn wir in allen Streitfragen von Glauben und Leben siers verlangen – die Zutaten unserer Verunsicherung aber eins sind, sondern trotz unserer oft unterschiedlichen An- liegen auf der Hand: sichten als Jesus-Nachfolger. • Eine starke Säkularisierung der Gesellschaft, die durch Damit sagen Freunde der Allianz-Bewegung zugleich auch: deutsche Einheit und wachsende Migration beschleunigt Einheit hängt nicht ab von unserer Homogenität, sondern ist wird. Teil der Entscheidung für Jesus selbst: So wie ich ihm nach- • Die wachsende Globalisierung, die zusammen mit der Kultur- folgen will, so entscheide ich mich für den „Arbeitsauftrag“, Revolution der Digitalisierung und den Möglichkeiten künst- seinem Wunsch und Auftrag zur Ein- licher Intelligenz eine enorme Dis- heit zu folgen. Nachfolge Jesu bindet kontinuität schafft: Alles wird anders. uns an das, was Jesus wichtig ist. • Die weltweite Klimakrise, abneh- Aber: Das fällt selbst uns Allianz- Der Abschied von Allianz mende Artenvielfalt und schwer zu geprägten Christen zunehmend als „sichere Burg der beherrschende Pandemien wie Co- schwer! Wir erleben politisch-gesell- vid-19 bedrängen unseren Zukunfts- schaftliche Debatten, die auch in Freunde“ fällt schwer. Optimismus und werfen völlig neue Kirchen und Gemeinden durchschla- Fragen auf, deren Dimension wir gen und dort sogar noch – theolo- noch nicht einschätzen können. gisch aufgeladen – zugespitzte Bedeutung bekommen. Statt • Der Traditionsabbruch in den großen Kirchen: Die Glau- einer Kultur des Vertrauens erleben wir eine wachsende bensweitergabe gelingt zunehmend weniger, die gesell- Misstrauens-Krise, die wie ein Krebs wuchert und das wert- schaftliche Achtung der Kirchen nimmt ab. Religion wird – volle Gut der Einheit bedroht – und damit auch unseren mis- verstärkt durch politische Krisen und einen vitalen Islam – in sionarischen Auftrag. Eine schmerzliche Tragödie, die durch der Gesellschaft als Problem erlebt, nicht als Lösung. die Nachwehen der stark polarisierten und durch christliche • Gesellschaftlich lange verdrängte Themen (Gleichberechti- Themen überhöhten US-Wahl und die Verunsicherungen der gung, Rollenverständnis, sexuelle Minderheiten) bestimmen Corona-Pandemie eher noch zunimmt. – vom Wunsch nach politischer Korrektheit befördert – mit ideologischem Überdruck die gesellschaftliche Diskussion. Draußen oder drinnen? Verändertes Denken zu Homosexualität, Feminismus und Sind unterschiedliche Positionen ein neues Phänomen? Nein, Genderthematik verunsichert. natürlich nicht – es war nie anders: Diskussion oder Streit hat • Politische Reaktions-Bewegungen wie die AfD bilden die es immer gegeben unter Christen. Nur schien es früher so, als zunehmende gesellschaftliche Entfremdung ab, schaffen es ob das „Allianzlager“ ein Hort friedlicher Übereinstimmung aber nicht, den altgewohnten Konsens der Vergangenheit war; die jeweiligen Diskussions-Gegner schienen immer wiederherzustellen. „draußen“ zu stehen. Jetzt merken wir, dass auch unter „uns“ • Viele dieser Themen sind zugleich so komplex verwoben, die Meinungsvielfalt und Polarisierung zunimmt. Dieser Ab- dass sich in jedem von ihnen jeweils unsere gesamte Sorge schied von Allianz als „sichere Burg der Freunde“ fällt schwer. um die Zukunft zu bündeln scheint. Scheinbar geht es stän- Allerdings war es nie so, dass die potenziellen Streit dig um „alles“, Menschen fühlen sich bedroht. themen unter uns nicht groß gewesen wären: Landes- und Verstärkt werden alle Prozesse durch die enorme Verände- Freikirche, Kinder- oder Erwachsenentaufe, Abendmahls rung von Kommunikation und Debatten-Kultur. Soziale Me- verständnis, Kriegsdienst, „Frauenfrage“ oder Gemeindeneu- dien haben für eine positive Demokratisierung von Meinungs- gründung boten genug Stoff für ernsthafte Auseinanderset- äußerung gesorgt, zersplittern die Meinungsbildung aber zung – wenn man darüber streiten wollte. Nur: Man wollte auch in unendlich viele kleine Teil-Biotope, die gegeneinander gar nicht! Man hatte sich unausgesprochen oder bewusst um Aufmerksamkeit ringen und enorme Kräfte binden. Wo darauf geeinigt, viele dieser Gebiete für nicht wichtig genug früher mit gemächlichen Wartezeiten sorgfältig abgewogene zu halten, um Jesu Wunsch zur Einheit zu behindern. Es war Statements erarbeitet wurden, beherrschen heute schnelle – eine Entscheidung, kein Messergebnis theologischer Gewich- manchmal mehr vom Bauch als vom Kopf geprägte – Reakti- tigkeit. Denn die oben genannten Themen sind keine theo- onsmuster die Debatten und sorgen für ein hektisches Grund- logischen „Peanuts“ – sie sind wichtig! Aber sie waren – bis- klima. Wir leben in einer digitalen Kakophonie, die Gesell- her – offensichtlich nicht gewichtig genug, um den gemein- schaft und Kirche zunehmend überfordert. samen Ruf zur Einheit in Christus zu behindern. Warum erleben es viele heute so anders? Warum gefähr- Das Gift der Polarisierung verstehen det uns eine zunehmende Schraube der Polarisierung und Dazu kommt ein neues Problem: Digitale Debatten verstär- Entfremdung? ken das schleichende Gift der Polarisierung. Sie vertiefen Trennung, statt sie zu überwinden. Unterschiedliche Mei- Entfremdung: Gründe im Überfluss nungen gab es immer – eine zunehmende Polarisierung aber Wir leben in einer Zeit, in der Misstrauen leichtfällt. Gründe sorgt dafür, trennende Gebiete besonders herauszuheben für eine zunehmende Polarisierung gibt es im Überfluss. 30 und sie fokussiert in das Licht unseres Interesses zu stellen. Jahre nach der deutschen Einheit und dem Ende des Kalten Polarisierung setzt uns eine „Such-Brille“ auf und sorgt da- 9
GELEBTE ALLIANZ Streit in der Bibel Schon in der Bibel wird reichlich gestritten. Die Einheit der Christen ist im Neuen Testament breit gefährdet, aufgrund unterschiedlichster Situationen. • Zwei Frauen in Philippi streiten sich – und Paulus sagt schlicht: Hört auf damit! (Philipper 4,2) • Den Fraktionen in Korinth (u.a. 1. Korinther 1-3) be- gegnet Paulus mit dem klaren Hinweis auf Jesus als Fundament und Mitte (1. Korinther 1,18; 3,11.23). Das soll sie einen und ins Zentrum rufen. • Etwas komplizierter ist es in Rom. In Römer 14 und 15 wird nicht von einem Streit um „Peanuts“ berich- tet. Vielmehr ging es um zentrale Fragen, vermutlich unter anderem um den Sabbat und andere jüdische Feiertage. Paulus löst diesen Konflikt nicht durch Kategorisierung im Sinne von „Du hast Recht und du hast Unrecht“, sondern durch die Betonung: Einheit besteht in Christus trotz bleibender unterschiedli- cher Auffassungen in durchaus nicht unbedeutenden Foto: Tom Barrett / unsplash.com Fragen (Römer 15,7). Die bestehenbleibende Polari sierung in der Sachfrage soll durch jesusmäßiges Mit- einander gelöst werden. Ekkehart Vetter für, die Dinge aus dem Gleich-Gewicht zu bringen, ihnen Begriff damit hinreichend qualifiziert? Wie nah oder fern übergroße Dimension zu geben. sind wir uns wirklich, wenn wir die „Suchbrille“ der Polari- Das schleichende Gift daran: Polarisierung ernährt sich sierung abnehmen? Und kann Jesus in und unter uns das immer selbst – der suchende Blick findet (gefördert durch wirklich nicht mehr überwinden? Google und digitale Meinungs-Biotope) immer Fakten und Meinungs-Nachschub. Ich bewege mich in den Echokam- Wie können wir positiv beitragen? mern und Filtern meiner Interessengruppen. Wer andere Wer sich momentan Diskussionen im Internet ansieht, könnte Stimmen oder Themen nicht bewusst als Ausgleich sucht, meinen, die Allianzbewegung trenne sich in zwei große Flü- könnte meinen, die gesamte fromme Welt müsse sich an we- gel: einen eher konservativen und einen eher liberalen (wobei nigen Themen entscheiden und zu ihnen verhalten – oder ich die Gefahr dieser verkürzenden Benennungen oben deut- habe den Ernst der Lage nicht verstanden. lich gemacht habe). Tatsächlich glaube ich, dass die Wirklich- Dazu kommt der persönliche Verletzungsfaktor, der durch keit auch hier viel differenzierter und komplexer aussieht: Es das Internet verschärft wird. Jeder ist in diesen Zeiten bequemer gibt eine breite Mitte der Allianz-Bewegung, die sich – je nach digitaler Distanz nur allzu leicht Täter und Opfer. Hart empfun- Thema – mal hier oder da positioniert, sich aber nicht gegen dene Zeiten sind ein Ticket für Lieblosigkeit. Es tut weh, wenn eine gute Zusammenarbeit instrumentalisieren lassen will. man aufrichtige Ambitionen niedergemacht sieht – Schmerz, Zwar liegt in der Mitte nicht die Wahrheit, sehr wohl aber das Bitterkeit, Stolz oder Eitelkeit verleiten zu spontanen Reaktio- vielleicht größere Augenmaß, wenn es um die Frage nach je- nen. Zudem wollen wir oft nicht zuerst den Meinungs-Gegner susgemäßer Einheit und missionarischer Frucht geht. gewinnen, sondern suchen die digitale Zustimmung unserer Ihrem Selbstverständnis nach ist die Evangelische Allianz Lobby – statt Verstehens-Brücken zum Gegenüber. Auch wir in Deutschland nicht zuerst Lobbygruppe oder Bekenntnis- selbst sind durch die Möglichkeiten des Internets ständig in Ge- plattform, sondern Einheits- und Gebetsbewegung, hinter Je- fahr, unüberlegt, spontan, an unserer selektiven „Suchbrille“ sus her. Wir nehmen einander also das Ja-Wort zu Basis und oder populären Vorurteilen orientiert zu reagieren. Schon oft Auftrag der EAD ab und entscheiden uns, der kraftvollen Wirk- haben wir vermutlich am nächsten Tag bereut, was uns in einer lichkeit Jesu im anderen zu vertrauen. persönlichen Begegnung gar nicht herausgerutscht wäre. Deswegen brauchen wir gerade in dieser Zeit neu die Ein- Erschwerend hinzu kommt der Verbrauch von Begriffen: sicht, die wir heiratswilligen Menschen gern bei der Hochzeit Übereinander als „Konservative“ oder „Liberale“ zu spre- mitgeben: Die Ehe zwischen unterschiedlichen Menschen chen, ist in sich problematisch genug, weil die Begrifflich- wird getragen durch Liebe. Jener Liebe, an der wir als Chris- keiten oft völlig unterschiedlich gefüllt und kaum differen- ten erkannt werden sollen. Aber, wir wissen es: Liebe ist eine ziert sind. Da, wo ich selbst stehe, ist meist die gesunde Mitte Entscheidung und verlangt Arbeit, sonst landen wir in der der Welt. Aber was bedeutet es wirklich, wenn jemand von Abwärtsspirale unterschiedlicher Interessen und Prägungen, mir aus gesehen „liberaler“ oder „konservativer“ ist? Ist der Sorgen und Ängste, Blickwinkel und Suchbrillen. 10 EiNS Februar 2021
GELEBTE ALLIANZ Digitale Debatten verstärken das schleichende Gift der Polarisierung. Sie vertiefen Trennung, statt sie zu überwinden. Was heißt „arbeitsame Liebe“ für mich? Wenn wahr ist, dass Liebe Entscheidung und Arbeit ist, Nein sagen zu Polarisierungen und einseitiger Blickver- dann gilt auch der alte kluge Satz: „Wer etwas will, der findet engung. Sich breit informieren und die Haltung der jeweils Wege. Wer etwas nicht will, findet Gründe.“ Die DEA will Ein- anderen fair formulieren können und verstehen wollen – heit – und deswegen muss sie immer wieder neu nach Wegen auch wenn ich am Ende vielleicht zu einem „agree to dis suchen, wie dieses zentrale Anliegen zentral bleibt. agree“ komme. Dabei ist wichtig, unter uns Verständnis, Respekt und Kom- Zurückhaltung in digitalen Debatten üben. Muss ich promisse nicht klein zu reden: Nein, wir sollen nicht mit Jesus mich einmischen? Baut meine Stimme Brücken? Fördert sie Kompromisse machen, sehr wohl aber in seinem Sinne und Verstehen? Hat Jesus Freude an ihr? um seines Auftrags willen! Deswegen müssen wir den Themen Mich entschuldigen, wo ich mich zu unnützen oder spit- ihren Stellenwert zuweisen und geduldig Brücken bauen. zen Bemerkungen und leichten Siegen vor dem Publikum Solange wir in den Prioritäten der Nachfolge Jesu leben, meiner Lobby habe hinreißen lassen oder mein Gegenüber sind Streit und Diskussion nicht das Problem – manchmal verletzt oder ihm Schaden zugefügt habe. aber die Streitenden selbst. Deswegen fängt Einheit immer Nicht vor anderen über andere reden, sondern die per- auch bei mir persönlich an – mit meiner Liebe, Einsicht, Um- sönliche Begegnung oder Austausch mit ihnen suchen. Digi- kehr und Bereitschaft zur Arbeit. „What would Jesus do?“ ist tale Dialoge gehen wunderbar per Video und zu zweit. eine kluge Frage, die mich dabei beraten kann. Oder, wie es ein Freund gerade mit Blick auf die zunehmende Polarisie- Was kann die Allianz als Bewegung tun? rung sagte: „Ich frage mich immer, was den Teufel in so einer Zusammenarbeit, gemeinsames Gebet und unseren missiona- Situation ärgern würde – und das tue ich.“ rischen Auftrag befördern und zum Mittelpunkt aller Lebensäu- ßerungen machen. Vor Ort oder national immer wieder geschützte Räume für Begegnung und offenes Gespräch ermöglichen, kein Thema ausschließen, unseren Blick weiten. Einen möglichst fairen Blick auf unterschiedliche Positio- nen ermöglichen und Verstehenswege zueinander öffnen. Ulrich Eggers ist Mitglied im Hauptvorstand Mithelfen, neue Paradigmen von Gemeinsamkeit trotz der Evangelischen Allianz in Deutschland wachsender Unterschiedlichkeit zu entwickeln und zu er- und Geschäftsführer und Verleger der SCM proben. Verlagsgruppe Respektvoll mit anderen Gruppierungen und Meinungen umgehen und ein Beispiel für Begegnung und Gespräch set- zen – vor Ort und national. 11
VERANTWORTUNG TRAGEN „Christen treten ein für die gleiche Würde jedes menschlichen Lebens“ EiNS im Gespräch mit dem Religionsbeauftragten der CDU/CSU- Bundestagsfraktion, Hermann Gröhe Herr Gröhe, seit einem Jahr beschäftigt uns die der Impfstoffe erfindet, ist auch ein Bestandteil sich jemand wie Bill Gates entscheidet, mit Corona-Krise. Wie nehmen Sie die Rolle der von Gottes guter Schöpfung! Unsere Impfstof- seinem Reichtum etwa die Verteilung von Kirchen dabei wahr? fe werden umfassend geprüft. Und die Risiken Impfstoffen in Entwicklungsländern massiv Ich erlebe in diesen schwierigen Monaten viel und Nebenwirkungen sind weit geringer als finanziell zu unterstützen, dann finde ich das Ideenreichtum und Einsatz in unseren Kir- die mit der Erkrankung selbst verbundenen großartig. Es zeigt, er nimmt die mit Reich- chen. Wenn ich etwa in meine evangelische Gefahren. Wir können, so denke ich, dankbar tum verbundene Verantwortung ernst. Ortsgemeinde schaue, dann geht es immer sein, dass wir in einem Land leben, in dem die- darum, wie wir Menschen trotz ausfallender se Möglichkeiten der modernen Medizin den In vielen gesellschaftlichen Diskussionen wird Gottesdienste und weitgehender Kontaktbe- Menschen unabhängig von ihrem Einkommen in diesen Monaten unterschwellig Böses unter- schränkungen erreichen und ihnen helfen. Ob zur Verfügung stehen. Es beschämt mich sehr, stellt, es geht Vertrauen verloren. Was kann im Besuchsdienst oder bei sogenannten „Ga- dass weltweit gesehen Milliarden Menschen man dem entgegensetzen? benzäunen“ für Bedürftige: Immer waren diese Möglichkeiten nicht haben. Darum: Es Wir haben in den letzten Jahren viele Ver- Menschen aus evangelischen und katholi- muss einen Corona-Impfstoff auch in Afrika trauenskrisen erlebt: den unsäglichen Miss- schen Kirchengemeinden, aber auch aus Frei- geben! Die reichen Industrienationen werden brauch in den Kirchen, den Betrugsskandal in kirchen, vorneweg. Viele bieten seit Monaten zu einem wirklichen Kraftakt bereit sein müs- der Automobilindustrie, die Frage, ob das Gottesdienste und Gespräche über das Inter- sen, um den Corona-Impfstoff auch in den Fußball-„Sommermärchen“ 2006 vielleicht net an. Geistliche haben ihre Handynummer ärmsten Ländern der Welt zur Verfügung zu gekauft war, und leider auch Skandale in der veröffentlicht und Gespräche vor allem für stellen. Da geht es um Solidarität, aber auch Politik. Und die Wahrheit ist: Vertrauen er- Kranke und Einsame angeboten. Es wird den um unser eigenes Interesse: Diese Pandemie arbeitest du dir nur den Berg hoch. Es geht Kirchen daher Unrecht getan, wenn behaup- ist erst besiegt, wenn sie überall besiegt ist! schnell verloren, wird aber nur langsam zu- tet wird, sie seien in der Krise unsichtbar. rückgewonnen. Auch über die Corona-Krise Zum Thema Impfstoffe: Als Gesundheitsminister hinaus wird uns das Thema Vertrauen in der Große Hoffnung ruht jetzt auf den Impfstoffen, sind Sie auch Bill Gates begegnet – über den es Gesellschaft beschäftigen. mit denen die Menschen seit Jahresende unter Impfgegnern böse Behauptungen und Um Vertrauen aufzubauen, sind mir per- geimpft werden. Zugleich wird auch heftig über Verschwörungstheorien gibt, die auch unter sönlich vor allem direkte Gespräche wichtig, die Impfung gestritten. Christen verbreitet sind. Was ist Gates für ein gerade mit jungen Menschen. Daher versuche In der Politik besteht große Einigkeit, dass es Mensch? ich, jede Einladung in Schulklassen, aber auch eine Impfpflicht nicht geben wird. Zugleich er- Ich habe Bill Gates als eine eindrucksvolle von Gemeinden oder Vereinen anzunehmen. schreckt mich eine faktenfreie Stimmungsma- Persönlichkeit kennengelernt und bin ent- che gegen das Impfen, hinter der oft eine ver- setzt, in welcher Weise gegen ihn gehetzt Viel diskutiert ist in den vergangenen Monaten bohrte Ablehnung moderner Medizin steckt. wird. Mancher, der seine wohltätigen Aktivi- die Frage der Freiheitsrechte im Verhältnis zu Leider beteiligen sich mitunter auch Christen täten kritisiert, kritisiert ja eigentlich, dass den Corona-Maßnahmen. Zugespitzt gefragt: daran. Mancher verharmlost die Pandemie, als Privatpersonen überhaupt solch gewaltigen Warum sind wir in Deutschland mit der gehörten Krankheiten gleichsam zur Schöp- Reichtum besitzen – und das ist eine ernstzu- Regierung Merkel nicht auf dem Weg in die fung. Ich halte dagegen: Der menschliche Geist, nehmende ethische Diskussion. Aber wenn Diktatur? 12 EiNS Februar 2021
VERANTWORTUNG TRAGEN Hermann Gröhe war CDU-Generalsekretär (2009-2013) und Bundesgesundheitsminister (2013-2018). Seit 2018 ist er stellvertretender Vorsitzender der CDU/CSU-Bundestagsfraktion und deren Beauftragter für Kirchen und Religions- Foto: Klaus Ulrich Ruof gemeinschaften. Gröhe wird am 25. Februar 60 Jahre alt. Er ist verheiratet und hat 4 Kinder. Das Gespräch mit der EiNS-Redaktion fand online statt. Solche Vorwürfe sind wirklich absurd – und Bild zeichnen, wonach die Evangelikalen vor die Familie und das Leben, die Ablehnung von eine unerträgliche Verharmlosung von Dikta- allem Corona-Leugner, Schwulenhasser und Rassismus, der Wunsch, die Schöpfung zu be- turen. Unsere Regierung braucht das Vertrau- Trump-Fans sind. Gegner jeder religiösen wahren. Aber auch Christinnen und Christen en des Parlaments, welches die wesentlichen Überzeugung freuen sich, wenn sie einzelne haben unterschiedliche Auffassungen: Wie Weichen stellt. Gesetze können zudem vom evangelikale Stimmen für ein derartiges Zerr- schütze ich ungeborene Kinder wirksam? Wie Bundesverfassungsgericht, behördliche Maß- bild missbrauchen können. Da wird eine diene ich dem Weltklima bestmöglich? Wie nahmen von den Verwaltungsgerichten über- schreiende, den Sieg von Trump verkündende kämpfe ich gegen Rassismus und Antisemitis- prüft werden. Viele demokratische Nachbar- Predigerin zum „viralen Hit“ in den sozialen mus? Was dient dem Frieden? länder gehen in ihren Freiheitsbeschränkun- Medien. Aber wer weiß schon – auch unter Auch wenn Christinnen und Christen hier gen deutlich weiter. Wir tun uns damit Christen –, dass ein ganz herausragender For- zu unterschiedlichen Antworten kommen, so zurecht sehr schwer. scher wie Francis Collins, der Chef der Natio- können sie durch ein gutes, vom gemeinsa- nal Institutes of Health der USA, zugleich ein men Glauben geprägtes Miteinander doch zu Beim Thema Vertrauen interessiert uns – im überzeugter evangelikaler Christ ist. einer guten Streitkultur beitragen, auf die Rahmen der Evangelischen Allianz – natürlich Viele Kritiker wollen nicht wahrhaben unsere Demokratie dringend angewiesen ist. die öffentliche Wahrnehmung besonders der oder nicht öffentlich machen, in welch ein- Gegen gesellschaftliche Spaltungen sollte evangelikalen Christen. Wenn Sie an Evangelikale drucksvoller Weise sich gläubige Christinnen unser Tun stets dem Zusammenhalt in der in Deutschland denken, dann …? und Christen für ihre Mitmenschen, gerade Gesellschaft dienen. … denke ich an viele im besten Sinne fromme auch für Flüchtlinge und für Menschen in Ent- Frauen und Männer, für die es dazu gehört, ein- wicklungsländern, einsetzen. Über solchen Der neue Präsident Joe Biden wird in den USA ladend über ihren Glauben zu sprechen. Unser Einsatz für unser Gemeinwesen sollten auch und auch in Deutschland von Christen kritisiert, Land ist stark geprägt von christlichen Wertvor- evangelikale Christen durchaus selbstbewusst weil er, so die Behauptung, sofort die Abtrei stellungen. Der christliche Glaube ist eine ent- sprechen. bung freigeben würde. Wie denken Sie darüber? scheidende Kraftquelle für viele, auch für mich Erst einmal ist das eine Verkennung der Macht persönlich; eine Quelle, die auch unserer Ge- Wir hören gelegentlich, es sei wichtig, mit einer des Präsidenten. Es gibt dazu eine Rechtspre- sellschaft guttut. Leider entsteht ein Zerrbild Stimme zu sprechen, wenn man gehört werden chung und die Gesetzgebung in den Bundes- von evangelikalen Christen durch „Lautspre- will. Das impliziert, alle Christen müssten die staaten. Ich selbst bin für den Schutz des cher“, deren Tonlage eher durch Stimmungs- gleiche Meinung vertreten. Dabei ist klar, dass Lebens ungeborener Kinder. Insofern verste- mache gegen Flüchtlinge, Muslime, Homosexu- angesichts der Komplexität der Fragen ganz he ich, wenn Christen in den USA Organisa- elle oder auch Impfstoffe geprägt ist, als von der unterschiedliche Weltsichten und Sozialisie tionen wie „Planned Parenthood“ kritisch wunderbaren Botschaft unseres Glaubens. rungen zum Tragen kommen. Was tun? gegenüberstehen. Andererseits macht diese Natürlich wünschen sich viele Christinnen und Organisation in den USA wichtige Angebote, Wie werden denn Evangelikale überhaupt im Christen, gerade bei wichtigen ethischen Fra- die jeder Christ mittragen kann: Brustkrebs- Land wahrgenommen? gen, eine gemeinsame christliche Position. Da untersuchungen, Begleitung von Schwange- Ich wünsche mir mehr Differenzierung! Es ist gibt es eine Sehnsucht nach Eindeutigkeit. Und ren und jungen Familien sowie Beratung bei unfair, wenn insbesondere einige Medien ein natürlich gilt: Uns eint die Wertschätzung für frauenspezifischen Gesundheitsfragen. Ohne 13
VERANTWORTUNG TRAGEN Die großen Zukunfts- fragen sind Fragen der Menschheitsfamilie. Foto: Klaus Ulrich Ruof solche Organisationen hätten gerade ärmere Botschaften gebeten, etwas zur Religionsfrei- meinde leidet, und sie mit Fürbitte zu beglei- Menschen in den USA keinen Zugang zu die- heit in Ägypten, in Bangladesch, in Kenia … in ten, ist wichtig. sen Leistungen, die bei uns für alle selbstver- Erfahrung zu bringen. Das prägt auch die Ar- ständlich sind. Ich glaube auch nicht, dass ein beit der deutschen Auslandsvertretungen. Welche – ethischen – Themen werden uns in den strafrechtliches Verbot von Abtreibungen un- Zweitens: Eine Parlamentsdebatte und der Be- nächsten Jahren vordringlich beschäftigen? geborenes Leben wirklich wirksam schützen richt eines Regierungsbeauftragten schaffen Dank des medizinischen Fortschritts und einer kann. In jedem Fall finde ich es unangemes- Öffentlichkeit. Das Thema rückt damit auch in gesünderen Lebensweise erreichen immer sen, die Bewertung von Biden und Trump al- der Außenpolitik ins Bewusstsein. Es wird mehr Menschen bei uns ein hohes Lebensalter. lein an dieser Frage festzumachen. wahrgenommen in den Partnerländern, dass Damit sind auch Herausforderungen in Pflege Religionsfreiheit ein Thema für uns ist. Ganz und medizinischer Versorgung verbunden, die Nach Deutschland geblickt: In welchen Fragen wichtig ist das Thema Konversion: die Freiheit, wir nur durch ein gutes Miteinander der Gene- sollten Christen sich gesellschaftlich engagieren? die Religion zu wechseln. Da droht Menschen rationen meistern können. Zugleich sollten wir In den Mittelpunkt unseres Engagements ge- in vielen Regionen der Welt eine massive ge- junge Familien noch besser unterstützen. hören sicherlich die Verteidigung der glei- sellschaftliche Ächtung, in einigen sogar die Und bei allen – ich formuliere das bewusst chen Würde jedes menschlichen Lebens und Todesstrafe. Deshalb ist es so wichtig, das fort- so – „Segnungen moderner Medizin“ brau- der Zusammenhalt in unserer Gesellschaft. während öffentlich zum Thema zu machen. chen wir auch einen „zwischenmenschlichen Wir dürfen nicht schweigen, wenn vorgeburt- Fortschritt“ gegen die sich immer mehr aus- liche Untersuchungsmethoden das Lebens- Bleiben wir beim Thema gesellschaftliche Ver breitende Einsamkeit vieler Menschen. recht behinderter Menschen in Zweifel zu antwortung. 2021 ist Wahljahr, mit der Das andere ist – und da hoffe ich auf die ziehen drohen, oder wenn Selbsttötungshilfe Bundestagswahl im September. Was rät der internationalen Kontakte auch der Evangeli- zu einer normalen Behandlungsmethode „Religions-Beauftragte“ der Unionsfraktion kalen: Die großen Zukunftsfragen sind Fra- werden kann. Rassistischen, juden- und is- mit Blick auf eine gute Politik- und Debatten gen der Menschheitsfamilie. Die Bewältigung lamfeindlichen Stimmen – auch unter Chris- kultur? der Corona-Pandemie ist eine globale Aufga- ten – müssen wir klar entgegentreten. Wir brauchen politisches Interesse nicht nur be. Gleiches gilt für den Klimaschutz und die Für mich als Politiker gilt: Wir sollten ge- vor Wahlen. „Aufrichtige Gebete und verant- bittere Armut in vielen Teilen der Welt. Da nau hinhören, wenn uns das Evangelium oder wortliche Taten“ sind dabei mit den Worten einen Blick dafür zu haben, dass wir vor gro- kritische Anfragen provozieren. Es ist gut, von Dietrich Bonhoeffer unsere Aufgaben als ßen Herausforderungen als Menschheitsfami- wenn sich Christdemokraten zum Nachden- Christinnen und Christen. Ich freue mich, lie stehen, ist ein Auftrag gerade für uns ken über die Flüchtlingspolitik provozieren wenn in einem Gottesdienst Fürbitte gehalten Christen. Gegen die Versuchung, sich natio- lassen und Grüne zum Nachdenken über das wird „für die, die in Kirche, Wirtschaft und nalistisch abzuschotten, sollten Christinnen Lebensrecht ungeborener Kinder. Gesellschaft Verantwortung tragen“. Aber und Christen die Überzeugung stellen, dass Evangelikale Stimmen sind auch wichtig, richtig gut wird’s, wenn ich dabei auch weiß: wir eine Menschheitsfamilie sind. wenn sie weltweit einem guten Miteinander Wie heißt eigentlich mein Bürgermeister? Schließlich: Dass in zahlreichen Gemeinden unterschiedlicher Religionen, der Religions- Unsere Landrätin? Wenn ich auch den Namen für Politikerinnen und Politiker gebetet wird, freiheit, das Wort reden. meines Bundestags- oder Europaabgeordne- bedeutet vielen etwas. Mir haben schon Kolle- ten nenne. ginnen und Kollegen im Bundestag, die ich Der Beauftragte der Bundesregierung für welt- Und es wäre mein Wunsch, dass Gemein- eher für glaubensdistanziert halte, gesagt: weite Religionsfreiheit, Markus Grübel, hat den ihre Mitglieder auch zum öffentlichen Wenn mir jemand sagt „Wir beten für Sie!“, jetzt den 2. Bericht der Bundesregierung zur Engagement ermutigen. Ob Elternvertretung dann empfinde ich das als Zuwendung und als Lage der Religionsfreiheit vorgelegt. Was be- oder Betriebsrat, Bürgerinitiative oder demo- Wohlwollen. Insofern mache ich Mut, das nicht deutet es, wenn das Parlament einen solchen kratische Partei: Es gibt viele Möglichkeiten, nur zu tun, sondern auch darüber zu sprechen. Bericht verabschiedet? unser Gemeinwesen mitzugestalten. Ge- Wenn Markus Grübel exemplarisch über 30 meindemitglieder zu solchem Tun zu ermuti- Viel zu tun also. Und zu beten. Vielen Dank für Länder berichtet, dann werden 30 deutsche gen, auch wenn darunter die Zeit für die Ge- das Gespräch! 14 EiNS Februar 2021
PARTNER DER ALLIANZ „Schwarz/Weiß verstärkt die Spaltung“ Fragen an Kriminalhauptkommissar Holger Clas, Bundesvorsitzender der Christlichen Polizeivereinigung Herr Clas, wie nehmen christliche Polizisten die aktuellen gesellschaftlichen Debatten wahr? ker“. Schwarz/weiß ist übersichtlich, aber die Wir leben in spannenden Zeiten: Nahezu alle Abgrenzung verstärkt die Spaltung der Ge- Themen, die noch vor kurzem gesellschaftli- sellschaft. ches und politisches Leben dominierten, wur- Beruhigend ist das Wissen eines Christen, den durch die COVID-19- Pandemie verdrängt. dass Gott die ganze Welt in seiner Hand hält. Wir als Polizei sind besonders gefordert. Die Bibelleser wissen mehr! Sein Wort ist die Auflagen nach dem Infektionsschutzgesetz Kraft, die das Weltall zusammenhält. Vieles, greifen tief in Grundrechte ein, stoßen oft auf was jetzt geschieht, trifft uns nicht überra- Unverständnis und müssen mit Augenmaß, schend. Gott hat uns keinen „Himmel auf Er- notfalls auch unter Einsatz von Zwangsmit- den“ vorhergesagt. Aber eines Tages wird er Foto: privat teln durchgesetzt werden. Außerdem musste Holger Clas selbst alle Tränen abwischen. Dann wird es auch bei uns der Dienstbetrieb so organisiert keinen Tod mehr geben, kein Leid, keine Kla- werden, dass Infektionen so weit wie möglich ge und keine Schmerzen; denn was einmal vermieden werden – auch unter den besonde- Genauso betroffen machen und ein ebenso war, ist dann für immer vorbei. ren Anforderungen an die polizeiliche Eigen- großes gesellschaftliches Engagement sollte sicherung. es auslösen, dass in Deutschland jährlich rund Die Polizei ist öffentlich auch Thema wegen meh- Viele Menschen vereinsamen, verlieren an 100.000 Kinder im Körper ihrer Mutter legal rerer Rechtsextremismus-Fälle und -Ermittlun Lebensmut, werden depressiv. Wer in einer getötet werden. gen? Was sind die größten Herausforderungen? Pflegeeinrichtung oder im Krankenhaus stirbt, Extremismus jeglicher Couleur lehne ich ent- kann häufig keinen Abschied von Angehöri- Wie erleben Sie, auch als Christ, Anti-Corona- schieden ab. Ich kann für rund 250.000 Poli- gen nehmen. Auch im Kollegenkreis werden Demos gegen staatliche Maßnahmen? zisten natürlich nicht meine Hand ins Feuer Themen wie Krankheit, Tod, Sinn des Lebens Ich beobachte eine zunehmende Spaltung legen. Zugleich stelle ich fest, dass ich in mei- und die Beziehung zu Gott diskutiert. Da wol- unserer Gesellschaft, die mir Sorgen bereitet. nen vielen Dienstjahren nicht ansatzweise ex- len wir unsere Hoffnung auf Christus vermit- Einerseits nutzen Extremisten und Antisemi- tremistische Strukturen bei der Polizei festge- teln und diese besondere Zeit auskaufen. ten die aktuelle Lage aus, um ihre gefährliche stellt habe, weder links noch rechts noch isla- und hasserfüllte Propaganda – oft in ver- mistisch. Offensichtlich läuft momentan eine Wie bewerten Sie als Christ und Polizist die schleierter Form – unter das Volk zu bringen. Kampagne interessierter Kreise, die Polizei zu Maßnahmen zum Infektionsschutz? Andererseits findet ein ausgewogener Diskurs diffamieren und zu deligitimieren. Die Polizei Ich begrüße alle Bemühungen, die dramati- über die Verhältnismäßigkeit der massiven hat, wie eine aktuelle FORSA-Umfrage zeigt, schen Auswirkungen der Pandemie zu be- Grundrechtseingriffe, die weitreichenden im Gegensatz zu den Medien das Vertrauen grenzen. Als Polizei wissen wir, was es bedeu- Folgen der Einschränkungen für die Wirt- eines Großteils der Bevölkerung. Dafür bin ich tet, auf der Basis ungesicherter Fakten, sich schaft und die nie dagewesenen Schuldenber- dankbar. Ohne dieses Vertrauen kann die Poli- ständig verändernder Erkenntnisse und unter ge der öffentlichen Hand – die eines Tages zu zei in einer freiheitlichen Gesellschaft nicht hohem Zeitdruck schwierige und weitrei- tilgen sind – in öffentlich-rechtlichen Medien erfolgreich sein. Wir freuen uns sehr, wenn chende Entscheidungen treffen zu müssen. kaum Niederschlag. Manche machen sich gerade angesichts der aktuellen Herausforde- Als Christen haben wir den Auftrag, für Re- ernsthaft Sorgen. Aber wer sich kritisch äu- rungen für die Polizei gebetet wird. gierung und andere Verantwortungsträger zu ßert, landet schnell in der Schublade „Coro- beten. naleugner“ oder „Verschwörungstheoreti- Die Fragen stellt Jörg Podworny 15
ALLIANZ-ORIGINALE SERIE Peter Strauch: ZEIT ZEUGEN Verantwortung übernehmen DER EVANGELISCHEN ALLIANZ Z u Beginn des 21. Jahrhunderts war er hier auf der Erde in unseren Städten und Dör- wesentlich geprägt wurde. Laubach war nicht Vorsitzender der Evangelischen Allianz fern miteinander leben“, fasst er sein Anlie- nur sein Dozent, sondern später auch sein in Deutschland (EAD), von 2000 bis gen mit Blick auf die Allianz zusammen. Mit Vorgesetzter an seiner ersten Pastorenstelle, 2006: Peter Strauch. Und noch immer ist der dieser Einstellung wirkt er bis heute. Denn die in Hamburg. Und als Vorsitzender der EAD inzwischen 78-jährige frühere Präses des Berufung habe keine Begrenzung, meint er. holte er Peter Strauch 1986 in den Hauptvor- Bundes Freier evangelischer Gemeinden Schon als Kind lernte er in seiner Heimatstadt stand. (FeG) ein gefragter Redner. Aber die Allianz- Wuppertal die Allianzveranstaltungen ken- In den Jahren 2000 bis 2006 übernahm veranstaltungen liegen ihm besonders am nen. Er fühlte sich dort wohl, wo Christen aus Peter Strauch dann selbst den Vorsitz der Herzen. „Im Himmel werden wir sowieso zu- verschiedenen Gemeinden zusammenkamen. EAD, nachdem er vorher als zweiter Vorsit- sammen sein“, begründet er seine Haltung. Als Student am Theologischen Seminar (heu- zender neben Rolf Hille fungiert hatte. Ge- „Menschen, die wirklich an Jesus glauben, te Theologische Hochschule) Ewersbach lern- meinsam mit ihm und Hartmut Steeb war er sollten nicht erst im Himmel, sondern schon te er Dr. Fritz Laubach kennen, von dem er an den entscheidenden Gesprächen für die Kasseler Erklärung 1996 beteiligt. „Das war eine spannende Zeit“, erinnert er sich. Evan- gelische Allianz und die pfingstlichen oder charismatischen Gemeinden wirkten bis da- hin streng getrennt voneinander. Durch den Lausanner Kongress 1974 und die daraus ent- standene Lausanner Bewegung hatten sich im internationalen Bereich aber viele Begegnun- gen ergeben. Nun galt es, die Kluft zu über- winden, ohne die theologischen Grundlagen aufzuweichen. Viele offene Gespräche waren nötig, bis die Erklärung zwischen dem Haupt- vorstand der DEA und dem Bund Freikirchli- cher Pfingstgemeinden unterzeichnet werden konnte. Doch die Vereinbarung musste auch der Basis vermittelt werden. „Es genügt nicht, dass ein Leitungsgremium Beschlüsse fasst. Man muss dann auch vor Ort sein, zuhören und immer wieder Vertrauen schaffen“, schil- dert Peter Strauch eine wesentliche Aufgabe seiner Amtszeit als Vorsitzender. Eine Aufgabe in der Gesellschaft Persönlich liegt ihm auch der gesellschafts- Foto: Dietrich Ebeling politische Bereich am Herzen. Bei einem Vor- trag bei der Tagung „Christ und Politik“ 2006 in Berlin bemerkte er, dass es junge aufge- schlossene Evangelikale gibt, die sich poli- 16 EiNS Februar 2021
Foto: DEA, Jonathan Steinert ALLIANZ-ORIGINALE Peter Strauch ist ein beliebter Redner (nicht nur) in Bad Blankenburg tisch engagieren wollten, aber nicht wussten Gesellschaft geschieht. Besonders wurde das Allianz geht darüber hinaus. „Ich bitte aber wie, oder aber in ihren christlichen Gemein- 2015 sichtbar, als hunderttausende Men- nicht allein für meine Jünger, sondern auch schaften und Gemeinden nicht verstanden schen Zuflucht in Deutschland suchten. Viele für die, die durch ihr Wort an mich glauben wurden. Strauch zitierte den anglikanischen Gemeinden haben sich damals engagiert, Kin- werden, damit sie alle eins seien“: So betet Theologen John Stott: „Die Gemeinschaft mit der betreut, Sprachkurse angeboten und Ge- Jesus in Johannes 17. Diese Einheit macht Glaubensgeschwistern ist angenehmer als der flüchtete begleitet. nicht an Kirchengrenzen halt. Sie gilt für die Dienst an einer gleichgültigen oder sogar Zwei Seiten gilt es dabei im Blick zu behal- ganze Gemeinde von Jesus Christus, weit feindlichen Umwelt.“* ten, findet Strauch. Es sei gut, dass Gemein- über alle nationalen, sozialen, geschlechts- Darum war es Peter Strauch wichtig, dass den über die eigene Kirche hinaus Verantwor- spezifischen und eben auch kirchlichen Be- die EAD auch in Berlin am Regierungssitz ver- tung übernehmen, auch im gesellschaftspoli- grenzungen hinaus. treten ist und sich zu wichtigen politischen tischen Bereich. Andererseits gelte es, sich Die wesentliche Frage ist für Peter Strauch: Themen äußert. Diese Themen hatten bereits nicht so weit anzupassen, dass man Kirche Bleiben wir „in Christus“? Christliche Werke im 19. Jahrhundert in den ersten Konferen- mit ihrer Kernkompetenz nicht mehr wahr- und Organisationen können sterben, wenn zen der internationalen Evangelischen Alli- nimmt. Bei allem Einsatz muss das Evangeli- sie nicht in den Bahnen ihrer Berufung blei- anz eine wichtige Rolle gespielt, waren da- um zum Tragen kommen, im Wort und in der ben. Es gibt in der Kirchengeschichte viele nach aber eine Zeitlang aus dem Blick gera- Tat. Für sich selbst sieht Peter Strauch es so: Beispiele dafür. Andererseits ist ihre Leben- ten. „Wir sollen uns diesen Themen öffnen Er habe heftige politische Angriffe von „links“, digkeit keine Frage des Alters. Auch für die und fragen: Was ist unsere Aufgabe in der aber auch von „rechts“ erlebt. „Solange die Evangelische Allianz gilt, was Jesus seinen Gesellschaft? – allerdings ohne das Zentrum, Angriffe von beiden Seiten kommen, stehe ich Jüngern sagt: „Wer in mir bleibt und ich in den Glauben an Jesus Christus und die Wei- richtig“, habe er sich damals gesagt. ihm, der bringt viel Frucht; denn ohne mich tergabe seines Evangeliums, zu vernachlässi- könnt ihr nichts tun. gen. Dazu gehören auch Verlautbarungen im DNA: Gemeinschaft der Glaubenden politischen Bereich, denn wir leben nicht auf Als Vorsitzender der EAD und als Präses der (* John Stott, Christsein in den Brennpunkten unse- rer Zeit 1984) einer Insel“, sagt er. „In einer demokratischen FeG hat er immer wieder erlebt, dass unter- Gesellschaft tragen wir immer auch Mitver- schiedliche Menschen mit unterschiedlichen antwortung.“ Frömmigkeitsstilen zusammenfinden, weil Der Vortrag von Peter Strauch zum Thema Mit Interesse verfolgt Strauch die Arbeit Jesus ihr gemeinsamer Herr und Retter ist. „Suchet der Stadt Bestes“ von der Allianz- von Uwe Heimowski als Vertreter der EAD am Auf dieser Ebene wachsen Vertrauen und Ge- Tagung Christ und Politik (2006) ist eine Sitz des Deutschen Bundestages und der Bun- meinschaft. Selbst wenn manches in evange- konzentrierte Zusammenfassung zum Thema desregierung. Und er freut sich über Men- likal geprägten Kirchen und Gemeinden für aus biblischer und geschichtlicher Sicht. schen wie Frank Heinrich, die als Bundestags- andere fremd und ungewohnt sein mag, was Er kann zugeschickt werden. abgeordnete einen wichtigen Dienst über- ja auch umgekehrt gilt: In Christus ist Einheit. nommen haben. Wichtig sei es, dass diese Das ist für Peter Strauch das Besondere an Erfahrungen auch in den Gemeinden vor Ort der Evangelischen Allianz: Sie ist keine Kir- Die Autorin Margitta ankommen und umgekehrt die Ortsallianzen chengemeinschaft, sondern Gemeinschaft der Rosenbaum gehört zum die Arbeit der politisch Aktiven betend unter- Glaubenden. Dies ist nach seiner Überzeu- Redaktionskreis des EiNS- stützen. gung ihre eigentliche DNA. Verbindliches Le- Magazins und zum Peter Strauch beobachtet, dass sich vieles ben in den Kirchen, Gemeinden und Gemein- Arbeitskreis „Frauen“ der geändert hat. Er sieht, dass sich Gemeinden schaften ist ihm durchaus wichtig. Aber er ist Evangelischen Allianz in jetzt häufiger darum kümmern, was in der überzeugt: Das Anliegen der Evangelischen Deutschland 17
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