Im Sog der Krise - Metall NRW
←
→
Transkription von Seiteninhalten
Wenn Ihr Browser die Seite nicht korrekt rendert, bitte, lesen Sie den Inhalt der Seite unten
16. Juli 2020 #8 / 2020 Ausgabe für die Metall- und Elektro-Industrie ISSN 0344-919X Informationen aus dem Institut der deutschen Wirtschaft G 11587 Im Sog der Krise Berufsausbildung. In der dualen Berufsausbildung halten sich momentan beide Seiten zurück: Die Unternehmen bieten weniger Ausbildungsplätze an und auch viele Schulabsolventen sind unsicher, ob jetzt gerade der richtige Zeitpunkt ist, eine Lehre zu beginnen. Für Achim Dercks ist die Sache jedoch klar: Auch nach Corona müsse man mit einem wachsenden Fachkräftemangel rechnen, sagt der stellvertretende Hauptgeschäftsführer des DIHK im Inter- view – und rät beiden Seiten zur Ausbildung auch in Pandemiezeiten. Seiten 2–5 Metall- und Elektro-Industrie Außenhandel Die Corona-Krise trifft die M+E-Industrie hart. Dennoch Die weltweiten Konjunktureinbrüche haben der export- wollen zwei Drittel der Unternehmen die Zahl der Ausbil- starken deutschen Wirtschaft schwer geschadet. Und dungsplätze im kommenden Jahr konstant halten. auch langfristig sind die Prognosen nur mäßig. Seite 6–7 Seiten 8–9 Weitere Themen +++ Europäische Union +++ Russland +++ Corona +++ Top-Liste: Alleinlebende Seniorinnen +++ Neu auf iwd.de: Mehrwertsteuersenkung
16. Juli 2020 / #8 / Seite 2 Berufsausbildung Ein Schutzschirm für Azubis Berufsausbildung. Die Corona-Pandemie setzt auch den Ausbildungsmarkt unter Druck. Nicht nur Unternehmen halten sich mit ihrem Angebot an Ausbildungsplätzen zurück, auch viele Jugendliche zögern, in diesem Jahr eine Berufsausbildung zu beginnen. All dies verschärft den Fachkräftemangel. Die Corona-Krise stellt zahlreiche Unternehmen vor Homeoffice umstellen oder massive Auftragseinbrüche große Herausforderungen: Zwar können die meisten verkraften. Betriebe in Deutschland bislang Entlassungen weitest- Weil niemand weiß, wie lange die Krise noch andau- gehend vermeiden – seit März 2020 waren lediglich ert und wie umfangreich die Auswirkungen sein werden, 82.700 Zugänge in Arbeitslosigkeit aus Beschäftigung zu sind zahlreiche Unternehmen verunsichert und halten verzeichnen. Doch die Zahl der Anzeigen von Kurzarbeit sich mit der Neueinstellung von Auszubildenden zurück. hat im April mit mehr als zehn Millionen Personen ein Auch die Jugendlichen selbst zaudern. Viele von ihnen Rekordhoch erreicht. Im Vordergrund steht derzeit, überlegen, wegen der Pandemie ihren Ausbildungsstart möglichst viele Beschäftigte zu halten, um nach der Krise um ein oder zwei Jahre zu verschieben. So ist auch die wieder durchstarten zu können. Nachfrage am Ausbildungsmarkt zurückgegangen: Das stark gesunkene Arbeitsvolumen und der zuneh- Die Zahl der gemeldeten Bewerber ist in diesem mende Kostendruck führen dazu, dass viele Unterneh- Beratungsjahr bislang um rund 39.000 gesunken. men momentan auf Neueinstellungen verzichten. So gab Ähnlich wie schon in früheren Krisenjahren schauen es im März 2020 rund 115.000 weniger offene Stellen als sich Jugendliche nach Alternativen zu einer dualen im Vorjahr. Diese Zurückhaltung schlägt sich auch auf Ausbildung um. Viele entscheiden sich momentan lieber dem Ausbildungsmarkt nieder, denn es werden aktuell für ein Studium. deutlich weniger Plätze als in den vergangenen Jahren Unternehmen müssen also zum einen neue Wege neu besetzt (Grafik Seite 3): gehen, um Bewerber zu finden. Zum anderen müssen sie Von Oktober 2019 bis Ende Mai 2020 wurden bei ihre Ausbildung aktuell umstellen. Denn Instrumente wie der Bundesagentur für Arbeit insgesamt gut 46.000 Kurzarbeit und flexible Homeoffice-Regelungen lassen betriebliche Ausbildungsstellen weniger gemeldet als sich nicht eins zu eins auf die Ausbildung übertragen. im gleichen Vorjahreszeitraum. Homeoffice ist für Auszubildende nicht vorgesehen. Das entspricht einem Minus von rund 9 Prozent. Zudem stellt die Ausbildung im Homeoffice eine an- Ursache für diesen rapiden Rückgang der Ausbildungs- spruchsvolle Betreuungsaufgabe dar, die neben der platzzahl ist, dass viele Betriebe vorübergehend vollstän- erforderlichen technischen Ausstattung auch flexible dig schließen mussten – beispielsweise im Einzelhandel, Wege bei der Qualifizierung erfordert. in der Gastronomie oder im Automobilbau. Und wer Vielen Unternehmen, die in den vergangenen Wochen nicht von Schließungen betroffen war, musste häufig Mitarbeiter in Kurzarbeit geschickt haben, blieb keine seine Geschäftstätigkeit kurzfristig auf die Arbeit im andere Wahl, als dies auch für Auszubildende zu organi-
Berufsausbildung 16. Juli 2020 / #8 / Seite 3 sieren. Kurzarbeit ist für den betrieblichen Nachwuchs Ausbildungsmarkt 2020: allerdings nur dann möglich, wenn es keine andere Weniger Stellen und weniger Bewerber Möglichkeit gibt. Unternehmen sind verpflichtet, alle Gemeldete … jeweils zwischen Oktober des Vorjahres und Mai Handlungsspielräume auszuschöpfen, bevor sie auch für Auszubildende Kurzarbeit beantragen können. … Bewerber für Berufsausbildungsstellen Zudem haben Auszubildende – auch bei Kurzarbeit – … Berufsausbildungsstellen zunächst einen sechswöchigen Anspruch auf Fortzahlung der Ausbildungsvergütung. Dieser besondere Schutz ist 463.200 ein wichtiges Signal an junge Erwachsene, die über eine 2009 375.000 Ausbildung nachdenken. Ihnen wird dadurch garantiert, dass alles getan wird, damit sie ihre Ausbildung erfolg- 458.200 reich beenden können. 2010 Wie aber kann das in Pandemiezeiten gelingen? 387.300 Anders als bereits fertig ausgebildete Fachkräfte benöti- gen Azubis Unterstützung, um ihren Arbeitstag zu 452.000 strukturieren. Hinzu kommt, dass auch im Homeoffice 2011 432.400 die vorgeschriebenen Ausbildungsinhalte vermittelt werden müssen. Hierfür sind digitale Lernformate 471.200 hilfreich – auch über die akute Krise hinaus. 2012 Außerdem haben Unternehmen die Möglichkeit, die 457.100 Reihenfolge der Ausbildungsinhalte anzupassen. So lassen sich theoretische Inhalte leichter von Bildschirm 465.500 2013 zu Bildschirm vermitteln als praktische Kenntnisse. Doch 450.900 auch Letzteres ist mit passenden digitalen Angeboten grundsätzlich möglich – sei es mithilfe von Bildern, 473.200 Videos, 3-D-Modellen, Virtual- oder Augmented- 2014 Reality-Anwendungen. Sogar für die Prüfungsvorberei- 460.500 tungen gibt es zahlreiche digitale Angebote. Das ist vor allem für Berufsschulen interessant, von denen viele 463.900 2015 nicht hinreichend auf digitales Lernen vorbereitet waren. 464.000 In der Krise zeigt sich zwar, dass es einen großen Anstieg bei digitalen Weiterbildungsaktivitäten gab. 464.700 Allerdings wünschen sich viele Unternehmen mehr 2016 Informationen zu E-Learning-Angeboten sowie Erfah- 478.200 rungsberichte aus der Praxis. Den Unternehmen hilft es, wenn sie sehen, wie digitales Lernen in anderen Betrie- 467.400 2017 ben funktioniert. Das IW hat daher entsprechende 478.984 Informationen auf der Homepage des Kompetenz- zentrums Fachkräftesicherung (kofa.de) bereitgestellt. 456.000 Welche Auswirkungen die Corona-Pandemie auf den 2018 Ausbildungsmarkt in Deutschland letzten Endes haben 495.200 wird, hängt auch davon ab, wie stark die Wirtschaft in diesem Jahr einbricht. Die aktuellen Prognosen des 438.900 2019 Bundesinstituts für Berufsbildung (BIBB) sind alles 512.200 andere als ermutigend (Grafik Seite 4): In diesem Jahr werden voraussichtlich weniger als 399.800 500.000 neue Ausbildungsverträge abgeschlossen 2020 werden. 465.700 Quelle: Bundesagentur für Arbeit Fortsetzung © 2020 IW Medien / iwd
16. Juli 2020 / #8 / Seite 4 Berufsausbildung Das wären rund 25.000 weniger als im Vorjahr und Erträge erwirtschaften können, ist in vielen Unternehmen damit deutlich zu wenig, um die Fachkräftebasis langfris- ungewiss. tig zu sichern. Denn die derzeitigen Jahrgänge der Um Betriebe bei der Ausbildung zu unterstützen und Schulabsolventen sind etwa doppelt so stark wie die Jugendlichen bei der Ausbildungssuche zu helfen, plant nachrückende Azubi-Generation. Sollte die Wirtschafts- die Bundesregierung derzeit einen „Schutzschirm für leistung in Deutschland gar um 7 oder mehr Prozent Lehrstellen“: schrumpfen, könnten es sogar weniger als 460.000 Eine Ausbildungsprämie soll die berufliche Zukunft Neuabschlüsse werden. der Jugendlichen sichern und einen Beitrag zur Für viele Unternehmen ist die aktuelle Situation aber Fachkräftesicherung leisten. auch deshalb ein ernsthaftes Ausbildungshemmnis, weil Kleine und mittlere Unternehmen mit weniger als sie die Qualifizierung des Nachwuchses finanziell nicht 250 Mitarbeitern sollen 2.000 Euro Zuschuss je Auszubil- mehr stemmen können. So zeigt eine BIBB-Erhebung, denden erhalten, wenn sie „in erheblichem Umfang“ von dass insbesondere das erste Ausbildungsjahr kosten- der Krise betroffen sind und dennoch ihre Ausbildungs- intensiv ist. Bei dreijährigen Ausbildungsberufen liegen aktivitäten aufrechterhalten. Erhöhen sie die Zahl ihrer die Nettokosten der Betriebe im ersten Ausbildungsjahr Auszubildenden sogar, gibt es 3.000 Euro. Ob das eine bei 8.600 Euro, im dritten Ausbildungsjahr dagegen nur nennenswerte Wirkung hat oder vielmehr umfangreiche noch bei 2.200 Euro. Mitnahmeeffekte auslöst, muss sich erst zeigen. Ziel- Derzeit dürfte aber entscheidend sein, dass ein genauer dürfte die Maßnahme sein, Betriebe mit einer Azubi im Schnitt jährlich 20.855 Euro an Bruttokosten Übernahmeprämie von 3.000 Euro zu fördern, die Azubis verursacht, die zunächst zu finanzieren sind. aus insolventen Firmen übernehmen. Das wurde kürzlich Denn ob Auszubildende in der Krise in der Produktion in der Allianz für Aus- und Weiterbildung verabredet und oder bei der Erstellung von Dienstleistungen überhaupt inzwischen auch vom Bundeskabinett beschlossen. Deutlicher Rückgang bei den Ausbildungsverträgen erwartet Neu abgeschlossene Ausbildungsverträge Zwischen 456.500 569.379 und 514.900 551.259 530.715 531.414 525.081 522.231 522.093 520.332 523.290 2011 2012 2013 2014 2015 2016 2017 2018 2019 2020 2020: Prognose jeweils zum 30. September Quelle: Bundesinstitut für Berufsbildung © 2020 IW Medien / iwd
Berufsausbildung: Interview 16. Juli 2020 / #8 / Seite 5 „Fachkräfte werden händeringend gesucht werden“ Interview. Ist es klug, jetzt eine duale Berufsausbildung zu beginnen? Ja, solange das ausbildende Unternehmen nicht in wirtschaftlichen Schwierigkeiten steckt, sagt Foto: IW Medien Achim Dercks, stellvertretender Hauptgeschäftsführer des Deutschen Industrie- und Handelskammertags. Wie geht es den 1,3 Millionen dass sich jeder vierte Betrieb im werden 500.000 Menschen mehr in Azubis? Wie viele sind aktuell in kommenden Jahr aus der Ausbil- Rente gehen, als von den Schulen Kurzarbeit? dung zurückziehen wird. Wie sieht kommen – wir wissen, dass dann Zur Kurzarbeit von Auszubilden- es bei den IHK-Unternehmen aus? Fachkräfte händeringend gesucht den gibt es keine gesonderte Statis- Wir schätzen, dass es zu einem werden. tik. Zumindest den Azubis der Rückgang im zweistelligen Bereich Die Bundesregierung zahlt Abschlussjahrgänge geht es insoweit bei den IHK-Berufen kommen wird. Corona-geschädigten Unterneh- gut, dass sie gerade ihre Prüfungen Das ist zum Teil Corona-bedingt, zum men mit maximal 249 Beschäftig- machen konnten – das war ja lange Teil kommen hier aber auch Effekte ten, die weiterhin ausbilden, Zeit Corona-bedingt nicht klar, ob zum Tragen, die schon vor Corona zwischen 2.000 und 3.000 Euro das klappt. Wir konnten erst im eingetreten sind. Die Automobil- Ausbildungsprämie je Azubi. Auch Frühjahr wieder mit den Prüfungen industrie und ihre Zulieferer etwa die monatliche Ausbildungsvergü- anfangen. Es bkommen somit alle gerieten schon im vergangenen Jahr tung wird nötigenfalls zu 75 Pro- Azubis, die bestehen, demnächst ihr in eine wirtschaftlich schwierige zent übernommen. Reicht das an Zeugnis. Damit können sie dann in Situation. Insgesamt erklären diese Unterstützung? ihr Berufsleben als ausgebildete Faktoren, warum wir in diesem Jahr Das ist auf jeden Fall ein wichtiges Fachkraft starten. einige Herausforderungen am Signal an die Unternehmen, weiter in Ansonsten gilt insgesamt, dass Ausbildungsmarkt zu bewältigen die Ausbildung zu investieren. Dass viele Unternehmen kreativ waren, haben. allerdings nur kleine und mittlere um die Ausbildung auch unter den Würden Sie Ihrem Sohn jetzt Unternehmen diese Förderung erschwerten Bedingungen von raten, eine Mechatronikerlehre zu bekommen, führt natürlich bei Corona fortzusetzen, etwa im machen? größeren Betrieben zu Kritik. Denn Homeoffice, wo dann auch die Wenn er den Wunsch hat, in diese wie stark ein Unternehmen durch die Azubis saßen. In manchen Hotel- und Richtung zu gehen: ja. Wobei ich ihm Corona-Pandemie wirtschaftlich Gastronomiebetrieben haben die natürlich raten würde, eine Ausbil- getroffen wird, hat ja nichts mit der Auszubildenden beispielsweise dung bei einem Unternehmen zu Größe des Betriebs zu tun, sondern mitgeholfen, den Re-Start nach dem machen, das gute Perspektiven eher mit der Branche. Die Möglich- Lockdown vorzubereiten. Dabei bietet. Auch in der Zeit nach Corona keit der Kurzarbeit gibt es schließlich haben die jungen Leute automatisch ist es ja so, dass wir einen wachsen- auch für alle Unternehmen. Da eine Menge über den Arbeits- und den Fachkräftemangel bei den andererseits der Großteil der Ausbil- Gesundheitsschutz gelernt, das ist ja beruflich Qualifizierten haben dungsbetriebe weniger als 250 Mit- auch ein wichtiger Teil der Berufs- werden. Und dann werden auch arbeiter beschäftigt, werden die ausbildung. wieder Mechatroniker – oder in der Maßnahmen gleichwohl einen Der Zentralverband des Deut- nächsten Stufe Industriemeister – positiven Effekt auf den Ausbildungs- schen Handwerks geht davon aus, dringend gebraucht. Im Jahr 2025 markt haben.
16. Juli 2020 / #8 / Seite 6 Metall- und Elektro-Industrie Nachwuchsförderung trotz Krise Metall- und Elektro-Industrie. Die Corona-Krise hat die deutsche M+E-Industrie fest im Griff. Die meisten Betriebe sind in ihrer Produktion eingeschränkt, viele müssen ihre Beschäftigten in Kurzarbeit schicken. Dennoch wollen zwei Drittel der Unternehmen am Umfang ihrer Ausbildung für das neue Ausbildungsjahr festhalten. Auch wenn das Infektionsgesche- hart. Am stärksten spüren die ihre Beschäftigten haben und hen in Europa zuletzt rückläufig war, Betriebe dies im Inland: 75 Prozent entsprechend kurzfristig andere führt die Corona-Pandemie in der berichten von deutlich gesunkenen Wege gehen müssen (Grafik): Industrie weiter zu massiven Proble- Absatzzahlen in Deutschland. Zwei Drittel der M+E-Unterneh- men. In der Metall- und Elektro- Ebenfalls schwierig gestalten sich die men in Deutschland nutzen aktuell Industrie können immer noch fast Geschäfte für die M+E-Industrie Kurzarbeit, weitere 9 Prozent 90 Prozent der Unternehmen nicht derzeit in Westeuropa. planen dies. komplett störungsfrei produzieren, All das führt dazu, dass viele Betroffen sind in diesen Betrieben wie eine Befragung des Arbeitgeber- Betriebe nicht genügend Arbeit für gut 60 Prozent der Beschäftigten. Im verbands Gesamtmetall unter seinen Mitgliedern Mitte Juni zeigt: In 46 Prozent der M+E-Betriebe ist die Produktion weiterhin stark M+E-Industrie: Kurzarbeit bleibt Mittel der Wahl oder sehr stark eingeschränkt. in Prozent Besonders betroffen ist die Auto- mobilindustrie, wo knapp drei Viertel Gewichteter Anteil der Unternehmen noch große der von Kurzarbeit Schwierigkeiten haben, die Produk- Anteil der M+E-Unter- betroffenen Durchschnittliche tion wieder hochzufahren. Insgesamt nehmen mit Kurzarbeit M+E-Beschäftigten Senkung der Arbeitszeit liegt die Auslastung der Produktions- anlagen in der M+E-Industrie mit 66 Prozent nach wie vor unter dem Wert zur Zeit der Finanzkrise 2009. Dass sich an der Situation schnell etwas ändert, glauben die wenigsten M+E-Unternehmen. Nur ein Fünftel 66 61 48 erwartet, bis Ende 2020 in der Produktion den Stand von vor der Corona-Krise zu erreichen. Fast die Hälfte mag sogar keine Prognose aufgrund der unsicheren Lage abgeben. Befragung von 1.376 M+E-Unternehmen vom 15. bis 19. Juni 2020 Die M+E-Unternehmen trifft vor Quelle: Gesamtmetall © 2020 IW Medien / iwd allem der Rückgang der Nachfrage
Metall- und Elektro-Industrie 16. Juli 2020 / #8 / Seite 7 Durchschnitt arbeiten sie knapp Auch wenn die Gesamtsituation dungsabsolventen weitergeht. 50 Prozent weniger als vertraglich schwierig ist, legen die M+E-Unter- Maßgeblich dafür wird die wirt- festgelegt. nehmen weiter ein starkes Augen- schaftliche Entwicklung in den Durch die Kurzarbeit konnten merk auf die betriebliche Ausbil- kommenden Wochen sein. Sollten viele Unternehmen ihre Mitarbeiter dung. So hat sich die Corona-Krise in sich die Aussichten für die M+E- auch in der Krise weiterbeschäftigen. 92 Prozent der Unternehmen nicht Industrie verbessern, werden Die Zahl der Personen, die aus einer auf bestehende Ausbildungsverhält- wahrscheinlich weitere Betriebe ihre Beschäftigung heraus arbeitslos nisse ausgewirkt. Nur in 3 Prozent Azubis übernehmen – schließlich wurden, war im Juni 2020 fast so der Betriebe mussten die Azubis in gibt es noch immer in zahlreichen niedrig wie im Vorjahresmonat. Auch Kurzarbeit und lediglich 2 Prozent Berufen einen Fachkräftemangel. mit Blick auf die Entwicklung der der Unternehmen haben Ausbil- Entsprechend wollen viele Arbeitslosenzahlen in anderen dungsverhältnisse vorzeitig beendet. Unternehmen trotz der ungewissen Industriestaaten erweist sich das Die Übernahme der Azubis ist Zukunft weiter ausbilden (Grafik): Instrument als sinnvoll und zielfüh- zwar noch nicht überall gesichert. 65 Prozent der M+E-Betriebe rend. Dennoch werden viele Unter- Doch immerhin 43 Prozent der werden für das Ausbildungsjahr nehmen, je länger die Krise dauert, befragten Unternehmen wollen in 2021/22 genauso viele Ausbil- nicht um einen Personalabbau diesem Jahr alle fertig Ausgebildeten dungsplätze anbieten wie in den herumkommen. Bereits heute gehen weiter beschäftigten, 26 Prozent Jahren zuvor. 40 Prozent der M+E-Betriebe davon übernehmen zumindest einen Teil Weitere 3 Prozent wollen ihr aus, die Zahl der Beschäftigten in der Azubis. Angebot sogar ausbauen. Ein Drittel den kommenden drei Monaten In knapp einem Viertel der der Betriebe muss die Zahl der verringern zu müssen, nur 6 Prozent Unternehmen ist noch nicht ent- Azubistellen dagegen voraussichtlich wollen Personal aufbauen. schieden, wie es mit den Ausbil- zurückfahren. M+E-Ausbildung: Zwei Drittel wollen Niveau halten In so viel Prozent der M+E-Unternehmen soll die Zahl der Ausbildungsplätze im Ausbildungsjahr 2021/22 im Vergleich zu den Vorjahren ... 43Prozent ... etwa gleich bleiben ... eher sinken ... eher steigen der M+E-Unternehmen in Deutschland wollen trotz der Corona-Krise in diesem Jahr alle ihre Auszubildenden 65 32 3 übernehmen Befragung von 1.376 M+E-Unternehmen vom 15. bis 19. Juni 2020 Quelle: Gesamtmetall © 2020 IW Medien / iwd
16. Juli 2020 / #8 / Seite 8 Außenhandel Trübe Aussichten Außenhandel. Die Corona-Krise hat weltweit zu Konjunktureinbrüchen ge- führt. Die exportorientierte deutsche Wirtschaft musste in der Folge einen starken Rückgang der internationalen Nachfrage verkraften. Auch wenn sich hierzulande aktuell eine leichte Entspannung abzeichnet – langfristig sehen die Prognosen mäßig aus. Die deutsche Wirtschaft ist so Anstieg der aktiven Corona-Fälle um sind, ein hohes Risiko. Trifft nur eines intensiv in internationale Märkte und 10 Prozent innerhalb einer 14-Tages- der beiden Kriterien zu, liegt ein Wertschöpfungsketten eingebunden Periode gab und gleichzeitig mindes- mittleres Risiko vor. wie nur wenige andere Volkswirt- tens 0,1 Prozent der Bevölkerung Auf der Basis der Exporte des schaften auf der Welt. Dementspre- akut mit dem Coronavirus infiziert Jahres 2019 gehen aus Deutschland chend wirken sich Corona-bedingte wirtschaftliche Einschränkungen in anderen Ländern stark auf die Außenhandel: Große Probleme durch Corona deutsche Wirtschaft aus – vor allem Deutsche Exporte im Wert von so vielen Milliarden Euro gingen im Jahr 2019 in Länder, auf die Industrie. die in der ersten Juni-Hälfte 2020 durch die Corona-Pandemie dieses Risiko hatten In der ersten Junihälfte 2020 waren laut IW-Konjunkturumfrage Hohes Risiko Mittleres Risiko 65 Prozent der Industrieunterneh- 34,1 Geringes Risiko Keine Angabe men in ihrer Produktion durch 26,3 Engpässe in den Lieferketten 30,0 eingeschränkt. Zusätzlich gestaltet sich auch das Exportgeschäft schwierig, da die Corona-Krise sowohl zu einem 122,0 105,0 Angebots- als auch zu einem Nach- 101,8 13,0 frageeinbruch geführt hat. 10,9 Um das Ausmaß zu überblicken, hat das Institut der deutschen 67,9 Wirtschaft die Corona-Risiken in 49,8 10,4 industriellen Exportmärkten unter- sucht. In der Analyse wurden sieben 74,2 66,6 62,1 38,3 Wirtschaftszweige betrachtet, die 41,0 36,8 zusammen rund 82 Prozent der 13,5 industriellen Exporte Deutschlands 0,8 1,4 2,4 0,7 0,3 1,2 auf sich vereinen. Automobil- Maschinen- Elektro- Chemie- Metall- Sonstiger Die Risikoeinordnung wurde für industrie bau industrie industrie industrie Fahrzeugbau mehr als 160 Länder vorgenommen Hohes Risiko: Anstieg der aktiven Corona-Fälle innerhalb einer 14-Tages-Periode um 10 Prozent und bezieht sich auf den Zeitraum und gleichzeitig mindestens 0,1 Prozent der Bevölkerung akut mit dem Coronavirus infiziert Mittleres Risiko: Einer der beiden Risikofaktoren trifft zu vom 2. bis zum 16. Juni 2020. Dabei Geringes Risiko: Keiner der Risikofaktoren trifft zu besteht nach Definition der Forscher Quelle: Institut der deutschen Wirtschaft © 2020 IW Medien / iwd in jenen Ländern, in denen es einen
Außenhandel 16. Juli 2020 / #8 / Seite 9 Waren im Wert von gut 160 Milliar- aufrechtzuerhalten, weil die Aus- ten lag 2019 weltweit bei 114 Milliar- den Euro in Länder, die derzeit ein landsnachfrage einbricht. den Euro. Die Elektroindustrie mit hohes Infektionsgeschehen haben. Die Aussichten für die deutschen fast 100 Milliarden Euro und der In besonderem Maße sind davon die Unternehmen sind unter diesem Maschinenbau mit knapp 90 Milliar- wichtigsten Branchen der Metall- Gesichtspunkt nicht gut (Grafik): den Euro verzeichnen ebenfalls hohe und Elektro-Industrie betroffen Rund 52 Prozent der Industrie- Verkaufszahlen in Ländern mit (Grafik Seite 8): exporte im Jahr 2019 gingen in sinkender Wirtschaftsleistung. Die Exporte der Automobil- Länder, deren Wirtschaftsleistung Festzuhalten bleibt: Die Corona- industrie, des Maschinenbaus und 2020 voraussichtlich um mehr als Krise hat die meisten Länder der der Elektroindustrie in Länder mit 6 Prozent einbrechen wird. Welt schwer getroffen, was die Per- derzeit hohem Corona-Risiko In der Metallindustrie ist der spektiven für die deutschen Expor- beliefen sich im Jahr 2019 auf gut Anteil mit gut 57 Prozent am höchs- teure in allen Branchen deutlich 90 Milliarden Euro. ten, der sonstige Fahrzeugbau verschlechtert hat. Wie sich die Lage Um die möglichen Auswirkungen schneidet mit 46 Prozent vergleichs- weiterentwickelt, hängt stark davon der Corona-Pandemie auf ausge- weise gut ab. Er hat auch mit knapp ab, wie die Pandemie künftig verläuft wählte Industriebranchen bewerten 16 Prozent den höchsten Anteil an und welche Lockerungsstrategien die zu können, reicht der Blick auf die Ausfuhren in Länder, in denen die einzelnen Abnehmerländer verfol- derzeitige Lage allein allerdings nicht Wirtschaft im Jahr 2020 wachsen gen. Damit wiederum haben viele aus. Wichtig sind auch die Wachs- dürfte. Das liegt vor allem daran, deutsche Unternehmen ihr Schicksal tumsaussichten in den einzelnen dass China, Indien und Vietnam nicht mehr selbst in der Hand. Exportländern. wichtige Exportziele des sonstigen Dabei gilt: Je stärker der wirt- Fahrzeugbaus sind. Aus IW-Trends 3/2020 schaftliche Einbruch infolge der Umgerechnet auf das Exportvolu- Hubertus Bardt, Sonja Beer: Das Marktumfeld Corona-Pandemie in den Zielländern men drohen der Autoindustrie die der deutschen Exportwirtschaft im Schatten der Corona-Pandemie ist, desto schwieriger wird es, das größten Einbußen. Ihr Umsatz in den iwkoeln.de/corona-außenhandel Niveau der deutschen Exporte stark schrumpfenden Volkswirtschaf- Exportgeschäft: Langzeitschäden drohen So viel Prozent der deutschen Exporte aus dem Jahr 2019 gingen in Länder mit dieser prognostizierten Entwicklung des Bruttoinlandsprodukts im Jahr 2020 Mindestens minus 6,1 Prozent Zwischen minus 6 und minus 3,1 Prozent Zwischen minus 3 und 0 Prozent Mindestens plus 0,1 Prozent Keine Angabe Metallindustrie 57,2 34,4 2,2 6,0 0,3 Chemieindustrie 55,6 32,2 4,0 7,9 0,3 Automobilindustrie 51,0 33,1 3,8 12,0 0,1 Elektroindustrie 48,0 35,1 3,8 12,8 0,2 Maschinenbau 46,4 35,9 3,9 13,6 0,2 Sonstiger Fahrzeugbau 46,3 32,5 4,5 15,7 1,0 Industrie insgesamt 52,3 34,1 3,4 9,9 0,3 Prognose: auf Basis der Daten des Internationalen Währungsfonds von April 2020 Quelle: Institut der deutschen Wirtschaft © 2020 IW Medien / iwd
16. Juli 2020 / #8 / Seite 10 Europäische Union Mehr Wachstumspaket als Soforthilfe Europäische Union. Die EU-Kommission will einen Fonds in Höhe von 750 Milliarden Euro zur Bekämpfung der Corona-Krise aufsetzen. Dem vorgeschlagenen Verteilungs- schlüssel zufolge profitieren vor allem osteuropäische Länder – sie würden nach Berech- nungen des IW mehr Transfers erhalten, als sie durch den Einbruch des BIP im Jahr 2020 voraussichtlich verlieren. Eine gemeinsame Antwort auf die müssen und diese damit ihre Schul- Das geplante Corona- Corona-Krise finden – darauf konn- den für den Hilfstopf begleichen Hilfspaket der EU ten sich die EU-Staats- und Regie- kann. in Milliarden Euro rungschefs in der Diskussion über ein Deutschland, Frankreich und die Wiederaufbauprogramm für Europa südeuropäischen Staaten pochen 500 Nicht rückzahlbare bislang einigen. Ansonsten gibt es jedoch auf den hohen Anteil an Zuwendungen wie immer Streit: Wie viel Geld soll in Zuschüssen, da Länder wie Italien das Hilfspaket? Wie wird es ausge- und Spanien bereits auf einem zahlt? Und wer bekommt wie viel? hohen Schuldenberg sitzen. Auf dem Verhandlungstisch liegt Welche Länder letztlich wie viele nach dem Vorschlag der Kommission Corona-Hilfen bekommen sollen, 750 die Rekordsumme von 750 Milliarden wurde zwar noch nicht offiziell Insgesamt Euro – wovon bis zu 500 Milliarden verkündet. Im Raum steht aber, dass Euro als Zuschüsse und 250 Milliar- bei der Verteilung vor allem das den als Darlehen an die Mitglieds- Bruttoinlandsprodukt (BIP) und die staaten fließen sollen (Grafik). Damit Arbeitslosenquote als Maßstäbe würde die Behörde erstmals in ihrer herangezogen werden. 250 Geschichte Schulden im großen Stil Nach Berechnungen des Instituts Kredite aufnehmen, die über gemeinsame der deutschen Wirtschaft würden Zuwendungen: davon etwa 70 Milliarden Euro an Garantien; EU-Haushalte in den kommenden dann vor allem die osteuropäischen Stand: Juni 2020 Quelle: IW Consult Jahrzehnten getilgt werden müssten. Länder profitieren (Grafik Seite 11): © 2020 IW Medien / iwd Für einige Mitgliedsstaaten – allen Setzt man die Zuwendungen voran Österreich, Schweden, Däne- aus Brüssel ins Verhältnis zur mark und die Niederlande, mittler- Wirtschaftsentwicklung seit dem weile auch bekannt als die sparsa- Ausbruch der Krise, wäre Bulgarien men Vier – sind nicht rückzahlbare größter Nutznießer des Corona- schrumpfen, durch einen EU-Zu- Zuschüsse in dieser Höhe allerdings Hilfspakets. schuss von 15 Prozent des Brutto- ein rotes Tuch. Kredite haben den Die bulgarische Wirtschaft dürfte inlandsprodukts gewinnt das Land Vorteil, dass die Kreditnehmer der in diesem Jahr zwar laut Prognose letztlich aber 8 Prozentpunkte – um- Kommission das Geld zurückzahlen der EU-Kommission um 7 Prozent gerechnet rund 4,8 Milliarden Euro.
Europäische Union 16. Juli 2020 / #8 / Seite 11 Neben Bulgarien zählen Kroa- von preisbereinigt 223 Milliarden wird. Die EU-Kommission nutzt tien, Polen, Rumänien und Lett- Euro zu verkraften. vielmehr die Gunst der Stunde, den land zu den größten Profiteuren Doch auch wenn die Bundesrepu- ohnehin schwächeren Mitgliedsstaa- des Corona-Hilfspakets. blik auf den ersten Blick nicht zu den ten in schwierigen Zeiten auf die Irland, Frankreich, Belgien, die Abräumern des Hilfspakets gehört, Beine zu helfen und langfristige Niederlande und Deutschland hat sie ein starkes Interesse daran, internationale Wachstumsimpulse würden zwar ebenfalls Milliarden- dass andere EU-Länder wirtschaft- ganz im Sinne des Green Deals und summen aus dem Hilfsfonds erhal- lich nicht über die Klinge springen. des digitalen Wandels zu geben. ten, doch gemessen an ihrer höheren Deutsche Exportunternehmen Dafür müssten sich die EU-Mit- Wirtschaftskraft und dem angenom- brauchen einen starken EU-Binnen- gliedsstaaten bis Ende des Jahres menen BIP-Rückgang in diesem Jahr markt – mehr als die Hälfte der allerdings einigen. Erste Gespräche fallen die Hilfen unterm Strich nicht deutschen Warenexporte geht in die finden bereits statt, für Mitte Juli ist so stark ins Gewicht. 27 Mitgliedsstaaten der EU. Und ein persönliches Treffen der Staats- Lettland und die Niederlande dieser ist massiv unter Druck, so wie und Regierungschefs geplant. Eine zum Beispiel wurden von der der deutsche Außenhandel insge- Schlüsselrolle bei den Verhandlun- Corona-Krise ähnlich stark getrof- samt: Das Institut der deutschen gen wird die Bundesregierung fen; während die Niederlande aber Wirtschaft rechnet damit, dass die einnehmen, da Deutschland die EU-Zuschüsse von knapp 1 Prozent deutschen Exporte durch die Krise EU-Ratspräsidentschaft zum 1. Juli der Wirtschaftsleistung erhalten allein im Jahr 2020 um ein Viertel übernommen hat. sollen, bekäme Lettland mehr als einbrechen. 9 Prozent. Um einen raschen konjunkturel- Auch Deutschland erhielte knapp len Impuls für besonders krisenge- IW-Kurzbericht 71/2020 Matthias Diermeier, Florian Güldner, 29 Milliarden Euro in Form von beutelte Länder handelt es sich bei Markos Jung: Next Generation Transfers, hätte aber bei einem von dem vorgeschlagenen Fördertopf Solidarity – EU-Wachstumspaket statt der EU-Kommission prognostizierten allerdings nicht: Der bisherige Plan Konjunkturhilfen realen BIP-Rückgang in Höhe von sieht vor, dass ein Großteil des iwkoeln.de/eu-coronahilfen 6,5 Prozent wirtschaftliche Verluste Geldes erst ab 2023 ausgeschüttet Wer von der EU-Corona-Hilfe profitiert in Prozent des Bruttoinlandsprodukts 2019 Geschätzter Geplante Transferzahlungen im Rahmen des Saldo Rückgang EU-Wiederaufbaufonds des BIP 2020 Bulgarien –7,2 15,2 8,0 Kroatien –9,1 13,7 4,6 Polen –4,3 7,2 2,9 Rumänien –6,0 8,8 2,8 Lettland –7,0 9,5 2,5 Deutschland –6,5 0,8 –5,7 Niederlande –6,8 0,8 –6,0 Belgien –7,2 1,2 –6,0 Frankeich –8,2 1,6 –6,6 Irland –7,9 0,6 –7,3 Geplante Transferzahlungen: nach dem Vorschlag der EU-Kommission, Stand Juni 2020 Quellen: Eurostat, EU-Kommission, Institut der deutschen Wirtschaft © 2020 IW Medien / iwd
16. Juli 2020 / #8 / Seite 12 Russland Wirtschaft auf Talfahrt Russland. Hohe Infektionszah- ebenso schwerwiegende Krise, denn Nach neuesten IWF-Prognosen len, sinkende Ölpreise und ein auch die russische Wirtschaft hat wird das russische Bruttoinlands- starker Einbruch der Industrie- durch den Lockdown stark gelitten: produkt (BIP) 2020 um voraus- Im Vergleich zum Vorjahres- sichtlich 6,6 Prozent schrumpfen. produktion – die Corona-Pande- monat brach die russische Indus- Hinzu kommt, dass der russische mie hat die russische Wirtschaft trieproduktion im Mai 2020 um Außenhandel noch immer von schwer getroffen. Dabei hatte sich 9,6 Prozent ein. Wirtschaftssanktionen betroffen ist. das Land durch strikte Sparmaß- Die Pandemie trifft die russische Erst Mitte Juni kündigten die EU- nahmen gerade erst halbwegs Wirtschaft in einer ohnehin schwieri- Staats- und Regierungschefs an, die stabilisiert. gen Zeit. Seit der russischen Anne- Sanktionen wegen der festgefahre- xion der Krim 2014 und den folgen- nen Situation in der Ukraine zu den Sanktionen der EU und USA ist verlängern. Auch die Handelsbezie- Nach mehr als zwei Monaten das jährliche Wirtschaftswachstum hungen zwischen Russland und massiver Einschränkungen des – mit Ausnahme von 2018 – unter Deutschland sind seit 2014 ins öffentlichen Lebens ist auch Russ- 2 Prozent geblieben. Diese Entwick- Stocken geraten. Allein bis 2015 land Anfang Juni zur Normalität lung ist zum Teil hausgemacht, denn verringerte sich das Handelsvolumen zurückgekehrt. Allerdings ist das Russlands Staatshaushalt wird seit von 70 auf 46 Milliarden Dollar – und Land noch immer ein Zentrum der jeher aus dem Erdöl- und Erdgasge- es hat sich mit 53 Milliarden Dollar Corona-Pandemie: Mitte Juli gab es schäft gespeist. Fällt also der Ölpreis, im Jahr 2019 nur leicht erholt. offiziell etwa 730.000 Infizierte und schwächelt die Konjunktur. Und Dennoch ist die Bundesrepublik mehr als 11.000 Todesfälle. Nur die genau das passiert derzeit – wie einer der bedeutendsten Handels- USA, Brasilien und Indien stehen bei schon in der Finanzkrise von partner Russlands – im vergangenen den Infektionszahlen noch schlech- 2008/2009 und der Ukraine-Krise ab Jahr war Deutschland das zweitwich- ter da. An anderer Stelle droht eine 2014 (Grafik): tigste Lieferland und drittwichtigster Russlands Konjunktur ist vom Ölpreis abhängig Entwicklung des durchschnittlichen jährlichen OPEC-Rohölpreises und Bruttoinlandsprodukts Ölpreis je Barrel in Dollar Veränderung des realen Bruttoinlandsprodukts gegenüber dem Vorjahr in Prozent 120 10 8 100 6 80 4 60 2 60,9 40 0 49,5 39,5 -2 20 -4 –2,0 0 -6 –7,8 -20 -8 –6,6 2007 2009 2015 2020 2007 2009 2015 2020 OPEC: Organisation erdölexportierender Länder; Ölpreis 2020: Durchschnitt Januar bis Mai; Bruttoinlandsprodukt 2020: Prognose Quellen: Internationaler Währungsfonds, Institut der deutschen Wirtschaft © 2020 IW Medien / iwd
Russland 16. Juli 2020 / #8 / Seite 13 Abnehmer russischer Produkte. russischer Kohle am gesamten werden, waren es Ende März rund Russland kauft in Deutschland vor Kohleimport Deutschlands stieg trotz 88 Rubel. Mitte Juni erholte sich der allem Maschinen sowie Autos und der Sanktionen zwischen 2013 und Wechselkurs zwar auf 78,8 Rubel – Autoteile ein, Deutschland importiert 2018 sogar um 12 Prozentpunkte auf dies bedeutet jedoch immer noch aus Russland in erster Linie natür- 36 Prozent. einen Wertverlust von 11 Prozent liche Ressourcen wie Erdöl, Erdgas Nun drohen dem flächenmäßig seit Jahresbeginn. Die stark import- und Kohle (Grafik): größten Land der Erde neben der abhängige russische Wirtschaft Russland exportierte 2018 Corona-Pandemie und den fallenden leidet unter dieser Abwertung, da mineralische Brennstoffe im Wert Ölpreisen noch weitere Schockmo- sich Importe verteuern und die von 16 Milliarden Dollar nach mente: Schwellenländer sind in Auslandsschulden erhöhen. Deutschland – dies entsprach Krisen oft zusätzlich von einer hohen Allerdings scheint es, als habe 47 Prozent aller russischen Exporte Verschuldung, einer rasch zuneh- Russland aus der vorherigen in die Bundesrepublik. menden Kapitalflucht und einer Wirtschaftskrise gelernt: In den Das Geschäft mit dem Öl ist für Abwertung der Landeswährung vergangenen Jahren versuchte das beide Seiten wichtig – rund 33 Pro- betroffen. Letzteres ist bereits der Land, mit strikten Sparmaßnahmen zent aller deutschen Rohölimporte Fall: Mussten Anfang des Jahres nur seine makroökonomische Situation kamen 2018 aus Russland. Der Anteil rund 70 Rubel je Euro gezahlt zu stabilisieren und den Staatshaus- halt zu stärken. Dazu führte die russische Regierung im Jahr 2016 eine neue Fiskalregel ein, nach der Außenhandel zwischen Russland und Deutschland ein Teil der Öl- und Gaseinnahmen Die wichtigsten Handelsgüter im Jahr 2018 in Milliarden Dollar in einen nationalen Wohlfahrtsfonds fließt. Anfang April hatte der Fonds Russische Warenexporte nach Deutschland ein Volumen von rund 165 Milliarden Dollar – das entspricht mehr als Mineralische Brennstoffe, Mineralöle 16,4 11 Prozent des BIP. Russland hat und Destillationsprodukte zudem seine Staatsverschuldung Sonstige Rohstoffe 12,8 kontinuierlich abgebaut, von rund 56 Prozent des BIP im Jahr 2000 auf Kupfer und 14,6 Prozent im Jahr 2018. Dadurch 0,8 Kupfererzeugnisse wurde das Land weniger abhängig von internationalen Geldgebern. Eisen und Stahl 0,6 Diese Maßnahmen haben die Perlen, Edelsteine, russische Wirtschaft widerstandsfä- 0,6 higer gemacht. Ob sie ausreichen, Metalle, Münzen um die Krise abzufedern, bleibt Russische Warenimporte aus Deutschland jedoch abzuwarten. Das Land leidet noch immer unter schwerwiegen- Kernreaktoren, Kessel, Maschinen usw. 6,9 den strukturellen Problemen. Dazu gehören der schwache Industriesek- Sonstige Fahrzeuge ohne tor, die mangelnde Wettbewerbs- 3,8 Eisenbahn und Straßenbahn fähigkeit, die breite Beteiligung des Pharmazeutische Staates an der Wirtschaft sowie die 2,2 Erzeugnisse weitverbreitete Korruption. Elektrische und 1,8 elektronische Geräte Kunststoffe und IW-Report 32/2020 1,7 Sonja Beer: Russland – Wirtschaft und Kunstofferzeugnisse Handelsbeziehung unter Stress Quelle: UN Comtrade iwkoeln.de/wirtschaft-russland © 2020 IW Medien / iwd
16. Juli 2020 / #8 / Seite 14 Corona Der Wettlauf um den Impfstoff Corona. Seit Monaten forschen Wissenschaftler auf der ganzen Welt fieberhaft an einem wirksamen Mittel gegen das neuartige Coronavirus. Insbesondere deutsche Forscher haben offenbar die Nase vorn. Dies liegt auch an der regionalen Vernetzung zwischen Forschungsinstitutionen und Pharmaunternehmen. In der Corona-Krise ruhen große schaftlichen Beiträge zum Corona- eine lange Tradition. Zahlreiche Hoffnungen darauf, dass bald ein virus an – knapp vor den USA und Pharmaunternehmen haben sich in Impfstoff gefunden wird. Die große Großbritannien. den vergangenen Jahren oft dort Zahl an Menschen, die sich in kür- Diese vorwiegend an staatlichen angesiedelt, wo sie renommierte For- zester Zeit mit dem Virus infiziert Hochschulen betriebene Grundla- schungseinrichtungen in der Nähe haben, verdeutlicht diese Dringlich- genforschung ist Voraussetzung haben. Das sorgt für Übertragungs- keit. Doch auch der Blick auf die dafür, dass Unternehmen wirksame effekte und erleichtert die Zusam- Weltwirtschaft zeigt die Dramatik der Medikamente und Impfstoffe entwi- menarbeit. Auch in der Corona- Lage: Die weltweite Wirtschaftsleis- ckeln und auf den Markt bringen Forschung entstehen vor allem dort tung wird im Jahr 2020 voraussicht- können. Wann tatsächlich ein Unternehmensprojekte, wo sich lich um 4 Prozent sinken, der Welt- Corona-Impfstoff zugelassen wird, ist bereits Forschungseinrichtungen handel sogar um 9 Prozent. aber ungewiss. Noch vor wenigen und Pharmaunternehmen tummeln Kein Wunder also, dass die Jahren wurden für die Entwicklung (Grafik): Pandemie einen Forschungswettlauf eines Impfstoffs 15 bis 20 Jahre Forschungshochburgen zu der Superlative ausgelöst hat: veranschlagt. Eine staatliche Förde- Covid-19 gibt es vor allem im Allein zwischen Dezember 2019 rung kann den Prozess zwar be- Rheinland, im Rhein-Main-Gebiet und April 2020 wurden weltweit schleunigen, doch nach wie vor muss sowie in Tübingen, Berlin und mehr als 15.000 Forschungsartikel – neben der Wirksamkeit – auch die München. zu Covid-19 veröffentlicht. Sicherheit eines Wirkstoffs in klini- Spitzenreiter in der Corona- Die meisten Veröffentlichungen schen Studien bestätigt werden. Forschung ist München, wo derzeit – rund 2.500 – stammen aus den An dieser Stelle kommen die allein acht Forschungsprojekte von USA. Deutschland landet mit gut Pharmaunternehmen ins Spiel. Denn Biotechunternehmen laufen. Auch 500 Forschungsbeiträgen zwar nur anders als die Grundlagenforschung an den Grundlagen wird dort emsig auf Rang fünf, punktet dafür aber bei ist die Finanzierung klinischer geforscht: Die Ludwig-Maximilians- der Qualität. Das zeigt der sogenann- Studien durch Steuermittel kaum Universität München hat deutsch- te Cite Score, dem die Zahl zitierter möglich – Unternehmen können die landweit bislang die meisten wissen- Beiträge aus einem Journal zugrun- benötigten Investitionen dagegen schaftlichen Beiträge zum Corona- de liegt: aus ihrem Gewinn stemmen. virus veröffentlicht. Die Bundesrepublik führt das Diese für beide Seiten profitable Im Rennen um einen Corona- Ranking zur Qualität der wissen- Arbeitsteilung hat in Deutschland Impfstoff sind auch sechs Unterneh-
Corona 16. Juli 2020 / #8 / Seite 15 men aus Nordrhein-Westfalen. Die land-Pfalz beheimatet. Die Firma schen Universitätsstadt laufen derzeit Pharmahochburg NRW hat eine hohe Biontech aus Mainz befindet sich vier Unternehmensprojekte. Expertise – sowohl in der Produktion bereits in der Phase der klinischen als auch in der Forschung. Insgesamt Tests für einen Corona-Impfstoff und IW-Report 17/2020 elf Unis forschen an Rhein und Ruhr kooperiert mit dem US-Pharma- Jasmina Kirchhoff, Armin Mertens, Marc zu Corona und haben zusammen riesen Pfizer. Scheufen: Der Corona-Innovationswettlauf in der Wissenschaft – Eine Analyse der wissen- 83 wissenschaftliche Publikationen Und der deutsche Staat beteiligt schaftlichen Publikationen zur Bekämpfung veröffentlicht. sich seit Mitte Juni an dem aussichts- der Corona-Pandemie und die Bedeutung für den Pharma-Standort Deutschland Das wahrscheinlich vielverspre- reichen Corona-Impfstoff-Entwickler iwkoeln.de/corona-forschung chendste Unternehmen ist in Rhein- Curevac aus Tübingen. In der schwäbi- Corona-Forschung in Deutschland Zahl der… ... Covid-19-Unternehmensprojekte 24 ... wissenschaftlichen Publikationen ... Pharmaunternehmen 2 4 56 Hamburg 35 5 10 83 3 2 Berlin Niedersachsen Hannover [ 1 35 2 ] Essen [ 0 16 0 ] 17 7 Nordrhein- Westfalen Jena [ 1 13 3 ] 13 1312 Köln [ 2 21 6 ] 4 1 3 Thüringen Hessen Frankfurt [ 2 1 8 ] 16 Mainz [ 2 13 3 ] 65 3 5 72 Rheinland-Pfalz Heidelberg [ 0 25 1 ] 26 13 7 Baden- 10 Württemberg Bayern Covid-19-Unternehmensprojekte: zur Impfstoff- und Medikamentenentwicklung Tübingen [ 4 9 4 ] München [ 8 49 21] Wissenschaftliche Publikationen: veröffentlicht von Forschungseinrichtungen und Universitäten zum Thema Corona zwischen dem 1.12.2019 und dem 31.5.2020 Quellen: Europe PubMed Central, Institut der deutschen Wirtschaft © 2020 IW Medien / iwd Impressum Herausgeber: Institut der deutschen Wirtschaft Köln e.V. · Präsident: Arndt Günter Kirchhoff · Direktor: Prof. Dr. Michael Hüther · Mitglieder: Verbände und Unternehmen in Deutschland · Redaktionsleiter: Jork Herrmann (verantwortlich) · Redaktion: Berit Schmiedendorf (stellv.), Andreas Wodok (Textchef), Lara Blankenberg, Carsten Ruge, Alexander Weber · Redaktionsassistenz: Anja Hüpper · Grafik: IW Medien GmbH · E-Mail: iwd@iwkoeln.de · Bezugspreis: € 11,89/Monat inkl. Versand und MwSt., Erscheinungsweise 14-täglich · Abo-Service: Therese Hartmann, Telefon: 0221 4981-443, hartmann@iwkoeln.de · Verlag: Institut der deutschen Wirtschaft Köln Medien GmbH, Postfach 10 18 63, 50458 Köln · Telefon: 0221 4981-0, Fax: 0221 4981-445 · Druck: Henke GmbH, Brühl · Rechte für Nachdruck oder elektronische Ver- wertung über: lizenzen@iwkoeln.de · Zur Abwicklung des Vertriebs erforderliche Daten werden nach den Bestimmungen des Bundesdatenschutzgesetzes verwaltet, E-Mail: datenschutz-iwd@iwmedien.de.
16. Juli 2020 / #8 / Seite 16 Zahl der Woche 244.000 Studenten Top-Liste: Allein, allein lernten 2019 in Deutschland an einer In Europa leben vier von zehn Frauen, die älter als 65 Jahre alt sind, allein. In der 106 privaten Hochschulen, hat den einzelnen Mitgliedsstaaten weicht die Alleinlebendenquote allerdings der Stifterverband in einer neuen fast immer von diesem Durchschnittswert ab: In Lettland, Slowenien, Studie festgestellt. Damit studierten Deutschland, Finnland und Tschechien beispielsweise wohnen zwischen 8,5 Prozent aller Studenten an einer 49 und 44 Prozent der älteren Frauen allein in einem Haushalt. In Portugal, staatlich anerkannten Privathoch- Zypern, Spanien, Belgien und Estland gilt dies für weniger als ein Drittel der schule. Die Zahl der Privathoch- Frauen dieser Altersklasse. In allen EU-Ländern leben übrigens Männer schüler hat sich innerhalb von neun jenseits der 65 deutlich seltener allein als Frauen in diesem Alter, was vor Jahren mehr als verdoppelt: Im Jahr allem auf die höhere Lebenserwartung von Frauen zurückzuführen sein 2010 waren erst 95.000 Studenten an dürfte. Das gilt auch für Irland, in dem EU-weit mit 27 Prozent die meisten einer privaten Institution immatri- 65-plus-Männer solo leben: Irinnen in diesem Alter toppen die Herrenquote kuliert, ihr Anteil an allen Studenten um 10 Prozentpunkte. machte damals 4,7 Prozent aus. Neu Seniorinnen: Oft allein daheim Neu auf iwd.de: In der EU lebten im Jahr 2019 so viel Prozent der Frauen, die 65 Jahre oder älter waren und in einem Privathaushalt wohnten, allein Mehrwert‑ 1. Lettland 49 steuersenkung 2. Slowenien 45 verärgert Firmen 3. Deutschland 45 Vom 1. Juli bis zum 31. Dezember ... werden die Mehrwertsteuersätze gesenkt. Die Hoffnung der Bundes- 26. Spanien 31 regierung, diese Maßnahme werde 27. Belgien 28 den Konsum ankurbeln, ist durchaus realistisch. Doch für viele Firmen 28. Estland 26 führt die Steuersenkung zu erheb- lichen Problemen. Welche das sind Quelle: Eurostat © 2020 IW Medien / iwd und wie der Staat nachbessern sollte, lesen Sie auf iwd.de.
Sie können auch lesen