"Im Spannungsfeld zwischen Denkmalschutz und Stadtentwicklung"? Denkmalschutzpreis 2020 für die Nutzungs-intensivierung des Salzstadels in Biberach
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„Im Spannungsfeld zwischen Denkmalschutz und Stadtentwicklung“? Denkmalschutzpreis 2020 für die Nutzungs- intensivierung des Salzstadels in Biberach Die schmucken Wohn- und Geschäftshäuser am Marktplatz tragen wesentlich dazu bei, dass die Biberacher Altstadt überregional bekannt ist und nach Auf- fassung der Denkmalpflege die Qualität einer Gesamtanlage besitzt. Bei ge- nauerem Hinsehen erkennt man jedoch, dass im 20. Jahrhundert fast alle Bau- ten am Marktplatz einen erheblichen Teil historischer Bausubstanz zugunsten von Nutzflächen für den Einzelhandel eingebüßt haben. Der verlustreiche Aus- bau auch denkmalgeschützter Bestandsbauten bis zur Entkernung wird seit den 1970er Jahren regelmäßig als alternativlos für das Überleben der Innen- städte dargestellt. Aber ist das wirklich so? Gerade wegen seiner unmittelba- ren Nachbarschaft zu den Ergebnissen vergangener Stadtentwicklung zeigt der Salzstadel in Biberach auf eindrückliche Weise, dass ein behutsamerer Umgang mit dem städtischen Kulturerbe möglich, wirtschaftlich vertretbar und sogar zukunftsweisend ist. Für den Umbau des Salzstadels 2017 bis 2019 erhielt das Bauunternehmen Matthäus Schmid GmbH & Co. KG 2020 den von Schwäbi- schem Heimatbund und dem Landesverein Badische Heimat gemeinsam mit der Wüstenrotstiftung vergebenen Denkmalschutzpreis Baden-Württemberg. Janine Butenuth/ Martina Goerlich Der markante, mit seinem Stufengiebeln hoch auf- vollen Bebauung des 16. bis 19. Jahrhunderts das ragende Salzstadel liegt unweit des ehemaligen Entree zum großen Marktplatz mit seinen zahlrei- 1 Blick von der Anhöhe Obertors an der auf die Römer zurückgehenden chen Geschäftshäusern bildet (Abb. 1). Salzstadel oberhalb der Biberacher Handelsstraße vom Bodensee über Ravensburg, Bi- wurden im Zusammenhang mit dem Aufschwung Altstadt auf den Salzsta- berach nach Ulm und weiter nach Augsburg. Hier des Salzhandels in Mittelalter und früher Neuzeit del am Holzmarkt mit vor dem westlichen Stadtausgang weitet sie sich errichtet. Das herrschaftliche Privileg zur Lagerung Strölinschem Palais und platzartig zum Holzmarkt, der mit seiner qualität- und Zollerhebung verlieh der Kaiser an Städte und Dinglinger-Haus.
in der Vergangenheit Gegenstand von Baufor- schung: Burghard Lohrum und Hans-Jürgen Bleyer hatten 1984 das beeindruckende Dachwerk mit seinen verblatteten Holzverbindungen dendro- chronologisch auf 1510 datiert und zeichnerisch erfassst (Abb. 3). Die im Jahr 2013 vertiefte Bau- forschung zeigte dann, dass im Prinzip zwei denk- malrelevante Phasen zu erkennen und in den Bau- phasenplänen darzustellen sind: die Erbauungszeit um 1510 (grün) und die Veränderungen, die 300 Jahre später nach Verkauf und „Privatisie- rung“ des Salzstadels vorgenommen wurden (rot) (Abb. 4). Zeugnis reichsstädtischer Größe … Wie die vergleichbaren, aber deutlich jüngeren Salzstadel in Ulm (1592) oder in Regensburg (1616–20) gibt das Biberacher Exemplar schon von außen seine Sonderfunktion als herrschaftliches Lagergebäude zu erkennen: ein stattlicher, mehr- geschossiger verputzter Massivbau auf trapezför- migem Grundriss mit einem beinahe 25 m hohen, steilen Satteldach und Stufengiebeln. Die Massiv- bauweise ist typisch für Salzstadel, denn die mäch- tigen Außenmauern mit nur kleinen, meist luken- artigen Öffnungen schützten vor Einbrüchen und vor eindringender Feuchtigkeit. Eine schmückende 2 Die Giebelseite des Landesherren, weshalb große Speicherbauten am Architekturgliederung aus repräsentativen Grün- Salzstadels am Holzmarkt Ort der Verteilung notwendig wurden. Biberach den war bei der schieren Größe und Massivität die- nach Instandsetzung und war im 13. Jahrhundert zur Reichsstadt aufgestie- ser Bauten überflüssig. In Biberach wurde dafür Umbau 2019. gen und ab dem 14. Jahrhundert durch die Pro- umso mehr Wert darauf gelegt, innen, im Salzla- duktion und den Handel mit Barchent reich ge- ger selbst, das für ungeheure Lasten ausgelegte worden. Das so genannte Salzregal erhielt Bibe- Tragwerk seiner Bedeutung entsprechend auf- rach zu Beginn des 16. Jahrhunderts in einer Zeit wendig zu gestalten. Die ursprünglich offene Halle großer wirtschaftlicher und politischer Blüte als zum Lagern der Salzfässer liegt im östlichen Schiff drittgrößte Stadt Oberschwabens nach Ulm und und nimmt mehr als die Hälfte der Grundfläche Ravensburg. Den Bau des Salzstadels um 1510 ein. Ihre weit gepannte Balkendecke liegt auf ei- übernahm das Hospital zum Heiligen Geist im nem mächtigem Längsunterzug, der auf zwei Ge- Dienst der Stadt (Abb. 2). Neue Nutzung für den Salzstadel? Seit 2010 versuchte die damalige Eigentümerin, den Salzstadel zu verkaufen. Wegen der hohen Be- deutung des Salzstadels für Stadtbild und Stadt- geschichte sah sich die Stadt Biberach verpflichtet, die Eigentümerin zu unterstützen, zumal sie als Ur- sachen für das mangelnde Kaufinteresse die im Vergleich zum Bauvolumen geringen Nutz- und La- denflächen zu erkennen glaubte. Zur Verbesse- rung der Verkaufschancen wollte man möglichen 3 Querschnitt vom Dach- Kaufinteressenten Perspektiven zum Ausbau auf- werk des Salzstadels, 1984 von Burghard Loh- zeigen können. Auf Anraten der Denkmalpflege rum und Hans-Jürgen gab die Eigentümerin gemeinsam mit der Stadt Bleyer zeichnerisch erfasst Biberach eine historische Bauaufnahme mit ver- und dendrochronologisch formungsgerechtem Aufmaß für die Grundlagen- auf 1510 datiert. ermittlung in Auftrag. Der Salzstadel war schon 84 Denkmalpflege in Baden-Württemberg 2 | 2021
0 5m 0 5m schosse hohen Holzstützen auf Steinsockeln ruht. Gewerbe ein, die im Verlauf des 19. Jahrhunderts 4 Historische Bauauf- Mit ihren großen manieristisch ausgebildeten Sat- Schaufenster zur Straße erhielten. Das mächtige nahme von Erdgeschoss telhölzern und den Profilierungen an Kopf- und Dach war bis 2017 nicht ausgebaut, sondern und 1. Obergeschoss, Fußenden scheinen sie antiken Säulen nachemp- diente unter anderem einer Seilerei und einer Ger- Grün: Bauzeit um 1510, Rot: Umbauphase um 1800. funden (Abb. 5). Mit diesen beeindruckenden Stüt- berei als Werkstatt-, Trocken und Lagerraum. zen korrspondieren die hohen Blendnischen im Zie- 5 Mit ihren großen ma- gelmauerwerk der östlichen Außenwand. Die di- Machbarkeitsstudie und Konzept- nieristisch ausgebildeten cken Außenmauern hielten zudem den Weinkeller findung Sattelhölzern und den Pro- des Hospitals zum Heiligen Geist kühl, der ur- filierungen an Kopf- und sprünglich das westliche Schiff des Erdgeschosses Bauforschung und -dokumentation waren die Fußenden scheinen die in ganzer Länge einnahm. Im Zwischengeschoss Grundlage für eine Machbarkeitsstudie, die das zwei Geschosse hohen über dem Weinkeller befanden sich die Räume zur Landesamt für Denkmalpflege im Herbst 2014 in Holzstützen der einstigen Abwicklung der Handels- und Zollgeschäfte. Im Auftrag gab. Ziel der Studie war es, unter Respek- Salzhalle antiken Säulen Geschoss darüber lag die Wohnung des Salzmeis- tierung der beiden als wesentlich erkannten Bau- nachempfunden. ters. Die Dachgeschosse nutzte das Hospital als phasen des 16. und frühen 19. Jahrhunderts Wege 6 Zwischen die Holzstüt- Kornspeicher, weshalb der Straßengiebel bis heute für eine denkmalverträgliche und zugleich zeitge- zen wurde um 1800 eine drei übereinander liegende große Ladeluken mit mäße Nutzung aufzuzeigen. Auf welche Weise einfach Fachwerkwand ge- Vorrichtungen für Aufzugskräne aufweist (vgl. konnten unter weitestgehendem Erhalt denkmal- spannt. In dem zuletzt als Abb. 2). relevanter Substanz die Nutzflächen erweitert und Waschküche genutzten attraktive funktionelle Verkaufsräume für den Ein- nordöstlichen Bereich des … und bürgerlichen Lebens und zelhandel geschaffen werden? Die Herausforde- Erdgeschosses war die Situ- Wirtschaftens rung war groß, denn neben den im Verlauf der Jahr- ation ungestört erhalten. 1808 verkaufte das Biberacher Hospital den Salz- stadel aus Gründen der Kriegsschuldentilgung. Die damalige Umnutzung für zwei Wohneinheiten und der Einbau von Gewerbeflächen im Erdge- schoss prägen den Salzstadel seit über 200 Jahren. Die neuen Eigentümer spannten zwischen die hohen Stützen der Halle eine einfache Fachwerk- wand mit Ziegelausfachung, wodurch sie einen Mittelflur mit barockem Treppenaufgang ins Obergeschoss sowie Laden- und Wirtschafts- räume ausbilden konnten (Abb. 6). In halber Höhe und in beinahe ganzer Länge der Halle zog man eine Balkendecke ein, um zusätzliche Nutzflächen zu gewinnen. Die Wohnungen in den Oberge- schossen stattete man in spätbarockem Zeitge- schmack aus und brach in einigen Blendnischen neue Fensteröffnungen ein. Der Keller wurde auf die Eigentümer aufgeteilt. Im Erdgeschoss zogen Denkmalpflege in Baden-Württemberg 2 | 2021 85
7 Im Bereich der bis zu- hunderte immer weiter unterteilten Grundriss- gen ihr mit Baubeginn auch die Fachbauleitung letzt nach oben offenen strukturen galt es auch, diverse Geschossver- Denkmalpflege. Die denkmalpflegerische Beglei- Waschküche zeigen sich sprünge mit der angestrebten Nutzung in Einklang tung der Baumaßnahmen war eng, weil erst im die Blendnischen noch in zu bringen. Dem Vorhaben kam zugute, dass eine Bauverlauf viele Punkte geklärt werden konnten: ganzer Höhe. Zusammen Architektin die Machbarkeitsstudie erstellte, die viel seien es Fragen der Erhaltungswürdigkeit von Bau- mit den mittelalterlichen Erfahrung in der denkmalverträglichen Umnutzung teilen und Ausstattung, des Umgangs mit neu auf- Holzstützen, der niedri- und Instandsetzung von Kulturdenkmalen vorwei- gedeckten Befunden oder Schäden, der Anpassung gen Geschossdecke und sen konnte. Sie schlug vor, die bestehende Laden- des denkmalpflegerischen Konzepts an Planungs- den Fachwerkeinbauten von 1800 machen sie fläche im Erdgeschoss in den ehemaligen Wein- änderungen aufgrund baurechtlicher Anforde- Baugeschichte konkret keller und in die Wohnräume im ersten Oberge- rungen und neuer Nutzungswünsche und nicht zu- erlebbar. schoss zu erweitern und so unter Verzicht auf letzt zur Entwicklung einer denkmalgerechten jüngere Trennwände größere Räumlichkeiten von Werkplanung. 8 Im einstigen Weinkeller besonderer Qualität zu erhalten. Auf diese Weise des Biberacher Spitals, ist konnten Eingriffe in denkmalrelevante Substanz Bilanz aus denkmalpflegerischer Sicht das bauzeitliche Gewölbe zwar nicht vermieden, aber wenigstens auf ein Mi- in der nördlichen Häfte nimum reduziert und die historische Anschaulich- Die beiden denkmalrevanten Bauphasen des 16. überliefert. Ein Betongurt keit beider Bauphasen bewahrt werden. Für die und frühen 19. Jahrhunderts blieben weitgehend mit Zuschlagsstoffen separate und barrierefreie Erschließung der Laden- erhalten und sind auch nach der Instandsetzung ähnlich des bauzeitlichen Mörtels fängt den Über- flächen im ersten Obergeschoss und der Wohn- noch ablesbar. Die zwei unteren Geschosse nutzt gang zum gestörten vor- einheiten im zweiten Obergeschoss empfahl sie, heute ein überregional bekannter Buchhändler. deren Keller statisch und Treppenhaus und Aufzug in einen Anbau an der Das niedrige Erdgeschoss erzählt dem aufmerksa- gestalterisch auf. Der Ge- rückwärtigen Giebelseite auszulagern. Mit der Er- men Besucher, dass die Holzdecke nach Aufgabe schossversprung wird mit höhung um eine Ebene wären dann auch zusätzli- des Salzlagers auch eingezogen wurde, um Räume Rutsche und Rampe über- che Wohnungen im ersten Dachgeschoss zu er- für Werkstatt und Laden zu schaffen. Der Blick aus wunden. schließen, deren bauliche Folgen in der Studie eben- der rückwärtigen, seit jeher nach oben offenen La- falls zu überprüfen und darzustellen waren. denzone hinauf zur neuen Galerie lässt den bau- lichen Zusammenhang von mittelalterlicher Salz- Von der Idee zur baulichen Umsetzung lagerhalle und barockem Wohnhaus besonders gut erkennen, weil man die hohen markanten Die Machbarkeitstudie hatte sichtbar gemacht, Holzstützen und die Blendnischen hier gemeinsam dass divergierende unternehmerische und denk- mit den Fachwerkeinbauten von 1810 erfassen malpflegerische Ziele zusammengeführt werden kann (Abb. 7). Das nur im rückwärtigen Bereich können, weshalb sich die Eigentümer des Bau- überlieferte Ziegelmauergewölbe des einstigen unternehmens Matthäus Schmid GmbH & Co. KG Weinkellers kommt trotz technischer Einbauten zum Kauf des Salzstadels entschlossen. Den Be- wirkungsvoll als bauzeitliches Element zur Geltung stand von Bau und Ausstattung ließen sie 2017 vor (Abb. 8). Die Holztreppe mit barockem Baluster Planungsbeginn umfassend in einem Raumbuch führt an ihrer angestammten Position hinauf in die dokumentieren. Sie beauftragten die Autorin der zweite Ebene des Buchladens, die mit dem außen Machbarkeitsstudie, für die Genehmigungspla- liegen Aufzug auch barrierefrei zu erreichen ist nung die Variante mit dem Ausbau des ersten (Abb. 9). Erst im Bauverlauf wurde im Oberge- Dachgeschosses weiterzuverfolgen, und übertru- schoss in der großen Stube in südwestlicher Eck- 86 Denkmalpflege in Baden-Württemberg 2 | 2021
lage die bauzeitliche Bohlenbalkendecke entdeckt, lage und einer Lüftungstechnik mit Wärmerück- 9 Die barocke Treppe freigelegt und anschließend von Restauratoren ge- gewinnung hat der Salzstadel den Standard eines führt an ihrem originalen reinigt und restauriert (Abb. 10). Die historische „KFW-Effizienzhauses Denkmal“ erreicht. Das Um- Standort in das um 1800 Treppe ins zweite Obergeschoss blieb an alter weltministerium Baden-Württemberg sah darin ei- in das Salzlager neu ein- gebaute Wohngeschoss. Stelle erhalten und endet stumpf an der nutzungs- nen beachtenswerten Beitrag zur Vereinbarung und brandschutzbedingt geschlossenen Geschoss- von Denkmalschutz und Klimaschutz und verlieh 10 Die bauzeitliche Boh- decke. Die vier Wohneiheiten im zweiten Ober- dem Salzstadel im Dezember 2020 den „Effi- lenbalkendecke wurde geschoss mit drei zur Straße liegenden und mit zienzpreis Bauen und Modernisieren“ in Gold. erst im Bauverlauf ent- einfachen Stuckdecken ausgestatteten Salons wur- deckt. Ohne Bezug zu den beibehalten. Auch wenn sich die Denkmal- Denkmalschutz und Stadtentwicklung den schon in der Vergan- pflege den völligen Verzicht auf den Dachausbau genhiet verlorenen Innen- gewünscht hätte, ist anzuerkennen, dass der Aus- Die Herangehensweise, nach umfassender Be- wänden erzählt sie als bau des ersten Dachgeschosses in Rücksicht auf stands- und Zustandsklärung mit einer Machbar- Relikt von der Bedeutung die bedeutende historische Substanz ausgeführt keitsstudie die Entwicklung eines denkmalge- der großen Stube in Eck- lage zum Holzmarkt, in wurde und die übrigen Dachgeschosse unange- rechten Nutzungs- und Instandsetzungskonzepts der einst die Salzge- tastet blieben. Die Wohnungsgrundrisse im Dach anzugehen, wurde in Biberach erstmals bei einem schäfte ihren Abschluss wurden so angeordnet, dass die beeindruckende denkmalgeschützten Wohn- und Geschäftshaus fanden. Stützenreihe von 1510 nicht in neue Wände ein- der Altstadt angewandt – was sich nach Ansicht bezogen wurde, sondern frei davor steht (Abb. 11). der Stadt Biberach bewährt hat. Das Projekt war Die Art der Belichtung der neuen Wohnräume im 2019 sogar Thema der Herbsttagung der Landes- ersten Dachgeschoss wurde in enger Abstimmung gruppe der Deutschen Akademie für Stadtent- mit der Denkmalpflege entwickelt. Die Verglasung wicklung und Landesplanung (DASL), die auf Ein- der historischen Fensteröffnungen an den Giebel- ladung des Baubürgermeisters Christian Kuhl- seiten liegt innen vor den tiefen Laibungen, wes- mann unter dem Motto „Denkmalschutz und 11 Die Stützenreihe des halb die Luken außen in gleicher Form wie bisher Stadtentwicklung – Chance und Herausforderung stehenden Stuhls von in Erscheinung treten (Abb. 12). Neue Schlepp- am Beispiel Marktplatz 40 – Salzstadel“ in Bibe- 1510. Ihr Anblick ist den gauben mit nach außen zu öffnenden Fenstern rach stattfand. Stadt, Bauherr und Denkmalpflege Bewohnern der Dach- und die bündig in die Dachhaut eingebauten La- hatten hier die Gelegenheit, den Teilnehmern ihre wohnungen in der öst- mellenfenster liegen unter Erhalt des Windver- jeweilige Sichtweise und Zielsetzung vorzustellen lichen Hälfte vorbehalten. bands innerhalb der Sparrenfelder. Der Übergang der neu gedämmten Dachflächen zu den nicht aus- gebauten oberen Dachgeschossen konnte so quasi unsichtbar ausgeführt werden. Mit dem bereits in der Machbarkeitsstudie vorgeschlagenen Außen- turm an der kaum einsehbaren Rückseite wurden schwerwiegende Eingriffe innerhalb des Baudenk- mals für den zweiten baulichen Rettungsweg ver- mieden. Er reicht bis in das erste Dachgeschoss, ist aber selbst von der Anhöhe oberhalb der Altstadt nicht zu sehen (vgl. Abb. 1; 13). Mit dem Einbau einer Luft-Wasser-Wärmepumpe für die Heizan-
12 Die bauzeitliche Blockstufentreppe führt nicht mehr ins Dach, ist aber eine besondere, of- fensichtlich nützliche Zier. Die Fensteröffnungen und die große Ladeluke erhielten innen eine vor- gesetzte Verglasung, weshalb die tiefen Lai- bungen wie bisher außen in Erscheinung treten. 13 Mit dem Außenturm an der kaum einsehbaren Rückseite für den zweiten baulichen Rettungsweg und Bilanz zu ziehen. Beim gemeinsamen Spa- Konzept umgesetzt zu haben hat die Jury des und die barrierefreie Erschließung konnten ziergang durch die Altstadt wurden auch Wohn- Denkmalschutzpreises 2020 mit ihrer Preisvergabe schwerwiegende Eingriffe und Geschäftshäuser thematisiert, die aufgrund gewürdigt. innerhalb des Baudenk- ihrer Umnutzung zu mehrgeschossigen Ladenlo- mals vermieden werden. kalen nicht nur historische Substanz, denkmalre- Literatur und Quellen levante Ausstattung und historische Aussagekraft, sondern teilweise sogar ihre Denkmaleigenschaft Ministerium für Umwelt, Klima und Energiewirtschaft verloren haben. Die durchaus kontrovers geführte Baden-Württemberg: Ehemaliger Salzstadel, Wohn- Diskussion zeigte letzlich, dass die Binsenweisheit, und Geschäftshaus Biberach, Prämierungsstufe Gold nur ein genutzes Kulturdenkmal habe die Chance in der Kategorie Modernisierung im Denkmalschutz, auf Erhalt, für die weitere Entwicklung eines Kul- Stuttgart. Pressemitteilung vom 9.Dezember 2020. turdenkmals alleine wenig aussagt. Vielmehr müs- Schwäbischer Heimatbund: Die Preisträger des Denk- sen im Prozess der Annäherung an das Objekt wei- malschutzpreises Baden-Württemberg 2020. Presse- tere Fragen beantwortet werden: Was macht das mitteilung vom 3. Dezember 2020. jeweilige Denkmal aus? Welche Bestandteile tra- Matthäus Schmid Bauunternehmen GmbH & Co. KG: gen die Denkmaleigenschaft? Was trägt das Ge- Dossier zur Bewerbung um den Denkmalschutzpreis bäude in seiner Geschichtlichkeit zur Attraktivität Baden-Württemberg, Mietingen-Baltringen 2019. und zur Entwicklung der Altstadt bei? Wird das Christian Kuhlmann, Baudezernat Biberach: Presse- Denkmalwissen dahingehend vertieft, ist es in der information zur Herbsttagung der Landesgruppe Ba- Regel kein Problem, im Konsens und in Respekt ge- den-Württemberg der DASL vom 31. Dezember 2019. genüber den denkmalkonstituierenden Bestand- Herbert Eninger: Biberach, Marktplatz 40, Salzstadel, teilen des Objekts Anpassungen an heutige Nut- Bestands-, Schadens- und Maßnahmenbeschreibung zungsansprüche zu realisieren. von Teilbereichen der Innenräume, Juli 2018. Axel Griessmann: Der Salzstadel zu Biberach an der Zukunftsfähig: Geschichte zum Anfassen Riß, in: Heimatkundliche Blätter für den Kreis Bibe- rach, 41. Jahrgang, Heft 2, 2018, S. 43–49. Glossar Es ist zu hoffen, dass der Salzstadel bei zukünftigen Stefan Uhl und Sigrid Sauter: Raumbuch mit restaura- Projekten der Integration von Einzelhandel in denk- torischer Bestandsklärung, Warthausen 2017. Barchent malgeschützten Bestand Nachahmung findet. Der Corinna Wagner: Machbarkeitsstudie zur denkmal- Mischgewebe aus Baum- Energieeffizienzpreis und vor allem der Denkmal- gerechten Nutzung des Salzstadel in Biberach, Über- wolle und Leinen mit einer glatten und einer rauen schutzpreis 2020 werden sicher dazu beitragen. lingen 2014. Seite. Der Biberacher Salzstadel zeigt anschaulich, dass Stefan Uhl: Biberach, Marktplatz 40, Bauhistorische ein Kulturdenkmal in lukrativer Innenstadtlage Untersuchung, Warthausen 2013. Salzregal nicht entkernt werden muss, um attraktiv zu sein. Burghard Lohrum und Hans Jürgen Bleyer: Salzsta- Seit dem 12. Jahrhundert Im Gegenteil: wegen des sichtbaren Erhalts seiner del Biberach, Verformungsgerechtes Aufmaß und gehörte das Recht auf Salz- historischen Bausubstanz kann der Salzstadel seine dendrochronologische Bestimmung des Dachwerks, gewinnung und -handel zu über 500-jährige Bau- und Nutzungsgeschichte Stuttgart 1984. den königlichen Rechten. innen und außen weitererzählen und gewinnt ge- Ab dem 13. Jahrhundert rade daraus seine Anziehungskraft. Mit seiner Janine Butenuth ging dieses Recht durch Pri- vilegienverleihung und Be- „begreifbaren“ baulichen Überlieferung trägt er Martina Goerlich steuerung zunehmend an ganz konkret zum Narrativ und zur Erlebnisqualität Landesamt für Denkmalpflege Landesherren, aber auch der historischen Stadt Biberach bei. Dies als im Regierungspräsidium Stuttgart an Städte über. Chance erkannt und mit einem zukunftsfähigen Dienstsitz Tübingen 88 Denkmalpflege in Baden-Württemberg 2 | 2021
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