"Im Spannungsfeld zwischen Denkmalschutz und Stadtentwicklung"? Denkmalschutzpreis 2020 für die Nutzungs-intensivierung des Salzstadels in Biberach

Die Seite wird erstellt Marion Moser
 
WEITER LESEN
"Im Spannungsfeld zwischen Denkmalschutz und Stadtentwicklung"? Denkmalschutzpreis 2020 für die Nutzungs-intensivierung des Salzstadels in Biberach
„Im Spannungsfeld zwischen
Denkmalschutz und Stadtentwicklung“?
Denkmalschutzpreis 2020 für die Nutzungs-
intensivierung des Salzstadels in Biberach
Die schmucken Wohn- und Geschäftshäuser am Marktplatz tragen wesentlich
dazu bei, dass die Biberacher Altstadt überregional bekannt ist und nach Auf-
fassung der Denkmalpflege die Qualität einer Gesamtanlage besitzt. Bei ge-
nauerem Hinsehen erkennt man jedoch, dass im 20. Jahrhundert fast alle Bau-
ten am Marktplatz einen erheblichen Teil historischer Bausubstanz zugunsten
von Nutzflächen für den Einzelhandel eingebüßt haben. Der verlustreiche Aus-
bau auch denkmalgeschützter Bestandsbauten bis zur Entkernung wird seit
den 1970er Jahren regelmäßig als alternativlos für das Überleben der Innen-
städte dargestellt. Aber ist das wirklich so? Gerade wegen seiner unmittelba-
ren Nachbarschaft zu den Ergebnissen vergangener Stadtentwicklung zeigt der
Salzstadel in Biberach auf eindrückliche Weise, dass ein behutsamerer Umgang
mit dem städtischen Kulturerbe möglich, wirtschaftlich vertretbar und sogar
zukunftsweisend ist. Für den Umbau des Salzstadels 2017 bis 2019 erhielt das
Bauunternehmen Matthäus Schmid GmbH & Co. KG 2020 den von Schwäbi-
schem Heimatbund und dem Landesverein Badische Heimat gemeinsam mit
der Wüstenrotstiftung vergebenen Denkmalschutzpreis Baden-Württemberg.
Janine Butenuth/ Martina Goerlich

Der markante, mit seinem Stufengiebeln hoch auf-     vollen Bebauung des 16. bis 19. Jahrhunderts das
ragende Salzstadel liegt unweit des ehemaligen       Entree zum großen Marktplatz mit seinen zahlrei-
                                                                                                            1 Blick von der Anhöhe
Obertors an der auf die Römer zurückgehenden         chen Geschäftshäusern bildet (Abb. 1). Salzstadel      oberhalb der Biberacher
Handelsstraße vom Bodensee über Ravensburg, Bi-      wurden im Zusammenhang mit dem Aufschwung              Altstadt auf den Salzsta-
berach nach Ulm und weiter nach Augsburg. Hier       des Salzhandels in Mittelalter und früher Neuzeit      del am Holzmarkt mit
vor dem westlichen Stadtausgang weitet sie sich      errichtet. Das herrschaftliche Privileg zur Lagerung   Strölinschem Palais und
platzartig zum Holzmarkt, der mit seiner qualität-   und Zollerhebung verlieh der Kaiser an Städte und      Dinglinger-Haus.
"Im Spannungsfeld zwischen Denkmalschutz und Stadtentwicklung"? Denkmalschutzpreis 2020 für die Nutzungs-intensivierung des Salzstadels in Biberach
in der Vergangenheit Gegenstand von Baufor-
                                                                                     schung: Burghard Lohrum und Hans-Jürgen Bleyer
                                                                                     hatten 1984 das beeindruckende Dachwerk mit
                                                                                     seinen verblatteten Holzverbindungen dendro-
                                                                                     chronologisch auf 1510 datiert und zeichnerisch
                                                                                     erfassst (Abb. 3). Die im Jahr 2013 vertiefte Bau-
                                                                                     forschung zeigte dann, dass im Prinzip zwei denk-
                                                                                     malrelevante Phasen zu erkennen und in den Bau-
                                                                                     phasenplänen darzustellen sind: die Erbauungszeit
                                                                                     um 1510 (grün) und die Veränderungen, die
                                                                                     300 Jahre später nach Verkauf und „Privatisie-
                                                                                     rung“ des Salzstadels vorgenommen wurden (rot)
                                                                                     (Abb. 4).

                                                                                     Zeugnis reichsstädtischer Größe …

                                                                                     Wie die vergleichbaren, aber deutlich jüngeren
                                                                                     Salzstadel in Ulm (1592) oder in Regensburg
                                                                                     (1616–20) gibt das Biberacher Exemplar schon von
                                                                                     außen seine Sonderfunktion als herrschaftliches
                                                                                     Lagergebäude zu erkennen: ein stattlicher, mehr-
                                                                                     geschossiger verputzter Massivbau auf trapezför-
                                                                                     migem Grundriss mit einem beinahe 25 m hohen,
                                                                                     steilen Satteldach und Stufengiebeln. Die Massiv-
                                                                                     bauweise ist typisch für Salzstadel, denn die mäch-
                                                                                     tigen Außenmauern mit nur kleinen, meist luken-
                                                                                     artigen Öffnungen schützten vor Einbrüchen und
                                                                                     vor eindringender Feuchtigkeit. Eine schmückende
2 Die Giebelseite des         Landesherren, weshalb große Speicherbauten am          Architekturgliederung aus repräsentativen Grün-
Salzstadels am Holzmarkt      Ort der Verteilung notwendig wurden. Biberach          den war bei der schieren Größe und Massivität die-
nach Instandsetzung und       war im 13. Jahrhundert zur Reichsstadt aufgestie-      ser Bauten überflüssig. In Biberach wurde dafür
Umbau 2019.                   gen und ab dem 14. Jahrhundert durch die Pro-          umso mehr Wert darauf gelegt, innen, im Salzla-
                              duktion und den Handel mit Barchent reich ge-          ger selbst, das für ungeheure Lasten ausgelegte
                              worden. Das so genannte Salzregal erhielt Bibe-        Tragwerk seiner Bedeutung entsprechend auf-
                              rach zu Beginn des 16. Jahrhunderts in einer Zeit      wendig zu gestalten. Die ursprünglich offene Halle
                              großer wirtschaftlicher und politischer Blüte als      zum Lagern der Salzfässer liegt im östlichen Schiff
                              drittgrößte Stadt Oberschwabens nach Ulm und           und nimmt mehr als die Hälfte der Grundfläche
                              Ravensburg. Den Bau des Salzstadels um 1510            ein. Ihre weit gepannte Balkendecke liegt auf ei-
                              übernahm das Hospital zum Heiligen Geist im            nem mächtigem Längsunterzug, der auf zwei Ge-
                              Dienst der Stadt (Abb. 2).

                              Neue Nutzung für den Salzstadel?

                              Seit 2010 versuchte die damalige Eigentümerin,
                              den Salzstadel zu verkaufen. Wegen der hohen Be-
                              deutung des Salzstadels für Stadtbild und Stadt-
                              geschichte sah sich die Stadt Biberach verpflichtet,
                              die Eigentümerin zu unterstützen, zumal sie als Ur-
                              sachen für das mangelnde Kaufinteresse die im
                              Vergleich zum Bauvolumen geringen Nutz- und La-
                              denflächen zu erkennen glaubte. Zur Verbesse-
                              rung der Verkaufschancen wollte man möglichen
3 Querschnitt vom Dach-
                              Kaufinteressenten Perspektiven zum Ausbau auf-
werk des Salzstadels,
1984 von Burghard Loh-
                              zeigen können. Auf Anraten der Denkmalpflege
rum und Hans-Jürgen           gab die Eigentümerin gemeinsam mit der Stadt
Bleyer zeichnerisch erfasst   Biberach eine historische Bauaufnahme mit ver-
und dendrochronologisch       formungsgerechtem Aufmaß für die Grundlagen-
auf 1510 datiert.             ermittlung in Auftrag. Der Salzstadel war schon

                        84    Denkmalpflege in Baden-Württemberg   2 | 2021
"Im Spannungsfeld zwischen Denkmalschutz und Stadtentwicklung"? Denkmalschutzpreis 2020 für die Nutzungs-intensivierung des Salzstadels in Biberach
0              5m                                                       0               5m

    schosse hohen Holzstützen auf Steinsockeln ruht.     Gewerbe ein, die im Verlauf des 19. Jahrhunderts               4 Historische Bauauf-
    Mit ihren großen manieristisch ausgebildeten Sat-    Schaufenster zur Straße erhielten. Das mächtige                nahme von Erdgeschoss
    telhölzern und den Profilierungen an Kopf- und       Dach war bis 2017 nicht ausgebaut, sondern                     und 1. Obergeschoss,
    Fußenden scheinen sie antiken Säulen nachemp-        diente unter anderem einer Seilerei und einer Ger-             Grün: Bauzeit um 1510,
                                                                                                                        Rot: Umbauphase um 1800.
    funden (Abb. 5). Mit diesen beeindruckenden Stüt-    berei als Werkstatt-, Trocken und Lagerraum.
    zen korrspondieren die hohen Blendnischen im Zie-
                                                                                                                        5 Mit ihren großen ma-
    gelmauerwerk der östlichen Außenwand. Die di-        Machbarkeitsstudie und Konzept-
                                                                                                                        nieristisch ausgebildeten
    cken Außenmauern hielten zudem den Weinkeller        findung                                                        Sattelhölzern und den Pro-
    des Hospitals zum Heiligen Geist kühl, der ur-                                                                      filierungen an Kopf- und
    sprünglich das westliche Schiff des Erdgeschosses    Bauforschung und -dokumentation waren die                      Fußenden scheinen die
    in ganzer Länge einnahm. Im Zwischengeschoss         Grundlage für eine Machbarkeitsstudie, die das                 zwei Geschosse hohen
    über dem Weinkeller befanden sich die Räume zur      Landesamt für Denkmalpflege im Herbst 2014 in                  Holzstützen der einstigen
    Abwicklung der Handels- und Zollgeschäfte. Im        Auftrag gab. Ziel der Studie war es, unter Respek-             Salzhalle antiken Säulen
    Geschoss darüber lag die Wohnung des Salzmeis-       tierung der beiden als wesentlich erkannten Bau-               nachempfunden.
    ters. Die Dachgeschosse nutzte das Hospital als      phasen des 16. und frühen 19. Jahrhunderts Wege
                                                                                                                        6 Zwischen die Holzstüt-
    Kornspeicher, weshalb der Straßengiebel bis heute    für eine denkmalverträgliche und zugleich zeitge-
                                                                                                                        zen wurde um 1800 eine
    drei übereinander liegende große Ladeluken mit       mäße Nutzung aufzuzeigen. Auf welche Weise
                                                                                                                        einfach Fachwerkwand ge-
    Vorrichtungen für Aufzugskräne aufweist (vgl.        konnten unter weitestgehendem Erhalt denkmal-                  spannt. In dem zuletzt als
    Abb. 2).                                             relevanter Substanz die Nutzflächen erweitert und              Waschküche genutzten
                                                         attraktive funktionelle Verkaufsräume für den Ein-             nordöstlichen Bereich des
    … und bürgerlichen Lebens und                        zelhandel geschaffen werden? Die Herausforde-                  Erdgeschosses war die Situ-
    Wirtschaftens                                        rung war groß, denn neben den im Verlauf der Jahr-             ation ungestört erhalten.

    1808 verkaufte das Biberacher Hospital den Salz-
    stadel aus Gründen der Kriegsschuldentilgung. Die
    damalige Umnutzung für zwei Wohneinheiten
    und der Einbau von Gewerbeflächen im Erdge-
    schoss prägen den Salzstadel seit über 200 Jahren.
    Die neuen Eigentümer spannten zwischen die
    hohen Stützen der Halle eine einfache Fachwerk-
    wand mit Ziegelausfachung, wodurch sie einen
    Mittelflur mit barockem Treppenaufgang ins
    Obergeschoss sowie Laden- und Wirtschafts-
    räume ausbilden konnten (Abb. 6). In halber Höhe
    und in beinahe ganzer Länge der Halle zog man
    eine Balkendecke ein, um zusätzliche Nutzflächen
    zu gewinnen. Die Wohnungen in den Oberge-
    schossen stattete man in spätbarockem Zeitge-
    schmack aus und brach in einigen Blendnischen
    neue Fensteröffnungen ein. Der Keller wurde auf
    die Eigentümer aufgeteilt. Im Erdgeschoss zogen

                                                                        Denkmalpflege in Baden-Württemberg   2 | 2021   85
"Im Spannungsfeld zwischen Denkmalschutz und Stadtentwicklung"? Denkmalschutzpreis 2020 für die Nutzungs-intensivierung des Salzstadels in Biberach
7 Im Bereich der bis zu-      hunderte immer weiter unterteilten Grundriss-            gen ihr mit Baubeginn auch die Fachbauleitung
letzt nach oben offenen       strukturen galt es auch, diverse Geschossver-            Denkmalpflege. Die denkmalpflegerische Beglei-
Waschküche zeigen sich        sprünge mit der angestrebten Nutzung in Einklang         tung der Baumaßnahmen war eng, weil erst im
die Blendnischen noch in      zu bringen. Dem Vorhaben kam zugute, dass eine           Bauverlauf viele Punkte geklärt werden konnten:
ganzer Höhe. Zusammen         Architektin die Machbarkeitsstudie erstellte, die viel   seien es Fragen der Erhaltungswürdigkeit von Bau-
mit den mittelalterlichen     Erfahrung in der denkmalverträglichen Umnutzung          teilen und Ausstattung, des Umgangs mit neu auf-
Holzstützen, der niedri-
                              und Instandsetzung von Kulturdenkmalen vorwei-           gedeckten Befunden oder Schäden, der Anpassung
gen Geschossdecke und
                              sen konnte. Sie schlug vor, die bestehende Laden-        des denkmalpflegerischen Konzepts an Planungs-
den Fachwerkeinbauten
von 1800 machen sie           fläche im Erdgeschoss in den ehemaligen Wein-            änderungen aufgrund baurechtlicher Anforde-
Baugeschichte konkret         keller und in die Wohnräume im ersten Oberge-            rungen und neuer Nutzungswünsche und nicht zu-
erlebbar.                     schoss zu erweitern und so unter Verzicht auf            letzt zur Entwicklung einer denkmalgerechten
                              jüngere Trennwände größere Räumlichkeiten von            Werkplanung.
8 Im einstigen Weinkeller     besonderer Qualität zu erhalten. Auf diese Weise
des Biberacher Spitals, ist   konnten Eingriffe in denkmalrelevante Substanz           Bilanz aus denkmalpflegerischer Sicht
das bauzeitliche Gewölbe      zwar nicht vermieden, aber wenigstens auf ein Mi-
in der nördlichen Häfte       nimum reduziert und die historische Anschaulich-         Die beiden denkmalrevanten Bauphasen des 16.
überliefert. Ein Betongurt
                              keit beider Bauphasen bewahrt werden. Für die            und frühen 19. Jahrhunderts blieben weitgehend
mit Zuschlagsstoffen
                              separate und barrierefreie Erschließung der Laden-       erhalten und sind auch nach der Instandsetzung
ähnlich des bauzeitlichen
Mörtels fängt den Über-       flächen im ersten Obergeschoss und der Wohn-             noch ablesbar. Die zwei unteren Geschosse nutzt
gang zum gestörten vor-       einheiten im zweiten Obergeschoss empfahl sie,           heute ein überregional bekannter Buchhändler.
deren Keller statisch und     Treppenhaus und Aufzug in einen Anbau an der             Das niedrige Erdgeschoss erzählt dem aufmerksa-
gestalterisch auf. Der Ge-    rückwärtigen Giebelseite auszulagern. Mit der Er-        men Besucher, dass die Holzdecke nach Aufgabe
schossversprung wird mit      höhung um eine Ebene wären dann auch zusätzli-           des Salzlagers auch eingezogen wurde, um Räume
Rutsche und Rampe über-       che Wohnungen im ersten Dachgeschoss zu er-              für Werkstatt und Laden zu schaffen. Der Blick aus
wunden.                       schließen, deren bauliche Folgen in der Studie eben-     der rückwärtigen, seit jeher nach oben offenen La-
                              falls zu überprüfen und darzustellen waren.              denzone hinauf zur neuen Galerie lässt den bau-
                                                                                       lichen Zusammenhang von mittelalterlicher Salz-
                              Von der Idee zur baulichen Umsetzung                     lagerhalle und barockem Wohnhaus besonders
                                                                                       gut erkennen, weil man die hohen markanten
                              Die Machbarkeitstudie hatte sichtbar gemacht,            Holzstützen und die Blendnischen hier gemeinsam
                              dass divergierende unternehmerische und denk-            mit den Fachwerkeinbauten von 1810 erfassen
                              malpflegerische Ziele zusammengeführt werden             kann (Abb. 7). Das nur im rückwärtigen Bereich
                              können, weshalb sich die Eigentümer des Bau-             überlieferte Ziegelmauergewölbe des einstigen
                              unternehmens Matthäus Schmid GmbH & Co. KG               Weinkellers kommt trotz technischer Einbauten
                              zum Kauf des Salzstadels entschlossen. Den Be-           wirkungsvoll als bauzeitliches Element zur Geltung
                              stand von Bau und Ausstattung ließen sie 2017 vor        (Abb. 8). Die Holztreppe mit barockem Baluster
                              Planungsbeginn umfassend in einem Raumbuch               führt an ihrer angestammten Position hinauf in die
                              dokumentieren. Sie beauftragten die Autorin der          zweite Ebene des Buchladens, die mit dem außen
                              Machbarkeitsstudie, für die Genehmigungspla-             liegen Aufzug auch barrierefrei zu erreichen ist
                              nung die Variante mit dem Ausbau des ersten              (Abb. 9). Erst im Bauverlauf wurde im Oberge-
                              Dachgeschosses weiterzuverfolgen, und übertru-           schoss in der großen Stube in südwestlicher Eck-

                        86    Denkmalpflege in Baden-Württemberg   2 | 2021
"Im Spannungsfeld zwischen Denkmalschutz und Stadtentwicklung"? Denkmalschutzpreis 2020 für die Nutzungs-intensivierung des Salzstadels in Biberach
lage die bauzeitliche Bohlenbalkendecke entdeckt,      lage und einer Lüftungstechnik mit Wärmerück-       9 Die barocke Treppe
freigelegt und anschließend von Restauratoren ge-      gewinnung hat der Salzstadel den Standard eines     führt an ihrem originalen
reinigt und restauriert (Abb. 10). Die historische     „KFW-Effizienzhauses Denkmal“ erreicht. Das Um-     Standort in das um 1800
Treppe ins zweite Obergeschoss blieb an alter          weltministerium Baden-Württemberg sah darin ei-     in das Salzlager neu ein-
                                                                                                           gebaute Wohngeschoss.
Stelle erhalten und endet stumpf an der nutzungs-      nen beachtenswerten Beitrag zur Vereinbarung
und brandschutzbedingt geschlossenen Geschoss-         von Denkmalschutz und Klimaschutz und verlieh
                                                                                                           10 Die bauzeitliche Boh-
decke. Die vier Wohneiheiten im zweiten Ober-          dem Salzstadel im Dezember 2020 den „Effi-          lenbalkendecke wurde
geschoss mit drei zur Straße liegenden und mit         zienzpreis Bauen und Modernisieren“ in Gold.        erst im Bauverlauf ent-
einfachen Stuckdecken ausgestatteten Salons wur-                                                           deckt. Ohne Bezug zu
den beibehalten. Auch wenn sich die Denkmal-           Denkmalschutz und Stadtentwicklung                  den schon in der Vergan-
pflege den völligen Verzicht auf den Dachausbau                                                            genhiet verlorenen Innen-
gewünscht hätte, ist anzuerkennen, dass der Aus-       Die Herangehensweise, nach umfassender Be-          wänden erzählt sie als
bau des ersten Dachgeschosses in Rücksicht auf         stands- und Zustandsklärung mit einer Machbar-      Relikt von der Bedeutung
die bedeutende historische Substanz ausgeführt         keitsstudie die Entwicklung eines denkmalge-        der großen Stube in Eck-
                                                                                                           lage zum Holzmarkt, in
wurde und die übrigen Dachgeschosse unange-            rechten Nutzungs- und Instandsetzungskonzepts
                                                                                                           der einst die Salzge-
tastet blieben. Die Wohnungsgrundrisse im Dach         anzugehen, wurde in Biberach erstmals bei einem
                                                                                                           schäfte ihren Abschluss
wurden so angeordnet, dass die beeindruckende          denkmalgeschützten Wohn- und Geschäftshaus          fanden.
Stützenreihe von 1510 nicht in neue Wände ein-         der Altstadt angewandt – was sich nach Ansicht
bezogen wurde, sondern frei davor steht (Abb. 11).     der Stadt Biberach bewährt hat. Das Projekt war
Die Art der Belichtung der neuen Wohnräume im          2019 sogar Thema der Herbsttagung der Landes-
ersten Dachgeschoss wurde in enger Abstimmung          gruppe der Deutschen Akademie für Stadtent-
mit der Denkmalpflege entwickelt. Die Verglasung       wicklung und Landesplanung (DASL), die auf Ein-
der historischen Fensteröffnungen an den Giebel-       ladung des Baubürgermeisters Christian Kuhl-
seiten liegt innen vor den tiefen Laibungen, wes-      mann unter dem Motto „Denkmalschutz und
                                                                                                           11 Die Stützenreihe des
halb die Luken außen in gleicher Form wie bisher       Stadtentwicklung – Chance und Herausforderung       stehenden Stuhls von
in Erscheinung treten (Abb. 12). Neue Schlepp-         am Beispiel Marktplatz 40 – Salzstadel“ in Bibe-    1510. Ihr Anblick ist den
gauben mit nach außen zu öffnenden Fenstern            rach stattfand. Stadt, Bauherr und Denkmalpflege    Bewohnern der Dach-
und die bündig in die Dachhaut eingebauten La-         hatten hier die Gelegenheit, den Teilnehmern ihre   wohnungen in der öst-
mellenfenster liegen unter Erhalt des Windver-         jeweilige Sichtweise und Zielsetzung vorzustellen   lichen Hälfte vorbehalten.
bands innerhalb der Sparrenfelder. Der Übergang
der neu gedämmten Dachflächen zu den nicht aus-
gebauten oberen Dachgeschossen konnte so quasi
unsichtbar ausgeführt werden. Mit dem bereits in
der Machbarkeitsstudie vorgeschlagenen Außen-
turm an der kaum einsehbaren Rückseite wurden
schwerwiegende Eingriffe innerhalb des Baudenk-
mals für den zweiten baulichen Rettungsweg ver-
mieden. Er reicht bis in das erste Dachgeschoss, ist
aber selbst von der Anhöhe oberhalb der Altstadt
nicht zu sehen (vgl. Abb. 1; 13). Mit dem Einbau
einer Luft-Wasser-Wärmepumpe für die Heizan-
"Im Spannungsfeld zwischen Denkmalschutz und Stadtentwicklung"? Denkmalschutzpreis 2020 für die Nutzungs-intensivierung des Salzstadels in Biberach
12 Die bauzeitliche
Blockstufentreppe führt
nicht mehr ins Dach, ist
aber eine besondere, of-
fensichtlich nützliche Zier.
Die Fensteröffnungen
und die große Ladeluke
erhielten innen eine vor-
gesetzte Verglasung,
weshalb die tiefen Lai-
bungen wie bisher außen
in Erscheinung treten.

13 Mit dem Außenturm
an der kaum einsehbaren
Rückseite für den zweiten
baulichen Rettungsweg
                               und Bilanz zu ziehen. Beim gemeinsamen Spa-             Konzept umgesetzt zu haben hat die Jury des
und die barrierefreie
Erschließung konnten
                               ziergang durch die Altstadt wurden auch Wohn-           Denkmalschutzpreises 2020 mit ihrer Preisvergabe
schwerwiegende Eingriffe       und Geschäftshäuser thematisiert, die aufgrund          gewürdigt.
innerhalb des Baudenk-         ihrer Umnutzung zu mehrgeschossigen Ladenlo-
mals vermieden werden.         kalen nicht nur historische Substanz, denkmalre-        Literatur und Quellen
                               levante Ausstattung und historische Aussagekraft,
                               sondern teilweise sogar ihre Denkmaleigenschaft         Ministerium für Umwelt, Klima und Energiewirtschaft
                               verloren haben. Die durchaus kontrovers geführte        Baden-Württemberg: Ehemaliger Salzstadel, Wohn-
                               Diskussion zeigte letzlich, dass die Binsenweisheit,    und Geschäftshaus Biberach, Prämierungsstufe Gold
                               nur ein genutzes Kulturdenkmal habe die Chance          in der Kategorie Modernisierung im Denkmalschutz,
                               auf Erhalt, für die weitere Entwicklung eines Kul-      Stuttgart. Pressemitteilung vom 9.Dezember 2020.
                               turdenkmals alleine wenig aussagt. Vielmehr müs-        Schwäbischer Heimatbund: Die Preisträger des Denk-
                               sen im Prozess der Annäherung an das Objekt wei-        malschutzpreises Baden-Württemberg 2020. Presse-
                               tere Fragen beantwortet werden: Was macht das           mitteilung vom 3. Dezember 2020.
                               jeweilige Denkmal aus? Welche Bestandteile tra-         Matthäus Schmid Bauunternehmen GmbH & Co. KG:
                               gen die Denkmaleigenschaft? Was trägt das Ge-           Dossier zur Bewerbung um den Denkmalschutzpreis
                               bäude in seiner Geschichtlichkeit zur Attraktivität     Baden-Württemberg, Mietingen-Baltringen 2019.
                               und zur Entwicklung der Altstadt bei? Wird das          Christian Kuhlmann, Baudezernat Biberach: Presse-
                               Denkmalwissen dahingehend vertieft, ist es in der       information zur Herbsttagung der Landesgruppe Ba-
                               Regel kein Problem, im Konsens und in Respekt ge-       den-Württemberg der DASL vom 31. Dezember 2019.
                               genüber den denkmalkonstituierenden Bestand-            Herbert Eninger: Biberach, Marktplatz 40, Salzstadel,
                               teilen des Objekts Anpassungen an heutige Nut-          Bestands-, Schadens- und Maßnahmenbeschreibung
                               zungsansprüche zu realisieren.                          von Teilbereichen der Innenräume, Juli 2018.
                                                                                       Axel Griessmann: Der Salzstadel zu Biberach an der
                               Zukunftsfähig: Geschichte zum Anfassen                  Riß, in: Heimatkundliche Blätter für den Kreis Bibe-
                                                                                       rach, 41. Jahrgang, Heft 2, 2018, S. 43–49.
Glossar                        Es ist zu hoffen, dass der Salzstadel bei zukünftigen   Stefan Uhl und Sigrid Sauter: Raumbuch mit restaura-
                               Projekten der Integration von Einzelhandel in denk-     torischer Bestandsklärung, Warthausen 2017.
Barchent
                               malgeschützten Bestand Nachahmung findet. Der           Corinna Wagner: Machbarkeitsstudie zur denkmal-
Mischgewebe aus Baum-
                               Energieeffizienzpreis und vor allem der Denkmal-        gerechten Nutzung des Salzstadel in Biberach, Über-
wolle und Leinen mit einer
glatten und einer rauen
                               schutzpreis 2020 werden sicher dazu beitragen.          lingen 2014.
Seite.                         Der Biberacher Salzstadel zeigt anschaulich, dass       Stefan Uhl: Biberach, Marktplatz 40, Bauhistorische
                               ein Kulturdenkmal in lukrativer Innenstadtlage          Untersuchung, Warthausen 2013.
Salzregal                      nicht entkernt werden muss, um attraktiv zu sein.       Burghard Lohrum und Hans Jürgen Bleyer: Salzsta-
Seit dem 12. Jahrhundert       Im Gegenteil: wegen des sichtbaren Erhalts seiner       del Biberach, Verformungsgerechtes Aufmaß und
gehörte das Recht auf Salz-    historischen Bausubstanz kann der Salzstadel seine      dendrochronologische Bestimmung des Dachwerks,
gewinnung und -handel zu       über 500-jährige Bau- und Nutzungsgeschichte            Stuttgart 1984.
den königlichen Rechten.
                               innen und außen weitererzählen und gewinnt ge-
Ab dem 13. Jahrhundert
                               rade daraus seine Anziehungskraft. Mit seiner           Janine Butenuth
ging dieses Recht durch Pri-
vilegienverleihung und Be-     „begreifbaren“ baulichen Überlieferung trägt er         Martina Goerlich
steuerung zunehmend an         ganz konkret zum Narrativ und zur Erlebnisqualität      Landesamt für Denkmalpflege
Landesherren, aber auch        der historischen Stadt Biberach bei. Dies als           im Regierungspräsidium Stuttgart
an Städte über.                Chance erkannt und mit einem zukunftsfähigen            Dienstsitz Tübingen

                         88    Denkmalpflege in Baden-Württemberg   2 | 2021
Sie können auch lesen