Immobilienmärkte in der historischen Forschung - Real Estate Markets in Historical Research

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Jahrb. f. Wirtschaftsg. 2022; 63(1): 1–17

Peter Kramper*
Immobilienmärkte in der historischen
Forschung
Real Estate Markets in Historical Research
https://doi.org/10.1515/jbwg-2022-0001

Abstract: Real estate markets have been all but neglected by historical research.
Following a workshop held in Bielefeld in September 2019, this volume seeks to
contribute to a better understanding of their characteristics. The introduction
starts out with a definition of some key concepts. It then summarizes the state of
historical research and argues for a focus on the social and institutional embed-
dedness of real estate markets. The introduction also gives an outline of the
individual papers and a brief summary of some overall findings.

JEL-Codes: N 10, N 60, N 63, N 64, R 300

Keywords: Immobilien, Immobilienmärkte, Immobilienfinanzierung,
Bodenmarkt, Wohnungsmarkt, real estate, real estate markets, real estate
finance, housing, land markets

Immobilien sind von zentraler ökonomischer und gesellschaftlicher Bedeutung.
Dass sie über Märkte finanziert und gehandelt werden, hat enorme, nicht zu-
letzt in der Finanzkrise von 2007/08 zutage getretene Konsequenzen. In den

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Article note: Dieser Aufsatz und der vorliegende Band basieren auf einem Workshop des von
der DFG geförderten Bielefelder SFB 1288 „Praktiken des Vergleichens. Die Welt ordnen und
verändern“ (Teilprojekt „Markt und Wert: Praktiken der Immobilienbewertung vom 18. bis zum
20. Jahrhundert“). Ich danke Anna Grotegut, Stephan Fasold und Frederic Kunkel für die Unter-
stützung bei der Vorbereitung des Workshops, Benjamin Davy, Willibald Steinmetz, Frank
Konersmann und Karl Christian Führer für ihre hilfreichen Kommentare zu den dort präsentier-
ten Papieren sowie Dieter Ziegler, Nancy Bodden und ganz besonders Markus Lampe für die
intensive Begleitung des Publikationsprozesses.

*Corresponding author: Peter Kramper (Prof. Dr.), Universität Bielefeld, Fakultät für
Geschichtswissenschaft, Philosophie und Theologie, Universitätsstraße 25, D-33615 Bielefeld,
E-mail: peter.kramper@uni-bielefeld.de

  Open Access. © 2022 Peter Kramper, publiziert von De Gruyter.            Dieses Werk ist lizenziert
unter der Creative Commons Attribution-NonCommercial-NoDerivatives 4.0 Lizenz.
2 | Peter Kramper

eineinhalb Jahrzehnten seit dieser Krise sind Immobilienmärkte deshalb zu
einem vielbeachteten Thema öffentlicher Debatten geworden.1
    Die marktförmige Allokation von Immobilien ist allerdings ein vergleichs-
weise junges, in weiten Teilen der westlichen Welt erst seit dem 18. Jahrhundert
zu beobachtendes Phänomen. Wie Märkte für Grund und Boden zustande kamen
und welche Bedeutung sie entfalteten, ist dabei im Hinblick auf institutionelle
Rahmenbedingungen wie beispielsweise den Abbau feudaler Bindungen gut
bekannt. Auch das makroökonomische Gewicht von Immobilien und ihre Rolle
für die Stabilität des Finanzsektors sind in den letzten Jahren vermehrt zum
Gegenstand historischer Forschungen geworden.2
    Die spezifische Funktionsweise von historischen Immobilienmärkten hat
bisher hingegen nur wenig Aufmerksamkeit genossen. Der vorliegende Band
möchte einen Beitrag dazu leisten, diese Forschungslücke anzugehen. Diese
Einleitung betrachtet in einem ersten Schritt den Begriff der Immobilie und die
Eigenheiten von Immobilienmärkten. Zweitens wird der Stand der historischen
Forschung skizziert. Abschnitt drei präsentiert die methodischen und inhaltli-
chen Grundfragen des Bandes. Der vierte Abschnitt stellt die Beiträge des Heftes
vor. Am Ende steht der Versuch eines vorläufigen Fazits.

1 Immobilien und Immobilienmärkte
Zunächst zum Begriff der Immobilie. In seinem allgemeinsten Sinne umfasst er
jede Form des privaten, unter Marktbedingungen bewirtschafteten Eigentums
an Grund und Boden.3 Im Vordergrund steht dabei der Bezug auf dessen öko-
nomischen Wert und nicht, wie etwa beim Begriff der Wohnung, die Art der

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1 Dies gilt vor allem, aber nicht ausschließlich für den Wohnungsmarkt. Vgl. exemplarisch
Special Report: Housing, in: The Economist, 18.01.2020, S. 1-12 (separat paginiert).
2 Zum Forschungsstand vgl. Abschnitt 2 dieser Einleitung.
3 A. Yates, Real Estate and Global Urban History, Cambridge 2021, S. 4. Gängig ist auch die Defi-
nition von J.A. Graaskamp, der Immobilien als „artificially delineated space (cubage) with a
fourth dimension of time” betrachtet, wobei die Zeitdimension auf den Aspekt der ökonomischen
Verwertung verweist. Zit. nach N.B. Rottke, Ökonomie: interdisziplinärer Bestandteil der Immobi-
lienwirtschaftslehre, in: Ders./M. Voigtländer (Hg.), Immobilienwirtschaftslehre – Ökonomie,
Wiesbaden 2017, S. 30-81, hier: S. 31. Eine detaillierte Diskussion physischer, juristischer und
ökonomischer Aspekte des Begriffs findet sich bei S. Bone-Winkel/K.-W. Schulte/C. Focke, Begriff
und Besonderheiten der Immobilie als Wirtschaftsgut, in: K.-W. Schulte (Hg.), Immobilienökono-
mie. Band I: Betriebswirtschaftliche Grundlagen, München 2008, S. 3-25, hier: S. 7-16.
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sozialen oder kulturellen Nutzung.4 Im Kern ist mit der Immobilie also der Bo-
den als Produktionsfaktor gemeint. Immobilien lassen sich aber auch als Inves-
titions- oder als Konsumgüter betrachten. Der Begriff hat demnach eine große
Spannbreite. Physisch gewendet, umfasst er zum Beispiel ländliche und städti-
sche, bebaute und unbebaute Grundstücke sowie alle Arten von Gebäuden von
der eigentümergenutzten Garage bis zum geleasten Fußballstadion. In diesem
Sinne wird der Ausdruck im deutschsprachigen Raum seit dem frühen 18. Jahr-
hundert, das äquivalente englischsprachige real property beziehungsweise real
estate seit der Mitte des 17. Jahrhunderts verwendet.5 Ob sich hinter dieser os-
tentativen begrifflichen Kontinuität feinere Bedeutungsverschiebungen verber-
gen, wäre genauer zu untersuchen. Eine Begriffsgeschichte der Immobilie ist ein
Desiderat der Forschung.
     Immobilienmärkte sind in ökonomischer Perspektive zunächst nichts ande-
res als der virtuelle Ort des preisbildenden Zusammentreffens von Angebot und
Nachfrage nach Immobilien.6 Die spezifischen Eigenschaften von Grund und
Boden haben jedoch zur Folge, dass sich Immobilienmärkte in wesentlichen
Punkten von anderen Märkten unterscheiden. Immobilien sind, wie der Name
schon sagt, ortsgebunden und überaus heterogen; die Märkte für sie sind des-
halb häufig stark lokalisiert, sehr intransparent und mit hohen Transaktions-
kosten verbunden. Das Gut ist darüber hinaus typischerweise sehr teuer, wes-
halb Fragen der Finanzierung eine zentrale Rolle für das Marktgeschehen
spielen. Schließlich weisen Immobilien eine außerordentlich lange Herstel-
lungsdauer auf, so dass Angebot und Nachfrage nur mit großer Verzögerung
aufeinander reagieren können.7
     Die Funktionsweise von Immobilienmärkten bedarf deshalb der separaten
Analyse. In den Wirtschaftswissenschaften fällt sie der Immobilienwirtschafts-

||
4 J. Metzger, Betongold. Wohnungen und Immobilien als Kapitalanlage, https://www.bpb.de/
politik/innenpolitik/stadt-und-gesellschaft/216876/wohnungen-und-immobilien-als-kapitalan-
lage, 13.01.2022.
5 Vgl. Immobilien, in: W. Pfeifer u.a., Etymologisches Wörterbuch des Deutschen. Digitalisierte
Version im Digitalen Wörterbuch der deutschen Sprache, https://www.dwds.de/wb/etymwb/
Immobilien, 13.01.2022. Zum Englischen vgl. real, adj.2, n.2, and adv., Abschnitt II 7 c, in:
Oxford English Dictionary Online, www.oed.com/view/Entry/158926, 13.01.2022 sowie real
estate, n., ebd., www.oed.com/view/Entry/238664, 13.01.2022.
6 N.B. Rottke, Funktionsweise des Immobilienmarktes, in: Ders./M. Thomas (Hg.), Immobili-
enwirtschaftslehre – Management, Wiesbaden 2017, S. 120-140, hier: S. 120.
7 Ausführlich Ders., Besonderheiten von Immobilien und deren Märkten, in: Ders./Voigtländer,
Immobilienwirtschaftslehre – Ökonomie, S. 84-100.
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lehre beziehungsweise der real estate economics zu.8 Die Erkenntnisse dieser
Teildisziplin finden jedoch nur selten ihren Weg zurück in die ökonomische
Theoriebildung. Aus deren Blickwinkel erscheint sie als ein esoterisches Spezi-
algebiet und nicht als Lieferant von potentiell verallgemeinerbaren Überlegun-
gen.9 Eine solchermaßen randständige Bedeutung hat die Beschäftigung mit
Immobilien auch in der Wirtschaftsgeschichte. Dies steht in starkem Kontrast
zur enormen gesamtwirtschaftlichen Bedeutung des Feldes. Grund und Boden
bildeten die zentrale ökonomische Ressource der Vormoderne, und gegenwärtig
machen Immobilien etwa 70 Prozent der weltweiten Vermögenswerte aus – mit
entsprechenden Konsequenzen auch für ihre finanzwirtschaftliche Bedeutung.10
     Aus dem Befund einer Spannung zwischen dem realen Gewicht dieses Wirt-
schaftszweiges und seiner Marginalisierung in den Geistes- und Sozialwissen-
schaften erwächst die Herausforderung, einen angemessenen Umgang mit dem
Thema zu entwickeln. Es ist die Ausgangsthese des vorliegenden Heftes, dass dies
angesichts der Vielzahl der Friktionen, die für Immobilienmärkte typisch sind,
nur dann gelingen kann, wenn sie nicht allein als Treffpunkt von Angebot und
Nachfrage, sondern auch als „Arenen sozialen Handelns“11 begriffen und analy-
siert werden. Die hier versammelten Aufsätze tun dies in historischer Perspektive.

2 Forschungsstand
Es ist sicher keine Übertreibung, Immobilienmärkte als einen blinden Fleck der
historischen Forschung zu bezeichnen. Jedoch hängt dieser Befund auch damit
zusammen, dass der Begriff der Immobilie im oben skizzierten Sinne quer zur
etablierten Arbeitsteilung des Faches liegt. Er aggregiert sehr heterogene Ge-
genstände zu einer Einheit und impliziert beispielsweise eine Gleichsetzung
ländlicher und städtischer Verhältnisse, die üblicherweise von unterschiedli-
chen historischen Teildisziplinen bearbeitet werden.
     Lässt man sich auf dieses Problem ein, so kann man drei Ansätze identifizie-
ren, auf denen eine Geschichte der Immobilienmärkte aufbauen kann: erstens

||
8 N.B. Rottke, Immobilienwirtschaftslehre als wissenschaftliche Disziplin, in: Ders./Thomas
(Hg.), Immobilienwirtschaftslehre – Management, S. 28-71.
9 K.-W. Schulte/W. Schäfers, Immobilienökonomie als wissenschaftliche Disziplin, in: Schulte,
Immobilienökonomie, Bd. 1, S. 49-69, hier: S. 49-51.
10 Rottke, Ökonomie, S. 30.
11 P. Aspers/J. Beckert, Märkte, in: A. Maurer (Hg.), Handbuch der Wirtschaftssoziologie,
Wiesbaden 22017, S. 215-240, hier: S. 215.
Immobilienmärkte in der historischen Forschung | 5

die aus der Agrargeschichte hervorgegangene Geschichte der ländlichen Bo-
denmärkte in der Vormoderne und der Sattelzeit; zweitens die Geschichte städ-
tischer Wohnungsmärkte des 19. und 20. Jahrhunderts; und drittens die in
jüngster Vergangenheit entstandene, insbesondere am Problem makroökono-
mischer Krisen interessierte und deshalb zumeist quantitativ arbeitende Wirt-
schaftsgeschichte und Soziologie von Immobilien- und Finanzmärkten.
    Die Geschichte ländlicher Bodenmärkte in der Frühen Neuzeit hat in den
vergangenen zwei Jahrzehnten große Aufmerksamkeit genossen. Zwei eng mit-
einander zusammenhängende Probleme dominieren die neuere Forschung.
Zum einen fragt sie mit Bezug auf das klassische, von Karl Polanyi in einpräg-
samer Weise formulierte Problem des Übergangs zur Marktgesellschaft12 nach
den institutionellen Rahmenbedingungen für die Entstehung von Bodenmärk-
ten. Dabei spielt in der Regel die Herausbildung exklusiver property rights eine
zentrale Rolle. Die jüngere Literatur datiert den Beginn dieses Prozesses auf
einen sehr viel früheren Zeitpunkt als die ältere – für Oberitalien teilweise
schon auf das Hoch- und Spätmittelalter –, betont jedoch die Notwendigkeit
einer starken regionalen und sachlichen Differenzierung dieses Befundes.13 Zum
anderen untersucht sie intensiver als ältere Forschungen die konkreten Mecha-
nismen der Bodenmärkte, d.h. insbesondere Landtransaktionen und Pachtver-
hältnisse. Auch hier fallen die Befunde gemischt aus. Zwar lassen sich solche
ökonomischen Beziehungen ebenfalls schon zu frühen Zeitpunkten nachwei-
sen, aber wirklich preisbildende Märkte resultierten daraus erst sehr viel später.
In Westfalen etwa waren Landtransaktionen selbst in der ersten Hälfte des 19.
Jahrhunderts noch stark von sozialen Netzwerken dominiert.14
    Die zweite Grundlage einer Geschichte der Immobilienmärkte, die Geschichte
der städtischen Wohnungsmärkte, setzt hingegen erst in der Mitte des 19. Jahr-

||
12 K. Polanyi, The Great Transformation. Politische und ökonomische Ursprünge von Gesell-
schaften und Wirtschaftssystemen, Frankfurt a.M. 31995.
13 Exemplarisch aus der umfangreichen Literatur B.J.P. v. Bavel, The Organization and Rise of
Land and Lease Markets in Northwestern Europe and Italy, c. 1000-1800, in: Continuity and
Change 23, 2008, S. 13-53; G. Béaur u.a. (Hg.), Property Rights, Land Markets and Economic
Growth in the European Countryside (13th-20th Centuries), Turnhout 2013 sowie T. Ertl/T.
Frank/S. Nussbaum (Hg.), Busy Tenants. Peasant Land Markets in Central Europe (15th to 16th
Century), Stuttgart 2021. Einen globalgeschichtlichen Überblick über die Entstehung und
Verbreitung des Konzepts des privaten Eigentums an Grund und Boden bietet A. Linklater,
Owning the Earth. The Transforming History of Land Ownership, London 2013.
14 G. Fertig, Äcker, Wirte, Gaben. Ländlicher Bodenmarkt und liberale Eigentumsordnung im
Westfalen des 19. Jahrhunderts, Berlin 2007; J. Bracht/U. Pfister, Landpacht, Marktgesellschaft
und agrarische Entwicklung. Fünf Adelsgüter zwischen Rhein und Weser, 16. bis 19. Jahrhun-
dert, Stuttgart 2020.
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hunderts und damit an einem Zeitpunkt an, zu dem preisbildende Märkte eindeu-
tig dominierten.15 Ihren Ursprung hat diese Forschungsrichtung in den zeitgenös-
sischen, nicht zuletzt von Ökonomen geführten Debatten über die Wohnungsfra-
ge.16 Auch im 20. Jahrhundert war es vor allem die mit dem Wohnen verbundene
sozialpolitische Problematik, die historische Forschungen inspirierte. Besonders
nach 1945 ist die Beschäftigung mit Wohnungsmärkten dabei eher vernachlässigt
worden. Stattdessen sind andere Aspekte des Themas in den Vordergrund ge-
rückt. Das gilt erstens für die aus der Architekturgeschichte herrührende Städte-
bau- und Stadtplanungsgeschichte, die auch von der Stadtgeschichte aufgegriffen
und wesentlich erweitert worden ist.17 Zweitens hat in den 1970er und 1980er
Jahren die Alltagsgeschichte eine wesentliche Rolle für die Erforschung des Woh-
nens gespielt.18 Und drittens sind in den 1990er Jahren einige Arbeiten erschie-
nen, die sich dem Thema aus einer politikgeschichtlichen Perspektive näherten.
Sie berühren sich stellenweise mit den sozialwissenschaftlichen housing studies,
die der vergleichenden Sozialstaatsforschung entstammen.19

||
15 Untersuchungen zu städtischen Immobilienmärkten in der Vormoderne sind rar. Vgl. aber
J.-F. Chauvard, La circulation des biens à Venise. Stratégies patrimoniales et marché immo-
bilier (1600-1750), Paris 2005 sowie M. Barbot, The Justness of Aestimatio and the Justice of
Transactions. Defining Real Estate Values in Early Modern Milan, in: B. de Munck/D. Lyna
(Hg.), Concepts of Value in European Material Culture, 1500-1900, Farnham 2015, S. 133-149.
16 Zu diesen Debatten N. Bullock/J. Read, The Movement for Housing Reform in Germany and
France 1840-1914, Cambridge 1985; C. Zimmermann, Wohnen als sozialpolitische Herausforde-
rung. Reformerisches Engagement und öffentliche Aufgaben, in: J. Reulecke (Hg.), Geschichte
des Wohnens, Band 3: 1800-1918. Das bürgerliche Zeitalter, Stuttgart 1997, S. 503-636.
17 Klassisch dazu P. Hall, Cities of Tomorrow. An Intellectual History of Urban Planning and
Design since 1880, Chichester 42014. Neuere globalgeschichtliche Überblicke zum Wohnen aus
städtebaugeschichtlicher Perspektive bieten F. Urban, Tower and Slab. Histories of Global Mass
Housing, London 2012 sowie M. Glendinning, Mass Housing. Modern Architecture and State
Power. A Global History, London 2021. Maßgeblich zur europäischen Stadtgeschichte F. Lenger,
Metropolen der Moderne. Eine europäische Stadtgeschichte seit 1850, München 2013.
18 L. Niethammer, Wohnen im Wandel. Beiträge zur Geschichte des Alltags in der bürgerlichen
Gesellschaft, Wuppertal 1979. Wichtige, in diesem Geiste entstandene Synthesen sind A.v. Sal-
dern, Häuserleben. Zur Geschichte städtischen Arbeiterwohnens vom Kaiserreich bis heute, Bonn
2
 1997 sowie Wüstenrot-Stiftung (Hg.), Geschichte des Wohnens, 5 Bde., Stuttgart 1996-1999.
19 G. Schulz (Hg.), Wohnungspolitik im Sozialstaat. Deutsche und europäische Lösungen 1918-
1960, Düsseldorf 1993; Ders., Wiederaufbau in Deutschland. Die Wohnungsbaupolitik in den
Westzonen und der Bundesrepublik von 1945 bis 1957, Düsseldorf 1994; K.C. Führer, Mieter,
Hausbesitzer, Staat und Wohnungsmarkt. Wohnungsmangel und Wohnungszwangswirtschaft
in Deutschland 1914-1960, Stuttgart 1995. Einen Überblick über historische Ansätze in der
sozialwissenschaftlichen Wohnungsforschung gibt P. Malpass, Histories of Social Housing. A
Comparative Approach, in: K. Scanlon/C.M.E. Whitehead/M. Fernández Arrigoitia (Hg.), Social
Housing in Europe, Chichester 2014, S. 259-274. Vgl. auch die fundierte Kritik an diesen Ansät-
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     Der Fokus auf den Aspekt der Wohnungspolitik ist insofern naheliegend,
als der Wohnungsmarkt in den meisten westlichen Ländern – mit der nennens-
werten, aber auch nur teilweisen Ausnahme der USA – seit 1914 so stark von
staatlichen Interventionen gekennzeichnet war, dass man ihn ohne eine Berück-
sichtigung dieses Themas schlicht nicht verstehen kann. Das bedeutet freilich
nicht, dass die Geschichte des Wohnungsmarktes in der Geschichte der Woh-
nungspolitik aufgeht, und noch weniger geht die Geschichte der Immobilien-
märkte in der Geschichte ihrer staatlichen Regulierung auf.
     Vor diesem Hintergrund ist seit der Finanzkrise von 2007/08, die ihren Aus-
gangspunkt bekanntlich im US-amerikanischen Immobilienmarkt hatte,20 auch
für das 19. und 20. Jahrhundert wieder ein verstärktes Interesse an der spezi-
fisch ökonomischen Dimension von Grund und Boden festzustellen. Die aus
diesem Kontext stammenden Arbeiten sind der dritte Forschungszweig, auf den
sich eine Geschichte der Immobilienmärkte stützen kann. An erster Stelle sind
hier quantitativ arbeitende Wirtschaftshistoriker*innen zu nennen. Sie haben
die lange Zeit unterschätzte, aber offenkundig enorme makroökonomische Be-
deutung des Immobiliensektors zum Anlass genommen, um historische Daten
über die globale Hauspreisentwicklung seit dem späten 19. Jahrhundert und
über das finanzwirtschaftliche Gewicht des Immobiliensektors zu sammeln und
zu analysieren.21 In ähnlicher Manier ist vor allem in der US-amerikanischen
Forschung der Zusammenhang zwischen Immobilienmärkten und Wirtschafts-
krisen in den Fokus der Aufmerksamkeit gerückt.22 Und schließlich ist auch in
benachbarten Fächern wie der Soziologie und der Politikwissenschaft eine nen-
nenswerte Literatur entstanden, die – häufig unter dem Rubrum der Finanziali-
sierung – ein breites Spektrum an Problemen von Immobilienmärkten und Im-
mobilienfinanzierungen behandelt. Zumeist konzentriert sie sich dabei, ähnlich

||
zen bei T. Blackwell/S. Kohl, Historicizing Housing Typologies. Beyond Welfare State Regimes
and Varieties of Residential Capitalism, in: Housing Studies 34, 2019, S. 298-318.
20 A. Tooze, Crashed. Wie die Finanzkrise die Welt verändert hat, München 2018.
21 O. Jordà/M. Schularick/A.M. Taylor, The Great Mortgaging. Housing Finance, Crises and
Business Cycles, in: Economic Policy 85, 2016, S. 107-152; K. Knoll/M. Schularick/T.M. Steger,
No Price Like Home. Global House Prices, 1870-2012, in: American Economic Review 107, 2017,
S. 331-353. Hingewiesen sei auch auf die einschlägigen Projekte von M. Lampe, Der Wiener Immo-
bilienmarkt, 1868-1990. Der erste Langfrist-Immobilienpreisindex für Österreich, https://
bach.wu.ac.at/d/research/projects/3198/, 13.01.2022, und von M. Schularick, Housing, Finance
and the Macroeconomy, 1870-2015, https://erc.europa.eu/news/erc-2017-consolidator-grants-
highlighted-projects, 13.01.2022.
22 E.L. Glaeser, A Nation of Gamblers: Real Estate Speculation and American History, in:
American Economic Review 103, 2013, S. 1-42; E.N. White/K. Snowden/P. Fishback (Hg.), Housing
and Mortgage Markets in Historical Perspective, Chicago 2014.
8 | Peter Kramper

wie die spezifisch immobilienwirtschaftliche Literatur, auf den Zeitraum seit
den 1990er, seltener seit den 1970er Jahren.23 Nur einige wenige, dafür aber
umso wertvollere Beiträge nehmen eine deutlich längerfristige Perspektive ein.24
     Bei den Untersuchungen dieses dritten Zweiges handelt es sich insgesamt
um außerordentlich wichtige und vielbeachtete Forschungen mit z.T. frappie-
renden Ergebnissen. Was sie allerdings – mit Ausnahme der zuletzt genannten
Einzelfälle – nicht leisten, ist eine historisch angelegte Untersuchung der Insti-
tutionen, Akteure und Mechanismen von Immobilienmärkten. Auch zu deren
Erforschung gibt es zwar einige Ansätze, die – um zunächst im Horizont der
deutschen Forschung zu verbleiben – zum Beispiel den Wohnungsmarkt des
Kaiserreiches25 und insbesondere die Rolle der Terraingesellschaften,26 bundes-
republikanische Wohnungsmärkte und Wohnungsunternehmen,27 Immobilien-

||
23 M. Aalbers, The Financialization of Housing. A Political Economy Approach, London 2016;
G.W. Fuller, The Political Economy of Housing Financialization, Newcastle 2019; zu Deutsch-
land P. Metzger, Die Finanzialisierung der deutschen Ökonomie am Beispiel des Wohnungs-
marktes, Münster 2020. Aufschlussreich ist auch das aus diesem Kontext stammende, neue
Interesse an der Theoriegeschichte der Bodenrente, vgl. C. Ward/M. Aalbers, Virtual Special
Issue Editorial Essay: ‘The Shitty Rent Business’: What’s the Point of Land Rent Theory?, in:
Urban Studies 53, 2016, S. 1760-1783. Einer der wenigen historisch interessierten Beiträge aus
der immobilienwirtschaftlichen Literatur ist N.B. Rottke, Geschichte der deutschen Immobi-
lienwirtschaft, in: Ders./Thomas, Immobilienwirtschaftslehre – Management, S. 92-118.
24 S. Kohl, Homeownership, Renting and Society. Historical and Comparative Perspectives,
Milton 2017; T. Blackwell/S. Kohl, The Origins of National Housing Finance Systems. A Compar-
ative Investigation into Historical Variations in Mortgage Finance Regimes, in: Review of Inter-
national Political Economy 25, 2018, S. 49-74; S.L. Quinn, American Bonds. How Credit Marktes
Shaped a Nation, Princeton 2019.
25 C. Wischermann, Mythen, Macht und Mängel. Der deutsche Wohnungsmarkt im Urbanisie-
rungsprozeß, in: J. Reulecke, Geschichte des Wohnens Bd. 3, S. 333-502; C. Bernhardt, Bauplatz
Groß-Berlin. Wohnungsmärkte Terraingewerbe und Kommunalpolitik im Städtewachstum der
Hochindustrialisierung (1871-1918), Berlin 1998.
26 S. Fisch, Grundbesitz und Urbanisierung. Entwicklung und Krise der deutschen Terraingesell-
schaften 1870-1914, Geschichte und Gesellschaft 15, 1989, S. 34-61; A. Heisler, Stadt und Boden.
Zur Stadterweiterungsdiskussion der Jahrhundertwende und den Grundstücksverhältnissen in
München 1860-1910, München 1994; J.V. Wilhelm, Das Baugeschäft und die Stadt. Stadtplanung,
Grundstücksgeschäfte und Bautätigkeit in Göttingen (1861-1924), Göttingen 2006; C. Bernhardt,
Vom Terrainhandel zur Weimarer Städtebaukoalition. Unternehmen und Unternehmer im Ber-
liner Eigenheimbau von 1900 bis 1939, in: H. Reif (Hg.), Berliner Villenleben. Die Inszenierung
bürgerlicher Wohnwelten am grünen Rand der Stadt um 1900, Berlin 2008, S. 71-91.
27 K.C. Führer: Die Stadt, das Geld und der Markt. Immobilienspekulation in der Bundesrepublik
1960-1985, Berlin 2016; V. Eichener/H. v. Emmerich/D. Petzina (Hg.), Die unternehmerische
Wohnungswirtschaft. Emanzipation einer Branche. Der Strukturwandel der deutschen Woh-
nungswirtschaft seit dem ausgehenden 19. Jahrhundert, Frankfurt a.M. 2000; P. Kramper, Neue
Immobilienmärkte in der historischen Forschung | 9

krisen und -spekulationen28 oder Finanzierungsfragen in den Blick nehmen.29
Aber ebenso auffällig sind die Lücken, die auf diesem Feld bestehen. So scheint
es, um einige beispielhafte, wiederum den deutschen Fall betreffende Desidera-
ta zu benennen, keine Geschichte der Bodenreformbewegung oder der Boden-
besteuerung,30 keine historische Arbeit über den gewerblichen Immobiliensek-
tor, nur eine einzige quellenbasierte Geschichte einer Hypothekenbank,31 keine
nennenswerten Untersuchungen der Geschichte von Maklerbüros und Makler-
verbänden, keine Wissenschaftsgeschichte der Immobilienökonomie und auch
keine Untersuchung der Umbrüche auf Wohnungs- und Immobilienmärkten
nach dem Boom oder im Zuge der deutschen Vereinigung zu geben.32 Als syste-
matisches Forschungsfeld einer qualitativ ausgerichteten Wirtschaftsgeschichte
existiert eine Geschichte der Immobilienmärkte bisher also nicht.
     Über die Ursachen für diesen Umstand kann man nur spekulieren. Bereits
erwähnt worden sind der geringe Stellenwert von Immobilienmärkten in den
Wirtschaftswissenschaften und die Tatsache, dass ihr Gegenstand in den Ge-
schichtswissenschaften traditionell von unterschiedlichen Teildisziplinen bear-
beitet wird. Daneben spielt vermutlich auch die atomisierte Struktur der Immo-
bilienbranche eine Rolle, weil kleine Unternehmen weniger Akten hinterlassen
als große. Und schließlich dürfte das Fehlen starker Berufsbilder und Bran-
chenverbände ein Faktor sein. Es hat jene historische Selbststilisierung von
Akteuren der Immobilienwirtschaft verhindert, die etwa in den USA der 1980er

||
Heimat. Unternehmenspolitik und Unternehmensentwicklung im gewerkschaftlichen Wohnungs-
und Städtebau 1950-1982, Stuttgart 2008.
28 A. Nützenadel, Städtischer Immobilienmarkt und Finanzkrisen im späten 19. Jahrhundert,
in: JWG 2011/1, S. 97-114; Ders., Wagnis und Erwartung. Terrainunternehmer, Hausbesitzer und
Immobilienspekulanten in Berlin um 1900, in: S. Brakensiek/C. Marx/B. Scheller (Hg.), Wagnis-
se. Risiken eingehen, Risiken analysieren, von Risiken erzählen, Frankfurt 2017, S. 127-150.
29 Blackwell/Kohl, Origins; F. Sattler, Der Pfandbrief 1769-2019. Von der preußischen Finanzinno-
vation zur Covered Bond Benchmark, Stuttgart 2019; P. Bormann/F. Sattler, Die DZ Hyp. Eine ge-
nossenschaftliche Hypothekenbank zwischen Tradition und Wandel (1921-2021), München 2021.
30 Zur diesbezüglichen Literatur vgl. den Beitrag von Anna Grotegut in diesem Heft.
31 Bormann/Sattler, DZ Hyp.
32 Ansatzpunkte bieten L. Kühne-Büning/W. Plumpe/J.-O. Hesse, Zwischen Angebot und Nach-
frage, zwischen Regulierung und Konjunktur. Die Entwicklung der Wohnungsmärkte in der
Bundesrepublik, 1949-1989/1990-1998, in: I. Flagge (Hg.), Geschichte des Wohnens, Bd. 5: 1945
bis heute. Aufbau, Neubau, Umbau, Stuttgart 1999, S. 153-232; A. Kaprol-Gebhardt, Geben oder
Nehmen. Zwei Jahrzehnte Rückübertragungsverfahren von Immobilien im Prozess der deutschen
Wiedervereinigung am Beispiel der Region Berlin-Brandenburg, Berlin 2018 und K. Brückweh,
Wissen über die Transformation. Wohnraum und Eigentum in der langen Geschichte der „Wen-
de“, in: Zeithistorische Forschungen/Studies in Contemporary History 16, 2019, S. 19-45.
10 | Peter Kramper

Jahre als negativer Ausgangspunkt für den Versuch zur Etablierung einer aka-
demischen Real Estate History gedient hat.33
     Dieser Versuch war jedoch erfolglos. Die internationale Forschung ist des-
halb insgesamt nicht wesentlich besser aufgestellt als die deutsche. So gibt es
zwar zu Großbritannien Arbeiten zu Land- und Immobilienmärkten im frühen
19. Jahrhundert oder zur Geschichte des gewerblichen Immobiliensektors;34 zu
den USA einige neuere Publikationen, die zum Beispiel Märkte für Hypotheken-
darlehen oder den Beitrag privatwirtschaftlicher Akteure zum Phänomen der
sozialen Segregation untersuchen;35 und zu Frankreich eine bemerkenswerte
Untersuchung des Pariser Immobilienmarktes im späten 19. Jahrhundert.36 De-
ren Autorin hat zudem jüngst einen weitgespannten, eher stadt- als wirtschafts-
geschichtlich interessierten Überblick über Forschungen zur Globalgeschichte
von Immobilien vorgelegt. Aber auch diese Skizze kommt zu dem Schluss, dass
„capitalist private property in land and buildings – real estate – […] remains
largely without a history.”37

3 Methodische und inhaltliche Anliegen
An dieser Stelle setzt das vorliegende Themenheft an. Es liefert Bausteine für
eine historische Grundierung des wachsenden wissenschaftlichen Interesses an
Immobilienmärkten. Dabei betrachten die hier versammelten Beiträge diese
Märkte als historisch situierte Arenen sozialen Handelns. Sie fragen danach,
welche Institutionen, Akteure, Praktiken und Wissensbestände für ihre Konsti-
tuierung wesentlich waren; welche Verschiebungen sich in diesen Hinsichten
im Zeitverlauf ergaben; an welche Rahmenbedingungen diese Verschiebungen
geknüpft waren und welche Folgen sie hatten.

||
33 M.A. Weiss, Real Estate History. An Overview and Research Agenda, in: Business History
Review 63, 1989, S. 241-282.
34 D. Fitz-Gibbon, Marketable Values. Inventing the Property Market in Modern Britain, Chica-
go 2018; P. Scott, The Property Masters. A History of the British Commercial Property Sector,
London 1996.
35 White/Snowden/Fishback, Housing and Mortgage Markets; Quinn, American Bonds; P.
Glotzer, How the Suburbs Were Segregated. Developers and the Business of Exclusionary Hous-
ing 1890-1960, New York 2020.
36 A. Yates, Selling Paris. Property and Commercial Culture in the Fin-De-Siècle Capital, Cam-
bridge (MA) 2015.
37 Yates, Real Estate, S. 3.
Immobilienmärkte in der historischen Forschung | 11

     Bei der Beantwortung dieser Fragen rückt das Heft die Eigenheiten dieser
Märkte in den Mittelpunkt und geht von den Schwierigkeiten aus, die die markt-
förmige Allokation von Immobilien mit sich bringt. Ein besonderes Augenmerk
liegt deshalb auf den eng verbundenen Problemen der Immobilienbewertung
und der Immobilienfinanzierung. Sie stellen zentrale Aspekte der Kommodifi-
zierung dieser Güter dar. Vor allem die Immobilienbewertung hat in der Entste-
hungsgeschichte des Heftes eine zentrale Rolle gespielt. Das Projekt, aus dem es
hervorgegangen ist (Teilprojekt „Markt und Wert: Praktiken der Immobilienbe-
wertung vom 18. bis zum 20. Jahrhundert“ im SFB 1288 „Praktiken des Verglei-
chens“), untersucht den historischen Wandel von Vergleichs- und Bewertungs-
praktiken auf Immobilienmärkten, die Akteure dieser Veränderungen und den
Zusammenhang von Bewertungspraktiken mit Preisen und Markttransaktionen.
Es greift dafür auf praxistheoretische Ansätze zurück38 und verknüpft sie mit der
wirtschaftssoziologischen Diskussion über das Phänomen des Marktes, wie sie
unter anderem von Jens Beckert geprägt worden ist.
     Markttransaktionen werden in dieser Perspektive prinzipiell als unwahr-
scheinliche Phänomene betrachtet, denen hohe Hürden entgegenstehen.39 Im-
mobilienmärkte können in besonderer Weise über die sozialen Handlungen
Aufschluss geben, die zur Überwindung dieser Hürden nötig sind, weil diese
aufgrund der Eigenschaften des gehandelten Gutes stärker expliziert werden
müssen als auf anderen Märkten und mithin besser greifbar sind. Das mag auch
eine besondere exemplarische Relevanz einer Geschichte der Immobilienmärkte
für die Geschichte des Kapitalismus begründen. Es ist vielleicht kein Zufall,
dass eine der populärsten Veranschaulichungen von Privateigentum und Märk-
ten, das Brettspiel Monopoly, gerade auf den Immobilienmarkt rekurriert.40
     Man muss die skizzierte, an die Marktsoziologie angelehnte methodisch-
theoretische Perspektive freilich nicht teilen, um die Frage nach den Institutio-
nen, Praktiken und Akteuren auf historischen Immobilienmärkten angehen zu
können. Viele der hier versammelten Beiträge bedienen sich anderer Zugänge.
Was sie aber zusammenhält, ist – neben einem gemeinsamen Begriff von Im-

||
38 Überblick bei A. Reckwitz, Grundelemente einer Theorie sozialer Praktiken. Eine sozialtheo-
retische Perspektive, in: Zeitschrift für Soziologie 32, 2003, S. 282-301. Zum Konzept der Ver-
gleichspraktiken vgl. A. Epple/W. Erhart/J. Grave (Hg.), Practices of Comparing. Towards a New
Understanding of a Fundamental Human Practice, Bielefeld 2020.
39 J. Beckert, The Social Order of Markets, in: Theory and Society 38, 2009, S. 245-269; As-
pers/Beckert, Märkte.
40 Die Entstehungsgeschichte des Spiels ist eng mit der Geschichte der Bodenreformbewe-
gung verknüpft, vgl. M. Pilon, The Monopolists. Obsession, Fury, and the Scandal Behind the
World’s Favorite Board Game, New York 2015.
12 | Peter Kramper

mobilien – ein Fokus auf Fragen ihrer Bewertung, Finanzierung, Allokation
(samt deren Verteilungswirkung) und Besteuerung, der aus der Berücksichti-
gung der Spezifika dieses Gutes resultiert.

4 Beiträge in diesem Heft
Die sieben Beiträge dieses Heftes verfolgen diese Fragen mit jeweils unter-
schiedlichen Schwerpunktsetzungen. Der zeitliche und geographische Fokus
liegt dabei auf den deutschen Territorien im langen 19. Jahrhundert, mit einigen
Seitenblicken auf Großbritannien und die USA sowie einem Ausblick auf das
20. Jahrhundert.
     Im Mittelpunkt der ersten drei Aufsätze stehen Mechanismen von und
Transaktionen auf ländlichen Bodenmärkten zwischen etwa der Mitte des 18.
und dem letzten Drittel des 19. Jahrhunderts. Johannes Bracht und Friederike
Scholten untersuchen den Pachtmarkt und die Preisbildung auf westfälischen
Landgütern. Als Ausgangspunkt dient ihnen dabei die in der Forschung verbrei-
tete, auf der Ricardianischen Rententheorie aufsattelnde These, dass Pachtver-
hältnisse Marktbeziehungen widerspiegeln und deshalb als Indikatoren für die
Messung der landwirtschaftlichen Produktivität herangezogen werden können.
Bracht und Scholten setzen dieser Auffassung die Überlegung entgegen, dass
soziale Beziehungen wie etwa ein wohlwollender Paternalismus die Preisbil-
dung beeinflusst haben könnten. Ihre empirische Untersuchung zeigt, dass die
Pachtpreise im Zeitraum vor 1830 tatsächlich häufig unterhalb der Ricardiani-
schen Rente lagen und insofern nicht als Maßstab für die Produktivitätsent-
wicklung dienen können. Die Ursache hierfür scheint aber weniger in paterna-
listischen Sozialbeziehungen gelegen zu haben als vielmehr in dem Umstand,
dass in Zeiten geringer Nachfrage der Preisbildungsmechanismus versagt hat.
Dies führte zu einer Situation, in der wichtige Nachfrager als Monopsonisten
auftreten konnten.
     Eine ähnliche Stoßrichtung verfolgt der zweite Aufsatz. Stephan Fasold
widmet sich der Auktion als Mechanismus des Verkaufs von Grund und Boden
im England des 19. Jahrhunderts. In weniger formalisierter Form als die moder-
ne Auktionstheorie, aber in inhaltlich durchaus vergleichbarer Art und Weise
versprachen sich zeitgenössische Akteure von diesem Modus der Transaktion
eine höhere Publizität und eine effizientere Bewertung und Allokation der ge-
handelten Immobilien. In der Praxis bildeten die komplexen formellen und
informellen Regeln des englischen Auktionswesens jedoch ein Einfallstor für
die Manipulation von Preisen. Fasold argumentiert, dass dies die Anbieter von
Immobilienmärkte in der historischen Forschung | 13

Landgütern begünstigt, die Nachfrager aber benachteiligt habe. Den erheblichen
Bedeutungsgewinn, den Immobilienauktionen im Laufe des 19. Jahrhunderts
verbuchen konnten, führt er folglich nicht auf die besondere Effizienz dieses
Preisbildungsmechanismus, sondern auf die machtpolitisch begründete Fähig-
keit von Landbesitzern zu seiner Durchsetzung zurück.
     Kirsten Wandschneiders Beitrag fügt diesem Bild einer starken Verkoppe-
lung des ländlichen Immobilienmarktes mit sozialen und institutionellen Gege-
benheiten eine weitere Facette hinzu. Wandschneider untersucht die Folgen der
Entstehung der Landschaften – neuartiger Bodenkreditinstitute – im Ostpreußen
des 18. Jahrhunderts und fragt nach den Auswirkungen dieser dem Adel vorbehal-
tenen Einrichtungen auf die Verteilung des Grundbesitzes im 19. Jahrhundert.
Dabei kann sie nachweisen, dass der Zugang zu den Krediten der Landschaften
positiv mit dem Größenwachstum der kreditierten Güter korrelierte. Auch einen –
schwächeren – bremsenden Effekt der Institute auf die Verbürgerlichung adligen
Besitzes zeigt der Aufsatz auf. Die institutionelle Ausgestaltung des Kreditsystems
hatte also erhebliche Auswirkungen auf die ökonomischen und sozialen Ergeb-
nisse des ostpreußischen Bodenmarktes im 19. Jahrhundert.
     Die nächsten drei Aufsätze übertragen die Frage nach der sozialen Konstitu-
ierung von Immobilienmärkten auf die städtische Szenerie in der Hochphase
der Urbanisierung, also im letzten Drittel des 19. und im frühen 20. Jahrhundert.
Friederike Sattler untersucht die Rolle der seit den 1860er Jahren in großer Zahl
entstandenen Hypothekenbanken. Sie finanzierten mittels des von den Land-
schaften übernommenen Pfandbriefsystems die Expansion urbaner Räume und
profilierten sich so als „Städtebauer der Neuzeit“.41 Ihr starkes Wachstum und
ihre unübersichtlichen Organisationsstrukturen führten jedoch zu einer Auf-
weichung der ursprünglich strengen Regeln der Darlehensvergabe. Die Folge
waren unlautere Geschäftspraktiken, Immobilienkrisen und Unternehmenszu-
sammenbrüche. Das Hypothekenbankgesetz von 1899 stellte das Pfandbriefsys-
tem und damit die städtischen Immobilienmärkte des Kaiserreichs auf eine
neue, stabilere Grundlage. Seine Nebenwirkung war jedoch die bis weit in die
zweite Hälfte des 20. Jahrhunderts reichende Abschottung der deutschen Hypo-
thekenbanken vom westeuropäischen Markt.
     Die Verwerfungen auf den Immobilienmärkten und die soziale Problematik
der Wohnungsfrage forderten jedoch nicht nur die Hypothekenbanken, sondern
auch die Wirtschaftswissenschaften des späten 19. Jahrhunderts heraus. Rudolf
Eberstadt etwa nahm sie zum Anlass, um eine zeitgenössisch heftig kritisierte und
in der Retrospektive meist eher belächelte Analyse der städtischen Grundstücks-

||
41 F. Schulte, Die Hypothekenbanken, München 1918, S. 49.
14 | Peter Kramper

spekulation zu formulieren. Wie Felix Schroeter zeigt, geht deren Bedeutung je-
doch über den Horizont immobilienwirtschaftlicher Fragestellungen hinaus. Eber-
stadt entwickelte aus diesen eine allgemeine Theorie der Spekulation, die grund-
legende Fragen des Verhältnisses von Markt und Wert thematisierte. Ihr zufolge
eröffneten die institutionellen Rahmenbedingungen des Kaiserreiches Kapitalbe-
sitzern die Möglichkeit, Renten nicht nur spekulativ zu antizipieren, sondern sie
mittels ihrer Kontrolle über die Mechanismen der Wertbestimmung selbst zu er-
schaffen und ihre Erwirtschaftung den Konsument*innen aufzubürden. Eber-
stadts Auffassung von der Asymmetrie und Manipulierbarkeit der Institutionen
der Bewertung stand in fundamentalem Gegensatz zum Diktum der Neutralität
des Marktes, das die Mehrheit der zeitgenössischen Ökonomen favorisierte.
     Seine Analyse ist unter anderem von der Bodenreformbewegung aufgegrif-
fen worden. Anna Grotegut analysiert deren auch gegenwärtig wieder diskutier-
tes Projekt einer Besteuerung des Bodenwertzuwachses. Sie sollte die von ver-
meintlichen oder tatsächlichen Spekulanten erzielten Bodenrenten abschöpfen
und so einen Beitrag zur Entschärfung der städtischen Wohnungsfrage leisten.
Tatsächlich ist eine solche Steuer 1911 reichsweit eingeführt, aber nur zwei Jahre
später wieder abgeschafft worden. Wie Grotegut erläutert, lagen die Ursachen
für diesen Fehlschlag weniger im ausbleibenden Steuerungseffekt der soge-
nannten Reichswertzuwachssteuer. Vielmehr war diese von Beginn an nicht als
bodenreformerisches Projekt, sondern als Mittel zur Erhöhung des Steuerauf-
kommens im Kontext der Aufrüstung des Reiches konzipiert worden. Als das
Steuersystem 1913 einen grundlegenden Umbau erfuhr und die allgemeine
Vermögenszuwachssteuer eingeführt wurde, war die – ohnehin mit großen
Erhebungsschwierigkeiten behaftete – Bodenwertzuwachssteuer aus fiskalischer
Sicht überflüssig geworden. Eine Beeinflussung des Bodenmarktes über die Be-
steuerung ist in der Folgezeit zwar immer wieder eingefordert, aber zumindest
in Deutschland nie wieder versucht worden.
     Den Abschluss des Bandes bildet ein Ausblick auf die langfristige Entwick-
lung der Immobilienfinanzierung von der Mitte des 19. Jahrhunderts bis zur
Gegenwart. Sebastian Kohl untersucht in seinem Beitrag den säkularen Wandel
der Wohnungsbauinvestitionen privater Versicherungen aus Deutschland und
den USA. Der bekannten These des „Great Mortgaging“,42 also der weithin für
die wachsende Instabilität des Finanzsystems verantwortlich gemachten Zunah-
me des langfristigen Kreditgeschäfts privater Geschäftsbanken, setzt er die These
eines „Great De-Mortgaging“ der Bilanzen des Versicherungsgewerbes entge-
gen. So fiel der Anteil des Hypothekarkredits am Portfolio dieser Anlegergruppe

||
42 Jordà/Schularick/Taylor, Great Mortgaging.
Immobilienmärkte in der historischen Forschung | 15

von um die 90 Prozent im 19. auf unter fünf Prozent am Beginn des 21. Jahrhun-
derts. Während die Versicherungen ihre Investitionen zunehmend in Pensions-
fonds umschichteten und damit deren Finanzialisierung stark beschleunigten,
wirkten sie auf die Finanzialisierung der Wohnungsmärkte eher bremsend.
Ursprünglich einmal sehr prominente deutsch-amerikanische Unterschiede im
Risikoprofil der Investitionen in den Wohnungsbau und in der Art der bevorzug-
ten Immobilien schliffen sich dabei insbesondere im Zeitraum seit dem Zweiten
Weltkrieg deutlich ab.

5 Fazit
Der explorative Charakter der hier versammelten Überlegungen erlaubt es
kaum, an dieser Stelle empirisch abgesicherte Schlussfolgerungen zu ziehen.
Der Fokus der Beiträge auf das 19. Jahrhundert und die in etwa gleichgewichtige
Betrachtung ländlicher und städtischer Immobilienmärkte eröffnen aber im-
merhin die Chance, zumindest tentativ nach Kontinuitäten und Diskontinuitä-
ten in der Kommodifizierung von Grund und Boden am Übergang von einer
ländlich zu einer städtisch geprägten Immobilienwirtschaft zu fragen. Dieses
Problem ist in der bisherigen Literatur aufgrund der völlig unterschiedlichen
makroökonomischen Relevanz dieser beiden Teilmärkte unbeachtet geblieben.
     Wenn sich aus den vorliegenden Beiträgen jedoch eine Gesamtthese ergibt,
dann wohl diejenige, dass der synchrone Blick auf die Mechanismen und Insti-
tutionen ländlicher und städtischer Immobilienmärkte ein hohes Maß an Konti-
nuitäten und Gemeinsamkeiten erahnen lässt. Am Übergang von nicht preisbil-
denden zu preisbildenden Bodenmärkten scheint es zwar – naheliegenderweise
– eine deutliche Veränderung von Bewertungs-, Finanzierungs- und Allokati-
onsmechanismen gegeben zu haben. Doch dieser Übergang war nicht gleichbe-
deutend mit dem Übergang von der Dominanz ländlicher zur Dominanz städti-
scher Immobilienmärkte. An der zuletzt genannten Schwelle lässt sich wohl
eher von einem Erhalt alter und einer zwiebelschalenartigen Anlagerung neuer
Marktmechanismen sprechen. Ein gutes Beispiel hierfür ist die Finanzierung
über Pfandbriefe in Preußen beziehungsweise Deutschland. Sie war sowohl für
den ländlichen Bodenmarkt der zweiten Hälfte des 18. als auch für den städti-
schen Immobilienmarkt des späten 19. und frühen 20. Jahrhunderts von konsti-
tutiver Bedeutung. Zudem scheint es auch eine Kontinuität der Verteilungsef-
fekte von ländlichen und städtischen Immobilienmärkten gegeben zu haben. Im
späten 18. wie im frühen 20. Jahrhundert begünstigten sie offenbar tendenziell
– allerdings in Abhängigkeit von der konkreten Marktsituation – die Anbieter
16 | Peter Kramper

von Grund und Boden gegenüber den Nachfragern. Die hier präsentierten Be-
funde legen jedoch die Vermutung nahe, dass dies kein Ergebnis unveränderli-
cher Eigenschaften von Immobilienmärkten, sondern eine Folge der konkreten
Ausgestaltung ihrer Bewertungs-, Finanzierungs- und Allokationsmechanismen
und somit grundsätzlich veränderbar war.
     Man mag in diesen Überlegungen auch eine Botschaft für die gegenwärti-
gen Debatten über den Immobiliensektor erkennen. Es sei jedoch betont, dass
sie nur sehr vorläufiger Natur sind und einer genaueren Überprüfung bedürfen.
Zudem erscheint es wünschenswert, weitere und weiter gespannte Forschungen
zu unternehmen, also zum Beispiel zusätzliche Praktiken oder Akteursgruppen
wie etwa die hier kaum in den Blick genommenen Makler oder privaten develo-
pers zu analysieren. Darüber hinaus wäre es dringend nötig, stärker über den
Tellerrand der deutschen Entwicklung hinauszublicken, als das hier geschehen
kann. Wenn die präsentierten Beiträge einen Anstoß zu solchen weiteren Er-
kundungen geben, haben sie ihr Ziel erreicht.

Bionote
Peter Kramper
hat in Mainz, Freiburg und London Neuere und Neueste Geschichte, Politikwissenschaft, Philo-
sophie und Wirtschaftsgeschichte studiert. 1999 MSc Economic History, London School of
Economics; 2006 Promotion zum Dr. phil., Albert-Ludwigs-Universität Freiburg; 2016 Habili-
tation ebenda. Nach beruflichen Stationen in Freiburg, London und München ist er seit 2016
Professor für Allgemeine Geschichte unter besonderer Berücksichtigung der Wirtschaftsge-
schichte an der Universität Bielefeld. Seine Forschungsschwerpunkte sind die Geschichte
des Wohnungs- und Städtebaus, der Messung, Standardisierung und Normung sowie der
Industrialisierung und des Kapitalismus.
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