Indiens maritime Sicherheitsstrategie - Anpassung an die geopolitischen Herausforderungen der Zukunft - DMKN
←
→
Transkription von Seiteninhalten
Wenn Ihr Browser die Seite nicht korrekt rendert, bitte, lesen Sie den Inhalt der Seite unten
Indiens maritime Sicherheitsstrategie Anpassung an die geopolitischen Herausforderungen der Zukunft Heinz Dieter Jopp Foto: US Navy INS „Trikand“, eine Fregatte der TALWAR-Klasse I n seinem Vorwort der angepassten ma- ritimen Strategie mit dem Titel „Ensu- ring Secure Seas: Indian Maritime Security Diese werden in acht Kapiteln analysiert und Lösungsansätze beschrieben. Die bei- den ersten Kapitel beschäftigen sich mit des internationalen Handels ist, sondern über die Nutzungsrechte von Hafeneinrich- tungen auch eine Versorgung chinesischer Strategy“ vom Oktober 2015 schrieb der den Herausforderungen und Perspektiven Kriegsschiffe fernab nationaler Logistik- Oberbefehlshaber der indischen Marine, der maritimen Sicherheitsstrategie. Ihnen Stützpunkte ermöglicht. Admiral Robin K. Dhowan, dass die neue folgen Überlegungen zu Abschreckung und Hinzu kamen Streitigkeiten mit auslän- Strategie von einem maritimen Jahrhun- Konflikten, um hieraus Ziele für eine er- dischen Fischereiflotten in eigenen Küs- dert ausgehe und sich an geopolitische wie folgreiche eigene Strategie einschließlich tengewässern wie auch Terrorangriffe geostrategische Veränderungen der letzten der Sicherung der Küsten und Offshore- über See an Land (Mumbai). Damit wird Jahre anpassen müsse. Zu den wichtigs- Bereiche abzuleiten. Diese münden in Ge- die Forderung der Strategie nach einem ten Veränderungen zählte er die Verlage- danken und Forderungen zum Umbau der umfassenden Lagebild über eigene, feind- rung des Fokus vom euroatlantischen zum eigenen Seestreitkräfte sowie der Entwick- liche und neutrale Schiffsbewegungen auf, indopazifischen Raum, das vermehrte Auf- lung künftiger Möglichkeiten. Dies gilt für unter wie über der See erklärlich. Dies soll treten nicht-traditioneller Gefährdungen die Unterwasser-, Überwasser- und See- dann auch mit Hilfe befreundeter Mari- und letztlich die Erkenntnis, dass maritime kriegsführung aus der Luft wie auch die nen geschehen. Aber genau an diesem Sicherheit für die nationale Sicherheit und Nutzung des Weltraums. Über all diesen Punkt hat Indien und seine Marine noch das internationale Engagement Indiens eine Zielen schwebt die politische Forderung ein grundsätzliches Problem. Ein umfas- Grundvoraussetzung darstellt. nach möglichst umfassender Produktion sendes Lagebild setzt den Datenabgleich Stark beeinflusst wurde die neue Strate- der Seekriegsmittel in nationaler Zustän- mit befreundeten Marinen in Form einer gie von der Herausgabe des Chinesischen digkeit. Was bedeutet dies im Einzelnen? Zweibahnstraße voraus und somit die Wei- Weißbuchs 2015 „China´s Military Strate- tergabe eigener Aufklärungsergebnisse, ge- gy“, in dem es unter anderem heißt: „Für Strategisches Bewusstsein wonnen über nationale Mittel. Hier hat der China ist es notwendig, moderne mariti- über maritime Räume Umdenkungsprozess gerade erst begon- me Streitkräfte zu entwickeln … und sich nen. Allerdings wurden erste Vereinbarun- selber zu einer maritimen Macht zu ver- Über Jahrzehnte ging Indien davon aus, gen mit den USA (militärisch) und den Sey- ändern.“ Da China gleichzeitig von der Not- dass der Indische Ozean zu seiner alleini- chellen geschlossen. wendigkeit der Entwicklung hin zu einer gen Einflusssphäre gehört. Spätestens mit Während die Überwachung eigener Küs- Zwei-Ozean-Marine (Pazifik und Indischer der Beteiligung der chinesischen Volksma- tengewässer auch politisch eingängig war Ozean) ausgeht, um seine Seeverbindungs- rine (People's Liberation Army Navy – PLAN) und damit realisierbar wird, ist die Schaf- linien besser zu schützen, wurde für Indi- an der Pirateriebekämpfung am Horn von fung eines Lagebildes für den Indischen en die dringende Entwicklung einer kohä- Afrika wurde deutlich, dass China seinen Ozean eine strategische Herausforderung renten Strategie für den Indischen Ozean Einfluss auf den Indischen Ozean, das Ara- erster Güte, gilt es doch dabei auch, den deutlich, die es ihm ermöglicht, vorhande- bische Meer sowie seine Anrainerstaaten künftigen Umgang mit China und seiner ne (Seekriegs-)Mittel und Diplomatie zur ausdehnt. Erst spät erkannte Indien, dass weiter wachsenden Präsenz auf See und an Erreichung seiner strategischen Ziele er- die maritime Seidenstraße Chinas nicht Land zu definieren. So wurde Indien 2014 folgversprechend einzusetzen. nur ein Wirtschaftsprojekt zur Förderung von zwei Hafenbesuchen chinesischer U- 8 MarineForum 9-2018
Boote in Colombo (Sri Lanka) ebenso über- U-Boote (SSBN) zu stationieren. Diese Sys- strategischen Lagebild zu einem äußerst rascht wie vom Besuch eines chinesischen teme werden konsequent von konventio- schwierigen Unterfangen, auch wenn die SSN 2016 in Karatschi. Diese Präsenz ist nur nellen Seestreitkräften getrennt. neuen Plattformen überwiegend in Indien schwer mit der Notwendigkeit der Siche- Hauptauftrag der indischen Streitkräf- nach Plänen der Lieferländer gebaut wer- rung der Seeverbindungslinien (SLOC) zu te und somit auch der Marine bleibt die den. Hier dürfte der Teufel in den Details begründen. Der Bau einer eigenen Logistik- konventionelle Abschreckung. Die oben stecken. kapazität in Djibouti, Bau- und Hafenrechte beschriebene Maritime Domain Aware- in Gwadar (Pakistan) und Hambantota (Sri ness ist Voraussetzung für den Zuschnitt Vernetzte maritime Sicherheit Lanka) sowie Verträge mit ostafrikanischen der Flotte, ihre Dislozierung sowie die ver- Staaten und den Malediven untermauern stärkte Zusammenarbeit mit Küstenwa- So wie viele andere Marinen dieser Welt das gewachsene Interesse Chinas an stän- che, Luftwaffe, staatlichen Marineagentu- soll auch die indische Marine Schutz- und diger Präsenz und Machtausübung im In- ren und Aufklärungselementen. Ständige Überwachungsaufgaben in nationalen und dischen Ozean. Bereitschaft der Waffenplattformen, wie internationalen Gewässern durchführen, Indien möchte eingedenk der Entwick- auch ihre Präsenz im Indischen Ozean und die zu den Low-end-Einsätzen zählen. Die- lungen im Südchinesischen Meer und dem zunehmend im westlichen Pazifik, sind aus se werden in einem eigenständigen Kapitel Bau künstlicher Inseln, die heute auch mili- indischer Sicht glaubwürdige Elemente ei- unter der Überschrift „Strategy for Shaping tärisch genutzt werden, eine vergleichbare ner konventionellen Abschreckung. Aller- a Favourable and Positve Maritime Envi- Entwicklung im Indischen Ozean verhin- dings fehlt jeglicher Hinweis auf mögliche ronment“ sehr ausführlich beschrieben. dern. Es hat daher in den USA Seefernauf- Gegner einer maritimen Auseinanderset- Die Zusammenarbeit von Politik, Diplo- klärer und U-Jagdflugzeuge vom Typ P-8I zung. matie, Polizei, Wirtschaft und Militär soll Neptune erworben, die auf den Andama- Die in einem weiteren Kapitel erläuter- die Vorrausetzung für eine friedvolle Nut- nen und Nikobaren stationiert werden, um te Strategie für einen Konflikt umfasst zung des Indischen Ozeans und angrenzen- die Straße von Malakka gezielt aufklären alle bekannten Seekriegsoperationen im der Meere schaffen. Eine ständige Präsenz zu können. Kontext von Sea Control und Sea Denial. von See- und Seeluftstreitkräften mit der Möglichkeit des schnellen Eingreifens, aber Grafik: Shutterstock auch Hafenbesuche, Übungen mit ausländi- schen Marinen, Unterstützungsleistungen wie auch der Gedankenaustausch durch Stabsgespräche mit befreundeten Natio- nen bilden den Rahmen. Die Beteiligung indischer Marinestreit- kräfte an Übungen findet auf bilateraler Basis mit den USA, Oman, Singapur, Frank- reich, Russland, Großbritannien, Sri Lanka, Brasilien, Japan, Australien und Indonesi- en statt. Weitere Entwicklung der See- streitkräfte und ihrer Fähigkeiten Der Indische Ozean ist die prioritäre Interessenssphäre für Indien In diesem Kapitel werden die notwendigen Schritte zur konzeptionellen, operativen Als nächster Schritt soll die Koopera- Die geplanten Operationen geraten aller- und technologischen Weiterentwicklung tion der Marinen Indiens und Japans im dings aufgrund der wachsenden Präsenz der indischen Seestreitkräfte sowie zum Er- Indischen Ozean gestärkt werden. Dies der PLAN im Indischen Ozean zunehmend halt und der Fortentwicklung ihrer Fähigkei- dient auch dem Ziel Indiens, die Zusam- unter politischen wie militärischen Druck. ten zur vierdimensionalen Seekriegführung menarbeit eher mit Mittelmächten als mit Die geplanten Waffenkäufe stellen eine beschrieben. Hauptbetonung ist dabei das Großmächten zu suchen. Indonesien und erste Antwort dar. Angesichts der rapiden Ziel, möglichst viele Plattformen und not- Vietnam sind dabei ebenso Kandidaten wie Zunahme moderner chinesischer Kriegs- wendige Technologien im eigenen Land zu Australien. schiffe kann aber die indische Marine nur entwickeln und zu bauen. Dazu zählen be- mit Partnern versuchen, dieser – in der reits heute Abschreckung und mögliche Strategie nicht ausgesprochenen – Be- X der eigenständige Bau eines Flugzeug- Konflikte drohung gerecht zu werden. Kommende trägers, der mit amerikanischer Unter- Übungen dürften zeigen, ob diese Bemü- stützung elektromagnetisch betriebene Indien hat es von Beginn seiner nuklearen hungen Früchte tragen. Katapulte erhalten soll, damit kann so- Forschung an abgelehnt, dem nuklearen Im Bereich neuer Technologien (Informa- wohl das Startgewicht der Flugzeuge als Nichtverbreitungsvertrag (NVV) beizutre- tionstechnologie, Künstliche Intelligenz) auch deren Sortie-Rate erhöht werden, ten. Es betonte stets seine strategische hat Indien inzwischen einen qualitativ ho- X der eigenständige Bau neuer Zerstö- Unabhängigkeit. Heute vertritt es eine Po- hen Standard erreicht. Allerdings hinkt der rer (Projekt 15A) und Fregatten (Projekt sition der minimalen nuklearen Abschre- militärische Entwicklungsbereich dem zi- 15B), ckung ausschließlich gegen Kernwaffen- vilen deutlich hinterher. Paralleler Kauf X der eigenständige Bau von U-Jagd Kor- staaten. Zu Steigerung der Glaubwürdigkeit von russischer, amerikanischer und fran- vetten (Projekt 28), und Stärkung der Überlebensfähigkeit hat zösischer Technologie auf den jeweiligen X der Bau von U-Booten der französischen Indien begonnen, seine nukleare Kompo- Plattformen macht die geplante Zusam- SCORPENE-Klasse auf indischen Werf- nente primär auf See mittels strategischer menführung aller Informationen zu einem ten, MarineForum 9-2018 9
X der Bau von Offshore Patrol Vessels seiner Marine hinterlassen haben. Handels- tere Operationen nur eingeschränkt zur (OPV), Katamaranen zur Überwachung und Infrastrukturpolitik der chinesischen Verfügung stehen. X sowie auch der Bau von leichten Kampf- maritimen Seidenstraße verschaffen Chi- Die erkennbaren Grenzen der indischen flugzeugen. na neue Partner und seinem Militär neue Marine bei der Umsetzung der nationalen Im technologischen Bereich möchte man in Abstützungsmöglichkeiten. Dem schnel- maritimen Strategie wie auch die unge- Form eines „Leap frogging“ Entwicklungen len Auf- und Ausbau der PLAN kann Indi- bremste Zunahme der strategischen Prä- anderer Marinen überspringen, um mög- en nichts Vergleichbares entgegensetzen. senz Chinas und der PLAN im Indischen lichst schnell Plattformen mit neuester Die 2018 noch bestehende Überlegenheit Ozean und seiner angrenzenden Gewässer Technologie herstellen zu können. Stich- Indiens bei Trägerkampfgruppen dürfte be- werfen verstärkt die Frage nach dem künf- worte sind hier Satelliten zur Seeraumüber- reits bis 2025 durch die PLAN ausgeglichen tigen sicherheitspolitischen Umgang Indi- wachung und Kommunikation, zielgenaue werden. Die Ausdehnung der Einsätze chi- ens und der Anrainer des Indischen Oze- Präzisionswaffen, elektromagnetische und nesischer nuklear wie konventionell ange- ans mit China auf. Kann China kooperativ Laser-Technologien, neue Antriebssysteme, triebener U-Boote in den Indischen Oze- eingebunden werden, und wenn ja, wie? unbemannte Marinesysteme, Computersi- an stellt für die indische Marine eine neue cherheits- und Automatisierungstechnolo- Qualität der Gefährdung eigener Einhei- Sicherheitspolitische und gien, Cybersicherheitstechnologien und die ten dar. Der geplante Kauf amerikanischer geostrategische Heraus- Nutzung von Nano-Technologien. MPA vom Typ P-8I Neptune kann die U-Jagd forderungen Foto: US Navy Indiens Regierung unter Ministerpräsident Modi bemüht sich seit Jahren, die Anrai- ner des Indischen Ozeans in eine gemein- same Sicherheitsarchitektur einzubinden, die von Freiheit, Offenheit und Rechtsstaat- lichkeit geprägt sein soll. Modi begrüßte daher in seiner Rede Anfang Juni in Singa- pur vor den versammelten sicherheitspoli- tischen Teilnehmern des Shangri-La-Dialogs die Erweiterung des westpazifischen Rau- mes um den Indischen Ozean zu einem ge- meinsamen indopazifischen Raum, dessen freie Nutzung der Hohen See gegen Einwir- kung von außen geschützt werden müsse. Er machte dabei deutlich, dass Chinas Be- strebungen eingedämmt werden müssen. Indien könne einen wichtigen Stützpfeiler dieser Architektur bilden. Warum diese bewusste Konfrontation INS „Rana“, ein Zerstörer der RAJPUT-Klasse in einem Dialogforum? Indiens Bevölke- rung wächst und wird China in ein paar Angesichts der Fortschritte in den USA, Fähigkeiten der indischen Marine stärken, Jahren überholen. Seine Wirtschaft steht China und Russland scheinen Zweifel an- setzt aber den Umgang mit neuen Techno- vor einem Aufbruch und benötigt sichere gebracht, wie schnell und in welchem Um- logien und deren Einbindung in ein gemein- Seeverbindungen, um seinen Handel und fang Indien an diesen Technologiefronten sames Führungs- und Lagebild voraus. Bei Warenaustausch weltweit ausweiten zu den heute feststellbaren Rückstand aufho- der Größe des abzudeckenden Seegebietes können. Des Weiteren ist Indien auf Öl- len kann. Indien hat zwar sein eigenes Sili- taucht allerdings auch die Frage auf, warum und Erdgaslieferungen angewiesen, um con Valley geschaffen; die dort arbeitenden die indische Marine nicht gleichzeitig die seinen wachsenden Energiehunger auch Wissenschaftler und Ingenieure arbeiten zur P-8 gehörige Seeraumüberwachungs- künftig befriedigen zu können. Gleichzeitig jedoch bevorzugt für zivile Unternehmen drohne Triton beschafft. Die Kombination muss Indien feststellen, dass China auf Sri und sind nur schwer für Rüstungsbetriebe Flugzeug und UAV erlaubt eine schnellere Lanka einen (un-)wirtschaftlichen Hafen in zu begeistern. und großräumigere Überwachung von ge- Hambantota gebaut und wegen Rückzah- fährdeten Seeräumen. So kann die Droh- lungsschwierigkeiten der Kredite durch Sri Erste Erfahrungen bei der ne bis zu 48 Stunden Seeräume überwa- Lanka nunmehr ein auf 99 Jahre angeleg- Implementierung der indischen chen während das Flugzeug nur etwa acht tes Nutzungsrecht hat. Ähnliches ist für maritimen Strategie Stunden im Einsatzgebiet verweilen kann. die Hafenstadt Mombasa in Kenia nicht Die australische Marine hat soeben einen auszuschließen, wenn das Land die Kredi- Auch wenn die maritime Strategie den Indi- Vertrag mit den USA über die Beschaffung te für eine Eisenbahnlinie quer durch Ke- schen Ozean als prioritäre Interessensphäre der Triton beschlossen, denkt somit weiter nia nicht fristgerecht zurückzahlen kann. und den westpazifischen Raum als Region in die Zukunft. Mit den Nutzungsrechten in Djibouti und zweiter Ordnung betrachtet, bleibt festzu- Der Nachbau der französischen konven- Gwadar (Pakistan) könnte die PLAN künftig stellen, dass der vor Jahren begonnene Rüs- tionellen U-Boote der SCORPENE-Klasse Abstützungspunkte für ständige Operati- tungswettlauf zwischen den asiatischen wird zwar die Unterwasserkriegführung onen im Indischen Ozean erhalten. Diese Staaten und die Auswirkungen chinesi- der indischen Marine stärken, es bleibt je- dienen dann nicht nur dem bisher erklärten scher Politik (Südchinesisches Meer, ma- doch abzuwarten, inwieweit diese Boote Schutz der international genutzten See- ritime Seidenstraße) sichtbare Spuren im auch zum Schutz der Trägerverbände ein- verbindungswege über das Kap der Guten sicherheitspolitischen Denken Indiens und gesetzt werden sollen und dann für wei- Hoffnung, das Rote Meer, den Persischen 10 MarineForum 9-2018
Foto: Indische Marine Golf und die Arabische See über die Nadel- öhre Straße von Malakka, Sunda und die Lombok-Straße in das Südchinesische Meer und weiter ostwärts. Indien hat inzwischen einschlägige Erfahrungen mit dem langfris- tigen strategischen Denken Chinas, seiner Wirtschaft und seiner militärischen Kräfte sammeln müssen. Über die „One Belt – One Road Initiative“ (OBOR) wie über die maritime Seidenstraße gelingt es China immer mehr, seinen wirt- schaftlichen und politischen Einfluss auf die Küstenstaaten Afrikas, aber auch die Länder Europas auszudehnen. Und – von vielen bisher kaum bemerkt – veröffent- licht China neuerdings Karten, die keine Ländergrenzen mehr aufzeigen, sondern „nur“ Wirtschaftskorridore, die von China über Zentralasien nach Europa, Afrika und Indien hat sich für neue U-Boote der französischen SCORPENE-Klasse entschieden schließlich auch Südamerika führen. Da die Foto: US Navy derzeitige chinesische Gesamtstrategie bis 2049 gehen soll, kann man bis jetzt nur die planmäßige Erfüllung der Zwischenziele at- testieren. Die wirtschaftliche Überholung der USA bis Mitte der 2020er-Jahre und die Erlangung eines Supermachtstatus 2049 – entweder in Konkurrenz zu den USA oder als allein verbleibende Macht – gehören zu den weiteren Zielen. Indiens Sicherheitspolitik möchte der bi- lateralen chinesischen Übervorteilung ein eigenes Konzept für den indopazifischen Raum entgegensetzen, das davon ausgeht, dass die Hohe See ein gemeinsames Gut der Menschheit ist und von allen gleich- berechtigt genutzt werden sollte. Freiheit, Offenheit und Rechtsstaatlichkeit sollen das Fundament einer zwischen den Anrai- nern zu schaffenden Sicherheitsarchitek- tur bilden. Dies klingt gerade für europäi- Auf ihren Flugzeugträgern setzte die indische Marine bis 2016 Sea Harrier ein sche Ohren gut, die über KSZE und OSZE, über Wiener Dokument und KSE-Vertrag sinnter, der offen für weitere Interessierte Allianz von Mittelmächten im maritimen über Dekaden eine leidlich funktionieren- bleibt. Dies bedingt wirtschaftliche, aber Bereich. Da diese Länder, bis auf Indone- de regionale Sicherheitsarchitektur auf- auch militärische Zusammenarbeit. Mili- sien und Vietnam, bereits eine enge Zu- bauen konnten. Aufgrund der aktuellen tärisch muss Indien in neue Systeme vor sammenarbeit mit der US Navy pflegen, Verwerfungen, Vertragsbrüche und der allem im maritimen Bereich investieren. könnten mittelbar auch US-Interessen zum Überbetonung des Nationalen im OSZE- Die ungebremste und hohe Neubaurate Tragen kommen, ohne nach außen sichtbar Raum finden wir allerdings kaum über- der PLAN verstärkt die Herausforderung. zu werden. Die US Navy mit ihrem neuen zeugende Gründe, Indien in seinen Be- Die oben skizzierten Neubauten können indopazifischen Kommandobereich möch- strebungen zur Allianzbildung zu helfen. daher nur der Anfang einer Entwicklung te jedenfalls die im Kontext des Südchi- So erlebt Indien derzeit amerikanische Er- sein. Allein deren Realisierung erfordert nesischen Meeres gemachten Fehler nach pressungsversuche zur Beendigung von den schnellen Abbau bürokratischer Hür- Möglichkeit vermeiden und Chinas weitere Öl- und Gaseinfuhren aus dem Iran zum den im indischen Beschaffungssystem, ei- Ausdehnung nach Westen in Zusammenar- November dieses Jahres. Auch die guten ne Stärkung der Effizienz und eine Verän- beit mit anderen Nationen verhindern. Das Beziehungen zu Russland soll Indien zu- derung des bisherigen politischen Denkens. von chinesischen wie westlichen Exper- gunsten der wachsenden Beziehungen zu Für ein zukünftig eher maritimes Denken ten immer häufiger beschriebene mögli- den USA stoppen. Es ist jedoch anzuzwei- und Handeln auf strategischer Ebene exis- che Szenario eines neuen „Great Game“ im feln, ob Indien sich politisch in die von den tiert heute in den gesellschaftlichen und maritimen Bereich dürfte sich erst in einem USA gewünschte Richtung bewegt, zumal politischen Gremien noch keine Mehrheit. Anfangsstadium befinden. Die Einbindung Äußerungen des US-Präsidenten vor dem Allein Präsident Modi scheint willens zu chinesischer Interessen in einem koopera- NATO-Gipfel im Juli 2018 eher abschre- sein, diese Änderungen herbeizuführen. tiven und nicht konfrontativen Ansatz ist ckend wirken. Eine von Indien angestrebte Zusammen- somit noch möglich. Viel dürfte hierbei al- Wahrscheinlicher erscheint eine Stär- arbeit mit Australien und Indonesien, aber lerdings auch vom Ausgang eines gerade kung bilateraler wie multilateraler Bezie- auch Vietnam, Singapur, Japan, Großbritan- beginnenden Wirtschaftskrieges der USA hungen in einem kleinen Kreis Gleichge- nien und Frankreich, zielt in Richtung der mit China abhängen. L MarineForum 9-2018 11
Sie können auch lesen