Individuelle Förderung in der Realschule - Kultusministerium

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Individuelle Förderung in der Realschule - Kultusministerium
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Individuelle Förderung
   in der Realschule

               MINISTERIUM FÜR KULTUS, JUGEND UND SPORT

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Individuelle Förderung in der Realschule - Kultusministerium
AB O N N IE RE N S IE D IE INF OD IE N STE
                                           A bonnie
                                DE S K ULT US MINISTrEeRIUM
                                                        n SieS !d ie i nfod ienS te d eS K ultuS m iniS ter ium S !

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                           > Zielgruppe eltern     Veranstaltungen, Fortbildun-                 > Zielgruppe                  Veranstaltungen, Fortbildun-
                                                   gen und Wettbewerbe mit                      erzieherinnen                 gen und Wettbewerbe mit
                                                   den Newslettern des Kultus-                  und erzieher                  den Newslettern des Kultus-
                                                   ministeriums.                                                              ministeriums.
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                                                   www.km-bw.de/
                                                   www.km-bw.de/                                                              www.km-bw.de/
                                                   Infodienst+Eltern
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                           > Zielgruppe            Veranstaltungen, Fortbildun-                  mit dem    LSBR               Veranstaltungen, Aktionen
                                                                                               I MP R E S S U M
                           lehrkräfte              gen und Wettbewerbe mit                                                     und Wettbewerbe sowie
                                                                                                 > Zielgruppe
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                                                   den Newslettern des Kultus-                                                 Neues aus dem Landes-
                                                                                                 Schülerinnen
                                                                                               Ministerium   für Kultus, Jugendschülerbeirat
                                                                                                                                und Sport (LSBR).
                                                   ministeriums.
                                                                                                und Schüler
                                                   Nähere Infos unter                          Baden-Württemberg              Nähere Infos unter
                                                   www.km-bw.de/
                                                   www.km-bw.de/                               Postfach 10 34 42, 70029 Stuttgart
                                                                                                                              www.km-bw.de/
                                                   Infodienst+Schule
                                                   infodienst+Schule                           Fax 0711 279 2550              Schulnews+online
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                                                                                               Redaktion:
                                                                                               Petra Conrad, Yvonne Lenz, Nadine Emmerling

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Themen,                    K i n der gA rt e n     bildungspolitische Themen,                  Realschule Am Salinensee Bad Dürrheim
ortbildun-   Infodienste-KuMi-1/2-A4.indd 1
                                > Zielgruppe       Veranstaltungen, Fortbildun-                Carl-Netter-Realschule Bühl                                24.0
erbe mit                   erzieherinnen           gen und Wettbewerbe mit
                                                                                               Realschule Ehingen
es Kultus-                 und erzieher            den Newslettern des Kultus-
                                                   ministeriums.                               Markgrafen-Grund- und Realschule Emmendingen
                                                                                               Realschule Erolzheim
                                                   Nähere Infos unter
                                                   www.km-bw.de/
                                                   www.km-bw.de/                               Anne-Frank-Realschule Ettlingen
                                                   Infodienst+Kindergarten
                                                   infodienst+Kindergarten                     Gustav-Mesmer-Realschule Münsingen
                                                                                               Matern-Feuerbacher-Realschule Großbottwar
                                                                                               Mörike-Realschule Heilbronn
                                                                                               Realschule Rottweil
                                                                                               Schloss-Realschule Stuttgart
 ein über                  SchulnewS online        Aktuell informiert sein über                Realschule Weingarten
Themen,                    in Zusammenarbeit       bildungspolitische Themen,                  Bertha-Benz-Realschule Wiesloch
ortbildun-                 mit dem LSBR            Veranstaltungen, Aktionen
erbe mit                                           und Wettbewerbe sowie                       Fotos: Robert Thiele
                           > Zielgruppe
es Kultus-                                         Neues aus dem Landes-
                           Schülerinnen                                                        Layout: Ilona Hirth Grafik Design GmbH
                                                   schülerbeirat (LSBR).
                           und Schüler
                                                   Nähere Infos unter                          Druck: Bechtel Druck GmbH & Co. KG,
                                                   www.km-bw.de/
                                                   www.km-bw.de/                               Ebersbach/Fils
                                                   SchulNews+Online
                                                   Schulnews+online
                                                                                               Auflage: 4500 Stück
                                                                                               Dezember 2018

                                                                              24.08.18 15:43

                                2
Individuelle Förderung in der Realschule - Kultusministerium
GRUSSWORT

Grußwort

Sehr geehrte Schulleitungen,
sehr geehrte Lehrerinnen und Lehrer an Realschulen,

es freut mich sehr, Ihnen mit der vorliegenden Handreichung zum The-
ma „Individuelle Förderung in der Realschule“ eine Orientierung ge-
ben zu können, wie gelingendes Lernen und Lehren in der Realschule
angelegt werden kann.
Das Konzept zur Stärkung der Realschule wird im Schuljahr 2018/2019 in den Klassenstufen 5, 6, 7 und 8
umgesetzt und wächst sukzessive nach oben. Es ermöglicht den Realschulen, flexibler auf eine zunehmend
heterogene Schülerschaft zu reagieren. Mit den zusätzlichen Poolstunden, die wir den Realschulen zur Ver-
fügung gestellt haben, wurden Konzepte zur individuellen Förderung aller Schülerinnen und Schüler erstellt,
die in den nächsten Jahren weiterentwickelt und optimiert werden sollen. Die Handreichung zeigt auf, wie
die Poolstunden eingesetzt werden können, um leistungsschwache wie auch leistungsstärkere Schülerinnen
und Schüler passgenau zu fördern.
Ab dem Schuljahr 2019/2020 wird es erstmalig an den Realschulen am Ende von Klassenstufe 9 möglich sein,
den Hauptschulabschluss abzulegen. Hierauf sollen die Schülerinnen und Schüler, die auf dem grundlegen-
den Niveau lernen, gezielt vorbereitet werden. Zudem soll das individuelle Lernen auf dem mittleren Niveau
intelligent angelegt und der Blick auf den Realschulabschluss am Ende von Klassenstufe 10 gerichtet werden.
Die Handreichung beschreibt kompakt die aktuellen fachdidaktischen und lerntheoretischen Erkenntnisse
der individuellen Förderung inklusive der Tiefenstrukturen des Unterrichts: Individuelle Förderung beinhal-
tet die kognitive Aktivierung durch eine entsprechende Aufgabenkultur, die systematische Konzeption des
Unterrichts, wertschätzende und individuelle Lernrückmeldung sowie die Struktur der Schule insgesamt.
Außerdem weist die Handreichung eine hohe Praxisorientierung auf, die mit wissenschaftlichen Erkenntnis-
sen verknüpft ist. Die Beispiele in der Handreichung stammen aus verschiedenen Realschulen in Baden-Würt-
temberg. Zusammen mit den theoretischen Grundlagen sollen sie Impulse setzen und Gespräche in den
Kollegien der Realschulen im Land Baden-Württemberg anregen, um schulische Qualitätsentwicklungs-
prozesse voranzutreiben.
Ich danke den Realschulen, die Einblicke in ihre Konzepte ermöglichen und so zur qualitätsvollen Umset-
zung des Realschulkonzepts beitragen.

Dr. Susanne Eisenmann
Ministerin für Kultus, Jugend und Sport
des Landes Baden-Württemberg

                                                                                                              3
Individuelle Förderung in der Realschule - Kultusministerium
I N H A LT S V E R Z E I C H N I S

    Inhalt

    1 VO RBEM ERKU N G  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .   5

    2 I N DI VI DU ELLE FÖ RDERU N G L E I ST U N G S S C H WÄC H E R E R U N D
        LEI STU N G SSTÄRKERER SC H Ü L E R I N N E N U N D S C H Ü L E R I N D E R R E A L S C H U L E  . . . . . . . . . . .                                        6

    3    I N DI VI DU ELLE FÖ RDERU N G – V I E R E B E N E N              . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7
      3.1     Schulstruktur und Unterrichtsorganisation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7
    		        3.1.1 Unterricht in der Orientierungsstufe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7
    		        3.1.2 Unterricht in den Klassenstufen 7 bis 9 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7
    		        3.1.3 Unterricht in den Abschlussklassen  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8
      3.2     Aufgaben: Funktionen und Möglichkeiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8
    		        3.2.1 Selbstdifferenzierende Aufgaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9
    		        3.2.2 Gestaffelte Hilfen – Scaffolding . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10
      3.3     Unterrichtsplanung und Unterrichtskonzepte  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10
    		        3.3.1 Kompetenzentwicklung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10
    		        3.3.2 Unterrichtskonzepte und individuelle Förderung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .  12
      3.4     Unterrichtsbegleitung und Leistungsbewertung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .  15
    		        3.4.1 Lern- und Leistungsrückmeldung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .  15
    		        3.4.2 Pädagogische Diagnostik und Leistungsbewertung  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15

    4 O RG AN I SATI O N SFO RM EN D E R I N D I V I D U E L L E N F Ö R D E R U N G  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .                              17
      4.1     Verschiedene Möglichkeiten – ein Überblick  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .                      17
      4.2     Organisationsformen in der Klassenstufe 9  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .                   18
      4.3     Praxisbeispiele verschiedener Realschulen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .                  19
    		        4.3.1 Carl-Netter-Realschule Bühl  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .           19
    		        4.3.2 Realschule Ehingen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .   22
    		        4.3.3 Realschule Erolzheim . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .     25
    		        4.3.4 Anne-Frank-Realschule Ettlingen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .              27
    		        4.3.5 Matern-Feuerbacher-Realschule Großbottwar . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .                        30
    		        4.3.6 Mörike-Realschule Heilbronn  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .           32
    		        4.3.7 Realschule Rottweil  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .   34
    		        4.3.8 Realschule Weingarten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .        35
    		        4.3.9 Bertha-Benz-Realschule Wiesloch  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .               38

    5 LI N K ZU W EI TERFÜ HREN DE N MAT E R I A L I E N  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .                      38

    6 LI TERATU RVERZEI CHN I S  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .         39

4
Individuelle Förderung in der Realschule - Kultusministerium
VO R B E M E R K U N G

1 Vorbemerkung

Eine grundlegend gute Qualität von Unterricht ist                geeigneten Methoden, Medien und Materialien, ein-
Voraussetzung für einen anspruchsvollen Umgang                   gebunden in ein lernförderliches Unterrichtsklima,
mit Heterogenität. Die Verringerung von Chancen-                 gehört seit jeher dazu, wenn Schülerinnen und
ungleichheiten, eine wertschätzende Lernatmosphä-                Schüler eigene Lernprozesse angehen und individu-
re und ein hoher individueller Lernzuwachs sind                  elle Lernwege beschreiten.1
Ziele, die sich aus einem Umgang mit Heterogenität               „Individuelle Förderung“ wird dem Begriff der „In-
ergeben.                                                         dividualisierung“ im Folgenden vorgezogen, da der
Die zentrale Frage ist, wie Unterricht gestaltet wer-            Fokus in der Realschule auf der Arbeit in Klassen
den muss, damit er besonders wirksam für das Ler-                bzw. Gruppen liegt. Individuelle Förderung soll
nen aller Schülerinnen und Schüler an der Real-                  nicht als methodisches Prinzip, bei dem immer je-
schule ist. John Hatties Synthese von über 800                   dem Kind ein passgenaues Angebot präsentiert
Meta-Analysen über Lernwirksamkeit zeigt auch,                   wird, verstanden werden, sondern als pädagogische
dass das Handeln der Lehrkraft und die Lehrkompe-                Sichtweise. Diese Sichtweise hat die lernenden
tenzen im Mittelpunkt der Betrachtung stehen. Ein-               Schülerinnen und Schüler in ihrer jeweils spezifi-
mal mehr kommt es darauf an, dass Lehrkräfte nicht               schen Situation und ihren Lernvoraussetzungen im
nur über ein tieferes Verständnis von Unterrichtsin-             Blick. Didaktisch betrachtet geht es nicht darum,
halten verfügen, sondern vor allem die Lernprozesse              dass jede Schülerin und jeder Schüler in jeder Schul-
der Schülerinnen und Schüler in den Blick nehmen                 stunde eigens vorbereitetes Material bekommt, son-
können. Die Fähigkeiten und Potenziale der Schüle-               dern um einen an den Schülerinnen und Schülern
rinnen und Schüler umfassend zu diagnostizieren                  orientierten Unterricht und eine zielgerichtete, fach-
und den Unterricht aus Sicht der Lernenden sehen                 bezogene Kommunikation über den Unterrichts-
zu können, bilden dabei unverzichtbare Vorausset-                gegenstand2 unter Einbezug der verschiedenen
zungen für ein erfolgreiches und nachhaltiges Ler-               Niveaustufen.
nen. Ein breitgefächertes Unterrichtsangebot mit

1 Vgl. Hattie, John (2017): Lernen sichtbar machen für Lehrpersonen. Überarbeitete deutschsprachige Ausgabe von „Visible
  Learning for Teachers“, Hohengehren/Baltmannsweiler: Schneider.

2 Vgl. Prediger, S./Schink, A.(2014): Verstehensgrundlagen aufarbeiten im Mathematikunterricht – fokussierte Förderung statt
  rein methodischer Individualisierung. In: PÄDAGOGIK. 66 Jg./Heft 5, S. 21–25.

                                                                                                                               5
Individuelle Förderung in der Realschule - Kultusministerium
INDIVIDUELLE FÖRDERUNG

                   2 Individuelle Förderung leistungsschwächerer
                     und leistungsstärkerer Schülerinnen und
                     Schüler in der Realschule
                   Das Konzept zur Stärkung der Realschule ermög-                   Um erfolgreiches Lernen zu initiieren und zu fördern,
                   licht den Realschulen flexibler als bisher, auf die              reicht es jedoch nicht allein, Unterrichtskonzeptio-
                   Herausforderungen der zunehmend heterogenen                      nen, die Organisation des Unterrichts und den Einsatz
                   Schülerschaft zu reagieren. Die den Realschulen zur              der Poolstunden im Blick zu haben (Oberflächen-
                   Verfügung gestellten Poolstunden eröffnen deutlich               struktur). Ein unterstützendes, schülerinnen- und
                   mehr Möglichkeiten, die Schülerinnen und Schüler                 schülerorientiertes, konstruktives Unterrichtsklima ist
                   leistungsdifferenziert zu fördern und erfolgreich zu             für die Überwindung von Lernschwierigkeiten not-
                   einem Schulabschluss zu führen. Zur Umsetzung                    wendig. Verschiedene Studien haben deutlich ge-
                   der Leistungsdifferenzierung soll die Zahl der Pool-             macht, dass Unterrichtsqualität maßgeblich durch die
                   stunden bis zum Schuljahr 2020/2021 auf 20 Stun-                 folgenden drei Tiefenstrukturen3 mitbestimmt wird:
                   den je Zug erhöht werden. Die zusätzlichen Pool-
                   stunden verhindern ein generelles Absenken des                   • Die kognitive Aktivierung der Schülerinnen und
                   Niveaus der Realschule durch das Anpassen des                      Schüler beeinflusst die Verarbeitungstiefe. Dies
                   Unterrichts an die leistungsschwächeren Schülerin-                 kann zum Beispiel durch problemorientierte und
                   nen und Schüler. Die Poolstunden ermöglichen aber                  passgenaue Aufgabenstellungen erreicht werden.
                   auch eine Förderung der leistungsstärkeren Schü-                 • Eine klar strukturierte und effektive Klassenfüh-
                   lerinnen und Schüler und tragen so insgesamt zur                   rung stärkt das selbstverantwortliche Lernen.
                   Unterrichtsqualität bei.                                           Dies schließt die Anordnung von verschiedenen
                                                                                      Aufgabenarten in unterschiedlichen Sozialfor-
                                                                                      men innerhalb des Lernprozesses ein, damit eine
                        U N TERRI CHTSQ UALI TÄT
                                                                                      hohe aktive Lernzeit und eine zielgerichtete
                                                                                      Nutzung des unterrichtlichen Angebots ermög-
                                                                                      licht werden.
                                                                                    • Ein unterstützendes, schülerinnen- und schüler-
                                 TI EFEN -                                            orientiertes, konstruktives Unterrichtsklima
                                STRU KTU R                                            rückt eine wertschätzende Haltung in den
Organisation                 kognitive                      Wissen                    Mittelpunkt. Mit Fehlern wird konstruktiv
                             Aktivierung                                              umgegangen und eine Stärkenorientierung steht
Konzeption und                                              Kompetenzen
Inszenierung des             effektive                                                im Fokus. Passende Hilfen und klare Rückmel-
                                                            Bildung
Unterrichts                  Klassenführung
                                                                                      dungen spielen ebenso eine wesentliche Rolle.
Einsatz der                  konstruktive
Poolstunden                  Unterstützung
                                                                                    Diese drei Tiefenstrukturen sind nicht getrennt
                                                                                    voneinander zu betrachten. Alle drei müssen glei-
OBERFL ÄCHEN-
  STRUKTUR                                                          LERNEN          chermaßen berücksichtigt werden, um eine hohe
                                                                                    Unterrichtsqualität zu erreichen. Entscheidend ist,
                                                                                    wie Lernen angelegt ist und welche Qualität die In-
                                                                                    teraktion aller Beteiligten untereinander hat und
                   Abbildung 1: Unterrichtsqualität: Oberflächen-                   wie die Interaktion zwischen den Lernenden und
                   struktur und Tiefenstruktur
                                                                                    dem Lerninhalt gelingt.

                   3 Vgl. Kunter, M./ Trautwein, U. (2013): Psychologie des Unterrichts. Paderborn: Schöningh.

               6
Individuelle Förderung in der Realschule - Kultusministerium
INDIVIDUELLE FÖRDERUNG – VIER EBENEN

3 Individuelle Förderung – vier Ebenen

Die drei Tiefenstrukturen von Unterricht können         fremdsprache und in den Naturwissenschaften –
auf verschiedenen Ebenen im System Schule wirk-         kann zur Stärkung der Basiskompetenzen beitragen.
sam werden: Schulstruktur und Unterrichtsorgani-        Weiterhin können die Poolstunden dazu genutzt
sation, Aufgaben und ihre Funktionen und Möglich-       werden, eine zusätzliche Lehrkraft in den oben ge-
keiten, Unterrichtsplanung und Unterrichtskonzepte      nannten Fächern einzusetzen. Team-Teaching oder
sowie Unterrichtsbegleitung und Leistungsbewer-         Tandemunterricht ermöglicht es, im binnendifferen-
tung. Wie die individuelle Förderung jeweils ange-      zierten Lernarrangement sowohl die schwächeren als
legt werden kann, wird im Folgenden dargestellt.        auch die stärkeren Schülerinnen und Schüler glei-
                                                        chermaßen zu fördern und zu fordern.

3.1 Schulstruktur und Unterrichts-                      3 . 1. 2 U N T E R R I C H T I N D E N K L AS S E N ST U F E N
organisation                                            7 BIS 9
                                                        Nach der Orientierungsstufe wird anhand der No-
3. 1.1 UNTERRICH T I N DER O RI EN TI ERU N G S-        ten entschieden, ob Schülerinnen und Schüler auf
ST UFE                                                  dem zum Realschulabschluss führenden oder dem
Die Leistungsbewertung orientiert sich ausschließ-      zum Hauptschulabschluss führenden Niveau weiter-
lich am mittleren Niveau. Die Poolstunden können        lernen. Am Ende der Klassenstufen 7 und 8 wird
hier zur äußeren Differenzierung, wie zum Beispiel      erneut aufgrund der Noten entschieden, auf wel-
zur Förderung leistungsschwächerer Schülerinnen         chem Niveau die Schülerin bzw. der Schüler weiter-
und Schüler bzw. besonders leistungsstarker Schü-       lernt. Ein Wechsel der Niveaustufe ist auch zum
lerinnen und Schüler („Deutsch Basis“; „Deutsch für     Halbjahr möglich.
leistungsstarke Schülerinnen und Schüler“ etc.), ein-
gesetzt werden. Zusatzunterricht in Form von För-       In den Klassenstufen 7 bis 9 können die Schülerin-
derstunden bzw. Stunden im Lernband – vorrangig         nen und Schüler binnendifferenziert in allen Fä-
in den Fächern Mathematik, Deutsch, in der Pflicht-     chern unterrichtet werden. Es ist ebenso denkbar,

                                            SCHUL-        UNTERRICHTS-
                                                                                        kognitive Aktivierung
                                          STRUKTUR /       PLANUNG /
                                         ORGANISATION      KONZEPTE

   effektive
   Klassenführung

                                         UNTERRICHTS-       AUFGABEN-
                                          BEGLEITUNG          EBENE
                                             UND                                        konstruktive
                                         -BEWERTUNG                                     Unterstützung

Abbildung 2: Vier Ebenen der individuellen Förderung

                                                                                                                         7
Individuelle Förderung in der Realschule - Kultusministerium
INDIVIDUELLE FÖRDERUNG – VIER EBENEN

                                                         KOMMUNIKATION

                   AUFGABENSTELLER/IN                       AUFGABE            AUFGABENLÖSER/IN

                  ERWARTUNGEN                    RÜCKMELDUNG               SELBSTEINSCHÄTZUNG

    Abbildung 3: Aufgaben als Kommunikationsinstrument

    die Poolstunden zur äußeren Differenzierung einzu-          rufliches Gymnasium oder allgemein bildendes
    setzen. Dies ist in Gruppen innerhalb der Klassen           Gymnasium erleichtert werden, indem besonders in
    oder in getrennten Klassen möglich.                         der Klassenstufe 10 ein adäquates Vertiefungsange-
                                                                bot gemacht wird (z. B. „Mathematik intensiv“).
    Entscheidend ist, dass die Poolstunden ausschließ-
    lich für entsprechende Maßnahmen zur Differenzie-
    rung und Förderung eingesetzt werden können, die            3.2 Aufgaben: Funktionen und Möglich-
    sich auf die Fächer der Stundentafel beziehen (ins-         keiten
    besondere für Deutsch, Mathematik, Pflichtfremd-
    sprache und die Naturwissenschaften).                       Aufgaben stellen eine Kommunikationsgrundlage
                                                                zwischen der Lehrkraft und den Lernenden dar.
    Um den Übergang der Schülerinnen und Schüler                Über Aufgaben werden die Erwartungen an die
    auf die beruflichen Gymnasien zu erleichtern, sollen        Schülerinnen und Schüler formuliert und sie zeigen
    an den Realschulen ab Klassenstufe 8 auch Unter-            an, welche Fähigkeiten entwickelt werden sollen
    richtsangebote für leistungsstärkere Schülerinnen           und welches Niveau erwartet wird. Sie ermöglichen
    und Schüler auf dem erweiterten Niveau geschaffen           Einblicke in Lernvoraussetzungen, den Lernstand,
    werden. Auch hierfür können die Poolstunden ver-            gewählte Lernwege sowie Lernschwierigkeiten. Der
    wendet werden.                                              Lehrkraft verhelfen sie zu einer Rückmeldung, in-
                                                                wieweit Bildungsinhalte gelernt und Kompetenzen
    3 . 1. 3 U N TERRI CHT I N DEN AB S C H L U S S-            entwickelt wurden. Im besten Falle gelangen die
    K LASSEN                                                    Schülerinnen und Schüler über den Prozess der Auf-
    In den Klassenstufen 9 bzw. 10 findet eine zielge-          gabenbearbeitung auch zu einer Selbsteinschätzung.
    richtete Vorbereitung auf die Hauptschulabschluss-
    prüfung bzw. die Realschulabschlussprüfung statt.           Aufgaben
    Die Poolstunden können in diesen Klassenstufen              • haben verschiedene Formen (z. B.: Zuordnungs-
    dafür eingesetzt werden, die Schülerinnen und                 aufgaben, Multiple-Choice-Aufgaben, Fragen,
    Schüler hinsichtlich des von ihnen anvisierten Ab-            Anweisungen, Lückentexte),
    schlusses zu fördern.                                       • können auf unterschiedliche Art und Weise
    Schülerinnen und Schülern mit einem erfolgreichen             angelegt sein (z. B.: offen, halboffen, geschlos-
    Realschulabschluss kann der Übergang auf ein be-              sen),

8
Individuelle Förderung in der Realschule - Kultusministerium
INDIVIDUELLE FÖRDERUNG – VIER EBENEN

• bieten abwechslungsreiche Zugänge                               chenden Niveaustufe, die den Schülerinnen und
  (z. B.: problemorientiert, vielfältige Lernwege,                Schülern zugeteilt werden) kann auch eine von
  gestufte Anforderung, strukturiert),                            Schülerinnen und Schülern gesteuerte Differenzie-
• haben unterschiedliche Funktionen                               rung im Lernraum ihren Platz finden. Solche selbst-
   (z. B.: Diagnoseaufgaben, Lernaufgaben, Übungs-                differenzierende Aufgaben bieten im Wesentlichen
  aufgaben, Anwendungsaufgaben, Leistungsauf-                     vier Zugänge4:
  gaben)
• und können vielfältige Hilfestellungen ermögli-                 •   Problemorientierte Aufgaben  stoßen eine Such-
  chen (z. B.: Hervorhebungen, Wortschatzvorga-                     bewegung an, indem sie beispielsweise in der
  ben, Instrumente der Selbstkontrolle, weiterfüh-                  Aufgabenstellung auf ein Problem hinweisen
  rende Informationen).                                             bzw. einen Konflikt aufzeigen.
                                                                  • Fächeraufgaben „fächern“ ausgehend von Kern-
All diese Elemente von Aufgaben können sowohl im                    aufgaben erweiterte Aufgaben mit unterschiedli-
Unterricht (Lernraum) als auch zur Erstellung von                   chen Lernzugängen zum gleichen Thema auf.
Klassenarbeiten oder schriftlichen Arbeiten (Leis-                • Pyramidenaufgaben bieten gestufte Anforderun-
tungsraum) eingesetzt werden. Im Lernraum wer-                      gen mit steigendem Niveau an.
den die Schülerinnen und Schüler passgenau geför-                 • Gerüstaufgaben geben eine sichere Anleitung
dert, im Leistungsraum findet die Leistungsbe-                      für das selbstständige Arbeiten an einer Aufgabe.
wertung ausschließlich auf dem zugewiesenen Ni-
veau statt.                                                       Selbstdifferenzierende Aufgabenformen berücksich-
                                                                  tigen auch die Grundstrukturen des Deep Lear-
3. 2.1 SELBSTDIFF EREN ZI EREN DE                                 ning5. Hier werden intellektuelle Fähigkeiten (Mas-
AUF GABEN                                                         tery) und deren kreative Anwendung (Creativity)
Im Unterschied zu einer von der Lehrkraft gesteuer-               ergänzt durch die individuellen Interessen (Identity)
ten Differenzierung (z. B. Anfertigung bzw. Bereit-               der Lernenden, so dass ein „Deep Learning“ ermög-
stellung verschiedener Materialien auf der entspre-               licht wird.

4 Vgl. von der Groeben A. /Kaiser, I. (20143): Werkstatt Individualisierung, Hamburg: Bergmann+Helbig, S. 39 ff.

5 Sliwka, A. (2018): Pädagogik der Jugendphase. Wie Jugendliche engagiert lernen. Weinheim/Basel: Beltz.

                                                                                                                          9
Individuelle Förderung in der Realschule - Kultusministerium
INDIVIDUELLE FÖRDERUNG – VIER EBENEN

     3 . 2. 2 G ESTAFFELTE HI LFEN – S C A F F O L D I N G           3.3 Unterrichtsplanung und Unterrichts-
     Scaffolding meint eine zeitlich begrenzte Unterstüt-            konzepte
     zung der Lernenden, damit diese sich Strukturen
     und Begriffe aneignen können. Lehrkräfte können                 3 . 3 . 1 KO MP E T E N Z E N TW I C K L U N G
     Schülerinnen und Schüler konstruktiv unterstützen,              Kompetenzentwicklung kann als ein Set von vielfäl-
     indem sie passende Hilfen zu den Aufgaben bereit-               tigen aufeinanderfolgenden Lern- und Leistungsauf-
     halten.                                                         gaben gesehen werden6 (vgl. Abb. 4). Ausgehend
                                                                     von einer zukünftig zu bewältigenden Aufgabensi-
     Art und Weise          Möglichkeiten
                                                                     tuation werden die Schülerinnen und Schüler suk-
     der Hilfe
                                                                     zessive an das Lernziel bzw. die sich anzueignende
     differenzierte
     Übungsaufgaben                                                  Kompetenz herangeführt.
                                                                     Eine Konfrontationsaufgabe soll Neugierde auslö-
     • Hilfe durch          Wortschatzvorgaben, Verb-
       Vorgaben             vorgaben, inhaltliche und                sen, integrativ, authentisch und implizit sein und
                            strukturelle Vorgaben                    steuernd auf den folgenden gesamten Lernprozess
                            (z. B. Teile einer Gleichung,
                            Satzanfänge)                             wirken. Erarbeitungsaufgaben regen den kognitiven
     • Hilfe durch          Grafik, Mindmap, Tabelle                 Wissenserwerb an, Vertiefungs- und Übungsaufga-
       sprachliche                                                   ben automatisieren diesen und Transferaufgaben
       Entlastung
                                                                     machen das Gelernte nutzbar. Weiter unterscheidet
     • Textgeleitete        Betonung durch Hervor-                   dieses Modell summative und formative Beurtei-
       Hilfen               hebung, vereinfachte Sätze,
                            Lückentexte                              lungsaufgaben. Formative Beurteilungsaufgaben er-
     • Hilfe durch          Verschiedene Lernwege
                                                                     öffnen mehrfach im Lernprozess die Möglichkeit der
       Wahlmöglich-         anbieten                                 Rückmeldung, während summative Beurteilungs-
       keiten
                                                                     aufgaben den Kompetenzerwerb abschließend be-
     • Hilfe durch    Info-Kästen am Rand,                           werten.
       weiterführende Mustertexte
       Informationen

     Bereitstellung         Nachschlagewerke, Hilfe-
                                                                     In seiner Studie „Visible Learning“ hat John Hattie
     von ergänzenden        kästen mit Tipps, PCs/Tablets            verschiedene Faktoren herausgefiltert, die einen
     Materialien            für Internetrecherche
                                                                     maßgeblichen Einfluss auf den Lernerfolg haben. In
     verschiedene           Einzelarbeit, Gruppenarbeit,             Bezug auf wirksames Lernen sind das vor allem In-
     Arbeitsformen          Hilfe durch Lehrkraft oder
                            Mitschülerinnen und Mit-                 halte, die motivierend, individuell herausfordernd,
                            schüler, kooperative Formen              passgenau und in einem angemessenen Setting auf-
     Instrumente der        Checklisten, Lösungshinweise             bereitet sind. Außerdem sollten den Schülerinnen
     Selbstkontrolle
                                                                     und Schülern die Lerntechniken, die sie anwenden,
     zeitliche              Wochenpläne, Grundauf-                   bewusst sein. Das Feedback, das sie von Lehrkräften
     Varianzen              gaben mit Möglichkeit der
                            längeren Bearbeitung,                    oder Mitschülerinnen und Mitschülern erhalten, ist
                            während zusätzlich Wahlauf-              am wirksamsten, wenn es sich konkret auf die zu
                            gaben zur Verfügung stehen
                                                                     bearbeitende Aufgabe bezieht.7

     6 Vgl. im Folgenden: Wespi, C./Luthiger, H./Wilhelm, M. (2015): Mit Aufgaben Kompetenzaufbau und Kompetenzentwicklung
       ermöglichen. In: Haushalt in Bildung & Forschung, 4(4), S.33.

     7 Vgl. Hattie, John (2013): Lernen sichtbar machen. Überarbeitete deutschsprachige Ausgabe von „Visible Learning“ besorgt
       von Wolfgang Beywl und Klaus Zierer. Hohengehren: Schneider, S. 24/S. 226.

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INDIVIDUELLE FÖRDERUNG – VIER EBENEN

                                                      LEBENSWELT
              Alltagskonzepte und -kompetenzen

                                                       UNTERRICHT
                       Problem/Phänomen

                        Kontakt herstellen                                            FORMATIVE
                                                                                                                                   FBa
                                                                                      BEURTEILUNGSAUFGABE(N)

                                                                                      Arbeit an (Prä-)Konzepten         explizit
          KONFRONTATIONSAUFGABE                         Ka                            Wissensart      Fertigkeiten, Konzepte
                                                                                      Lernunterstützung      rückmeldend
          Kompetenzabbild         integrativ
          Lebensnähe        authentisch
          Arbeit an (Prä-)Konzepten        implizit

                                                       vert
                                                             iefe
                             aufbauen                                 n/ü
                                                                                    ben

          ERARBEITUNGSAUFGABE(N)                                                    ÜBUNGS-/
                                                        Ea                                                                         Üa
                                                                vertiefen / üben

                                                                                    VERTIEFUNGSAUFGABE(N)

          Repräsentationsformen          singulär                                   Kompetenzabbild        singulär
          Lernunterstützung        rückmeldend                                      Offenheit der Aufgabe     erklärt - geschlossen
          Vielfalt    profilbildend                                                 Vielfalt     kompensierend

                                                      anw
                                                          end                                           anwenden
                                                               en

                                                                                    TRANSFER-/
                                                                                                                                   Ta
                                                                                    SYNTHESEAUFGABE(N)

                                                                                    Kompetenzabbild        integrativ
          SUMATIVE                                                                  Lebensnähe        authentisch
                                                       SBa
          BEURTEILUNGSAUFGABE(N)
                                                                                    Kognitiver Prozess      weiter Transfer
          Wissensart      Fertigkeiten, Konzepte
          Kognitiver Prozess       naher, weiter Transfer
                                                                                               (über-)fachliche Kompetenzen
          Strukturierung der Aufgabe        teilstrukturiert

                                                                                                     nutzbar machen

                                                                                                  Denken und Handeln

Abbildung 4 mit geändetem Layout: Wilhelm, M. /Luthinger, H./ Wespi, C. (2014): Prozessmodell zur Entwicklung von kompetenz-
orientierten Aufgabensets. Luzern: Entwicklungsschwerpunkt Kompetenzorientierter Unterricht, Pädagogische Hochschule Luzern.

Eine konsequente Orientierung der Aufgaben an                                      Ziel ist, darf er nicht nur additives Beiwerk einer
Kompetenzen beinhaltet, dass schon bei der Erstel-                                 Aufgabe sein. Josef Leisen8 formuliert es deutlich:
lung der Aufgaben inhaltliche und prozessbezoge-                                   „Die Kompetenzorientierung muss schon in der
ne Kompetenzen mitgedacht werden, z. B. als zu er-                                 Aufgabenstellung angelegt sein und darf nicht bloß
arbeitendes Produkt. Wenn Kompetenzerwerb das                                      billigend in Kauf genommen werden.“

8 Leisen, Josef (2011): Aufgabenstellungen und Lernmaterialien machen’s. Unterschiede zwischen kompetenzorientiertem und
  traditionellem Unterricht. Kompetenzorientiert unterrichten. Unterricht Physik Nr. 123/124, Friedrich Verlag, S. 11.

                                                                                                                                         11
INDIVIDUELLE FÖRDERUNG – VIER EBENEN

     3 . 3. 2 U N TERRI CHTSKO N ZEPT E U N D                            adaptiven Unterrichts 11. Weiter berücksichtigt adap-
     INDI VI DU ELLE FÖ RDERU N G                                        tiver Unterricht:
     Individuelle Förderung ist in unterschiedlichen Set-                • Ergebnisse pädagogischer Diagnostik,
     tings mit unterschiedlichen Graden der Öffnung                      • Lerntempi der Schülerinnen und Schüler,
     möglich. Dabei kann sich die Differenzierung auf                    • regelmäßige Lernrückmeldung,
     die Lerninhalte, die Qualität und Quantität der Auf-                • Selbsteinschätzung der Lernenden,
     gaben, auf die eingesetzten Materialien und Medien,                 • alternative Materialien und Angebote,
     die Sozialform, die Hilfsangebote, den Grad der                     • dass Schülerinnen und Schüler über gewisse
     Selbstverantwortung, den Anteil der Reflexion bzw.                     Wahlmöglichkeiten verfügen
     der Lernrückmeldung und die Leistungsbewertung                      • und dass sich Lernende gegenseitig unterstützen.
     beziehen.
                                                                         B) Kooperativer Unterricht
     Im Unterricht kann die individuelle Förderung ver-                  Die Erkenntnisse der Gehirnforschung und der pä-
     schieden angelegt werden. Denkbare Formen sind:                     dagogischen Psychologie machen deutlich, dass Ler-
     adaptiver, kooperativer und selbstorganisierter Un-                 nen eine individuelle Konstruktionsleistung ist 12.
     terricht, Zwei-Phasen-Unterricht, offener Unterricht                Um Informationen aktiv in die kognitiven Struktu-
     sowie Flipped Classroom.                                            ren aufzunehmen, werden im kooperativen Ansatz
                                                                         drei Grundprinzipien berücksichtigt:
     A) Adaptiver Unterricht                                             1. Denken/Think (Konstruktion): Jede und jeder
     Im adaptiven Unterricht (oder auch adaptive tea-                       denkt alleine nach und versucht zunächst selbst
     ching) wird eine Passung zwischen Bildungsangebot                      Lösungswege zu entwickeln.
     und Nutzungsmöglichkeiten der Lernenden ange-                       2. Austauschen/Pair (Ko-Konstruktion): Bevor die
     strebt9 , indem das unterrichtliche Vorgehen flexibel                  Klasse bzw. die Großgruppe ein Ergebnis
     an die Lernvoraussetzungen der Schülerinnen und                        vorgestellt bekommt, erhalten die Lernenden die
     Schüler angepasst wird.10                                              Möglichkeit, sich untereinander auszutauschen.
     Adaptiver Unterricht ist ein deutlich von der Lehr-                 3. Teilen/Share (erneute Ko-Konstruktion): Die
     kraft strukturierter sowie mit didaktisch und diag-                    Schülerinnen und Schüler präsentieren allen
     nostisch begründeten Differenzierungsstrukturen                        anderen ihre Ergebnisse.
     variierter Unterricht. Die gelungene Kombination                    Untersuchungen13 zeigen, dass bei diesem Vorgehen
     aus Scaffolding (angemessene didaktische Unterstüt-                 fachliches und soziales Lernen gefördert und zu po-
     zung, um den Anforderungen gewachsen zu sein)                       sitiven Beziehungen und einem guten Lernklima
     und Fading (angepasstes sukzessives Zurückfahren                    beigetragen wird.
     der Unterstützung) ist ein Merkmal eines gelungen

     9   Vgl. Helmke, A.(20124): Unterrichtsqualität und Lehrerprofessionalität. Diagnose, Evaluation und Verbesserung des
         Unterrichts. Seelze: Kallmeyer.

     10 Vgl. Corno, L./Snow. R. E. (1986): Adapting teaching to individual differences among learners. In: M.C. Wittrock (Ed.):
        Handbook of research on teaching (3rd ed.). New York: Macmillan.

     11 Vgl. Lipowsky, F. (2009): Unterricht. In: Wild, E./Möller, J. (Hrsg.): Pädagogische Psychologie. Berlin: Springer, S. 73–102.

     12 Vgl. Brüning, L./Saum, T. (2009): Erfolgreich unterrichten durch Kooperatives Lernen. Strategien zur Schüleraktivierung.
        NDS-Verlag, S. 11 ff.

     13		Vgl. Beilharz, Christina (2013): Bausteinheft: Individualisierung. Offenburg: Staatliches Schulamt Offenburg.

12
INDIVIDUELLE FÖRDERUNG – VIER EBENEN

Legende: L=Lehrkraft, A=Aufgabe, S=Schülerin/Schüler

                                          A                                            A                       von Lehrkraft strukturierte,
                                                        Scaffolding                                            diagnostisch begründete
                                                                                                               Differenzierung
 ADAPTIVER
                            L             A                                            A               S       Ziel: ständige Anpassung
 UNTERRICHT
                                                                                                               an individuelle Lern-
                                                            Fading                                             voraussetzungen und
                                          A                                            A                       jeweilige Unterrichts-
                                                                                                               situation

                                      A       A     A            A       A                                 S   von Lehrkraft strukturiert
                                                                     A                                         und differenziert
 KOOPERATIVER                                                                  A       A
                            L         A       A     A                                                      S   Ziel: Lernen durch Drei-
 UNTERRICHT                                                                                                    schritt (denken, austau-
                                                                                   A
                                                                 A       A                                     schen, teilen) und Hilfe
                                      A       A     A                                                      S   anderer initiieren
                                                                     A

                                              Individuelles Lernen                                             zielorientiertes,
 SELBST-                                                                                                       methodisch vielfältiges
                                                                                                               Vorgehen der Lehrkraft
 ORGANISIERTER              L                 Kooperatives Lernen                                      S
 UNTERRICHT                                                                                                    Ziel: inhaltliche Klärung,
                                                                                                               schrittweise Erhöhung
                                                  Methodentraining                                             der Selbstorganisation
                                                                                   tauschen

                                                                                                               Lernende wählen Art der
                                                                                                               Aneignung
                                                  L/S                    L/S
                                                                                   aus-

                                   Ziele
 ZWEI-PHASEN-                                                                                      S   S       Ziel: bietet Wahlmöglich-
                            L                                                                                  keit, entweder eigenstän-
 UNTERRICHT                                                                                        L   S
                                   klären                                                                      dige Erarbeitung oder
                                                    A                    A
                                                                                                               lehrerzentrierte Vorgehens-
                                                                                                               weise

                                                                                                               Lernende wählen
                                                    A                                          S               individuelle Aufgaben
                                                            A                                          S
 OFFENER                                                                                                       (Materialsteuerung)
                            L                 A                                        S
                                                        A                                          S           Ziel: Förderung
 UNTERRICHT                                                  A                                         S
                                                A                                          S                   fachlicher/überfachlicher
                                                        A                                          S           Kompetenzen

                                zu Hause                                 im Unterricht
                                                                                                               Inputphase findet zu
                                                                                                               Hause, meist mittels
                                                                                   Diskussion
                                      S                              L                                         neuer Medien, statt
 FLIPPED                        S A                                                    Übung                   (Materialsteuerung)
                                                                         A
 CLASSROOM                                                                                                     Ziel: Lernende nehmen
                                       S                         S             Rückmeldung                     aktive Rolle ein, wählen
                                                                                                               Input-Zeitpunkt selbst

Abbildung 5: Verschiedene Unterrichtskonzepte

                                                                                                                                              13
INDIVIDUELLE FÖRDERUNG – VIER EBENEN

     Typische Methoden im kooperativen Unterricht            selbstständig erarbeiten oder ob sie einem Input der
     sind: Placemat, Gruppenpuzzle, Lerntempoduett,          Lehrperson folgen wollen. Üblicherweise umfasst
     Drei-Schritt-Interview, usw..                           ein Zwei-Phasen-Unterricht vier Schritte:
                                                             • In einem ersten Schritt macht die Lehrkraft die
     C) Selbstorganisierter Unterricht                         Lernziele allen transparent.
     Selbstorganisiertes Lernen besteht aus drei Säulen,     • Anschließend teilen sich die Schülerinnen und
     die didaktisch sinnvoll miteinander verknüpft wer-        Schüler eigenständig auf. Ein Teil folgt einem
     den müssen:                                               lehrerzentrierten Vortrag, der andere Teil
     1. individuelles Lernen,                                  erarbeitet sich das Thema mit Hilfe verschiede-
     2. kooperatives Lernen                                    ner Aufgaben und bereit gestellter Materialien
     3. und Methodentraining.                                  selbst.
     Für das zielorientierte Vorgehen beim selbstorgani-     • Danach wechselt die Lehrkraft die Gruppe. Die
     sierten Lernen ist die Voranstellung eines Advance        Gruppe, die dem Input gefolgt ist, vertieft das
     Organizers als vorbereitende Lernlandkarte und als        Gehörte selbstständig durch Übungs- und
     Lernwegeliste typisch. Ein Advance Organizer ist          Anwendungsaufgaben. Die andere Gruppe
     häufig Grundlage der systematischen Selbstreflexio-       diskutiert und analysiert die zuvor erarbeiteten
     nen der Lernenden.                                        Inhalte und Kompetenzen mit der Lehrperson.
                                                             • In einem letzten Schritt treffen sich alle im
     Die Schülerinnen und Schüler nähern sich beim             Plenum, um die Ergebnisse zu vergleichen oder
     selbstorganisierten Lernen in vielschichtiger Weise       das weitere Vorgehen zu besprechen.
     dem vorgegebenen Thema bzw. Problem, wobei sie
     inhaltliche Klärungsarbeit leisten und methodisch       E) Offener Unterricht: Am   ehesten lässt sich offener
     vielfältig vorgehen müssen. Im Unterricht kann dies     Unterricht damit beschreiben, dass er ein Sammel-
     beispielsweise so aussehen, dass die Schülerinnen       begriff für Unterrichtsformen ist, bei denen die fach-
     und Schüler zum gegebenen Inhalt in unterschiedli-      lichen und überfachlichen Lerninteressen der Schü-
     chen Sozialformen (Einzelarbeit, Partnerarbeit,         lerinnen und Schüler das Lerngeschehen beein-
     Gruppenarbeit) und Arbeitsschritten einen Vortrag       flussen. Die Qualität von offenem Unterricht ent-
     zu einem bestimmten Thema vorbereiten und hal-          scheidet sich hauptsächlich auf der didaktischen
     ten. Auch ein Vortrag der Lehrkraft kann Bestand-       Ebene und nicht im Ausmaß der Offenheit. Zur
     teil des selbstorganisierten Lernens sein. Allerdings   wirksamen Umsetzung offener Formen des Unter-
     sollten dann die Schülerinnen und Schüler die Mög-      richts muss eine Lehrkraft sich als Regisseur oder
     lichkeit bekommen, den Inhalt mehrstufig und me-        auch activator verstehen, die ihre Klasse und jede
     thodisch variantenreich zu verarbeiten (z. B.: Spick-   Einzelne und jeden Einzelnen im Blick hat. Insge-
     zettel entwickeln, strukturierte und kooperative        samt braucht es eine intelligent organisierte Unter-
     Klärungsrunden in Kleingruppen, Recherche in            richtsstruktur, in die Phasen des selbstorganisierten
     Fachbüchern, Erstellen einer Präsentation, Zusam-       Lernens (z. B. Wochenplanarbeit, Stationenarbeit,
     menfassen im Tandem, Ausarbeiten eines Quizes).         Projekte) durch Phasen der direkten Instruktion
                                                             lernwirksam ergänzt werden.
     D) Zwei-Phasen-Unterricht
     Ein Zwei-Phasen-Unterricht lässt den Lernenden die      Projektorientierter Unterricht bietet besonders gute
     Wahl, ob sie sich die Lerninhalte und Kompetenzen       Möglichkeiten, wissensbasierte Kompetenzen in

14
INDIVIDUELLE FÖRDERUNG – VIER EBENEN

einen kooperativen Prozess einzubringen. Schüle-                   tion des Gelernten findet anschließend im Unter-
rinnen und Schüler beschäftigen sich über längere                  richt statt.
Zeiträume mit einer problemorientierten Aufgaben-
stellung und lernen dabei Widerstände zu überwin-
den, eigene Lernprozesse zu planen, kooperativ zu                  3.4 Unterrichtsbegleitung und
arbeiten und selbst aktiv zu handeln14.                            Leistungsbewertung
Um projektorientierte Vorhaben zu dokumentieren
und die eigenen Fähigkeiten nachzuweisen, können                   3.4.1 LERN- UND LEISTUNGSRÜCKMELDUNG
Lernportfolios benutzt werden. Je nach Zielsetzung                 Lernrückmeldegespräche sind eine Form der Lern-
werden Lernergebnisse oder Lernprozesse in ihnen                   beratung. Sie eröffnen eine weitere Möglichkeit der
gesammelt, dargestellt, beschrieben und kommen-                    individuellen Förderung. Lernende sollen dazu befä-
tiert. Häufig werden Lernportfolios als alternative                higt werden, sich Wissen selbst anzueignen sowie
Methode der Bewertung eingesetzt. Die Schülerin-                   ihren Lernprozess selbstständig zu steuern und da-
nen und Schüler können auf diese Weise selbstwirk-                 mit zunehmend Verantwortung für den eigenen
sam Einfluss auf die Bewertung ihrer Kompetenzen                   Lernprozess zu übernehmen.16
nehmen. Ihr Wissen und Können zeigen sie anhand
ausgewählter Dokumente. In der Regel umfasst die                   Anlässe für stärkenorientierte Lernrückmelde-
Arbeit mit Lernportfolios drei Phasen: Sammeln,                    gespräche, mit Schülerinnen und Schülern alleine
Reflektieren und Auswerten.                                        oder gemeinsam mit den Erziehungsberechtigten,
                                                                   können u. a. Lernstand 5, Vera 8, die Kompetenz-
F) Flipped Classroom                                               A nalyse Profil AC, schriftliche Arbeiten, die gleich-
Schülerinnen und Schüler werden aktiv und über-                    wertige Feststellung von Schülerleistungen (GFS)
nehmen selbst Verantwortung für ihren Lernpro-                     sowie die Beratungsgespräche zu den Halbjahresin-
zess, indem der Unterricht „umgedreht“ (flipped oder               formationen oder den Zeugnissen sein.
inverted) wird15 . Das heißt, der Input erfolgt zu Hau-
se und die Übung und Reflektion in der Schule. Die                 3 . 4 . 2 PÄ DAG O G I S C H E D I AG N O ST I K U N D
Inputphasen werden meist mittels neuer Medien                      L E I ST U N G S B E W E RT U N G
(z. B. Lernvideos) und verschiedener Materialien                   Pädagogische Diagnostik meint die systematische
nach Hause verlagert. Ein qualitativ hochwertiger                  Sammlung und Dokumentation von Informationen
Vortrag einer Expertin oder eines Experten bzw. ein                zu Lernvoraussetzungen, Lernprozessen oder dem
guter Text wird den Lernenden dafür zur Verfügung                  Lernstand von Schülerinnen und Schülern mit dem
gestellt. Die Schülerinnen und Schüler eignen sich                 Ziel der individuellen Förderung. Der diagnosti-
dann die Inhalte im jeweils eigenen Tempo und                      schen Kompetenz wird ein förderdiagnostischer
zum selbst gewählten Zeitpunkt an. Die Verarbei-                   Schwerpunkt zugeschrieben, in dem Lernpotentiale
tung, Diskussion, Übung, Anwendung und Reflek-                     erkannt, ein Ausschöpfen der Möglichkeiten initi-

14 Vgl. Paradies, L./Werster, F./Greving, J. (20122): Individualisieren im Unterricht. Erfolgreich Kompetenzen vermitteln.
   Berlin: Cornelsen, S. 35 f.

15 Vgl. Fritz, A. (2014). Flipping the Classroom. Online-Unterricht zu Hause schafft Zeit für gemeinsames Lernen in der Klasse.
   In: news&science. Begabtenförderung und Begabungsforschung, Nr. 36/37, S. 78–80.

16 Vgl. Hardeland, Hanna (2015): Lerncoaching und Lernberatung. Lernende in ihrem Lernprozess wirksam begleiten und
   unterstützen. Hohengehren/Baltmannsweiler: Schneider, S. 21.

                                                                                                                                  15
INDIVIDUELLE FÖRDERUNG – VIER EBENEN

     iert und eine Evaluation inbegriffen ist, sodass das             Zu beachten ist, dass den Schülerinnen und Schü-
     didaktische Handeln der Lehrkraft auf diagnosti-                 lern transparent gemacht wird, was in einem vielfäl-
     schen Einsichten beruht 17.                                      tig gestalteten Unterricht von ihnen gefordert wird.
                                                                      Wünschenswert ist ein Mindestmaß an Beteiligung
     Diagnostische Einsichten können auch im Rahmen                   der Schülerinnen und Schüler am Bewertungspro-
     der Leistungsbewertung gewonnen werden. Im Sin-                  zess. Das heißt, mit ihnen werden zumindest die
     ne des erweiterten Lern- und Leistungsbegriffs kön-              Bewertungskriterien besprochen und diese sprach-
     nen in die Leistungsbewertung folgende Bereiche                  lich und inhaltlich vollständig verständlich gemacht.
     einfließen:
     • Prozessbewertung (z. B.: Gruppenprozesse,
       Überarbeitungsdokumentation)
     • Präsentationsbewertung (z. B.: Referate,
       Gruppenpräsentationen, Rollenspiel, szenische
       Interpretation, Tanzaufführung)
     • Produktbewertung (z. B.: schriftliche Über-
       prüfungen wie beispielsweise Klassenarbeiten,
       Lernplakate, Portfolios, Wandzeitungen, künst-
       lerisches Produkt, Hörspiel, Film)18

     17 Vgl. Jürgens, E./Lissmann, U. (2015): Pädagogische Diagnostik. Grundlagen und Methoden der Leistungsbeurteilung in der
        Schule. Weinheim/Basel: Beltz, S. 21.

     18 Bohl, Thorsten (2004): Prüfen und Bewerten im Offenen Unterricht, Weinheim/Basel: Beltz, S. 12.

16
O R G A N I S AT I O N S F O R M E N D E R I N D I V I D U E L L E N F Ö R D E R U N G

4 Organisationsformen der individuellen
Förderung

Wie kann individuelle Förderung an der Realschule                                4.1 Verschiedene Möglichkeiten –
nun konkret aussehen? Die Realschulen haben sich                                 ein Überblick
hier in unterschiedlicher Weise auf den Weg ge-
macht. Einige Beispiele davon werden nachfolgend                                 Der anschließende Überblick beruht darauf, dass
beschrieben. Betrachtet wird vor allem die individu-                             viele Organisationsformen Varianten folgender drei
elle Förderung auf der Schulebene und wie das                                    Komponenten sind: Zusatzsstunden in der Stunden-
Konzept zur Stärkung der Realschulen mit Hilfe der                               tafel, Unterricht in getrennten Klassen/Gruppen
Poolstunden umgesetzt wird. Ausgehend von der                                    und Team-Teaching.
Oberflächenstruktur soll auch die Tiefenstruktur                                 Die Zahlen unter den Varianten in Abbildung 6 ver-
(kognitive Aktivierung, effektive Klassenführung,                                weisen auf die Kapitel, unter denen die Praxismo-
konstruktive Unterstützung), um Lernen wirksam                                   delle der Realschulen zu diesen Punkten vorgestellt
werden zu lassen, mitbedacht werden.                                             werden.

    Nutzen verschiedener                     Inhaltlicher                Eine Stunde pro Woche, je
    Aufgabenformate                          Überblick                   Klassenstufe ein anderes
    (Wahlmöglichkeiten,                      mittels                     Fach (z.B. Klasse 5 Deutsch,
    verschiedene Niveau-                     „Advance                    Klasse 6 Englisch, usw.)
    stufen, SOL, selbst-                     Organizern“                 Bsp.: 4.3.1 / 4.3.7                 Themenspezifische
    differenzierende                         Bsp.: 4.3.1                                                     Zusatzstunde
    Aufgaben, usw.                                                                                           Bsp.: 4.3.2 / 4.3.7
    Bsp.: 4.3.1 / 4.3.2 / 4.3.4 / 4.3.8

                                                                                                             Eine Stunde in M, D, E/F
                                                                          ZUSATZ-                            pro Woche (insgesamt drei
                                                                                                             Zusatzstunden)
                                                                         STUNDE(N)
    Mehrere                                                                                                  Bsp.: 4.3.5 / 4.3.8
    Räumlichkeiten stehen                                                  IN DER
    zur Verfügung                                                        STUNDEN-                            Lernband
    Bsp.: 4.3.1 / 4.3.8                                                     TAFEL                            Bsp.: 4.3.3 / 4.3.4 / 4.3.5

                                                                                                                     Freie Wahl des
                                               KLASSEN-                                                              Vertiefungsfaches
    Teilung in M, D, E/F                                                                                             Bsp.: 4.3.5
    Bsp.: 4.3.2
                                                TEILUNG
                                                    –                                                                Eine oder mehrere
                                             UNTERRICHT IN                                                           Tandemstunden
                                              GETRENNTEN                                TEAM-                        pro Woche
    Teilung in M, D, E/F                       GRUPPEN                                TEACHING                       Bsp.: 4.3.1 / 4.3.5 /
    mit Kopplung von                                                                                                 4.3.6 / 4.3.8
    Parallelklasse(n)
    Bsp.: 4.3.4 / 4.3.6
                                                                                                                Führen von
                                                                                                                Lernrückmeldegesprächen
                                                                                                                Bsp.: 4.3.1 / 4.3.4 / 4.3.8

    Teilung in M, D,           Trennung für                Kopplung mit                        Differenzierungslehrkraft arbeitet
    E/F in zwei von            mehrere Stunden             anderen Klassenstufen               mit einer (Klein-)Gruppe
    vier Stunden o.ä.          (VKL-Gruppen)               Bsp.: 4.3.1 / 4.3.3                 Bsp.: 4.3.5 / 4.3.7
    Bsp.: 4.3.7                Bsp.: 4.3.9

Abbildung 6: Einsatz der Poolstunden: Möglichkeiten

                                                                                                                                              17
O R G A N I S AT I O N S F O R M E N D E R I N D I V I D U E L L E N F Ö R D E R U N G

                       4.2 Organisationsformen in der                                       ßenden Tabelle grob skizziert werden. Je nach
                       Klassenstufe 9                                                       Standort, Anzahl der Klassen und Anzahl der Schü-
                                                                                            lerinnen und Schüler auf den verschiedenen Ni-
                       Schülerinnen und Schüler, die auf dem grundlegen-                    veaustufen entscheiden die Realschulen, welche
                       den Niveau lernen, müssen in Klassestufe 9 gezielt                   Variante oder Kombinationen daraus für sie am bes-
                       auf den Hauptschulabschluss vorbereitet werden.                      ten geeignet sind. Gegebenenfalls sind noch weitere
                       Gleichzeitig soll das individuelle Lernen der Schüle-                Varianten denkbar.
                       rinnen und Schüler auf dem mittleren Niveau mit                      Die Klassen 9a, 9b, 9c stehen in der Tabelle exemp-
                       Blick auf den Realschulabschluss am Ende von Klas-                   larisch für ein Modell, das je nach Schulgröße auf
                       senstufe 10 lernwirksam angelegt werden. Dazu gibt                   weniger oder mehr Parallelklassen angepasst werden
                       es verschiedene Möglichkeiten, die in der anschlie-                  kann und soll.
Klassen      9a                              9b                             9c                              Erläuterungen
Fächer       Deutsch,             weitere Deutsch,                weitere Deutsch,               weitere
             Mathematik,          Fächer Mathematik,              Fächer Mathematik,             Fächer
             Englisch/                    Englisch/                       Englisch/
             Französisch                  Französisch                     Französisch
Möglich-                    G                             M                                M
keit I

Möglich-                 G/M                              M                                M
keit II

Möglich-                 G/M                            G/M                             G/M                 Alle auf Niveau G Lernende erhalten
keit III                                                                                                    zusätzliche Stunden zur gezielten
                                                                                                            Prüfungsvorbereitung.

Möglich-              G/M          G/M                G/M          G/M               G/M          G/M       Variante: G-Niveau-Gruppe kann in
keit IV                                                                                                     manchen Stunden auch mit G-Niveau-
                  G         M                     G         M                    G         M                Gruppe der Parallelklassen zusammen
                                                                                                            unterrichtet werden.
Möglich-          G         M      G/M            G         M      G/M           G         M      G/M
keit V

Möglich-                    M      G/M                      M      G/M                     M      G/M             Alle auf Niveau G Lernende
keit IV           G                               G                              G                                werden in D, E/F, M gemeinsam
                                                                                                                  äußerlich differenziert.

Abbildung 7: Mögliche Organisationsformen in Klassenstufe 9

Legende zur Tabelle
Möglichkeit I: Vollständige äußere Differenzierung.                              Beispiel: zwei Stunden Deutsch binnendifferenziert, zwei Stunden Deutsch
Möglichkeit II: Eine (je nach Größe der Schule auch mehrere) gemischte           äußerlich differenziert.
Klasse auf Niveau G und Niveau M. Alle weiteren Klassen ausschließlich           Möglichkeit V: In Deutsch, Mathematik und Englisch/Französisch voll-
auf Niveau M.                                                                    ständige äußere Differenzierung innerhalb der jeweiligen Klasse. Bin-
Möglichkeit III: Vollständige Binnendifferenzierung, allerdings können           nendifferenzierung in den weiteren Fächern.
zur gezielten Vorbereitung der Hauptschulabschlussprüfung von Schüle-            Möglichkeit VI: In Deutsch, Mathematik und Englisch/Französisch äu-
rinnen und Schülern auf Niveau G Zusatzstunden (evtl. im Rahmen der              ßere Differenzierung. Diese Stunden werden dann mit Parallelklassen
regulären Stundentafel, in Tertialen, am Nachmittag usw.) eingerichtet           gekoppelt und es wird eine klassenübergreifende zusätzliche Gruppe
werden.                                                                          mit Lernenden auf Niveau G eingerichtet. Große Schulen können diese
Möglichkeit IV: In Deutsch, Mathematik und Englisch/Französisch teil-            Kopplungen auch in zwei Bänder legen. Binnendifferenzierung in den
weise (stundenweise evtl. fachweise ) äußere Differenzierung. Diese              weiteren Fächern.
Stunden können dann auch mit Parallelklassen gekoppelt werden. Bin-
nendifferenzierung in den weiteren Fächern.

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O R G A N I S AT I O N S F O R M E N D E R I N D I V I D U E L L E N F Ö R D E R U N G

4.3 Praxisbeispiele verschiedener Realschulen

Neben den im Folgenden beschriebenen Konzepten stellen manche Realschulen weitere Materialien zur
Verfügung. Sie können unter dieser Internetadresse aufgerufen werden:
www.km-bw.de/IndividuelleFoerderungRealschule

4. 3.1 CARL-NETT ER- REALSCHU LE BÜ HL
Bezeichnung             Stärkungskonzept: Wir ermöglichen Erfolg!
                        Lernwelten (Kl. 5/6), Lernzeiten (ab Kl. 7)
Schülerzahl             699 Schülerinnen und Schüler
Anzahl der Lehrkräfte   65 Lehrkräfte
Klassenstufe            Lernwelten in der Orientierungsstufe
                        Lernzeiten ab Klassenstufe 7
Konzeption              Die Grundidee des Konzepts
                        Lernen macht Spaß! Wir haben Lust auf Leistung! Wir haben Erfolg!
                        Ein Kurzfilm zu den Lernwelten befindet sich auf der Homepage der Schule:
                        www.realschule-buehl.de

                        Lernwelten in den Klassenstufen 5 und 6
                        Das Konzept fordert und fördert alle Schülerinnen und Schüler im Klassenver-
                        band in der Orientierungsstufe in den Fächern Mathematik (Mathe-Insel), Eng-
                        lisch (pirate lesson) und Deutsch (Schatzsuche). In der Klassenstufe 5 erhalten die
                        Fächer Mathematik und Deutsch, in der Klassenstufe 6 die Fächer Mathematik
                        und Englisch je zwei zusätzliche Poolstunden, die auch in der Stundentafel der
                        jeweiligen Klasse verankert sind.
                        Das Lehrertandem initiiert, begleitet, unterstützt und reflektiert Lernprozesse
                        und führt individuelle Diagnose- und Rückmeldegespräche.
                        In den Stunden der Lernwelten, die einmal wöchentlich im Lehrertandem stattfin-
                        den, vertiefen die Schülerinnen und Schüler neben den fachlichen auch personale
                        und soziale Kompetenzen. Die Lernenden können nach Neigung und Leistungs-
                        vermögen mehrfach differenzierte Materialien und Übungsangebote wählen,
                        ebenso entscheiden sie selbstständig, in welcher Sozialform sie arbeiten möchten.
                        Die Leistungsbewertung findet dann aber auf Niveau M statt.
                        Emotional werden die Schülerinnen und Schüler als Lernweltpiraten in eine moti-
                        vierende und somit kognitiv aktivierende Lernumgebung mitgenommen. Wieder-
                        kehrende Elemente und Rituale wie Piratenhut, sprechender Papagei, Gold-
                        münzen, Schatzkarte u.v.m., das Erleben von Lernerfolgen und ein konstrukti-
                        ver Umgang mit Fehlern führen zu einer individuellen Stärkung der einzelnen
                        Schülerinnen und Schüler.
                        Weitere Ziele sind die Fähigkeit der Selbsteinschätzung und die Heranführung der
                        Lernenden an eine eigenverantwortliche und selbstregulierende Arbeitsweise.
                        Mathematik
                        Piratensprüche, ein mathematisches Piratenrätsel, die Piraten-Kopfrechenolym-
                        piade und der sprechende Papagei bilden neben vielen anderen Elementen den
                        motivierenden Rahmen der Mathe-Insel.

                                                                                                                              19
O R G A N I S AT I O N S F O R M E N D E R I N D I V I D U E L L E N F Ö R D E R U N G

                                   Lernstandserhebungen mit passenden differenzierten Trainingseinheiten und ein
                                   abschließender Nachtest sichern ein mathematisches Grundwissen und ermögli-
                                   chen Lernerfolg.
                                   Im 14-tägigen Wechsel findet ein auf die Lernstandserhebung abgestimmtes För-
                                   derangebot für die Leistungsschwächeren statt, leistungsstärkere Schülerinnen
                                   und Schüler werden durch das Lösen komplexer Aufgaben gefordert. Die verblei-
                                   benden Lernenden arbeiten mit differenzierten Materialien eigenverantwortlich
                                   oder in einer Kleingruppe mit einer zweiten Fachlehrkraft in einem zweiten Klas-
                                   senzimmer.
                                   Durch den Einsatz von selbstdifferenzierenden und motivierenden Denk- und Lo-
                                   gikspielen sowie Tablets werden weitere mathematische Kompetenzen aufgebaut.
                                   Ein Stärkenportfolio macht Lernerfolge und Stärken der und des Einzelnen sicht-
                                   bar und enthält persönliches Feedback von Eltern, Mitschülerinnen und Mitschü-
                                   lern sowie der Fachlehrerin bzw. des Fachlehrers, ebenso individuelle Lernbera-
                                   tungen, Selbsteinschätzungsbögen und Zielvereinbarungen.
                                   Deutsch
                                   Im Fach Deutsch werden die Schülerinnen und Schüler mit motivierenden Lern-
                                   spielen vertraut gemacht. Fachliche Inhalte werden prozessbezogen in spieleri-
                                   scher Form an die Lernenden herangetragen.
                                   Ein wesentliches Element ist die Unterstützung bei der zunehmenden Selbststän-
                                   digkeit in der Auswahl der Inhalte und der Sozialform. Festgesetzt ist, dass die
                                   Schatzsuche Raum für prozessbezogenes Lernen bieten soll. Schülerinnen und
                                   Schüler lernen ihre eigenen Stärken kennen und schätzen nach und nach selbst
                                   ein, was sie lernen möchten. Dafür bieten sich die Lesezeit, ein kurzweiliges
                                   Grammatikspiel in der Gruppe, Wortschatzübungen, Theaterspiel mit Handpup-
                                   pen oder die Recherche und Präsentation eines selbst gewählten Themas an. In
                                   der Schatzsuche ist Raum für Kreativität und Struktur.
                                   Die Lerngruppen suchen sich im gesamten Schulhaus Lernorte und Nischen und
                                   werden vom Lehrertandem betreut.
                                   Englisch
                                   Die pirate lesson ist ähnlich strukturiert wie die Schatzsuche, bietet aber eine
                                   größere Bandbreite an mündlicher Kommunikation und authentischen mutter-
                                   sprachlichen Materialien.
                                   Optional können Schülerpatinnen und -paten aus höheren Klassen die Fünft-
                                   und Sechstklässlerinnen und Fünft- und Sechstklässler beim Lernen unterstützen.
                                   Dies setzt voraus, dass die Lernwelten-Stunde alle zwei Wochen nachmittags stattfin-
                                   det. Zur Dokumentation der Kompetenzbereiche dient der Lernwelten-Kompass.
                                   Lernzeiten ab Klassenstufe 7
                                   Die Lernzeiten sind eine Fortführung der Konzeption der Lernwelten aus der
                                   Orientierungsstufe.
                                   Das Lehrertandem initiiert, begleitet, unterstützt und reflektiert weiterhin in den
                                   Fächern Mathematik, Deutsch und Englisch Lernprozesse ab Klassenstufe 7 in
                                   einer von vier Kernfachstunden.
                                   In den Stunden der Lernzeiten werden Übungsmaterialien auf drei Niveaustufen
                                   (G/M/E) angeboten. Neben einer Binnendifferenzierung erfolgt zusätzlich eine
                                   äußere Differenzierung.
                                   Die auf dem Niveau G Lernenden erhalten eine möglichst passgenaue Förderung
                                   zusammen mit den leistungsschwächeren auf Niveau M Lernenden in einem sepa-
                                   raten Klassenzimmer mit einer der beiden Lehrkräfte. Die zweite Lerngruppe ar-
                                   beitet eigenverantwortlich im Klassenzimmer und wird von einer zweiten Lehr-
                                   kraft individuell, auch hier möglichst passgenau, gefordert und gefördert (M/E).
                                   Die Leistungsbewertung findet auf dem zugewiesenen Niveau statt.

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