Ines Papert und Andi Hofmann sind Profis im Bergsport - und stehen gleichzeitig für eine Unabhängigkeit von vorgegebenen Geschlechter-Rollen ...
←
→
Transkription von Seiteninhalten
Wenn Ihr Browser die Seite nicht korrekt rendert, bitte, lesen Sie den Inhalt der Seite unten
Ines Papert und Andi Hofmann sind Profis im Bergsport – und stehen gleichzeitig für eine Unabhängigkeit von vorgegebenen Geschlechter-Rollen. Melanie Michalski, Klettertrainerin und Coach, hat mit ihnen darüber gesprochen. J ede Person hat für sich eine De- peutin und Mentaltrainerin einen Ein- der gelten können, sondern gerade durch finition, was Frau sein, was Mann blick habe, womit viele Kletterinnen im- ihr Verhalten am Fels mit sich und ihren sein bedeutet und welche typi- mer noch kämpfen. Mitmenschen. schen Verhaltensweisen dazu Für den Themenschwerpunkt „Mann – Ines Papert wurde bekannt durch ihre gehören. Einige sagen zwar, beim Klettern Frau“ in dieser Ausgabe von Panorama ha- Erfolge bei Eiskletter-Wettkämpfen und seien Geschlechterrollen nicht mehr rele- ben wir zwei Personen gesucht, die es et- etliche schwere (Erst-)Begehungen welt- vant – und für immer mehr Kletterbegeis- was anders machen, die vermutlich einen weit in Fels und Eis. Sie gibt Workshops, terte mag das auch stimmen. Für mich ist Schritt weiter sind oder im Laufe ihres unter anderem auch nur für Frauen, ist das Thema aber noch sehr präsent. Viel- Lebens woanders abgebogen sind und sich neben ihrer beruflichen Laufbahn als Pro- leicht, weil ich als „junge Mutter“ selbst so verhalten, wie ich selbst es oft gern tun fisportlerin sehr jung Mutter geworden betroffen bin, mich also manchmal in „ty- würde und wie ich es vielen anderen Seil- und lebt heute mit Partner und Sohn zu- pisch weiblichen“ Rollenmustern wieder- schaften gönnen möchte. Wir haben zwei sammen in Berchtesgaden. Andreas Hof- finde. Vor allem aber, weil ich als Thera- Persönlichkeiten gefunden, die nicht nur mann wurde in den 1990er Jahren durch durch ihre sportliche Leistung als Vorbil- 48 DAV 6/2021
Ines Papert und Andi Hofmann Fotos: Klaus Fengler, Steffan Göb Ines Papert, Andi Hofmann Aus Rolle der tanzen bit.ly/2ZjpPE9) interessante Daten. Für ihr „von kraftvoll sich wo hineinstürzen hat. „Leitbild Mann“ bezeichneten Männer Ei- Das gehört auch irgendwie zu Männern, Typisch Mann? Andi genschaften wie Ehrgeiz, Fachkompetenz, das ist schon o.k. so, bis zu dem Punkt, wo Hofmann steigt selbstverständlich Disziplin und Durchsetzungsvermögen als die Selbstzerstörung anfängt“. vor im Frankenjura, sympathisch. Frauen erwarten von Män- Ines Papert sagt zum Thema „typisch schämt sich aber nern darüber hinaus, dass sie romantisch Mann“, dass „Männer einfach mehr Kraft auch nicht im Top sind und die Gefühle anderer verstehen, haben. Das ist ein Naturgesetz“. Und so rope. Ines Papert verweigert den dass sie Privates und Beruf ausbalancieren kann es manchmal durchaus sinnvoll und Nachstieg prin und sich um die Familie sorgen (was den hilfreich sein, wenn Männer die Führung zipiell – stellt sie Männern übrigens auch wichtig ist). Frau- übernehmen. Obwohl gerade sie oft stär- sich damit gegen das vermeintliche en könnten den Rollenwandel der Männer ker war als ihre männlichen Seilpartner. „typisch Frau“? befeuern – andererseits reproduzieren ge- rade junge Frauen (18-24) das Rollenbild Typisch Frau? vom erfolgreichen Beschützer und Haupt In der zuvor genannten Studie suchen etliche Routen bis X+/XI- über seine frän- ernährer. die Männer an Frauen genau das, was jene kische Heimat hinaus bekannt; heute ar- Andreas Hofmann erzählt von sich, dass an ihnen vermissen, etwa Gefühle zeigen beitet er als selbstständiger Kletterlehrer er sich über Jahrzehnte in den Leistungs- und verstehen, Zärtlichkeit und Roman- und für das Bundeslehrteam des DAV. Er gedanken und den eigenen Anspruch an tik. Dagegen verunsichern sie an Frauen hat einen Sohn und lebt mit seiner Part- sich selbst „hineinsozialisiert“ habe und es Eigenschaften wie Härte, Ehrgeiz, Risiko nerin zusammen im Herzen von Franken. ihm auch heute noch sehr schwerfalle, freude und Unabhängigkeit; berufliche davon abzulassen. Er schildert den Ein- Kompetenz und Karriere gehören nicht zu Typisch Mann? druck, dass „Männer eher zur Selbstschän- ihrem Frauenbild. Für unser Thema ist es interessant, zu dung neigen“ – vielleicht, weil Männer we- Leila Bust, Pädagogin und systemische sehen, welche gesellschaftlichen Rollen- niger in Kontakt mit ihrem Körper seien Therapeutin, schreibt, dass „die Frauenbe- bilder uns beeinflussen in dem, wie wir als Frauen. Er selbst sei oft über seine wegung auf halbem Weg stecken geblieben uns selbst als Mann oder Frau definieren Grenzen gegangen, was nicht nur unbe- ist, da sie sich zu sehr am Mann orientiert und leben. Dazu ermittelte eine Studie des dingt schlecht sei, sondern auch etwas … Stets ist er das Leitbild der Frau geblie- Bundesfamilienministeriums (2013, siehe ben, mit dem sie sich verglichen, an dem DAV 6/2021 49
sie sich gemessen, das sie bekämpft und an „Frauen stufen sich selbst schlechter ein, früh zurücknehmen und nicht in ihre dem sie sich aufgerieben hat in ihrem Be- als sie sind. Ihr Level ist viel höher, als sie Kraft kommen. streben, besser zu sein.“ Könnte dies viel- glauben. Das gilt für fast jede Frau, die leicht gar eine Idee sein, warum Frauen man am Fels trifft.“ Es geht auch anders! beim Klettern so häufig mental über ihre Ines beschreibt, dass sie heute noch für Rollenbilder existieren, wir können sie Grenzen gehen, sich an ihren Männern ori- sie typisch weibliche Eigenschaften lebt: erleben und beobachten. Wir können aber entieren und diesen nacheifern, anstatt bei Fürsorge, Nachgiebigkeit und Harmonie. vielleicht noch komplettere und vor allem sich zu bleiben und sich selbst eine Tour So erzählt sie von einer Situation am Fels, glücklichere Menschen werden, wenn wir auszusuchen? So dass Leila Bust schreibt: in der es ihr wichtiger war, dass ihr Sohn uns von diesen Klischees lösen und aus „Eine tiefe, unerfüllte Sehnsucht nach einen guten Klettertag hatte und sie an- „typisch Mann“ und „typisch Frau“ jene Weiblichkeit, nach Hingabe, Harmonie, schließend rechtzeitig auf die Schulveran- Verhaltensweisen auswählen, die zur ak- nach innerem Frieden, Verbundenheit und staltung kamen, statt an ihr eigenes Klet- tuellen Situation passen und uns am intensiven Gefühlen bleibt.“ tern zu denken. Ohne Lamento vermutet meisten helfen. Wie gelingt dies den „Role Unterschiede zwischen Männern und sie, dass sie heute in einem anderen Ni- models“ Ines und Andi? Frauen beim Klettern beobachtet Ines veau unterwegs wäre, wenn es ihr gelun- Andreas geht sogar noch einen Schritt weiter und sagt, es falle ihm schwer, heu- Fotos: Frank Kretschmann, Archiv Hofmann, Archiv Michalski te in den Mustern „typisch Mann, typisch Im Bewusstsein, dass es Wichti Frau“ zu denken. Es gehe für ihn darum, geres gibt als die Kletterleistung, mit seinen Mitmenschen so umzugehen, gibt Ines Papert professionell Vollgas. Und Andi wie er möchte, dass mit ihm umgegangen Hofmann warnt vor werde. Die Beziehung mit seiner Partne- inneren Stimmen, die rin – beim Klettern wie in anderen Berei- ein „du musst“ flüstern. chen – sei von einem liebevollen Mitei nander geprägt, in dem man sich nicht bevormunde, sondern gegenseitig unter- stütze. Auch in seinen Kursen lebt er die Prinzipien von Augenhöhe und Wert- schätzung und gibt dann nur Rückmel- dung oder Tipps, wenn er das O.K. dazu hat oder darum gebeten wurde. Seinen eigenen Kletter-Werdegang, sei- nen Weg, mehr in Kontakt mit seinem Körper zu kommen und sich selbst zu re- flektieren, beschreibt er als einen Prozess „im Lernen durch den Schmerz“. Er könne noch heute den Leistungsgedanken nicht nicht nur im Leistungslevel, sondern oft gen wäre, „über die Jahre immer ein biss- völlig zur Seite legen, doch gehe er viel mil- auch in der Einstellung. Mädchen wurden chen mehr egoistisch zu sein“. Doch der der mit sich um. Dies bedeutet auch, dass in der Erziehung mehr beschützt und be- Preis dafür wäre ihr zu hoch gewesen. Sie es für ihn absolut in Ordnung ist, im Top hütet, in den Köpfen der Jungs gebe es eher wäre deswegen „kein glücklicherer oder rope zu klettern oder auch offen zu kom- ein „jetzt pass ich auf mein Mädel auf“. Ge- besserer Mensch“. munizieren, dass er „gerade Angst“ habe. rade im Gebirge, wo mit höherer Schwie- Andreas sieht weibliche Attribute an Das stößt nicht immer auf offene Ohren, rigkeit auch mehr Risiko einhergeht, stei- sich selbst in Form von „weiblicher Klug- gerade bei männlichen Kletterpartnern. gen die Männer eher vor – und das sei heit“, wenn es darum gehe, Kontakt zu sei- Wenn diese auf der rationalen Ebene blei- schwer abzulegen. Selbst sie rutsche, wenn nem Körper zu haben, nicht in exzessives ben, sei es aber auch gut: Das helfe ihm, sie nicht aufpasse, in das Muster derjeni- Training zu verfallen und über die Gren- aus der Gefühlswelt wieder auszusteigen gen, „die nachgibt und sagt ‚Heut’ ist nicht zen seines Körpers zu gehen. Für Frauen und sich zu fokussieren. Denn er geht we- so mein Tag, geh du mal voraus‘“. fürchtet er darin aber auch eine „Aus- niger blauäugig in die Touren, prüft zuvor Sie vermutet allerdings auch, dass es fluchtsmöglichkeit“, die nicht immer för- die objektiven Gefahren – und wenn es am Selbstvertrauen der Frauen hapert. derlich sei: wenn sie durch das „intensive ihm sicher und der Sichernde zuverlässig Hineinspüren“ etwas „zerspüren“, sich zu 50 DAV 6/2021
Ines Papert und Andi Hofmann erscheint, kann er Vollgas geben und sich ben und ich muss entscheiden, was ich Andreas teilt Ines‘ Ansicht, wie hilfreich ganz auf das Klettern fokussieren. will und was für mich das Richtige ist.“ und wertvoll es sein kann, wenn Männer Im Gegensatz dazu lehnt Ines es ab, unter Männern sind und Frauen unter Toprope zu klettern („ich baue dabei keine Können wir lernen? Frauen: „Da wird etwas möglich, das in ge- Vorstiegsängste ab“), und sprengt damit Menschen, die Rollen brechen, werden mischten Gruppen oder Seilschaften das Bild der „ängstlicheren“ oder „schwä- erst Vorbilder, wenn andere sich von ih- nicht möglich ist.“ cheren“ Frau. Sie drängte ganz früh in die nen inspirieren lassen. Welche Ratschläge Gerade jungen Männern möchte er mit Selbstbestimmung und wollte nicht mehr können Ines und Andi dazu geben? auf den Weg geben, dass die warnende, in- abhängig sein. Ihre Entscheidung, nicht Ines‘ erste Botschaft heißt: „Jeder ist so nere Stimme Dinge anspricht, die gehört mehr nachzusteigen, sondern in den Vor- gleichberechtigt, wie man sich fühlt. werden wollen: „Es ist wichtig, der Stimme stieg zu gehen, war ein Aufbegehren gegen Wenn ich mich nicht gleichberechtigt Raum zu lassen, egal wie leise sie flüstert.“ Hilflosigkeit. „Durchs Topropen verlierst fühle, dann bin ich selbst schuld dran.“ Sie Dem schon erfahreneren Kletterer möch- du als Frau viel Freiheit, denn du kannst beschreibt eher, dass wir bei uns selbst te er eine neue Stimme vorstellen – näm- nur das klettern, was er dir einhängt, und anfangen müssen. „Grund für Ungleich- lich die, die helfen kann, langfristig ge- deine eigenen Ziele bleiben mehr oder we- heit am Fels ist mangelndes Selbstver- sund zu bleiben. „Ist es gerade gut, was du niger hintenan.“ trauen der Frauen.“ Deshalb rät sie jeder tust?“ Aus eigener Erfahrung beschreibt Um aus der Spirale „der Mann hat mehr Frau: „Such dir Mädels in deiner Katego- er, dass es besser ist, aufzuhören, wenn Kraft und steigt deswegen vor“ auszustei- rie, wenn du dich weiterentwickeln willst. man das Wort „muss“ hört. gen, half ihr die Stra- Wenn nicht, bleib auf Fürs Miteinander in der Beziehung hat Voneinander lernen, tegie, sich bewusst deinem Level, bleib im er für sich herausgefunden, Dinge offen fürs Leben Frauen als Kletter Nachstieg, aber motz und ehrlich anzusprechen und in Kontakt partnerinnen zu su- nicht!“ zu sein. „Ich muss mich aber auch nicht gewinnen. chen. Auch sonst oft Sie sagt: „Es ist ganz jedem Konflikt immer stellen, manchmal als stärkste im Team, wichtig für einen Klet- ist es legitim, etwas einfach stehen zu las- musste sie lernen, im terer, dass man hin und sen.“ Ein Satz, der Gelassenheit statt „ty- Zweifelsfall die Ener- wieder auch mal die pisch männlicher“ Durchsetzungskraft gie für die schwierigen Meter aufzubrin- Stärkere im Team ist, denn wenn du im- illustriert. gen. „Mir macht es Spaß, die Verantwor- mer das schwache Glied bist, gibst du na- Ines Papert und Andreas Hofmann ha- tung zu tragen.“ türlich irgendwann eher auf und über- ben gelernt, „typische“ Attribute des jeweils Sie beschreibt aber auch etwas, das vie- gibst die Verantwortung deinem Partner.“ anderen Geschlechts in ihrer eigenen Per- le kennen: Nicht jeder Tag ist gleich und Solche Muster könnten natürlich auch sönlichkeit zu stärken und zu leben, und man hat nicht immer den gleichen Kopf die Männer brechen, indem sie sagen: gehen so voraus für eine moderne Eman- mit der gleich hohen Vorstiegsmoral. Ihre „Wenn du eine Route klettern willst, dann zipation. Eine Emanzipation, die nicht Idee dazu: „Man darf sich selbst auch den hängst du sie dir selbst ein“, statt das Ab- Stärkung der Frauen bedeutet, sondern die inneren Schubs geben und sagen ‚Hey, ich hängigkeitsverhältnis durch Einrichten Stärkung der eigenen Selbstbestimmtheit probiere es trotzdem‘, auch wenn meine der Topropes aufrechtzuerhalten. Und für jeden Menschen. innere Stimme sagt ‚Heut’ ist nicht mein auch wenn ihre Partnerinnen mal alleine Was ich daran besonders schön finde, Tag‘. Dies kann helfen, dem Tag eine Wen- losziehen, könne das den kletternden ist die gegenseitige Bereicherung. Es geht dung zum Positiven, zu mehr Selbstbe- Männern nützen: „Ihnen geht es ja nur nicht darum, stärker, besser, größer zu wusstsein zu geben.“ gut, wenn es den Partnerinnen gut geht. werden. Es geht vielmehr darum, vonein- Dieses Selbstbewusstsein ist prägend für Klammern ist nicht der richtige Ansatz, ander zu lernen. Zu erkennen, welche (un-) sie, sei aber mentalitätsbedingt: „Wer es sondern auch mal Abstand halten und in typischen (?) Verhaltensweisen einen selbst hat, hat es, und wer es nicht hat, muss ein- unterschiedlichen Seilschaften klettern – als Mann oder Frau und vor allem als fach dran arbeiten.“ So fuhr sie bereits als dann hat man sich auch am Abend wie- Mensch bereichern und in die eigene Kraft junge Mutter mit Kind auf Wettkämpfe: der mehr zu erzählen.“ Und natürlich: sich und Ausgeglichenheit bringen. „Ich habe das Recht, glücklich zu sein, und gegenseitig unterstützen – so wie es ihr was mich dahin führt, ist meine Sache. eigener Mann tut: „Mein Partner Melanie Michalski, Mitglied im Und für ein Kind ist eine glückliche Mutter unterstützt meine Ambitionen und DAV-Lehrteam Sportklettern, bietet in immer noch die beste Mutter!“ Und auch macht mich nicht noch schwächer, ihrer kletter-werkstatt.de neben Kletter- kursen und -reisen auch psychologi- heute noch leitet sie bei schweren Erstbe- als ich eigentlich schon bin!“ sches Coaching fürs Klettern wie fürs gehungen die Gewissheit: „Es ist mein Le- Leben an. DAV 6/2021 51
Sie können auch lesen