Interdisziplinärer Ansatz zur Analyse und Bewertung von Radverkehrsunfällen - Berichte der Bundesanstalt für Straßenwesen - OPUS

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Interdisziplinärer Ansatz zur Analyse und Bewertung von Radverkehrsunfällen - Berichte der Bundesanstalt für Straßenwesen - OPUS
Interdisziplinärer
    Ansatz zur Analyse
    und Bewertung von
   Radverkehrsunfällen

                    Berichte der
Bundesanstalt für Straßenwesen
       Mensch und Sicherheit   Heft M 324
Interdisziplinärer Ansatz zur Analyse und Bewertung von Radverkehrsunfällen - Berichte der Bundesanstalt für Straßenwesen - OPUS
Interdisziplinärer
    Ansatz zur Analyse
    und Bewertung von
   Radverkehrsunfällen

                                              von

                                  Michael M. Baier
                                      Derya Cekic
                                     Katja Engelen
                                    Reinhold Baier

          BSV Büro für Stadt- und Verkehrsplanung
                     Dr.-Ing. Reinhold Baier GmbH
                                            Aachen

                           Thomas Jürgensohn
                                Christina Platho
               HFC Human-Factors-Consult GmbH
                                          Berlin

                                 Michael Hamacher
        Forschungsgesellschaft Kraftfahrwesen mbH
                                           Aachen

                    Berichte der
Bundesanstalt für Straßenwesen
        Mensch und Sicherheit       Heft M 324
Interdisziplinärer Ansatz zur Analyse und Bewertung von Radverkehrsunfällen - Berichte der Bundesanstalt für Straßenwesen - OPUS
Die Bundesanstalt für Straßenwesen
veröffentlicht ihre Arbeits- und Forschungs­
ergebnisse in der Schriftenreihe Berichte der
Bundesanstalt für Straßenwesen. Die Reihe
besteht aus folgenden Unterreihen:
A -   Allgemeines
B -   Brücken- und Ingenieurbau
F -   Fahrzeugtechnik
M-    Mensch und Sicherheit
S -   Straßenbau
V -   Verkehrstechnik
Es wird darauf hingewiesen, dass die unter
dem Namen der Verfasser veröffentlichten
Berichte nicht in jedem Fall die Ansicht des
Herausgebers wiedergeben.
Nachdruck und photomechanische Wiedergabe,
auch auszugsweise, nur mit Genehmigung
der Bundesanstalt für Straßenwesen,
Stabsstelle Presse und Kommunikation.
Die Hefte der Schriftenreihe Berichte der
Bundesanstalt für Straßenwesen können
direkt bei der Carl Ed. Schünemann KG,
Zweite Schlachtpforte 7, D-28195 Bremen,
Telefon: (04 21) 3 69 03 - 53, bezogen werden.
Über die Forschungsergebnisse und ihre
Veröffentlichungen wird in der Regel in Kurzform im
Informationsdienst Forschung kompakt berichtet.
Dieser Dienst wird kostenlos angeboten;
Interessenten wenden sich bitte an die
Bundesanstalt für Straßenwesen,
Stabsstelle Presse und Kommunikation.
Die Berichte der Bundesanstalt für Straßenwesen (BASt)
stehen zum Teil als kostenfreier Download im elektronischen
BASt-Archiv ELBA zur Verfügung.
https://bast.opus.hbz-nrw.de

Impressum

Bericht zum Forschungsprojekt 82.0658
Interdisziplinärer Ansatz zur Analyse und Bewertung
von Radverkehrsunfällen
Fachbetreuung
Benjamin Schreck-von Below
Referat
Sicherheitskonzeptionen, Sicherheitskommunikation
Herausgeber
Bundesanstalt für Straßenwesen
Brüderstraße 53, D-51427 Bergisch Gladbach
Telefon: (0 22 04) 43 - 0
Redaktion
Stabsstelle Presse und Kommunikation
Druck und Verlag
Fachverlag NW in der
Carl Ed. Schünemann KG
Zweite Schlachtpforte 7, D-28195 Bremen
Telefon: (04 21) 3 69 03 - 53
Telefax: (04 21) 3 69 03 - 48
www.schuenemann-verlag.de
ISSN 0943-9315
ISBN 978-3-95606-654-2
Bergisch Gladbach, Januar 2022
Interdisziplinärer Ansatz zur Analyse und Bewertung von Radverkehrsunfällen - Berichte der Bundesanstalt für Straßenwesen - OPUS
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Kurzfassung – Abstract
Interdisziplinärer Ansatz zur Analyse und               Interdisciplinary approach for the analy-
Bewertung von Radverkehrsunfällen                       sis and evaluation of cycling accidents
Das Thema der Radverkehrssicherheit wurde be-           The topic of bicycle safety has already been consid-
reits in Forschungsprojekten verschiedener Fach-        ered in research projects of different disciplines. In
disziplinen fachspezifisch betrachtet. In diesem Pro-   this project, an interdisciplinary approach was pur-
jekt wurde ein interdisziplinärer Ansatz verfolgt, um   sued to analyze and evaluate bicycle accidents from
Radverkehrsunfälle aus Sicht der drei Fachdiszipli-     the perspective of the three disciplines of infrastruc-
nen Infrastrukturplanung, Verkehrspsychologie und       ture planning, traffic psychology and vehicle tech-
Fahrzeugtechnik zu analysieren und zu bewerten.         nology.
In einer Grundlagenanalyse wurden zunächst wis-         In a basic analysis, scientific findings on bicycle
senschaftliche Erkenntnisse zur Radverkehrssi-          safety from the perspective of the three disciplines
cherheit aus Sicht der drei Fachdisziplinen zusam-      were first compiled. Based on this, constellations
mengetragen. Darauf aufbauend wurden Konstella-
                                                        were developed to focus on accidents with selected
tionen erarbeitet, mit denen eine Fokussierung auf
                                                        characteristics. Five relevant constellations were
Unfälle ausgewählter Merkmale erfolgen konnte. Es
                                                        derived. From the database of the German In-Depth
wurden fünf relevante Konstellationen abgeleitet.
Diesen konnten aus der Datenbank der German In-         Accident Study (GIDAS) a total of 1,125 accidents
Depth Accident Study (GIDAS) insgesamt 1.125            from 2005 to 2018 could be assigned to these con-
Unfälle der Jahre 2005 bis 2018 zugeordnet wer-         stellations. Of these, 40 selected accidents were
den. Davon wurden 40 ausgewählte Unfälle einer          subjected to an interdisciplinary analysis. The re-
interdisziplinären Betrachtung unterzogen. Im Er-       sults showed that perception errors are often the
gebnis wurde u. a. festgestellt, dass oftmals Wahr-     cause of accidents. Perceptual errors are to be
nehmungsfehler unfallursächliche Einflussfaktoren       found in the access to information (objective availa-
sind. Wahrnehmungsfehler sind beim Informations-        bility of the necessary information) and in the recep-
zugang (objektive Verfügbarkeit der notwendigen         tion of information (attentive observation and recog-
Informationen) und bei der Informationsaufnahme         nition of all relevant information).
(aufmerksames Beobachten und Erkennen aller re-
                                                        A manual for the interdisciplinary analysis of bicycle
levanten Informationen) zu finden.
                                                        accidents based on a phase model of the influenc-
Es wurde eine Anleitung zur interdisziplinären Ana-     ing factors and boundary conditions was developed.
lyse von Radverkehrsunfällen auf Grundlage eines        In this model, the process phases (information pro-
Phasenmodells der Einflussfaktoren und Randbe-          vision, information access, information acquisition,
dingungen entwickelt. In diesem Modell werden den       information processing, decision, behaviour and be-
Prozessphasen (Informationsbereitstellung, Infor-       haviour sequence) are assigned to the influencing
mationszugang, -aufnahme, -verarbeitung, Ent-           factors of the person, the infrastructure or the vehi-
scheidung, Verhalten und Verhaltensfolge) Ein-          cle on bicycle traffic accidents.
flussfaktoren des Menschen, der Infrastruktur oder
des Fahrzeugs auf Radverkehrsunfälle zugeordnet.        The analysis guide shows which questions have to
                                                        be asked to identify deficits in connection with bicy-
Die Analyseanleitung zeigt auf, welche Fragen ge-       cle accidents and to select suitable measures for ac-
stellt werden müssen, um Defizite im Zusammen-          tion. With an exemplary representation of the anal-
hang mit Radverkehrsunfällen zu identifizieren und      ysis procedure it was demonstrated, how one sen-
geeignete Handlungsmaßnahmen auszuwählen.               sitizes for effect connections. The developed man-
Mit einer beispielhaften Darstellung des Analyse-       ual for the analysis of bicycle accidents can be used
vorgehens wurde demonstriert, wie für Wirkungszu-       as a procedure for specific occasions, for example,
sammenhänge sensibilisiert wird. Die entwickelte        if the accident cannot be plausibly explained by cur-
Anleitung zur Analyse von Radverkehrsunfällen           rent methods of road safety work.
kann ein anlassbezogenes Verfahren darstellen,
das u. a. zum Einsatz kommt, wenn das Unfallge-
schehen durch die gängigen Methoden der Ver-
kehrssicherheitsarbeit nicht plausibel erklärbar ist.
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Summary                                                  2 Methodology
                                                         First of all, a basic analysis was carried out, in which
Interdisciplinary approach for the                       scientific findings on bicycle safety were compiled
analysis and evaluation of cycling                       from national and international research work. In
                                                         addition, the scientific methods used were
accidents                                                determined. The basic analysis formed the basis for
                                                         the system for evaluating the relevance of potential
                                                         influencing factors on the occurrence of accidents,
1 Task                                                   which was developed further.

Overall, road safety has developed positively in         In this systematics a focus on accidents of selected
recent years. The total number of accidents has          characteristics, which are called constellations, took
decreased. This positive development can also be         place. Five relevant constellations were derived:
observed with regard to bicycle accidents, but not to    • Constellation K1: Out-turning or crossing
the same extent or even with an opposite trend.            accident with a left-hand cyclist at a traffic-sign-
While the number of accidents within built-up areas        regulated intersection,
has decreased by 16 % since 2000 (until 2014)
according to official accident statistics, the number    • Constellation K2: In-turning accident with cyclist
of cyclists who have been involved in accidents            from the same direction of travel at a light-
within built-up areas has increased by 9% during the       signaled intersection,
same period. A similar picture emerges with regard       • Constellation S1: Accident due to stationary
to cycling accidents outside built-up areas on             traffic with passing cyclist,
country roads. Since 2000 (until 2014), the number
of accidents involving personal injury recorded by       • Constellation S2: Accident in longitudinal traffic
the police has fallen by 34 %, while the number of         with cyclist in same direction of travel outside
accidents involving cyclists has only fallen by 10 %.      built-up areas,

Since the topic of bicycle safety can be viewed or       • Constellation S3: Turning/crossing accident at
analyzed from different perspectives, there are            property access road with cyclist.
already various research projects in various             To supplement the existing knowledge, a
disciplines    (including    vehicle     technology,     supplementary data analysis was carried out for the
infrastructure planning and traffic psychology),         selected five constellations. For a target-oriented
which deal with the analysis of factors influencing      approach it was checked which data cover the data
accidents and measures to reduce the frequency           requirements. The accident database of the
and severity of accidents. However, a holistic           German In-Depth Accident Study (GIDAS) was
approach by the various disciplines has not yet          identified as the only available data source that
been sufficiently researched. Only one basic             meets the requirements with characteristics on
research has for the first time presented a              influencing factors of the disciplines infrastructure
systematic of safety criteria from the viewpoint of      planning, traffic psychology and vehicle technology.
the relevant disciplines of infrastructure planning,     For the accident analysis, samples were taken from
traffic psychology and traffic medicine. However,        the entire data set based on the characteristics
the field of automotive engineering was not              defined for the five constellations. For the
considered here.                                         constellation K1, the evaluation of traffic-
Building on this basic research project, an              psychologically relevant characteristics was
interdisciplinary approach was to be taken for the       additionally performed in the database of the
first time to analyze, model and evaluate the safety     Application possibilities of the Accident Causation
of bicycle traffic. An essential part of the research    Analysis System (ACAS). The results from both
project was the development of a model with which        databases were used to evaluate individual
relevant factors influencing the occurrence of           accidents of certain constellations in an
accidents from the three disciplines of infrastructure   interdisciplinary way.
planning, traffic psychology and vehicle technology      On this basis, a model was developed to evaluate
can be identified for different constellations using     the relevance of factors influencing the accident
different data sets.                                     occurrence. This model should correspond to a
                                                         process model, which should help to show which
                                                         targeted questions have to be asked, so that the
                                                         specific problems or deficits in bicycle traffic as well
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as the specialist areas to be included can be               fulfilment of defined test requirements. These are
identified and suitable action measures can be              derived for the respective protection systems of
selected. The aim was not to list the relevant factors      active and passive safety from the most relevant or
influencing bicycle safety separately for each              most serious accident scenarios within accident
specialist    discipline,  but     to    create    an       research. While nowadays only a few rigidly defined
interdisciplinary approach. The application of the          constellations are used for this purpose, there will
developed model was finally demonstrated.                   be a significant expansion of the test spectrum and
                                                            the variability of the test conditions with regard to
The interim results of the model development were
                                                            active safety in the future, whereby the
presented and discussed in two expert workshops.
                                                            effectiveness and reliability of the correspondingly
The focus of the first expert workshop was on the
                                                            designed systems will be further improved.
established systematics and the results of the data
analysis. The second expert workshop focused on             In the course of the project, bicycle safety was
the modeling of possible safety criteria. In particular,    initially assessed on the basis of the number and
the aim was to determine whether the respective             sequence of accidents. For this purpose, the five
disciplines were sufficiently represented in the            relevant constellations were derived.
project results and thus whether an interdisciplinary
                                                            The basic constellation forms the basis. This serves
approach to the solution could be created.
                                                            as a classification scheme to describe accidents in
                                                            terms of the spatial and temporal constellation of
                                                            accident participants in a structural and situational
3 Results                                                   context. The basic constellation is described by:

Within the framework of the basic analysis and in           • Situation in relation to built-up areas (within or in
discussions between the three disciplines, it was             front of built-up areas or outside built-up areas),
determined that the term "bicycle safety" is very           • Location in the road network (route or junction),
broadly defined and that the assessment by the
various disciplines differs greatly.                        • on routes, the number of lanes of motor vehicle
                                                              traffic and stationary traffic (for roads in the
Infrastructure planning has the task of providing             apron or within built-up areas) as well as the type
road users with efficient and safe traffic facilities.        of junction (light-signal controlled junctions,
Numerous research projects are dedicated to the               traffic-sign controlled junctions or traffic circles)
comparison of different forms of guidance for                 and the type of traffic control for the cyclist
bicycle traffic. As a rule, traffic safety is assessed by     (priority)
means of accidents. The degree of bicycle safety is
described by the number and consequences of                 • Type of conflict (direction of movement of the
accidents, e.g. mostly by accident cost rates. The            parties involved shortly before the accident),
accident analysis usually serves to identify risk-          • Involvement (sole accident or accident with
increasing factors and to derive effective measures           others involved).
later.
Traffic psychology, on the other hand, is not               If required, the specific constellation can be
exclusively concerned with accidents, but with the          considered as a concrete basic constellation with
experience and behavior of people in traffic and the        information on lighting conditions, road conditions,
underlying psychological processes. In addition to          the vehicle, the bicycle and/or the cyclist (age). In
concrete behavior in different traffic situations, it       order to evaluate traffic safety for cycling, accidents
takes into account psychological processes in               were assigned to a (basic) constellation of
interaction with the vehicle (e.g. driver assistance        influencing factors. The neutral term was chosen in
systems) and the infrastructure. As far as possible,        order not to anticipate the effect of the influencing
it tries to investigate the causality behind observed       factor. Influencing factors can increase the accident
contexts. There are only a few original traffic             risk (accident-favoring), reduce the accident risk
psychological measures (with the exception of               (accident-avoiding) or have a neutral effect. The
traffic education measures). However, it is possible        system for evaluating the relevance of potential
to derive measures for infrastructure planning and          influencing factors was presented in a first expert
vehicle technology from traffic psychological               workshop. The experts rated the system as highly
findings.                                                   infrastructure-related.      The      discipline     of
Automotive engineering, on the other hand, follows          infrastructure planning depends on the definition of
similar approaches to infrastructure planning, but          the infrastructure characteristics used. The
links the evaluation of traffic safety with the             specialist discipline of vehicle technology uses
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scenarios similar to the constellations in the                were no infrastructural obstacles to visibility, but
evaluation of traffic safety. For the discipline of           truck drivers in particular claimed to have looked
traffic psychology, the spatial description of the            but not seen the cyclists involved.
constellations is not necessary, but it does not
                                                           • Constellation S1: Motor vehicle drivers or
restrict them in their evaluation of relevant risk
                                                             passengers opened the vehicle door without
factors.
                                                             paying attention to possible cyclists. Cyclists
In the GIDAS database a total of 1125 accidents              drove against the vehicle door and crashed. Why
were identified: 659 accidents of the constellation          the cyclists (with different use of the traffic areas)
K1, 145 accidents of the constellation K2, 218               drove in a only small distance to the parked
accidents of the constellation S1, 12 accidents of           vehicles could not be determined. Neither
the constellation S2 and 91 accidents of the                 cyclists nor car drivers recognized the possible
constellation S3. For a sample of accidents an               dangerous situation. Furthermore, motor vehicle
interdisciplinary consideration took place. On the           drivers were partly mentally distracted (e.g. by
basis of the accident texts and photos in GIDAS,             other occupants).
these were analyzed by individual experts from the
                                                           • Constellation S2: The accident sequences and
respective disciplines and the relevant influencing
                                                             influencing variables were sometimes very
factors were evaluated.
                                                             different. In general, motor vehicle drivers
In addition, for constellation K1 an analysis of the         (sometimes in darkness) hit cyclists in front or
ACAS database was carried out with regard to the             collided with cyclists during an overtaking
causes of the accident. Altogether 525 cases were            maneuver. The cyclists drove in mixed traffic
available in the database, which were assigned to            with the motor vehicle traffic on the roadway (in
an accident of the three-digit accident type 342 and         the absence of an accompanying cycle path).
thus to the constellation K1. For 366 cases, the             Since cyclists had not been seen, the motor
information intake was given as the primary cause.           vehicles collided with them at high speed.
The second cause was in 90 % a wrong focus of
                                                           • Constellation S3: The motor vehicle driver drove
attention.
                                                             out of a property access road. There was no
For the five constellations, the following accident          visual contact with the cyclist, who was usually
courses and influencing factors were determined:             in the side room, but who was also driving and
                                                             crossing on the roadway, and so they collided.
• Constellation K1: Motor vehicle drivers drove
                                                             The visibility in and out of the property access
  from the subordinate road towards the junction
                                                             road was strongly limited.
  and stopped at the superordinate road to give
  priority to the flowing motor vehicle traffic. In        Local measures of infrastructure planning could be
  doing so, they paid no attention to the                  derived for the considered accident examples.
  infrastructure features indicating the cyclist, nor      However, it was found that these alone are not
  to the cyclist himself. Cyclists rode in the left side   sufficient to prevent accidents. All accident
  of the priority road, saw the vehicles and               constellations can also be addressed by measures
  indicated stopping in such a way that they had           of vehicle technology or traffic education. In
  been seen and would be given priority. Even              particular, future assistance systems that trigger a
  though some visibility obstacles could be                warning or, ideally, automatically initiated
  identified, it was found that accidents occurred         emergency braking could prevent accidents in the
  even in good visibility conditions and with clear        constellations under consideration, especially
  indication of the dangerous situation (indication        because of the predominantly low speed level. If
  of crossing cyclists from the right by appropriate       future possibilities are considered in the course of
  signs), because motor vehicle drivers did not            networking the different road users in road traffic,
  perceive the necessary information.                      the protection potential of active vehicle systems
                                                           could be significantly increased again. Passive
• Constellation K2: Motor vehicle drivers
                                                           measures, on the other hand, were generally
  approached the traffic           light controlled
                                                           considered to be less effective in avoiding the
  intersection with the intention of turning right.
                                                           constellations under consideration; they merely
  Cyclists drove in the same direction at road level
                                                           reduce the consequences (severity of injury to the
  or in the side room with the intention of
                                                           cyclist).
  continuing straight ahead. Motorists sometimes
  stopped to give priority to cyclists or pedestrians      Based on the knowledge gained, a model was
  crossing the ford, but did not see the cyclists          developed to identify the relevant factors influencing
  involved and collided with them. As a rule, there        the occurrence of accidents from the three specialist
Interdisziplinärer Ansatz zur Analyse und Bewertung von Radverkehrsunfällen - Berichte der Bundesanstalt für Straßenwesen - OPUS
7

disciplines of infrastructure planning, traffic          The model was developed with the aim of making
psychology and vehicle technology. In the first          the addressees of bicycle safety aware of
expert workshop it was worked out that the               influencing factors from the three disciplines in order
evaluation of the influencing factors and possible       to be able to identify relevant interrelationships. It is
measures carried out in the context of the individual    not intended to replace the analysis methods used
case consideration must be represented by the            in the individual disciplines, but rather to support an
model. The experts agreed that an algorithmic            interdisciplinary approach. Against this background,
model for the calculation of impact contributions        the model cannot cover the depth of detail of the
was not appropriate, since the large number of           subject-specific analysis methods.
influencing factors could not be quantitatively
                                                         On the basis of an exemplary model application with
represented due to the limited data availability.
                                                         selected accident examples, it was possible to
Rather, the aim was to provide a procedural model
                                                         demonstrate how the accident sequence can be
with which the specific problems or deficits in
                                                         broken down into individual process components
bicycle traffic could be identified and suitable
                                                         (cause categories) on the basis of the model in
measures selected.
                                                         order to differentiate the associated influencing
In the model, primary and secondary causes of            factors accordingly. The model names a limited
accidents were mapped and assigned to each               number of influencing factors for each process
other. Since human actions basically determine the       component, but in general terms. The user has to
movement in the road space, which in turn can lead       check independently on the basis of the data
to an accident, the model depicts the human              available to him in which way the influencing factors
process of thinking and behavior shortly before the      are present. It is decisive how detailed the available
accident (pre-crash phase). It takes into account the    data basis is and whether statements of the
fact that the influence of human error will be limited   accident participants are available to understand
in the future as vehicles become increasingly            their thought processes. The user is sensitized to
automated, so that for autonomous vehicles the           the interrelationships of effects, but must
occupants can ultimately no longer be held               independently evaluate whether the influencing
responsible for possible accidents. The primary          factors are accident-favoring, accident-avoiding or
causes of accidents are derived from the course of       neutral in their influence. The model thus requires
the accident, which must be reconstructed by the         an understanding of relevant correlations in bicycle
addressee of the model. The primary causes of            safety.
accidents apply to the specific pre-crash phase of
an accident under the given time and local
conditions.                                              4 Conclusions
The secondary cause of an accident is the cause of
a human or system error and can be assigned to the       The procedural model for interdisciplinary
infrastructure, the vehicle and/or the human being.      cooperation on road safety issues developed within
Such secondary causes of accidents, which are            the project needs to be evaluated in practice. A key
valid beyond the short period of the pre-crash           question is whether the interdisciplinary process
phase, can be counteracted in the future if              model covers the needs of the different user groups.
necessary, in order to positively influence the          In research projects the users would have to be
accident event in the long term. Therefore, the direct   accompanied after an analysis of the field of activity
approach to improving road safety in bicycle traffic     and the practicability of the model would have to be
lies with them. It is assumed that for certain primary   checked. Quality criteria of the evaluation are for
causes of accidents only a limited number of             example the comprehensibility (cross-disciplinary),
secondary causes of accidents can be considered.         the availability of the required information or the
Thus, these serve to categorize the secondary            benefit. The result should be to optimize the model
causes of accidents that can be influenced. Since        and, if necessary, to adapt it specifically to the
not only causes of accidents but also measures are       needs of individual user groups.
to be considered in the model, not only accident-        The data analysis carried out has shown that
favoring but also accident-preventing conditions are     essential insights into the causes of accidents and
listed as influencing factors in the model. The          influencing factors result less from the database
structure of the model and the influencing factors       itself, but rather from viewing accident reports,
were agreed upon during the second expert                photos of the situation and descriptions of
workshop.                                                accidents. It is particularly difficult to identify the
                                                         causes of accidents that lie in the human
                                                         information processing process. One can try to
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8

determine these influencing factors by later
questioning the involved persons. Often these
influencing factors are however not consciousness-
enabled.
One possibility here may be traffic conflict research,
in which traffic safety is evaluated in an
operationalized way using substitute variables. In
addition to physical parameters such as times,
speeds or distances, other parameters that are
subject to a more complex measuring mechanism
or partly require human judgement can be used as
substitute parameters. With regard to the cases
investigated within the scope of this project, for
example, studies could be carried out for the
constellation K1, in which observations of the gaze
behavior of vehicle drivers are made "from the
outside" at selected intersections. Failure to look to
the right to check for a possible cyclist approach
could then be used as a measure of conflict. If this
measure of conflict can be validated by comparing
it with accident figures, this measure can be used
for the evaluation of measures. Another example of
the development of a conflict measure for one of the
cases worked on in this project would be the
observation of the behavior of cyclists passing rows
of parked cars. In addition to measuring distances,
trained human observers can also be used to
assess the general level of attention of cyclists.
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Inhalt                                                                      5.1.7 Spezifische Konstellation ................ 44
                                                                            5.1.8 Ausschluss von besonderen
1 Hintergrund und Zielsetzung...................... 11                            Unfallumständen und Bereinigung
                                                                                  der Stichprobe ................................ 44
2 Vorgehensweise und Arbeitsprogramm .... 11                             5.2 ACAS-Datenauswertung ....................... 45
                                                                         5.3 Interdisziplinäre Betrachtung
3 Grundlagenanalyse..................................... 12                   ausgewählter Unfälle ............................. 48
  3.1 Radverkehrssicherheit in der                                          5.3.1 Betrachtung der Konstellation K1.... 48
       Unfallstatistik......................................... 12          5.3.2 Betrachtung der Konstellation K2.... 48
  3.2 Wissenschaftliche Erkenntnisse zur                                    5.3.3 Betrachtung der Konstellation S1.... 48
       Verkehrssicherheit im Radverkehr......... 13
                                                                            5.3.4 Betrachtung der Konstellation S2.... 49
     3.2.1 Erkenntnisse aus der
                                                                            5.3.5 Betrachtung der Konstellation S3.... 49
           Infrastrukturplanung ....................... 14
                                                                            5.3.6 Analyse relevanter
     3.2.2 Erkenntnisse aus der
                                                                                  Einflussfaktoren .............................. 49
           Verkehrspsychologie ...................... 18
     3.2.3 Erkenntnisse aus der                                      6 Anleitung zur interdisziplinären Analyse
           Fahrzeugtechnik ............................ 21             von Radverkehrsunfällen ............................ 52
     3.2.4 Erkenntnisse aus interdisziplinären                         6.1 Adressaten ............................................ 52
           Untersuchungen ............................. 26
                                                                       6.2 Betrachtungsebene ............................... 52
     3.2.5 Offene Fragen ................................ 27
                                                                       6.3 Datengrundlage ..................................... 52
  3.3 Methoden zur Analyse, Modellierung
                                                                       6.4 Phasenmodell ....................................... 52
       und Bewertung...................................... 28
                                                                          6.4.1 Zielsetzung ..................................... 53
     3.3.1 Unfallanalysen ............................... 28
                                                                          6.4.2 Aufbau ........................................... 53
     3.3.2 Befragungen von Unfallbeteiligten .. 28
     3.3.3 Verhaltensbeobachtungen .............. 28                 7 Beispielhafte Anwendung der
     3.3.4 Experimente................................... 29           Phasenmodelle ............................................ 57
     3.3.5 Modelle .......................................... 29       7.1 Beispiel der Konstellation K1 ................. 57
  3.4 Schlussfolgerungen für das weitere                               7.2 Beispiel der Konstellation K2 ................. 59
       Vorgehen .............................................. 33      7.3 Beispiel der Konstellation S1 ................. 60
                                                                       7.4 Beispiel der Konstellation S2 ................. 61
4 Ableitung von Konstellationen ................... 34
                                                                       7.5 Beispiel der Konstellation S3 ................. 62
  4.1 Grundkonstellation ................................ 34
                                                                       7.6 Schlussfolgerungen ............................... 62
  4.2 Spezifische Konstellation ...................... 36
  4.3 Situative Konstellation ........................... 36         8 Fazit und Ausblick....................................... 62
  4.4 Ausgewählte Konstellationen ................ 36
     4.4.1 Merkmale der Konstellation K1 ....... 36                  Literatur ............................................................ 64
     4.4.2 Merkmale der Konstellation K2 ....... 37
     4.4.3 Merkmale der Konstellation S1 ....... 40                  Bilder      ............................................................. 71
     4.4.4 Merkmale der Konstellation S2 ....... 41
                                                                     Tabellen ............................................................ 71
     4.4.5 Merkmale der Konstellation S3 ....... 41

5 Analyse vertiefender Datengrundlagen ..... 42
  5.1 Bestimmung der Datenstichprobe in
                                                                     Der Anhang zum Bericht ist im elektronischen
       GIDAS .................................................. 43
                                                                     BASt-Archiv ELBA unter
     5.1.1 Lage in Bezug zu bebauten                                 https://bast.opus.hbz-nrw.de abrufbar.
           Gebieten ........................................ 43
     5.1.2 Lage im Straßennetz ...................... 43
     5.1.3 Knotenpunktart............................... 43
     5.1.4 Verkehrsregelung für Radfahrer ..... 43
     5.1.5 Konflikttyp ...................................... 43
     5.1.6 Beteiligung ..................................... 44
10
11

1 Hintergrund und Zielsetzung                           Da das Thema der Radverkehrssicherheit aus ver-
                                                        schiedenen Blickwinkeln betrachtet bzw. analysiert
Vor dem Hintergrund des kommunalen Klimaschut-          werden kann, gibt es zahlreiche Forschungspro-
zes sind Kommunen bestrebt, den anhaltenden             jekte verschiedener Fachdisziplinen, u. a. aus der
Trend zum Radverkehr zu fördern, um so den Anteil       Fahrzeugtechnik, der Infrastrukturplanung (gemeint
des Radverkehrs im Modal Split weiter zu steigern.      ist hier die Straßenverkehrsinfrastrukturplanung;
In vielen Städten hat der Radverkehrsanteil in den      diese umfasst die Verkehrsplanung, den Straßen-
letzten Jahren bereits zugenommen. Zukünftig            entwurf und den Straßenbetrieb einschließlich die
sollte hier mit einer weiteren Steigerung gerechnet     Verkehrssteuerung) und der Verkehrspsychologie,
werden (ALRUTZ et al., 2015a).                          die sich fachspezifisch mit der Analyse von unfall-
Die Verkehrssicherheit im Straßenverkehr insge-         beeinflussenden Faktoren sowie Maßnahmen zur
                                                        Minderung von Unfallhäufigkeit und -schwere be-
samt hat sich in den vergangenen Jahren positiv
                                                        fassen. Eine gesamtheitliche Betrachtung durch die
entwickelt. Die Gesamtzahl an Unfällen ist zurück-
                                                        unterschiedlichen Fachdisziplinen ist bisher jedoch
gegangen. Gründe hierfür liegen u. a. in der Arbeit
                                                        nicht hinreichend erfolgt. Bislang haben lediglich
der Unfallkommissionen, einer verbesserten, siche-
reren Straßeninfrastruktur, da zum einen in der         BAIER/GÖBBELS/KLEMPS-KOHNEN (2013) als
                                                        Grundlagenforschung erstmals eine Systematik von
neuen Richtliniengeneration der Verkehrssicher-
                                                        Sicherheitskriterien aus Sicht der relevanten Fach-
heitsaspekt noch stärker berücksichtigt ist, und zum
anderen seit fast 15 Jahren zu vielen Straßenpla-       disziplinen Infrastrukturplanung, Verkehrspsycholo-
                                                        gie und Verkehrsmedizin vorgelegt. Der Bereich der
nungen beim Neu-, Um- und Ausbau Sicherheitsau-
                                                        Fahrzeugtechnik blieb hier jedoch unberücksichtigt.
dits durchgeführt werden. Auch jüngere Verände-
rungen in der Ausbildung von Kraftfahrern haben ei-     Aufbauend auf diesem Grundlagenforschungspro-
nen positiven Einfluss auf die Verkehrssicherheit       jekt soll ein interdisziplinärer Ansatz aus den drei
gezeigt. So ist das begleitete Fahren ab 17 Jahren      Fachdisziplinen Infrastrukturplanung, Verkehrspsy-
eine wirksame Maßnahme zur Erhöhung der Si-             chologie und Fahrzeugtechnik verfolgt werden, um
cherheit junger Fahranfänger. Aber auch die Ent-        die Sicherheit des Radverkehrs zu analysieren und
wicklungen in der Fahrzeugsicherheit und deren zu-      zu bewerten. Im Fokus der Bearbeitung stehen fol-
nehmende Marktdurchdringung, einmal in Form von         gende Fragestellungen:
gestiegenen Sicherheitsstandards in der passiven
Sicherheit und einmal in Bezug auf die Einführung       • Welche Einflussfaktoren auf die Radverkehrssi-
verschiedener Fahrerassistenzsysteme (aktive Si-           cherheit sind von Bedeutung?
cherheit), haben ihren Beitrag an der positiven Ent-
wicklung.                                               • Welche Wechselwirkungen gilt es zu beachten?
Diese Entwicklung ist jedoch in Bezug auf die Rad-      • Wie können Maßnahmen (allgemein und hin-
verkehrsunfälle nicht gleichermaßen zu beobach-            sichtlich ihrer Wirksamkeit) bewertet werden?
ten. Während die Zahl der Verunglückten innerhalb       Wesentlicher Bestandteil des Forschungsprojekts
geschlossener Ortschaften laut amtlicher Unfallsta-     ist die Erarbeitung einer Anleitung zur Analyse von
tistik insgesamt seit 2000 (bis 2014) um 16 % abge-     Radverkehrsunfällen, mit der relevante Einflussfak-
nommen hat, ist die Anzahl der innerorts verun-         toren auf das Unfallgeschehen aus den drei Fach-
glückten Radfahrer im gleichen Zeitraum um 9 %          disziplinen Infrastrukturplanung, Verkehrspsycholo-
angestiegen. Ähnliches zeigt sich auch in Bezug auf     gie und Fahrzeugtechnik für verschiedene Konstel-
die Radverkehrsunfälle außerhalb geschlossener          lationen unter Verwendung unterschiedlicher Da-
Ortschaften auf Landstraßen. Hier sind seit 2000        tenbestände identifiziert werden können. Die Anlei-
(bis 2014) die polizeilich erfassten Unfälle mit Per-   tung zur Analyse von Radverkehrsunfällen soll auf-
sonenschaden insgesamt um 34 %, die entspre-            bauend auf Methoden der Verkehrssicherheitsar-
chenden Unfälle mit Radfahrerbeteiligung jedoch         beit entwickelt werden.
nur um 10 % gesunken (SCHRECK, 2016).
Die durch das Statistische Bundesamt veröffentlich-
ten Anzahlen Verletzter und Getöteter stellen aller-    2 Vorgehensweise und Arbeits-
dings nur einen Teil des Unfallgeschehens von
Radfahrern dar. VON BELOW (2016) zeigt in einer           programm
Studie von in Krankenhäusern aufgenommenen
verunfallten Radfahrern, dass im Mittel 75 % nicht      Die methodische Vorgehensweise sieht insgesamt
polizeilich erfasst wurden und deshalb in der amtli-    sechs miteinander verknüpfte Arbeitsschritte vor
chen Statistik nicht enthalten sind.                    (Bild 1). Diese sind nachfolgend kurz beschrieben.
12

                                                          Die Zwischenergebnisse des Projekts wurden den
                                                          Experten im Rahmen von zwei Expertenworkshops
                                                          vor- und zur Diskussion gestellt (siehe Anlagen-
                                                          band). Schwerpunkt des ersten Expertenworkshops
                                                          waren die Projektergebnisse die Ableitung der
                                                          Konstellationen sowie die Analyse vertiefender Da-
                                                          tengrundlagen. Schwerpunkt des zweiten Experten-
                                                          workshops war die Anleitung zur Analyse von Rad-
                                                          verkehrsunfällen auf Grundlage des entwickelten
                                                          Phasenmodells. Ziel war es insbesondere festzu-
                                                          stellen, ob sich die jeweiligen Fachdisziplinen in den
                                                          Projektergebnissen ausreichend berücksichtigt
                                                          wurden und damit ein interdisziplinärer Lösungsan-
                                                          satz geschaffen wurde.

                                                          3 Grundlagenanalyse
Bild 1:   Arbeitsschritte                                 Die Grundlagenanalyse beinhaltet eine Literatur-
                                                          recherche und -auswertung zu vorliegenden wis-
Im Rahmen einer Grundlagenanalyse werden nati-            senschaftlichen Erkenntnissen zur Verkehrssicher-
onale und internationale wissenschaftliche Erkennt-       heit im Radverkehr. Zudem erfolgt eine Darstellung
nisse zur Radverkehrssicherheit zusammengetra-            der relevanten wissenschaftlichen Methoden.
gen sowie die eingesetzten wissenschaftlichen Me-
thoden eruiert. Die Grundlagenanalyse dient der Er-       3.1 Radverkehrssicherheit in der Un-
fassung des Wissenstands (u. a. zu bereits identifi-
zierten relevanten Einflussfaktoren). Sie bildet aber         fallstatistik
vor allem die Basis für die im Projektverlauf abzulei-    Im Jahr 2016 wurden insgesamt 81.272 Radfahrun-
tenden Konstellationen.                                   fälle mit Personenschaden verzeichnet; dies stellt
Anschließend erfolgt, um die hohe Anzahl potenzi-         einen Anstieg von 3,7 % im Vergleich zum Vorjahr
eller Einflussfaktoren hinsichtlich ihrer Relevanz be-    und einen Anstieg von 9,9 % gegenüber dem Jahr
urteilen zu können, eine Fokussierung auf Unfälle         2000 dar (DESTATIS, 2017). Allerdings umfasst
ausgewählter Merkmale, die als Konstellationen be-        dies die polizeilich gemeldeten Unfälle. Die Dunkel-
zeichnet werden. Diese dienen als Klassifikations-        ziffer ist hoch, wie Analysen von Krankenhausdaten
schema, mit dem Unfälle bezüglich der räumlichen          in Verbindung mit den amtlich registrierten Unfällen
und zeitlichen Interaktion von Unfallbeteiligten in ei-   zeigen.
nem baulichen und situativen Kontext beschrieben          JUHRA et al. (2012) stellten im Rahmen einer Stu-
werden.                                                   die zu verunglückten Radfahrern im Umfeld von
In Ergänzung des bisherigen Kenntnisstands wird           Münster fest, dass von insgesamt 2.250 verletzten
für die ausgewählten Konstellationen eine Analyse         Radfahrern 1.527 (also knapp 68 %) nicht von der
vertiefender Datengrundlagen durchgeführt. Für            Polizei erfasst wurden und deshalb in der offiziellen
eine zielgerichtete Herangehensweise wird über-           Statistik nicht auftauchen. Zu einem ähnlichen Wert
prüft, welche Daten den Datenbedarf abdecken. Auf         (75 %) kommt die aktuelle Erhebung in Kranken-
Grundlage der final ausgewählten Datenbank der            häusern von VON BELOW (2016). Das hängt ins-
GIDAS werden Radverkehrsunfälle der abgeleite-            besondere mit der hohen Zahl von Alleinunfällen zu-
ten Konstellationen interdisziplinär analysiert und       sammen. VON BELOW (2016) geht für Alleinunfälle
die relevanten Einflussfaktoren identifiziert.            im Radverkehr bei leichten Verletzungen von einer
                                                          erwarteten Dunkelziffer von etwa 95 % aus. Ähnli-
Das Ergebnis ist die Anleitung zur Analyse von Rad-       che Befunde finden sich in Österreich. Laut KU-
verkehrsunfällen auf Grundlage des entwickelten           BITZKI (2013) werden in Österreich 80 % der
Phasenmodells der Einflussfaktoren. Dabei gilt es         Stürze von Radfahrern in der amtlichen Statistik
die relevanten Einflussfaktoren auf die Radver-           nicht erfasst. BAMBACH et al. (2013) berichten,
kehrssicherheit in dem Phasenmodell nicht für jede        dass nur 22 % aller in Krankenhäusern identifizier-
Fachdisziplin getrennt aufzuführen, sondern einen         ten verunglückten Radfahrer von der Polizei regis-
interdisziplinären Ansatz zur Analyse der Radver-         triert wurden, also eine Dunkelzifferquote von 78 %
kehrssicherheit zu schaffen. Das Analysevorgehen          besteht. Die Daten deuten darauf hin, dass es bei
wird abschließend beispielhaft durchgeführt.              Unfällen von Radfahrern eine hohe Dunkelziffer
                                                          gibt, die von der Schwere der Verletzung abhängt.
13

Schwerere Verletzungen werden häufiger gemeldet          3.2 Wissenschaftliche Erkenntnisse
als leichte Verletzungen, insbesondere bei Alleinun-         zur Verkehrssicherheit im Radver-
fällen. Bei einer ganzheitlichen Betrachtung der
Verkehrssicherheit von Radfahrern und insbeson-              kehr
dere bei Abwägung konkurrierender Verkehrssi-            Die durchgeführte Literaturrecherche basiert auf
cherheitsmaßnahmen unter Berücksichtigung des            den folgenden Grundlagen:
Aufwands, muss dies berücksichtigt werden.
                                                         • Veröffentlichungen bzw. Projekte der Bundesan-
Bei den 81.272 Radverkehrsunfällen im Jahr 2016             stalt für Straßenwesen,
verunglückten 81.274 Radfahrer, davon 393 tödlich.
Differenziert nach Ortslage verunglückten 90,4 %         • Veröffentlichungen bzw. Projekte der Unfallfor-
der Radfahrer innerhalb und 9,6 % der Radfahrer             schung der Versicherer (UDV) im Gesamtver-
außerhalb von Ortschaften (DESTATIS, 2017).                 band der Deutschen Versicherungswirtschaft
Von den 81.272 Radverkehrsunfällen mit Personen-            e. V.,
schaden waren 78,3 % Unfälle mit zwei Beteiligten        • Veröffentlichungen bzw. Projekte der Europäi-
und 18,8 % Alleinunfälle. Dabei ist davon auszuge-          schen Kommission,
hen, dass gerade Alleinunfälle in der amtlichen Un-
fallstatistik noch stärker unterrepräsentiert sind als   • (Internet-)Fachzeitschriften (u. a. Accident Ana-
Unfälle mit mindestens einem weiteren Beteiligten           lysis & Prevention),
(VON BELOW, 2016). Letzteren wird in der For-
schung ungleich mehr Aufmerksamkeit geschenkt            • Veröffentlichungen zu Fachtagungen (u. a. Inter-
als Alleinunfällen, die (der amtlichen Unfallstatistik      national Cycling Safety Conference).
nach) weniger häufig sind und in der Regel weitaus       Dabei wurden insbesondere die Forschungspro-
weniger schwere Unfallfolgen nach sich ziehen (JO-       jekte der Bundesanstalt für Straßenwesen sowie
HANNSEN/JÄNSCH, 2017). Meist gingen Alleinun-            der Unfallforschung der Versicherer berücksichtigt.
fälle auf einen Kontrollverlust auf geraden Strecken-    Bede Institutionen haben bereits zahlreiche For-
stücken zurück (46 %). 16 % ereigneten sich in Kur-      schungsprojekte zum Thema Radverkehrssicher-
ven bzw. beim Ein- und Abbiegen, und 10 % auf-           heit von Seiten der drei Fachdisziplinen Infrastruk-
grund einer unebenen Oberfläche. In 7 % der Fälle        turplanung, Verkehrspsychologie und Fahrzeug-
wurde der Unfall durch das Verhalten eines anderen       technik durchgeführt.
Verkehrsteilnehmers ausgelöst, ohne dass selbiger
unmittelbar am Unfall beteiligt war (z. B. übermäßi-     Darüber hinaus wurden insbesondere die Veröffent-
ges Bremsen zur Vermeidung eines Zusammensto-            lichungen, die im Rahmen der International Cycling
ßes). 4 % gingen auf gesundheitliche Probleme zu-        Safety Conference (ICSC) vorgestellt wurden, be-
rück. Offen bleibt, was den Kontrollverlust verur-       rücksichtigt. Die seit 2012 jährlich stattfindende in-
sacht hat, und wie man diesem entgegenwirken             ternationale Konferenz dient als Forum zur Vernet-
kann. Bei Rückgriff auf die polizeilich erfassten Un-    zung und zum Informationsaustausch von For-
fälle war der mit Abstand häufigste Unfallgegner         schern und Entwicklungsingenieuren auf dem Ge-
des Radfahrers das Pkw (74,5 %) und weitaus sel-         biet der Radverkehrssicherheit. Die Konferenzbei-
tener ein anderer Radfahrer (8,7 %) oder ein Fuß-        träge stehen in Form von dreiseitigen Kurzberichten
gänger (6,4 %). Am häufigsten registrierte die Poli-     im Internet zur Verfügung. Von den Konferenzen
zei bei den Radfahrern die falsche Straßenbenut-         der Jahre 2012, 2014 und 2016 stehen die zur Teil-
zung (13,2 % der Beteiligten) als Fehlverhalten          nahme eingereichten Forschungsberichte zur Ver-
(DESTATIS, 2017).                                        fügung.
SCHRECK (2016) hat in einer Analyse des dreistel-        Mit Ausnahme einer Forschungsarbeit aus dem
ligen Unfalltyps in der amtlichen Unfallstatistik für    Jahr 1996 sowie einer weiteren ohne Jahresangabe
den Zeitraum von 2008 bis 2012 festgestellt, dass        berücksichtigt die Literaturrecherche 63 For-
Einbiegen-/Kreuzen-Unfälle und Abbiege-Unfälle           schungsarbeiten aus den Jahren 2009 bis 2017.
den größten Anteil des Unfallgeschehens im Rad-          Von den insgesamt 65 betrachteten Forschungsar-
verkehr ausmachen. Dabei fällt insbesondere der          beiten berücksichtigen 27 den Fachbereich Infra-
Einbiegen-/Kreuzen-Unfall zwischen einbiegenden          strukturplanung, 24 den Fachbereich Verkehrspsy-
Fahrzeugen und links fahrenden von rechts kom-           chologie und 37 den Fachbereich Fahrzeugtechnik
men Radfahrern (Unfalltyp 342) hinsichtlich seines       (als einzelner Fachbereich oder in Kombination).
hohen Anteils am Unfallgeschehen – weniger auf-          Eine weitere Fachdisziplin im Hinblick auf die Rad-
grund der Unfallschwere – auf. Innerhalb von Ort-        verkehrssicherheit ist u. a. die Verkehrsmedizin. 46
schaften treten vergleichsweise mehr Unfälle durch       der betrachteten Forschungsarbeiten behandeln
ruhenden Verkehr auf als außerhalb. Außerhalb von        das Thema Radverkehrssicherheit aus der Sicht ei-
Ortschaften treten dagegen anteilig häufiger Unfälle     ner, weitere 12 aus der Sicht von zwei und 7 aus der
im Längsverkehr auf.
14

Sicht von drei oder mehr Fachdisziplinen. 1 Dabei              Unfälle mit Personenschaden und einem Schaden-
werden die Ergebnisse insbesondere durch Unfall-               aufwand von mindestens 15.000 Euro (siehe hierzu
analysen, Verhaltensbeobachtungen und Befragun-                HUMMEL/LANG, 2016).
gen – oftmals aufbauend auf einer Literaturrecher-             Von den insgesamt 65 betrachteten Forschungsar-
che – generiert. Weitere eingesetzte wissenschaft-             beiten beschäftigen sich 19 Arbeiten mit Radver-
liche Methoden sind u. a.                                      kehrssicherheit ohne dabei auf Maßnahmen zur
• Erhebungen (z. B. Geschwindigkeitsmessun-                    Verbesserung dieser einzugehen. Bei den übrigen
     gen, Verkehrszählungen),                                  Forschungsarbeiten wurden gleichermaßen Maß-
                                                               nahmen analysiert und empfohlen. Dabei wurden
• wissenschaftliche Experimente (Labor- und                    insbesondere legislative (27 Arbeiten) und infra-
     Feldexperimente),                                         strukturelle (23 Arbeiten) Maßnahmen betrachtet.
                                                               17 der betrachteten Forschungsarbeiten beziehen
• Simulationen (z. B. von Radfahrer-Pkw-Kollisio-              sich auf psychologische Maßnahmen (Information,
     nen),                                                     Übung), zehn auf Warn- und Schutzkleidung und
                                                               neun auf fahrzeugtechnische Maßnahmen.
• statistische Tests bzw. multivariate Analysen,
                                                               Über die Hälfte der betrachteten Forschungsarbei-
• Expertenworkshops.                                           ten bezieht sich auf Deutschland oder den europäi-
Dabei beschränken sich die Forschungsarbeiten je-              schen Raum (EU bzw. einzelne europäische Län-
doch nicht grundsätzlich auf eine wissenschaftliche            der). Dabei wird überwiegend entweder eine Stich-
Methode, sondern nutzen oftmals eine Mischung                  probe des gesamten Verkehrsnetzes betrachtet –
aus Methoden für unterschiedliche Fragestellun-                also Strecken und Knotenpunkte inner- und außer-
gen. Dies beinhaltet z. B. Literaturrecherchen zur             orts – oder der Fokus wird auf den Innerortsbereich
Feststellung des aktuellen Kenntnisstands, Befra-              gelegt. Bei den übrigen Forschungsarbeiten ist der
gungen von Kommunen zur Auswahl geeigneter                     Untersuchungsraum irrelevant, da die eingesetzten
Strecken oder Knotenpunkte für Erhebungen, Un-                 wissenschaftlichen Methoden keinen räumlichen
fallanalysen zur Identifikation der Unfallumstände,            Bezug aufweisen.
Verhaltensbeobachtungen zur Identifikation der
Verhaltensmuster der Verkehrsteilnehmer sowie
Befragungen zur Identifikation der Motivation und              3.2.1 Erkenntnisse aus der Infrastrukturpla-
Einstellung der Verkehrsteilnehmer.                                  nung

Eine wesentliche Datengrundlage sind Unfalldaten.              Die Infrastrukturplanung hat die Aufgabe, den Ver-
Diese werden in Deutschland u. a. den frei zugäng-             kehrsteilnehmern sichere und leistungsfähige Ver-
lichen Veröffentlichungen des Statistischen Bun-               kehrsanlagen zur Verfügung zu stellen. Daher ist für
desamts bzw. der Statistischen Landesämter, und                den Infrastrukturplaner insbesondere von Interesse,
bei vertieften Betrachtungen den polizeilichen Ver-            an welchen Örtlichkeiten auffällig viele Radver-
kehrsunfallanzeigen entnommen. Weitere verwen-                 kehrsunfälle auftreten. So können beispielsweise
dete Datenquellen sind die nicht-öffentlich zugäng-            nach dem Merkblatt zur Örtlichen Unfalluntersu-
liche German In-Depth Accident Study (GIDAS) und               chung in Unfallkommissionen (MUko, 2012) Unfall-
die Unfalldatenbank (UDB) der UDV.                             häufungen anhand von Unfalltypenkarten identifi-
                                                               ziert werden.
GIDAS ist ein Projekt der Bundesanstalt für Stra-
ßenwesen und der Forschungsvereinigung für Au-                 EVGENIKOS et al. (2016) vergleichen das Unfall-
tomobiltechnik (FAT). Seit 1999 werden in Dresden              geschehen von 27 europäischen Ländern (u. a.
und Hannover jährlich rund 2.000 Unfälle mit Perso-            auch Deutschland) und kommen zu dem Schluss,
nenschaden anhand von Dokumentationen an der                   dass das Unfallgeschehen von der Fahrradnutzung
Unfallstelle, Befragungen der Unfallbeteiligten und            und der zur Verfügung gestellten Infrastruktur ab-
der Erhebungen weiterer Informationen in Zusam-                hängig ist. Insbesondere dort, wo der Modal Split-
menarbeit mit der Polizei, Krankenhäusern und Ret-             Anteil des Radverkehrs hoch ist, sind Radfahrer
tungskräften aufgenommen (BAST, 2015).                         auch am Unfallgeschehen stärker beteiligt. In Müns-
                                                               ter waren laut ORTLEPP (2009) in den Jahren 2004
Die UDB der UDV wurde zu Forschungszwecken                     bis 2006 fast die Hälfte aller Unfälle mit Personen-
entwickelt und enthält Daten zu Kraftfahrzeughaft-             schaden Radverkehrsunfälle, d. h. Unfälle mit Be-
pflichtschäden, die dem Gesamtverband der Deut-                teiligung von Radfahrern.
schen Versicherungswirtschaft e. V. von den deut-
schen Versicherungsunternehmen gemeldet wer-
den. Berücksichtigt sind darin jedoch ausschließlich
1                                                              dargestellten Beteiligungsumfang der einzelnen Fachdisziplinen
 Es ist nicht davon auszugehen, dass sich die Bedeutung der
Fachdisziplinen bzgl. der Radverkehrssicherheit aus dem hier   in den zusammengetragenen Literaturquellen ablesen lässt.
15

KOLREP-ROMETSCH et al. (2013) bemerken da-              doch geringer ist als auf Strecken ohne Schutzstrei-
gegen, dass durch ein höheres Radverkehrsauf-           fen. Dabei kann die höhere Unfalldichte auf Stre-
kommen der KfzvVrkehr für den Radverkehr sensi-         cken mit Schutzstreifen jedoch auch aus der höhe-
bilisiert wird. Auch SCHEPERS et al. (2015b) be-        ren Nutzungsintensivität resultieren. Entscheidend
gründen die hohe Radverkehrssicherheit in den           für die Verträglichkeit von Rad- und Kfz-Verkehr
Niederlanden mit dem hohen Radverkehrsanteil am         sind die jeweiligen Verkehrsstärke und die Fahr-
Modal Split und dem damit erhöhten Bewusstsein          bahnbreite. Hohe Kfz- und Radverkehrsstärken bei
für Radfahrer. Zusätzlich geht mit der erhöhten         geringen Fahrbahnbreiten führen zu kritischen
Fahrradnutzung eine Reduktion der Nutzung von           Überholabständen. Ein Einfluss der Schwerver-
Kfz einher. Somit nimmt die Exposition zu dem (ins-     kehrsstärke auf die Verkehrssicherheit ist dagegen
besondere hinsichtlich der Unfallschwere gefähr-        nicht erkennbar. Für vierstreifige Querschnitte las-
lichsten) Unfallgegner, dem Kfz ab. Zudem werden        sen sich aufgrund der geringen Anzahl von Stre-
vor allem dort, wo Radverkehrsbelastungen hoch          cken mit Schutzstreifenführung kaum Aussagen
sind, die Entwicklungen hinsichtlich einer sicheren     treffen.
Radverkehrsinfrastruktur vorangetrieben. So wur-
                                                        ALRUTZ et al. (2009) stellen die objektive und sub-
den auch in Münster auf Grundlage des Unfallge-
                                                        jektive Radverkehrssicherheit von (nicht bzw. be-
schehens in Unfallhäufungen insbesondere Maß-
                                                        nutzungspflichtigen) Radwegen, Radfahrstreifen
nahmen zur Reduktion der Radverkehrsunfälle
                                                        und Schutzstreifen unter Berücksichtigung der re-
empfohlen (vgl. ORTLEPP, 2009).
                                                        gelkonformen oder regelwidrigen Nutzung dieser
Radverkehrsführung                                      Radverkehrsanlagen gegenüber. Dabei wird festge-
                                                        stellt, dass die Akzeptanz aller Radverkehrsführun-
Für die Bewertung der Radverkehrssicherheit wid-
                                                        gen recht hoch ist. Eine generelle Präferenz für
men sich zahlreiche Forschungsarbeiten aus dem
                                                        Radwege, Radfahrstreifen oder Schutzstreifen kön-
Bereich Infrastrukturplanung dem Vergleich ver-
                                                        nen ALRUTZ et al. (2009) unter Voraussetzung der
schiedener Führungsformen für den Radverkehr.
                                                        Berücksichtigung sicherheitsrelevanter Entwurfs-
Dabei stehen in Deutschland auf der Strecke und im
                                                        merkmale und betrieblicher Anforderungen nicht
Zulauf der Knotenpunkte die folgenden gängigen
                                                        treffen. Auch die Benutzungspflicht hat nur einen
Führungsformen zur Wahl:
                                                        geringen Einfluss auf die Radverkehrssicherheit.
• Mischverkehr mit Kfz auf der Fahrbahn (mit und        Die Verkehrssicherheit auf den verschiedenen Rad-
   ohne Schutzstreifen),                                verkehrsanlagen wird vielmehr auch durch einzelne
                                                        sicherheitsrelevante Entwurfsmängel nachteilig be-
• Radfahrstreifen,                                      einflusst. Ein Zusammenhang zwischen der Kfz-
                                                        Verkehrsstärke und Radverkehrssicherheit wird
• baulich abgetrennter Radweg und                       (auch bei Schutz- und Radfahrstreifen) nicht gese-
                                                        hen.
• gemeinsamer Geh- und Radweg.
                                                        SCHLÄGER et al. (2016) beschäftigen sich mit dem
Diese Führungsformen können darüber hinaus
                                                        Radverkehr auf Fahrradstraßen und für den Rad-
durch ihre Benutzungspflicht und Fahrtrichtung
                                                        verkehr in Gegenrichtung geöffnete Einbahnstra-
(Einrichtungs- oder Zweirichtungsverkehr) unter-
                                                        ßen. Fahrradstraßen sind meist Teil des Radhaupt-
schieden werden.
                                                        verkehrsstraßennetzes. Andere Fahrzeuge als das
Als Grundlage für die Planung, den Entwurf und den      Fahrrad können mittels Beschilderung zugelassen
Betrieb von Radverkehrsanlagen dienen die gelten-       werden. Die Fahrradstraße wird grundsätzlich posi-
den Richtlinien, Empfehlungen und Merkblätter. Ins-     tiv wahrgenommen und die Unfallschwere ist im
besondere sind hier die Richtlinien für die Anlage      Vergleich zum bundesweiten innerörtlichen Durch-
von Stadtstraßen (RASt, 2006) sowie die Empfeh-         schnitt geringer. Auffällig sind bei dieser Führungs-
lungen für Radverkehrsanlagen (ERA, 2010) zu            form die Einbiegen-/Kreuzen-Unfälle im Knoten-
nennen.                                                 punkt durch die Missachtung der Vorfahrtsregelun-
                                                        gen durch den Kfz-Verkehr sowie die Unfälle im Zu-
OHM et al. (2015) vergleichen die innerörtliche Füh-    sammenhang mit dem ruhenden Verkehr auf der
rung des Radverkehrs im Mischverkehr mit und            Strecke (z. B. durch öffnende Türen parkender
ohne Schutzstreifen auf zwei- bzw. vierstreifigen in-   Fahrzeuge oder durch ein- und ausparkende Fahr-
nerörtlichen Hauptverkehrsstraßen hinsichtlich der      zeuge). Zu beachten ist, dass vielen Verkehrsbetei-
Verkehrssicherheit und des Verkehrsablaufs. Durch       ligten die Fahrradstraße als Infrastrukturelement e-
Schutzstreifen wird die Nutzung der Fahrbahn für        her nicht bekannt ist. Hinsichtlich Einbahnstraßen,
den Radfahrer attraktiver und Konflikte im Seiten-      die für den Radverkehr in Gegenrichtung geöffnet
raum durch den Radfahrer können vermieden wer-          sind, zeigt sich ebenfalls eine positive Bewertung
den. Im Ergebnis zeigt sich für zweistreifige Quer-     hinsichtlich der Radverkehrssicherheit.
schnitte, dass die Unfalldichte in Strecken mit
Schutzstreifen zwar höher, die Unfallschwere je-
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