INTERDISZIPLINARITÄT BEI SELTENEN KRANKHEITEN DISKUTIERT ANHAND DES KYPHOSKOLIOTISCHEN EHLERS-DANLOS-SYNDROMS

 
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INTERDISZIPLINARITÄT BEI SELTENEN
KRANKHEITEN DISKUTIERT ANHAND
DES KYPHOSKOLIOTISCHEN
EHLERS-DANLOS-SYNDROMS
Bianca Link, Thomas Dreher, Mazda Farshad, Georg Henze Oxenius, Alexander Möller, Angela Oxenius, Beth Padden,
Anna-Barbara Schlüer, Kevin Schmid, Markus Schmugge Liner, Martin Schubert, Matthias Baumgartner, Marianne Rohrbach

Vorspann                                                    Rahmenstruktur aufgebaut und es erfolgt keine Erar-
Eine interdisziplinäre Arbeitsweise bedeutet das Zu-        beitung gemeinsamer Lösungsstrategien. Jede Diszi-
sammenführen der Befunde und Beurteilungen meh-             plin definiert und bearbeitet ihre Problemstellung weit-
rerer unabhängiger Fachbereiche betreffend einer Fra-       gehend isoliert. Eine Synthese erfolgt lediglich durch
gestellung, bei welcher Methoden und Ergebnisse zu-         Zusammenführung der jeweils getrennt erzielten Er-
sammengetragen werden.                                      gebnisse. Dementsprechend stellt Multidisziplinarität
                                                            die schwächere, aber zeiteffizienteste Form der inhalt-
    In die Patientenversorgung und Wissenschaft sel-        lichen Kooperation bei fachübergreifender Arbeit dar.
tener Stoffwechselkrankheiten sind regelmässig ver-                                                                    Bianca Link
schiedene Disziplinen involviert, sodass Fragestellun-          Bei interdisziplinärer Zusammenarbeit werden
gen in der Regel nicht aus der Sicht eines einzelnen        Sichtweisen, Methoden und Ergebnisse zwischen ver-
Faches beurteilt werden und eine interdisziplinäre Zu-      schiedenen Disziplinen vermittelt und es ergeben sich
sammenarbeit notwendig ist.                                 daraus neue Lösungsstrategien, um ein optimales Er-
                                                            gebnis zu erzielen. Wesentlich ist dabei, dass über
Einführung                                                  Fachgrenzen hinweg ein Verständigungsprozess statt-
Bindegewebskrankheiten oder klassische Stoffwech-           findet, d.h. gemeinsam Probleme beschrieben und Lö-
selkrankheiten gehören zu den seltenen Krankheiten          sungen gefunden werden, sowie die Bewertung der
und sind in der Regel Multisystemerkrankungen. Beide        Qualität geteilt wird 3).
Krankheitsgruppen werden am Kinderspital Zürich in-
ter- und multidisziplinär betreut. Im Folgenden wird            Ob der multidisziplinäre oder interdisziplinäre An-
anhand konkreter Problemstellungen des kyphosko-            satz zu bevorzugen ist, hängt von der jeweiligen Pro-
liotischen Ehlers-Danlos-Syndroms (kEDS) die inter-         blemstellung ab. Können Teilaspekte der Problemstel-
disziplinäre Zusammenarbeit am Kinderspital Zürich          lung klar abgegrenzt und den beteiligten Disziplinen
und an der Universitätsklinik Balgrist beschrieben und      zugeordnet werden, ohne dass sich Interaktionen bei
diskutiert.                                                 deren Behandlung ergeben, profitiert man von der Ex-
                                                            pertise der Spezialisten und ihrer Fokussierung auf
     Das kEDS ist eine seltene, autosomal rezessiv ver-     den entsprechenden Teilbereich. Lässt sich eine sol-
erbte Bindegewebskrankheit. Es ist durch eine kon-          che Abgrenzung nur unzureichend definieren, ist eine
genitale, muskuläre Hypotonie, frühe und rasch pro-         Kooperation, die einen konzeptionellen und methodi-
grediente Skoliose, Hypermobilität und Instabilität von     schen Austausch beinhaltet, sinnvoll.
grossen und kleinen Gelenken, Hyperelastizität der
Haut, Gefässfragilität besonders der mittelkalibrigen           Eine Krankheit wird als selten bezeichnet, wenn
Arterien und der Aorta, die blauen Skleren, einen mar-      sie mit einer maximalen Prävalenz von 5-7:10’000 Per-
fanoiden Habitus und verschiedene Fussdeformitäten          sonen auftritt, wobei Variationen des Grenzwertes
(Pes planovalgus, Pes equinovarus) bei normaler In-         zwischen Ländern bestehen 4). Die Anzahl der an ei-
telligenz gekennzeichnet. Zugrunde liegen biallelische      ner einzelnen dieser Krankheiten leidenden Menschen
pathogene Mutationen in PLOD1 oder FKBP14, welche           ist damit zwar sehr gering, da aber ca. 6000-8000
die Diagnose bestätigen 1,2).                               seltene Krankheiten bekannt sind, sind ca. 6-8% der
                                                            Weltbevölkerung von diesen betroffen. Ein grosser An-
    Die Interdisziplinarität ist von der Multidisziplina-   teil seltener Krankheiten haben eine genetische
rität klar zu unterscheiden.                                Grundlage, bei anderen handelt es sich um seltene In-
                                                            fektionen, Autoimmunstörungen, etc. Seltene Krank-
    Unter Multidisziplinarität versteht man die neben-      heiten können frühzeitig letal verlaufen oder zu einer
läufige Bearbeitung durch voneinander unabhängige           dauerhaften Invalidität führen. Viele dieser Krankhei-
Fachbereiche, wobei zwischen den Disziplinen kein           ten weisen Symptome bereits postpartal oder im frü-
nennenswerterer methodischer, terminologischer oder         hen Kindesalter auf. Die Seltenheit jeder einzelnen        Korrespondenz:
konzeptioneller Austausch stattfindet. Im Unterschied       dieser Krankheiten erschwert dabei die Diagnosestel-       bianca.link
zur Interdisziplinarität wird dabei keine konzeptionelle    lung und medizinische Versorgung. Kausale Therapien        @kispi.uzh.ch

                     Vol. 32 | 1-2021                                                                                                  13
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      sind nur für einen Bruchteil der Krankheiten bekannt     die Abklärung mittels Aminosäuren-Profil in Urin und
      und zugelassen. Häufig ist nur eine symptomatische       Plasma, organischen Säuren im Urin und die CDG
      Therapie möglich5).                                      (Congenital Disorders of Glycosylation)-Abklärung
                                                               blieben wie Röntgen Thorax/Abdomen und Muskel-
          Wir stellen die interdisziplinäre Zusammenarbeit     Sonographie unauffällig.
      mit Zielsetzung der optimalen Versorgung der Skoliose
      und instabilen Fusssituation bei kEDS vor. Eine kau-         Von 3,5 Monaten bis 13 Jahre wurde der Patient
      sale Therapie für kEDS ist aktuell nicht verfügbar.      multidisziplinär in der Neurologie, Rehabilitation, dem
                                                               Stoffwechsel, der Kardiologie etc. des Kinderspitals
      Fallbeschreibung                                         Zürich betreut (Abbildung 2). Die Konsultationen der
      Der im Jahr 2020, 12 ¾ jährige männliche Patient mit     Rehabilitation und des Stoffwechsels erfolgten seit
      kEDS wurde erstmalig im Alter von 3,5 Mo. mit Trink-     Diagnosestellung 12/2008 interdisziplinär.
      schwäche und muskulärer Hypotonie (floppy infant)
      und Kontrakturen von Ellenbogen, Handgelenken, Hüf-          Mit Diagnosestellung im Alter von 9 Mo. wurde
      ten und Sprunggelenken im Kinderspital Zürich vor-       eine jährliche multidisziplinär geführte kardiologische
      gestellt. Im Rahmen dieser Konsultation fielen neben     Mitbeurteilung inklusive Echokardiographie und EKG
      unspezifischen Dysmorphiezeichen (Epikanthus, fla-       zur Früherfassung allfälliger Klappenveränderungen
      cher Nasenrücken, tiefliegende Ohren, Retrognathie),     oder Aortenmanifestationen durchgeführt, welche
      ein Pectus excavatum, der schmale Schultergürtel,        stets unauffällig blieb (Abbildung 2).
      Hackenfüsse mit einer maximalen Plantarflexion von
      30°, fixierte eingeschlagene Daumen und eine Kyphose         Multidisziplinär wurde zudem im Alter von 3,2 J.
      des thorakolumbalen Übergangs ohne Keilwirbelbil-        die Urologie bei Kryptorchismus mit Orchidopexie bds.
      dung auf. (Abbildung 1)                                  und im Alter von 3,3 J. die plastische Chirurgie bei El-
                                                               lenbogenverletzung mit hypertropher Narbenbildung
           Schon postpartal war der termingerecht per Sec-     aufgrund eines Velosturzes sowie tibialer Schnittver-
      tio geborene Knabe durch eine insuffiziente Spontan-     letzung bei Anpralltrauma involviert (Abbildung 2).
      atmung und schlechtes Saug- und Trinkverhalten auf-
      gefallen, sodass initial die Ernährung über Magen-       1. Interdisziplinäre Problemstellung: Skoliose
      sonde und ein 2-tägiger Neonatologieaufenthalt           Im Alter von 2,6 J. wurde erstmalige eine lumbale
      notwendig wurden. Das Neugeborenenscreening und          rechtskonvexe Skoliose von 15° festgestellt. Diese

      Abbildung 1: Klinischer Habitus bei kEDS mit unspezifischen Dysmorphiezeichen und Röntgen der Wirbelsäule
      seitlich im Liegen mit erhaltenem Alignement ohne spezifische Zeichen für eine Skelettdysplasie im Alter
      von 3,5 Mo.

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Fortbildung

           Orthopädie

            Neurologie

  plastische Chirurgie

              Urologie

           Kardiologie

         Rehabilitation

       Neuropädiatrie

         Stoffwechsel

                          02                  46                  8         10        12        14        16
                                                                Jahre

Abbildung 2: In die Patientenversorgung involvierte Disziplinen in Abhängigkeit vom Patientenalter in Jahren bei
männlichem Patient kEDS.

blieb 8 Jahre stabil und wurde seitens der Rehabilita-     sikos bei Multisystemerkrankung übernimmt (s. Ab-
tion und des Stoffwechsels interdisziplinär klinisch       bildung 6 «Festlegen fallführender Disziplin bezogen
und radiologisch jährlich kontrolliert. Der Knabe zeigte   auf die jeweilige Problemstellung»).
die gesamte Kindheit einen Grosswuchs mit einem
Wachstum jenseits der 97ten Perzentile. Bei einer               Die verschiedenen involvierten Disziplinen (Or-
Grösse von 167cm im Alter von 10,6 J. zeigte die Sko-      thopädie, Kardiologie, Pneumologie, Anästhesie, In-
liose eine rasche Progredienz auf lumbal rechtskon-        tensivmedizin) wurden dementsprechend per Mail
vex 35° und thorakal linkskonvex 31°, weswegen inter-      kontaktiert und über Art und Zeitpunkt des anste-
disziplinäre Konsultationen Stoffwechsel/Orthopädie        henden Eingriffs, sowie die möglichen Probleme der
etabliert wurden (s. Abbildung 6 «Inter- und multi-        Grunderkrankung informiert (s. Abbildung 6 «Mul-
disziplinäres follow-up der Patientin/des Patienten»);     tidisziplinäres Sammeln fachspezifischer Teilaspekte
ebenso wurde eine Korsett Versorgung sowie die Fo-         der Problemstellung …»). Gleichzeitig wurde eine in-
kussierung der jahrelangen Physiotherapie auf die Wir-     terdisziplinäre Gesprächsrunde initiiert (s. Abbildung
belsäulenstabilisierung etabliert. Das Korsett wurde       6 «Interdisziplinäre Gesprächsrunde ….»).
konsequent 23h tgl. getragen und ein physiotherapeu-
tisches Eigenprogramm regelmässig durchgeführt.                 Folgende mögliche Manifestationen wurden in die-
Besondere Schwierigkeiten bereiteten bei den typi-         sem interdisziplinären Gespräch ohne Patient oder El-
schen fragilen Hautverhältnissen des kEDS die rasch        tern (Stoffwechsel, Intensivmedizin, Anästhesie, Haut-
auftretenden Druckstellen durch das Korsett, welche        pflege) diskutiert und entsprechende Massnahmen
auch durch mehrfache Anpassung nicht ganz vermie-          festgelegt (s. Abbildung 6 «Festlegung des weiteren
den werden konnten. Aufgrund dieser Problematik ei-        Procederes»). Dabei wurden auch zur Risikominimie-
nigte man sich im Rahmen der interdisziplinären Kon-       rung Manifestationen, welche bei anderen EDS-For-
sultationen mit Orthopädie und Stoffwechsel auf eine       men beschrieben sind, antizipiert und einbezogen, da
stabilisierende Korsettversorgung statt der standard-      kEDS mit weltweit weniger als 100 Fällen sehr selten
mässigen korrigierenden Korsettversorgung und be-          ist und wenig Erfahrung zu perioperativen Komplika-
zog die Hautpflege des Kinderspitals frühzeitig in die     tionen vorliegt. (Tabelle 1)
interdisziplinären Konsultationen ein. Diese führte ein
Hautpflege- und Wundregime ein, so dass offene Haut-            Die daraus resultierenden Schritte zur optimalen
läsionen abheilten und weitere vermieden werden            Operationsvorbereitung, sowie die Kontaktaufnahme
konnten. Bei weiterer Progression der Skoliose inner-      mit weiteren Disziplinen (Neurologie, Hämatologie,
halb von 4 Monaten wurde im Rahmen der interdiszi-         Ophthalmologie, Gefässchirurgie) wurden von Stoff-
plinären Konsultation (Stoffwechsel/Orthopädie/            wechsel, Wirbelsäulenchirurgie, Orthopädie und Haut-
Hautpflege) die Indikation zur operativen Stabilisie-      pflege teils inter- teils multidisziplinär mit dem jewei-
rung im Februar 2020 gestellt (s. Abbildung 6 «Pro-        ligen Spezialisten koordiniert (s. Abbildung 6: «Um-
blemstellung»). Im Rahmen dieser Konsultation wurde        setzung unter der Fallführung der festgelegten
auch festgelegt, dass die Orthopädie des Kinderspi-        Fachdisziplin») und in einem interdisziplinären Ge-
tals die OP-Planung mit der Wirbelsäulenchirurgie der      spräch dem Patienten und seinen Eltern kommuni-
orthopädischen Universitätsklinik Balgrist übernimmt,      ziert. Alle eintreffenden Ergebnisse, Fragen, etc. wur-
die Hautpflege die Organisation des perioperativen         den durch den Stoffwechsel an alle involvierten Dis-
hautprotektiven Settings und der Stoffwechsel das in-      ziplinen kommuniziert. Bei Eintritt des Patienten stand
terdisziplinäre Einbeziehen der notwendigen Diszipli-      dementsprechend ein klares Konzept für Aufenthalt,
nen zur Sicherstellen eines minimalen operativen Ri-       perioperatives Management (Lagerung, fiberoptische

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Fortbildung

       Mögliche Manifestationen       Problemstellung                    Massnahme
       des kEDS

       1. Fragilität der Haut         • Risiko für Wundheilungs-         • Information an Operateur
          und des sonstigen             störungen                        • Intra-, peri- und postoperatives, hautpro-
          Bindegewebes                • Risiko für Druckstellen /          tektives Setting
                                        Dekubiti                         • Anpassung Op- und Naht-Technik
                                      • Schlechte Verankerung            • Verlängertes Belassen des Nahtmaterials,
                                        von Instrumentarien                kein Verwenden intrakutaner Nahttech-
                                      • Erhöhtes Risiko für Rezidive,      niken
                                        Anschluss-instabilitäten         • Fiberoptische Intubation
                                        oder -komplikationen             • Vorstellung Ophtalmologie präop
                                      • Intraoperativer Druck
                                        auf Augen in Bauchlage

       2. Fragilität der Gefäße       • Arterielle Rupturen              • Information an Operateur
                                        ohne vorangehende                • Information an Anästhesie und Intensiv-
                                        Dilatation auch fern               medizin für optimales peri- und
                                        vom Operationssitus                postoperatives Management zur Ver-
                                                                           meidung von Blutdruckspitzen
                                                                         • Präop Echo/EKG/Kardiologie
                                                                         • Information Gefässchirurgie über Art
                                                                           und Zeitpunkt des Eingriffs für stand by
                                                                         • Atraumatische sonographische Punktio-
                                                                           nen / Verzicht auf zentralvenöse
                                                                           Punktion
                                                                         • Optimale intra- und postoperative
                                                                           Analgesie
                                                                         • Postoperative Intensivüberwachung

       3. Pathologien                 • Risiko einer Tetraparese         • Information an Operateur
          des craniocervicalen          im Fall einer signifikanten      • MRI der spinalen Achse präoperativ
          Übergangs                     craniocervicalen Stenose         • SSEP präoperativ
                                        und / oder bei der Skoliose-     • Intraoperatives Neuro-Monitoring
                                        korrektur                          (MEP und SSEP)
                                                                         • Fiberoptische Intubation

       4. Gerinnungsabnorma-          • Blutungsrisiko, perio-           • Einbeziehen Hämatologie
          lität / Thrombozyten-         peratives Management             • Präoperativ: wiederholte Abklärung
          funktionsstörung                                                 Gerinnung / Thrombozytenfunktion
                                                                         • Perioperativ: Tranexamsäure / DDAVP /
                                                                           Fibrinogen

      Tabelle 1: Ergebnisse des präoperativen, interdisziplinären Gesprächs (Stoffwechsel, Intensivmedizin, Anästhesie,
      Hautpflege) mit möglichen Manifestationen der Grunderkrankung, sich daraus ergebender Problemstellung und zu
      treffende Massnahmen. 6,7,8,9)

      Intubation, atraumatische sonographische Punktio-          versorgt. Bereits im Rahmen der ersten interdiszipli-
      nen/Verzicht auf zentralvenöse Punktion, intraopera-       nären Skoliosebeurteilung wurde die Operationsindi-
      tives Neuro-Monitoring, Gerinnungsmanagement/              kation für beide Deformitäten diskutiert, welche De-
      Transfusion, optimale intra- und postoperative Anal-       formität prioritär behandelt werden muss und ob der
      gesie, postoperative Intensivüberwachung, gefässchi-       Eingriff an der unteren Extremität mit dem der Wir-
      rurgisches standby) und Nachsorge für alle beteilig-       belsäule kombinierbar wäre. Aufgrund des erhöhten
      ten Disziplinen, sowie eine schriftliche Zusammenfas-      Risikos wurde von einem einzeitigen operativen Vor-
      sung möglicher Notfälle und den Kontaktdaten der           gehen mit entsprechend langer Operationszeit abge-
      zuständigen Personen zur Verfügung. So konnte ein          sehen. Bei rascher Progression war zudem der Wir-
      komplikationsloser Operationsverlauf und Intensiv-         belsäuleneingriff prioritär zu behandeln. Im Anschluss
      aufenthalt im April 2020 erzielt werden. (Abbildung 3)     an die Rekonvaleszenz nach dorsaler Spondylodese
                                                                 wurde daher im Alter von 12,4 J. entsprechend dem
      2. Interdisziplinäre Problemstellung:                      Ablauf in Abbildung 6 in einer interdisziplinären Kon-
      Deformitäten der unteren Extremität                        sultation (Orthopädie, Stoffwechsel, Hautpflege) die
      Neben der Skoliose bestand ein torsional Malaligne-        Indikation zur distalen aussenrotierenden, flektieren-
      ment mit erhöhter femoraler Antetorsion, erhöhter          den und varisierenden Femurosteotomie bds., dista-
      tibialer Aussenrotation und ausgeprägtem Pes plano-        len, innenrotierenden Tibiaosteotomie bds. in Kombi-
      valgus bds. Die Füsse des Patienten waren seit dem         nation mit einer korrigierenden, talonavicularen Ar-
      Kleinkindesalter mit knöchelübergreifenden Orthesen        throdese bds. gestellt. (Abbildung 4)

16                                                                                  Vol. 32 | 1-2021
Fortbildung

                                  Abbildung 3:
                                  Röntgen der Wirbelsäule a.p.:
                                  Ausgangsbefund
                                  (08/2017),
                                  Progress der Skoliose
                                  (11/2018),
                                  mit Korsett
                                  (12/2018),
                                  präoperative
                                  (2/2020)
                                  und postoperativ nach dorsaler
                                  Spondylodese
                                  (11/2020).

              Vol. 32 | 1-2021                               17
Fortbildung
                                          Abbildung 4: EOS-Orthoradiogramm vor
                                          Mehretagenkorrektur mit Torsional-Mala-
                                          lignment sichtbar anhand der Innenrotati-
                                          onsstellung im Oberschenkel (beachte:
                                          Patella ist deutlich einwärts rotiert) bei
                                          vermehrter Aussentorsion im Unterschen-
                                          kel (beachte: Sprunggelenk ist trotz der
                                          Innentorsionstellung a.p. getroffen) bei
                                          deutlich varischer Beinachse.

                                                 Abbildung 5: Auffällige Wundverhältnisse am Malleolus medialis links 5 Wo
                                                 postoperativ mit Schwellung, livider Verfärbung und minimaler Dehiszenz
                                                 und 6 Wo postoperativ mit reizlosen Wundverhältnissen.

          Wie bereits beim ersten Eingriff wurden alle invol-    klärungen entsprechend der Rückmeldungen (Anäs-
      vierten Disziplinen seitens des Stoffwechsels und der      thesie, Intensivmedizin, Hämatologie, Kardiologie,
      Orthopädie kontaktiert und die fachspezifischen Ab-        Pneumologie, Gefässchirurgie) initiiert. Aufgrund der

                           Inter- und multidisziplinäres follow up der Patientin / des Patienten

                                                      Problemstellung

                                              Festlegen fallführender Disziplin
                                                 bezogen auf die jeweilige
                                                      Problemstellung

            Multidisziplinäres Sammeln fachspezifischer Teilaspekte der Problemstellung durch fallführende
                                  Disziplin per Mail oder persönlicher Kommunikation

                                       Interdisziplinäre Gesprächsrunde ohne Patient
                                               mit beteiligten Fachdisziplinen

                                            Festlegen des weiteren Procederes

                                             Umsetzung unter der Fallführung
                                              der festgelegten Fachdisziplin

      Abbildung 6: Ablauf des interdisziplinären Vorgehens des Kinderspitals Zürich.

18                                                                                    Vol. 32 | 1-2021
Fortbildung
zeitlichen Nähe zum vorangegangenen Eingriff war ein       mieren und generiert fächerübergreifende Einsicht
erneutes interdisziplinäres Gespräch nicht notwendig.      und Expertise. Interdisziplinäre und multidisziplinäre
Der Eingriff verlief im September 2020 peri- und           Arbeitsweisen können dabei je nach Problemstellung
postoperativ komplikationslos. Im Rahmen der Reha-         kombiniert werden. Entscheidend ist die Festlegung
bilitation fiel 5 Wo. postoperativ bei Belastungsauf-      der Führung durch eine Fachdisziplin anhand der Pro-
nahme eine Rötung, Schwellung und livide Verfärbung        blemstellung, die sich für den Informationsfluss und
im Bereich des Malleolus medialis bds., sowie eine         die Organisation verantwortlich zeigt. Je nach Pro-
kleine, distale Nahtdehiszenz am Malleolus medialis        blemstellung kann diese wechseln.
links auf (Abbildung 5). Es erfolgte eine interdiszipli-
näre Beurteilung (Rehabilitation, Hautpflege, Ortho-       Literatur:
pädie, Stoffwechsel) mit Festlegung des angepassten        1) Hyland J, Ala-Kokko L, Royce P, Steinmann B, Kivirikko K. I,
                                                              Myllylä R. Homozygous stop codon in the lysylhydroxylase gene
Wundregimes und einer adaptierten Belastungsauf-              in two siblings with EhlersíÄêDanlos syndrome type VI. Nat
nahme, was innerhalb einer Woche zu blanden Wund-             Genet 1992/2(3): 228-31.
verhältnissen führte.                                      2) Baumann M, Giunta C, Krabichler B, Rüschendorf F, Zoppi N,
                                                              Colombi M, et al. Mutations in FKBP14 cause a variant of
                                                              Ehlers-Danlos syndrome with progressive kyphoscoliosis,
    Der weitere Verlauf blieb komplikationslos und der        myopathy, and hearing loss; Am J Hum Genet. 2012/
                                                              90(2):201-16
Patient konnte 12,5 Wo. postoperativ beschwerdefrei
                                                           3) Defila R, Di Giulio A, Scheuermann M.
und mit guten Stellungsverhältnissen der Wirbelsäule          Forschungsverbundmanagement – Handbuch für die Gestaltung
und Füsse mobil nach Hause entlassen werden. Bis              inter- und transdisziplinärer Projekte, vdf Hochschulverlag an
                                                              der ETH Zürich, 2006
auf weiteres erfolgen follow up Untersuchungen inter-
                                                           4) Auvin S, Irwin J, Abi-Aad P, Battersby A. The Problem of Rarity:
disziplinär (Stoffwechsel, Orthopädie) und multidiszi-        Estimation of Prevalence in Rare Disease, Value in Health 21,
plinär (Kardiologie, Wirbelsäulenchirurgie, Hautpflege,       2018: 501-507
etc.).                                                     5) Nationales Konzept seltene Krankheiten: https://www.bag.
                                                              admin.ch/bag/de/home/krankheiten/krankheiten-im-
                                                              ueberblick/viele-seltene-krankheiten.html, letzte Änderung
    Das beschriebene Vorgehen ist eine typische Ver-          13.02.2020
knüpfung inter- und multidisziplinären Vorgehens bei       6) Henneton P, Legrand A, Giunta C, Frank M. Arterial fragility in
                                                              kyphoscoliotic Ehlers-Danlos syndrome, BMJ Case Rep. 2018
Bindegewebe-/Stoffwechselkrankheiten im Kinderspi-
                                                           7) Jesudas R, Chaudhury A, Laukaitis C.M. An update on the new
tal Zürich und folgt der in Abbildung 6 illustrierten         classification of Ehlers-Danlos syndrome and review of the
Vorgehensweise.                                               causes of bleeding in this population, Haemophilia, 2019 /
                                                              25(4):558-566.
                                                           8) Henderson F.C, Austin C, Benzel E, Bolognese P, Ellenbogen R,
Schlussfolgerung                                              Francomano C.A, et al. Neurological and spinal manifestations of
Eine interdisziplinäre Arbeitsweise in der Medizin kann       the Ehlers-Danlos syndromes, Am J Med Genet C Semin Med
bei seltenen Multisystemkrankheiten, wie angebore-            Genet. 2017 / 175(1):195-211
                                                           9) De Paepe A, Malfait F. Bleeding and bruising in patients with
nen Bindegewebe-/Stoffwechselkrankheiten, für Pa-             Ehlers-Danlos syndrome and other collagen vascular disorders.
tienten die Versorgung optimieren, das Risiko mini-           B. J. Haematol 2004; 127: 491-500.

Autoren
Dr. med. Bianca Link, Stoffwechselabteilung und Forschungszentrum für das Kind des Universitäts-
Kinderspital Zürich – Eleonorenstiftung, Zürich
Prof. Dr. med. Thomas Dreher, Orthopädieabteilung des Universitäts- Kinderspital Zürich –
Eleonorenstiftung, Zürich
Prof. Dr. med. Mazda Farshad, Wirbelsäulenchirurgie der Orthopädischen Universitätsklinik Balgrist, Zürich
Dr. med. Georg Henze Oxenius, Anästhesieabteilung des Universitäts- Kinderspital Zürich –
Eleonorenstiftung, Zürich
Alexander Möller, Fachbereich Peumologie, Universitäts- Kinderspital Zürich
Dr. med. Angela Oxenius, Kardiologieabteilung des Universitäts- Kinderspital Zürich – Eleonorenstiftung,
Zürich
Dr. med. Beth Padden, Rehablilitation des Universitäts- Kinderspital Zürich – Eleonorenstiftung, Zürich
Dr. med. Anna-Barbara Schlüer, Abteilung Pädiatrische Dermatologie, Universitäts- Kinderspital Zürich
Dr. med. Kevin Schmid, Intensivmedizin des Universitäts- Kinderspital Zürich – Eleonorenstiftung, Zürich
Dr. med. Markus Schmugge Liner, Hämatologie, Universitäts- Kinderspital Zürich
PD Dr. med. Martin Schubert, Neurologieabteilung der Orthopädischen Universitätsklinik Balgrist, Zürich
Prof Dr med. Matthias Baumgartner, Stoffwechselabteilung und Forschungszentrum für das Kind
Universitäts- Kinderspital Zürich – Eleonorenstiftung
PD Dr. med. Marianne Rohrbach, Stoffwechselabteilung und Forschungszentrum für das Kind
des Universitäts- Kinderspital Zürich – Eleonorenstiftung, Zürich

Die Autoren haben keine finanziellen oder persönlichen Verbindungen im Zusammenhang
mit diesem Beitrag deklariert.

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