IRSEER BLÄTTER zur Geschichte von Markt und Kloster Irsee - Helmut Zäh
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IRSEER BLÄTTER … zur Geschichte von Markt und Kloster Irsee Helmut Zäh Das Kloster Irsee am Vorabend der Säkularisation. Der letzte Abt Honorius Grieninger und sein Oberamtmann Marx Fidel von Bannwarth 5
IRSEER BLÄTTER zur Geschichte von Markt und Kloster Irsee Für das Schwäbische Bildungszentrum Irsee und die Geschichtswerkstatt Irsee herausgegeben von Stefan Raueiser und Christian Strobel Heft 5 / Februar 2021 Helmut Zäh Das Kloster Irsee am Vorabend der Säkularisation. Der letzte Abt Honorius Grieninger und sein Oberamtmann Marx Fidel von Bannwarth Für den Druck gekürzte Fassung einer Untersuchung des Autors über „Das Kloster Irsee zwischen Reform und Untergang. Der letzte Abt Honorius Grieninger und sein Oberamtmann Marx Fidel von Bannwarth“ (2019–2021). © Grizeto-Verlag. Irsee 2021. Alle Rechte, auch die des auszugsweisen Nachdrucks, der fotomechanischen Wiederg abe und der Übersetzung, vorbehalten. Dies betrifft auch die Verviel fältigung und Übertragung einzelner Textabschnitte durch alle Verfahren wie Speicherung und Übertragung auf Papier, Transparente, Filme, Bänder, Platten und andere Medien, soweit es nicht §§ 53 und 54 URG ausdrücklich gestatten. Gedruckt auf LuxoArt ® Samt, zertifiziert nach FSC, PEFC und EU Ecolabel. Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet (https://portal.dnb.de) abrufbar. ISSN 2628-4367 Umschlag Grundriß et Prospect über die Oekonomiegüter des Herrn August v. Bannwarth zu Irrsee (Ausschnitt). Kolorierte Federzeichnung, Mitte 19. Jh.; Privatbesitz. Repro: Volker Koneberg.
Geleitworte Im August 2019 erhielt das Der Kunst- und Kulturpfad der Schwäbische Bildungszentrum Marktgemeinde Irsee bietet von Kaufbeurens Oberbürger einen Ortsrundgang mit sechs meister Stefan Bosse und Stadt- Kunstwerken und 17 Infotafeln. archivar Dr. Peter Keller einen Die letzte Station ist dem „Ober- umfangreichen Buchbestand amtshaus“ am Fuß der Markt- aus dem Besitz des letzten straße gewidmet. Der repräsen Irseer Abtes. Damit kehrte nach tative Satteldachbau wurde Kloster Irsee zurück, was an diesen geschichtsträchti- 1720 als Wohnsitz des höchsten Verwaltungsbeamten gen Ort gehört, stammen die Bücherschätze doch aus im ehemaligen Klosterstaat Irsee errichtet. dem Nachlass von Honorius Grieninger, der in Irsee zunächst als Bibliothekar und Prior wirkte, bevor er Der Oberamtmann war im Auftrag des Abtes für alle 1784 zum Abt gewählt wurde. Gerichts-, Finanz- und Verwaltungsangelegenheiten des Unmittelbar nach seinem Amtsantritt sorgte sich Hoheitsgebiets zuständig, das neben Irsee selbst mehr Honorius Grieninger um die Bewirtschaftung der Irseer als zwanzig umliegende Dörfer und Weiler umfasste. Waldgebiete, ließ die Wasserversorgung des Klosters Seinen Dienstsitz hatte er im sogenannten Gerichts- verbessern und schloss eine Feuerversicherung für haus, das der Markt Irsee zwischen 2005 und 2009 die Klostergebäude und alle Anwesen des Irseer Herr- denkmalgerecht sanieren konnte, und in dem sich seit- schaftsgebiets ab. Wegen der hohen Säuglingssterb- dem auch unsere Geschichtswerkstatt befindet. lichkeit ließ er von einem Kaufbeurer Arzt Frauen Nach der Säkularisation, durch die das Kloster zunächst zu Hebammen ausbilden. Außerdem führte er eine in Staatsbesitz überging, erwarb der ehemalige Ober- Sommerschule zur Fortbildung von Jugendlichen ein. amtmann Marx Fidel von Bannwarth (1752–1838) das 1794 erhielt der bis heute bestehende Brunnen vor der Oberamtshaus mit den umliegenden Stallungen und Klosterfassade, der den Reichsadler als Hoheitszeichen Gärten. Er wandelte das Anwesen in einen Hof um, der trägt, sein Wappen. danach noch in mehreren Generationen bewirtschaftet Drei Jahre nach der Säkularisation seines Klosters ver- wurde. Noch heute befindet sich die Hofstelle in Privat ließ Abt Honorius Irsee und übersiedelte nach Kauf- besitz. beuren. Bei seinem Umzug nahm er auch eine umfang- reiche Privatbibliothek mit, die nach seinem Tod 1809 Die neue Ausgabe der IRSEER BLÄTTER zur Geschichte aufgelöst und zerstreut wurde. von Markt und Kloster Irsee unterrichtet uns nicht nur Angeregt durch ein Kooperationsprojekt des Schwäbi- über den letzten Abt von Kloster Irsee, sondern vor schen Bildungszentrums mit dem Stadtmuseum Kauf- allem über Leben und Wirken des Oberamtmanns, der beuren und der Staats- und Stadtbibliothek Augsburg 1787 in den Adelsstand erhoben wurde. zur Wiedersichtbarmachung der ehemaligen Irseer Klosterbibliothek, entschloss sich die Stadt Kaufbeuren, Der Markt Irsee hat nach von Bannwarth, der in Salz- unserer Bezirkseinrichtung über 100 Bände aus der burg Philosophie und Jura studierte und in seinen letz- Büchersammlung des letzten Irseer Abtes als Dauer- ten Berufsjahren in Ulm und München als bayerischer leihgabe anzuvertrauen. Beamter wirkte, im Jahre 1957 die Straße benannt, an Ergänzend zur Buchpräsentation zeichnen die vor der sich Kindergarten und Schule befinden. Die Wid- liegenden IRSEER BLÄTTER die Lebensgeschichte von mung erinnert an eine historische Persönlichkeit, die Honorius Grieninger nach und machen uns zudem mit Kloster Irsee auf den Kreistagen des Schwäbischen der Biographie seines Oberamtmannes bekannt, der Reichskreises vertrat und in den Bereichen Armen- sich ebenso wie der Abt um unser heute als Tagungs-, versorgung, Landschulen sowie Jagd- und Forstwesen Bildungs- und Kulturzentrum genutztes Kloster Irsee Reformen durchführte. verdient gemacht hat. Martin Sailer Andreas Lieb Bezirkstagspräsident von Schwaben 1. Bürgermeister Markt Irsee 3
Abb. 1: Ansicht des Irseer Oberamtshauses mit Nebengebäuden und Garten, darunter Plan des Grundstücks und der dazugehörigen landwirtschaftlichen Nutzflächen; kolorierte Federzeichnung, Mitte 19. Jh.; Privatbesitz. Repro: Volker Koneberg. 4
Helmut Zäh Das Kloster Irsee am Vorabend der Säkularisation. Der letzte Abt Honorius Grieninger und sein Oberamtmann Marx Fidel von Bannwarth In der Erforschung der Geschichte des Reichsstifts Irsee verfasste auch der ehemalige Klosterbibliothekar spielten die letzten beiden Jahrzehnte unter dem Abt Maurus Schleicher eine Geschichtliche Darstellung […] Honorius Grieninger und die Jahre nach der Säkularisa- des Reichs Stiftes Irrsee (Abb. 3)4 . Sein gleichfalls im tion bis zu dessen Tod und der endgültigen Auflösung Autograph erhaltenes Werk stellt im Wesentlichen nur des Klosters bislang allenfalls eine untergeordnete eine gekürzte deutschsprachige Paraphrase der bei- Rolle1. Über das Leben und Wirken des Oberamtmanns den älteren Chroniken von Emer und Grieninger dar Marx Fidel von Bannwarth, dessen Amtszeit sich mit und besitzt daher über weite Strecken keinen eigenen der des Abts nahezu deckt, war – obgleich in Irsee eine Quellenwert. In enger Anlehnung an seine Vorlage, den Straße nach ihm benannt wurde – fast überhaupt nichts zweiten Band der Chronik Grieningers, von dem ihm nur bekannt. Gleiches gilt für die ebenso ereignis- wie ent- das Konzept, aber nicht die Reinschrift zur Verfügung behrungsreichen Jahre während des Ersten und des stand5 , widmet auch Schleicher den Ereignissen seit Zweiten Koalitionskriegs. Dabei ist diese Endphase der Klostergeschichte durchaus gut dokumentiert. Die wichtigste Quelle ist das zweibändige, von dem letzten Abt selbst aufgezeichnete Geschichtswerk, das als Fortsetzung der bis zum Jahr 1709 reichenden Chronik des Placidus Emer 2 konzipiert ist. Der umfang- reiche zweite Band, von dem sowohl das eigenhändige, am 25. Februar 1795 begonnene Konzept als auch die ebenfalls autographe Reinschrift überliefert sind, umfasst den Zeitraum von der Wahl Grieningers zum Abt von Irsee am 20. September 1784 bis zum 16. Mai 1808, wenige Monate vor seinem Tod in Kaufbeuren am 6. Februar 1809 (Abb. 2)3 . Zunächst schreibt Grie- ninger wie im ersten Band in lateinischer Sprache und berichtet über sich selbst in der dritten Person; doch mit der Ankunft französischer Truppen auf Irseer Gebiet im Sommer 1796 ändert er seine Darstellungsweise und behält diese bis zum Schluss bei. Er schreibt nun auf Deutsch, schildert die für sein Kloster wie für ihn selbst schicksalhaften Ereignisse um ein Vielfaches ausführ- licher und verwendet neben der dritten Person zuneh- mend die Ich-Form. Als Grundlage für diesen zweiten Band seiner Chronik dienten ihm, wie aus wiederholten Abb. 2: Honorius Grieninger: Chronicon Imperialis Monasterii Verweisen im Text hervorgeht, seine verschollenen B. V. M. Ursinensis; Beginn der Reinschrift des 2. Teils: Bericht Tagebücher, die er wie seine Vorgänger seit seinem über seine Wahl zum Abt; Autograph, Irsee, um 1795; Staats- Amtsantritt als Abt führte. Nach dem Tod Grieningers und Stadtbibliothek Augsburg, 2° Cod 385c, S. 1. 5
Abb. 3: Maurus Schleicher: Geschichtliche Darstellung des Reichs Stiftes Irrsee; Bericht über die Wahl Honorius Grieningers zum Abt; Autograph, Kaufbeuren, nach 1809; Bayerische Staatsbibliothek, München, Cgm 4956, S. 216 (Ausschnitt). dem Amtsantritt von Abt Honor, wie er ihn zu nennen Grieningers Leben bis zu pflegt, breiten Raum. Allein für diesen letzten Abschnitt seiner Wahl zum Abt der Klostergeschichte bietet die Version Schleichers, der 1772 Profess abgelegt und alles selbst miterlebt Honorius Grieninger wurde am 31. Dezember 6 1741 in hatte, hin und wieder eigenständige Ergänzungen und Immendingen7 (Lk. Tuttlingen) geboren und wie damals Abweichungen von der Vorlage. Im Hinblick auf das üblich bereits am selben Tag um 10 Uhr vormittags von Leben und die Person Grieningers sind also stets beide dem Ortspfarrer Jakob Fischer aus Schwäbisch Gmünd Chroniken, dessen eigene und die Schleichers, zu ver- auf den Namen Joseph getauft 8 . Über seine Eltern Ignaz gleichen. Hinzu kommt eine reiche Aktenüberlieferung und Maria, geb. Miller, ist bislang nichts bekannt. Seine im Staatsarchiv Augsburg, die allerdings im Rahmen Taufpaten waren Jakob Höppler und Maria Schmutz. dieses Beitrags nur fallweise herangezogen werden Sie waren alle in Immendingen ansässig. Seine höhere konnte. Schulbildung erhielt Joseph Grieninger zunächst auf dem Benediktinergymnasium Villingen und anschlie- ßend auf dem seit 1752 von Piaristen geführten Stifts- gymnasium Kempten9. Der Wechsel der Schule stand 6
sicherlich damit in Zusammenhang, dass mit Honorius Seine Mitwirkung bei den Feierlichkeiten zum Roth von Schreckenstein (1726–1785) ein gebürtiger 1000-jährigen Jubiläum des Stifts Kempten ein Jahr Immendinger Stiftsherr in Kempten war. später bedeutete für ihn sicherlich einen Höhepunkt in Da das Stift Kempten adeligen Bewerbern vorbehalten seiner bisherigen Ordenslaufbahn. Während der Fest- war, musste Grieninger ein anderes Kloster finden, das woche wurde täglich eine Messe mit einer Predigt auf ihn als Novizen aufnahm. Es ist durchaus denkbar, dass das 1000-jährige Stift gefeiert. Den Gottesdienst am er von Honorius Roth, der 1760 zum Fürstabt von Kemp- 14. Mai 1777 zelebrierte der Irseer Abt Aemilian Mock, ten gewählt worden war, dabei unterstützt wurde. Als während der Prior Honorius Grieninger die Festpredigt dieser am 4. August 1761 Irsee einen kurzen Besuch hielt. Wie alle anderen Festreden wurde auch die abstattete10 , könnte Joseph Grieninger sich in dessen Predigt Grieningers in der zum Jubiläum erschienenen Gefolge befunden und den Klostereintritt vollzogen Festschrift abgedruckt und stellt, abgesehen von den haben. Jedenfalls war die Wahl seines Ordensnamens bereits erwähnten Disputationsthesen, sein einziges Honorius gewiss eine Reverenz gegenüber seinem För- im Druck veröffentlichtes Werk dar 18 . Auch bei dem am derer Honorius Roth. Im darauffolgenden Jahr legte er 14. November 1779 feierlich begangenen 50-jährigen am 10. Oktober, dem Tag der Irseer Kirchweihe, feierlich Professjubiläum des Irseer Abtes hielt Grieninger die Profess ab11 und absolvierte anschließend das Haus- Festpredigt 19, deren Text allerdings nicht überliefert ist. studium, nach dessen Abschluss er am 24. Juni 1766 in Abt Aemilian Mock erlebte noch die 600-Jahr-Feier sei- Augsburg zum Priester geweiht wurde12 . Eine Universi- nes Klosters im Oktober 1782 mit, zu der mit P. Fidelis tät hat er wie die meisten anderen Irseer Konventualen Wetz (Wez) aus Zwiefalten ein auswärtiger Festprediger nie besucht. Aus der Zeit seiner Ausbildung am Haus- eingeladen wurde20 , und starb am 19. August 1784 im studium sind gedruckte Thesen aus dem kanonischen, Alter von 71 Jahren21. bürgerlichen und öffentlichen Recht überliefert, die er am 30. Juli 1764 unter seinem Lehrer Benedikt Depra zusammen mit seinen Mitbrüdern Bernhard Miller, Die Wahl Grieningers zum Abt (1784) Paul Minichofer – mit dem er zeitlebens eng verbunden blieb – und Joseph Maria von Landsee sowie den beiden Als Datum für die Wahl eines neuen Abtes22 legte der externen Studenten Johann Nepomuk Magg und Anton Augsburger Fürstbischof Clemens Wenzeslaus von Braun verteidigte13 . Sachsen, der sich bis zur Besetzung Kurtriers durch die Nach seiner Priesterweihe fungierte P. Honorius unter Franzosen vorzugsweise in seinem Trierer Hauptbistum dem seit 1765 amtierenden Abt Aemilian Mock (1712– aufhielt, den 20. September 1784 fest. Die Leitung der 1784), der aus dem unweit von Grieningers Geburtsort Wahl übertrug er dem Weihbischof Johann Nepomuk Immendingen gelegenen Sigmaringen stammte, als August Ungelter von Deisenhausen als seinem Stell- Novizenmeister, Professor der Philosophie, Mathematik vertreter 23 . Mit zwei Kutschen des Klosters wurden der und Theologie am Hausstudium sowie als Archivar und Weihbischof und seine Begleiter, der bischöfliche Sieg- Bibliothekar 14 . Zu zwei von ihm am Hausstudium geleite- ler Anton Coelestin Nigg und der Zeremoniar Johann ten Disputationen in Mathematik bzw. Philosophie sind Philipp Löhle, in Augsburg abgeholt. Am Vorabend des im Druck erschienene Thesen bezeugt 15. Durch seine Wahltages kamen sie in Irsee an, wie auch die Äbte von Lehrtätigkeit im Kloster empfahl er sich für eine Aufgabe Ottobeuren und Füssen, Honorat Göhl und Aemilian außerhalb: Als Graf Franz Anton von Waldburg-Zeil (1714– Hafner, die als Skrutatoren für die Auszählung der Stim- 1790) von Abt Aemilian einen Hauslehrer erbat, der seine men verantwortlich waren. Die beiden Äbte brachten Söhne Clemens Alois (1753–1817) und Sigmund Chris- jeweils zwei Konventualen mit, die als Zeugen bei der toph (1754–1814) in Philosophie und Mathematik unter- Wahl anwesend waren. Der Wahltag begann um 7 Uhr richten sollte, fiel die Wahl auf Honorius Grieninger, der morgens mit der Feier eines Offiziums zu Ehren des am 13. November 1769 nach Schloss Zeil bei Leutkirch Heiligen Geistes; anschließend begaben sich alle Betei- abreiste und nach 13-monatigem Aufenthalt Ende 1770 ligte ins Refektorium, wo die Wahl stattfand. Aufgrund wieder nach Irsee zurückkehrte16 . Seine beiden Schüler seines Amtes als Prior und seines passenden Alters immatrikulierten sich am 5. Februar 1771 an der Univer- von 42 Jahren hatte Honorius Grieninger sicherlich die sität Salzburg und absolvierten dort ein Jurastudium17. größten Chancen. Allerdings erreichte im ersten Wahl- Nach Grieningers Rückkehr änderte sich zunächst für gang kein Kandidat die notwendige absolute Mehrheit. ihn wenig, doch als der greise Prior Placidus Linder am Von 16 abgegebenen Stimmen entfielen sieben auf 7. Mai 1776 im 77. Lebensjahr verstarb, wurde er dessen Grieninger, vier auf David Gaibinger, je zwei auf Willi- Nachfolger und rückte damit in der Klosterhierarchie an bald Schelle und Ulrich Peutinger sowie eine auf Sigis- die zweite Stelle hinter dem Abt. mund Scheffler. In dem dadurch notwendig geworde- 7
Als letzte feierliche Handlung im Zusammenhang mit der Wahl des neuen Abtes wurde im November die Hul- digung durch die Untertanen abgehalten. Diese leiste- ten in der auch Ratshaus oder Gerichtshaus genannten Kanzlei (heute Marktstraße 8) dem Abt den Treue- und Gehorsamseid, dessen Bedeutung ihnen zuvor der Oberamtmann in einer langen Ansprache darlegte. Nach der Eidesleistung wandte sich auch der Abt an die Untertanen und versprach ihnen jedweden Beistand und Schutz. Diese Zeremonie wurde an so vielen Tagen wiederholt, bis die Untertanen aller Gemeinden des Irseer Klostergebiets dem neuen Abt gehuldigt hatten. Maurus Schleicher fasst in seiner Klostergeschichte die Abtswahl mit nur wenigen Sätzen zusammen, fügt jedoch eine bemerkenswerte Charakterisierung des Neugewählten hinzu: Ein Mann von grossen Kennt- nissen. Nur im Oekonomischen zu wenig Erfahrung. Doch aber beÿ einer richtigen Leitung und aufrichtigen Rathgebung zur würksamen Thätigkeit entschlossener Mann 26 . Tatsächlich entfaltete Grieninger nach seiner Wahl eine würksame Thätigkeit, wobei, zumindest nach dem Bild, das sowohl seine eigene Chronik als auch die Bearbeitung Schleichers entwerfen, praktische Maß- Abb. 4: Honorius Grieninger, Öl auf Leinwand, wohl Kaufbeuren, Georg Alois Gaibler, um 1784; Schwäbisches Bildungszentrum nahmen zur Verbesserung der Lebensbedingungen der Irsee, Inv.-Nr. 85. Foto: Martin Zurek. Mönche und der Untertanen sowie zur Herstellung gesi- cherter Rechtsverhältnisse im Vordergrund standen, während sein Wirken auf geistlichem und kulturellem nen zweiten Wahlgang setzte sich Grieninger dann mit Gebiet kaum näher thematisiert wird. zehn Stimmen durch. Am Vormittag des folgenden Tages zelebrierte Weih- bischof Ungelter zusammen mit den Äbten von Beginn der Regierung des neuen Abtes. Ottobeuren und Füssen die feierliche Abtsweihe Teilnahme am Seligsprechungsprozess der Grieningers. Vorausgegangen war eine weitschweifige Crescentia von Kaufbeuren (1785–1790) und erbauliche Ansprache, die Ungelter im Bischofs- ornat persönlich an das anwesende Volk richtete 24 . Die erste von Grieninger eingeführte Neuerung betraf Wenige Tage danach traf eine Abordnung der Stadt die Anschaffung eines geschlossenen, holzsparen- Kaufbeuren, bestehend aus zwei Mitgliedern des den Herdes sowie eines neuen Kochgeschirrs für die Geheimen Rates und dem Vorsteher der Stadtkanzlei, Klosterküche, der damals sein Gefährte Paul Minichofer ein, um Grieninger zu seiner Wahl zu gratulieren und als Küchenmeister (archimagirus) vorstand: Der Herr ihm als Geschenk der Stadt 55 Flaschen Burgunder- Abt verwandte, als die zu Beginn der Regierung und 24 Flaschen sogenannten Feuerwein, einen durch üblichen Feierlichkeiten vorüber waren und er frei von Wärme verbesserten Muskatwein, zu überreichen. den sich aus diesem Anlass ergebenden Aufgaben war, Im Gegenzug lud Grieninger den Kaufbeurer Magis- sein ganzes Bemühen besonders darauf, dass der über- trat zum Essen nach Irsee ein. Daraufhin nahmen der mäßige Holzverbrauch in der Küche verringert werde. Bürgermeister und zehn hochrangige Ratsmitglieder Zu diesem Zweck ließ er im Jahr 1785 in der Küche einen an einem Festmahl anlässlich der Irseer Kirchweihe am neuen, geschlossenen Herd errichten, für den geeig- 10. Oktober teil. Darüber hinaus erreichten den neu- nete Steine aus Waltenhofen, einem Dorf des Fürst- gewählten Abt zahlreiche Glückwunschschreiben aus stifts Kempten, und Eisenplatten aus Königsbronn im den Klöstern vor allem des südwestdeutschen Raumes Herzogtum Württemberg angeliefert wurden. Ebenso sowie von geistlichen und weltlichen Würdenträgern. wurde das für die Zubereitung der Speisen notwendige An den Absendern lassen sich sowohl die institutio- Geschirr in Memmingen nicht ohne erheblichen Kosten- nellen Verbindungen Irsees als auch die persönlichen aufwand aus Kupfer gegossen 27. Schleicher bemerkt Beziehungen Grieningers ablesen25. dazu, dass die Ersparnis in wenigen Jahren die Anschaf- 8
fungskosten des Herdes übertroffen und sich somit die maligen) Jesuitenresidenz wurde noch ein Abendes- Investition gelohnt habe28 . sen eingenommen; spät in der Nacht kehrte Grieninger Wohl bald nach seiner Wahl ließ sich Grieninger por zusammen mit dem Abt von Ottobeuren, der ebenfalls trätieren (Abb. 4). Bei dem Bildnis, das in zwei Versio- in Irsee übernachtete, in sein Kloster zurück. Während nen, die sich im Schwäbischen Bildungszentrum Irsee sich die anderen Äbte bei der Teilnahme abwechselten und im Stadtmuseum Kaufbeuren befinden, überliefert und der Weihbischof nur höchst selten erschien, war ist, dürfte es sich um ein Werk des Kaufbeurer Malers Grieninger als Abt des am nächsten gelegenen Klosters Georg Alois Gaibler (1751–1813) handeln. Es zeigt ihn bei allen Sitzungen, die in diesem ersten Jahr bis zum in halber Figur leicht zur Seite gewendet in einem Ses- 8. Oktober fortgesetzt wurden, zugegen32 . Nach drei sel vor einem runden Tischchen sitzend. Bekleidet ist Jahren beendete die Kommission ihre Untersuchung mit er mit dem schwarzen Ordensgewand der Benediktiner der am 1. Oktober 1788 unter größter Geheimhaltung und einer verzierten, vermutlich samtenen Haube. Er vorgenommenen Öffnung des Grabes der Crescentia. trägt ein goldenes, mit roten Zirkonen (Hyazinthen) und Nun war noch die Reinschrift der Akten anzufertigen, Brillanten besetztes Brustkreuz (Pektorale) an einer womit der Schreiber des bischöflichen Siegelamtes ebenfalls goldenen Kette samt dem dazugehörigen ein ganzes Jahr hindurch Tag und Nacht zubrachte 33 . Ring 29. In seiner Rechten hält er ein geöffnetes Buch, Als diese vorlag, kam die Kommission im Juli 1790 ein drei weitere Bücher, davon eines aufgeschlagen, sind letztes Mal zusammen, nun nicht mehr in Kaufbeuren, auf dem Tisch platziert. Zu seiner Linken blickt, heute sondern im Kloster Ottobeuren. Wie Grieninger berich- nur noch schwer erkennbar, sein Hund zu ihm auf. tet, versammelte man sich am 5. Juli und begann mit Nachdem das Kloster und seine Untertanen gleich im der Kollation der Reinschrift, wozu diese vollständig ersten Jahr der Regierung Grieningers einen extrem har- verlesen werden musste. Die Verlesung, für die täg- ten und langen Winter zu überstehen hatten30 , wurde lich je vier Stunden am Vormittag und am Nachmittag dem Abt im Sommer eine auswärtige Verpflichtung angesetzt wurden, dauerte genau 14 Tage, sodass die übertragen, die ihn bis 1788 und noch einmal 1790 all- Reinschrift am 18. Juli durch die Unterschriften und jährlich mehrere Monate oder zumindest einige Wochen Siegel der Mitglieder der Kommission beglaubigt wer- in Anspruch nehmen sollte, indem er zusammen mit den den konnte. Damit hatte die Kommission ihre Tätigkeit Vorstehern von fünf weiteren Benediktinerklöstern der abgeschlossen34 . Diözese Augsburg (Ottobeuren, St. Ulrich und Afra in Augsburg, Wessobrunn, St. Mang in Füssen, Thierhaup- ten) in die neue Kommission für den Seligsprechungs prozess der Crescentia Höss von Kaufbeuren (Abb. 5) berufen wurde31. Nach einer ersten, bereits unmittelbar nach dem Tod Crescentias im Jahr 1744 durchgeführten Untersuchung, die mit einem ablehnenden Votum des damaligen Papstes Benedikt XIV. beschieden worden war, hatte der Augsburger Bischof Clemens Wenzeslaus 1775 den bischöflichen Seligsprechungsprozess eröff- net und mit dessen Leitung den Weihbischof von Ungel- ter beauftragt. Anschließend hatten in Kaufbeuren aus- gedehnte Zeugenbefragungen stattgefunden; danach war eine Reinschrift der Prozessakten erstellt und an die Ritenkongregation nach Rom übersandt worden. Diese erkannte 1785 die Akten an und Papst Pius VI. erteilte die Ermächtigung, den apostolischen Selig- sprechungsprozess zu beginnen. Das neue Verfahren stand wiederum unter der Leitung des Weihbischofs; zu neuen Mitgliedern der Kommission, die noch ein- mal umfangreiche Zeugenverhöre durchführte, wurden die genannten sechs Benediktineräbte ernannt. Laut dem Bericht Grieningers in seiner Chronik nahm die Kommission am 30. Juli 1785 ihre Arbeit auf. Die Eröff- nungssitzung begann um 9 Uhr morgens und dauerte Abb. 5: Crescentia Höss, Öl auf Leinwand, Kaufbeuren, 2. Hälfte ohne Unterbrechung bis 7 Uhr abends. In der (ehe 18. Jh.; Stadtmuseum Kaufbeuren, Inv.-Nr. 5757. 9
Obwohl die Ritenkongregation 1793 die Gültigkeit der und Jura studiert hatte 40 , hatte im Herbst 1782 sein Amt eingesandten Akten und des Prozesses feststellte und als Oberamtmann angetreten, also genau zwei Jahre, Papst Pius VI. 1801 das Vorliegen aller Voraussetzun- bevor Grieninger zum Abt gewählt wurde. Der eben- gen für die Seligsprechung bekanntgab, kam das Ver- falls aus Sigmaringen stammende Abt Aemilian Mock fahren infolge der Umwälzungen der napoleonischen hatte ihn zum Nachfolger des am 18. August 1782 mit Ära zum Erliegen. Deshalb erfolgte die Seligsprechung 30 Jahren verstorbenen Oberamtmanns Ludwig Bene- der Maria Crescentia Höss erst am 7. Oktober 1900. Am dikt Thomas Hornstein41 berufen. Hornstein hatte 25. November 2001 wurde sie schließlich von Papst seinerseits dieses Amt erst am 2. Februar 1780 über- Johannes Paul II. heiliggesprochen. nommen, als der bisherige Oberamtmann Willibald Nach seiner Teilnahme an dem Seligsprechungsprozess von Seyfried (1738–1809) als Kanzler an die Zister- bewies Honorius Grieninger eine besondere Verehrung zienserabtei Salem gewechselt war 42 . Dessen Tochter, der Crescentia von Kaufbeuren. Bei der Grundstein- die am 26. Februar 1765 in Irsee geborene Maria Anna legung des neuen Pfarrhauses in Rieden 1793 brachte Walburga 43 , hatte am 23. April 1781 den Oberamtmann er eine Kapsel mit Crescentia-Reliquien ein35 – obwohl Hornstein geheiratet 44 . Kaum zwei Monate nach dem deren Entnahme bei der Öffnung des Grabes den Mit- Tod ihres ersten Mannes vermählte sich die 17-jährige gliedern der Kommission unter Androhung der Exkom- Witwe am 15. Oktober 1782 mit dem neuen Oberamt- munikation untersagt gewesen war. Als er im Januar mann Bannwarth 45. Aus ihrer ersten Ehe brachte sie 1801 wohlbehalten zurückkehrte, nachdem er im Juni eine fünf Monate alte Tochter mit, die jedoch bereits im des Vorjahres vor den anrückenden französischen April des darauffolgenden Jahres starb46 . Ihrem zweiten Truppen geflohen war, lasen er und sein Begleiter Paul Ehemann gebar sie zwischen 1783 und 1801 insgesamt Minichofer am Grab der Crescentia noch die hl. Messe, 14 Kinder, von denen fünf Mädchen und zwei Jungen bevor sie wieder in Irsee ankamen36 . Bei seiner Über- das Erwachsenenalter erreichten47. Als Paten fungier- siedelung nach Kaufbeuren im November 1805 nahm ten in der Regel der jeweilige Irseer Abt, der persönlich Grieninger neben zahlreichen anderen ehemals dem an der Taufe teilnahm, und eine stets von Maria Ursula Kloster gehörenden Stücken auch die Briefe der Schneider, der Frau des Irseer Kanzleisekretärs, ver- Crescentia an den Irseer Abt Bernhard Beck und den tretene auswärtige adelige Dame, wie die Gemahlin damaligen Prior Meinrad Spieß mit 37. des Kemptener Hofmarschalls Leopold Lasser von der Halden, Maria Elisabeth, geb. von Hornstein, die allein achtmal die Patenschaft übernahm. Ausnahmen waren Der Oberamtmann Marx Fidel Bannwarth Während Grieninger auf den Sitzungen des Selig- sprechungsprozesses – insgesamt sollen es 259 gewesen sein – weilte, führte in Irsee der Leiter der weltlichen Ver- waltung des Klosters, der Oberamtmann Bannwarth, in enger Abstimmung mit dem Abt nach und nach Reformen im gesamten administrativen Bereich durch. Maurus Schleicher bringt dies in seiner Bearbeitung der Grienin- gerschen Chronik sehr treffend zum Ausdruck: Unter- dessen kamen doch während dieser Zeit und unter seiner [Grieningers] Regierung sehr nüzliche Verordnungen und Anstalten durch Betriebsamkeit seines Ersten Rathes und Oberamtmans Bannwarth zustand 38 . Nun wird auch deut- lich, dass Schleicher in seiner oben zitierten Charakterisie- rung Grieningers mit der Formulierung beÿ einer richtigen Leitung und aufrichtigen Rathgebung auf Bannwarth und dessen Rolle als Anleiter und Ratgeber des Abtes anspielt. Auch Grieninger selbst erwähnt in seiner Chronik den Dominus Praefectus (Herrn Oberamtmann) sehr häufig und zitiert ausführlich aus dessen zu den Akten gegebe- nen Berichten über die durchgeführten Maßnahmen. Der am 6. April 1752 in Sigmaringen geborene Marx Abb. 6: Marx Fidel von Bannwarth, Lithographie von Willibald von Fidel Bannwarth (Abb. 6)39, der in Salzburg Philosophie Bannwarth, um 1820; Privatbesitz. Repro: Volker Koneberg. 10
nur die Nottaufe des ersten Sohnes von Bannwarth, bei nur ganz summarisch behandelt. Neben der Demons- der lediglich Maria Ursula Schneider in Vertretung des tration der Landeshoheit des Klosters ging es bei der Abtes Aemilian Mock zugegen war, und die Taufen der ‚Grenzberichtigung‘ vor allem darum, Streitigkeiten beiden letzten Kinder, bei denen – vermutlich wegen mit den Nachbarn beizulegen bzw. sie gar nicht erst der Kriegszeiten – Abt Honorius, dem insgesamt zwölf- entstehen zu lassen. Der Ablauf der Inspektionen der mal diese Aufgabe zukam, der einzige Pate war. einzelnen Grenzabschnitte war stets derselbe: Eine aus Vertretern beider Parteien gebildete Kommission, die auf Irseer Seite von dem Oberamtmann geleitet wurde, Reformmaßnahmen des Oberamtmanns beging die Grenze, stellte deren korrekten Verlauf fest und notierte fehlende oder schadhafte Grenzsteine, die unter dem neuen Abt (1785–1787) dann zu einem späteren Zeitpunkt erneuert wurden50 . Als erste Maßnahme leitete Bannwarth im Jahr 1785 Die im ersten Jahr der Regierung Grieningers begonne- die Neuordnung der Armenversorgung im Irseer Herr- nen Reformmaßnahmen gingen auch in den Folgejahren schaftsgebiet ein. Den Anlass dazu gab nach dem auf den verschiedensten Gebieten weiter. So wurde von Grieninger in seiner Chronik zitierten Bericht 1786 mit einer großen Anzahl von aus Tirol importier- des Oberamtmanns der Beschluss der zuständigen ten jungen Lärchen in der Waldabteilung Burgwald die Kreisviertelkonferenz, im Zuchthaus zu Buchloe, das Kultivierung einer neuen Holzsorte erprobt. Im Lauf der von dem Augsburgischen Viertel des Schwäbischen Zeit erfolgte der Anbau an weiteren Stellen, teils aus Reichskreises, zu dem auch Irsee gehörte, unter- Samen, teils mit Jungbäumen51. 1792 wurde mit dem halten wurde48 , ein Arbeitshaus einzurichten, in das Raps auch auf den Feldern eine neue Nutzpflanze ein- auswärtige Bettler und Vaganten eingeliefert werden geführt, die wegen ihres hohen Ertrags an Öl und ihrer konnten. Im Irseer Territorium war daher das Betteln außerordentlich leichten Vermehrung seitdem dauer- auf der Straße fortan untersagt. Unterstützung sollten haft angebaut wurde52 . nur noch die einheimischen Armen nach dem Grad ihrer Neben der Einführung einer neuen Holzsorte unternahm Bedürftigkeit erhalten. Die wöchentlich auszuzahlen- Honorius Grieninger im Jahr 1786 auch einen wichtigen den Leistungen sollten aus den Almosen der Unterta- Schritt zur Verbesserung der medizinischen Versorgung nen bestritten werden; falls diese nicht ausreichten, der Untertanen, insofern als in den Dörfern des Irseer sollte die Armenkasse des Klosters einspringen. Zur Herrschaftsgebiets nur noch Frauen als Hebammen Durchsetzung des Bettelverbots wurden die Soldaten, tätig sein durften, die eine Ausbildung bei dem Kauf- die Irsee für das Kreiskontingent zu stellen hatte, auf beurer Stadtarzt Christoph Jakob Apin53 – der, obwohl die Dörfer verteilt; fremde Bettler und Vaganten sollten Protestant, zugleich Irseer Klosterarzt war – besucht von ihnen aufgegriffen und ausgewiesen oder gegebe- und nach bestandener Prüfung ihre Approbation erhal- nenfalls an das Zucht- und Arbeitshaus in Buchloe über- ten hatten. Auch die beiden in Irsee und Schlingen prak- stellt werden. Wie Bannwarth in seinem Bericht weiter tizierenden Wundärzte mussten sich einer Prüfung in ausführt, zeigte diese Vorgehensweise durchaus die Geburtshilfe unterziehen. Damit folgte Irsee dem Bei- gewünschte Wirkung; als jedoch nach dem Ausbruch spiel des Hochstifts Augsburg, wo seit der Gründung des Ersten Koalitionskrieges das Irseeische Militär ins einer Hebammenschule in Dillingen 1778 deren Besuch Feld ziehen musste, seien die zuvor verschwundenen für angehende Hebammen obligatorisch war 54 . Landstreicher und anderes fahrende Volk sofort wieder Im Jahr 1786 fand zudem statt, was nach Schleicher das aufgetaucht und es hätten sich in einem Jahr mehr Dieb- wichtigste Geschäft war, das dem Abt Honor für sein stähle und Einbrüche ereignet als in den zurückliegen- Kloster auszuführen vorbehalten zu seÿn scheint, näm- den acht Jahren zusammen49. lich der Verkauf eines stark defizitären Weingutes und Ebenfalls noch im Jahr 1785 nahm Bannwarth mit anderer Liegenschaften in Hemigkofen und Nonnen- der ‚Grenzberichtigung‘, also der Inspektion und teil bach (heute: Kressbronn) am Bodensee, die erst 1760 weisen Neumarkierung der Außengrenzen des Irseer unter dem damaligen Abt Bernhard Beck erworben Territoriums, ein komplexes Vorhaben in Angriff, das und 1769 durch Zukauf noch erweitert worden waren. in den folgenden Jahren sukzessive fortgesetzt wurde. Der Gesamtpreis hatte über 15.000 Gulden betragen. Dass sowohl der Oberamtmann als auch der Abt die- Seither war ein Verlust von 25.500 Gulden aufgelaufen, ser Angelegenheit große Bedeutung beimaßen, erhellt weshalb es als Erfolg angesehen wurde, dass Grienin- nicht zuletzt aus den ins Detail gehenden Ausführun- ger die Besitzungen mit Zustimmung des Konvents an gen in der Chronik Grieningers, der hier erneut umfang den bisherigen Verwalter verkaufte, auch wenn dafür reiche Auszüge aus den Berichten Bannwarths in sei- mit 5.000 Gulden nur ein Drittel des ursprünglichen nen Text eingefügt hat, während Schleicher das Thema Preises erlöst wurde55. 11
Auch das Jahr 1787 brachte für die Untertanen weitere Seethalen und dem angehängten größeren gräflichen Neuerungen. Die erste betraf den Unterricht an den Siegel – ist noch in Familienbesitz erhalten. Seit sich Schulen der Irseer Dörfer, der bislang nur im Winter Honorius Grieninger 1769/70 mehr als ein Jahr lang stattgefunden hatte und nun von Grieninger auch auf auf Schloss Zeil aufgehalten und dort zwei Söhne des den Sommer, wenngleich nur sonn- und feiertags, aus- Grafen als Hauslehrer unterrichtet hatte, bestanden gedehnt wurde, wie er in seiner Chronik schreibt: Damit engere beiderseitige Verbindungen. Zudem studierten die Kinder der Untertanen, die im Winter die Schulen die jungen Adeligen anschließend an der Universität besucht haben, nicht im Sommer wegen des fehlenden Salzburg, genau zu der Zeit, als auch Bannwarth dort Unterrichts, das, was sie gelernt haben, vergessen, immatrikuliert war. wurde allen Dorfschulmeistern aufgetragen, auch im Dem Wortlaut der Urkunde zufolge richtete Bannwarth Sommer, allerdings nur an Sonn- und Feiertagen, zwei an Graf Franz Anton ein Gesuch um Erhebung in den Stunden lang die Jugend zu unterrichten, und zwar so, Adelsstand. Seinem Antrag fügte er mehrere Nach- dass auch den Älteren je nach ihrem Kenntnisstand die weise bei: eine Bestätigung seiner Abstammung von Teilnahme offenstehe. Für diese Sonderaufgabe wurde bürgerlichen Eltern aus dem Handelsstand in Sigma- den Schulmeistern ein festgesetztes Honorar aus der ringen, seine Studienabschlüsse aus Salzburg in Philo Landschaftskasse bezahlt 56 . sophie (Magister) und in beiden – dem weltlichen und Von großer Bedeutung sowohl für die Untertanen als dem kirchlichen – Rechten mit der Note hervorragend auch für das Kloster als Grundherr war die Erneuerung (eminens) sowie ein höchst belobigendes Zeugnis der Urbare (Grundbücher), die letztmals 1720 aktuali seines Abtes über seine bisherige Tätigkeit als Erster siert worden waren und seither eingetretene Verände- Rat und Oberamtmann, aus dem in der Urkunde aus- rungen nicht mehr wiedergaben. Dies hatte bei den führlich zitiert wird. Demnach vertrat Bannwarth das Betroffenen zu sehr vielen Verwicklungen geführt Reichsstift Irsee nach außen auf den Kreistagen des und dem Kloster Einbußen gebracht. Die Anfertigung Schwäbischen Reichskreises, den Konventen des der neuen Urbare übertrug Grieninger dem Registra- Augsburgischen Kreisviertels und bei der Buchloer tor und Geometer Johann Georg Klang, der sogleich Zuchthausassoziation; in der inneren Verwaltung tat er in Eggenthal mit der Verzeichnung anfing und seine sich durch die Einführung sehr nützlicher Maßnahmen Arbeit in den nächsten Jahren in den übrigen Dörfern in den Bereichen Armenversorgung, Landschulen, fortsetzte57. Als sehr hilfreich erwies sich hierbei die im Lehnswesen sowie Jagd- und Forstwesen hervor, März 1789 erfolgte Einführung von Hausnummern für selbstredend stets zur gänzlichen Zufriedenheit seiner alle Gebäude des Irseer Herrschaftgebiets58 . Herrschaft. Dies bestätigt die Darstellung in der Chronik Nach dem Einbau eines Holzsparherdes in der Küche Grieningers, wonach Bannwarth an dem in Irsee einge- und der Anpflanzung von Lärchenbäumen belegt die leiteten Reformprozess maßgeblichen Anteil hatte. Es von Bannwarth entworfene und von Grieninger am versteht sich von selbst, dass bei so viel Lob der Graf 30. Oktober 1787 erlassene Forstordnung in beson- von Waldburg-Zeil dem Gesuch des Oberamtmanns ent- derer Weise das Bemühen des Abtes und seines Ober- sprach und ihm den erblichen Adelstitel mit dem Prädi- amtmanns um eine zweckmäßige und nachhaltige Nut- kat Edler von Bannwarth zuerkannte. zung der Irseer Wälder. Die Ordnung regelte umfassend Das mit der Nobilitierung verliehene Wappen ist, wie in den Einschlag von Bau- und Brennholz sowohl für den solchen Urkunden üblich, in ganzseitiger Deckfarben- Bedarf des Klosters als auch für den der Untertanen. malerei wiedergegeben (Abb. 7). Bei dem in die obere Darüber hinaus enthielt sie auch Vorschriften für die Rahmenleiste eingefügten kleineren Wappen handelt Jagd und die Fischerei59. es sich um das des Ausstellers des Adelsbriefs, des Grafen von Waldburg-Zeil(-Trauchburg). Zu der Abbil- dung gehört eine exakte Beschreibung im Text, welche Die Erhebung des Oberamtmanns die offizielle Blasonierung des quadrierten (viergeteil- ten) Wappens darstellt: Im ersten Feld – heraldisch – in den Adelsstand (1787) rechts oben und im vierten links unten in Blau ein aus Am Ende des Jahres 1787 wurde Bannwarth von Graf einem grünen Berg hervorsteigender halber aufrechter Franz Anton von Waldburg-Zeil in den erblichen Adels- nach links gewendeter weißer Löwe, der in der rechten stand erhoben. Damit verbunden war die Verleihung Pranke einen goldenen Fingerring hält; im zweiten und eines Wappens60 . Die aus diesem Anlass am 27. Dezem- dritten Feld in Rot ein von rechts nach links aufsteigen- ber ausgefertigte Urkunde – ein in roten Samt gebunde- der weißer Querbalken mit drei gelben oder goldenen nes Pergamentlibell mit den Unterschriften des Grafen Sternen; über dem Schild zwei blau angelaufene offene und des Kanzleiverwalters Franz Wunibald Burz von Turnierhelme; darüber als Kleinodien rechts der halbe 12
Schwaben‘ beschlossen worden, die am 1. Juli 1787 ihre Arbeit aufgenommen hatte. Vorreiter war auch hier ähnlich wie bei der Hebammenausbildung das Hochstift Augsburg, für das Bischof Clemens Wenzes- laus 1786 eine Gebäudebrandversicherung ins Leben gerufen hatte. Irsee hatte zunächst eine abwartende Haltung eingenommen, doch nach dem ersten Brand in Kaufbeuren im März 1788 trat es binnen eines Monats der Versicherung bei. Die Beitrittserklärung traf gerade noch rechtzeitig in Ochsenhausen ein, damit ein Bauer in Ketterschwang, dessen Hof am 24. April 1788 abbrannte, seinen Schaden ersetzt bekam. Das Kloster und die diesem unmittelbar gehörenden Bauten wie Pfarrhöfe und Zehentstadel wurden mit insgesamt 40.000 Gulden versichert, alle übrigen Gebäude auf dem Irseer Territorium mit zusammen 107.825 Gulden, eine viel zu niedrige Summe, die deshalb Mitte 1789 auf 212.000 Gulden erhöht und damit nahezu verdoppelt wurde 63 . Die Vergabe von Hausnummern in allen Irseer Dörfern im Zuge der Anfertigung der neuen Urbare erleichterte ganz wesentlich auch die Erfassung der Gebäude für die Aufnahme in die Brandversicherung 64 . Das Jahr 1789, als in Frankreich die Revolution aus- brach, verlief in Irsee ausgesprochen ruhig. Am 2. Mai legte der Abt auf dem Gut Röhrwang den Grundstein – mit eingeschlossenen Reliquien – zu einem sehr kost- spieligen neuen Pferdestall. Zugleich wollte er zur Ver- Abb. 7: Wappen der Edlen von Bannwarth, Deckfarbenmalerei besserung der Wasserversorgung des Hofes von einer auf Pergament; Adelsbrief für Marx Fidel von Bannwarth, Schloss Zeil, 27. Dezember 1787; Privatbesitz. Repro: Volker Koneberg. Quelle auf dem Gebiet von Holzstetten, einer zum Stift Kempten gehörenden Gruppe von Weilern, eine Lei- tung nach Röhrwang legen lassen, doch wäre dieses weiße Löwe, links ein ausgebreitetes rotes (!) Pfauen- Vorhaben fast am Widerstand der dortigen Bewohner rad mit den drei goldenen Sternen; das Laubwerk auf gescheitert. Erst nach einer Ortsbesichtigung und dank den Seiten rechts weiß und blau, links weiß und rot. einer Intervention des Kemptener Fürstabts konnte die Wasserleitung, wenngleich mit hohem Kostenauf- wand, fertiggestellt werden 65. Nachdem bereits 1785 Weitere Reformen. in Lauchdorf ein Zehntstadel errichtet worden war 66 , war dies die erste größere Baumaßnahme in der Amts- Baumaßnahmen des Abtes (1788–1794) zeit von Abt Honorius. Stets handelte es sich um reine Im Jahr 1788 ereignete sich am 15. März in Kaufbeuren Nutzbauten. Dies gilt auch für sein nächstes Vorhaben, ein Brand, der sich gefährlich auszubreiten drohte, weil einen 1790 erbauten Ziegelstadel (Ziegelhütte) in der die örtlichen Feuerspritzen aufgrund mangelnder War- Nähe des Gutes Bickenried 67. tung nicht einsatzfähig waren. Als die Nachricht nach 1792 konnte ein schon seit langem gehegter Plan des Irsee gedrungen war, stellte man sofort die eigene Abtes verwirklicht werden, nämlich den Konvent mit Spritze zur Verfügung, mit deren Hilfe das Feuer glück- besserem Wasser zu versorgen. Dazu wurde von zwei lich gelöscht werden konnte 61. Ende des Jahres kam am Schlachtbühl (heute: Schlachtbichel) entspringen- die Irseer Feuerspritze, die noch nicht aus Kaufbeuren den Quellen, Kohlstatt und Hohler Stein genannt, eine zurückgebracht worden war, ein zweites Mal zum Ein- hölzerne Wasserleitung bis ins Kloster gelegt. Wegen satz, als am 18. Dezember das Pfarrhaus von St. Martin der großen Entfernung mussten für die benötigten niederbrannte 62 . Am 14. Februar des Vorjahres war Deicheln rund 800 Bäume gefällt werden und die Bau auf dem Kreiskonvent in Ulm eine unter Führung des kosten waren entsprechend hoch. Die neue Leitung Klosters Ochsenhausen stehende ‚Brandschadens lieferte nun sauberes Wasser in das Haus im äußeren versicherungsanstalt verschiedener Reichsabteien in Garten zum Baden, in die Küche, ins Refektorium und 13
ins Brauhaus 68 . Zum Abschluss der Erneuerung der schaftsgebiet. Allerdings dauerte ihr Aufenthalt nicht Wasserversorgung wurde 1794 der Brunnen im Kloster lange, da sie bald von den Österreichern wieder zurück- hof, der bereits auf der ältesten Ansicht des Klosters gedrängt wurden. Irsee hatte von nun an bis zum vor- in Carl Stengels ‚Monasteriologia‘ von 1619 deutlich läufigen Ende des Krieges nach dem Frieden von Campo erkennbar ist, umfassend renoviert. Als Material für Formio (17. Oktober 1797) umfangreiche Lieferungen das neue Becken dienten Steine aus Roßhaupten69. an Lebensmitteln und Pferdefutter zum Unterhalt der Der wegen des bekrönenden Reichsadlers später so in der Region stationierten österreichischen Einheiten genannte Reichsbrunnen wurde im Zuge der 1974–1981 zu leisten. Weitere Belastungen entstanden durch Trup- durchgeführten Sanierung der Klostergebäude abge- pendurchzüge und vorübergehende Einquartierungen baut und 1989–1992 durch eine Kopie ersetzt, bei der von Offizieren und Mannschaften. In dieser Situation als einziges Originalteil das Kapitell der Säule wieder- entfaltete der Oberamtmann von Bannwarth eine rast- verwendet wurde70 . Wie das Original weist auch das lose Tätigkeit, um die Auswirkungen auf das Kloster neue Becken das Abtswappen Grieningers, die Initialen und dessen Untertanen, so gut es ging, zu begrenzen. HAMU (Honorius Abbas Monasterii Ursinensis) und die Auf dem gescheiterten Friedenskongress von Rastatt Jahreszahl 1794 auf (Abb. 12). wurde erstmals die Aufhebung der Klöster diskutiert. 1794 ließ Grieninger nicht nur den Brunnen im Kloster- Mit dem Wiederbeginn des Krieges im Februar 1799 hof, sondern auch das äußere Tor erneuern und zudem mussten die Lieferungen zur Versorgung der österrei- im westlichen Teil des Klosterareals eine Remise für chischen Soldaten in noch größerem Umfang wieder Kutschen, Schlitten, Wagen und andere Gerätschaften aufgenommen werden. Als Mitte des Jahres 1800 die von Grund auf neu bauen. Darin wurden auch Schlafkam- Franzosen erneut nach Schwaben vorstießen und sich mern für die Stallknechte und die Kutscher sowie eine nun dauerhaft festsetzen konnten, verschärfte sich die Werkstatt für den Sattler und den Wagner eingerichtet 71. Lage auch für Irsee erheblich. Zu den nochmals gestei- gerten Versorgungslieferungen, die nun von den fran- zösischen Kommandeuren angeordnet wurden, kamen Irsee im Ersten und Zweiten Koalitionskrieg monatelange Einquartierungen von Truppenverbänden (1796–1801) in Irsee und den zum Kloster gehörenden Dörfern hinzu. Neben dem Oberamtmann trugen auch der Großkeller Der 1792 zwischen dem revolutionären Frankreich und einer Koalition unter österreichischer Führung ausge- brochene Krieg wirkte sich auf Irsee zunächst vor allem in Form einer stetig zunehmenden Abgabenlast aus. Die an das Reich und den Kaiser abzuführenden Beiträge zu den Kriegskosten, die zu einem Drittel vom Kloster und zu zwei Dritteln von den Bewohnern der Irseer Dörfer aufgebracht werden mussten, betrugen im Jahr 1795 mehr als 30.000 Gulden. Doch als im Juni 1796 eine französische Armee unter General Jean-Victor Moreau bei Kehl den Rhein überquerte und nach Schwaben vordrang, änderte sich die Lage grundlegend. Damit schließt Grieninger den lateinischen Teil seiner Chronik und leitet zu der deutschsprachigen Fortsetzung über, die den Titel trägt: Kurze Übersicht was das R[eichs] Stift Yrrsee und dessen Unterthanen von Französisch- und Kaiserlichen Truppen nach der Zeit des Einfalls in Schwaben bis zum endlichen Friedens Schluss erlitten haben (Abb. 8)72 . Im Rahmen des vorliegenden Beitrags ist es nicht möglich, die von Grieninger sehr ausführlich beschriebenen Kriegsereignisse mit Bezug auf Irsee im Detail nachzuzeichnen. Daher können an dieser Stelle nur die Hauptpunkte in wenigen Sätzen grob skizziert Abb. 8: Honorius Grieninger: Chronicon Imperialis Monasterii werden. B. V. M. Ursinensis; Reinschrift des 2. Teils: Beginn des Auf ihrem Vorstoß nach Schwaben im Sommer 1796 deutschsprachigen Teils; Autograph, Irsee, um 1796; Staats- erreichten französische Truppen auch das Irseer Herr- und Stadtbibliothek Augsburg, 2° Cod 385c, S. 97. 14
(Klosterökonom) Willibald Schelle und der junge Kon- zelebrieren; die Festpredigt auf den Verstorbenen hielt ventuale Ildephons Ochs mit dazu bei, dass Irsee ver- der Spitalmeister und Prälat des Memminger Kreuzher- gleichsweise unbeschadet durch diese schwierige Zeit renklosters David Laber 73 . kam. Der Abt Honorius Grieninger hingegen hatte, wie Nur eine Woche später, am 26. August 1802, ver zahlreiche andere Prälaten auch, im Mai 1800 vor den loren das Kloster und die Herrschaft Irsee ihre Unab- heranrückenden Franzosen die Flucht ergriffen und hängigkeit und es begann deren Eingliederung in das war mit seinem Gefährten Paul Minichofer über Wesso Kurfürstentum Bayern. An diesem Tag erschien der in brunn, Polling, Benediktbeuern und Tegernsee nach Irsee wohlbekannte Friedrich Wilhelm von Hertling, der St. Ulrich am Pillersee in Tirol geflohen, von wo er erst vom Stadtpfleger von Mindelheim zum Generalkommis- im Februar 1801 zurückkehrte. sar für die neu-bayerischen schwäbischen Gebiete auf- Mit dem Abzug der französischen Truppen aus gestiegen war, in Begleitung von Maximilian Emanuel Schwaben im April 1801 war der Zweite Koalitionskrieg von Lerchenfeld (1778–1843), dem späteren bayeri- endgültig vorbei. Grieninger geht in seiner Chronik an schen Finanzminister, und übergab dem Abt ein Schrei- dieser Stelle wieder zu einer deutlich strafferen Darstel- ben von Kurfürst Max IV. Joseph. Zugleich verkündete lungsweise über. Die von ihm im Folgenden geschilderte er die provisorische, das heißt militärische, Inbesitz- Aufhebung des Reichsstifts Irsee und die anschließen- nahme durch eine in Kürze eintreffende Abteilung von den Ereignisse können hier nun wieder ausführlicher 20–25 Infanteristen. An der weltlichen Verwaltung des wiedergegeben werden. Klosters ändere sich vorerst nichts. Am 2. September kam der bayerische Oberstleutnant und nachmalige Generalmajor Maximilian Graf von Spreti (1766–1819) Säkularisation und Auflösung von K loster mit einem Hauptmann nach Irsee, um für den nächsten Tag die Ankunft von 40 Mann Infanterie anzukündigen. und Herrschaft Irsee. Bannwarth als Diese Einheit blieb nur bis zum 9. September und wurde bayerischer Administrator (1802–1803) tags darauf durch einen anderen Verband, der lediglich Als das Kurfürstentum Bayern Anfang 1802 zuerst die 15 Mann umfasste, unter dem Kommando eines Feld- landständischen Klöster der Bettelorden aufhob, dar- webels ersetzt. Angesichts dieser Entwicklung wurde unter die mit Irsee enger verbundenen Konvente der für den 8. November eine Konferenz der betroffenen Kapuziner in Türkheim und der Unbeschuhten Karme- Klöster nach Roggenburg einberufen, an der neben liten in Schongau, stand für Grieninger endgültig fest, dem Gastgeber die Äbte von Elchingen, Irsee, Ursberg dass auch die Aufhebung seines Klosters nur noch eine und des Ulmer Wengenklosters mit ihren Oberamt Frage der Zeit war. In diese Phase des Wartens auf die leuten sowie der Prior und der Kanzler von Ottobeuren unmittelbar bevorstehende Säkularisation fiel im Som- teilnahmen. Es wurde beschlossen, zwei Prälaten mit mer ein Anlass, der ihm Gelegenheit gab, zum letzten ihren obersten Beamten nach München zum Kurfürsten Mal als Abt eines reichsunmittelbaren Klosters öffent- zu schicken, dem sie eine Bittschrift übergeben sollten. lich aufzutreten. Am 17. Juli erhielt er die Nachricht Dies brachte jedoch keinerlei Erfolg; vielmehr war die vom Ableben des seit 1767 amtierenden Reichspräla- vollständige Übernahme durch den bayerischen Staat ten von Ottobeuren Honorat Göhl. Zugleich erging an nicht mehr abzuwenden 74 . ihn die Bitte, die am 19. Juli stattfindende Beisetzung In Irsee begann die Zivilbesitznahme am 29. Novem- vorzunehmen. Da aufgrund der politischen Lage Eile ber. Durchgeführt wurde sie von dem Landrichter von geboten war, erfolgte schon am 23. Juli die Wahl eines Türkheim Alois von Predl (1765–1818), der noch einen Nachfolgers. Sie stand unter der Leitung des bischöf- Aktuar (Kanzleischreiber) mitbrachte. Nachdem man lichen Offizials und Domherrn Nicolas von Palmer; als das Mittagsmahl eingenommen hatte, ließ er das Irseer Skrutatoren fungierten Grieninger und der Füssener Kanzleipersonal, den Oberamtmann, den Kanzleirat, Abt Aemilian Hafner, der diese Aufgabe bereits 1784 den Sekretär und den Forstaufseher, die zuvor vom bei der Wahl Grieningers übernommen hatte. Am Tag Abt von ihren bisherigen Pflichten entbunden wurden darauf fuhren die beiden mit dem Neugewählten, dem waren, den Treueeid auf den bayerischen Kurfürsten bisherigen Prior Paulus Alt, zu dem Augsburger Bischof ablegen. Anschließend musste alles in den vier Kassen Clemens Wenzeslaus in dessen Sommerresidenz nach des Klosters (Abtei, Priorat, Großkellerei und Küchen (Markt-)Oberdorf, wo der neue Abt am 25. Juli die meisterei) vorhandene Geld säuberlich getrennt in eine Weihe empfing. Am 18. August begab sich Grieninger eiserne Truhe gelegt werden, die von Predl versiegelt ein letztes Mal nach Ottobeuren, um zum Abschluss wurde. Am nächsten Tag wurden auch die Bediensteten der Trauerfeierlichkeiten für Abt Honorat Göhl ein fei- des Klosters auf den Kurfürsten vereidigt. Alle Schränke erliches Seelenamt, den sogenannten Dreißigsten, zu der Kanzlei, die Bibliothek, das Museum mathematicum, 15
die Küsterei (Sakristei) und das Archiv wurden versie- er ein kurfürstliches Dekret, mit dem ihm eine Stelle als gelt. Zudem nahm der Landrichter in der Abtei ein Ver- Rat am neu zu errichtenden Oberappellationsgericht in zeichnis der Pektoralien (Brustkreuze), Ringe und Ketten Ulm zugesichert wurde. Jedoch musste er zumindest des Prälaten auf. Die nächsten Tage brachte man mit der noch so lange in seinem Amt als Administrator des Inventarisierung der gesamten beweglichen Habe des Klosters verbleiben, bis dessen Auflösung durch die Klosters zu. Erfasst werden mussten die Getreidevorräte, Verpachtung der Liegenschaften und die Versteigerung die Gerätschaften in der Küche, dem Brauhaus, der Küfe- der Mobilien abgeschlossen war. Zu deren Vorbereitung rei, der Kellerei und den Stallungen samt dem Vieh- und begannen dazu ernannte Schäzmänner am 24. Februar Pferdebestand sowie alle Kutschen und Wagen. Das- mit der Bewertung des Tierbestands und der beweg selbe geschah in den beiden Gutshöfen Bickenried und lichen Güter im Kloster sowie in Bickenried und Röhr- Röhrwang sowie mit den Lagerbeständen in den Zehent- wang. Ebenso wurden die Frondienste der Untertanen stadeln. Zudem musste der Kustos das Kirchensilber und und die sogenannten Seefuhren der Wirte, das heißt die die Paramente verzeichnen. Der Abt, der Großkeller und Transporte von den Weingütern am Bodensee, in Geld der Küchenmeister hatten unterdessen eine Übersicht umgerechnet. Zur Durchführung der Verpachtungen und über die Einnahmen und Ausgaben der letzten zehn Versteigerungen trafen am 7. März der Landesdirektions- Jahre sowie eine aktuelle Aufstellung der Aktiva und Pas- rat Joseph von Schilcher aus Ulm und der Rentamtsver- siva anzufertigen. Als dies alles am 10. Dezember fertig walter Johann Michael Leixl aus Illertissen ein. Nachdem war, besichtigte von Predl die Zellen der Konventualen; zuerst die Ablösung der Frondienste erfolgt war, wurden jeder Mönch musste angeben, welche Gegenstände sein das Bräuhaus an den bisherigen Klosterbraumeister und Privateigentum waren und welche dem Kloster gehör- der Ziegelstadel an den Ziegler verpachtet. Danach war ten. Am Tag darauf wurde ein Inventar der Ausstattung die Verteilung der Äcker und Wiesen des Klosters an der der Abtei aufgenommen. Dabei wurde auch die Kasse Reihe. Dazu mussten alle Gemeindemitglieder von Irsee der Rosenkranzbruderschaft geprüft; ihre Verwaltung auf der Kanzlei erscheinen und jeder erhielt einen Jau- beließ von Predl weiterhin in den Händen des Abtes. chert (Tagwerk) zur Pacht. Am 11. und 12. März fand die Am Ende seines fast dreiwöchigen Aufenthalts öffnete Verpachtung der Höfe Bickenried und Röhrwang statt. er noch einmal die versiegelte Geldtruhe, um die für die Die Gärten des Klosters pachtete der Gärtner; die Nutz- vier Kassen des Klosters zuständigen Patres mit einem nießung der Obstbäume wurde den Mönchen überlas- Handgeld für dringende Ausgaben zu versehen. Vor sei- sen. Am 14. begannen die Versteigerungen. Als Erstes ner Abreise am 16. Dezember rief er alle Konventualen wurde der gesamte Tierbestand, bis auf zwei Pferde, die in der Abtei zusammen und stellte ihnen den bisherigen die Konventualen behalten durften, veräußert, ebenso Oberamtmann von Bannwarth als neuen Administrator die Wagen und die Geschirre. Schon am Tag darauf reiste des Klosters vor. Die Rechnungsbücher der Abtei, der der Landesdirektionsrat von Schilcher wieder ab und Großkellerei und der Küchenmeisterei sowie die Kata- übertrug die weiteren Versteigerungen dem Rentamts- loge der Bibliothek ließ er in das Archiv bringen, das verwalter Leixl, der aber wegen anderer Geschäfte nur anschließend wieder versiegelt wurde. Nachdem er ein zwei Tage später Irsee ebenfalls verließ und die Fortset- letztes Mal zu Mittag gegessen hatte, fuhr man ihn mit zung der Verkäufe an den Administrator von Bannwarth einem Irseer Wagen nach Hause 75. delegierte76 . Die von Predl ausgefertigten Inventare und Protokolle Bei diesem gingen am 23. März drei Reskripte der wurden an die Landesdirektion in Schwaben mit Sitz in Landesdirektion ein. Das erste betraf die Bedienste- Ulm eingesandt. Von dieser für die Verwaltung der an ten des Klosters, die mit sofortiger Wirkung aus dem Bayern übergegangenen Gebiete neu eingerichteten Mit- Dienst entlassen wurden. Ihnen wurde eine jährliche telbehörde erhielt man am 9. Januar 1803 ein Reskript Pension zuerkannt, die sich nach der Höhe ihrer bis- (Bescheid), das neue Fassionen [Erklärungen], und herigen Bezüge richtete. Die Naturalleistungen, die sie genauere Verzeichniße über alle Zweige der Revenüen bislang empfingen, wurden abgeschafft. In dem zwei- [Einkünfte] des Klosters und der Landschaft sollen ver- ten Reskript wurde die vorläufige Pension des Abts auf fertiget, und eingeschikt werden. Damit der Adminis 5 Gulden pro Tag festgesetzt. Laut dem dritten Reskript trator von Bannwarth und der Großkeller Schelle diese erhielten die Konventualen vorläufig 1 Gulden Kostgeld Aufgabe erledigen konnten, mussten ihnen von Predl die täglich. Es wurde ihnen erlaubt, in der Klostergemein- benötigten Unterlagen, die sich im versiegelten Archiv schaft zu verbleiben und ihre geistlichen Funktionen befanden, herausgegeben werden. Als die neuen Auf- weiter auszuüben. Zugleich wurde aber jedem freige- stellungen am 8. Februar fertig waren, wurden sie per stellt, das Kloster zu verlassen. Dies musste jedoch Eilboten nach Ulm geschickt. Noch während Bannwarth bei der Landesdirektion beantragt werden, der auch mit dieser verdrüsslichen Arbeith beschäftigt war, erhielt der neue Aufenthaltsort und die künftige Tätigkeit mit- 16
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