Jede Barriere ist eine zuviel - DAS WIR GEWINNT In Kooperation mit den Verbänden der Behindertenhilfe und -selbsthilfe
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Jede Barriere ist eine zuviel In Kooperation mit den Verbänden der Behindertenhilfe und -selbsthilfe DAS WIR GEWINNT
Inhalt Ziel der Aktion Mensch 05 Was bedeutet Barrierefreiheit? 07 Warum ist Barrierefreiheit so wichtig? 08 Von Arbeit bis Wohnen: Barrierefreiheit hat viele Aspekte 11 Arbeit: Gleiche Chancen auf dem ersten Arbeitsmarkt 12 Bildung: Vielfalt im Klassenzimmer 14 Wohnen: Selbstbestimmtes Leben ermöglichen 16 Freizeit: Alle inklusive? 19 Leichte Sprache: Garantiert verständlich 20 Medien: Zugang für alle 22 Gebäude und Plätze: Zugänglichkeit gewähren 24 Bus und Bahn: Barrierefreiheit heißt Teilhabe 26 Blick nach vorn 27 Weitere Informationen 28 2 3
Das Ziel der Aktion Mensch: Die Teilhabe von Menschen mit Behinderung Mitmachen, mitreden, mitarbeiten. Genau darum geht es, wenn die Aktion Mensch sich für die gesellschaftliche Teilhabe von Menschen mit Behinderung einsetzt. Sowohl mit ihren Förderprogrammen als auch durch ihre Aufklärungs- arbeit will sie zeigen, was Inklusion ist und wie sie erfolgreich gelebt werden kann. Seit 1964 engagiert sich die Aktion Mensch in der Behindertenhilfe und -selbsthilfe sowie seit 2000 auch in der Kinder- und Jugendhilfe. Sie ist im sozi- alen Bereich die größte private Förderorganisation in Deutschland: Jeden Monat unterstützt sie bis zu 1.000 soziale Vorhaben. Möglich machen dies die Erlöse aus der Aktion-Mensch-Lotterie – also die 4,6 Millionen Loskäufer. 4 5
Was bedeutet Inklusion ist ein Menschenrecht. Barrierefreiheit? I Die UN-Konvention über die Rechte von Menschen mit Behin- Behindertenpolitik, die die Umsetzung der Behindertenrechts- nklusion lässt sich ohne Freiheit nicht denken. also darum, dass nicht nur Stufen (sondern auch derungen hat die Aktion Mensch in ihrem Tun bestärkt. Diese konvention (BRK) begleitet – bemängelt unter anderem, dass Denn wo Menschen mit Behinderung auf Bar- ein Aufzug oder eine Rampe) ins Rathaus führen, Konvention ist im Jahr 2008 in Kraft getreten und stellt unmiss- der Aktionsplan zu unverbindlich und damit unzureichend ist. rieren stoßen, bleibt ihnen die Teilhabe am kul- dass Formulare nicht in komplizierter Amtssprache, verständlich klar: Inklusion ist ein Menschenrecht. Seitdem ist Darüber hinaus kritisiert sie, dass die Länder und Kommunen turellen und politischen Leben, an der Arbeitswelt sondern (auch) in Leichter Sprache vorhanden sind dieser Begriff in aller Munde. Inklusion bedeutet, dass jeder zu wenig eingebunden sind. und in der Freizeit verwehrt. und dass auch gehörlose Menschen einen Vortrag Mensch die Möglichkeit erhält, sich vollständig und gleichbe- Kein Wunder also, dass Deutschland in Sachen schulische Noch verstehen die meisten Menschen unter verfolgen können – zum Beispiel mit Hilfe eines rechtigt an allen gesellschaftlichen Prozessen zu beteiligen – Inklusion, berufliche Teilhabe und Barrierefreiheit im europa- Barrierefreiheit Rampen statt Treppen, breite Türen Gebärdensprachdolmetschers. und zwar von Anfang an und unabhängig von individuellen weiten Vergleich schlecht abschneidet. Dagegen sind in den und absenkbare Busse. Doch bauliche Veränderun- Diese Alltagssituationen machen eines deutlich: Fähigkeiten, ethnischer wie sozialer Herkunft, Geschlecht oder skandinavischen Ländern der mindestens 9-jährige gemeinsa- gen und speziell ausgerüstete Fahrzeuge reichen Behindert ist man nicht – behindert wird man. Die Alter. me Unterricht für Kinder mit und ohne sonderpädagogischen nicht aus, um den Alltag barrierefrei zu gestalten. Gesellschaft trägt Mitverantwortung an der Behin- Auch Deutschland hat die UN-Konvention ratifiziert, aller- Förderbedarf und die enge Zusammenarbeit von Pädagogen, Der Begriff ist viel umfassender: Barrierefreiheit derung von Menschen, das spricht auch die UN- dings wurde erst im Juni 2011 ein Nationaler Aktionsplan Sonderpädagogen, Sozialarbeitern und Psychologen schon bedeutet, dass Gebäude und öffentliche Plätze, Behindertenrechtskonvention aus: In der Präambel verabschiedet. Und der steht stark in der Kritik. Die BRK-Alli- lange üblich. Arbeitsstätten und Wohnungen, Verkehrsmittel und wird auf die Erkenntnis verwiesen, dass „Behinde- anz – ein Zusammenschluss von 78 Organisationen aus der Gebrauchsgegenstände, Dienstleistungen und Frei- rung aus der Wechselwirkung zwischen Menschen zeitangebote so gestaltet werden, dass sie für alle mit Beeinträchtigungen und einstellungs- und um- ohne fremde Hilfe zugänglich sind. Konkret geht es weltbedingten Barrieren entsteht“. 6 7
Warum ist Barrierefreiheit so wichtig? B arrierefreiheit nutzt allen: Men- Barrierefreiheit geht Menschen ohne Be- 75 Jahre alt. Das durchschnittliche Le- schen mit und ohne Behinde- hinderung auch deswegen an, weil sie bensalter steigt – für jeden von uns ist rung, Senioren, Kindern, Eltern irgendwann womöglich selbst auf gut das ein Grund mehr, sich für ein Leben und Menschen, die nur vorübergehend zugängliche Gebäude, Leichte Sprache ohne Barrieren stark zu machen. Der in ihrer Mobilität eingeschränkt sind. So oder die Kommunikation über Compu- Staat hat sich im Gesetz zur Gleich- hilft ein Aufzug Eltern mit Kinderwagen, ter angewiesen sind. Denn Tatsache ist: stellung behinderter Menschen (BGG) alten und gehbehinderten Menschen Nur 4 Prozent aller Behinderungen sind längst verpflichtet, bei Gebäuden und im gleichermaßen. Und was Menschen mit angeboren. In den allermeisten Fällen Verkehr sowie bei Kommunikation und geistiger Behinderung benötigen – näm- löst eine Krankheit die Behinderung aus, in der Informationstechnik für Barriere- lich Texte in einfacher Sprache oder Be- auch Unfälle können eine Ursache sein. freiheit zu sorgen. Die UN-Behinderten- bilderungen – nutzt auch vielen anderen: Und so gehen Alter und Behinderung rechtskonvention verpflichtet ihn in Arti- Menschen, die wenig Deutsch sprechen, oft einher: Gut ein Viertel der Menschen kel 9 zusätzlich, bestehende Barrieren die nicht oder kaum lesen können oder mit Schwerbehinderung ist 75 Jahre und zu beseitigen und das Entstehen neuer sich an einem Ort nicht auskennen. älter, die Hälfte ist zwischen 55 und Barrieren zu verhindern. 8 9
Von Arbeit bis Wohnen: Barrierefreiheit hat viele Aspekte Ließe sich Barrierefreiheit allein in Zentimetern und DIN-Angaben erfassen, gäbe es klare Vorgaben für unser Zusammenleben. Aber es geht eben nicht nur um bauliche Barrieren, wie der Blick in das BGG und die UN-Behindertenrechtskonvention zeigt. Vor allem die UN-Behindertenrechtskonvention ist bemüht, möglichst alle Lebens- aspekte zu benennen, in denen Diskriminierung vermieden und Teilhabe ermöglicht werden soll – angefangen mit der Zugänglichkeit von Transportmitteln und Kommuni- kationsmedien in Artikel 9 über den Zugang zu Bildung in Artikel 24 bis hin zur Teil- habe am kulturellen Leben sowie Freizeit, Erholung und Sport in Artikel 30. 10 11
Arbeit: Gleiche Chancen auf dem ersten Arbeitsmarkt I Bei Barrierefreiheit ntegrationsvereinbarungen sorgen Dennoch ist es für Menschen mit Behin- Viele Menschen mit Behinderung sind darin, dass 60 Prozent aller privaten heute in zahlreichen Betrieben für derung schwierig, eine Stelle auf dem zudem ganz ohne Arbeit: Die Arbeitslo- Unternehmen lieber eine Ausgleichs- geht es nicht die Gestaltung des Arbeitsplatzes, ersten Arbeitsmarkt zu finden. So waren sigkeit unter ihnen ist überdurchschnitt- abgabe zahlen, als die Mindestquote zu auch Arbeitsorganisation und Arbeits- im Jahr 2009 in der freien Wirtschaft so- lich hoch, knapp 176.000 Arbeitslose mit erfüllen – der zufolge sollen 5 Prozent nur um bauliche zeiten für Mitarbeiter mit Behinderung wie den 700 Integrationsunternehmen Schwerbehinderung zählte die Bundes- der Stellen an Menschen mit Behinde- werden darin geregelt. Ist eine behinder- in Deutschland rund 876.000 Menschen agentur im Mai 2012. Im Verlauf der letz- rung vergeben werden. In Fulda hin- Barrieren. tengerechte Einrichtung des Arbeits- beschäftigt, etwa 290.000 arbeiteten da- ten drei Jahre (Oktober 2009 bis Oktober gegen stellen sich Unternehmer ihrer platzes nötig – zum Beispiel durch be- stimmte Stühle oder Tische –, können gegen in einer der 700 Werkstätten, in denen Menschen mit Behinderung unter 2012) ist die Zahl der arbeitslosen Men- schen mit Behinderung um 5,6 Prozent Verantwortung: Gemeinsam mit sozialen Einrichtungen und engagierten Bürgern 60 % die Arbeitgeber Zuschüsse beantragen. sich bleiben. Die UN-Behindertenrechts- gestiegen. Im gleichen Zeitraum ist die haben sie die „Perspektiva GmbH“ ge- Auch Kosten für technische Arbeits- konvention dagegen verlangt in Artikel Arbeitslosenzahl in der Gesamtbevölke- gründet und bereiten Jugendliche mit aller privaten Unternehmen hilfen, Arbeitsassistenzen, Vorlesekräfte 27 die gleichberechtigte Teilhabe am rung um 14,5 Prozent gefallen. Die posi- Sonderschul- oder schwachem Haupt- und Gebärdensprachdolmetscher wer- Arbeitsmarkt und die Möglichkeit, sich tive Arbeitsmarktentwicklung geht somit schulabschluss auf ihren künftigen Ar- ziehen Ausgleichsabgaben der den von Arbeitsagenturen, Integrations- seinen Lebensunterhalt selbst zu verdie- an Menschen mit Behinderung vorbei. beitsplatz vor bzw. vermitteln sie in den Erfüllung einer Mindestquote vor ämtern, Rehaträgern oder den Kommu- nen. Werkstätten für Menschen mit Be- Wie hoch die Barrieren in den Köpfen ersten Arbeitsmarkt. nen übernommen. hinderung erfüllen diese Forderung nicht. vieler Arbeitgeber sind, zeigt sich auch 12 13
Bildung: Vielfalt im Klassenzimmer Wer schon von klein auf miteinander spielt und lernt, wird sich auch später vorurteilsfrei begegnen. D ie UN - Behindertenrechtskonvention schreibt in Arti- Sie gehen nicht von einem Durchschnittskind aus, an dem wird auf eine gute Raumakustik und angemessene kel 24 das Recht von Menschen mit Behinderung auf sich die schulischen Angebote ausrichten und die Leistun- Beleuchtung geachtet. Bildung fest. Genauer gesagt: das Recht auf gemein- gen der Schüler gemessen werden. Stattdessen erkennen sie Inklusive Beschulung diskriminiert also nieman- sames Lernen von Kindern mit und ohne Behinderung, das die Heterogenität der Schülerschaft an, begreifen die Unter- den. Und wer von klein auf miteinander spielt und im Kindergarten beginnt und sich in Schule, Hochschule und schiede als Reichtum und lassen allen Kindern Zeit, ihre lernt, wird sich auch später im Arbeitsleben oder Erwachsenenbildung fortsetzt. Talente zu entfalten. in der Freizeit vorurteilsfrei begegnen. Doch von Die Idee für ein inklusives Bildungssystem geht auf eine In den Klassen gestalten ein Lehrer und ein Sonderpäda- diesem Ziel ist Deutschland – in Sachen schulische UNESCO-Konferenz von 1994 in Salamanca zurück. In der Ab- goge gemeinsam den Unterricht – und zwar so, dass Lern- Inklusion Schlusslicht in Europa – noch weit ent- schlusserklärung wurde betont, dass Regelschulen mit inklu- ziele wie auch Lerntempo den einzelnen Kindern angepasst fernt: Nur gut 22 Prozent der Kinder und Jugend- siver Ausrichtung das beste Mittel seien, um diskriminierende werden. In der Regel besuchen nicht mehr als 6 Kinder mit lichen mit Förderbedarf besuchen hierzulande eine Haltungen zu bekämpfen, Chancengleichheit in der Bildung Behinderung eine „integrative Klasse“. Je nach Behinderung Regelschule, das sind 487.000 Schüler. zu erreichen und langfristig eine gerechte und offene Gesell- haben die Kinder persönliche Assistenten oder Gebärden- schaft aufzubauen. sprachdolmetscher an ihrer Seite. Es gibt technische Hilfs- „Eine Schule für alle“, das ist das Gegenteil des geglieder- mittel wie die elektronische Tafel, die blinde Schüler mit ihrem ten Schulsystems, wie es heute noch weit verbreitet ist. Inklu- PC verknüpfen können. Für Kinder mit Sinnesbehinderungen sive Schulen beziehen Kinder mit und ohne Behinderung ein. sind sowohl Ton- als auch Blinksignale vorhanden, und es 14 15
Wohnen: Bis zu Selbstbestimmtes 2,5 Mio. barrierefreie Wohnungen Leben ermöglichen 500.000 barrierefreie Wohnungen Bedarf 2025 2013 M enschen mit Behinderung sol- rung wurden im Jahr 2007 in Heimen be- res Wohnmodell ist die Nachbarschaft von bedarf zu – trotz der Gleichstellungsge- eine Leistung für eine geeignete stationäre Einrich- len selbst entscheiden können, treut, nur gut die Hälfte (nämlich 93.000) Menschen mit und ohne Behinderung, setze in Bund und Ländern und trotz der tung zumutbar und eine ambulante Leistung mit wo, wie und mit wem sie woh- erhielt ambulante Unterstützung im Alltag wie sie im Schammatdorf in Trier gelebt im Sozialgesetzbuch IX, §1, enthaltenen unverhältnismäßigen Mehrkosten verbunden ist“. So nen möchten: ob allein oder in WGs, in der eigenen Wohnung oder Wohn- wird. In dem Wohngebiet mit 144 Woh- Regelung, wonach Menschen mit Be- lässt sich leicht jeder Antrag auf ambulante Leistun- ob mit Familie oder mit Freunden, ob gemeinschaft. nungen, von denen 44 barrierefrei sind, hinderung Leistungen erhalten, „um ihre gen aushebeln – mit der Folge, dass Menschen mit auf dem Land oder in der Stadt. Dieses Dabei ermöglichen allein diese Wohn- leben rund 280 Menschen – Menschen Selbstbestimmung und gleichberechtigte hohem Unterstützungsbedarf immer wieder gegen Recht schreibt Artikel 19 der UN-Behin- formen ein weitgehend eigenständiges mit Behinderung, Familien mit Kindern, Teilhabe am Leben in der Gesellschaft zu ihren Willen in Heimen untergebracht werden. dertenrechtskonvention fest. Wohnheime, Leben und bieten die Chance, ganz selbst- Senioren, Studierende, Alleinerziehende fördern“. Doch wer sein Recht durchgesetzt hat, bekommt in denen ausschließlich Menschen mit verständlich mit Menschen ohne Behinde- – und helfen sich gegenseitig. In der Realität wird nötige Unterstüt- noch längst keine Wohnung. Die Zahl der für Men- Behinderung leben, ermöglichen kaum rung Kontakt aufzunehmen. Die Bewohner Doch trotz der vielen Möglichkeiten zung häufig nicht gewährt. Beispiel per- schen mit motorischen Einschränkungen barrierefrei- die angestrebte „unabhängige Lebens- mit Behinderung, die allein oder in WGs leben Menschen mit Behinderung zu sönliche Assistenz: Wer diese beantragt, en Wohnungen in Deutschland wird auf 500.000 ge- führung und Einbeziehung in die Gemein- leben, organisieren ihren Alltag selbst und großen Teilen in Wohnheimen. Dies zeigt, um in einer eigenen Wohnung leben zu schätzt – der Bedarf bis zum Jahr 2025 allerdings auf schaft“. Die Realität sieht anders aus: In werden von Sozialpädagogen und Haus- dass sie in der Wahl ihres Wohnortes können, wird von den Leistungsträgern 2 bis 2,5 Millionen. Selbstbestimmt leben kann aber Deutschland ist das Wohnheim noch im- wirtschaftskräften – zum Beispiel im Um- und der Wohnform in Deutschland nicht meist auf den §13 im Sozialgesetzbuch nur, wer auch eine barrierefreie Wohnung hat, wobei mer die häufigste Wohnform jenseits der gang mit Geld, bei Arztbesuchen oder der wirklich frei sind. Vor allem trifft das auf XII verwiesen. Demnach hat die ambu- sich die Ausstattung an der Art der Behinderung und Familie: 176.000 Menschen mit Behinde- Haushaltsführung – unterstützt. Ein ande- Menschen mit hohem Unterstützungs- lante Leistung keinen Vorrang, „wenn den individuellen Bedürfnissen orientieren muss. 16 17
Freizeit: Alle inklusive? O b Kino, Konzert, Museum, Sport oder Urlaub: Men- in Museen die Informationen, die andere Besucher per Audio- schen mit Behinderung wollen ihre Freizeit nach ih- guide erhalten; bei Vorträgen übersetzen sie das gesprochene ren Bedürfnissen und Interessen gestalten. Dieser Wort. Für blinde Menschen wiederum ist eine Audiodeskription Wunsch ist ihr gutes Recht, nicht zuletzt weil die UN-Kon- – die Erklärung von Bildern in Worten – die Voraussetzung für vention über die Rechte von Menschen mit Behinderungen in echte Teilhabe an Film- und Theatervorstellungen. Und damit Artikel 2 fordert, dass alle erforderlichen Vorkehrungen getrof- Rollstuhlfahrer ein Konzert besuchen können, muss für Zugäng- fen werden müssen, „um zu gewährleisten, dass Menschen lichkeit und behindertengerechte Toiletten gesorgt werden. mit Behinderungen gleichberechtigt mit anderen alle Men- Eine Gruppe ehrenamtlich engagierter Jugendlicher und schenrechte und Grundfreiheiten genießen“. Artikel 30 präzi- junger Erwachsener aus Wesel machte vor, wie sich gemein- siert diese Forderung mit Blick auf die Teilhabe am kulturellen sam umsonst, draußen und barrierefrei feiern lässt: Auf dem Leben sowie an Erholung, Freizeit und Sport. „EselRock“-Festival im Mai 2012 wurden mit Geldern der Je nach Art der Behinderung kann die Barrierefreiheit ganz Aktion Mensch Rasenabdeckplatten verlegt, damit Rollis bes- unterschiedlich gestaltet sein: Damit gehörlose Menschen ei- ser das Gelände überqueren konnten. Für einen freien Blick nen Film oder ein Theaterstück genießen können, brauchen sie auf die Bühne stand ein Rolli-Podest mitten in der Menge, und Untertitel auf der Leinwand oder der Bühne. Bei anderen Gele- für Besucher mit Hör- oder Sehbehinderung war ein Streifen genheiten helfen Gebärdensprachdolmetscher: Sie vermitteln vor der Bühne reserviert. 18 19
Leichte Sprache: Garantiert verständlich M enschen mit geistiger Behinderung, mit einge- von Texten in Leichter Sprache beteiligt und gewährleisten, schränktem Leseverständnis, Seh- oder Hörbehin- dass die Texte verständlich und für alle gut lesbar sind. derung fällt das Verständnis eines Textes leichter, Damit Menschen mit Behinderung alle Internetangebote wenn dieser in einfachen und bekannten Worten, in kurzen der Bundesbehörden uneingeschränkt nutzen können, hat die Sätzen, einfacher Grammatik und einer gut lesbaren Schrift Regierung die Barrierefreie-Informationstechnik-Verordnung formuliert ist. Trifft das alles nicht zu, sind Zeitungsartikel oder (BITV) erlassen. Sie bestimmt, dass für alle Inhalte zum Bei- Infobroschüren von Ärzten oder Ämtern für Menschen mit spiel der öffentlichen Verwaltung die klarste und einfachste Behinderung unverständlich. Es bleiben ihnen viele interes- Sprache zu verwenden ist. sante oder gar wichtige Informationen unzugänglich. Die Die Texte in Leichter Sprache werden also mehr – doch in- selbstbestimmte Teilhabe am gesellschaftlichen Leben ist ih- formieren diese meist über Behindertenrecht und -politik oder nen verwehrt und sie sind auf andere angewiesen. klären über Gesundheit und Sexualität auf. Romane und Koch- Um Standards für eine Leichte Sprache weiterzuentwickeln bücher, Biographien und Reiseführer sind dagegen rar. Und und diese zu fördern, wurde im Jahr 2006 das Netzwerk Leich- Kinderbücher, die in Leichter Sprache verfasst sein mögen, te Sprache gegründet. Hier tauschen sich Menschen mit und treffen nicht das Lebensgefühl und die Interessen von Jugend- ohne Beeinträchtigungen aus und arbeiten eng zusammen: lichen und Erwachsenen mit Behinderung. „Experten in eigener Sache“ sind immer an der Entstehung 20 21
Medien: Zugang für alle M enschen mit Behinderung nut- Das Internet sorgt somit dafür, dass mit geistiger Behinderung wichtig ist, dass Inhalte in Leichter zen das Internet noch stärker Menschen mit Behinderung autonom Sprache und/oder als Gebärdenvideo abrufbar sind, profitieren als Menschen ohne Behinde- an der Gesellschaft teilhaben können. Menschen mit Sehbehinderung von Vergrößerungssoftware. rung, das belegt eine Studie der Aktion Deshalb war es auch den Verfassern Blinde Menschen können sich dank Texterkennungs- und Vor- Mensch zum barrierefreien Internet. der UN-Behindertenrechtskonvention so lese-Software Websites vorlesen oder in Blindenschrift – also Denn mit seinen sozialen Netzwerken wichtig, den ungehinderten Zugang zu Brailleschrift – ausgeben lassen. und der Möglichkeit, E-Mails zu schrei- Information und Kommunikation über Auch für Menschen mit motorischen Einschränkungen ben, erlaubt das Internet vielen Men- das Internet als Menschenrecht in Arti- bringt die Technik Hilfe: Sie können über Sprachsteuerungs- schen mit Behinderung einen größe- kel 9 aufzunehmen. programme oder per Augensteuerung Texte schreiben oder ren Austausch mit ihrer Umwelt – zum Die Teilhabe über das Internet funkti- im Internet surfen – indem sie beispielsweise eine Tastatur Beispiel, wenn sie ihr Zuhause nicht so oniert jedoch nur dann, wenn die Web- auf dem Bildschirm einblenden und mit der Augensteuerung leicht verlassen können. Auch Einkäufe angebote sowohl zugänglich als auch Buchstaben auswählen. und Behördengänge lassen sich so er- verständlich sind. Je nach Art der Behin- Kommunikation läuft nicht ausschließlich über Sprache – ledigen. Für blinde und sehbehinderte derung unterscheiden sich die Anforde- und manche Menschen können sich auch nicht über Sprache Nutzer ist das Internet zudem eine wert- rungen an Barrierefreiheit: Während es mitteilen. Ihnen ermöglichen Kommunikationsgeräte mit bebil- volle Informationsquelle. für gehörlose Menschen und Menschen derten Buttons den Austausch mit ihrer Umwelt. 22 23
Gebäude und Plätze: Leitsysteme sind essenziell, damit sich Menschen mit Zugänglichkeit gewähren Behinderung selbstständig bewegen können. D as Piepen der Ampel, Pflaster- bereits üblich: Schilder in verschiedenen jedoch nicht. Es hängt von einzelnen Sammlung von Fotos und entsprechenden Gebär- steine mit Oberflächenstruktur, Farben machen unterschiedliche Berei- Hochschulen und Lehrstühlen ab, wel- denpiktogrammen aufgebaut, die sowohl Gebäude abgesenkte Bordsteinkanten – che erkennbar, Bodenleitsysteme mar- che Bedeutung diesem Thema beige- der Behindertenhilfe als auch wichtige Orte im Dorf das sind drei Ansätze für barrierefreie kieren den schnellsten und einfachsten messen wird – und damit auch, ob die wie Bäcker, Arzt, Friseur und Kirche zeigen. Diese Stadtplanung, die vielen mittlerweile ver- Weg, Piktogramme lotsen zu Infopunk- Studierenden frühzeitig für die Belange Piktogramme finden sich an den Gebäuden gleich- traut sind. Doch Barrierefreiheit reicht ten oder Toiletten, Ansagen über Laut- von Menschen mit Behinderung sensi- falls wieder. „Guck hin“ heißt dieses Projekt, das die weit über diese Maßnahmen hinaus. sprecher ergänzen die Schrift- und Bild- bilisiert werden. Wie man ohne großen Aktion Mensch gefördert hat. So benötigen Menschen mit geistiger informationen. Wenn Architekten und technischen und bürokratischen Auf- Leitsysteme sind auch für sehbehinderte oder Behinderung eine klare Gestaltung von Stadtplaner U-Bahnen, Plätze oder Ein- wand auf die Bedürfnisse von Menschen blinde Menschen wichtig, damit diese sich selbst- Innen- und Außenräumen. Eindeutige kaufszentren entwerfen, müssen sie mit Behinderung eingehen kann, macht ständig in Gebäuden und auf Plätzen bewegen Piktogramme sowie Schilder in verständ- zahlreiche Vorgaben zur Barrierefreiheit eine Kleinstadt in Baden-Württemberg können – zum Beispiel Tastpläne und Beschilde- licher Sprache können ihnen bei der beachten, die in Landesbauordnungen, vor. In den Einrichtungen der Ziegler- rungen in Brailleschrift sowie Tastkanten und Bo- Orientierung helfen. Hier sind Flughäfen, technischen Baubestimmungen und schen Anstalten in und um Wilhelmsdorf denindikatoren. Damit Schilder lesbar sind, braucht Bahnhöfe und Messehallen Vorbilder für DIN-Normen geregelt sind. Ein fester leben und arbeiten fast 500 Menschen es klare Farbkontraste und Schriften sowie eine die Gestaltung des öffentlichen Raums, Bestandteil des Architekturstudiums ist mit geistiger und Hör-Sprach-Behin- helle, aber nicht blendende Beleuchtung. denn hier sind Orientierungssysteme das „barrierefreie Planen und Bauen“ derung. Für sie haben Mitarbeiter eine 24 25
Bus und Bahn: Blick nach Barrierefreiheit vorn heißt Teilhabe D B er öffentliche Personennahver- Vorschriften wurde im November 2012 Hier ist ebenso wichtig, dass Fahrkarten- arrierefreiheit lässt sich nicht von heute auf morgen er- kehr (ÖPNV) in Deutschland ein wichtiger Schritt in diese Richtung automaten dem Benutzer Zeit lassen, reichen, ihre Umsetzung ist ein Prozess. Der fordert viele spielt eine große Rolle für Men- getan. Das Gesetz enthält einen Passus, sich durch das Menü zu klicken und Beteiligte: Bund, Länder und Kommunen, die sich an Ge- schen mit Behinderung, da sie häufig demzufolge das bundesweite ÖPNV-Netz dass die einzelnen Schritte per Laut- setze halten. Arbeitgeber, die zu ihrer unternehmerischen Verant- nicht selbst Auto fahren oder sich kein sowie der Fernbusverkehr bis 2022 bzw. sprecher kommuniziert werden. wortung stehen. Schulen, die sich für inklusive Pädagogik öffnen. Auto leisten können. Bus und Bahn er- 2019 barrierefrei sein müssen. Niederflur- Mit Hubliften, Rampen und Mitarbei- Und jedes einzelne Mitglied unserer Gesellschaft, um die Artikel möglichen ihnen Mobilität und damit busse sind in vielen Städten schon selbst- tern, die beim Ein- und Aussteigen hel- und Paragraphen aus der UN-Behindertenrechtskonvention und Teilnahme am gesellschaftlichen Leben. verständlich. Auch an der Gestaltung fen, bemüht sich die Deutsche Bahn um dem BGG mit Leben zu füllen. Menschen mit und ohne Behinde- Hilfreich ist zudem, dass Menschen mit von Haltestellen wird deutlich, dass ein Fahrgäste mit körperlicher Behinderung. rung müssen sich darüber austauschen, welche Hindernisse im Schwerbehinderung das Recht haben, Umdenkprozess im Gange ist. Zahlreiche Doch wer spontan verreist, kann nicht Wege stehen und wie sie beseitigt werden können. Im täglichen kostenlos im ÖPNV mitzufahren; das gilt Kommunen planen die Anhebung der auf den „Mobilitätsservice“ bauen – die Miteinander ist von uns allen Offenheit, Einfühlungsvermögen, auch für ihre Begleitpersonen. Bordsteine und akustische Ansagen. Bahn erwartet eine Anmeldung am Vor- Ideenreichtum und Aufmerksamkeit gefragt. Voraussetzung für mehr Mobilität ist Doch geht es bei öffentlichen Ver- abend der Fahrt. Und auch auf kleinen Die Aktion Mensch unterstützt diesen Prozess durch Kampa- allerdings, dass die Verkehrsmittel zu- kehrsmitteln wie Bus und Bahn nicht Bahnhöfen und an Wochenenden oder gnen, Aufklärungsarbeit und ihre Förderprogramme „Inklusion“ gänglich sind. Mit dem Gesetz zur Än- nur um deren Zugänglichkeit und um in Ferienzeiten ist nicht immer Hilfe und „Miteinander gestalten“, die engagierten Bürgern zugute- derung personenbeförderungsrechtlicher Schalter und Griffe in der richtigen Höhe. vorhanden. kommen. Denn eines ist klar: Inklusion ist keine Sache von Experten. Sie geht uns alle an. 26 27
Weitere Informationen „Einfach für alle“ ist eine Initiative der Aktion Mensch. Wer wissen Im Rahmen ihres Förderschwerpunktes Inklusion bietet die Informationen rund um das Thema Barrierefreiheit gibt es unter: Die Nationale Koordinierungsstelle Tourismus für Alle e. V. berät möchte, wie Seiten im Netz barrierefrei gestaltet werden können, Aktion Mensch neue Förderbausteine an: das Förderprogramm www.barrierefreiheit.de und informiert zum Thema barrierefreies Reisen: findet alles Wissenswerte unter: „Inklusion für lokale Vernetzungsprojekte“ und die Förderaktion www.natko.de www.einfach-fuer-alle.de „Miteinander gestalten“. Informationen unter: Kostenfreie Beratung zum Thema barrierefreies Wohnen erhalten www.aktion-mensch.de/foerderung Sie unter: Weitere Informationen zur UN-Konvention und deren wichtigsten Informationsplattform der Aktion Mensch für Menschen mit www.online-wohn-beratung.de Artikeln vermittelt die Broschüre „Ein großer Schritt nach vorn“. Behinderung und ihre Angehörigen: Mehr zum Netzwerk Leichte Sprache und eine Mitgliederliste Das Übereinkommen der Vereinten Nationen über die Rechte www.aktion-mensch.de/familienratgeber unter: Um das Thema barrierefreies Bauen geht es hier: von Menschen mit Behinderungen. Link zur UN-Behinderten- www.leichtesprache.org www.nullbarriere.de rechtskonvention: Der Leitfaden der Aktion Mensch „Inklusion: Schule für alle http://goo.gl/crk7G gestalten“ sowie weitere Unterrichtsmaterialien zum Miteinander Das inklusive Wohnprojekt Schammatdorf in Trier stellt sich auch Einige Reiseveranstalter haben sich auf die Bedürfnisse von von Menschen mit und ohne Behinderung sind kostenlos erhält- im Internet vor: Menschen mit Behinderung spezialisiert: Link zur Schattenübersetzung der UN-Behindertenrechtskon- lich unter: http://schammatdorf.de/wp www.reisen-ohne-barrieren.eu vention: www.aktion-mensch.de/unterricht http://goo.gl/GZYDW Mehr über die Geschichte der „Perspektiva Fulda“ sowie ihre Städte und Regionen, die einen „Urlaub für alle“ ermöglichen Erfolge in Sachen Integration in den ersten Arbeitsmarkt erfährt wollen, haben sich in der AG „Barrierefreie Reiseziele in Deutsch- Im Behindertengleichstellungsgesetz lässt sich hier nachlesen: man unter: land“ zusammengeschlossen: http://goo.gl/H09VU http://perspektiva-fulda.de www.barrierefreie-reiseziele.de 28 29
Weitere Informationen erhalten Sie unter www.aktion-mensch.de Impressum Aktion Mensch e. V. Heinemannstr. 36 53175 Bonn Telefon: 0228 2092-355 Text: Eva Keller Projektleitung: Carolina Bontá Stand: März 2013
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