Journal - Eine Hommage an Ursula Wyss Bern-Nord wir ergreifen Partei - SP Bern-Nord
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Journal Heft Nr. 54 SP Bern-Nord, November 2020 Neuigkeiten für Mitglieder, Sympathisantinnen und Sympathisanten Eine Hommage an Ursula Wyss Bern-Nord wir ergreifen Partei
Editorial Liebe Genoss*innen Die Covid-19-Fallzahlen sind im Herbst ichael Aebersold und die neue Gemein- M 2020 wieder stark gestiegen. Die Situation deratskandidatin Marieke Kruit zu wählen. ist schwierig, das Zusammenleben anders. Nur mit ihnen können wir eine Stadt gestal- Auch in der Partei müssen wir anders arbei- ten, die sich an den Bedürfnissen aller Ein- ten, können wir uns weniger sehen, unsere wohner*innen orientiert. Anlässe nicht wie gewohnt durchführen. Wir versuchen derweil, trotz allem Alterna- Ursula, mit dir tritt eine grosse Gemeinde- tiven zu bieten, den Kontakt zu halten und rätin ab – wir danken dir von Herzen für hoffen, dass wir euch bald wieder auch per- deinen unvergleichlich kompetenten, uner- sönlich treffen können. müdlichen Einsatz für eine gerechtere und nachhaltigere Stadt Bern! Ganz besonders schwer fiel es uns, die Mit- gliederversammlung vom 16. November abzusagen – die Mitgliederversammlung Valentina Achermann und Lea Meister zur Würdigung der Arbeit unserer Ge- Co-Präsidium SP Bern-Nord meinderätin Ursula Wyss. Darum ist es uns wichtig, hier über ihre grossen Verdienste zu berichten. Eine Feier in Person wird aber nachgeholt, versprochen! Ursulas Leistungsausweis als Gemeinde rätin ist einfach nur beeindruckend. Ver- kehr, Gleichstellung, Begegnungszonen: Ursula plante, packte an, setzte um. Ihre Arbeit hinterlässt Spuren, hinterlässt ein Bern, das für alle lebenswerter wurde. Das spannende Interview, welches Daniel Von- lanthen mit ihr führte, gibt einen Einblick in Ursulas Schaffen. Was Ursula Wyss als SP-Gemeinderätin in ihrer Amtszeit erreicht hat, zeigt, was mit einer konsequent sozialen und ökolo- gischen Politik in der Stadt Bern bewegt werden kann. Deshalb ist es wichtig, am 29. November den bisherigen Gemeinderat
Interview Gemeinderätin Ursula Wyss, Direktorin für Tiefbau, Verkehr und Stadtgrün, über ihre Bestrebungen, eine Stadt Bern für alle mitzugestalten «Der Ausbau der Veloinfrastruktur hat sich gelohnt» Kennst du dieses Zitat? «Wir sollten die Krise Ursula: Für eine Bilanz ist es noch zu früh. als Chance nutzen, eine gerechte Verteilung Die Massnahmen gegen Corona haben den des städtischen Raums zugunsten der Men- Leuten die Augen geöffnet dafür, wie wichtig schen zu erreichen.» das direkte Wohnumfeld ist – gerade für Fa- Ursula Wyss: Es könnte von mir sein. milien mit Kindern. Nicht alle verfügen über eine geräumige Wohnung mit Balkon. Das Ja, es stammt aus deinem Positionspapier vom 24. April 2020 betreffend Corona-Mass- nahmen in der Stadt Bern. Aber es könnte ein grundsätzlicher Leitsatz deiner Amtszeit sein. Ursula: Ja durchaus, denn es ist ein sozial- demokratischer Grundsatz, der mit Gerech- tigkeit zu tun hat. Die Möglichkeiten zur Nut- zung des öffentlichen städtischen Raums sind ungleich verteilt. Das Thema ist aktueller denn je; und es beschäftigt uns seit Jahren. Seit dem zweiten Weltkrieg sind die Städte aufs Auto ausgerichtet. 60 bis 80 Prozent der öffentlichen Flächen in europäischen Städten sind dem Strassenverkehr geopfert. Dieser Flächenanspruch bestimmt zu einem grossen Teil das Verhalten der Menschen im Aussenraum. Der Autoverkehr ist ineffizient, beansprucht übermässig viel Platz und Ressourcen und beeinträchtigt Umwelt und Lebensqualität. Dein Ziel ist eine nachhaltige, stadtverträgli- che Mobilität. Hat die Corona-Pandemie die Verkehrswende eher beschleunigt oder ge- bremst?
Ursula: Wir gingen mit Pragmatismus vor. Zu- erst haben wir geschaut, wo es ungenutzten Strassenraum gibt. Alle waren überrascht, wie viele tote Flächen es tatsächlich gibt. Die- se konnten wir dem Fuss- und Veloverkehr zurückgeben ohne Einbussen für andere. Zudem gab es Strassenzüge wie beispiels- weise Viktoria- und Könizstrasse, die beidsei- tig zugeparkt waren. Diese Parkplätze haben wir aufgehoben zugunsten der Velos. Und es war sehr erstaunlich festzustellen, dass sich 40 Kilometer neue Velowege sind entstanden. schon nach wenigen Tagen kaum jemand Beispiel Lorrainebrücke. Bild dv mehr an diese Parkplätze erinnerte. Die jüngste Umfrage von Pro Velo Bern be- klagt Sicherheitslücken im Velonetz – beson- Mobilitätsverhalten hat sich nicht grundsätz- ders bei Knotenpunkten und Übergängen. lich verändert. Verloren hat der öffentliche Ursula: Leider lässt sich das Verkehrssystem Verkehr, denn zu Beginn der Pandemie wur- nicht in kurzer Zeit ändern. Denn wie gesagt, de den Leuten sogar empfohlen, diesen zu meiden. Der öffentliche Verkehr wurde zu Un- «Kantonale und eidgenössische recht stigmatisiert. Eine erfreuliche Zunahme Gesetzgebung widersprechen hat der Veloverkehr in der Stadt erfahren. Die den städtischen Bedürfnissen Steigerung konnten wir an unseren diversen Messstationen feststellen. Leider müssen wir fundamental. Wir brauchen eine auch konstatieren, dass mehr Autos aus der nationale Mobilitätsstrategie der Region in die Stadt fahren – dies belastet Städte.» das städtische Verkehrsnetz. Der Ausbau der Veloinfrastruktur hat sich gelohnt. Ich habe die Ausrichtung des Strassenraums auf den ihn während meiner Amtszeit konsequent Autoverkehr hat jahrzehntelange Tradition. voran getrieben. Allerdings sind wir noch Dem möglichst ungestörten Verkehrsfluss längst nicht am Ziel. wird alles untergeordnet. In der nationalen Strassengesetzgebung und Infrastrukturpla- Wirksame Veloförderung erfordert eine Neu- nung hat das Auto nach wie vor Priorität. Das verteilung der Verkehrsflächen mit Einbus- Velo bekommt, dort wo es aus Platzgründen sen für den Autoverkehr. Dies löst zumeist möglich ist, einen Streifen am Rand zugewie- heftige Widerstände aus. Wie hast du sie sen. Entsprechend ist auch die Finanzierung überwinden können? geregelt. Es gibt viel Geld fürs Auto, wenig
für Fuss- und Veloverkehr, deren Infrastruk- Dennoch hast du die städtische Veloinfra tur man den Gemeinden überlässt. Für den struktur laufend verbessern können, zum Bau von Autobahnen kann der Bund dank Beispiel auf Lorrainebrücke und Nordring. Abschöpfung von Treibstoffzöllen immer aus Du hast Velohauptrouten eingerichtet; weite- vollen Kassen schöpfen. Kantonale und eid- re sind in Planung. genössische Gesetzgebung widersprechen Ursula: Wir nutzen den vorhandenen Spiel- den städtischen Bedürfnissen fundamental. raum, auch wenn er bescheiden ist. Die meis- Wir brauchen eine nationale Mobilitätsstrate- ten Städte sind mit den gleichen Herausfor- gie der Städte. Im Städteverband ist dies ein derungen konfrontiert. Die übergeordneten grosses Thema. Regelungen befriedigen nur die Überland- Ursula Wyss’ Leistungsausweis Zahl der Veloabstellplätze auf knapp 8000, schuf 60 neue Begegnungszonen. Zwei grossflächige Begegnungszonen gelten als Gemeinderätin Ursula Wyss, Direktorin schweizweites Novum. Wyss reduzierte die für Tiefbau, Verkehr und Stadtgrün, tritt Zahl öffentlicher Parkplätze von 17‘466 auf zu den Wahlen vom 29. November 2020 16’950. nicht mehr an. 2015 führte sie bei Entsorgung und Re- Eckpunkte ihrer langjährigen politischen cycling Bern die Sammlung von Küchen- Karriere: Nationalrätin von1999 bis 2013, abfällen und Speiseresten ein. Aus dem mehrere Jahre SP-Fraktionspräsidentin; Material entsteht Biogas. Die Stadt wurde Grossrätin von 1997 bis 1999, Vizepräsi- während ihrer Amtszeit insgesamt grüner, dentin SP Schweiz von 2003 bis 2006. wohnlicher, lebenswerter für Alt und Jung. In ihrem Arbeitsumfeld sorgte sie für kon- Ursula Wyss erzielte bei den städtischen sequente Umsetzung der Gleichstellungs- Wahlen 2012 das beste Resultat auf der politik. In ihrer Funktion als Tiefbau- und RGM-Liste. Mit ihr gewinnt RGM 2016 den Verkehrsdirektorin sowie Präsidentin des vierten Sitz im Gemeinderat. Doch leider Verwaltungsrats von Bernmobil begleitete scheiterte Ursula Wyss mit ihrer Kandidatur und verantwortete sie bedeutende Projekte für das Stadtpräsidium. des öffentlichen und privaten Verkehrs wie die neue Tramlinie Bern-Ostermundigen, Ursula Wyss hat in der Stadtpolitik und die Idee einer zweite Tramachse Bern, die insbesondere in ihrer Direktion enorm viel Planung des neuen Bahnhofplatzes und bewegt und umgesetzt. Sie liess 40 Kilo- die Zukunft Bahnhof Bern ZBB samt Um- meter neue Velorouten bauen, erhöhte die gestaltung des Hirschengrabens.
mobilität. Die meisten Städte in der Schweiz Ursula: Der Stadt verbleibt die Möglichkeit, sind heute rot-grün regiert. Die linken Parteien Einsprache zu erheben, was voraussichtlich konnten besser auf urbane Bedürfnisse ein- geschehen wird. Aber verhindern kann die gehen. Ich hoffe, dass auch Bürgerliche einse- Stadt Bern dieses Projekt nicht. Wenn die Wi- hen, dass wir eine Verkehrswende brauchen. derstände allerdings gross genug sind, wird Die FDP-Basis wohnt auch lieber an verkehrs- das Bundesamt für Strassen die Einwände beruhigten Strassen, auch viele Bürgerliche prüfen. Die Stadt ihrerseits muss jedes kom- fahren per Velo zur Arbeit. Die Wahl des Ver- munale Strassenprojekt vom Kanton und al- kehrsmittels ist heute weniger vom Parteibuch lenfalls vom Bund prüfen lassen. Sobald die als vielmehr von Nutzen und Bequemlichkeit Kapazität des Autoverkehrs infrage gestellt bestimmt, besonders in der Stadt. ist, gibt es kaum Handlungsspielraum. Die freie Wahl der Verkehrsmittel bleibt in der Gewerbe und Handel beklagen die Auf- bürgerlichen Verkehrspolitik ein Ziel. Ist die- hebung von Parkplätzen und wehren sich ser Grundsatz noch zeitgemäss? gegen jegliche Einschränkungen des moto- Ursula: Ehrlich gesagt weiss ich nicht so risierten Verkehrs. Wie gehst du damit um? recht, was damit gemeint ist. Bei der Bevölke- Ursula: Bei vielen Gewerbetreibenden domi- rungsbefragung haben wir festgestellt, dass nieren klar die Interessen des Autos. Dabei viele Leute gerne Velo fahren würden, wenn steht das Gewerbe vor enormen Herausfor- sie denn freie Wahl hätten. Haben sie aber derungen, etwa durch den Onlinehandel. nicht, weil sie sich im Strassenverkehr nicht sicher genug fühlen. Für die eigene Sicher- «Es sind nicht die Autostädte, heit verzichten sie aufs Velofahren. Voraus- in denen Läden, Kleingewer setzungen sind also eine sichere Infrastruk- be und Gastronomie florieren, tur und durchgehende Veloverbindungen. Freie Wahl haben demnach vor allem die sondern verkehrsbefreite Städte Autofahrenden. mit belebten Plätzen sind Boom städte.» Kanton und Bund bestimmen wesentliche Bereiche der Stadtpolitik, gerade auch beim Dieses Problem gibt es nicht erst seit der Verkehr. Der Bund will den Autobahnknoten Corona-Pandemie. Es sind nicht die Auto- Wankdorf massiv ausbauen und so genann- städte, in denen Läden, Kleingewerbe und te Engpässe im Strassenverkehr rund um Gastronomie florieren, sondern verkehrs- Bern beseitigen. Die SP ist dem Verein Spur- befreite Städte mit belebten Plätzen sind wechsel beigetreten, welcher die Projekte Boomstädte. Die Fokussierung in Bern auf bekämpft. Gibt es für die Stadt Handlungs- den Parkplatz vor dem Laden ist fatal, nicht spielraum? für mich persönlich, sondern für die gesamte Stadtentwicklung und das Gewerbe selbst.
«Mit den Popups zum Beispiel haben wir es geschafft, Nachbar schaften entstehen zu lassen.» Neuer Quartierplatz an der Mittelstrasse 43. Die Stadt Bern ist in den letzten acht Jahren wohnlicher und lebendiger geworden. Bild: zvg/Stadt Bern Eine autofreie Altstadt ist in Bern wohl noch ist die Altstadt. Container dienen der Arbeits- lange Utopie. Denn es gibt viele Altstadtlie- sicherheit und Gesundheit des Personals von genschaften mit privaten Garagen. Oder be- Entsorgung und Recycling; viele leiden unter steht Hoffnung? Rückenproblemen. Als Arbeitgeberin ist die Ursula: Der Gemeinderat hat im Rahmen der Stadt Bern in der Pflicht. Das Farbsacktrenn- Parkierung in der Unteren Altstadt beschlos- system können die Bürgerinnen und Bürger sen, das Parkieren unter den Lauben, also freiwillig nutzen. Quartiersammelstellen und vor privaten Garagentoren, zu unterbinden. Entsorgungshöfe bleiben in Betrieb. Bislang fehlte hierfür die gesetzliche Grund- lage. Die Vereinigten Altstadtleiste unterstüt- In der Gleichstellungspolitik hast du Erfol- zen uns in dieser Frage. ge erzielt, indem du in deiner Direktion den Frauenanteil von 15,7 auf 23,1 Prozent er- Auch ausserhalb der Verkehrspolitik hast höht hast, obwohl es in gewissen Branchen du dich in den acht Jahren als Macherin kaum Frauen gibt. mit grossem Gestaltungswillen profiliert und Ursula: In der Tat ist die Rekrutierung von innovative Projekte aufgegleist beziehungs- Frauen in einigen Bereichen schwierig. weise verwirklicht. Nehmen wir das Beispiel Stadtgrün etwa konnte den Frauenanteil Farbsacktrennsystem. massiv erhöhen, während im Tiefbau und Ursula: Zwei Aspekte sind hier wichtig: Wir bei Entsorgung und Recycling die Männer wollen die flächendeckende Containerpflicht dominieren. Ingenieurinnen gibt es wenige; einführen – ausgenommen aus Platzgründen und die wenigen sind heftig umworben. Alle
Foto: Yoshi Kusano wünschen sich mehr Frauen. Der Bereich öf- Ursula: Ich weiss nicht, was mit Wohlfühloase fentlicher Raum des Tiefbauamts hingegen gemeint ist, habe das Buch nicht, aber noch hat viele Frauen angesprochen. Heute ha- nicht gelesen. Wir sind starken äusseren Ein- ben wir hier sogar eine Frauenmehrheit, was flüssen ausgesetzt, und die soziale Situation sehr erfreulich ist. Selbst bei der Entsorgung in Bern ist für viele Menschen alles andere als von Hauskehricht und in der Strassenreini- rosig. Viele Familien leben in prekären Ver- gung konnten wir vermehrt Frauen anstellen. hältnissen. Gleichzeitig vermelden die Ban- Beladerinnen waren bis vor kurzem kaum ken Milliardengewinne und die Börse boomt. denkbar. Zu erwähnen ist auch, dass es in Corona hat diese Ungleichheiten verschärft. meiner Direktion keine unerklärbaren Lohn- Als Stadt sind wir gefordert, möglichst alle unterschiede gibt. Allerdings haben wir im- teilhaben und mitbestimmen zu lassen. Mit mer noch zu tiefe Löhne. Michael Aebersold den Popups zum Beispiel haben wir es ge- als Direktor Finanzen und Personal ist daran, schafft, Nachbarschaften entstehen zu las- die Löhne zu überprüfen und nach Möglich- sen. Wenn das mit Wohlfühloase gemeint ist, keit anzupassen. lassen wir das gerne so gelten. Es ist doch schön, wenn es den Leuten gut geht. Seit 28 Jahren regiert in Bern das Bündnis Rot-Grün-Mitte. In der Folge habe die Stadt Interview: Daniel Vonlanthen mit ihrer Mehrheit von Gleichgesinnten sich zur Wohlfühloase entwickelt, lautet die These eines neuen Buchs. Empfindest du das auch so?
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