Report. Bilder aus der Wirklichkeit - Plädoyer für Dokumentarismen in der Fotografie - Böhm ...

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Report. Bilder aus der Wirklichkeit - Plädoyer für Dokumentarismen in der Fotografie - Böhm ...
KUNSTFORUM International Bd. 273 März –April 2021

               Google StreetView – „FY-Serie“

                                  Report.
               Bilder aus der Wirklichkeit
Plädoyer für Dokumentarismen in der Fotografie
Report. Bilder aus der Wirklichkeit - Plädoyer für Dokumentarismen in der Fotografie - Böhm ...
Katja Stuke / Oliver Sieber, Superman, Sarajevo, 2014, aus: You and Me, Fotobuch, Leipzig 2017

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Katja Stuke und
                 Oliver Sieber
ÜBER FOTOGRAFIE,
GEBIET UND ANARCHISMUS
Ein Interview von Sabine Maria Schmidt

Katja Stuke und Oliver Sieber, Kunsthalle Gießen, 2019, Foto: Rolf K. Wegst

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Katja Stuke und Oliver Sieber begreifen Arbeit am         Ich erinnere das auch, dass die Problematik des
Bild als Form der Kommunikation. Fern von klassi-         Bosnienkriegs zunächst bei mir nicht wirklich ankam.
schen Wertkategorien und Begriffen der Fotogra-           Man war zu jung. Was war Euch damals zu Beginn der
fie entwickeln sie einen eigenen Werkkorpus, der           1990er Jahre wichtig?
vor allem in experimentellen Ausstellungsformaten             KS: Film, Musik, Bücher, wir waren das 1. Mal
und in Auseinandersetzung mit dem fotografischen           in New York und Fotografie. Erst später haben wir
Künstlerbuch entsteht. Die drei wichtigen Faktoren        intensiv nachrecherchiert, was eigentlich in Bosnien
der analogen und digitalen Fotografie, die der Pro-        geschehen war. Allerdings nicht primär über histo-
duktion, Distribution und Rezeption werden dabei in       rische Fachliteratur und Dokumentationen, sondern
ein gleichgewichtiges Verhältnis gebracht. Ebenso         etwa über Graphic Novels wie die von Joe Sacco,
kennzeichnet ihre Arbeit die Suche nach neuen und         über die Popkultur der Eingeschlossenen in Sara-
auch „unverbrauchten“ ästhetischen Bildstrategien.        jewo, das Buch Die Stille ist ein Geräusch von Julie
Seit Jahren arbeiten die Künstler an sogenannten          Zeh, die direkt nach dem Krieg durch Bosnien ge-
City-Walks. Vorausgegangen waren mehrere Lang-            trampt ist, über Theaterprojekte von Susan Sontag,
zeitprojekte, die sich mit dokumentarischen und           das reisende Orchester und vieles mehr.
reportagehaften Formen des Fotografierens ausei-               OS: Wir sind dann 2014 an die Orte gereist. Wich-
nandersetzen. Das umfangreiche Fotobuch You and           tig war für uns ja auch, dass wir schon ein „eigenes
Me, 2016 mit dem Dummy Book Award der Luma                Werk“ hatten; eigene Erfahrungen sammeln konn-
Foundation in Arles ausgezeichnet, folgt den Spu-         ten, die wir dann auf der Reise angewendet haben.
ren einer Frau, die während des Krieges in Bosnien            KS: Vorab, 2004, waren wir zum Beispiel mal
nach Düsseldorf kam und dann 1999 in die Vereinig-        durch Kalifornien gereist, wo wir klassischen Fil-
ten Staaten ging.                                         morten nachgereist sind.
                                                              OS: Das ging bisweilen soweit, dass wir, wenn
                                                          wir mal Hunger hatten, nicht irgendwo einen Bur-
Sabine Maria Schmidt: Wir sprechen über You and           ger essen konnten, sondern dahinfuhren, wo True
Me, ein umfangreiches Fotobuch, mit dem ihr auf           Romance gedreht wurde, wo Slater und Arquette ih-
eine ungewöhnliche Weise zeigt, wie man sich foto-        ren Burger gegessen haben. Doch noch mal zurück
grafisch den Folgen des Krieges annähern kann.             zu den Parallelitäten: 1994 starb Kurt Cobain, was
Doch zunächst: Würdet ihr eure Arbeit grundsätzlich       für viele Jugendliche eine Identitätsstörung bedeu-
als eine Arbeit verstehen, die sich aus einer doku-       tete. In dieser Zeit saßen zeitgleich junge Leute in
mentarischen Haltung herleitet.                           Bosnien in Kellern, die dachten, ich brauche jetzt
    Katja Stuke: Wir machen keine Reportagen im           unbedingt die neue Bruce Springsteen-Platte oder
Sinne des Journalismus. Aber wir recherchieren,           eine neue Jeans, bitte bringe mir diese mit. Diese Ge-
gehen an Orte und machen dort Fotos. Die Arbeit           schichten der Alltagskultur im Krieg werden eben
You and Me, ist zunächst aus privatem Anlass ent-         selten erzählt. Sie sind oft irrational abzugleichen,
standen: die Bekanntschaft mit Indira zu Beginn der       aber sie existieren.
1990er Jahre. Sie ist im Krieg aus Bosnien geflohen            Diese Parallelitäten wollten wir in unseren Bild-
und hat in Düsseldorf gelebt, ist dann aber weiter        konstellationen nachspüren.
nach Amerika gezogen. Das Thema ist uns aber erst
viel später dringlich geworden. Als wir 2014 anfin-        Wie war genau die Reiseroute?
gen zu recherchieren, wollten wir keine Geschichte            KS: Im Februar 2014 reisten wir durch Bosnien –
über die Person „Indira“ machen oder etwas über           nach Sarajevo, Tuzla und Zvornik. Zvornik ist das
den Bosnienkrieg erklären, sondern eine Geschichte        Dorf, aus dem Indira kam. Wir haben auch in Düs-
erzählen, die ungewöhnliche Parallelitäten aufzeigt,      seldorf fotografiert; Porträts, Straßen, Landschaft. Im
aber auch erklärt, warum wir nach Bosnien und             Juli / August 2014 fuhren wir den ganzen Weg von
dann nach Amerika gefahren sind.                          Chicago nach St. Petersburg, wo wir – nach einigen
                                                          Recherchen im Internet und sozialen Medien – am
Und warum? Oft ist das „Fotos machen“ ja per se           Ende herausfanden, dass dies der Ort ist, an dem sie
der Grund zu reisen? Mit einer Profi-Kamera vor            jetzt lebt. Wir fuhren durch St. Louis (mit der größ-
dem Bauch unterscheidet man sich zumindest vom            ten bosnischen Gemeinde in den USA) und Bow-
Touristen.                                                ling Green (wo die Familie einige Zeit lebte). Wir
    Oliver Sieber: Wir haben verstanden, dass auf der     besuchten auch Nashville, Memphis, Birmingham,
Welt zeitgleich so viele Ereignisse parallel passieren.   Atlanta und Ocala.
Als Indira in Düsseldorf war, waren wir mit anderen           OS: Wir sind hier nicht mit einem klaren Bild-
Themen beschäftigt: Examen machen, das Leben or-          konzept losgefahren, wir haben Material gesammelt,
ganisieren. Globalisierung hin oder her: man kann         sind den Spuren von Film, Musik und Literatur ge-
sich nicht mit jedem Krieg gleichzeitig beschäftigen.     folgt. Es geht bei unserer Arbeit oft um eine Art au-
Dennoch war es dann später die persönliche Ebene,         tomatischer Bildfindung, eine Art situationistisches
die uns wichtig war.                                      Dérive.

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Report. Bilder aus der Wirklichkeit - Plädoyer für Dokumentarismen in der Fotografie - Böhm ...
Katja Stuke / Oliver Sieber, Fremd, Düsseldorf, 2014, aus: You and Me

    KS: Die ungewöhnliche Verknüpfung von                        American Surface. Aber wir haben ja jeder eine eigene
Deutschland, den USA und Bosnien hat sich schnell                Bildsprache. Neben der Bildfindung besteht unsere
als plausibel erwiesen. Plötzlich standen wir im Fe-             Hauptarbeit aber eher in der Auswahl der Bilder;
bruar 2014 in Sarajewo auf dem Susan-Sontag-Platz,               also Bildüberprüfung.
um nur ein Beispiel zu nennen. Aus den Bars lief
Musik aus den 1980er Jahren, was uns zu Recherchen               Erstmals ausgestellt wurden die Arbeiten im März
über Musik dort inspirierte. In You and Me gibt es               2015 im Museum of Contemporary Photography Chi-
aber auch verschiedene Kapitel, die die verschiedenen            cago. Die eigentliche Arbeit mündete aber in dem
Popkulturen an den Orten, durch die wir dann gereist             Fotobuch. Hier seid ihr Spezialisten. Wie würdet ihr
sind, einbeziehen, wie ein Cosplay-Festival in Chica-            Eure Arbeit hier näher beschreiben.
go oder den Geburtsort von Martin Luther King.                      OS: Das Ausgangsmaterial ist sicherlich immer
    OS: Das war uns sehr wichtig, die Achsen der                 eher von einem dokumentarischen Stil geprägt.
Civil Rights Movements zu kreuzen. Da Indira                     Durch die Montage der Bilder im Buch entstehen
umgezogen war und wir uns zwischendurch auch                     dann immer wieder andere Dialogkonstruktionen.
verfahren hatten, trafen wir zum Beispiel auf Bir-               Und die sind sehr oft persönlich geprägt.
mingham, wo schwere rassistische Übergriffe statt-
gefunden hatten. Als wir in Bowling Green das Re-                Euer Buch wurde ja mit dem Luma-Award auf den
staurant fanden, das von Indira und ihrer Familie                Rencontres de la Photographie d’Arles 2016 ausge-
geführt wurde, übernahmen wir den Namen You                      zeichnet. Das hat Euch ermöglicht, das Buch in einer
and Me für unseren Projekttitel.                                 größeren Auflage mit Spector Books zu produzieren.
                                                                     OS: Oft produzieren wir erst einmal eine sehr
Unter welchen Aspekten habt ihr fotografiert? Bild-               kleine Künstlerbuch-Auflage von einem neuen
findung oder Bildüberprüfung? Denn tatsächlich reist              Projekt wie zum Beispiel bei You and Me aber
man ja mit einem völlig durchästhetisierten filmischen            auch bei der Japanese Lesson oder Imaginary Club.
Blick von Amerika an.                                            Wir verstehen diese Exemplare als eigenständige
    OS: Sicherlich hat man auch hier Vorbilder                   künstlerische Werke. Dazu arbeiten wir aber schon
im Kopf, wie Stephen Shores wunderbarer Band                     für Kleinauflagen auch mit Druckereien. Die

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03                                                         04

     Alle Abb.: Katja Stuke / Oliver Sieber,    01   Indira, St. Petersburg FL    04   Leaving Zvornik
     2014, aus: You and Me
                                                02   Jackie Smith, Memphis TN     05   Bowling Green KY / Zvornik
                                                03   Lorraine Motel, Memphis TN
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Katja Stuke / Oliver Sieber, You and Me, Fotobuch, 458 Seiten mit 115 s / w-Fotografien, 235 Farbfotografien,
Broschuren in einer Schachtel, Spector Books, Leipzig 2017

Buchform ist oft die erste Form, über die wir bei                   Wir wollten mit You and Me eine
einem neuen Projekt nachdenken. Sie hilft, Bilder
zu strukturieren. Aus dieser Form heraus entwi-                     Geschichte erzählen, die unge-
ckeln wir dann später Formate für Ausstellungen.                    wöhnliche Parallelitäten aufzeigt,
Wir haben dafür schon mit tollen Verlagen zusam-                    aber auch erklärt, warum wir
mengearbeitet: Schaden (Character Thieves), Kodoji                  nach Bosnien und dann nach
(Könnte Sein), FW:Books (Nationalfeiertag), Gwin
Zegal (Imaginary Club). Wir sind manchmal unter-                    Amerika gefahren sind.
schiedlicher Meinung darüber, ob es eine größere
Auflage braucht, so dass es erst zu einem „Buch“                  und wollte wissen, ob und wie sich die Leute dort
wird. Zwei oder dreimal im Jahr produzieren wir                  überhaupt noch erinnern. 2014 bin ich mit dersel-
immer noch (und das machen wir tatsächlich voll-                 ben Frage auch nach Hongkong gefahren.
ständig selber im Studio) Zines in Auflagen von 105                    OS: In dem Künstlerbuch Nationalfeiertag schät-
Exemplaren; entweder mit dem s / w-Kopierer, dem                 ze ich vor allem die Kombination aus den gefilmten
Tintenstrahl- oder dem Digitaldrucker.                           Portraits mit den Seiten aus Tageszeitungen, die über
                                                                 das historische Ereignis berichten. Dahinter steht ja
2014 ist ja auch das Buch Nationalfeiertag entstan-              auch die Frage, wie gehe ich überhaupt mit einem
den. Auch hier geht es um ein militärisches Ereignis             Portrait um, das im öffentlichen Raum entstanden
und eine Art Post-Recherche dazu.                                ist. Was kann und soll man erkennen.
    KS: Ja, 2011 habe ich auf dem Tiananmen-Platz                     KS: Schließlich werden und wurden ja auch
in Peking gefilmt; an dem 1989 das Massaker statt-                immer wieder Demonstranten mittels Presse- und
gefunden hat. Es existieren ja zahlreiche ikonische              Reportagefotos identifiziert und verhaftet. Es gibt
Pressefotos von dem Ereignis und auf der anderen                 zwischen unseren Büchern immer Verbindungen.
Seite eine sehr dezidierte Meinung der chinesischen              Gerade die Protestkultur in Asien und Formen eines
Staatsführung, die das Ereignis auch 30 Jahre später             widerständigen Anarchismus in so hierarchischen
wegzensiert. Ich habe vorrangig Portraits gemacht                Kulturen sind ein wichtiges Thema.

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Report. Bilder aus der Wirklichkeit - Plädoyer für Dokumentarismen in der Fotografie - Böhm ...
Eine Eurer ganz großen Leidenschaften ist die Aus-
                                                                 einandersetzung mit japanischer Kultur. Und ihr seid
                                                                 sehr häufig nach Japan gereist. Seit 2011 verfolgt ihr
                                                                 die Entwicklung um und nach Fukushima.
                                                                     KS: Ja, auch in Japan kam es 2014 zu umfang-
                                                                 reichen Studenten-Protesten, die sich vor allem ge-
                                                                 gen die „Secret Protection Law“ richteten. Hierbei
                                                                 sollten vor allem negative Berichte in Richtung der
                                                                 Verstrahlungen und Folgen des Fukushima-Unfalls
                                                                 verhindert werden. Wir haben hier viele Aktivisten
                                                                 kennengelernt, z.B. von Tokyo no Hate!.
                                                                     OS: Uns haben auch in Japan Gegenkulturen
                                                                 interessiert: Genderaktivismus, Anti-Atomkraft,
                                                                 Gegen-Olympia-Gruppen. Uns interessierte: Wo ist
                                                                 das „Deep Japan“, von dem uns japanische Bekannte
                                                                 immer erzählen. Was ist damit gemeint? Wo kom-
   Wie gehe ich überhaupt mit                                    men die Leute her? Wo finde ich die?
   einem Portrait um, das im öffent-                             Ihr zeigt aber die Menschen nicht in ihrem sozialen,
   lichen Raum entstanden ist.                                   oft von Armut geprägten Umfeld. Bei Euch geht es
   Was kann und soll man erkennen.                               auch um Bilder, die man nicht macht, oder? So habt
                                                                 ihr für Tokio eine Art fotografischer Walks neuentwi-
                                                                 ckelt. Um auf unbekanntem Gebiet zu fotografieren?
                                                                      KS: Wir haben hier eine neue Art der Erschlie-
                                                                 ßung einer sozial codierten Kartographie gesucht.
                                                                 Es war auch eine Frage nach der Identität der Men-
                                                                 schen. Was bestimmt mein Leben, warum kriege ich
                                                                 mit dieser Wohnadresse keinen Job, keine neuen
                                                                 Optionen und Verträge. Wem gehört die Stadt? Was
                                                                 passiert hier eigentlich durch die olympischen Spie-
                                                                 le? Wer entscheidet, wie sich die Stadt verändert. Der
                                                                 Filmemacher Masao Adachi, oft als der Stammvater
                                                                 der japanischen „Landscape Theory“ angesehen,
                                                                 geht davon aus, dass selbst die Landschaft um uns
                                                                 herum Ausdruck der politischen Macht ist und
                                                                 jede*r durch sie geprägt wird.

                                                                 Sind Eure Reisen auf unbekanntem Terrain nicht
                                                                 auch ein Angehen gegen Bildklischees?
                                                                     KS: Ja, z. B. in Sanya / Tokyo oder Nishinari /
                                                                 Osaka. Da landet man plötzlich an Orten, die mit den
                                                                 klassischen Bildern von Japan gar nichts zu tun ha-
                                                                 ben. Wir haben Stadtteile untersucht und ihre Gren-
                                                                 zen, die Stadtteile der Tagelöhner zum Beispiel. Oder
                                                                 wir waren in Ichinomiya, einem Austragungsort der
                                                                 geplanten Olympiade, ein Fingerbreit von Fukushi-
                                                                 ma entfernt. Da standen wir vor einem schwarzen
                                                                 Strand, an dem die Surfmeisterschaften stattfinden
                                                                 sollten. Da surfen hunderte von Japanern. Denkt da
                                                                 niemand drüber nach, wie verstrahlt das Wasser ist?

                                                                 Entsteht durch Eure Arbeit eine Art neues do-
oben: Katja Stuke / Oliver Sieber, Nishinari, 12. Apr 2017,      kumentarisches Verfahren? Eine neue Art der
15–18:30 Uhr, Einkanal-Video, 23:15 Min. aus Japanese Lesson     Street-Photography?
mitte: Katja Stuke / Oliver Sieber, Nishinari, 12. Apr 2017,         KS: Zunächst einmal ein neues Verfahren der
15–18:30 Uhr, Einkanal-Video, 23:15 Min., aus: Japanese Lesson   Stadterkundung. So haben wir während eines Künst-
unten: Katja Stuke / Oliver Sieber, Sanya, 24. Mai 2017,         leraustausches einen Walk in Chongqing gemacht,
14–19:30 Uhr, 36 Pigment Prints, gerahmt, je 42 × 29 cm,         bei dem wir unserem täglichen Weg in Düsseldorf
aus: Japanese Lesson                                             zwischen unserer Wohnung und dem Studio folgen.

          168                       IV.   Interviews mit Künstler*innen
Report. Bilder aus der Wirklichkeit - Plädoyer für Dokumentarismen in der Fotografie - Böhm ...
Katja Stuke,    Nationalfeiertag, Fotobuch, 560 Seiten, Böhm Kobayashi & FW: Books Amsterdam, 2015

Konzeptionell steht dabei die Idee der gefühlten-vir-      gefüllt werden. Uns interessiert aber auch die Fra-
tuellen Nähe von weit voneinander entfernten Orten         ge, wie die Bedeutung eines Bildes entsteht, ohne
im Zentrum: Wir gehen einen Weg an einem Ort und           eine Geschichte oder Text. Wir möchten die Orte
folgen im Kopf der Route eines Weges an einem an-          nicht „be-“-deuten. Das ist übrigens ein Phänomen
deren Ort. Bestimmte Assoziationen verbinden so be-        berühmter journalistischer Bilder, die nie nur Zei-
kannte und neue Orte und Landschaften miteinander.         tungsfotos sein können, sondern immer gleich in
    OS: W. Eugene Smith hat mit seinem Buch Mina-          den Kontext berühmter ikonischer Bilder, meist
mata (1971–1973), über die Quecksilberverseuchung          Historiengemälde gerückt werden. Ich frage mich,
von Gewässern und die dramatischen Missbildun-             was das letztlich bedeutet für die Fotografie…
gen bei Neugeborenen, eine wichtige Reportage
gemacht, die man als journalistisch-wirkende Arbeit
bezeichnen könnte. Das machen wir natürlich nicht.         KURZBIO STUKE / SIEBER

Weil eine solch aufrührende, emotionale Sprache
                                                           Katja Stuke (*1968) und Oliver Sieber (*1966) leben und
heute nicht mehr möglich ist? Sind solche Bilder heu-      arbeiten in Düsseldorf. Sie decken ein breites Spektrum an
te nicht mehr glaubhaft, da heute emotionale Bilder        Identitäten ab: Fotograf / in und Künstler / in, Kurator / in und
zu oft inszeniert werden bzw. ist das eine Kritik am       Initiator / in von Ausstellungen, Gestalter / in und Herausge-
Genre des Pressebildes?                                    ber / in von Künstlerbüchern. 2016 gewannen sie den LUMA
    KS: Nein, das ist keine Kritik an journalistischer     Book Award des Festivals Rencontres d’Arles für You and Me,
                                                           das dann bei Spector Books erschien. 2014 wurde Oliver
Fotografie an sich. Anders als im Journalismus versu-       Siebers Imagainary Club als Book of the Year von der Jury
chen wir aber, die klassischen Text- und Bildrezepti-      des Paris Photo – Aperture Foundation PhotoBook Awards
onen immer zu entkoppeln. Es gibt immer mehrere            ausgezeichnet. Seit 2005 waren sie regelmäßig im Ausland
Bilder und Dialoge, auch Doppelprojektionen, frei-         tätig unter anderem in Künstlerresidenzen in Japan, China,
ere Gegenüberstellungen von Texten und Bildern,            Paris, USA, Kanada, Rotterdam oder Sarajevo.
denen sich der Betrachter individuell stellen kann.        Ausführlich:
    OS: Zwischen zwei Bildern steht immer ein offe-        www.boehmkobayashi.de | www.antifoto.de
ner Raum. Dieser Dialog muss durch den Betrachter          www.katjastuke.de | www.oliversieber.de

          169                   Katja Stuke und Oliver Sieber
Report. Bilder aus der Wirklichkeit - Plädoyer für Dokumentarismen in der Fotografie - Böhm ...
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