Jung stirbt, wen die Götter lieben? - Zur Mortalität deutscher Olympiateilnehmer 1956 bis 2016

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Jung stirbt, wen die Götter lieben? - Zur Mortalität deutscher Olympiateilnehmer 1956 bis 2016
Hauptbeitrag

      Ger J Exerc Sport Res 2020 · 50:280–296             Lutz Thieme
      https://doi.org/10.1007/s12662-020-00654-x          Hochschule Koblenz, Remagen, Deutschland
      Eingegangen: 26. September 2019
      Angenommen: 6. April 2020
      Online publiziert: 29. April 2020
      © Der/die Autor(en) 2020                            Jung stirbt, wen die Götter
                                                          lieben?
                                                          Zur Mortalität deutscher Olympiateilnehmer
                                                          1956 bis 2016

      Die nachhaltig positiven gesundheit-               obwohl derartige Analysen internatio-          liegenden Datengrundlage andererseits
      lichen Wirkungen von Bewegung mit                  nal durchaus zu finden sind, teilweise          schließt sich an. Die gewonnenen ex-
      moderater Intensität beispielsweise bei            überraschende Befunde berichtet wer-           plorativen Ergebnisse werden diskutiert
      breitensportlichen Aktivitäten sind mitt-          den (z. B. Becker, Chay, & Swaminathan,        bevor der Beitrag mit einer Zusam-
      lerweile gut belegt (Blair et al., 1995;           2007) und Mortalitätsdaten als schnells-       menfassung, die auch die Limitationen
      Kujala, Kaprio, Sarna, & Koskenvuo,                ter und zuverlässigster Indikator für die      benennt und einen Ausblick auf weiteren
      1998; Turi-Lynch et al., 2019) und wer-            Lebensdauer („longevity“; Vaupel, 2010,        Forschungsbedarf gibt, schließt.
      den aktuell weder von Experten noch                536) gelten. Gerade die Unvollständig-
      im öffentlichen Diskurs ernsthaft be-               keit und die Heterogenität zwischen            Forschungsstand
      stritten. Dagegen sind die Erkenntnisse            den jeweiligen Erhebungszeiträumen,
      und die Datenlage zu den langfristigen             den Untersuchungsgruppen, den mit              Zur Abschätzung langfristiger gesund-
      gesundheitlichen Folgen von sportlichen            der Herkunftsnation verbundenen so-            heitlicher Wirkungen von Spitzensport
      Belastungen, wie sie typischer Weise im            zioökonomischen Einflüssen sowie den            werden Überlebenszeitanalysen genutzt.
      Spitzensport auftreten und sich letztlich          Anforderungen der Sportarten erweisen          Hierbei werden die Überlebenschancen
      in der Lebenserwartung der Gruppe                  sich als Hindernisse bei der Entwicklung       von Spitzensportlerinnen und Spitzen-
      der Leistungssportlerinnen und Leis-               von Theorieelementen, die Einflüsse von         sportlern eines Landes sowie die je-
      tungssportler niederschlagen, deutlich             Spitzensport in ihrer Wechselwirkung           weiligen Todesursachen mit denen der
      schmalerund heterogener. Durchdie me-              zu anderen mortalitätsbeeinflussenden           vergleichbaren Gesamtpopulation ver-
      diale Berichterstattung über Todesfälle            Faktoren wie beispielsweise Bildung und        glichen oder die Überlebenschancen
      ehemaliger Spitzenathletinnen und -ath-            sozialer Status erklären. Die folgende         innerhalb verschiedener Teilpopula-
      leten kann der Eindruck entstehen, dass            Untersuchung möchte die vorhandene             tionen von Spitzensportlerinnen und
      diese einem höheren Sterblichkeitsrisiko           Datengrundlage erweitern und helfen,           Spitzensportlern untersucht. Gängige
      ausgesetzt sind, als dies für die vergleich-       Erkenntnislücken zu reduzieren, indem          Vergleichsmaße sind dabei die standar-
      bare Gesamtbevölkerung der Fall ist. In            zunächst der Forschungsstand zur Mor-          disierte Mortalitätsrate („standardised
      Deutschland gewinnen Erkenntnisse zur              talität von Spitzensportlern rezipiert         mortality ratio“ [SMR]; Bland, 2015,
      Mortalität von Spitzensportlern vor dem            wird. Aus den bisherigen Befunden wer-         349 f.) sowie Überlebenskurven bzw.
      Hintergrund der Debatte um die gesund-             den Thesen1 abgeleitet, die die bisherige      -funktionen (Altman, 1999, 368 ff.). Die
      heitlichen Folgen von Dopingpraktiken              Datenlage zusammenfassen. Dem folgt            SMR gibt das Verhältnis zwischen den
      in beiden deutschen Staaten, den Do-               die Darstellung der zur Organisation der       Sterberisiken einer zu beurteilenden
      pingopfer-Hilfegesetzen zur Gewährung              erhobenen Daten verwendeten statisti-          Gruppe mit einer Referenzgruppe als
      von Hilfeleistungen für DDR-Dopingop-              schen Verfahren. Der Vergleich zwischen        Faktor oder als Prozentsatz an. Über-
      fer (Bundestag, 2002a, b, 2016), den Dis-          der Beschreibung des Phänomens „Mor-           lebenskurven sind die abwärts kumu-
      kussionen zu deren Missbrauch (Knuth,              talität von Spitzensportlerinnen und           lierten Häufigkeiten der Überlebenden
      2018; Sturmberg, 2018) sowie ange-                 -sportlern“ mit den neu gewonnenen             einer Population im Zeitverlauf (Gaus &
      sichts der Planungen einer sogenannten             Daten einerseits sowie der bislang vor-        Muche, 2014, 190 ff.).
      „Sportlerrente“ (Sturmberg & Freitag,                                                                 Um Erkenntnisse zu gesundheitlichen
      2019) zusätzlich an Bedeutung. Daher ist           1
                                                                                                        Wirkungen spitzensportlichen Engage-
                                                           Da Hypothesen in der Regel bereits den Zu-
      es erstaunlich, dass bislang nur einzelne          sammenhang zwischen Variablen beinhalten,      ments zu erhalten, nutzen alle nachfol-
      Untersuchungen zur Mortalität von Spit-            wird der weniger spezifische Begriff der These   gend rezipierten Studien die Daten von
      zensportlern in Deutschland vorliegen,             verwendet.                                     Teilnehmerinnen und/oder Teilnehmern

280    German Journal of Exercise and Sport Research 2 · 2020
an spezifischen Spitzensportereignissen       oden nach den 1950er Jahren feststellen2.           (vgl. dazu jüngst Mackay et al. (2019)
(Olympische Spiele, Tour de France),         Im Gegensatz zu den Ausdauersportlern               zum Risiko schottischer Profifußballer,
an Ligawettbewerben (National Football       und den „mixed sports“ findet sich für               an neurodegenerativen Krankheiten zu
League, National Baseball League) oder       die finnischen Meister im Gewichtheben               versterben).
sogar nur von Medaillengewinnerinnen         der Jahre 1977–1982 eine höhere Mor-                    Daher wird im vorliegenden Beitrag
und -gewinnern bzw. Finalistinnen und        talität in den nachfolgenden 12 Jahren,             versucht, durch einen Vergleich der bis-
Finalisten spitzensportlicher Großereig-     verglichen mit der Gesamtbevölkerung.               lang vorliegenden Ergebnisse zur Mor-
nisse, da damit das Abgrenzungsproblem       Als Ursache vermuten die Autoren die                talität von Spitzensportlerinnen und -s-
zwischen Breiten- und Spitzensport ge-       Verwendung von Anabolika (Pärssinen,                portlern mit Ergebnissen zur Mortalität
löst wird. Teramoto und Bungum (2010)        Kujala, Vartiainen, Sarna, & Seppäla,               deutscher Olympiateilnehmerinnen und
identifizieren in einem entsprechen-          2000).                                              -teilnehmer der Jahre 1956 bis 2016 so-
den Review insgesamt 14 Studien, die             Die von Teramoto und Bungum                     wie mit der Gesamtbevölkerung in bei-
Teilnehmerinnen und Teilnehmer an            (2010) gesammelten Befunde wurden in                den Teilen Deutschlands zu ergründen,
nationalen oder internationalen Meis-        den vergangenen Jahren durch weitere                ob sich die deutschen Daten in den bis-
terschaften bzw. professioneller Ligen       Studien hinsichtlich (I) der Mortalität             herigen Forschungsstand einfügen und
mit der Gesamtbevölkerung hinsicht-          von Spitzensportlerinnen und -sportlern             zu diskutieren, worin die Ursachen ab-
lich Sterberisiko oder Überlebenschance      im Vergleich zur Gesamtbevölkerung,                 weichender Datenlagen begründet sein
vergleichen. Die Ergebnisse zeigen kon-      (II) der Differenz zwischen Sportarten               könnten.
sistente Ergebnisse für Sportarten, die      mit aerob bzw. anaerob geprägter Ener-
auf vorrangig aerober Energiebereit-         giebereitstellung, (III) der Mortalität in          Mortalität von Spitzensportler-
stellung basieren (Ausdauersportarten)       Mannschaftssportarten, (IV) der ver-                innen und -sportlern vs.
sowie für Sportarten mit einer Mischung      muteten Wirkung von Doping, (V) des                 Gesamtbevölkerung
aus aerober und anaerober Energiebe-         Vergleichs von Gewinnern und Plat-
reitstellung („mixed sports“). Die jeweils   zierten sowie (VI) der Unterschiede                 Über die von Teramoto und Bungum
beobachtete Spitzensportpopulation hat       zwischen Athletinnen und Athleten an-               (2010) angegebenen Befunde hinaus lie-
eine höhere Lebenserwartung und eine         gereichert. Alle Studien berichten zwar             gen mittlerweile weitere Studien vor, die
geringere standardisierte Mortalitätsrate    Effekte auf die Mortalität der jeweiligen            eine geringere Mortalität von Olympia-
im Vergleich zur jeweiligen nationalen       Untersuchungsgruppe, nur in wenigen                 teilnehmern im Vergleich zur Gesamtbe-
Gesamtbevölkerung. Die Autoren führen        Fällen werden jedoch Erklärungen für                völkerung ausweisen. So stellen Clarke
diesen Effekt auf die positiven kardiovas-    die beobachteten Phänomene ad hoc                   et al. (2012) fest, dass die olympischen
kulären Wirkungen der Sportausübung          vorgeschlagen. Diese Erklärungsansät-               Medaillengewinner der Jahre 1896 bis
zurück.                                      ze erschöpfen sich zudem im Verweis                 2010 aus neun Ländern durchschnittlich
    Für Sportarten, die vor allem auf        auf positive kardiovaskuläre Wirkungen,             2,8 Jahre länger leben als die vergleichba-
anaerober Energiebereitstellung basie-       höhere Raten von Herzerkrankungen                   re Gesamtbevölkerung. Die 233 männ-
ren (Kraftsportarten) sowie für Mann-        und Suiziden sowie vermutete Doping-                lichen kroatischen Olympiamedaillenge-
schaftssportarten finden sich differen-        folgen. Die ermittelten Befunde werden              winner der Jahre 1948 bis 1988 (für Ju-
zierte Ergebnisse. Professionelle italie-    explorativ miteinander verknüpft, eine              goslawien) und von 1992 bis 2016 (für
nische Fußballer der ersten drei Ligen       theorie- oder modellprüfende Methodo-               Kroatien) weisen ebenfalls eine signifi-
der Jahre 1960 bis 1996 verfügen über        logie findet sich in keinem der Beiträge.            kant niedrigere Mortalität (SMR = 0,73;
keine Überlebensvorteile gegenüber der       Dies dürfte mit den methodologischen                p
Zusammenfassung · Abstract

      für die Athleten (n = 1802; 222 Todesfälle           Ger J Exerc Sport Res 2020 · 50:280–296   https://doi.org/10.1007/s12662-020-00654-x
      bis Studienende) und damit von signifi-               © Der/die Autor(en) 2020
      kanten Unterschieden zur Gesamtbevöl-
      kerung. Auch 203 französische Teilneh-               L. Thieme
      mer an den olympischen Ruderwettbe-                  Jung stirbt, wen die Götter lieben? Zur Mortalität deutscher
      werben der Jahre 1912 bis 2012 weisen                Olympiateilnehmer 1956 bis 2016
      sowohl in der Kohorte 1912 bis 1936
      (SMR = 0,63) als auch in der Kohorte                 Zusammenfassung
                                                           Während moderate sportliche Bewegung             Deutschland berücksichtigt. Es zeigt sich, dass
      1948 bis 2012 (SMR = 0,40) eine im Ver-
                                                           die Überlebenswahrscheinlichkeit einer           die Mitglieder der deutschen Olympiamann-
      gleich zu Gesamtbevölkerung signifikant               Risikogruppe positiv beeinflusst, sind die        schaften bislang eine im Vergleich mit der
      geringere Mortalität auf (Antero-Jacque-             Befunde im Leistungssport international          Gesamtbevölkerung höhere Mortalitätsrate
      min et al., 2014). Vergleichbare Diffe-               gemischt. Für Deutschland liegt dazu nur eine    aufweisen, es keine höheren Überlebensraten
      renzen zur Gesamtbevölkerung bestehen                Studie zu Fußball-Nationalspielern vor. Daher    für die Mitglieder der Olympiamannschaften
                                                           wurden mit Hilfe der Daten der Mitglieder        der alten Bundesrepublik gibt, sich keine
      auch bei 786 französischen Teilnehmern
                                                           der deutschen Olympiamannschaften 1956           Differenzen zwischen Sportarten finden
      an der Tour de France 1947 bis 2012                  bis 2016 (n = 6066) Hypothesen zu Effekten        lassen, aber steigende olympische Erfolge zu
      (SMR = 0,59; Marijon et al., 2013). Eine             im Vergleich zur Gesamtbevölkerung, zum          höheren Mortalitätsraten führen.
      Metaanalyse von 10 Studien (Garatachea               metabolischen Stoffwechsel, zu Einzel-, Mix-
      et al., 2014) und Reviews von Kujaw-                 und Mannschaftssportarten, zu Doping, zum        Schlüsselwörter
                                                           olympischen Erfolg und zum Geschlecht            Epidemiologie · Lebensdauer · Spit-
      ska et al. (2017) sowie Lemez und Ba-
                                                           getestet und dabei auch die Mitgliedschaft in    zensportler · Olympische Spiele · Cox-
      ker (2015), die alle teilweise bereits bei           den Olympiamannschaften der Bundesrepu-          Regression
      Teramoto und Bungum (2010) referier-                 blik, der DDR sowie dem wiedervereinigten
      te Studien berücksichtigen, kommen zu
      vergleichbaren Ergebnissen.
          Die Daten für die Bundesrepublik                 Whom the gods love die young? The mortality of German Olympic
      Deutschland wären mit dem internatio-                participants from 1956 to 2016
      nalen Forschungsstand vereinbar, wenn
      gilt:                                                Abstract
                                                           While moderate exercise has a positive           (FRG), the German Democratic Republic
                                                           influence on the life expectancy of a risk        (GDR) and reunited Germany was also
      (T1) Deutsche Olympiateilnehmerinnen                 group, there are mixed findings on the impact     taken into account. The analysis shows that
      und -teilnehmer weisen eine niedrigere               of competitive sports on health. For Germany,    members of the German Olympic teams have
      Mortalität im Vergleich zur Gesamtbe-                there has only been one study on football        a higher mortality rate compared to the total
      völkerung auf.                                       (soccer) players of the national team. Thus,     population. Members of the Olympic teams
                                                           based on the data of the members of the          of the former FRG do not show higher survival
                                                           German Olympic teams from 1956 to 2016           rates than those from the GDR. Furthermore,
      Sportarten mit aerob bzw. anaerob                    (n = 6066), different hypotheses were tested,     no differences between types of sports can
      geprägter Energiebereitstellung                      such as the longevity in comparison to the       be found, but there appears to be a positive
                                                           total population, the effects on athletes’        correlation between Olympic success and
      In Übereinstimmung mit den bisherigen                metabolism, the differences between               mortality rates.
                                                           individual, mixed and team sports, and
      Befunden stellen Lee-Heidenreich, Lee-
                                                           the effects of doping, Olympic success            Keywords
      Heidenreich, und Myers (2017) Differen-               and gender. Membership in the Olympic            Epidemiology · Longevity · Elite athletes ·
      zen im Mortalitätsrisiko der olympischen             teams of the Federal Republic of Germany         Olympic Games · Cox regression
      Finalistinnen und Finalisten der Olympi-
      schen Spiele von 1928 bis 1948 im Hoch-
      sprung, im Diskuswerfen, im Marathon
      und im 100-m-Lauf fest. Diskuswerfer               (T2) Deutsche Olympiateilnehmerinnen              Gesamtbevölkerung. In allen betrachte-
      weisen das höchste Mortalitätsrisiko auf           und -teilnehmer in von anaerobem Stoff-            ten 13 Zeitintervallen waren die beob-
      (zusammenfassend für Ausdauersportler              wechsel geprägten Sportarten weisen ein           achteten Todesfälle der Nationalspieler
      vgl. Ruiz, Fiuza-Luces, Garatachea, & Lu-          im Vergleich zu aerob geprägten Sport-            höher als aus den Daten der Gesamtbe-
      cia, 2013), was konform zu den Befun-              arten höheres Mortalitätsrisiko auf.              völkerung zu erwarten war. Je jünger ein
      den über positive kardiovaskuläre Wir-                                                               Spieler bei der Erstberufung in die Natio-
      kungen ausdauerorientierter Bewegung               Mannschaftssportarten                             nalmannschaft war, desto höher war das
      (Blair et al., 1995; Last & Weisser, 2015)                                                           Risiko, eher als erwartet zu versterben.
      ist. Derartige Wirkungen sollten auch in           Die Befundlage zur Wirkung von Mann-              Venkataramani, Gandhavadi, und Jena
      Deutschland zu beobachten sein, sodass             schaftssportarten ist uneinheitlich. Kuss,        (2018) untersuchen 3812 Spieler der Na-
      gelten sollte:                                     Kluttig, und Greiser (2011) vergleichen           tional Football League (NFL) der Spiel-
                                                         alle Deutschen Fußball-Nationalspieler            zeiten 1982 bis 1992 und finden keine
                                                         der Jahre 1908 bis 2006 (n = 812) mit der         signifikanten Unterschiede zur Bevölke-

282    German Journal of Exercise and Sport Research 2 · 2020
rung (DeKosky, Jaffee, & Bauer, 2018 zur         gig vom Herkunftsland, der Gewichts-             dem Gewichtheben, dem Ringen und
Diskussion der Ergebnisse). Dagegen be-         klasse, weiterer Olympiateilnahmen oder          dem Skilanglauf angeführt4 .
richten Lehman et al. (2012) in Bezug           Phasen, in denen die Einnahme anabo-                Allerdings können sich derartige Aus-
auf eine Kohorte von 3439 NFL-Spie-             ler Steroide vermutet wird, im Vergleich         sagen nicht auf Mortalitätsstudien stüt-
lern der Spielzeiten 1959 bis 1988 von          zur Gesamtbevölkerung im Durchschnitt            zen, da außer den Studien von Keller
einer insgesamt niedrigeren Mortalität          gut 19 Jahre länger leben. Lindqvist et al.      (2019) im Ringen sowie der Berücksich-
bei gleichzeitig deutlich höherem Risi-         (2013) wählen eine Kohorte männlicher            tigung deutscher Medaillengewinner der
ko, an neurodegenerativen Erkrankun-            schwedischer Spitzensportler der Sport-          Olympischen Spiele 1896 bis 2010 bei
gen zu versterben. Bei Spielern der Spiel-      arten Kraftdreikampf (Powerlifting), Ge-         Clarke et al. (2012) bislang keine deut-
zeiten 1937 bis 1975 mit mehr als drei          wichtheben sowie der leichtathletischen          schen Befunde verfügbar sind und die
Spielzeiten ist das Mortalitätsrisiko 40 %      Wurfdisziplinen, die Platz 1 bis 10 der          beiden international verfügbaren Studien
höher als bei Spielern bis zu drei NFL-         schwedischen Rangliste der Jahre 1960            keine Wirkung auf das Mortalitätsrisiko
Spielzeiten (Williams, 2012). Um Selek-         bis 1979 einnahmen (n = 1199), weil sie          zeigen. Es soll jedoch in Übereinstim-
tionseffekte zu kontrollieren, vergleichen       in diesem Zeitraum und in diesen Dis-            mung mit der politischen Bewertung die
Nguyen et al. (2019) 3419 Spieler, die zwi-     ziplinen den Gebrauch anaboler Steroi-           These geprüft werden, dass
schen 1959 und 1988 ihre letzte NFL-            de vermuten. Sie beobachten keine ge-
Saison spielten, mit 2708 Spielern der          stiegene Mortalität im gesamten Beob-            (T4) die Mortalität ostdeutscher Olym-
Major League Baseball (MLB), die der            achtungszeitraum gegenüber der männ-             piateilnehmerinnen und -teilnehmer hö-
NFL-Kohorte angepasst wurden. Auch              lichen Gesamtbevölkerung, jedoch eine            her ist als die der westdeutschen Olym-
hier ist das Mortalitätsrisiko für die NFL-     deutlich höhere Mortalität im Lebensal-          piateilnehmerinnen und -teilnehmer.
Kohorte signifikant höher. Dagegen er-           ter von 20 bis 50 Jahren. Auch die Selbst-          sowie
mitteln Lemez, Wattie, und Baker (2018)         mordrate der Athleten war im Alter von
für MLB-Spieler das höchste Mortalitäts-        30 bis 50 Jahren spürbar erhöht.                 (T5) die Mortalität deutscher Olympia-
risiko unter allen Spielern der ameri-              In Deutschland ist die Verwendung            teilnehmerinnen und -teilnehmer in den
kanischen Major Leagues3 (n = 50.515).          von Doping sowohl für die Bundesrepu-            Sportarten Leichtathletik, Rudern, Ge-
Einen umfassenden Vergleich zwischen            blik als auch für die DDR nachgewiesen.          wichtheben, Skilanglauf, Biathlon, Rin-
afroamerikanischen, Hispanics und wei-          Unterschiede werden vor allem in der sys-        gen und Eiskunstlauf höher ist als die
ßen Spielern der MLB in den Geburten-           tematischen, staatlich geplanten und un-         der Olympiateilnehmerinnen und -teil-
jahrgängen 1905 bis 1966 legt Markowitz         terstützten Anwendung in der DDR gese-           nehmer in den anderen Disziplinen.
(2019) vor.                                     hen, was zur Verabschiedung des ersten
    Die aktuell uneinheitliche Befundlage       und zweiten Dopingopfer-Hilfegesetzes            Sieger vs. Platzierte
schließt nicht aus, dass Mannschafts-           beitrug, das sich auf ehemalige DDR-Ka-
sportarten anderen Wirkungen auf das            derathletinnen und -athleten beschränkt          Bei einem Vergleich der olympischen
Mortalitätsrisiko ausüben als Einzel-           (Bundestag 2002a, b, 2016). In der Geset-        Gold- und Silbermedaillengewinner der
sportarten, zumal Hinweise auf Differen-         zesbegründung für das erste Dopingop-            Jahre 1896 bis 1948 in der Leichtathletik
zen in den Persönlichkeitsmerkmalen             fer-Hilfegesetz heißt es dazu u. a., dass der    stellt Leive (2018) fest, dass die Gold-
zwischen Einzel- und Mannschaftss-              Einsatz der Dopingmittel in der DDR ab           medaillengewinner mehr als ein Jahr
portlerinnen und Sportlern vorliegen            1966 vorwiegend bei weiblichen Sport-            früher als die Silbermedaillengewinner
(Eagleton, McKelvie, & de Man, 2007).           lern erfolgte, die Nebenwirkungen seit           verstorben sind. Der Autor führt dies
Dies führt zu folgender These:                  Anfang der 70er Jahre, spätestens ab 1975        darauf zurück, dass die Silbermedaillen-
                                                bekannt gewesen seien und die Ausset-            gewinner im Lebensverlauf einen höher
(T3) Deutsche Olympiateilnehmerinnen            zung der Applikationen nach den Olym-            bezahlten Beruf erreichten und so den
und -teilnehmer in Mannschaftssportar-          pischen Spielen 1976 zwar angeordnet,            verpassten Olympiasieg materiell und
ten weisen eine höhere Mortalität im Ver-       aber praktisch folgenlos blieb. Betroffen         sozial kompensieren konnten. Dem ent-
gleich zu den Teilnehmern in den Ein-           wären vor allem die Sportarten Leichtath-        gegen stehen die Befunde von Becker
zelsportarten auf.                              letik, Rudern, Gewichtheben, Skilang-            et al. (2007), die im Zusammenhang
                                                lauf, Biathlon und Eiskunstlauf. Explizit        mit der Aufnahme in die Baseball Hall
Doping                                          wird auf die Langzeitschäden verwiesen,          of Fame feststellen, dass aufgenomme-
                                                die durch die Verabreichung von Ana-             ne und deutlich gescheiterte Spieler
Für die männlichen Olympiasieger im             bolika und Wachstumshormonen entste-             10 % länger leben als knapp gescheiterte
Ringen der Jahre 1896 bis 2016 stellt           hen (Bundestag, 2002b). Die Liste der            Spieler (vgl. bereits Medvec, Madey, &
Keller (2019) fest, dass diese unabhän-         Sportarten mit den meisten Aberken-              Gilovich, 1995). Auch die Befunde von
                                                nungen von olympischen Medaillenge-              Kalwij (2018), der die Lebensspanne
3
 Neben der MLB und der NFL sind dies die        winnen infolge nachgewiesenen Dopings
National Basketball Association (NBA) und die   wird dann auch von der Leichtathletik,           4
                                                                                                   Vgl. https://de.m.wikipedia.org/wiki/Liste_
National Hockey League (NHL).                                                                    der_aberkannten_olympischen_Medaillen.

                                                                                         German Journal of Exercise and Sport Research 2 · 2020   283
Hauptbeitrag

      US-amerikanischer Medaillengewinner                Dopingrisiko für Frauen) in Deutschland      antrat. Insgesamt wurden durch Addi-
      der Olympischen Spiele von 1904 bis                gewirkt haben, müsste                        tion der Olympiamannschaften für den
      1948 untersuchte und keine Differenz                                                             Zeitraum 1956 bis 2016 insgesamt 8934
      zwischen den Gold- und Bronzemedail-               (T8) das Verhältnis der Mortalitätsraten     deutsche Olympiateilnehmerinnen und
      lengewinnern, jedoch ein im Vergleich              von deutschen Olympiateilnehmerinnen         -teilnehmer identifiziert. Reduziert um
      dazu zwischen 2,4 und 3,9 Jahren kürze-            und -teilnehmern dem Verhältnis der          an mehreren Olympischen Spielen Teil-
      res Leben der Silbermedaillengewinner              Mortalitätsraten von Frauen und Män-         nehmende, ergeben sich 6066 Personen,
      fand, weisen in Richtung eines höheren             nern in der Gesamtbevölkerung entspre-       von denen 4023 einmal an Olympischen
      Mortalitätsrisikos bei verpassten Siegen.          chen.                                        Spielen, 1436 an zwei, 442 an drei und
         Für Deutschland wäre daher zu prü-                                                           165 an vier und mehr Olympischen Spie-
      fen, ob sich das von Kalwij (2018) beob-           Methoden                                     len teilnahmen. Die beobachtete Kohorte
      achtete Bewältigungsmuster zeigt. Dann                                                          von 6066 Olympiateilnehmerinnen- und
      müsste gelten:                                     Die Daten zu den deutschen Olym-             -teilnehmern lässt sich in die Athletin-
                                                         piateilnehmerinnen und -teilnehmern          nen und Athleten differenzieren, die für
      (T6) Deutsche Silbermedaillengewinne-              sind der Website https://www.sports-         die DDR bzw. für die BRD in deren
      rinnen und -gewinner bei Olympischen               reference.com/olympics/ entnommen.           selbstständiger Mannschaft oder in der
      Spielen haben eine höhere Mortalität als           Die dortigen Angaben wurden mit Wi-          gemeinsamen deutschen Mannschaft
      Gold- und Bronzemedaillengewinnerin-               kipedia (z. B. für die westdeutschen         bis 1964 antraten, sowie diejenigen, die
      nen und -gewinner.                                 Teilnehmer an den Olympischen Win-           nach der deutschen Wiedervereinigung
                                                         terspielen 1972 https://de.wikipedia.org/    für Deutschland starteten. Die gewon-
      Athletinnen vs. Athleten                           wiki/Olympische_Winterspiele_1972/           nenen 6066 Datensätze enthalten die
                                                         Teilnehmer_(BR_Deutschland)) sowie           Variablen Name, Vorname, Geschlecht,
      Die Befunde von Coate und Sun (2012)               einschlägigen Chroniken Olympischer          Geburtsdatum, Sterbedatum, Jahr der
      für 2099 Olympische Medaillengewin-                Spiele bei nicht plausiblen Angaben sowie    Olympiateilnahme(n), Sportart, Medail-
      ner seit 1900 sowie für 302 Finalisten             stichprobenartig bei ca. 25 % der Daten-     lengewinne, Zuordnung zur BRD, zur
      der britischen und US-amerikanischen               sätze gegengeprüft. Bei Abweichungen         DDR bzw. zur Mannschaft des wiederver-
      Tennis-Meisterschaften seit den 1880er             zwischen zwei Quellen erfolgten weitere      einigten Deutschlands sowie einige aus
      Jahren weisen eine Differenz der Mor-               Recherchen, beginnend bei den in Wi-         diesen Angaben errechenbare Variablen
      talität zwischen Athletinnen und Athle-            kipedia angegebenen Links. Die Fehler-       (z. B. Alter bei erster Olympiateilnah-
      ten auf. Sowohl in einer Teilkohorte der           quote der geprüften Datensätze lag unter     me, Anzahl der Olympiateilnahmen)
      vor 1920 Geborenen (n = 421) als auch in           3 % und betraf vorrangig Abweichungen        und liegen in SPSS (Version 25, IBM,
      der Gesamtkohorte findet sich eine 5 bis            in den Geburts- und Sterbedaten von          Armonk, N.Y.) vor. . Tab. 1 beinhaltet
      7 Jahre längere Lebenszeit für die olym-           wenigen Tagen. Dennoch kann nicht            die deskriptive Beschreibung der Ge-
      pischen Athletinnen. Dieser Befund wird            ausgeschlossen werden, dass einzelne         samtzahl der Olympiateilnehmerinnen
      durch die Tenniskohorte gestützt. Aller-           Sterbefälle nicht erfasst wurden. Die        und -teilnehmer, differenziert nach der
      dings werden beide Ergebnisse nicht im             Fehlerrate sollte aber eher klein sein und   Zugehörigkeit zur jeweiligen Olympia-
      Verhältnis zur längeren Lebenszeit von             zu keiner systematischen Verzerrung          mannschaft (OM), die Beschreibung der
      Frauen gegenüber Männern in der je-                zwischen den einzelnen Teilkohorten          Verstorbenen und deren Lebensdauer,
      weiligen Gesamtbevölkerung (zu deren               führen.                                      einschließlich des Anteils der Verstorbe-
      unterschiedlicher Körperwahrnehmung                    Um die entwickelten Thesen zu testen,    nen an den Olympiamannschaften sowie
      vgl. bereits Boltanski, 1976) betrachtet.          wurden die Daten aller Olympiateilneh-       des Verhältnisses zwischen Medaillen-
      Ein spezifischer Nachteil von Athletin-             merinnenund -teilnehmerderJahre 1956         gewinnern und verstorbenen Medaillen-
      nen oder Athleten im Spitzensport wäre             bis 2016 genutzt. Von der Verwendung         gewinnern.
      ja nur dann gegeben, wenn sich das Ver-            der Daten vor dem zweiten Weltkrieg              Es wurden für die Teilkohorten
      hältnis der Mortalitätsraten aus der Ge-           wurde aufgrund der durch diesen sowie        Überlebenswahrscheinlichkeiten (ggf.
      samtbevölkerung im Spitzensport nicht              den ersten Weltkrieg hervorgerufenen         in mehreren Aggregationsstufen) ermit-
      wiederfindet.                                       Effekte abgesehen, da diese nicht zu kon-     telt und miteinander mittels Wilcoxon-
          Für Deutschland sollte daher zunächst          trollieren sind. Zudem sind die Daten        Gehan-Signifikanztest verglichen (Bühl,
      gelten:                                            zum Tod der Olympiateilnehmerinnen           2019, 823). Zusätzlich werden Unter-
                                                         und -teilnehmer in der ersten Hälfte des     schiede zwischen den Teilkohorten mit
      (T7) Deutsche Olympiateilnehmerinnen               20. Jahrhunderts lückenhafter und un-        dem Kaplan-Meier-Verfahren (Gaus &
      haben im Vergleich zu deutschen Olym-              zuverlässiger als danach. Das Jahr 1952      Muche, 2014, 197 ff.) berechnet und
      piateilnehmerneine geringere Mortalität.           wurden nicht berücksichtigt, da zu den       auf signifikante Differenzen mittels Log-
         Wenn keine geschlechtsspezifischen               Spielen in Helsinki (Sommer) und Oslo        Rank-Test geprüft, um die Unterschieds-
      Faktoren im Spitzensport (z. B. höheres            (Winter) nur eine westdeutsche Mann-         befunde mit einem zweiten Standard-
                                                         schaft sowie eine Mannschaft der Saar        verfahren abzusichern (zur Differenz

284    German Journal of Exercise and Sport Research 2 · 2020
Tab. 1   Deskriptive Beschreibung der zentralen Daten zum Stichtag 30.06.2019
                    Alle Mitglieder OM 1956 bis       Mitglieder OM 1992 bis           Mitglieder OM BRD 1956 bis         Mitglieder OM DDR 1956 bis
                    2016                              2016a                            1988                               1988
                     Alle       Weibl      Männl       Alle       Weibl      Männl     Alle        Weibl      Männl       Alle       Weibl       Männl
    N                6066       1959       4107        2325       981        1344      2107        478        1629        1634       500         1134
    Verstorbene (V) und deren Lebensdauer (LD)
    NV               400        37         363         7          1          6         275         21         254         118        15          103
    Anteil NV in %   6,59       1,89       8,84        0,30       0,10       0,45      13,05       4,39       15,59       7,22       3,00        9,08
    Min. LD (Mo-     234        234        293         234        234        317       282         282        293         341        584         341
    nate)
    Max. LD (Mo-     1118       1088       1118        584        234        584       1104        1088       1104        1118       1088        1104
    nate)
    MW LD (Mo-       788,0      740,6      792,8       405,3      234,0      433,8     803,7       770,3      806,4       774,1      757,7       780,1
    nate)
    Sta.AW LD        183,1      222,7      178,3       129,7      –          115,6     178,6       244,3      172,5       171,0      120,1       173,6
    (Monate)
    Medaillengewinner (VMG) und verstorbene Medaillengewinner (VMG)
    NMG              2071       715        1356        685        285        400       611         130        481         775        300         475
    VMG              138        18         120         2          0          2         89          9          80          47         9           38
    Anteil VMG in    6,66       2,52       8,85        0,29       0          0,50      14,57       6,92       16,63       6,06       3,00        8,00
    %
    a
    Die Zuordnung zu den jeweiligen Teilen Deutschlands erfolgte bei der erstmaligen Olympiateilnahme 1956 bis 1964 anhand des Landesteils, für den die
    Athletinnen und Athleten bei den innerdeutschen Olympiaqualifikationswettkämpfen antraten und von 1968 bis 1988 anhand der Mannschaftslisten der
    beiden selbstständigen Olympiamannschaften. Bei erstmaliger Olympiateilnahme ab 1992 erfolgte die Zuordnung zum wiedervereinigten Deutschland

zwischen Wilcoxon-Gehan und Log-                       der Gesamtbevölkerung verschiedener                  zwischen interessierenden Gruppen mit-
Rank Martinez & Naranjo, 2010). Mit                    Länder aus offiziellen und historischen                tels Wilcoxon-Gehan-Signifikanztest der
Hilfe von Cox-Regressionen wird an-                    Quellen und konstruiert aus diesen u. a.             Überlebenswahrscheinlichkeiten sowie
schließend untersucht, welche der im                   Mortalitätsraten und Sterbetafeln („life             anhand des Kaplan-Meier-Schätzer mit
Datensatz enthaltenen Variablen wie                    tables“; zur Methodik Wilmoth, An-                   Log-Rank-Test. Um im Rahmen des ver-
stark das relative Sterberisiko (Hazard-               dreev, Jdanov, Glei, & Riffe, 2019), die              fügbaren Datensatzes nach Hinweisen
Ratio) beeinflussen (Gaus & Muche,                      den Standard für versicherungsmathe-                 auf Ursachen für detektierte Unterschie-
2014, 384 ff.; Schumacher & Schmoor,                    matische Berechnungen darstellen. Der                de zu suchen, werden Cox-Regressionen
2002, 90 ff.; Zwiener, Blettner, & Hom-                 Vergleich zwischen den Daten für die                 gerechnet und interpretiert. Entlang
mel, 2011). Die verwendeten Verfahren                  Gesamtbevölkerung und die der Olym-                  dieses Vorgehens wird nach Befunden
sind Standardprozeduren der medizini-                  piateilnehmerinnen und -teilnehmer                   gesucht, die die aus dem Forschungsstand
schen Statistik (z. B. Altman, 1999, 365 ff.;           erfolgt anhand der jeweiligen standardi-             abgeleiteten Thesen prüfen.
Bland, 2015, 251 ff.; Klein & Moesch-                   sierten Mortalitätsraten („standardised
berger, 2003, 295 ff.; Ziegler, Lange, &                mortality ratio“ [SMR]).                             Ergebnisse
Bender, 2004).                                            Die Analysestrategie besteht damit
   Die für den Vergleich mit der Ge-                   im Aggregieren der Mortalitätsraten                  Standardisierte Mortalitätsrate
samtbevölkerung notwendigen Daten                      der deutschen Olympiateilnehmerinnen                 deutscher Olympiateilnehmer
stammen aus der Human Mortality                        und -teilnehmer für Vergleiche mit der
Database (HMD), einem Kooperations-                    Gesamtbevölkerung6, in der Testung                   Von den insgesamt 6066 deutschen
projekt, an dem u. a. das Max-Planck-                  auf Unterschiede der Lebensspannen                   Teilnehmerinnen und -teilnehmern an
Institut für Demografie Rostock und die                                                                      Olympischen Spielen der Jahre 1956 bis
University of California, Berkeley, maß-               6 Am aussagekräftigsten wären Sterbetafeln           2016 starben bis zum Stichtag 01.07.2019
geblich beteiligt sind und dessen Daten                analog zur den Sterbetafeln der Gesamtbe-            genau 400. Für den Vergleich mit der
bis zum Geburts- bzw. Sterbejahr 2017                  völkerung, also Sterbewahrscheinlichkeitenfür        Gesamtbevölkerung wurden aus den Ge-
sich unter www.mortality.org finden5.                   jedes Lebensalter im betreffenden Kalenderjahr.       burtsjahren der Olympiateilnehmenden
HMD vereint Geburts- und Sterbedaten                   Derartige SterbetafelnliefernaberinderGruppe
                                                       der Olympiateilnehmerinnen und -teilnehmer
                                                       keine Aussage, da es nur geringe Besetzungen         die jeweiligen zeitraum- und altersgruppenspe-
5
  Daher kann bei Vergleichen mit der Ge-               pro Lebensjahr und ggf. gar keine Todesfälle         zifischen Risikogruppen eine vertretbare Größe
samtbevölkerung auch nur der Zeitraum bis              gibt. Daher wurden mehrere Lebensalter und           bei genügend hohen Sterbefällen erreicht
einschließlich 2017 betrachtet werden.                 mehrere Kalenderjahre solange aggregiert, bis        haben.

                                                                                                   German Journal of Exercise and Sport Research 2 · 2020    285
Hauptbeitrag

      Tab. 2 Altersgruppen- und zeitraumspezifische SMR differenziert nach alter Bundesrepublik                 Im Altersbereich der 35- bis 64-
      und ehemaliger DDR                                                                                   Jährigen liegt das Sterberisiko in den
      Zeitraum/ Olympiamannschaft BRD bezogen           Olympiamannschaft DDR bezogen                      Perioden 1956 bis 1974 sowie 1975 bis
      Alters-    auf Bevölkerung Westdeutschland        auf Bevölkerung Ostdeutschland                     1994 unterhalb der Gesamtbevölkerung
      gruppe     Beobachtete Erwartete SMR              Beobachtete Erwartete SMR                          (SMRw35–64;56–74 = 62 %; SMRw35–64;75–94 =
                   Todesfälle      Todesfälle                   Todesfälle    Todesfälle                   99 %), ist für die jüngste Periode jedoch
       1956–1974                                                                                           doppeltsohoch(SMRw35–64;96–2017 = 203 %;
       15–34       10              7,48          1,34           0             5,43           –             . Tab. 2, Spalte 4, Zeilen 4, 8 und 12), was
       35–64       5               8,04          0,62           2             3,49           0,57          ausschließlich auf die Männer zurück-
       65+         2               0,71          2,80           Keine Risikogruppe                         zuführen ist. Bei den 65-Jährigen und
       1975–1994                                                                                           Älteren sinkt hingegen das Sterberisiko
                                                                                                           im Zeitverlauf. Das im Zeitraum 1956
       15–34       13              5,86          2,22           9             5,77           1,56
                                                                                                           bis 1974 noch knapp dreifache Risiko
       35–64       40              40,44         0,99           21            34,36          0,61
                                                                                                           für die westdeutschen Olympiateilneh-
       65+         18              12,84         1,40           2             2,49           0,80
                                                                                                           mer (SMRw65+;56–74 = 280 %) halbiert sich
       1995–2017                                                                                           (SMRw65+;75–94 = 140 %) und übersteigt
       15–34       4               0,37          10,71          1             0,35           2,86          das Risiko der Gesamtbevölkerung im
       35–64       96              47,26         2,03           63            47,61          1,32          jüngsten Zeitraum nur noch in gerin-
       65+         271             239,57        1,13           103           152,29         0,68          gem Maße (SMRw65+;95–17 = 113 %; vgl.
       a
        Lesebeispiel: In den Jahren 1956 bis 1974 sind in der Altersgruppe der 15- bis 34-Jährigen 10      . Tab. 2, Spalte 4, Zeilen 4, 9 und 13).
       Personen gestorben. Bei einer Mortalitätsrate wie in der westdeutschen Gesamtbevölkerung wären
       7,48 Todesfälle zu erwarten gewesen                                                                 Ostdeutsche Olympia-
                                                                                                           teilnehmende
                                                                                                           Für die ostdeutschen Olympiateilneh-
      die Größe der jeweiligen Risikogruppe               und damit kein Vergleich zur jeweiligen          merinnen und -teilnehmer wurden im
      („exposure group“) sowie die beobach-               Gesamtbevölkerung erfolgen kann.                 Vergleich zur Bevölkerung in der DDR
      teten Todesfälle (Sterbetafeln) ab 1956                                                              bzw. den ostdeutschen Bundesländern
      für jedes Alter gebildet. Die beobachtete           Westdeutsche Olympia-                            für die Altersgruppe der 15- bis 34-Jähri-
      Anzahl der Sterbefälle der deutschen                teilnehmende                                     gen ebenfalls erhöhte Mortalitätsrisiken
      Olympiateilnehmerinnen und -teilneh-                Vergleicht man die Olympiateilneh-               ermittelt, die jedoch in beiden Fällen
      mer wurde mit den aus der Mortali-                  merinnen und -teilnehmer, die die                maßgeblich von den Männern induziert
      tätsrate der Gesamtbevölkerung und                  Bundesrepublik Deutschland in den                wurden, aber mit SMRo15–34;75–94 = 156 %
      aus der Größe der Gruppe der Olym-                  gemeinsamen deutschen Olympiamann-               und SMRo15–34;95–17 = 286 % unterhalb
      piateilnehmenden („exposure group“)                 schaften 1956 bis 1964 und/oder in den           der Werte der Olympiateilnehmenden
      errechneten erwarteten Todesfälle ins               selbstständigen Mannschaften 1968 bis            aus den alten Bundesländern lagen.
      Verhältnis gesetzt und so die Mortalitäts-          1988 vertraten, mit der Bevölkerung auf          35- bis 64-Jährige ostdeutsche Olym-
      rate (SMR) ermittelt. Da bei gegebener              dem Gebiet der westdeutschen Bundes-             pioniken weisen in den frühen Peri-
      Größe der Risikogruppe und der zu                   länder, so ist in der Altersgruppe der           oden eine gegenüber der ostdeutschen
      verzeichnenden Todesfälle jahresweise               15- bis 34-Jährigen eine erhöhte und             Gesamtbevölkerung verringerte Mor-
      Kombinationen ohne Risikogruppe bzw.                bis zur jüngsten Zeitperiode (1995 bis           talitätsrate auf (SMRo35–64;56–74 = 57 %;
      Todesfälle häufiger zu beobachten wa-                2017) steigende standardisierte Mortali-         SMRo35–64;75–94 = 61 %), die jedoch im
      ren, erfolgte eine sukzessive Ausweitung            tätsrate gegenüber der Gesamtbevölke-            Zeitraum von 1995 bis 2017 deutlich
      sowohl der Zeitperiode als auch der                 rung zu erkennen. Statt der erwarteten           über dem Wert in der Gesamtbevöl-
      Altersgruppen. Das Aggregieren zu drei              gut sieben Todesfälle wurden im Zeit-            kerung lag (SMRo35–64;95–17 = 132 %; vgl.
      Zeitperioden (1956 bis 1974, 1975 bis               raum 1956 bis 1974 zehn Todesfälle               . Tab. 2, Spalte 7). In der Altersgrup-
      1994 und 1995 bis 2017) und vier Al-                (SMRw15–34;56–74 = 134 %), 1975 bis 1994         pe der 65-Jährigen und Älteren liegen
      tersgruppen (0–14 Jahre, 15–34 Jahren,              statt knapp sechs erwarteten 13 Todes-           sowohl im Zeitraum 1975 bis 1994
      35–64 Jahre, ab 65 Jahren) erbrachte                fälle (SMRw15–34;75–94 = 222 %) und 1995         als auch 1995 bis 2017 die Mortali-
      aussagekräftige Werte, wobei kürzere                bis 2017 statt knapp 0,4 vier Todesfälle         tätsraten unter denen der Gesamtbe-
      Zeitperioden und Altersgruppen mit                  beobachtet. Rechnerisch führt dies zu            völkerung (SMRo65+;75–94 = 80 % bzw.
      geringerer Spannweite bei Bedarf und                einer SMRw15–34;95-17 von 1071 % (vgl.           SMRo65+;95–17 = 68 %; . Tab. 2, Spalte 7,
      Verfügbarkeit zusätzliche Evidenz lie-              Spalten 2, 3 und 4 in . Tab. 27).                Zeilen 9 und 13).
      fern. Die Altersklasse 0–14 Jahre wurde
      dabei nicht betrachtet, da die Olympia-                                                              Deutsche Teilnehmende ab 1992
      teilnahme einen Tod vor dem Erreichen               7
                                                           In . Tab. 2 sind die SMR aus Platzgründen als   Bei den Olympiateilnehmerinnen und
      des 14. Lebensjahres de facto ausschließt           Quotient und nicht als Prozentsatz angegeben.    -teilnehmern, die ihre ersten Olympi-

286    German Journal of Exercise and Sport Research 2 · 2020
entsteht statt der in . Abb. 1 darge-
   300%             277,79%                                                                          stellten 3 × 3-Felder-Matrix eine Matrix
                                                                                                     aus acht Altersgruppen und sechs Zeit-
   250%                                                                                              intervallen. Die daraus resultierenden
                                                                                                     Regressionsgeraden steigen für die bei-
   200%                                           152,99%                  182,72%
                                                                                                     den Altersgruppen der 15- bis 24- sowie
                                                                           144,75%                   der 25- bis 34-Jährigen im Zeitverlauf,
   150%                                                                                              sinken aber für die sechs nachfolgenden
                                                  128,78%                                            Altersbereiche.
   100%              76,45%                                                                             Dies deutet darauf hin, dass sich für
                                                                           95,27%                    die jüngeren Altersgruppen das Mortali-
    50%                                            84,21%
                  60,81%                                                                             tätsrisiko der Athletinnen und Athleten
                                                                                                     im Vergleich zur Gesamtbevölkerung
     0%
                                                                                                     intertemporär negativ entwickelt, wäh-
                   1956-1974                      1975-1994               1995-2017
                                                                                                     rend es in den höheren Altersgruppen
                                     15-34           35-64      65+                                  in Richtung Gesamtbevölkerung kon-
                                                                                                     vergiert. Allerdings erreichen in der
Abb. 1 8 Entwicklung der standardisierten Mortalitätsraten (SMR) nach Altersgruppen und Zeitperi-    8 × 6-Felder-Matrix aus Altersgruppen
oden                                                                                                 und Zeitintervallen von den besetzten
                                                                                                     36 Feldern nur sieben SMR-Werte von
                                                                                                     kleiner 1 bzw. 100 %, sodass auch im
schen Spiele in einer Mannschaft des                 westdeutschen und ostdeutschen Olym-            Zeitverlauf sinkende Regressionsgera-
wiedervereinten Deutschlands erleb-                  piateilnehmerinnen und -teilnehmer              den in den älteren Altersgruppen nur
ten (n = 2325), sind bis einschließlich              bezogen auf die jeweilige Bevölkerung           in Richtung einer Normalisierung des
30.06.2019 nur 7 Todesfälle zu beklagen.             der beiden deutschen Staaten bzw. der           Mortalitätsrisikos weisen. Die deutlichen
Dennoch ist die SMR im Vergleich mit                 west- und ostdeutschen Bundesländer.            Nachteile beim Sterberisiko für olympi-
der Gesamtbevölkerung leicht erhöht                     Wirft man vor dem Hintergrund von            sche Athletinnen und Athleten bleiben
(SMRG15–34;95–17 = 119 %)8. Für den Al-              These T1 einen Blick auf die Gesamtko-          jedoch bestehen.
tersbereich von 35 bis 64 deutet sich                horte der deutschen Olympiateilnehme-              Alles in allem widerspricht eine Viel-
eine geringere Mortalitätsrate als in der            rinnen und -teilnehmer 1956 bis 2016            zahl von SMR und deren intertemporale
Gesamtbevölkerung an. Aufgrund des                   aus Ost und West und vergleicht diese           Entwicklung der These T1, sodass diese
in manchen Altersgruppen und Zeiträu-                mit der Gesamtbevölkerung, so finden             zurückgewiesen werden muss.
men geringen Umfangs der Risikogrup-                 sich in den drei betrachteten Zeiträu-
pensowie derhohenBevölkerungszahlen                  men steigende standardisierte Mortali-          Anaerob vs. aerob geprägte
mit entsprechend hoher Zahl an Todes-                tätsraten für die Altersbereiche der 15-        Sportarten
fällen, ergeben sich geringe Konfidenzin-             bis 34-Jährigen und der 35- bis 64-Jähri-
tervalle für die Sterbewahrscheinlichkeit            gen und eine abnehmende Rate bei den            Die verschiedenen olympischen Sport-
und in Folge dessen auch für die Zahl                65-Jährigen und Älteren (. Abb. 1).             arten beanspruchen die metabolischen
der erwarteten Todesfälle sowie für die                 Die Ergebnisse entsprechend . Abb. 1         Stoffwechselprozesse in unterschiedli-
SMR der Risikogruppe. Zufallsereignisse              werden maßgeblich durch die Mortalität          chen Relationen (Kenney, Wilmpore, &
haben in der Risikogruppe daher auch                 in den ost- und westdeutschen Olympia-          Costill, 2015). Daher wird nach Auffäl-
eine stärkere Bedeutung für die SMR                  mannschaften geprägt. Dagegen hat das           ligkeiten zwischen den verschiedenen
als in der Gesamtbevölkerung. . Tab. 2               Risiko für die Olympiateilnehmenden             Sportarten gesucht, die geeignet sind,
enthält die Gesamtübersicht über die al-             nach der Wiedervereinigung bislang nur          T2 zu falsifizieren. Als Prototypen an-
ters- und zeitraumspezifischen SMR der                einen geringen Einfluss auf die Gesamt-          aerob geprägter Sportarten sollen dabei
                                                     entwicklung. Ausweislich . Tab. 2 und           die leichtathletischen Wurfdisziplinen
                                                     . Abb. 1 scheint es im Zeitverlauf zu           (n = 186; 18 Sterbefälle) und Gewicht-
8 Bei den sieben zu beklagenden Todesfäl-
                                                     einem Anstieg der SMR in den jüngeren           heben (n = 79; 9 Sterbefälle) gelten.
len handelt es sich in zwei Fällen um eine
Krebserkrankung, in zwei Fällen um plötzlichen       Altersbereichen gekommen zu sein.               Als aerob geprägte Sportarten werden
Herztod und um einen Verkehrsunfall während             Um dies genauer zu prüfen, wurden            Skilanglauf (n = 123; 11 Sterbefälle) und
der Trainertätigkeit bei Olympischen Spielen.        zusätzlich spannweitengleiche Alters-           Rudern (n = 542; 24 Sterbefälle) klassifi-
ZudemstarbeineSnowborderinbeieinerBrand-             gruppen der 15- bis 24-Jährigen, der 25-        ziert.
katastrophe einer Gletscherbahn. In einem Fall       bis 34-Jährigen usw. bis zu den über 84-           Die SMR zwischen beiden Grup-
wird als Todesursache lediglich „lange schwere
Krankheit“ genannt. Hätten sich statt der beob-      Jährigen und Zeitintervalle für die Jahre       pen betragen SMRaerob = 153 % bzw.
achteten sieben Todesfällen nur sechs ereignet,      1956 bis 1964, 1965 bis 1974 usw. bis zum
ergäbe sich eine SMRG15–34;95-17 = 102 %.            Intervall 2005 bis 2017 gebildet. Damit

                                                                                             German Journal of Exercise and Sport Research 2 · 2020   287
Hauptbeitrag

      SMRanaerob = 79 %9. Die Berechnung der                ligen Olympiateilnahme11, die Unter-                Einzelleistungen, die typischer Weise bei
      Überlebenswahrscheinlichkeit mit Hilfe                scheidung zwischen DDR, BRD und                     Staffeln oder bei Mannschaftswertungen
      der Wilcoxon-Gehan-Statistik (Gehan,                  Gesamtdeutschland, die Differenzie-                  vorliegen, hinausgehen. Entsprechend
      1965) erbringt keine signifikanten Unter-              rung zwischen Einzelsportarten, Mixed-              dieses Kriteriums wurden als olympi-
      schiede im direkten Vergleich zwischen                Sportarten und Mannschaftssportarten,               sche Mannschafssportarten Basketball,
      den jeweiligen Sportarten sowie im Ge-                die Anzahl derOlympiateilnahmensowie                Beach-Volleyball, Bobsport, Curling,
      samtvergleich (p >0,05)10 . Verbindet man             die Anzahl der gewonnenen Medaillen12               Fußball, Handball, Hockey, Eishockey,
      Wurf und Gewichtheben zur Klasse „an-                 neben der Unterscheidung zwischen                   Segeln, Volleyball und Wasserball klas-
      aerobe Sportarten“ und vergleicht diese               den einzelnen als aerob bzw. anaerob                sifiziert (n = 3099; 222 Sterbefälle). Die
      mit der Gruppe aus Skilanglauf und                    klassifizierten Sportarten als mögliche              Sportarten Badminton, Eiskunstlauf,
      Rudern als aerobe Sportarten, so ergibt               Risikofaktoren in eine Cox-Regression               Kanurennsport, Radsport, Rennrodeln,
      sich ebenfalls kein signifikanter Unter-               (Einschlussverfahren) ein, so erweist               rhythmische Sportgymnastik, Rudern,
      schied. Zu gleichen Ergebnissen führt                 sich lediglich das Geschlecht mit einem             Synchronschwimmen, Tennis, Tisch-
      das Kaplan-Meier-Verfahren. Mit Hilfe                 Hazard-Ratio von HRG = 4,3913 (p < 0,01)            tennis, Trampolin und Wasserspringen
      des Log-Rank-Tests lassen sich ebenso                 sowie die Differenzierung zwischen Ein-              (n = 1445; 77 Sterbefälle) vereinen so-
      keine Unterschiede zwischen den als                   zel- und Mixsportarten14 (HRM = 2,57;               wohl Einzel- als auch Mannschaftss-
      anaerob bzw. aerob klassifizierten Sport-              p 0,05). Dies gilt auch               send, nicht jedoch die Art der ausgeübten           Skisport, Biathlon, Bogenschießen, Bo-
      für einen Vergleich zwischen den leicht-              Sportarten (. Tab. 3).                              xen, Eisschnelllauf, Fechten, Freestyle,
      athletischen Wurfdisziplinen und den                      Ersetzt man die Differenzierung zwi-             Gewichtheben, Golf, Judo, Leichtath-
      anderen Disziplinen der Leichtathletik                schen den betrachteten vier Sportarten              letik, moderner Fünfkampf, nordische
      (n = 759; 63 Sterbefälle). Als Ergebnis               bzw. Disziplinen durch die Unterschei-              Kombination, Reiten, Ringen, Schwim-
      einer Cox-Regression wäre demzufolge                  dung zwischen aeroben (Skilanglauf, Ru-             men, Short-Track, Skeleton, Skilanglauf,
      zu erwarten, dass die Differenzierung                  dern) und anaeroben Sportarten (leicht-             Skispringen, Snowboarding, Sportschie-
      zwischen aeroben und anaeroben Sport-                 athletischer Wurf, Gewichtheben), so ist            ßen, Taekwondo, Triathlon und Turnen
      arten keinen Beitrag zur Erklärung der                der metabolische Status ebenfalls kein              (n = 1522; 101 Sterbefall) im Sinne dieser
      Gesamtüberlebenszeit der Olympiateil-                 signifikanter Risikofaktor.                          Analyse Einzelsportarten. Bezogen auf
      nehmerinnen und -teilnehmer in den                        Da keinerlei Hinweise gefunden wer-             die Gesamtkohorte ergeben sich stan-
      leichtathletischen Wurfdisziplinen, dem               denkonnten, die die These T2 stützenund             dardisierte Mortalitätsraten von 109 %
      Gewichtheben, dem Skilanglauf und                     die vorliegenden Befunde T2 widerspre-              in den Mannschafts-, 81 % in den Mix-
      dem Rudern (n = 930; 62 Sterbefälle)                  chen, muss T2 zurückgewiesen werden.                und 100 % in den Einzelsportarten.15
      liefert.                                                                                                      Weder zusammengefasst über alle drei
          Fügt man daher Geschlecht, Alter                  Einzel- vs. Mannschaftssportarten                   Sportartenkategorien, noch im paarwei-
      bei erstmaliger Olympiateilnahme, die                                                                     sen Vergleich finden sich signifikante Un-
      Unterscheidung zwischen Sommer- und                   Mannschaftssportarten zeichnen sich                 terschiede in den jeweiligen Überlebens-
      Winterspielen, das Jahr der erstma-                   gegenüber Einzelsportarten durch eine               funktionen oder nach dem Kaplan-Mei-
                                                            Interaktion der beteiligten Sportlerin-             er-Verfahren (p >0,05). Auch eine Cox-
      9  Bei Bildung der 95 %-Konfidenzinterval-             nen und Sportler aus, die wesentlich                Regression16 mit den oben genannten
      le für die erwarteten Todesfälle ergeben              über eine additive Verknüpfung von                  möglichen Risikofaktoren erbringt keine
      sich überschneidende obere und unte-                                                                      Hinweise auf ein erhöhtes Risikopoten-
      re Grenzen für die aeroben Sportarten                                                                     zial einer der gebildeten Sportartenkate-
      von 144 % < SMRaerob < 54 % sowie von
                                                            11
                                                               Mit dem Jahr der ersten Olympiateilnahme         gorien (. Tab. 4). T3 muss daher zurück-
      278 % < SMRanaerob < 105 % für die anaeroben
      Sportarten.                                           und dem Alter bei erstmaliger Olympiateilnah-       gewiesen werden.
      10 Bei den verwendeten Daten handelt es sich          me wird auch das Geburtsjahr determiniert,
                                                            sodass dieses nicht als Kovariable berücksichtigt
      um Vollerhebungen bezüglich der an den Start
                                                            wird.
      gegangenen Gruppen sowie der in diesen                12
      Gruppen aufgetretenen Todesfälle. Dennoch                DieVerwendungderAnzahldergewonnenen
      werden die p-Werte berichtet, da das Ereignis         Gold-, Silber- und Bronzemedaillen als separate
      „Tot eines Individuums aus einem Kollektiv“           Variablen verändern das Ergebnis nicht.
                                                            13                                                  15 Bei Beachtung des 95 %-Konfidenzintervalls
      als eine Stichprobe verstanden wird, die die             Dies bedeutet inhaltlich, dass Athleten der
      „Realisierung einer konkreten Wirklichkeit aus        betrachteten Gruppe ein auf 439 % erhöhtes          für die erwarteten Todesfälle ergeben sich
      einer unendlichen Vielzahl potenziell möglicher       Hazard-Risiko gegenüber Athletinnen aufwei-         Spannen von 96 % < SMRMannschaft < 125 %,
      Wirklichkeiten“ (Behnke, 2005; =–3 f.) darstellt.     sen. Allerdings ist das 95 %-Konfidenzintervall      68 % < SMRMix < 100 % bzw. 84 % < SMREinzel <
      Ausführliche Hinweise zur Entscheidung, unter         mit 1,57 (untere Grenze)bis 10,43 (obere Grenze)    124 %.
      welchen Umständen bei Vollerhebungen die p-           recht breit.                                        16
                                                                                                                   Die Cox-Regression in diesem Abschnitt
                                                            14
      Werte berichtet werden sollen finden sich bei             Vgl. zur Differenzierung zwischen                 unterscheidet sich von der im Abschn. 4.2
      Behnke (2005) sowie Broscheid und Gschwend            Mannschafts-, Mix- und Einzelsportarten             vorgenommenen Cox-Regression durch deren
      (2005).                                               Abschn. 4.3.                                        Bezug auf alle 6066 Beobachtungsfälle.

288       German Journal of Exercise and Sport Research 2 · 2020
Tab. 3 Cox-Regression (n = 930 bei 62 Sterbefällen) zur Bestimmung des Risikoeinflusses aerober bzw. anaerober Sportarten (Regressionskoeffizi-
ent B, zugehöriger Standardfehler SE, Prüfgröße Wald, Freiheitsgrad df, p-Wert des zugehörigen Tests, untere und obere Grenze des 95 % Konfidenzin-
tervalls für das relative Risiko, wenn die entsprechende Variable um eine Einheit erhöht wird)
                                                   B          SE          Wald        Df       Signifi- Exp(B)      95 % Konfidenzintervall für
                                                                                               kanz                 Exp(B)
                                                                                                                  Untere            Obere
 Geschlecht                                    1,479       0,489      9,169       1        0,002       4,390      1,685             11,436
 Alter bei erstmaliger Olympiateilnahme        –0,007      0,042      0,026       1        0,873       0,993      0,915             1,079
 Olympische Sommer- oder Winterspiele          0,242       0,388      0,391       1        0,532       1,274      0,596             2,725
 Anzahl an Teilnahmen                          –0,034      0,171      0,039       1        0,843       0,967      0,691             1,352
 Anzahl an Medaillen                           0,419       0,220      3,628       1        0,057       1,520      0,988             2,338
 Einzel-, Mix- oder Mannschaftssportarten      0,945       0,442      4,578       1        0,032       2,573      1,083             6,116
 Deutschland nach Wiedervereinigung            –           –          3,943       2        0,139       –          –                 –
 BRD                                           1,028       1,163      0,782       1        0,376       2,797      0,286             27,317
 DDR                                           0,505       1,157      0,191       1        0,662       1,657      0,172             15,985
 Jahr der erstmaligen Olympiateilnahme         –0,020      0,019      1,083       1        0,298       0,981      0,945             1,017
 Aerob (Skilanglauf, Rudern) vs. anaerobe      –0,139      0,420      0,110       1        0,740       0,870      0,382             1,980
 (Wurf, Gewichtheben) Sportarten

Tab. 4    Cox-Regression (n = 6066 bei 400 Sterbefällen) zur Bestimmung des Risikoeinflusses von Einzel-, Mix- und Mannschaftssportarten
                                                B            SE       Wald        Df       Signifi- Exp(B)         95 % Konfidenzintervall für
                                                                                           kanz                    Exp(B)
                                                                                                                  Untere            Obere
 Geschlecht                                    0,781       0,178      19,302      1        0,000       2,183      1,541             3,093
 Alter bei erstmaliger Olympiateilnahme        0,017       0,009      3,226       1        0,072       1,017      0,998             1,036
 Olympische Sommer- oder Winterspiele          –0,160      0,126      1,615       1        0,204       0,852      0,666             1,090
 Anzahl an Teilnahmen                          –0,047      0,081      0,332       1        0,564       0,954      0,815             1,118
 Anzahl an Medaillen                           0,199       0,060      10,999      1        0,001       1,220      1,085             1,372
 Mannschaftssportarten                         –           –          0,705       2        0,703       –          –                 –
 Einzelsportarten                              0,095       0,125      0,576       1        0,448       1,099      0,861             1,404
 Mixsportarten                                 0,020       0,158      0,016       1        0,899       1,020      0,749             1,390
 Deutschland nach Wiedervereinigung            –           –          16,055      2        0,000       –          –                 –
 BRD                                           0,495       0,447      1,227       1        0,268       1,641      0,683             3,943
 DDR                                           0,052       0,449      0,014       1        0,907       1,054      0,437             2,540
 Jahr der erstmaligen Olympiateilnahme         –0,028      0,007      14,785      1        0,000       0,973      0,959             0,987

Ostdeutsche vs. westdeutsche                       der Kaplan-Meier-Methode (p
Hauptbeitrag

                                                                                                                               Abb. 2 9 Kaplan-Meier-
                                                                                                                               Kurve für die deutschen
                                                                                                                               Olympiateilnehmer

      mer der ehemaligen DDR und der al-                 erwarteten und den tatsächlichen Todes-            (n = 124; 11 Sterbefälle), Leichtathle-
      ten Bundesrepublik ein, so ergibt sich             fällen deutet auf einen Überlebensvorteil          tik (n = 943; 79 Sterbefälle), Eiskunst-
      für die bundesdeutschen Olympioniken               der DDR-Olympioniken hin. Deren SMR                lauf (n = 119; 4 Sterbefälle), Rudern
      ein um 55 % erhöhtes Hazard-Ratio. Be-             liegt differenziert nach drei Zeiträumen            (n = 542; 24 Sterbefälle) und Gewichthe-
      dingt durch die Extraktion von 2325 Ath-           und drei Alterskohorten stets unterhalb            ben (n = 79; 9 Sterbefälle)18 mit der Sum-
      letinnen und Athleten mit erstmaliger              der SMR der westdeutschen Olympiateil-             me aller anderen Sportarten (n = 3772;
      Olympiateilnahme für das wiederverein-             nehmerinnen und -teilnehmer (. Tab. 5,             255 Sterbefälle) verglichen. Die SMR der
      te Deutschland und deren bislang gerin-            Spalte 5). In fünf der acht zu betrachten-         einzelnen mutmaßlich dopingbelasteten
      ger Anzahl an Sterbefällen verringert sich         den Fälle17 liegt die obere Grenze des             Sportarten verglichen mit den bislang
      das 95 %-Konfidenzintervall deutlich auf            95 %-Konfidenzintervalls der SMR für                weniger auffälligen Sportarten enthält
      124 % bis 192 %. Das Sterberisiko ist dem-         die ostdeutschen Olympiateilnehmerin-              . Tab. 6.
      nach für die westdeutschen Athletinnen             nen und -teilnehmer unterhalb der un-                 Hinsichtlich der Überlebenswahr-
      und Athleten im Vergleich zu den Ost-              teren Grenze des 95 %-Konfidenzinter-               scheinlichkeit ergeben sich lediglich
      deutschen signifikant erhöht.                       valls der westdeutschen Teilnehmerin-              signifikante Unterschiede zwischen Ge-
          Führt man die Cox-Regression se-               nen und Teilnehmer (. Tab. 5, Spalte 7).           wichtheben und Schwimmen (p
Tab. 5 Mannschafts- und altersgruppenspezifische SMR
Betrachtungszeitraum/        Mannschafts-         Bis 30.06.2019 beobachtete Erwartete To-                        SMR    SMR untere          SMR obere
Geburtenjahrgänge            zugehörigkeita       Todesfälleb                desfälle                                    Grenzec             Grenze
 1956–1974
 15–34 (1922–1959)                BRD                     244                              195,32                 1,25   1,10                1,44
                                  DDR                     112                              160,68                 0,70   0,60                0,80
 35–64 (1892–1939)                BRD                     165                              142,85                 1,16   1,01                1,33
                                  DDR                     59                               81,15                  0,73   0,64                0,84
 65 und älter (bis 1909)          BRD/DDR                 Keine DDR-Risikogruppe
 1975–1994
 15–34 (1941–1979)                BRD                     100                              86,78                  1,15   0,96                1,45
                                  DDR                     59                               72,22                  0,82   0,68                1,03
 35–64 (1911–1959)                BRD                     259                              204,84                 1,26   1,12                1,45
                                  DDR                     112                              166,16                 0,68   0,60                0,77
 65 und älter (bis 1929)          BRD                     67                               64,67                  1,04   0,91                1,21
                                  DDR                     14                               16,33                  0,86   0,75                1,00
 1995–2017
 15–34 (1961–2002)d               BRD                     12                               10,03                  1,20   0,65                2,19
                                  DDR                     5                                6,97                   0,72   0,39                1,32
 35–64 (1931–1992)                BRD                     196                              164,67                 1,19   1,04                1,39
                                  DDR                     101                              132,33                 0,76   0,67                0,89
 65 und älter (bis 1952)          BRD                     238                              194,37                 1,22   1,09                1,41
                                  DDR                     90                               133,63                 0,67   0,60                0,77
 a
   Die Mannschaftszugehörigkeit „BRD“ umfasst die Olympioniken, die zum Zeitpunkt ihrer ersten Olympiateilnahme die Staatsbürgerschaft der BRD
 innehatten und für die gemeinsame deutsche Mannschaft (1956–1964) oder für die Mannschaft der Bundesrepublik (1968–1988) antraten. Entsprechendes
 gilt für die Mannschaftszugehörigkeit „DDR“
 b
   Lesebeispiel: Die Geburtenjahrgänge 1922 bis 1959 waren in den Jahren 1956 bis 1974 zwischen 15 und 34 Jahre alt. Bis zum 30.06.2019 verstarben von
 den westdeutschen Olympiateilnehmern dieser Jahrgänge 243. Bezogen auf die Risikogruppe der Olympiateilnehmer aus der BRD und der DDR wären
 194,82 Todesfälle zu erwarten gewesen
 c
   Basierend auf dem 95 %-Konfidenzintervall der erwarteten Todesfälle
 d
   Auf Grund der geringen Zahl der Todesfälle wurde hier das empirische Konfidenzintervall berechnet (Bosch, 2000, 53 ff.)

Tab. 6    SMR von als dopingbelastet geltenden Sportarten in Bezug auf weniger auffällige Sportarten
                             Schwimmen Biathlon             Skilanglauf      Leichtathletik        Eiskunstlauf              Rudern      Gewichtheben
 Erwartete Todesfälle          26,43           5,12             8,47             66,80                   7,92                35,05       5,42
 Beobachtete Todesfälle        14              4                11               79                      4                   24          9
 SMR                           0,53            0,78             1,30             1,18                    0,51                0,68        1,66
 SMR untere Grenze             0,47            0,70             1,16             1,06                    0,45                0,61        1,49
 SMR obere Grenze              0,60            0,88             1,47             1,34                    0,57                0,78        1,88

weiteren Risikofaktor hinzu, ist mit kei-             brauch bezog, beizubehalten. Wenn ein                  winner danach kategorisiert, welche
ner einzelnen Sportart ein signifikanter               Dopinggebrauch zu einer geringeren                     Medaillen sie errungen hatten19. Zudem
Risikoauf- oder -abschlag verbunden.                  Überlebensrate führen sollte, würde das                wurde die höchste Medaillenkategorie
Zum gleichen Ergebnis gelangt man,                    Ergebnis nicht für einen unterschiedli-                festgehalten. Zusätzlich zum Vergleich
wenn man die dopingbelasteten Sport-                  chen Dopinggebrauch in den bislang im                  zwischen den Medaillengewinnerinnen
arten als Gruppe in die Cox-Regression                Fokus stehenden Sportarten gegenüber                   und -gewinnern wurden auch die Athle-
aufnimmt (. Tab. 7).                                  anderen Sportarten sprechen.                           tinnen und Athleten ohne Medaillenge-
   Der Hinweis aus einer ggf. unter-
schiedlichen Überlebensfunktion für                   Medaillenspezifische Mortalität                         19 Die Gruppen bestanden demnach aus den
die Sportart Gewichtheben reicht je-
                                                                                                             Gewinnern von Goldmedaillen, von Gold-
doch nicht aus, um die These T5, die                  Um eine medaillenspezifische Mortali-                   und Silbermedaillen, von Gold-, Silber- und
sich ja auf eine Gruppe von Sportar-                  tät zu identifizieren, wurden zunächst                  Bronzemedaillen usw. bis hin zur Gruppe derer,
ten mit einem vermuteten Dopingge-                    alle Medaillengewinnerinnen und -ge-                   die keine Medaille gewannen.

                                                                                                   German Journal of Exercise and Sport Research 2 · 2020     291
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