Junge Erwerbstätige - Arbeits bedingungen und Gesundheit - Arbeitspapier 55 - September 2021

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Junge Erwerbstätige - Arbeits bedingungen und Gesundheit - Arbeitspapier 55 - September 2021
September 2021

    Arbeitspapier 55

    Junge Erwerbstätige –
    Arbeits­bedingungen und
    Gesundheit
Junge Erwerbstätige - Arbeits bedingungen und Gesundheit - Arbeitspapier 55 - September 2021
Gesundheitsförderung Schweiz ist eine Stiftung, die von Kantonen und Versicherern getragen wird. Mit gesetzlichem
 Auftrag initiiert, koordiniert und evaluiert sie Massnahmen zur Förderung der Gesundheit (Krankenversicherungsgesetz,
 Art. 19). Die Stiftung unterliegt der Kontrolle des Bundes. Oberstes Ent­scheidungsorgan ist der Stiftungsrat. Die Ge-
 schäftsstelle besteht aus Büros in Bern und Lausanne. Jede Person in der Schweiz leistet einen jährlichen Beitrag von
 CHF 4.80 zugunsten von Gesundheits­förderung Schweiz, der von den Krankenversicherern eingezogen wird.
 Weitere Informationen: www.gesundheitsfoerderung.ch

 In der Reihe «Gesundheitsförderung Schweiz Arbeitspapier» erscheinen von Gesundheitsförderung Schweiz erstellte
 oder in Auftrag gegebene Grundlagen, welche Fachleuten in der Umsetzung in Gesundheitsförderung und Prävention
 dienen. Der Inhalt der Arbeitspapiere unterliegt der redaktionellen Ver­antwortung der Autorinnen und Autoren. Gesund-
 heitsförderung Schweiz Arbeitspapiere liegen in der Regel in elektronischer Form (PDF) vor.

Impressum
Herausgeberin
Gesundheitsförderung Schweiz
Autorinnen und Autoren
– Dr. Désirée Stocker, B & A B
                              eratungen und Analysen
– Jolanda Jäggi, Büro für arbeits- und sozialpolitische Studien BASS
– Dr. Martial Berset, Büro a&o
– Dawa Schläpfer, B & A Beratungen und Analysen
– Philipp Németh, B & A Beratungen und Analysen
– S alome Kaeslin, RADIX Schweizerische Gesundheitsstiftung
– Dr. Sven Goebel, Gesundheitsförderung Schweiz
Projektleitung Gesundheitsförderung Schweiz
Dr. Sven Goebel, Leiter Entwicklung betriebliches Gesundheitsmanagement
Projektmitarbeit
Sibylle Galliker, Inhaberin der Firma sigall . Arbeits- und Organisationsgestaltung
Sprachlektorat: Patrik Gajta, BASS AG (französisch); Luca Weber, Smiling GmbH (italienisch)
Expertinnen und Experten
– Dr. phil. Niklas Baer, Geschäftsleiter WorkMed, Psychiatrie Baselland
– A nita Blum-Rüegg, Projektleiterin Entwicklung betriebliches Gesundheitsmanagement, Gesundheitsförderung Schweiz
– L iliane Galley, Leiterin Prävention, Sucht Schweiz
– Dr. phil. Kathrin Hersberger, Fachpsychologin für Kinder- und Jugendpsychologie und Psychotherapie FSP, Erziehungsberatung Bern
– Bruno Juhasz, Mitglied Zentralvorstand, Berufsbildung Schweiz BCH
– Nicole Meier, Ressortleiterin Bildung und Berufliche Aus- und Weiterbildung, Mitglied der Geschäftsleitung, Schweizerischer
   Arbeitgeberverband
– Barbara Meyer Häsler, Leiterin Ausbildung login, Bildungspartner für Berufsbildung im Bereich Verkehr
– I vica Petrušić, Dozent und Projektleiter an der Hochschule Luzern – Soziale Arbeit, Institut für soziokulturelle Entwicklung;
   zum Zeitpunkt des Interviews Geschäftsführer okaj Zürich, Kantonale Kinder- und Jugendförderung
– L inus Schärer, Zuständiger für Gesundheit im Koordinationsbereich Obligatorische Schule, Kultur und Sport EDK, Schweizerische
   Konferenz der kantonalen Erziehungsdirektorinnen und -direktoren
– Prof. Dr. Ines Trede, Leiterin Observatorium für die Berufsbildung, Eidgenössisches Hochschulinstitut für Berufsbildung EHB
– Christian Villiger, Geschäftsführer libs, Industrielle Berufslehren Schweiz
– Prof. Dr. Agnes von Wyl, Klinische Psychologie und Gesundheitspsychologie, Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften ZHAW
– S cilla Zischek, Programmleitung Übergang Schule–Beruf, Pro Juventute
Reihe und Nummer
Gesundheitsförderung Schweiz, Arbeitspapier 55
Zitierweise
Stocker, D., Jäggi, J., Berset, M., Schläpfer, D., Németh, P., Kaeslin, S. & Goebel, S. (2021). Junge Erwerbstätige – Arbeitsbedingungen
und Gesundheit. Arbeitspapier 55. Bern und Lausanne: Gesundheitsförderung Schweiz.
Fotonachweise
iStock (Titelbild, Seiten 7, 14, 17, 24, 28, 35, 40, 42), pixabay.com (Seite 18), unsplash.com (Seiten 22, 33), libs Industrielle Berufslehren
Schweiz (Seite 49)
Auskünfte/Informationen
Gesundheitsförderung Schweiz, Wankdorfallee 5, CH-3014 Bern, Tel. +41 31 350 04 04,
office.bern@promotionsante.ch, www.gesundheitsfoerderung.ch
Originaltext
Deutsch
Bestellnummer
03.393.DE 09.2021
Diese Publikation ist auch in französischer und in italienischer Sprache verfügbar
(Bestellnummern 03.393.FR 09.2021 und 03.393.IT 09.2021).
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© Gesundheitsförderung Schweiz, September 2021
Junge Erwerbstätige - Arbeits bedingungen und Gesundheit - Arbeitspapier 55 - September 2021
Junge Erwerbstätige – Arbeitsbedingungen und Gesundheit   3

Editorial
Die Lebensphase nach Abschluss der obligatori-             derungen kennzeichnend für die Altersgruppe der
schen Schulzeit mit dem Einstieg ins Erwerbsleben          jungen Erwerbstätigen sind. Die festgestellten psy-
spielt eine entscheidende Rolle im Entwicklungs-           chischen Belastungen, wie beispielsweise weniger
prozess der Jugendlichen vom heranwachsenden               Energie und mehr emotionale Erschöpfung bis hin
Teenager zum jungen Erwachsenen.                           zu häufigeren suizidalen Gedanken, sind wohl auch
                                                           mit den tiefgreifenden Veränderungen und den Ent-
Berufseinstieg zentral für Erwerbsleben                    wicklungsaufgaben dieser Lebensphase, wie unter
Die Suche nach Orientierung und Sinngebung so-             anderem Berufswahl und Berufseinstieg, verbun-
wie das Ausloten eigener Fähigkeiten und Grenzen           den. Die Resultate des Job-Stress-Index zeigen
sind charakteristisch für das Jugendalter. Frühe           denn auch, dass junge Erwerbstätige schlechter
­Erfahrungen im Berufsleben – wie beispielsweise           ­abschneiden: Sie haben mehr Belastungen als Res-
 die Interaktion mit Berufsbildungsverantwortlichen,        sourcen und sind somit mehr durch Stress gefähr-
 Vorgesetzten und Lehrpersonen in der Berufs­               det als ihre älteren Kolleginnen und Kollegen.
 schule – haben dabei einen grossen Einfluss auf die        Das soziale Netz ist eine der zentralen Ressourcen
 Aneignung und den Ausbau von wichtigen persön­             von jungen Erwerbstätigen, wie die vorliegenden
 lichen Ressourcen wie Selbstwertgefühl, Selbst-            Analysen zeigen. Was die Daten noch vor Covid-19
 wirksamkeit und Belastbarkeit.                             zeigten, bestätigte sich während der Pandemie: So
 In welche Richtung die zukünftige Laufbahn führt,          war das zeitweilige Wegfallen des sozialen Aus-
 kann stark von frühen beruflichen Erfahrungen ab-          tauschs aufgrund des Homeschooling oder Home­
 hängen. Im ungünstigsten Fall enden schwierige Si-         office sowie der Kontaktbeschränkungen insbeson-
 tuationen in Lehrabbrüchen oder in gesundheitlich          dere für die jungen Generationen psychisch
 bedingter Arbeitsunfähigkeit. Umso wichtiger er-           belastend.
 scheint es, den jungen Erwerbstätigen in Betrieben,        Ein Grossteil aller psychischen Erkrankungen tritt
 Schulen und Gesellschaft genügend Aufmerksam-              erstmals während der Adoleszenz auf. Deshalb ist
 keit zu schenken.                                          aus Sicht der Prävention eine frühzeitige Erkennung
 Ziel des vorliegenden Arbeitspapiers ist es, interes-      besonders wichtig, um Unterstützung bieten zu kön-
 sierten Berufsbildungs-, HR- und BGM-Verantwort-           nen. Eine optimale Prävention kann nur gewährleis-
 lichen in Betrieben sowie Lehrpersonen in der Be-          tet werden, wenn die verschiedenen Systeme und
 rufsbildung eine Grundlage mit Informationen über          Institutionen, in denen sich junge Erwerbstätige be-
 die Gesundheit und die Voraussetzungen einer ge-           wegen, zusammenarbeiten. Hierzu gehören Betrie-
 sunden Entwicklung von jungen Erwerbstätigen an            be, Schulen, das Umfeld mit Familie und Freunden
 die Hand zu geben. Anhand der Ergebnisse sollen            sowie bei Bedarf auch das Gesundheits- oder Sozial­
 die eigenen Tätigkeiten und Massnahmen reflektiert         system.
 und allenfalls weiterentwickelt werden können.             Mit fundierten Grundlagenarbeiten sowie konkreten
 Dafür wurden repräsentative Datenquellen zur Ge-           branchenübergreifenden Präventionsangeboten will
 sundheits- und Arbeitssituation von Erwerbstätigen         Gesundheitsförderung Schweiz ebenfalls einen Teil
 in der Schweiz analysiert. Die Ergebnisse zur Situa-       zu diesem Optimierungsprozess beitragen. Innova-
 tion der jungen Erwerbstätigen wurden mit Exper-           tive Projekte wie zum Beispiel FWS Apprentice
 tinnen und Experten verschiedener Fachrichtungen           unterstützen die Berufsbildungsverantwortlichen
                                                            ­
 diskutiert und Handlungsempfehlungen erarbeitet.           bei der Förderung der psychischen Gesundheit von
                                                            Lernenden.
Vernetzung und Austausch
Die Ergebnisse zeigen, dass neben zahlreichen po-          Dr. Sven Goebel
sitiven Merkmalen – wie einer guten körperlichen           Leiter Entwicklung BGM
Gesundheit oder einer hohen sozialen Unterstüt-
zung durch Kolleginnen und Kollegen am Arbeits-            Prof. Dr. Thomas Mattig
platz – auch etliche altersspezifische Herausfor­          Direktor Gesundheitsförderung Schweiz
Junge Erwerbstätige - Arbeits bedingungen und Gesundheit - Arbeitspapier 55 - September 2021
4   Junge Erwerbstätige – Arbeitsbedingungen und Gesundheit

Inhaltsverzeichnis
Management Summary                                                             7

1   Einleitung                                                                10

2	Kontext: Jugendalter und Erwerbstätigkeit                                  11
   2.1 Lebensphase Jugend                                                     11
   2.2	Jugendliche und junge Erwachsene in der Erwerbstätigkeit              13
   2.3	Gesundheitsrelevante Arbeitsbedingungen                               15

3 Methodisches Vorgehen                                                       16
  3.1 Statistische Datenanalysen                                              16
  3.2 Qualitative Vertiefungsanalysen                                         17
		    3.2.1 Gespräche mit Expertinnen und Experten                             17
		    3.2.2 Fallbeispiele junge Erwerbstätige                                  17
		 3.2.3 Good-Practice-Beispiele                                               17

4	Gesundheit und Arbeits­bedingungen junger Erwerbstätiger                   18
   4.1 Gesundheitszustand und Lebenssituation                                 18
		      4.1.1 Körperliche und psychische Gesundheit                            18
		      4.1.2 Gesundheitsverhalten                                             21
		      4.1.3 Ressourcen und Belastungen im Privatleben                        23
   4.2	Arbeitsbezogene Ressourcen und Belastungen                            25
		      4.2.1 Anforderungen und Gestaltungsspielraum                           25
		      4.2.2	Soziale Unterstützung und Life Domain Balance                   29
		      4.2.3	Job-Stress-Index: Mehr Belastungen als Ressourcen               33
   4.3	Arbeitszufriedenheit, Engagement und betriebliche Folgen              36
		      4.3.1	Arbeitszufriedenheit und Unternehmensbindung                    36
		      4.3.2 Produktivität, Absenzen und Unfälle                              38

5 Fazit und Handlungsfelder                                                   41
  5.1 Handlungsfeld Bezugspersonen                                            41
		     5.1.1	Aus- und Weiterbildung von Berufsbildungsverantwortlichen        42
		     5.1.2	Anerkennung und Stellenwert der Berufsbildungsverantwortlichen   42
		     5.1.3 Vernetzung und Informationsaustausch                              43
		     5.1.4 Austausch unter Peers fördern                                     43
  5.2	Handlungsfeld Arbeits- und Aufgaben­gestaltung                         44
		     5.2.1 Motivierende Aufgabengestaltung                                   44
		     5.2.2	Gesundheitsförderlicher Umgang mit ­körperlichen Belastungen     44
		     5.2.3 Individuelle Begleitung                                           45
		     5.2.4	Wechselwirkungen zwischen Arbeit und Privatleben                 45
  5.3	Handlungsfeld Psychologische Herausforderungen                         46
		     5.3.1 Sensibilisierung und Information                                  46
		     5.3.2 Coping-Strategien stärken                                         47
		     5.3.3	Frühzeitige Thematisierung von psychischen Belastungen           47
Junge Erwerbstätige - Arbeits bedingungen und Gesundheit - Arbeitspapier 55 - September 2021
Junge Erwerbstätige – Arbeitsbedingungen und Gesundheit    5

6   Good-Practice-Beispiele       49
    ABB und libs                  50
    General Electrics und libs    51
    Kuhn-Rikon AG                 52
    Migros                        53
    Phoenix Mecano Komponenten AG 54
    SBB und login                 55
    Suva                          56
    SWICA57

Anhang58
   A-1 Literatur                       58
   A-2 Datenquellen                    61
   A-3 Übersicht Indikatoren und Werte 63

Darstellungsverzeichnis

Abbildung 1    Wirkungsmodell BGM von Gesundheitsförderung Schweiz                                            15
Abbildung 2    Thema Gesundheit                                                                               19
Abbildung 3    Beeinträchtigung durch Suizidgedanken                                                          20
Abbildung 4    Thema Persönliche Ressourcen                                                                   21
Abbildung 5    Thema Gesundheitsverhalten                                                                     22
Abbildung 6    Thema Private Ressourcen und Belastungen                                                       23
Abbildung 7    Thema Physische Arbeitsbedingungen                                                             25
Abbildung 8    Thema Psychische Anforderungen und Stress                                                      26
Abbildung 9    Thema Gestaltungsspielraum                                                                     27
Abbildung 10   Thema Soziales Arbeitsumfeld                                                                   30
Abbildung 11   Thema Life Domain Balance                                                                      32
Abbildung 12   Ressourcen und Belastungen (Job-Stress-Index)                                                  34
Abbildung 13   Anteile der Erwerbstätigen mit mehr Belastungen als Ressourcen                                 34
Abbildung 14   Thema Arbeitszufriedenheit und Unternehmensbindung                                             36
Abbildung 15   Gesundheitsbedingte Produktivitätsverluste                                                     38
Abbildung 16   Thema Absenzen und Unfälle                                                                     39
Abbildung 17   Zentrale Handlungsfelder                                                                       41

Tabelle 1      Übersicht über die analysierten Datenquellen                                                   61
Tabelle 2      Übersicht Indikatoren, Quellen und Werte                                                      63
Junge Erwerbstätige - Arbeits bedingungen und Gesundheit - Arbeitspapier 55 - September 2021
6   Junge Erwerbstätige – Arbeitsbedingungen und Gesundheit

Abkürzungsverzeichnis

BAG            Bundesamt für Gesundheit
BFS            Bundesamt für Statistik
BGM            Betriebliches Gesundheitsmanagement
BMI            Body-Mass-Index
EFZ            Eidgenössisches Fähigkeitszeugnis
FWS            Friendly Work Space
IAO            Internationale Arbeitsorganisation
IV             Invalidenversicherung
JSI            Job-Stress-Index
NCD            Noncommunicable Diseases
NEET           Not in Education, Employment or Training
SAKE           Schweizerische Arbeitskräfteerhebung
SBFI           Staatssekretariat für Bildung, Forschung und Innovation
SGB            Schweizerische Gesundheitsbefragung
SSUV           Sammelstelle für die Statistik der Unfallversicherung
Junge Erwerbstätige - Arbeits bedingungen und Gesundheit - Arbeitspapier 55 - September 2021
Junge Erwerbstätige – Arbeitsbedingungen und Gesundheit   7

Management Summary
Hintergrund und Ziel                                    Methodisches Vorgehen

Junge Erwerbstätige sind durch den Einstieg in die      Grundlage für die Beschreibung des Gesundheits-
Arbeitswelt in besonderem Masse gefordert. Die          zustands der jungen Erwerbstätigen in der Schweiz
Übergänge von der Schule in eine Ausbildung bzw. in     sowie deren Ressourcen und Belastungen am Ar-
die Arbeitswelt sowie die ersten beruflichen Erfah-     beitsplatz bildet die Analyse entsprechender Daten
rungen sind wichtige «Weggabelungen» in der in­         aus repräsentativen Erhebungen (Schweizerische
dividuellen Entwicklung. Sie können nicht nur das       Gesundheitsbefragung 2017, Job-Stress-Index-Mo-
spätere Berufsleben, sondern auch die persönliche       nitoring 2018, Statistik der Berufs- und Nichtberufs-
Biografie und die Identität massgeblich prägen.         unfälle 2018, Renten der Invalidenversicherung 2018
Deshalb sind die Gestaltung gesundheitsförderlicher     und Statistik der Todesursachen 2017). Es wurden
Arbeitsbedingungen für junge Erwerbstätige und          vier Altersgruppen differenziert (16- bis 24-Jährige;
die Unterstützung der psychischen und physischen        25- bis 39-Jährige; 40- bis 54-Jährige; 55- bis
Gesundheit in dieser Lebensphase umso wichtiger.        65-Jährige) und untersucht, ob ein Unterschied über
Das vorliegende Arbeitspapier informiert über aktu-     die Altersgruppen hinweg vorhanden ist («Alters-
elle Erkenntnisse zum gesundheitlichen Befinden         gruppeneffekt»). War dieser Unterschied statistisch
sowie zu den arbeitsbezogenen und lebenspha­sen­        signifikant, wurde in einem zweiten Schritt die Be-
spezifischen Belastungen und Ressourcen von jun-        deutsamkeit des Unterschieds anhand der Effekt-
gen Erwerbstätigen und formuliert Handlungs­            stärke überprüft sowie die Situation der jungen
empfehlungen, wie die psychische und physische          ­Erwerbstätigen im Alter von 16 bis 24 Jahren im Ver-
Gesundheit dieser Altersgruppe im Arbeitskontext         gleich zu den übrigen Altersgruppen beschrie­ben.
unterstützt werden kann.                                 Anschliessend wurden die Ergebnisse mit einem
                                                         Expertenpanel kritisch diskutiert und Empfehlun-
                                                         gen für die Praxis erarbeitet. Fallbeispiele junger
                                                         Erwerbstätiger sowie Good-Practice-Beispiele aus
                                                         Betrieben veranschaulichen sowohl die Sicht der
                                                         jungen Menschen als auch die Möglichkeiten von
                                                         Betrieben, wie das Thema Gesundheitsförderung
                                                         für junge Erwerbstätige angegangen werden kann.

                                                        Wichtigste Ergebnisse

                                                        Gesundheitszustand und Lebenssituation
                                                        Junge Erwerbstätige nehmen grundsätzlich ihren
                                                        eigenen Gesundheitszustand im Vergleich zu ande-
                                                        ren Altersgruppen häufiger als gut oder sehr gut
                                                        wahr. Wird nach einzelnen Gesundheitsindikatoren
                                                        gefragt, bestätigt sich diese positive generelle Ten-
                                                        denz im Einzelnen vorwiegend bei der körperlichen
                                                        Gesundheit. So haben junge Erwerbstätige beispiels­
                                                        weise weniger chronische Erkrankungen, seltener
                                                        einen hohen Blutdruck und weisen einen tieferen
                                                        BMI auf. Bei der psychischen Gesundheit sind die
                                                        jüngeren Altersgruppen hingegen im Durchschnitt
Junge Erwerbstätige - Arbeits bedingungen und Gesundheit - Arbeitspapier 55 - September 2021
8   Junge Erwerbstätige – Arbeitsbedingungen und Gesundheit

 stärker belastet (z. B. mit Erschöpfung oder Depres-         Die Datenanalysen zeigen weiter, dass sich junge
sivität) und auch suizidale Gedanken, Ideen und               Erwerbstätige insgesamt besser durch ihre Vorge-
Gefühle sind bei jungen Erwerbstätigen stärker
­                                                             setzten und im Team unterstützt fühlen als ältere.
­verbreitet als bei älteren. Im Vergleich zu anderen          Am stärksten ist dieser Effekt bei der sozialen Un-
 Altersgruppen verfügen junge Erwerbstätige auch              terstützung durch Arbeitskolleginnen und Arbeits-
 über weniger persönliche Ressourcen wie Selbst-              kollegen. Soziale Unterstützung ist demnach eine
 wirksamkeitserwartung und Coping-Fähigkeiten,                der zentralen Ressourcen von jungen Erwerbs­
 welche zur Stressbewältigung und für die psychi-             tätigen. In Bezug auf faire Behandlung und Wert-
 sche Gesundheit besonders relevant sind.                     schätzung am Arbeitsplatz zeigen die Daten kaum
 Grundsätzlich messen junge Erwerbstätige der Ge-             altersspezifische Unterschiede.
 sundheit durchschnittlich weniger Bedeutung zu als           Während junge Erwerbstätige weniger von Belas-
 ältere. Was das Gesundheitsverhalten bezüglich               tungen im Privatleben betroffen sind als andere
 Ernährung, Bewegung und Suchtmittelkonsum be-                Altersgruppen, scheinen sie gleichzeitig mehr Mühe
 trifft, spiegelt sich in den Daten das lebensphasen-         mit der Abgrenzung zwischen den Lebensbereichen
 spezifische «An-die-Grenze-Gehen» wider: Junge               zu haben: Deutlich öfter als bei älteren Arbeit­
 Erwerbstätige üben häufiger intensive körperliche            nehmenden führen private Probleme und Schwierig­
 und risikoreiche Freizeitaktivitäten aus und konsu-          keiten zu Konzentrationsstörungen oder Konflikten
 mieren häufiger Drogen. Auch beim Rauschtrinken              bei der Arbeit. Junge Erwerbstätige berichten auch
 und der problematischen Internetnutzung lassen               häufiger als andere Altersgruppen, dass sie sich
 sich diesel­ ben Altersgruppeneffekte beobachten.            aufgrund beruflicher Pflichten zu Hause weniger
 Was Ressour­cen und Belastungen im Privatleben               entspannen oder ihren Hobbys nachgehen können.
 anbelangt, zeigen die Analysen, dass junge Erwerbs-          Der Job-Stress-Index (JSI) bildet das Verhältnis von
 tätige in höherem Masse als andere Altersgruppen             verschiedenen Arbeitsbelastungen und Arbeits­
 durch ein soziales Netzwerk gestützt sind. Be­               ressourcen insgesamt ab. Seit Beginn der Erhebun-
 lastungen im Pri­vatleben, etwa durch Haushalts-,            gen im Jahr 2014 sind junge Erwerbstätige von allen
 Kinderbetreuungs- und anderweitige Pflichten, sind           Altersgruppen am stärksten belastet, weisen also
 bei ihnen deutlich weniger vorhanden als bei ande-           insgesamt den höchsten Job-Stress-Index und da-
 ren Altersgruppen.                                           mit das schlechteste Verhältnis zwischen Belastun-
                                                              gen und Ressourcen auf. Innerhalb der Altersgruppe
Arbeitsbezogene Ressourcen und Belastungen                    der 16- bis 24-Jährigen weist zwar die Mehrheit eine
Junge Erwerbstätige fühlen sich körperlich zwar fit-          ausgewogene Balance von Belastungen und Res-
ter als andere Altersgruppen, berichten aber von              sourcen auf, rund 30 bis 40 Prozent sind allerdings
höheren körperlichen Belastungen im Berufsalltag              so stark belastet, dass von negativen Folgen auf die
(z. B. Tragen schwerer Lasten, häufigeres Passiv-             Gesundheit und von gesundheitsbedingten Produk-
rauchen). Die Ergebnisse zu psychischen Anforde-              tivitätsverlusten ausgegangen werden kann.
rungen zeigen, dass junge Erwerbstätige hingegen
weniger von Zeitdruck, Multitasking und Arbeits­              Arbeitszufriedenheit, Engagement und
unterbrechungen betroffen sind als ältere Kollegin-           betriebliche Folgen
nen und Kollegen. Allerdings fühlen sie sich häufi-           Junge Erwerbstätige sind im Vergleich zu anderen
ger inhaltlich überfordert und erachten Anordnungen           Altersgruppen ungebundener. Obwohl sie generell
oder Aufgaben öfter als widersprüchlich.                      stärker von Arbeitslosigkeit betroffen sind, ist die
Was aufgabenbezogene Ressourcen betrifft, haben               Angst vor Jobverlust bei den 16- bis 24-Jährigen ge-
junge Erwerbstätige zwar mehr Gelegenheit, bei der            ringer als bei älteren Arbeitnehmenden. Bei einem
Arbeit Neues zu lernen, aber auch weniger Hand-               allfälligen Stellenverlust schätzen junge Erwerbs-
lungsspielraum und Mitbestimmung bezüglich der                tätige ihre Möglichkeit, einen ähnlichen Job zu fin-
Art und Weise, wie sie ihre Aufgaben erledigen                den, deutlich höher ein. Die im Vergleich zu anderen
und wie sie sich dabei zeitlich organisieren. Zudem           Altersgruppen tiefere emotionale Unternehmens-
haben sie im Vergleich zu anderen Altersgruppen               bindung dürfte nicht zuletzt Ausdruck der lebens-
deutlich öfter das Gefühl, ihre Fähigkeiten nicht voll        phasenspezifischen Suche nach der beruflichen und
einsetzen zu können.                                          persönlichen Identität sein. Ein weiterer Erklä-
Junge Erwerbstätige - Arbeits bedingungen und Gesundheit - Arbeitspapier 55 - September 2021
Junge Erwerbstätige – Arbeitsbedingungen und Gesundheit   9

rungsansatz für die geringere emotionale Unter-           denen Akteurinnen und Akteuren (z. B. Rundtisch­
nehmensbindung ist die im Vergleich zu anderen            gespräche mit den jungen Erwerbstätigen), damit
Altersgruppen niedrigere allgemeine Zufriedenheit         sowohl Potenziale als auch allfällige Probleme der
mit der Arbeitssituation. Auch das Arbeitsengage-         jungen Erwerbstätigen frühzeitig erkannt werden
ment ist bei jungen Erwerbstätigen weniger hoch,          können. Die soziale Unterstützung und eine Ein­
das heisst, sie geben seltener an, ihre Arbeit inspi-     bettung in soziale Netzwerke sind essenzielle Res-
riere oder begeistere sie, oder dass sie glücklich        sourcen für junge Erwerbstätige, weshalb zudem
seien, wenn sie intensiv arbeiten.                        die Förderung des Austauschs unter Peers, entwe-
Gesundheitliche Probleme sowie Belastungen in der         der innerhalb des Betriebs oder über Betriebe hin-
Arbeitswelt und im Privatleben können zu vermehr-         weg, empfohlen wird.
ten Absenzen führen, aber auch zu Präsentismus –          Das zweite Handlungsfeld betrifft die Arbeits- und
einer Anwesenheit mit eingeschränkter Leistungs-          Aufgabengestaltung. Motivierende Aufträge mit kla-
fähigkeit. Für den Betrieb entstehen in beiden Fällen     ren Zielsetzungen, aber auch genügend Gestaltungs­
Produktivitätsverluste. Wie die analysierten Daten        spielraum, ermöglichen den jungen Erwerbstätigen
zeigen, weist die jüngste Altersgruppe die höchsten       zentrale Erfahrungen von Selbstwirksamkeit und
gesundheitsbedingten Produktivitätsverluste auf.          Sinnhaftigkeit bei der Arbeit. Dabei erscheint eine
Zudem sind bei jungen Erwerbstätigen nicht nur Be-        Begleitung mit individueller Balance zwischen
rufsunfälle, sondern auch Unfälle im Freizeitbereich      Unterstützung und Eigenverantwortung sowie Platz
häufiger als bei anderen Altersgruppen. Für Betrie-       für Unsicherheiten, Fragen und Fehler wichtig. Bei
be hat bei der Ausbildung und Anstellung von jungen       jungen Erwerbstätigen besteht zudem eine starke
Erwerbstätigen deren Produktivität denn auch oft          Durchlässigkeit zwischen Arbeit und Privatleben,
nicht oberste Priorität. Vielmehr steht eine länger-      weshalb Betrieben die nötige Aufmerksamkeit für
fristige Investitionsperspektive der Förderung des        das Thema Life Domain Balance empfohlen wird.
Nachwuchses (im Betrieb, in der Branche, in der           Schliesslich ist auch die Stärkung zu einem gesund-
gesamten Volkswirtschaft) im Zentrum.                     heitsförderlichen Umgang mit den körperlichen Be-
                                                          lastungen wichtig.
                                                          Drittens wird das Handlungsfeld Psychologische He-
Drei zentrale Handlungsfelder                             rausforderungen als dringlich erachtet. Bedarf be-
                                                          steht in präventiver Sensibilisierung und im Wis-
Aus den Ergebnissen zum gesundheitlichen Befin-           sensaufbau zu Themen wie Stressbewältigung und
den und den arbeitsbezogenen Ressourcen und Be-           psychische Gesundheit sowohl bei Lernenden als
lastungen junger Erwerbstätiger lassen sich drei          auch bei Berufsbildungsverantwortlichen. Den Be-
Handlungsfelder ableiten, die für die Gestaltung          trieben wird zudem empfohlen, junge Erwerbs­      -
gesundheitsförderlicher Arbeitsbedingungen und            tätige bei der Erarbeitung von Coping-Strategien
die Unterstützung der Gesundheit junger Menschen          und dem Aufbau von Kompetenzen zur Stressbewäl-
in der Lebensphase des Einstiegs ins Berufs-              tigung und Emotionsregulation zu unterstützen. Zur
leben zentral sind. Obschon die Handlungsfelder           Früherkennung von psychischen Erkrankungen ist
sich überlappen und Wechselwirkungen bestehen,            schliesslich zentral, dass Betriebe mögliche Hin-
beinhalten sie unterschiedliche Schwerpunkte und          weise (z. B. Präsentismus, unkonzentriertes Arbei-
damit verbundene Handlungsmöglichkeiten.                  ten, Stress, Alkohol- oder Drogenkonsum) nicht nur
Das Handlungsfeld Bezugspersonen baut auf der             wahrnehmen, sondern auch benennen. Über ein
zentralen Ressource der «sozialen Unterstützung»          offenes und empathisches Ansprechen von Schwie-
junger Erwerbstätiger auf. Damit Berufsbildungs-          rigkeiten, eine klare Kommunikation der Erwartun-
verantwortliche ihre Unterstützung gut ausüben            gen vonseiten des Betriebs sowie Unterstützung
können, ist die gezielte Stärkung ihrer Rolle im          beim Organisieren von Hilfe (z. B. Sozialberatungs-
Betrieb wichtig. Dabei sind sowohl Aus- und Weiter-       stelle, psychiatrisch-psychotherapeutische Behand-
bildungen als auch die Bereitstellung angemessener        lung) können Abwärtsspiralen idealerweise gestoppt
Ressourcen und Wertschätzung für diese Funktion           und stärkende Massnahmen frühzeitig gestartet
relevant. Ein weiterer Ansatzpunkt ist ein regelmäs-      werden.
siger Informationsaustausch unter den verschie­
Junge Erwerbstätige - Arbeits bedingungen und Gesundheit - Arbeitspapier 55 - September 2021
10 Junge Erwerbstätige – Arbeitsbedingungen und Gesundheit

1 Einleitung
Ein Schwerpunkt der Tätigkeit von Gesundheits­                 Das vorliegende Arbeitspapier hat zum Ziel, einen
förderung Schweiz liegt in der Unterstützung von               Überblick über die Situation der spezifischen Ziel-
Unternehmen bei der Umsetzung von betrieblichem                gruppe der jungen Erwerbstätigen in der Schweiz zu
Gesundheitsmanagement (BGM). Mit der systema­                  geben. Interessierte erhalten darin Informationen
tischen Optimierung gesundheitsrelevanter Faktoren             über aktuelle Erkenntnisse zum gesundheitlichen
im Betrieb schafft das BGM günstige Bedingungen                Befinden sowie zu den arbeitsbezogenen und lebens-
für die körperliche und psychische Gesundheit der              phasenspezifischen Belastungen und Ressourcen
Mitarbeitenden und trägt so zum Erfolg des Unter-              von jungen Erwerbstätigen. Basierend auf diesen
nehmens bei. BGM geht über die Umsetzung gesetz-               Informationen werden Handlungsfelder aufgezeigt,
licher Vorgaben im Bereich Arbeitssicherheit und               wie sich gesundheitsförderliche Arbeitsbedingungen
Gesundheitsschutz hinaus und umfasst auch Mass-                schaffen lassen und die Gesundheit dieser Alters-
nahmen in den Bereichen Gesundheitsförderung,                  gruppe gestärkt werden kann.
Prävention sowie Abwesenheits- und Case Manage-                Verschiedene Ansprech- und Bezugspersonen sind
ment (Blum-Rüegg 2018).                                        für junge Erwerbstätige relevant: Berufsbildungs-
Im Rahmen der Umsetzung der Nationalen Strate-                 verantwortliche1 in Lehrbetrieben, überbetriebli-
gie zur Prävention nichtübertragbarer Krankheiten              chen Kursen und Berufsfachschulen wie auch
(NCD-­­Strategie) des Bundes stehen dabei insbeson-            Praxis­bildende, HR- und BGM-Verantwortliche in
dere der Erhalt und die Förderung der psychischen              Betrieben. Vereinfachend wird in diesem Arbeits-
Gesundheit im Fokus. Die Stiftung Gesundheitsför-              papier nur von «Berufsbildungsverantwortlichen»
derung Schweiz entwickelt in diesem NCD-­Kontext               gesprochen – es sind jedoch alle Personen mitge-
Angebote für die Zielgruppe der jungen Erwerbstäti-            meint, die im Kontext Arbeit mit jungen Erwerbs­
gen sowie für die Branchen «Gesundheit und Sozia­              tätigen in Kontakt sind.
les» (Langzeitpflege) und «Erziehung und Bildung»
(Schulen) zur Prävention in Wirtschaft und Arbeits­
welt (Betriebliches Gesundheitsmanagement).
Die Zielgruppe der jungen Erwerbstätigen betrifft
Jugendliche und junge Erwachsene im Alter von
rund 16 bis 24 Jahren, die eine Lehre absolvie-
ren oder ihrer ersten Erwerbstätigkeit nachgehen.
Gesundheitsförderung Schweiz hat Ende 2020 das
Angebot FWS Apprentice zur Förderung der psychi-
schen Gesundheit von Lernenden lanciert. Dieses ist
nun für alle interessierten Betriebe und Berufsbil-
dungsverantwortlichen zugänglich (siehe Seite 14).

1 Definition gemäss Staatssekretariat für Bildung, Forschung und Innovation (SBFI); https://www.sbfi.admin.ch/sbfi/de/
   home/bildung/berufsbildungssteuerung-und--politik/berufsbildungsverantwortliche.html
Junge Erwerbstätige – Arbeitsbedingungen und Gesundheit   11

2	Kontext: Jugendalter und
   Erwerbstätigkeit
Als «junge Erwerbstätige» werden im vorliegenden           den Eltern, die als Abschluss der Jugendzeit gilt,
Arbeitspapier Jugendliche und junge Erwachsene             in der Tendenz immer später erlangt. Für die späte
zwischen 16 und 24 Jahren bezeichnet, die einer Er-        Jugend­phase werden daher auch Begriffe wie «Post-
werbstätigkeit nachgehen. Zu dieser Altersgruppe           Adoleszenz» oder «emerging adulthood» ver­­wendet
zählen sowohl Personen, die mit einer Berufslehre          (Bolliger-Salzmann 2016, Hurrelmann & Quenzel
in die Arbeitswelt einsteigen, als auch solche, die        2016).
nach der obligatorischen Schule oder nach einem            Dem Jugendalter als Lebensabschnitt am Übergang
Berufsbildungs- oder Hochschulabschluss ihre ers-          zwischen dem abhängigen Kind und dem unabhän-
ten Erfahrungen im Erwerbsleben machen. Die                gigen, selbstständigen Erwachsenen werden spezi-
Übergänge von der Schule in eine Ausbildung bzw. in        fische Entwicklungsaufgaben zugeordnet. Zu den
die Arbeitswelt, aber auch die ersten beruflichen          wichtigsten davon gehören unter anderem die Be-
Erfahrungen sind wichtige «Weggabelungen» in der           rufswahl und der Übertritt in die Arbeitswelt, die
individuellen Entwicklung. Sie können nicht nur das        Aufnahme intimer Beziehungen und das Heraus­
spätere Berufsleben massgeblich prägen, sondern            bilden einer Geschlechtsidentität, das Entwickeln
auch die persönliche Biografie und die Identität. Um-      von Zukunftsperspektiven und Lebenszielen, Selbst-
gekehrt können sich die für das Jugendalter typi-          ständigkeit und Selbstsicherheit, der Aufbau sozia-
schen Veränderungen und Herausforderungen auch             ler Kompetenzen sowie die emotionale und finan­
auf die Erwerbstätigkeit auswirken. Das folgende           zielle Loslösung vom Elternhaus. Charakteristisch
Kapitel 2.1 gibt einen Überblick zu den Besonderhei-       für das Jugendalter sind die Suche nach Orientie-
ten und Merkmalen dieser Lebensphase, welche für           rung und Sinngebung sowie das Ausloten eigener
das gesundheitliche Befinden und die Erwerbsfähig-         Fähigkeiten und Grenzen. In dieser formativen Phase
keit wichtig sind. Anschliessend werden Eckdaten           der Persönlichkeitsfindung und -bildung werden
zum Berufseinstieg und zur Erwerbssituation Ju-            gesellschaftliche Wertorientierungen, aber auch die
gendlicher und junger Erwachsener in der Schweiz           eigenen Kompetenzen und Haltungen kritisch hinter­
präsentiert (Kapitel 2.2). Im Kapitel 2.3 werden           fragt. Die Suche nach der persönlichen und sozialen
grundsätzliche Zusammenhänge zwischen Arbeit               Identität bleibt zwar während der gesamten Lebens-
und Gesundheit thematisiert, die relevant sind für         spanne relevant, ist im Jugendalter aber besonders
die Interpretation der Datenanalysen und das Erar-         intensiv (Hurrelmann & Quenzel 2016; Erläuterungen
beiten spezifischer Massnahmen zur Unterstützung           zu den spezifischen Charakteristika von Kohorten
junger Erwerbstätiger.                                     siehe Infobox: Generationen Y und Z, Seite 12). Im
                                                           Erwachsenenalter treten andere Entwicklungsauf-
                                                           ­
                                                           gaben in den Vordergrund (unter anderem ökonomi-
2.1   Lebensphase Jugend                                   sche Selbstversorgung, Familiengründung, politi-
                                                           sche und gesellschaftliche Teilhabe).
Das Jugendalter ist in der Forschungsliteratur nicht       Während der Adoleszenz kommt es zu einer grund-
einheitlich definiert. Während der Beginn der Ado-         legenden anatomischen Reorganisation des Gehirns,
leszenz gemeinhin im zweiten Lebensjahrzehnt an-           die charakteristische Verhaltensweisen von Jugend­
gesiedelt wird, ist die Abgrenzung gegenüber dem           lichen erklären könnte (Konrad et al. 2013). For-
Erwachsenenalter heterogen und wird teilweise              schungserkenntnisse aus der Entwicklungspsycho-
Anfang 20, teilweise erst kurz vor dem 30. Lebens-         logie und den Neurowissenschaften zeigen, dass
jahr gezogen. Dies spiegelt den gesellschaftlichen         sich in der Adoleszenz das emotionale und das kog-
Trend zur Verlängerung der Jugendphase wider:              nitive Netzwerk unterschiedlich schnell entwickeln:
Nicht zuletzt aufgrund längerer Ausbildungszeiten          Hirnareale, die für kognitive Funktionen wie Hand-
wird die soziale und materielle Unabhängigkeit von         lungskontrolle, Planen, Risikoabschätzung und ra-
12 Junge Erwerbstätige – Arbeitsbedingungen und Gesundheit

tionale Entscheidungen verantwortlich sind, reifen           solcher Belastungen relevant, sondern die noch
später als diejenigen Hirnareale, welche mit Emo­            unaus­gereifte Fähigkeit zur Stressbewältigung, die
tionsverarbeitung und dem Belohnungssystem in                erst mit steigendem Alter zunimmt (Hösli-Leu et
Verbindung gebracht werden. Somit stehen die                 al. 2018). Junge Erwerbstätige haben eher wenig
Risiko­bereitschaft, die Impulsivität und die hohe           ­Erfahrung mit Stressbewältigung und kennen ihre
­Beeinflussbarkeit durch Emotionen im Jugendalter             Belastungsgrenzen noch nicht so gut (Schulten &
 vermutlich mit der Hirnentwicklung in Zusammen-              Wussler 2013). In Bezug auf die psychische Gesund-
 hang (Konrad et al. 2013, Plessen 2019).                     heit ist das Jugendalter auch deshalb eine sensible
 Das Jugendalter wird mit zahlreichen positiven As-           Phase, weil psychische Erkrankungen häufig erst-
 pekten assoziiert: Neugierde und Lernbereitschaft,           mals in dieser Lebensphase auftreten. Gemäss epi-
 Mut, etwas auszuprobieren, Idealismus, Kreativität           demiologischen Studien beginnt bei bis zu 75 Pro-
 und Leidenschaft. Gleichzeitig ist es aufgrund der           zent aller Personen, die im Verlaufe ihres Lebens
 Kumulation von körperlichen, psychischen und                 von einer psychischen Krankheit betroffen sind,
 sozialen Veränderungen eine «stressexponierte                diese bereits vor dem 25. Altersjahr (Kessler et
 Entwicklungsphase»: Übergänge wie zum Beispiel               al. 2005). Betroffene Jugendliche und junge Erwach-
 von der Schule ins Berufsleben können belastend              sene haben ein erhöhtes Risiko für psychische Er-
 wirken und Risiken für die psychische Gesund-                krankungen im weiteren Lebensverlauf (Gustavson
 heit darstellen. Dabei ist nicht so sehr die Anzahl          et al. 2018).

 Infobox: Generationen Y und Z

 Begriffe wie «Generation Y» (auch «Millennials»             nials jedoch die Jahrgänge ab etwa 1980 gezählt,
 genannt) sind im öffentlichen Diskurs stark                 der Übergang zur Generation Z wird ab Ende
 präsent, aus wissenschaftlicher Sicht aber um-              der 1990er-, Anfang der 2000er-Jahre angesetzt
 stritten (vgl. z. B. Schröder 2018). Die Genera­            (Golder et al. 2016, Dimock 2019). Als Generation
 tionenbezeichnungen nehmen eine Kohortensicht               Alpha bzw. Generation α werden schlagwort­-
 auf Jugendliche und junge Erwachsene ein; die               artig die Jahrgänge nach der Generation Z bezeich-
 Grundannahme ist also, dass Gruppen gleicher                net, also jene Menschen, die ab 2010 zur Welt
 Jahrgänge sich systematisch und über grössere               gekommen sind und zukünftig noch zur Welt kom-
 Zeiträume hinweg von anderen Jahrgängen                     men werden.
 unterscheiden. Allerdings überlagern sich Kohor-            Den Generationen Y und Z wird ein Fokus auf per-
 teneffekte vielfach mit sogenannten Lebens­                 sönliches Glück, Freiheit und Sinnstiftung zu­
 zykluseffekten, das heisst mit Merkmalen, die               geschrieben, die höher bewertet werden als Geld
 unabhängig vom Jahrgang für die Lebensphase                 und Prestige. Junge Menschen der Generation Y
 Jugend typisch sind (Golder et al. 2016).                   gelten als suchend, stetig abwägend und sich
 Die jungen Erwerbstätigen in den analysierten               möglichst flexibel einen Weg durch die unzähligen
 Sekundärdatensätzen (mit den Jahrgängen 1990                ihnen offenstehenden Möglichkeiten bahnend.
 bis 2002) sind sogenannte «Digital Natives»                 In Bezug auf das Berufsleben wird insbesondere
 und können entweder der Generation Y oder der               der Generation Y nachgesagt, dass sie neue
 nachfolgenden Generation Z zugeordnet werden.               Anforderungen an Arbeitgebende stellt, Autono-
 Die Trennlinien zwischen den Generationen                   mie betont, Hierarchien ablehnt und Freiheiten
 verlaufen dabei fliessend und werden nicht ein-             in der Arbeitszeitgestaltung wünscht (Golder
 heitlich gezogen. Generell werden zu den Millen­            et al. 2016, 16, 44, 65).
Junge Erwerbstätige – Arbeitsbedingungen und Gesundheit     13

2.2	Jugendliche und junge Erwachsene                         rund 7 Prozent (Rudin et al. 2018). NEET-Situationen
     in der Erwerbstätigkeit                                  können ganz unterschiedliche Gründe haben (Rei-
                                                              sen, Militärdienst, Familienpflichten, gesundheit­
                                                              liche Probleme), sind teilweise aber Ausdruck von
Wie eingangs erwähnt, ist die Berufswahl eine der             Schwierigkeiten an den Nahtstellen I und II. Jugend-
zentralen Entwicklungsaufgaben des Jugendalters.              liche und junge Erwachsene, denen der Einstieg
Die berufliche Bildung und die Entwicklung einer              in eine Ausbildung oder eine Erwerbsarbeit nicht
beruflichen Identität sind Voraussetzungen für                gelingt, sind psychisch besonders belastet und ver-
gesellschaftliche Teilhabe und das persönliche                letzlich (Wüthrich & Sabatella 2018). Dasselbe gilt
Wohlbefinden (von Wyl et al. 2018). Die Entscheidung          für Jugendliche und junge Erwachsene ohne Job:
für einen bestimmten Ausbildungsgang oder Beruf               Arbeitslosigkeit kann längerfristige Konsequenzen
erfolgt im internationalen Vergleich früh: Nach der           für die psychische Gesundheit haben (Sabatella &
obligatorischen Schulzeit, mit etwa 16 Jahren, tre-           Mirer 2018). Diese Gruppen stehen zwar nicht im
ten durchschnittlich zwei Drittel der Jugendlichen in         ­Fokus des vorliegenden Arbeitspapiers, angesichts
der Schweiz eine Berufslehre an, ein Drittel besucht           der Wechselwirkungen zwischen Erwerbssituation
eine weiterführende Schule (SBFI 2021).                        und psychischer Gesundheit sind Massnahmen, um
In die Altersspanne zwischen 16 und 24 fallen sowohl           psychisch belastete Jugendliche und junge Erwach-
die Nahtstelle I (Übergang in eine nachobligatorische          sene zu erkennen, zu unterstützen und im Arbeits-
Ausbildung auf Sekundarstufe II) als auch die Naht-            bzw. Ausbildungsprozess zu halten 5 , jedoch zentral.
stelle II (Übergang von der Ausbildung ins Erwerbs-            Während der Berufslehre haben junge Erwerbstäti-
leben). Gemäss der Schweizerischen Arbeitskräfte-              ge verschiedene spezifische Ansprech- und Bezugs-
erhebung (SAKE) sind gut 60 Prozent der Jugendlichen           personen im Betrieb und in der Berufsschule. Nach
und jungen Erwachsenen zwischen 15 und 24 Jah-                 Ausbildungsabschluss gelten die regulären unter-
ren erwerbstätig2 (525 000 Personen). Die jungen               nehmensspezifischen Zuständigkeiten (Vorgesetzte,
Erwerbstätigen sind grösstenteils Angestellte                  Geschäftsleitung, HR, BGM-Verantwortliche usw.).
(322 000) oder Lernende (184 000); die Anzahl Selbst-          Die Ausbildung der Berufsbildungsverantwortlichen
ständiger oder Personen, die in einem Familien­be­             ist national geregelt, mit minimalen Vorgaben an
 trieb mitarbeiten, ist vergleichsweise gering (19 000,        die fachliche und berufspädagogische Qualifika-
 vgl. BFS – SAKE 2020 3). Daneben sind gut 30 Pro-             tion (SBFI 2021). So müssen etwa Berufsbildungs­
zent der 15- bis 24-Jährigen in Ausbildung ohne                verantwortliche in Lehrbetrieben nebst einem eid-
­Erwerb (274 000 Personen) 4 .                                 genössischen Fähigkeitszeugnis und mindestens
Im Vergleich zur Gesamtbevölkerung weisen Jugend­              zwei Jahren Berufserfahrung im auszubildenden
liche und junge Erwachsene höhere Quoten für                   Beruf bzw. Gebiet einen berufspädagogischen Kurs
Arbeitslosigkeit, Erwerbslosigkeit und atypische               (à 40 Kursstunden) oder einen Bildungsgang (Dip-
Beschäftigung, wie zum Beispiel befristete Verträge            lom à 100 Lernstunden) vorweisen (SBFI 2015). Je
oder Arbeit auf Abruf, aus. Letzteres ist allerdings           nach Branche oder Betrieb gelten zusätzliche An-
besonders häufig der Fall, wenn die Erwerbstätig-              forderungen. Für die Funktion als Praxisbildnerin
keit parallel zu einer Ausbildung erfolgt (Rudin et al.        oder Praxisbildner wird von Gesetzes wegen keine
2018). Die NEET-Quote (Not in Education, Employ-               zusätzliche Ausbildung verlangt. In der Regel emp-
ment or Training) lag in den letzten Jahren in der             fehlen Branchenverbände jedoch, analoge Kurse zu
Altersgruppe der 15- bis 24-Jährigen jeweils bei               besuchen.

2 In den Standardauswertungen der SAKE umfasst die jüngste Altersgruppe der Erwerbstätigen auch die 15-Jährigen,
   ­w ährend für das vorliegende Arbeitspapier bei den Datensätzen SGB und JSI die Grenze ab 16 Jahre definiert wurde.
3 https://www.bfs.admin.ch/bfs/de/home/statistiken/arbeit-erwerb/erwerbstaetigkeit-arbeitszeit/erwerbspersonen/­
    arbeitsmarktstatus-erwerbsstatus.html (Zugriff: 15.5.2021).
4 Zeitweilige Erwerbstätigkeit beispielsweise von Studierenden in den Semesterferien ist in dieser Gruppe nicht aus­
    geschlossen, da in der SAKE-Befragung nach Erwerb, Anstellungsverhältnis oder Selbstständigkeit in der Referenzwoche
    vor dem Erhebungszeitpunkt gefragt wird. Die übrigen 10 Prozent dieser Altersgruppe verteilen sich auf folgende
    Kategorien: Erwerbslose gemäss IAO, Hausfrauen/-männer, Rentnerinnen und Rentner, andere Nichterwerbspersonen.
5 Beispielsweise die kantonalen Brückenangebote, welche Jugendlichen helfen, die nach Abschluss der obligatorischen
    Schulzeit keinen Ausbildungsplatz gefunden haben.
14 Junge Erwerbstätige – Arbeitsbedingungen und Gesundheit

 EXKURS: FWS APPRENTICE

 Gesundheitsförderung Schweiz hat im Rahmen                  • Die FWS Experts App liefert aktuelle Inhalte
 von Friendly Work Space Apprentice (FWS                       zu den Themen psychische Gesundheit (Happi-
 Apprentice) Angebote entwickelt, mit denen                    ness) bei Jugendlichen sowie Arbeits- und
 die psychische Gesundheit der Lernenden im                    Freizeit­sicherheit, die von Gesundheitsförde-
 Setting Betrieb gefördert werden kann.                        rung Schweiz, Suva, Pro Juventute und Sucht
 FWS Apprentice unterstützt Berufsbildungs­                    Schweiz erstellt wurden. Die publizierten
 verantwortliche dabei:                                        Artikel bieten betriebsübergreifend Raum für
 • eine gesunde Entwicklung der Lernenden zu                   Diskussionen und Austausch. Zudem kann
   ermöglichen, damit sie gut in die Arbeitswelt               man sich in Live-Chats mit Expertinnen und
   einsteigen können und gesund bleiben;                       Ex­perten zu relevanten Themen austauschen.
 • Probleme – auch psychischer Natur – frühzeitig            • Die Weiterbildungen und Kurse von FWS
   zu erkennen und mit Herausforderungen                       Apprentice bauen auf den Inhalten der Werk-
   von Lernenden altersgerecht umzugehen;                      zeugkiste auf. Die Teilnehmenden erhalten
 • Verständnis aufzubringen dafür, wie sich                    in den Kursen Wissensinputs zu Herausforde-
   Lernende in gewissen Situationen verhalten;                 rungen und Entwicklungen im Jugendalter,
 • den Übergang der Lernenden ins Arbeits-                     zu unterschiedlichen Führungsstilen und deren
   leben erfolgreich zu begleiten;                             Wirkung auf die Lernenden sowie zu Mass­
 • Verantwortungs- und Selbstbewusstsein der                   nahmen im Umgang mit Belastungen und Res-
   Lernenden zu fördern.                                       sourcen.
                                                             • Der FWS Apprentice Austausch bietet die
 Das Angebot fokussiert sowohl auf die Verhaltens-             Möglichkeit, von den Erfahrungen anderer zu
 als auch auf die Verhältnisebene und ermöglicht               lernen. Dank den Austauschtreffen können
 einen Austausch von Berufsbildungsverantwort-                 Berufs­bildungsverantwortliche auf ein umfas-
 lichen aus verschiedenen Unter­nehmen unter­                  sendes Netzwerk zurückgreifen.
 einander sowie mit externen Fachpersonen.
                                                             Weitere Informationen zum Angebot FWS Appren-
 Folgende Teilangebote umfasst FWS Apprentice:               tice finden Sie auf fws-apprentice.ch in den
 • Die Werkzeugkiste von FWS Apprentice                      drei Landessprachen Deutsch, Französisch und
   (fws-apprentice.ch) beinhaltet konkrete Hilfs-            Italienisch.
   mittel, wie Checklisten, Infoblätter und Good-
   Practice-Beispiele, Fachinformationen und Fall-
   beispiele und ist nach den Themenpunkten
   Vorbeugen, Handeln und Informieren aufgeteilt.
Junge Erwerbstätige – Arbeitsbedingungen und Gesundheit                              15

2.3	Gesundheitsrelevante                                           umgebung, gesundheitsrelevanten Ressourcen und
     Arbeitsbedingungen                                             Belastungen am Arbeitsplatz und persönlichen
                                                                    Faktoren (siehe Abbildung 1). Im Sinne einer Wir-
Gesundheit ist nicht ein statischer Zustand, sondern                kungskette wird auf­gezeigt, wie BGM-Massnahmen
ein vielschichtiger und dynamischer Prozess, der                    über die Stärkung von Ressourcen und/oder die Re-
sowohl von individuellen Faktoren als auch von                      duktion von Belastungsfaktoren (mittelfristig) einen
Umwelt­einflüssen und der Interaktion mit sozialen                  Einfluss auf die Gesundheit und die Motivation der
Systemen geprägt ist. Dabei gibt es Einflüsse, die                  Mitarbeitenden haben können und wie dies mit be-
eine Person stärken (Ressourcen), und solche, die                   triebsrelevanten Kennzahlen (Unternehmenserfolg)
sie schwächen können (Belastungen). Besteht län-                    zusammenhängt.
gerfristig ein deutliches Ungleichgewicht zwischen                  Die in der Schweizerischen Gesundheitsbefragung
Belastungen und Ressourcen, hat dies einen nega­                    (SGB) und im Monitoring zum Job-Stress-Index (JSI)
tiven Einfluss auf die Gesundheit. Gesundheits­                     erhobenen Informationen zu Gesundheit und Arbeit
förderung am Arbeitsplatz zielt darauf ab, Belas-                   betreffen vorwiegend die Ebenen «Ressourcen und
tungen zu reduzieren und Ressourcen zu stärken,                     Belastungen» sowie «Gesundheit und Motivation».
durch Anpassungen sowohl bei den Rahmenbedin-                       Bei den Kennzahlen zum Unternehmenserfolg sind
gungen (Arbeitsumgebung) als auch auf der Verhal-                   nur einzelne Indikatoren vorhanden, hier werden
tensebene (individuelle Ebene) (Blum-Rüegg 2018).                   zusätzlich Daten der Sammelstelle für die Statistik
Betriebliches Gesundheitsmanagement (BGM) ist die                   der Unfallversicherung und der IV herangezogen.
systematische Optimierung gesundheitsrelevanter                     Die Situation junger Erwerbstätiger wird im Kapi-
Faktoren im Betrieb durch die Gestaltung betriebli-                 tel 4 anhand dieser Datenlage näher beschrieben.
cher Strukturen und Prozesse. Das Wirkungsmodell                    Im Kapitel 3 folgt eine kurze Beschreibung des me-
BGM von Gesundheitsförderung Schweiz visuali-                       thodischen Vorgehens.
siert das Zusammenspiel zwischen der Arbeits­

ABBILDUNG 1

Wirkungsmodell   BGM
WIRKUNGSMODELL BGM     von Gesundheitsförderung
                   GESUNDHEITSFÖRDERUNG SCHWEIZ Schweiz

        BGM-Massnahmen                 Ressourcen & Belastungen              Gesundheit & Motivation                   Unternehmenserfolg

  kurzfristig                                                                                                                           langfristig

     Unternehmensumfeld

  Arbeitsorganisation &          Arbeits-            Arbeits-               Psychische Gesundheit                    Produktivität
  Aufgabengestaltung             organisatorische    organisatorische
                                 Ressourcen          Belastungen
  Soziale Beziehungen &                                                     Körperliche Gesundheit                   Absenzen
  Führung
                                 Soziale             Soziale                                                         Fluktuation
  Ergonomie &                    Ressourcen          Belastungen
  Arbeitsplatzgestaltung
                                                                                                                     Sicherheit
  Infrastrukturelle Angebote
  Gesundheit                     Infrastrukturelle   Infrastrukturelle
                                 Ressourcen          Belastungen            Arbeitszufriedenheit                     Innovation

  Steuerung & Management
                                                                            Unternehmensbindung                      Kundenzufriedenheit
                                 Persönliche         Persönliche
  Persönliche Kompetenzen        Ressourcen          Belastungen
                                                                            Engagement                               Image

     Mitarbeiterumfeld

                                                                                           Version 17.5.2016 short   © Gesundheitsförderung Schweiz 2015

Quelle: Krause et al. (2016). Für konkrete Indikatoren und Beispiele zu einzelnen Faktoren siehe Krause et al. (2016, 47).
16 Junge Erwerbstätige – Arbeitsbedingungen und Gesundheit

3 Methodisches Vorgehen
Grundlage für die Beschreibung des Gesundheits-                Die Auswahl der Indikatoren bzw. Themen, welche
zustands der jungen Erwerbstätigen in der Schweiz              für den vorliegenden Bericht analysiert wurden, er-
bildeten die statistischen Analysen verschiedener              folgte auf der Basis des BGM-Wirkungsmodells von
Datenquellen. In einem zweiten Schritt wurden die              Gesundheitsförderung Schweiz (siehe Kapitel 2.3).
Ergebnisse dieser Datenanalysen in Interviews mit              Eine Beschreibung der Indikatoren, die Werte pro
Expertinnen und Experten kritisch diskutiert und               Altersgruppe sowie die Angaben zu Signifikanz und
validiert. Fallbeispiele junger Erwerbstätiger sowie           Effektstärken sind in der Tabelle 2 im Anhang A-3
Good-Practice-Beispiele aus Betrieben veranschau­              zu finden.
lichen sowohl die Sicht der jungen Menschen als auch           Untersucht wurde die Frage, ob sich die Gruppe der
die Möglichkeiten von Betrieben, die Gesundheit von            jungen Erwerbstätigen in Bezug auf ihre gesund-
jungen Erwerbstätigen zu stärken. Basierend auf                heitliche Situation sowie Ressourcen und Belas­
den verschiedenen methodischen Elementen wur-                  tungen am Arbeitsplatz von den älteren Gruppen
den Fazit und Handlungsempfehlungen abgeleitet.                der Erwerbstätigen unterscheidet. Dabei wurden
                                                               folgende vier Altersgruppen6 differenziert: 16- bis
                                                               24-Jährige, 25- bis 39-Jährige, 40- bis 54-Jährige
3.1   Statistische Datenanalysen                               und 55- bis 65-Jährige. Im vorliegenden Bericht
                                                               stehen die jungen Erwerbstätigen im Alter von 16 bis
Für das vorliegende Arbeitspapier wurden folgende              24 Jahren im Fokus. Obschon eine Lehre teilweise
statistische Daten analysiert: Schweizerische Ge-              bereits im Alter von 15 Jahren begonnen wird, wurde
sundheitsbefragung 2017 (Bundesamt für Statistik),             die Kategoriengrenze ab 16 gewählt, um die Ver-
Job-Stress-Index-Monitoring 2018 (Gesundheits­                 gleichbarkeit mit Ergebnissen aus den Analysen
förderung Schweiz), Berufs- und Nichtberufsunfälle             zum Job-Stress-Index-Monitoring zu gewährleisten
2018 (Sammelstelle für die Statistik der Unfall­    -          (vgl. z. B. Galliker et al. 2018a). Auch die obere Grenze
versicherung, SSUV), Renten der Invalidenversiche-             von 24 Jahren richtet sich nach dieser Klassifizie-
rung 2018 (IV-Statistik, Bundesamt für Statistik) und          rung. Grundsätzlich existiert keine einheitliche Defi-
Todesursachen 2017 (Statistik der Todesursachen,               nition in Bezug auf Anfang und Ende des Jugendalters
Bundesamt für Statistik). Bei den Datensätzen von              (siehe Kapitel 2.1).
SGB, JSI und SSUV beziehen sich die Analysen nur               Anhand statistischer Analysen wurde untersucht, ob
auf Erwerbstätige in der jeweiligen Altersgruppe,              sich die vier Altersgruppen voneinander unterschei-
in ergänzenden Quellen (IV-Statistik, Statistik der            den.7 Wenn dies der Fall war8 , wurde weiter analy-
Todesursachen) sind alle Personen unabhängig vom               siert, wie «bedeutsam» dieser Unterschied war bzw.
Erwerbsstatus enthalten. Weitergehende Informati-              wie gross der Altersgruppeneffekt9. Die Ergebnisse
onen zu den Datenquellen finden sich im Anhang A-2.            der Datenanalysen werden in diesem Arbeitspapier
                                                               in «Wortwolken» dargestellt. Je bedeutsamer der
                                                               Altersgruppeneffekt, umso grösser erscheint der
                                                               Indikator in einer Wortwolke.

6 In Analogie zu den Altersgruppen, die im Job-Stress-Index-Monitoring unterschieden werden.
7 Die Analysen der Altersgruppeneffekte basieren auf Varianzanalysen oder Chi-Quadrat-Tests.
8 Aufgrund der grossen Gruppen war dies bei fast allen Indikatoren der Fall.
9 Als Masse für die Effektstärke wurden das partielle Eta-Quadrat bzw. Cramer’s V herangezogen. Die Interpretation der
   Grösse der Effektstärke erfolgte basierend auf den Empfehlungen von Cohen (1988). Inwiefern die erste Altersgruppe
   sich im Einzelnen von der zweiten, dritten und vierten unterscheidet, wurde anhand von Post-hoc-Tests mit Bonferroni-
   Korrektur bzw. mithilfe der Interpretation der standardisierten Residuen überprüft.
Junge Erwerbstätige – Arbeitsbedingungen und Gesundheit   17

3.2   Qualitative Vertiefungsanalysen                      3.2.3 Good-Practice-Beispiele
                                                           Was Unternehmen im Rahmen ihres betrieblichen
3.2.1 Gespräche mit Expertinnen und Experten               Gesundheitsmanagements für junge Erwerbstätige
Die Ergebnisse der statistischen Datenanalysen             tun können, wird anhand ausgewählter Good-Prac-
wurden 13 Expertinnen und Experten aus den Be-             tice-Beispiele im Kapitel 6 dargestellt. Die Unter-
reichen Berufliche Aus- und Weiterbildung, Gesund-         nehmen, welche über ihre Massnahmen Auskunft
heitswesen, Jugendarbeit sowie Forschung präsen-           gegeben haben, sind Mitglieder des Wirtschafts­
tiert (siehe Impressum). In Interviews wurden diese        beirats des Labels Friendly Work Space.
Ergebnisse kritisch diskutiert und Empfehlungen
für die Praxis besprochen. Originalzitate aus den
Interviews sind wie folgt hervorgehoben:

 «Originalzitate aus Interviews mit Expertinnen
 und Experten.»

3.2.2 Fallbeispiele junge Erwerbstätige
Vier Fallbeispiele im Bericht (auf den Seiten 24, 28,
35 und 40) veranschaulichen, wie die Situation jun-
ger Erwerbstätiger konkret aussehen könnte. Sie
sind insgesamt fiktiv, basieren jedoch auf Schilde-
rungen der interviewten Expertinnen und Experten
von Situationen, die sie mit jungen Erwerbs­tätigen
erlebt haben.
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