Junge Erwerbstätige - Arbeits bedingungen und Gesundheit - Arbeitspapier 55 - September 2021
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Gesundheitsförderung Schweiz ist eine Stiftung, die von Kantonen und Versicherern getragen wird. Mit gesetzlichem Auftrag initiiert, koordiniert und evaluiert sie Massnahmen zur Förderung der Gesundheit (Krankenversicherungsgesetz, Art. 19). Die Stiftung unterliegt der Kontrolle des Bundes. Oberstes Entscheidungsorgan ist der Stiftungsrat. Die Ge- schäftsstelle besteht aus Büros in Bern und Lausanne. Jede Person in der Schweiz leistet einen jährlichen Beitrag von CHF 4.80 zugunsten von Gesundheitsförderung Schweiz, der von den Krankenversicherern eingezogen wird. Weitere Informationen: www.gesundheitsfoerderung.ch In der Reihe «Gesundheitsförderung Schweiz Arbeitspapier» erscheinen von Gesundheitsförderung Schweiz erstellte oder in Auftrag gegebene Grundlagen, welche Fachleuten in der Umsetzung in Gesundheitsförderung und Prävention dienen. Der Inhalt der Arbeitspapiere unterliegt der redaktionellen Verantwortung der Autorinnen und Autoren. Gesund- heitsförderung Schweiz Arbeitspapiere liegen in der Regel in elektronischer Form (PDF) vor. Impressum Herausgeberin Gesundheitsförderung Schweiz Autorinnen und Autoren – Dr. Désirée Stocker, B & A B eratungen und Analysen – Jolanda Jäggi, Büro für arbeits- und sozialpolitische Studien BASS – Dr. Martial Berset, Büro a&o – Dawa Schläpfer, B & A Beratungen und Analysen – Philipp Németh, B & A Beratungen und Analysen – S alome Kaeslin, RADIX Schweizerische Gesundheitsstiftung – Dr. Sven Goebel, Gesundheitsförderung Schweiz Projektleitung Gesundheitsförderung Schweiz Dr. Sven Goebel, Leiter Entwicklung betriebliches Gesundheitsmanagement Projektmitarbeit Sibylle Galliker, Inhaberin der Firma sigall . Arbeits- und Organisationsgestaltung Sprachlektorat: Patrik Gajta, BASS AG (französisch); Luca Weber, Smiling GmbH (italienisch) Expertinnen und Experten – Dr. phil. Niklas Baer, Geschäftsleiter WorkMed, Psychiatrie Baselland – A nita Blum-Rüegg, Projektleiterin Entwicklung betriebliches Gesundheitsmanagement, Gesundheitsförderung Schweiz – L iliane Galley, Leiterin Prävention, Sucht Schweiz – Dr. phil. Kathrin Hersberger, Fachpsychologin für Kinder- und Jugendpsychologie und Psychotherapie FSP, Erziehungsberatung Bern – Bruno Juhasz, Mitglied Zentralvorstand, Berufsbildung Schweiz BCH – Nicole Meier, Ressortleiterin Bildung und Berufliche Aus- und Weiterbildung, Mitglied der Geschäftsleitung, Schweizerischer Arbeitgeberverband – Barbara Meyer Häsler, Leiterin Ausbildung login, Bildungspartner für Berufsbildung im Bereich Verkehr – I vica Petrušić, Dozent und Projektleiter an der Hochschule Luzern – Soziale Arbeit, Institut für soziokulturelle Entwicklung; zum Zeitpunkt des Interviews Geschäftsführer okaj Zürich, Kantonale Kinder- und Jugendförderung – L inus Schärer, Zuständiger für Gesundheit im Koordinationsbereich Obligatorische Schule, Kultur und Sport EDK, Schweizerische Konferenz der kantonalen Erziehungsdirektorinnen und -direktoren – Prof. Dr. Ines Trede, Leiterin Observatorium für die Berufsbildung, Eidgenössisches Hochschulinstitut für Berufsbildung EHB – Christian Villiger, Geschäftsführer libs, Industrielle Berufslehren Schweiz – Prof. Dr. Agnes von Wyl, Klinische Psychologie und Gesundheitspsychologie, Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften ZHAW – S cilla Zischek, Programmleitung Übergang Schule–Beruf, Pro Juventute Reihe und Nummer Gesundheitsförderung Schweiz, Arbeitspapier 55 Zitierweise Stocker, D., Jäggi, J., Berset, M., Schläpfer, D., Németh, P., Kaeslin, S. & Goebel, S. (2021). Junge Erwerbstätige – Arbeitsbedingungen und Gesundheit. Arbeitspapier 55. Bern und Lausanne: Gesundheitsförderung Schweiz. Fotonachweise iStock (Titelbild, Seiten 7, 14, 17, 24, 28, 35, 40, 42), pixabay.com (Seite 18), unsplash.com (Seiten 22, 33), libs Industrielle Berufslehren Schweiz (Seite 49) Auskünfte/Informationen Gesundheitsförderung Schweiz, Wankdorfallee 5, CH-3014 Bern, Tel. +41 31 350 04 04, office.bern@promotionsante.ch, www.gesundheitsfoerderung.ch Originaltext Deutsch Bestellnummer 03.393.DE 09.2021 Diese Publikation ist auch in französischer und in italienischer Sprache verfügbar (Bestellnummern 03.393.FR 09.2021 und 03.393.IT 09.2021). Download PDF www.gesundheitsfoerderung.ch/publikationen © Gesundheitsförderung Schweiz, September 2021
Junge Erwerbstätige – Arbeitsbedingungen und Gesundheit 3 Editorial Die Lebensphase nach Abschluss der obligatori- derungen kennzeichnend für die Altersgruppe der schen Schulzeit mit dem Einstieg ins Erwerbsleben jungen Erwerbstätigen sind. Die festgestellten psy- spielt eine entscheidende Rolle im Entwicklungs- chischen Belastungen, wie beispielsweise weniger prozess der Jugendlichen vom heranwachsenden Energie und mehr emotionale Erschöpfung bis hin Teenager zum jungen Erwachsenen. zu häufigeren suizidalen Gedanken, sind wohl auch mit den tiefgreifenden Veränderungen und den Ent- Berufseinstieg zentral für Erwerbsleben wicklungsaufgaben dieser Lebensphase, wie unter Die Suche nach Orientierung und Sinngebung so- anderem Berufswahl und Berufseinstieg, verbun- wie das Ausloten eigener Fähigkeiten und Grenzen den. Die Resultate des Job-Stress-Index zeigen sind charakteristisch für das Jugendalter. Frühe denn auch, dass junge Erwerbstätige schlechter Erfahrungen im Berufsleben – wie beispielsweise abschneiden: Sie haben mehr Belastungen als Res- die Interaktion mit Berufsbildungsverantwortlichen, sourcen und sind somit mehr durch Stress gefähr- Vorgesetzten und Lehrpersonen in der Berufs det als ihre älteren Kolleginnen und Kollegen. schule – haben dabei einen grossen Einfluss auf die Das soziale Netz ist eine der zentralen Ressourcen Aneignung und den Ausbau von wichtigen persön von jungen Erwerbstätigen, wie die vorliegenden lichen Ressourcen wie Selbstwertgefühl, Selbst- Analysen zeigen. Was die Daten noch vor Covid-19 wirksamkeit und Belastbarkeit. zeigten, bestätigte sich während der Pandemie: So In welche Richtung die zukünftige Laufbahn führt, war das zeitweilige Wegfallen des sozialen Aus- kann stark von frühen beruflichen Erfahrungen ab- tauschs aufgrund des Homeschooling oder Home hängen. Im ungünstigsten Fall enden schwierige Si- office sowie der Kontaktbeschränkungen insbeson- tuationen in Lehrabbrüchen oder in gesundheitlich dere für die jungen Generationen psychisch bedingter Arbeitsunfähigkeit. Umso wichtiger er- belastend. scheint es, den jungen Erwerbstätigen in Betrieben, Ein Grossteil aller psychischen Erkrankungen tritt Schulen und Gesellschaft genügend Aufmerksam- erstmals während der Adoleszenz auf. Deshalb ist keit zu schenken. aus Sicht der Prävention eine frühzeitige Erkennung Ziel des vorliegenden Arbeitspapiers ist es, interes- besonders wichtig, um Unterstützung bieten zu kön- sierten Berufsbildungs-, HR- und BGM-Verantwort- nen. Eine optimale Prävention kann nur gewährleis- lichen in Betrieben sowie Lehrpersonen in der Be- tet werden, wenn die verschiedenen Systeme und rufsbildung eine Grundlage mit Informationen über Institutionen, in denen sich junge Erwerbstätige be- die Gesundheit und die Voraussetzungen einer ge- wegen, zusammenarbeiten. Hierzu gehören Betrie- sunden Entwicklung von jungen Erwerbstätigen an be, Schulen, das Umfeld mit Familie und Freunden die Hand zu geben. Anhand der Ergebnisse sollen sowie bei Bedarf auch das Gesundheits- oder Sozial die eigenen Tätigkeiten und Massnahmen reflektiert system. und allenfalls weiterentwickelt werden können. Mit fundierten Grundlagenarbeiten sowie konkreten Dafür wurden repräsentative Datenquellen zur Ge- branchenübergreifenden Präventionsangeboten will sundheits- und Arbeitssituation von Erwerbstätigen Gesundheitsförderung Schweiz ebenfalls einen Teil in der Schweiz analysiert. Die Ergebnisse zur Situa- zu diesem Optimierungsprozess beitragen. Innova- tion der jungen Erwerbstätigen wurden mit Exper- tive Projekte wie zum Beispiel FWS Apprentice tinnen und Experten verschiedener Fachrichtungen unterstützen die Berufsbildungsverantwortlichen diskutiert und Handlungsempfehlungen erarbeitet. bei der Förderung der psychischen Gesundheit von Lernenden. Vernetzung und Austausch Die Ergebnisse zeigen, dass neben zahlreichen po- Dr. Sven Goebel sitiven Merkmalen – wie einer guten körperlichen Leiter Entwicklung BGM Gesundheit oder einer hohen sozialen Unterstüt- zung durch Kolleginnen und Kollegen am Arbeits- Prof. Dr. Thomas Mattig platz – auch etliche altersspezifische Herausfor Direktor Gesundheitsförderung Schweiz
4 Junge Erwerbstätige – Arbeitsbedingungen und Gesundheit Inhaltsverzeichnis Management Summary 7 1 Einleitung 10 2 Kontext: Jugendalter und Erwerbstätigkeit 11 2.1 Lebensphase Jugend 11 2.2 Jugendliche und junge Erwachsene in der Erwerbstätigkeit 13 2.3 Gesundheitsrelevante Arbeitsbedingungen 15 3 Methodisches Vorgehen 16 3.1 Statistische Datenanalysen 16 3.2 Qualitative Vertiefungsanalysen 17 3.2.1 Gespräche mit Expertinnen und Experten 17 3.2.2 Fallbeispiele junge Erwerbstätige 17 3.2.3 Good-Practice-Beispiele 17 4 Gesundheit und Arbeitsbedingungen junger Erwerbstätiger 18 4.1 Gesundheitszustand und Lebenssituation 18 4.1.1 Körperliche und psychische Gesundheit 18 4.1.2 Gesundheitsverhalten 21 4.1.3 Ressourcen und Belastungen im Privatleben 23 4.2 Arbeitsbezogene Ressourcen und Belastungen 25 4.2.1 Anforderungen und Gestaltungsspielraum 25 4.2.2 Soziale Unterstützung und Life Domain Balance 29 4.2.3 Job-Stress-Index: Mehr Belastungen als Ressourcen 33 4.3 Arbeitszufriedenheit, Engagement und betriebliche Folgen 36 4.3.1 Arbeitszufriedenheit und Unternehmensbindung 36 4.3.2 Produktivität, Absenzen und Unfälle 38 5 Fazit und Handlungsfelder 41 5.1 Handlungsfeld Bezugspersonen 41 5.1.1 Aus- und Weiterbildung von Berufsbildungsverantwortlichen 42 5.1.2 Anerkennung und Stellenwert der Berufsbildungsverantwortlichen 42 5.1.3 Vernetzung und Informationsaustausch 43 5.1.4 Austausch unter Peers fördern 43 5.2 Handlungsfeld Arbeits- und Aufgabengestaltung 44 5.2.1 Motivierende Aufgabengestaltung 44 5.2.2 Gesundheitsförderlicher Umgang mit körperlichen Belastungen 44 5.2.3 Individuelle Begleitung 45 5.2.4 Wechselwirkungen zwischen Arbeit und Privatleben 45 5.3 Handlungsfeld Psychologische Herausforderungen 46 5.3.1 Sensibilisierung und Information 46 5.3.2 Coping-Strategien stärken 47 5.3.3 Frühzeitige Thematisierung von psychischen Belastungen 47
Junge Erwerbstätige – Arbeitsbedingungen und Gesundheit 5 6 Good-Practice-Beispiele 49 ABB und libs 50 General Electrics und libs 51 Kuhn-Rikon AG 52 Migros 53 Phoenix Mecano Komponenten AG 54 SBB und login 55 Suva 56 SWICA57 Anhang58 A-1 Literatur 58 A-2 Datenquellen 61 A-3 Übersicht Indikatoren und Werte 63 Darstellungsverzeichnis Abbildung 1 Wirkungsmodell BGM von Gesundheitsförderung Schweiz 15 Abbildung 2 Thema Gesundheit 19 Abbildung 3 Beeinträchtigung durch Suizidgedanken 20 Abbildung 4 Thema Persönliche Ressourcen 21 Abbildung 5 Thema Gesundheitsverhalten 22 Abbildung 6 Thema Private Ressourcen und Belastungen 23 Abbildung 7 Thema Physische Arbeitsbedingungen 25 Abbildung 8 Thema Psychische Anforderungen und Stress 26 Abbildung 9 Thema Gestaltungsspielraum 27 Abbildung 10 Thema Soziales Arbeitsumfeld 30 Abbildung 11 Thema Life Domain Balance 32 Abbildung 12 Ressourcen und Belastungen (Job-Stress-Index) 34 Abbildung 13 Anteile der Erwerbstätigen mit mehr Belastungen als Ressourcen 34 Abbildung 14 Thema Arbeitszufriedenheit und Unternehmensbindung 36 Abbildung 15 Gesundheitsbedingte Produktivitätsverluste 38 Abbildung 16 Thema Absenzen und Unfälle 39 Abbildung 17 Zentrale Handlungsfelder 41 Tabelle 1 Übersicht über die analysierten Datenquellen 61 Tabelle 2 Übersicht Indikatoren, Quellen und Werte 63
6 Junge Erwerbstätige – Arbeitsbedingungen und Gesundheit Abkürzungsverzeichnis BAG Bundesamt für Gesundheit BFS Bundesamt für Statistik BGM Betriebliches Gesundheitsmanagement BMI Body-Mass-Index EFZ Eidgenössisches Fähigkeitszeugnis FWS Friendly Work Space IAO Internationale Arbeitsorganisation IV Invalidenversicherung JSI Job-Stress-Index NCD Noncommunicable Diseases NEET Not in Education, Employment or Training SAKE Schweizerische Arbeitskräfteerhebung SBFI Staatssekretariat für Bildung, Forschung und Innovation SGB Schweizerische Gesundheitsbefragung SSUV Sammelstelle für die Statistik der Unfallversicherung
Junge Erwerbstätige – Arbeitsbedingungen und Gesundheit 7 Management Summary Hintergrund und Ziel Methodisches Vorgehen Junge Erwerbstätige sind durch den Einstieg in die Grundlage für die Beschreibung des Gesundheits- Arbeitswelt in besonderem Masse gefordert. Die zustands der jungen Erwerbstätigen in der Schweiz Übergänge von der Schule in eine Ausbildung bzw. in sowie deren Ressourcen und Belastungen am Ar- die Arbeitswelt sowie die ersten beruflichen Erfah- beitsplatz bildet die Analyse entsprechender Daten rungen sind wichtige «Weggabelungen» in der in aus repräsentativen Erhebungen (Schweizerische dividuellen Entwicklung. Sie können nicht nur das Gesundheitsbefragung 2017, Job-Stress-Index-Mo- spätere Berufsleben, sondern auch die persönliche nitoring 2018, Statistik der Berufs- und Nichtberufs- Biografie und die Identität massgeblich prägen. unfälle 2018, Renten der Invalidenversicherung 2018 Deshalb sind die Gestaltung gesundheitsförderlicher und Statistik der Todesursachen 2017). Es wurden Arbeitsbedingungen für junge Erwerbstätige und vier Altersgruppen differenziert (16- bis 24-Jährige; die Unterstützung der psychischen und physischen 25- bis 39-Jährige; 40- bis 54-Jährige; 55- bis Gesundheit in dieser Lebensphase umso wichtiger. 65-Jährige) und untersucht, ob ein Unterschied über Das vorliegende Arbeitspapier informiert über aktu- die Altersgruppen hinweg vorhanden ist («Alters- elle Erkenntnisse zum gesundheitlichen Befinden gruppeneffekt»). War dieser Unterschied statistisch sowie zu den arbeitsbezogenen und lebensphasen signifikant, wurde in einem zweiten Schritt die Be- spezifischen Belastungen und Ressourcen von jun- deutsamkeit des Unterschieds anhand der Effekt- gen Erwerbstätigen und formuliert Handlungs stärke überprüft sowie die Situation der jungen empfehlungen, wie die psychische und physische Erwerbstätigen im Alter von 16 bis 24 Jahren im Ver- Gesundheit dieser Altersgruppe im Arbeitskontext gleich zu den übrigen Altersgruppen beschrieben. unterstützt werden kann. Anschliessend wurden die Ergebnisse mit einem Expertenpanel kritisch diskutiert und Empfehlun- gen für die Praxis erarbeitet. Fallbeispiele junger Erwerbstätiger sowie Good-Practice-Beispiele aus Betrieben veranschaulichen sowohl die Sicht der jungen Menschen als auch die Möglichkeiten von Betrieben, wie das Thema Gesundheitsförderung für junge Erwerbstätige angegangen werden kann. Wichtigste Ergebnisse Gesundheitszustand und Lebenssituation Junge Erwerbstätige nehmen grundsätzlich ihren eigenen Gesundheitszustand im Vergleich zu ande- ren Altersgruppen häufiger als gut oder sehr gut wahr. Wird nach einzelnen Gesundheitsindikatoren gefragt, bestätigt sich diese positive generelle Ten- denz im Einzelnen vorwiegend bei der körperlichen Gesundheit. So haben junge Erwerbstätige beispiels weise weniger chronische Erkrankungen, seltener einen hohen Blutdruck und weisen einen tieferen BMI auf. Bei der psychischen Gesundheit sind die jüngeren Altersgruppen hingegen im Durchschnitt
8 Junge Erwerbstätige – Arbeitsbedingungen und Gesundheit stärker belastet (z. B. mit Erschöpfung oder Depres- Die Datenanalysen zeigen weiter, dass sich junge sivität) und auch suizidale Gedanken, Ideen und Erwerbstätige insgesamt besser durch ihre Vorge- Gefühle sind bei jungen Erwerbstätigen stärker setzten und im Team unterstützt fühlen als ältere. verbreitet als bei älteren. Im Vergleich zu anderen Am stärksten ist dieser Effekt bei der sozialen Un- Altersgruppen verfügen junge Erwerbstätige auch terstützung durch Arbeitskolleginnen und Arbeits- über weniger persönliche Ressourcen wie Selbst- kollegen. Soziale Unterstützung ist demnach eine wirksamkeitserwartung und Coping-Fähigkeiten, der zentralen Ressourcen von jungen Erwerbs welche zur Stressbewältigung und für die psychi- tätigen. In Bezug auf faire Behandlung und Wert- sche Gesundheit besonders relevant sind. schätzung am Arbeitsplatz zeigen die Daten kaum Grundsätzlich messen junge Erwerbstätige der Ge- altersspezifische Unterschiede. sundheit durchschnittlich weniger Bedeutung zu als Während junge Erwerbstätige weniger von Belas- ältere. Was das Gesundheitsverhalten bezüglich tungen im Privatleben betroffen sind als andere Ernährung, Bewegung und Suchtmittelkonsum be- Altersgruppen, scheinen sie gleichzeitig mehr Mühe trifft, spiegelt sich in den Daten das lebensphasen- mit der Abgrenzung zwischen den Lebensbereichen spezifische «An-die-Grenze-Gehen» wider: Junge zu haben: Deutlich öfter als bei älteren Arbeit Erwerbstätige üben häufiger intensive körperliche nehmenden führen private Probleme und Schwierig und risikoreiche Freizeitaktivitäten aus und konsu- keiten zu Konzentrationsstörungen oder Konflikten mieren häufiger Drogen. Auch beim Rauschtrinken bei der Arbeit. Junge Erwerbstätige berichten auch und der problematischen Internetnutzung lassen häufiger als andere Altersgruppen, dass sie sich sich diesel ben Altersgruppeneffekte beobachten. aufgrund beruflicher Pflichten zu Hause weniger Was Ressourcen und Belastungen im Privatleben entspannen oder ihren Hobbys nachgehen können. anbelangt, zeigen die Analysen, dass junge Erwerbs- Der Job-Stress-Index (JSI) bildet das Verhältnis von tätige in höherem Masse als andere Altersgruppen verschiedenen Arbeitsbelastungen und Arbeits durch ein soziales Netzwerk gestützt sind. Be ressourcen insgesamt ab. Seit Beginn der Erhebun- lastungen im Privatleben, etwa durch Haushalts-, gen im Jahr 2014 sind junge Erwerbstätige von allen Kinderbetreuungs- und anderweitige Pflichten, sind Altersgruppen am stärksten belastet, weisen also bei ihnen deutlich weniger vorhanden als bei ande- insgesamt den höchsten Job-Stress-Index und da- ren Altersgruppen. mit das schlechteste Verhältnis zwischen Belastun- gen und Ressourcen auf. Innerhalb der Altersgruppe Arbeitsbezogene Ressourcen und Belastungen der 16- bis 24-Jährigen weist zwar die Mehrheit eine Junge Erwerbstätige fühlen sich körperlich zwar fit- ausgewogene Balance von Belastungen und Res- ter als andere Altersgruppen, berichten aber von sourcen auf, rund 30 bis 40 Prozent sind allerdings höheren körperlichen Belastungen im Berufsalltag so stark belastet, dass von negativen Folgen auf die (z. B. Tragen schwerer Lasten, häufigeres Passiv- Gesundheit und von gesundheitsbedingten Produk- rauchen). Die Ergebnisse zu psychischen Anforde- tivitätsverlusten ausgegangen werden kann. rungen zeigen, dass junge Erwerbstätige hingegen weniger von Zeitdruck, Multitasking und Arbeits Arbeitszufriedenheit, Engagement und unterbrechungen betroffen sind als ältere Kollegin- betriebliche Folgen nen und Kollegen. Allerdings fühlen sie sich häufi- Junge Erwerbstätige sind im Vergleich zu anderen ger inhaltlich überfordert und erachten Anordnungen Altersgruppen ungebundener. Obwohl sie generell oder Aufgaben öfter als widersprüchlich. stärker von Arbeitslosigkeit betroffen sind, ist die Was aufgabenbezogene Ressourcen betrifft, haben Angst vor Jobverlust bei den 16- bis 24-Jährigen ge- junge Erwerbstätige zwar mehr Gelegenheit, bei der ringer als bei älteren Arbeitnehmenden. Bei einem Arbeit Neues zu lernen, aber auch weniger Hand- allfälligen Stellenverlust schätzen junge Erwerbs- lungsspielraum und Mitbestimmung bezüglich der tätige ihre Möglichkeit, einen ähnlichen Job zu fin- Art und Weise, wie sie ihre Aufgaben erledigen den, deutlich höher ein. Die im Vergleich zu anderen und wie sie sich dabei zeitlich organisieren. Zudem Altersgruppen tiefere emotionale Unternehmens- haben sie im Vergleich zu anderen Altersgruppen bindung dürfte nicht zuletzt Ausdruck der lebens- deutlich öfter das Gefühl, ihre Fähigkeiten nicht voll phasenspezifischen Suche nach der beruflichen und einsetzen zu können. persönlichen Identität sein. Ein weiterer Erklä-
Junge Erwerbstätige – Arbeitsbedingungen und Gesundheit 9 rungsansatz für die geringere emotionale Unter- denen Akteurinnen und Akteuren (z. B. Rundtisch nehmensbindung ist die im Vergleich zu anderen gespräche mit den jungen Erwerbstätigen), damit Altersgruppen niedrigere allgemeine Zufriedenheit sowohl Potenziale als auch allfällige Probleme der mit der Arbeitssituation. Auch das Arbeitsengage- jungen Erwerbstätigen frühzeitig erkannt werden ment ist bei jungen Erwerbstätigen weniger hoch, können. Die soziale Unterstützung und eine Ein das heisst, sie geben seltener an, ihre Arbeit inspi- bettung in soziale Netzwerke sind essenzielle Res- riere oder begeistere sie, oder dass sie glücklich sourcen für junge Erwerbstätige, weshalb zudem seien, wenn sie intensiv arbeiten. die Förderung des Austauschs unter Peers, entwe- Gesundheitliche Probleme sowie Belastungen in der der innerhalb des Betriebs oder über Betriebe hin- Arbeitswelt und im Privatleben können zu vermehr- weg, empfohlen wird. ten Absenzen führen, aber auch zu Präsentismus – Das zweite Handlungsfeld betrifft die Arbeits- und einer Anwesenheit mit eingeschränkter Leistungs- Aufgabengestaltung. Motivierende Aufträge mit kla- fähigkeit. Für den Betrieb entstehen in beiden Fällen ren Zielsetzungen, aber auch genügend Gestaltungs Produktivitätsverluste. Wie die analysierten Daten spielraum, ermöglichen den jungen Erwerbstätigen zeigen, weist die jüngste Altersgruppe die höchsten zentrale Erfahrungen von Selbstwirksamkeit und gesundheitsbedingten Produktivitätsverluste auf. Sinnhaftigkeit bei der Arbeit. Dabei erscheint eine Zudem sind bei jungen Erwerbstätigen nicht nur Be- Begleitung mit individueller Balance zwischen rufsunfälle, sondern auch Unfälle im Freizeitbereich Unterstützung und Eigenverantwortung sowie Platz häufiger als bei anderen Altersgruppen. Für Betrie- für Unsicherheiten, Fragen und Fehler wichtig. Bei be hat bei der Ausbildung und Anstellung von jungen jungen Erwerbstätigen besteht zudem eine starke Erwerbstätigen deren Produktivität denn auch oft Durchlässigkeit zwischen Arbeit und Privatleben, nicht oberste Priorität. Vielmehr steht eine länger- weshalb Betrieben die nötige Aufmerksamkeit für fristige Investitionsperspektive der Förderung des das Thema Life Domain Balance empfohlen wird. Nachwuchses (im Betrieb, in der Branche, in der Schliesslich ist auch die Stärkung zu einem gesund- gesamten Volkswirtschaft) im Zentrum. heitsförderlichen Umgang mit den körperlichen Be- lastungen wichtig. Drittens wird das Handlungsfeld Psychologische He- Drei zentrale Handlungsfelder rausforderungen als dringlich erachtet. Bedarf be- steht in präventiver Sensibilisierung und im Wis- Aus den Ergebnissen zum gesundheitlichen Befin- sensaufbau zu Themen wie Stressbewältigung und den und den arbeitsbezogenen Ressourcen und Be- psychische Gesundheit sowohl bei Lernenden als lastungen junger Erwerbstätiger lassen sich drei auch bei Berufsbildungsverantwortlichen. Den Be- Handlungsfelder ableiten, die für die Gestaltung trieben wird zudem empfohlen, junge Erwerbs - gesundheitsförderlicher Arbeitsbedingungen und tätige bei der Erarbeitung von Coping-Strategien die Unterstützung der Gesundheit junger Menschen und dem Aufbau von Kompetenzen zur Stressbewäl- in der Lebensphase des Einstiegs ins Berufs- tigung und Emotionsregulation zu unterstützen. Zur leben zentral sind. Obschon die Handlungsfelder Früherkennung von psychischen Erkrankungen ist sich überlappen und Wechselwirkungen bestehen, schliesslich zentral, dass Betriebe mögliche Hin- beinhalten sie unterschiedliche Schwerpunkte und weise (z. B. Präsentismus, unkonzentriertes Arbei- damit verbundene Handlungsmöglichkeiten. ten, Stress, Alkohol- oder Drogenkonsum) nicht nur Das Handlungsfeld Bezugspersonen baut auf der wahrnehmen, sondern auch benennen. Über ein zentralen Ressource der «sozialen Unterstützung» offenes und empathisches Ansprechen von Schwie- junger Erwerbstätiger auf. Damit Berufsbildungs- rigkeiten, eine klare Kommunikation der Erwartun- verantwortliche ihre Unterstützung gut ausüben gen vonseiten des Betriebs sowie Unterstützung können, ist die gezielte Stärkung ihrer Rolle im beim Organisieren von Hilfe (z. B. Sozialberatungs- Betrieb wichtig. Dabei sind sowohl Aus- und Weiter- stelle, psychiatrisch-psychotherapeutische Behand- bildungen als auch die Bereitstellung angemessener lung) können Abwärtsspiralen idealerweise gestoppt Ressourcen und Wertschätzung für diese Funktion und stärkende Massnahmen frühzeitig gestartet relevant. Ein weiterer Ansatzpunkt ist ein regelmäs- werden. siger Informationsaustausch unter den verschie
10 Junge Erwerbstätige – Arbeitsbedingungen und Gesundheit 1 Einleitung Ein Schwerpunkt der Tätigkeit von Gesundheits Das vorliegende Arbeitspapier hat zum Ziel, einen förderung Schweiz liegt in der Unterstützung von Überblick über die Situation der spezifischen Ziel- Unternehmen bei der Umsetzung von betrieblichem gruppe der jungen Erwerbstätigen in der Schweiz zu Gesundheitsmanagement (BGM). Mit der systema geben. Interessierte erhalten darin Informationen tischen Optimierung gesundheitsrelevanter Faktoren über aktuelle Erkenntnisse zum gesundheitlichen im Betrieb schafft das BGM günstige Bedingungen Befinden sowie zu den arbeitsbezogenen und lebens- für die körperliche und psychische Gesundheit der phasenspezifischen Belastungen und Ressourcen Mitarbeitenden und trägt so zum Erfolg des Unter- von jungen Erwerbstätigen. Basierend auf diesen nehmens bei. BGM geht über die Umsetzung gesetz- Informationen werden Handlungsfelder aufgezeigt, licher Vorgaben im Bereich Arbeitssicherheit und wie sich gesundheitsförderliche Arbeitsbedingungen Gesundheitsschutz hinaus und umfasst auch Mass- schaffen lassen und die Gesundheit dieser Alters- nahmen in den Bereichen Gesundheitsförderung, gruppe gestärkt werden kann. Prävention sowie Abwesenheits- und Case Manage- Verschiedene Ansprech- und Bezugspersonen sind ment (Blum-Rüegg 2018). für junge Erwerbstätige relevant: Berufsbildungs- Im Rahmen der Umsetzung der Nationalen Strate- verantwortliche1 in Lehrbetrieben, überbetriebli- gie zur Prävention nichtübertragbarer Krankheiten chen Kursen und Berufsfachschulen wie auch (NCD-Strategie) des Bundes stehen dabei insbeson- Praxisbildende, HR- und BGM-Verantwortliche in dere der Erhalt und die Förderung der psychischen Betrieben. Vereinfachend wird in diesem Arbeits- Gesundheit im Fokus. Die Stiftung Gesundheitsför- papier nur von «Berufsbildungsverantwortlichen» derung Schweiz entwickelt in diesem NCD-Kontext gesprochen – es sind jedoch alle Personen mitge- Angebote für die Zielgruppe der jungen Erwerbstäti- meint, die im Kontext Arbeit mit jungen Erwerbs gen sowie für die Branchen «Gesundheit und Sozia tätigen in Kontakt sind. les» (Langzeitpflege) und «Erziehung und Bildung» (Schulen) zur Prävention in Wirtschaft und Arbeits welt (Betriebliches Gesundheitsmanagement). Die Zielgruppe der jungen Erwerbstätigen betrifft Jugendliche und junge Erwachsene im Alter von rund 16 bis 24 Jahren, die eine Lehre absolvie- ren oder ihrer ersten Erwerbstätigkeit nachgehen. Gesundheitsförderung Schweiz hat Ende 2020 das Angebot FWS Apprentice zur Förderung der psychi- schen Gesundheit von Lernenden lanciert. Dieses ist nun für alle interessierten Betriebe und Berufsbil- dungsverantwortlichen zugänglich (siehe Seite 14). 1 Definition gemäss Staatssekretariat für Bildung, Forschung und Innovation (SBFI); https://www.sbfi.admin.ch/sbfi/de/ home/bildung/berufsbildungssteuerung-und--politik/berufsbildungsverantwortliche.html
Junge Erwerbstätige – Arbeitsbedingungen und Gesundheit 11 2 Kontext: Jugendalter und Erwerbstätigkeit Als «junge Erwerbstätige» werden im vorliegenden den Eltern, die als Abschluss der Jugendzeit gilt, Arbeitspapier Jugendliche und junge Erwachsene in der Tendenz immer später erlangt. Für die späte zwischen 16 und 24 Jahren bezeichnet, die einer Er- Jugendphase werden daher auch Begriffe wie «Post- werbstätigkeit nachgehen. Zu dieser Altersgruppe Adoleszenz» oder «emerging adulthood» verwendet zählen sowohl Personen, die mit einer Berufslehre (Bolliger-Salzmann 2016, Hurrelmann & Quenzel in die Arbeitswelt einsteigen, als auch solche, die 2016). nach der obligatorischen Schule oder nach einem Dem Jugendalter als Lebensabschnitt am Übergang Berufsbildungs- oder Hochschulabschluss ihre ers- zwischen dem abhängigen Kind und dem unabhän- ten Erfahrungen im Erwerbsleben machen. Die gigen, selbstständigen Erwachsenen werden spezi- Übergänge von der Schule in eine Ausbildung bzw. in fische Entwicklungsaufgaben zugeordnet. Zu den die Arbeitswelt, aber auch die ersten beruflichen wichtigsten davon gehören unter anderem die Be- Erfahrungen sind wichtige «Weggabelungen» in der rufswahl und der Übertritt in die Arbeitswelt, die individuellen Entwicklung. Sie können nicht nur das Aufnahme intimer Beziehungen und das Heraus spätere Berufsleben massgeblich prägen, sondern bilden einer Geschlechtsidentität, das Entwickeln auch die persönliche Biografie und die Identität. Um- von Zukunftsperspektiven und Lebenszielen, Selbst- gekehrt können sich die für das Jugendalter typi- ständigkeit und Selbstsicherheit, der Aufbau sozia- schen Veränderungen und Herausforderungen auch ler Kompetenzen sowie die emotionale und finan auf die Erwerbstätigkeit auswirken. Das folgende zielle Loslösung vom Elternhaus. Charakteristisch Kapitel 2.1 gibt einen Überblick zu den Besonderhei- für das Jugendalter sind die Suche nach Orientie- ten und Merkmalen dieser Lebensphase, welche für rung und Sinngebung sowie das Ausloten eigener das gesundheitliche Befinden und die Erwerbsfähig- Fähigkeiten und Grenzen. In dieser formativen Phase keit wichtig sind. Anschliessend werden Eckdaten der Persönlichkeitsfindung und -bildung werden zum Berufseinstieg und zur Erwerbssituation Ju- gesellschaftliche Wertorientierungen, aber auch die gendlicher und junger Erwachsener in der Schweiz eigenen Kompetenzen und Haltungen kritisch hinter präsentiert (Kapitel 2.2). Im Kapitel 2.3 werden fragt. Die Suche nach der persönlichen und sozialen grundsätzliche Zusammenhänge zwischen Arbeit Identität bleibt zwar während der gesamten Lebens- und Gesundheit thematisiert, die relevant sind für spanne relevant, ist im Jugendalter aber besonders die Interpretation der Datenanalysen und das Erar- intensiv (Hurrelmann & Quenzel 2016; Erläuterungen beiten spezifischer Massnahmen zur Unterstützung zu den spezifischen Charakteristika von Kohorten junger Erwerbstätiger. siehe Infobox: Generationen Y und Z, Seite 12). Im Erwachsenenalter treten andere Entwicklungsauf- gaben in den Vordergrund (unter anderem ökonomi- 2.1 Lebensphase Jugend sche Selbstversorgung, Familiengründung, politi- sche und gesellschaftliche Teilhabe). Das Jugendalter ist in der Forschungsliteratur nicht Während der Adoleszenz kommt es zu einer grund- einheitlich definiert. Während der Beginn der Ado- legenden anatomischen Reorganisation des Gehirns, leszenz gemeinhin im zweiten Lebensjahrzehnt an- die charakteristische Verhaltensweisen von Jugend gesiedelt wird, ist die Abgrenzung gegenüber dem lichen erklären könnte (Konrad et al. 2013). For- Erwachsenenalter heterogen und wird teilweise schungserkenntnisse aus der Entwicklungspsycho- Anfang 20, teilweise erst kurz vor dem 30. Lebens- logie und den Neurowissenschaften zeigen, dass jahr gezogen. Dies spiegelt den gesellschaftlichen sich in der Adoleszenz das emotionale und das kog- Trend zur Verlängerung der Jugendphase wider: nitive Netzwerk unterschiedlich schnell entwickeln: Nicht zuletzt aufgrund längerer Ausbildungszeiten Hirnareale, die für kognitive Funktionen wie Hand- wird die soziale und materielle Unabhängigkeit von lungskontrolle, Planen, Risikoabschätzung und ra-
12 Junge Erwerbstätige – Arbeitsbedingungen und Gesundheit tionale Entscheidungen verantwortlich sind, reifen solcher Belastungen relevant, sondern die noch später als diejenigen Hirnareale, welche mit Emo unausgereifte Fähigkeit zur Stressbewältigung, die tionsverarbeitung und dem Belohnungssystem in erst mit steigendem Alter zunimmt (Hösli-Leu et Verbindung gebracht werden. Somit stehen die al. 2018). Junge Erwerbstätige haben eher wenig Risikobereitschaft, die Impulsivität und die hohe Erfahrung mit Stressbewältigung und kennen ihre Beeinflussbarkeit durch Emotionen im Jugendalter Belastungsgrenzen noch nicht so gut (Schulten & vermutlich mit der Hirnentwicklung in Zusammen- Wussler 2013). In Bezug auf die psychische Gesund- hang (Konrad et al. 2013, Plessen 2019). heit ist das Jugendalter auch deshalb eine sensible Das Jugendalter wird mit zahlreichen positiven As- Phase, weil psychische Erkrankungen häufig erst- pekten assoziiert: Neugierde und Lernbereitschaft, mals in dieser Lebensphase auftreten. Gemäss epi- Mut, etwas auszuprobieren, Idealismus, Kreativität demiologischen Studien beginnt bei bis zu 75 Pro- und Leidenschaft. Gleichzeitig ist es aufgrund der zent aller Personen, die im Verlaufe ihres Lebens Kumulation von körperlichen, psychischen und von einer psychischen Krankheit betroffen sind, sozialen Veränderungen eine «stressexponierte diese bereits vor dem 25. Altersjahr (Kessler et Entwicklungsphase»: Übergänge wie zum Beispiel al. 2005). Betroffene Jugendliche und junge Erwach- von der Schule ins Berufsleben können belastend sene haben ein erhöhtes Risiko für psychische Er- wirken und Risiken für die psychische Gesund- krankungen im weiteren Lebensverlauf (Gustavson heit darstellen. Dabei ist nicht so sehr die Anzahl et al. 2018). Infobox: Generationen Y und Z Begriffe wie «Generation Y» (auch «Millennials» nials jedoch die Jahrgänge ab etwa 1980 gezählt, genannt) sind im öffentlichen Diskurs stark der Übergang zur Generation Z wird ab Ende präsent, aus wissenschaftlicher Sicht aber um- der 1990er-, Anfang der 2000er-Jahre angesetzt stritten (vgl. z. B. Schröder 2018). Die Genera (Golder et al. 2016, Dimock 2019). Als Generation tionenbezeichnungen nehmen eine Kohortensicht Alpha bzw. Generation α werden schlagwort- auf Jugendliche und junge Erwachsene ein; die artig die Jahrgänge nach der Generation Z bezeich- Grundannahme ist also, dass Gruppen gleicher net, also jene Menschen, die ab 2010 zur Welt Jahrgänge sich systematisch und über grössere gekommen sind und zukünftig noch zur Welt kom- Zeiträume hinweg von anderen Jahrgängen men werden. unterscheiden. Allerdings überlagern sich Kohor- Den Generationen Y und Z wird ein Fokus auf per- teneffekte vielfach mit sogenannten Lebens sönliches Glück, Freiheit und Sinnstiftung zu zykluseffekten, das heisst mit Merkmalen, die geschrieben, die höher bewertet werden als Geld unabhängig vom Jahrgang für die Lebensphase und Prestige. Junge Menschen der Generation Y Jugend typisch sind (Golder et al. 2016). gelten als suchend, stetig abwägend und sich Die jungen Erwerbstätigen in den analysierten möglichst flexibel einen Weg durch die unzähligen Sekundärdatensätzen (mit den Jahrgängen 1990 ihnen offenstehenden Möglichkeiten bahnend. bis 2002) sind sogenannte «Digital Natives» In Bezug auf das Berufsleben wird insbesondere und können entweder der Generation Y oder der der Generation Y nachgesagt, dass sie neue nachfolgenden Generation Z zugeordnet werden. Anforderungen an Arbeitgebende stellt, Autono- Die Trennlinien zwischen den Generationen mie betont, Hierarchien ablehnt und Freiheiten verlaufen dabei fliessend und werden nicht ein- in der Arbeitszeitgestaltung wünscht (Golder heitlich gezogen. Generell werden zu den Millen et al. 2016, 16, 44, 65).
Junge Erwerbstätige – Arbeitsbedingungen und Gesundheit 13 2.2 Jugendliche und junge Erwachsene rund 7 Prozent (Rudin et al. 2018). NEET-Situationen in der Erwerbstätigkeit können ganz unterschiedliche Gründe haben (Rei- sen, Militärdienst, Familienpflichten, gesundheit liche Probleme), sind teilweise aber Ausdruck von Wie eingangs erwähnt, ist die Berufswahl eine der Schwierigkeiten an den Nahtstellen I und II. Jugend- zentralen Entwicklungsaufgaben des Jugendalters. liche und junge Erwachsene, denen der Einstieg Die berufliche Bildung und die Entwicklung einer in eine Ausbildung oder eine Erwerbsarbeit nicht beruflichen Identität sind Voraussetzungen für gelingt, sind psychisch besonders belastet und ver- gesellschaftliche Teilhabe und das persönliche letzlich (Wüthrich & Sabatella 2018). Dasselbe gilt Wohlbefinden (von Wyl et al. 2018). Die Entscheidung für Jugendliche und junge Erwachsene ohne Job: für einen bestimmten Ausbildungsgang oder Beruf Arbeitslosigkeit kann längerfristige Konsequenzen erfolgt im internationalen Vergleich früh: Nach der für die psychische Gesundheit haben (Sabatella & obligatorischen Schulzeit, mit etwa 16 Jahren, tre- Mirer 2018). Diese Gruppen stehen zwar nicht im ten durchschnittlich zwei Drittel der Jugendlichen in Fokus des vorliegenden Arbeitspapiers, angesichts der Schweiz eine Berufslehre an, ein Drittel besucht der Wechselwirkungen zwischen Erwerbssituation eine weiterführende Schule (SBFI 2021). und psychischer Gesundheit sind Massnahmen, um In die Altersspanne zwischen 16 und 24 fallen sowohl psychisch belastete Jugendliche und junge Erwach- die Nahtstelle I (Übergang in eine nachobligatorische sene zu erkennen, zu unterstützen und im Arbeits- Ausbildung auf Sekundarstufe II) als auch die Naht- bzw. Ausbildungsprozess zu halten 5 , jedoch zentral. stelle II (Übergang von der Ausbildung ins Erwerbs- Während der Berufslehre haben junge Erwerbstäti- leben). Gemäss der Schweizerischen Arbeitskräfte- ge verschiedene spezifische Ansprech- und Bezugs- erhebung (SAKE) sind gut 60 Prozent der Jugendlichen personen im Betrieb und in der Berufsschule. Nach und jungen Erwachsenen zwischen 15 und 24 Jah- Ausbildungsabschluss gelten die regulären unter- ren erwerbstätig2 (525 000 Personen). Die jungen nehmensspezifischen Zuständigkeiten (Vorgesetzte, Erwerbstätigen sind grösstenteils Angestellte Geschäftsleitung, HR, BGM-Verantwortliche usw.). (322 000) oder Lernende (184 000); die Anzahl Selbst- Die Ausbildung der Berufsbildungsverantwortlichen ständiger oder Personen, die in einem Familienbe ist national geregelt, mit minimalen Vorgaben an trieb mitarbeiten, ist vergleichsweise gering (19 000, die fachliche und berufspädagogische Qualifika- vgl. BFS – SAKE 2020 3). Daneben sind gut 30 Pro- tion (SBFI 2021). So müssen etwa Berufsbildungs zent der 15- bis 24-Jährigen in Ausbildung ohne verantwortliche in Lehrbetrieben nebst einem eid- Erwerb (274 000 Personen) 4 . genössischen Fähigkeitszeugnis und mindestens Im Vergleich zur Gesamtbevölkerung weisen Jugend zwei Jahren Berufserfahrung im auszubildenden liche und junge Erwachsene höhere Quoten für Beruf bzw. Gebiet einen berufspädagogischen Kurs Arbeitslosigkeit, Erwerbslosigkeit und atypische (à 40 Kursstunden) oder einen Bildungsgang (Dip- Beschäftigung, wie zum Beispiel befristete Verträge lom à 100 Lernstunden) vorweisen (SBFI 2015). Je oder Arbeit auf Abruf, aus. Letzteres ist allerdings nach Branche oder Betrieb gelten zusätzliche An- besonders häufig der Fall, wenn die Erwerbstätig- forderungen. Für die Funktion als Praxisbildnerin keit parallel zu einer Ausbildung erfolgt (Rudin et al. oder Praxisbildner wird von Gesetzes wegen keine 2018). Die NEET-Quote (Not in Education, Employ- zusätzliche Ausbildung verlangt. In der Regel emp- ment or Training) lag in den letzten Jahren in der fehlen Branchenverbände jedoch, analoge Kurse zu Altersgruppe der 15- bis 24-Jährigen jeweils bei besuchen. 2 In den Standardauswertungen der SAKE umfasst die jüngste Altersgruppe der Erwerbstätigen auch die 15-Jährigen, w ährend für das vorliegende Arbeitspapier bei den Datensätzen SGB und JSI die Grenze ab 16 Jahre definiert wurde. 3 https://www.bfs.admin.ch/bfs/de/home/statistiken/arbeit-erwerb/erwerbstaetigkeit-arbeitszeit/erwerbspersonen/ arbeitsmarktstatus-erwerbsstatus.html (Zugriff: 15.5.2021). 4 Zeitweilige Erwerbstätigkeit beispielsweise von Studierenden in den Semesterferien ist in dieser Gruppe nicht aus geschlossen, da in der SAKE-Befragung nach Erwerb, Anstellungsverhältnis oder Selbstständigkeit in der Referenzwoche vor dem Erhebungszeitpunkt gefragt wird. Die übrigen 10 Prozent dieser Altersgruppe verteilen sich auf folgende Kategorien: Erwerbslose gemäss IAO, Hausfrauen/-männer, Rentnerinnen und Rentner, andere Nichterwerbspersonen. 5 Beispielsweise die kantonalen Brückenangebote, welche Jugendlichen helfen, die nach Abschluss der obligatorischen Schulzeit keinen Ausbildungsplatz gefunden haben.
14 Junge Erwerbstätige – Arbeitsbedingungen und Gesundheit EXKURS: FWS APPRENTICE Gesundheitsförderung Schweiz hat im Rahmen • Die FWS Experts App liefert aktuelle Inhalte von Friendly Work Space Apprentice (FWS zu den Themen psychische Gesundheit (Happi- Apprentice) Angebote entwickelt, mit denen ness) bei Jugendlichen sowie Arbeits- und die psychische Gesundheit der Lernenden im Freizeitsicherheit, die von Gesundheitsförde- Setting Betrieb gefördert werden kann. rung Schweiz, Suva, Pro Juventute und Sucht FWS Apprentice unterstützt Berufsbildungs Schweiz erstellt wurden. Die publizierten verantwortliche dabei: Artikel bieten betriebsübergreifend Raum für • eine gesunde Entwicklung der Lernenden zu Diskussionen und Austausch. Zudem kann ermöglichen, damit sie gut in die Arbeitswelt man sich in Live-Chats mit Expertinnen und einsteigen können und gesund bleiben; Experten zu relevanten Themen austauschen. • Probleme – auch psychischer Natur – frühzeitig • Die Weiterbildungen und Kurse von FWS zu erkennen und mit Herausforderungen Apprentice bauen auf den Inhalten der Werk- von Lernenden altersgerecht umzugehen; zeugkiste auf. Die Teilnehmenden erhalten • Verständnis aufzubringen dafür, wie sich in den Kursen Wissensinputs zu Herausforde- Lernende in gewissen Situationen verhalten; rungen und Entwicklungen im Jugendalter, • den Übergang der Lernenden ins Arbeits- zu unterschiedlichen Führungsstilen und deren leben erfolgreich zu begleiten; Wirkung auf die Lernenden sowie zu Mass • Verantwortungs- und Selbstbewusstsein der nahmen im Umgang mit Belastungen und Res- Lernenden zu fördern. sourcen. • Der FWS Apprentice Austausch bietet die Das Angebot fokussiert sowohl auf die Verhaltens- Möglichkeit, von den Erfahrungen anderer zu als auch auf die Verhältnisebene und ermöglicht lernen. Dank den Austauschtreffen können einen Austausch von Berufsbildungsverantwort- Berufsbildungsverantwortliche auf ein umfas- lichen aus verschiedenen Unternehmen unter sendes Netzwerk zurückgreifen. einander sowie mit externen Fachpersonen. Weitere Informationen zum Angebot FWS Appren- Folgende Teilangebote umfasst FWS Apprentice: tice finden Sie auf fws-apprentice.ch in den • Die Werkzeugkiste von FWS Apprentice drei Landessprachen Deutsch, Französisch und (fws-apprentice.ch) beinhaltet konkrete Hilfs- Italienisch. mittel, wie Checklisten, Infoblätter und Good- Practice-Beispiele, Fachinformationen und Fall- beispiele und ist nach den Themenpunkten Vorbeugen, Handeln und Informieren aufgeteilt.
Junge Erwerbstätige – Arbeitsbedingungen und Gesundheit 15 2.3 Gesundheitsrelevante umgebung, gesundheitsrelevanten Ressourcen und Arbeitsbedingungen Belastungen am Arbeitsplatz und persönlichen Faktoren (siehe Abbildung 1). Im Sinne einer Wir- Gesundheit ist nicht ein statischer Zustand, sondern kungskette wird aufgezeigt, wie BGM-Massnahmen ein vielschichtiger und dynamischer Prozess, der über die Stärkung von Ressourcen und/oder die Re- sowohl von individuellen Faktoren als auch von duktion von Belastungsfaktoren (mittelfristig) einen Umwelteinflüssen und der Interaktion mit sozialen Einfluss auf die Gesundheit und die Motivation der Systemen geprägt ist. Dabei gibt es Einflüsse, die Mitarbeitenden haben können und wie dies mit be- eine Person stärken (Ressourcen), und solche, die triebsrelevanten Kennzahlen (Unternehmenserfolg) sie schwächen können (Belastungen). Besteht län- zusammenhängt. gerfristig ein deutliches Ungleichgewicht zwischen Die in der Schweizerischen Gesundheitsbefragung Belastungen und Ressourcen, hat dies einen nega (SGB) und im Monitoring zum Job-Stress-Index (JSI) tiven Einfluss auf die Gesundheit. Gesundheits erhobenen Informationen zu Gesundheit und Arbeit förderung am Arbeitsplatz zielt darauf ab, Belas- betreffen vorwiegend die Ebenen «Ressourcen und tungen zu reduzieren und Ressourcen zu stärken, Belastungen» sowie «Gesundheit und Motivation». durch Anpassungen sowohl bei den Rahmenbedin- Bei den Kennzahlen zum Unternehmenserfolg sind gungen (Arbeitsumgebung) als auch auf der Verhal- nur einzelne Indikatoren vorhanden, hier werden tensebene (individuelle Ebene) (Blum-Rüegg 2018). zusätzlich Daten der Sammelstelle für die Statistik Betriebliches Gesundheitsmanagement (BGM) ist die der Unfallversicherung und der IV herangezogen. systematische Optimierung gesundheitsrelevanter Die Situation junger Erwerbstätiger wird im Kapi- Faktoren im Betrieb durch die Gestaltung betriebli- tel 4 anhand dieser Datenlage näher beschrieben. cher Strukturen und Prozesse. Das Wirkungsmodell Im Kapitel 3 folgt eine kurze Beschreibung des me- BGM von Gesundheitsförderung Schweiz visuali- thodischen Vorgehens. siert das Zusammenspiel zwischen der Arbeits ABBILDUNG 1 Wirkungsmodell BGM WIRKUNGSMODELL BGM von Gesundheitsförderung GESUNDHEITSFÖRDERUNG SCHWEIZ Schweiz BGM-Massnahmen Ressourcen & Belastungen Gesundheit & Motivation Unternehmenserfolg kurzfristig langfristig Unternehmensumfeld Arbeitsorganisation & Arbeits- Arbeits- Psychische Gesundheit Produktivität Aufgabengestaltung organisatorische organisatorische Ressourcen Belastungen Soziale Beziehungen & Körperliche Gesundheit Absenzen Führung Soziale Soziale Fluktuation Ergonomie & Ressourcen Belastungen Arbeitsplatzgestaltung Sicherheit Infrastrukturelle Angebote Gesundheit Infrastrukturelle Infrastrukturelle Ressourcen Belastungen Arbeitszufriedenheit Innovation Steuerung & Management Unternehmensbindung Kundenzufriedenheit Persönliche Persönliche Persönliche Kompetenzen Ressourcen Belastungen Engagement Image Mitarbeiterumfeld Version 17.5.2016 short © Gesundheitsförderung Schweiz 2015 Quelle: Krause et al. (2016). Für konkrete Indikatoren und Beispiele zu einzelnen Faktoren siehe Krause et al. (2016, 47).
16 Junge Erwerbstätige – Arbeitsbedingungen und Gesundheit 3 Methodisches Vorgehen Grundlage für die Beschreibung des Gesundheits- Die Auswahl der Indikatoren bzw. Themen, welche zustands der jungen Erwerbstätigen in der Schweiz für den vorliegenden Bericht analysiert wurden, er- bildeten die statistischen Analysen verschiedener folgte auf der Basis des BGM-Wirkungsmodells von Datenquellen. In einem zweiten Schritt wurden die Gesundheitsförderung Schweiz (siehe Kapitel 2.3). Ergebnisse dieser Datenanalysen in Interviews mit Eine Beschreibung der Indikatoren, die Werte pro Expertinnen und Experten kritisch diskutiert und Altersgruppe sowie die Angaben zu Signifikanz und validiert. Fallbeispiele junger Erwerbstätiger sowie Effektstärken sind in der Tabelle 2 im Anhang A-3 Good-Practice-Beispiele aus Betrieben veranschau zu finden. lichen sowohl die Sicht der jungen Menschen als auch Untersucht wurde die Frage, ob sich die Gruppe der die Möglichkeiten von Betrieben, die Gesundheit von jungen Erwerbstätigen in Bezug auf ihre gesund- jungen Erwerbstätigen zu stärken. Basierend auf heitliche Situation sowie Ressourcen und Belas den verschiedenen methodischen Elementen wur- tungen am Arbeitsplatz von den älteren Gruppen den Fazit und Handlungsempfehlungen abgeleitet. der Erwerbstätigen unterscheidet. Dabei wurden folgende vier Altersgruppen6 differenziert: 16- bis 24-Jährige, 25- bis 39-Jährige, 40- bis 54-Jährige 3.1 Statistische Datenanalysen und 55- bis 65-Jährige. Im vorliegenden Bericht stehen die jungen Erwerbstätigen im Alter von 16 bis Für das vorliegende Arbeitspapier wurden folgende 24 Jahren im Fokus. Obschon eine Lehre teilweise statistische Daten analysiert: Schweizerische Ge- bereits im Alter von 15 Jahren begonnen wird, wurde sundheitsbefragung 2017 (Bundesamt für Statistik), die Kategoriengrenze ab 16 gewählt, um die Ver- Job-Stress-Index-Monitoring 2018 (Gesundheits gleichbarkeit mit Ergebnissen aus den Analysen förderung Schweiz), Berufs- und Nichtberufsunfälle zum Job-Stress-Index-Monitoring zu gewährleisten 2018 (Sammelstelle für die Statistik der Unfall - (vgl. z. B. Galliker et al. 2018a). Auch die obere Grenze versicherung, SSUV), Renten der Invalidenversiche- von 24 Jahren richtet sich nach dieser Klassifizie- rung 2018 (IV-Statistik, Bundesamt für Statistik) und rung. Grundsätzlich existiert keine einheitliche Defi- Todesursachen 2017 (Statistik der Todesursachen, nition in Bezug auf Anfang und Ende des Jugendalters Bundesamt für Statistik). Bei den Datensätzen von (siehe Kapitel 2.1). SGB, JSI und SSUV beziehen sich die Analysen nur Anhand statistischer Analysen wurde untersucht, ob auf Erwerbstätige in der jeweiligen Altersgruppe, sich die vier Altersgruppen voneinander unterschei- in ergänzenden Quellen (IV-Statistik, Statistik der den.7 Wenn dies der Fall war8 , wurde weiter analy- Todesursachen) sind alle Personen unabhängig vom siert, wie «bedeutsam» dieser Unterschied war bzw. Erwerbsstatus enthalten. Weitergehende Informati- wie gross der Altersgruppeneffekt9. Die Ergebnisse onen zu den Datenquellen finden sich im Anhang A-2. der Datenanalysen werden in diesem Arbeitspapier in «Wortwolken» dargestellt. Je bedeutsamer der Altersgruppeneffekt, umso grösser erscheint der Indikator in einer Wortwolke. 6 In Analogie zu den Altersgruppen, die im Job-Stress-Index-Monitoring unterschieden werden. 7 Die Analysen der Altersgruppeneffekte basieren auf Varianzanalysen oder Chi-Quadrat-Tests. 8 Aufgrund der grossen Gruppen war dies bei fast allen Indikatoren der Fall. 9 Als Masse für die Effektstärke wurden das partielle Eta-Quadrat bzw. Cramer’s V herangezogen. Die Interpretation der Grösse der Effektstärke erfolgte basierend auf den Empfehlungen von Cohen (1988). Inwiefern die erste Altersgruppe sich im Einzelnen von der zweiten, dritten und vierten unterscheidet, wurde anhand von Post-hoc-Tests mit Bonferroni- Korrektur bzw. mithilfe der Interpretation der standardisierten Residuen überprüft.
Junge Erwerbstätige – Arbeitsbedingungen und Gesundheit 17 3.2 Qualitative Vertiefungsanalysen 3.2.3 Good-Practice-Beispiele Was Unternehmen im Rahmen ihres betrieblichen 3.2.1 Gespräche mit Expertinnen und Experten Gesundheitsmanagements für junge Erwerbstätige Die Ergebnisse der statistischen Datenanalysen tun können, wird anhand ausgewählter Good-Prac- wurden 13 Expertinnen und Experten aus den Be- tice-Beispiele im Kapitel 6 dargestellt. Die Unter- reichen Berufliche Aus- und Weiterbildung, Gesund- nehmen, welche über ihre Massnahmen Auskunft heitswesen, Jugendarbeit sowie Forschung präsen- gegeben haben, sind Mitglieder des Wirtschafts tiert (siehe Impressum). In Interviews wurden diese beirats des Labels Friendly Work Space. Ergebnisse kritisch diskutiert und Empfehlungen für die Praxis besprochen. Originalzitate aus den Interviews sind wie folgt hervorgehoben: «Originalzitate aus Interviews mit Expertinnen und Experten.» 3.2.2 Fallbeispiele junge Erwerbstätige Vier Fallbeispiele im Bericht (auf den Seiten 24, 28, 35 und 40) veranschaulichen, wie die Situation jun- ger Erwerbstätiger konkret aussehen könnte. Sie sind insgesamt fiktiv, basieren jedoch auf Schilde- rungen der interviewten Expertinnen und Experten von Situationen, die sie mit jungen Erwerbstätigen erlebt haben.
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