(K)Ein Platz zum Leben - missio München
←
→
Transkription von Seiteninhalten
Wenn Ihr Browser die Seite nicht korrekt rendert, bitte, lesen Sie den Inhalt der Seite unten
VOR ORT MALI (K)Ein Platz zum Leben „Peulh“ gegen „Dogon“, ein Volk gegen das andere: Blutige Überfälle verwüsten ganze Dörfer in Mali und zwingen die Menschen dazu, ihre Heimatorte zu verlassen. Viele stranden in den Außenbezirken der Haupt- stadt Bamako. Dort teilen die verfeindeten Völker das gleiche Schicksal miteinander. TEXT: CHRISTIAN SELBHERR FOTOS: JÖRG BÖTHLING 14 | missio 1/2021 missio 1/2021 | 15
VOR ORT MALI zu deutsch: Binnenflüchtlinge. Wie mehr als 200 000 andere Menschen aus Mali sind sie geflohen vor der Krise im eigenen Land. Zeit für einen Rückblick. Der Müll und die Menschen – Januar 2020 Obwohl es noch ziemlich genau drei Mo- nate dauern wird, bis das Flüchtlingslager in Flammen aufgeht, stehen jetzt schon die Rauchwolken am Himmel. Doch das hat einen anderen Grund. „Als wir hierher ka- men, war das Gelände leer“, sagt Hama Diallo. „Die Stadtverwaltung hat uns den Platz zugewiesen.“ Der Mann im blauen Umhang zieht sich den Mundschutz ins Gesicht. Er trägt die Stoffmaske (noch) nicht aus Schutz vor dem Coronavirus, sondern wegen der stickigen Luft. Auf der brachliegenden Fläche im 6. Bezirk wohnte niemand, denn sie dient vor allem als Müllkippe. Auch jetzt noch fahren Last- wägen an den Rand des Müllberges und laden ab, was sich in der wachsenden Hauptstadt Bamako angesammelt hat: Mitten im Müll: Wo sich die Abfälle der Hauptstadt Bamako stapeln, suchen Hunderte Menschen Schutz. Sie sind vor Krieg, Gewalt und Terror geflohen. HINTER DER TANKSTELLE der Firma „Yara Service“ türmt sich das In- ferno auf. Dichte schwarze Rauchwolken verdunkeln den Himmel. Aufgeregt laufen die Menschen durcheinander über die Straße. Mit schriller Sirene rast ein roter Feuerwehrwagen heran und hält neben der Tankstelle. Zum eigentlichen Brand- herd führen nur ein paar enge Fußwege. Verzweifelt ziehen die Feuerwehrleute den Schlauch aus dem Wagen heraus. Einige Jugendliche packen mit an – das Wasser löscht immerhin einige Bretter- buden und ein brennendes Auto. Aber jeder scheint zu ahnen, dass der Kampf verloren gehen wird. Einige Kühe brüllen angsterfüllt. Am Ende werden viele Tiere und zwei Menschen – ein Kind und ein älterer Mann – ums Leben gekommen sein. Ein Reporter aus Mali hat diese Szenerie Ende April 2020 mit seiner Handy-Kamera festgehalten. Was hier verbrennt, ist das Flüchtlings- lager von Faladié in Bamako, Mali. Ge- schätzt 1000 Menschen leben hier. Man nennt sie „Internally Displaced People“ – 16 | missio 1/2021 missio 1/2021 | 17
VOR ORT MALI chen trägt eine Kehrschaufel in der Hand. „Sie verbrennen den Müll“, erklärt Hama Diallo. „Und die Asche nehmen sie zum Pflanzen her.“ Wer Glück hatte und seine Tiere mit- bringen konnte, kann sie auf dem Vieh- markt verkaufen. Der Markt liegt gleich nebenan – genauer gesagt: Der Markt war schon vor den Flüchtlingen da, ein wich- tiger Handelsplatz für die Nomaden. Ir- gendwann haben die ersten Peulh-Fami- lien entschieden: Wir bleiben lieber hier. Zu Hause wird es uns zu gefährlich. Erst gestern hat Hama Diallo einen An- ruf aus der Heimatregion Mopti bekom- men. Ein Verwandter war am Telefon. Er erzählte davon, dass Kühe und Ziegen ge- Hama Diallo (rechts) spricht mit neu angekommenen Frauen. Unten: Biba Guindo vom Volk der Dogon. raubt worden seien. Und es hat Tote gege- ben. „Das sind die Nachrichten, die wir Plastikfolien, Eisenstangen, Getränkedo- haben.“ Mehr möchte Hama Diallo heute sen, Essensreste. nicht sagen. Und gleich daneben wächst die Sied- lung der Flüchtlinge. Manche leben seit Die blutigen Nächte – Juni 2019 Ausbruch der Mali-Krise 2012/2013 hier. Er möchte sich entschuldigen. Dafür, dass Andere sind ganz neu. „Es werden jeden die Bilder so grausam sind. Das schreibt Tag mehr“, berichtet Hama Diallo, der Abbé Germain Arama in einer E-Mail, die zum Volk der Peulh gehört. „Wir bauen er am 16. Juni 2019 von Mali aus nach uns die Behausungen mit dem, was wir in Deutschland schickt. Fünf Bilder fügt er der Hand haben.“ Doch das reicht selten, hinzu. Sie zeigen entsetzliche Dinge. Die weil die meisten Flüchtlinge sowieso fast Körper toter Menschen. Verbrannt, ver- mit leeren Händen hier eintreffen. Also kohlt, ermordet. Wenige Tage sind ver- behelfen sie sich mit allem, was sie finden gangen, seit das Dorf Sobane-Da in der können: im Müll, auf Baustellen irgendwo Region Mopti angegriffen und überfallen in der Stadt, am Straßenrand. wurde. Germain Arama ist Priester. Er „Vor allem in der Regenzeit ist es schreibt: „Die Bevölkerung im Dorf ist zu schwierig“, sagt Herr Diallo. „Das Wasser hundert Prozent katholisch.“ Sie gehören Zuflucht für Mensch und Tier: Rund um einen Viehmarkt haben sich die Flüchtlinge angesiedelt. ist dann überall.“ Trinkwasser dagegen ist zum Volk der Dogon, die traditionell als kostbar – sie müssen es in Kanistern kau- Ackerbauern hier leben. Die Angreifer sol- fen, Händler bringen es mit Eselskarren, die Frauen schleppen es weiter. Der Wind weht jetzt einen beißenden Rauch über den Hügel. Ein hustendes Mädchen stapft vorbei. Barfuß. Das Mäd- 18 | missio 1/2021 missio 1/2021 | 19
VOR ORT MALI Biba Guindo stammt aus dem Volk der DER AFRIKATAG 2021 Dogon. Ob Peulh oder Dogon – im Flüchtlingslager leben beide nebeneinan- der. Sie beäugen sich zwar manchmal Bei allen guten Entwicklungen, die es misstrauisch, aber es geht. Biba Guindo auch in Afrika im Lauf der vergangenen blickt auf, es wird langsam Abend. „Unsere Jahre gegeben hat, bleibt der Nachbar- Männer suchen tagsüber Arbeit“, sagt sie. kontinent Europas doch in vielerlei Hin- „Auf Feldern am Stadtrand zum Beispiel.“ sicht benachteiligt. Kriege, Krisen und Jetzt kommen sie mit Motorradtaxis wie- Konflikte treiben die Menschen in die Ar- der heim. mut und zwingen sie zur Flucht. Wo es Wohlstand und Fortschritte gibt, da pro- fitieren meist nur wenige davon. Und die Corona-Pandemie stellt viele afrikanische Länder vor neue, immense Herausforde- Überleben sichern: eine Metzgerei und ein Klassenzimmer im Flüchtlingslager rungen. Mit Aktionen wie dem Afrikatag ruft die katholische Kirche zur Solidarität len Angehörige der Peulh gewesen sein – je zuvor. Vorgeblich zum Schutz vor den und zum Zusammenhalt auf. das Volk der Nomaden und Viehhirten. Islamisten haben sich in vielen Landstri- Der Afrikatag wurde 1891 von Papst Leo XIII. eingeführt und ist die älteste gesamt- Überlebende beschreiben, was gesche- chen bewaffnete Bürgermilizen gegrün- kirchliche Kollekte der Welt. Sie wurde damals ins Leben gerufen, um Spenden für hen ist. Die Organisation „Human Rights det. Diese wiederum werden gerne von is- den Kampf gegen die Sklaverei zu sammeln. Heute steht der Afrikatag für Hilfe zur Watch“ hat einige dieser Augenzeugenbe- lamistischen Gruppen angestachelt und Selbsthilfe. Die Einnahmen ermöglichen es, vor Ort Frauen und Männer im Dienst der richte festgehalten. „Ich trank gerade einen ausgenutzt – ein Wechselspiel aus Gewalt Auch die Frauen arbeiten hart – die ei- Kirche auszubilden, die den bedürftigen Tee, als die Motorräder kamen“, wird ein und Gegengewalt kam in Gang. nen backen und kochen am Straßenrand, Menschen dann als Ordensfrauen und 32 Jahre alter Mann zitiert. „Ich sah zwölf So wird auch das Massaker im christli- eine Nachbarin verkauft hinter einem Priester zur Seite stehen – in Schulen, Angreifer, sie saßen jeweils zu zweit auf chen Dorf Sobane-Da von manchen Be- Holzverschlag Limonade und Bier. „Naja, Kliniken und sechs Motorrädern.“ Die Menschen ver- obachtern als Racheakt gedeutet. Wenige wir schlagen uns eben so durch“, sagt Biba Flüchtlings- steckten sich in ihren Häusern, doch sie Monate zuvor gab es ein ähnliches Ereig- Guindo und lacht. lagern. wurden umzingelt. Die Angreifer legten nis im Dorf Ogossagou. Doch damals wa- Es stimmt. Lachen ist nicht verboten, Zum Afrika- Feuer. Wer in Panik aus dem Haus lief, ren die Rollen vertauscht: Peulh wurden schon gar nicht im Flüchtlingslager. Ganz tag 2021 wurde erschossen. Der Angriff dauerte angegriffen, die Täter trugen Kleidung in der Nähe kann man Klänge der Freude wirbt missio mehrere Stunden, bis spät in die Nacht. und Waffen der berüchtigten „Dozo“-Mi- hören: Die Nachbarn trommeln, johlen München „Ich hörte Menschen schreien, ich roch liz vom Volk der Dogon. Laut „Human und singen – auf einer kleinen staubigen mit dem biblischen Spruch „Damit sie das Leben haben“ das Feuer, ich hörte Schüsse und die ‚Al- Rights Watch“ starben in Ogossagou mehr Fläche zwischen all den Hütten und Be- (Joh 10,10) um Unterstützung. Am 6. Januar 2021 sam- lahu Akbar’-Rufe“, sagt der Mann. Am als 150 Menschen, darunter 40 Kinder. 90 hausungen wird getanzt. Weil heute Hoch- meln die bayerischen Diözesen Spenden, am 10. Januar Ende wurden 35 Tote gezählt. Prozent des Dorfes sind verbrannt. zeit ist. Und das muss gefeiert werden. 2021 ist dann das Bistum Speyer an der Reihe. Was Abbé Germain Arama überrascht So ist das eben auch in Zeiten der Not: Plakate und kostenloses Material gibt es auf hat: Die Kirche des Dorfes blieb verschont, Leben und Überleben – Januar 2020 Es wird gestorben, aber auch gelebt. www.missio.com sowie bei Michael Krischer, ebenso einige Häuser mit Kreuzen an den „Ich habe nicht viele Nachrichten von da- Tel.: 089-5162-247 und m.krischer@missio.de Wänden. Er vermutet deshalb, dass reli- heim“, sagt Biba Guindo. „Zur Zeit scheint Das Ende kann ein Anfang sein – giöser Hass nicht das Tatmotiv gewesen es ruhig zu sein.“ Sie lebt nun seit einigen Herbst 2020 sein kann. Monaten in Faladié, dem Flüchtlingslager Der brennende Müll, den die Menschen Und tatsächlich fügt sich der Überfall in Bamako. „Wir haben vier oder fünf anzündeten, war der Grund für den gro- auf Sobane-Da ein in eine ganze Serie von kleine Hütten gebaut“, sagt Frau Guindo. ßen Brand von Faladié. Das vermuten zu- Gewalttaten, die sich in der Zentralregion „40 oder 50 Leute wohnen da zusammen.“ mindest die meisten. Ende April ist Tro- von Mali seit einigen Jahren abspielen. Die Not ist groß: Mittendrin in dem gan- ckenzeit, der heiße Wüstenwind entfachte Mit dem Aufstieg der Islamisten weiter zen Chaos hat sich ein Junge ein Versteck die Flammen in wenigen Minuten und fast im Norden haben sich auch die jahrhun- gesucht. Er heißt Ousmane und ist viel- das gesamte Flüchtlingslager brannte ab. dertealten Konflikte zwischen umherzie- leicht sechs, vielleicht sieben Jahre alt. Er Doch es dauerte nur wenige Tage, bis henden Nomaden der Peulh und den sess- blickt aus dem Verschlag aus Plastik, Blech die Siedlung wieder aufgebaut war. Wo haften Bauern der Dogon verschärft. Es und Brettern heraus. In der Hand hält er hätten die Menschen auch sonst hinge- gibt Streit um knappes Land in Zeiten des etwas, das man nicht sofort erkennt. Der hen sollen? Jetzt leben sie wieder am glei- Klimawandels und wachsender Bevölke- Junge beißt darauf als wäre es ein Stück chen Ort wie vorher – Peulh und Dogon, rung. Mit den Islamisten sind plötzlich Brot. Es ist aber ein Stück Plastikschlauch, andernorts verfeindet, aber in der Not im viel mehr tödliche Waffen im Umlauf als auf dem er vor Hunger kaut. selben Boot. A 20 | missio 1/2021 missio 1/2021 | 21
Sie können auch lesen