Ansteckende Düsternis - endlos lange Spaziergänge hat Reto Leibundgut
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Ansteckende Düsternis Erkrankt die Mutter an einer postnatalen Depression, leidet der Partner mit – und gerät oft e selber in eine Krise. Text: Veronica Bonilla Gurzeler Illustrationen: Rahel Nicole Eisenring ndlos lange Spaziergänge hat Reto Leibundgut (36) vor Augen, wenn er sich an die depressive Phase erinnert, die seine Frau Iris (35) nach der Geburt des ersten Kindes durchlebte. Täglich zog möchten sie helfen und Anteil nehmen, anderseits kann das stän- das Paar seine Runden ums Dorf. Über hochsommerliche Feldwe- dige und zermürbende Klagen der kranken Frau auch ablehnende ge, an Waldrändern und an Hecken vorbei, in denen die Insekten Gefühle hervorrufen. Verständnis, Geduld und Durchhaltewille träge summten. Langsam wurde es Herbst und die Blätter der Bäu- sind gefordert. Oft geraten die Männer jedoch ebenfalls in eine me leuchteten sonnengelb und glutrot. Doch Iris hatte weder Inte- Krise, wenn ihrer Frau die Lebensfreude abhanden kommt. Sie resse an den Schönheiten der Natur noch am Baby, das Reto im wollen die Partnerin entlasten, helfen, wo sie können und schlafen Kinderwagen über die holprigen Wege schob und das ihm etwas nicht mehr genug. Dazu kommen nagende Sorgen und die bange Abwechslung bot, wie er sagt. Denn die Gespräche mit seiner Frau Frage, wieso die Frau nicht glücklich ist mit ihnen und dem ge- drehten sich immer um das Gleiche: «Iris war überzeugt, eine un- meinsamen Kind. «Rund die Hälfte der Partner von Frauen mit fähige Mutter und ein schlechter Mensch zu sein», erzählt Reto postnataler Depression werden ebenfalls depressiv», sagt Weber Leibundugt. «Meine Argumente dagegen konnten noch so rational Bertschi. Bei Männern heisse das dann allerdings eher Burn-out. und begründet sein, sie hatten keine Wirkung.» Er habe immer ge- Reto Leibundgut spricht von einem «schwarzen Klotz», wenn wusst, dass Iris, die bis dahin eine «unglaubliche Frohnatur» war, er an die postnatale Depression seiner Frau denkt. Dabei hatte das eine gute Mutter würde; nun war kein vernünftiges Gespräch mehr Paar einen Start ins Familienleben wie aus dem Bilderbuch: Reto möglich. «Das war furchtbar für mich, ich brauchte viel Geduld.» und Iris, er Versicherungsmathematiker, sie Lehrerin, kannten Bis vor Kurzem war es ein Tabu, wenn Frauen nach der Geburt sich seit zwölf Jahren, als im Sommer 2008 ihr erstes Kind Lia auf statt Mutterglück Verzweiflung und Hoffnungslosigkeit verspür- die Welt kam. Die ersten zwei Wochen mit dem Baby verbrachten ten, negative Gefühle weglächelten, totschwiegen. Weil in den letz- die Eltern in eine rosa Wolke gehüllt. Sie bewunderten das zarte ten Jahren viel über die postnatale Depression berichtet wurde, Wesen, lernten es kennen, wickeln, baden, in den Schlaf wiegen. wird die Krankheit heute schneller erkannt. Wenig erforscht und «Am Ende meines Vaterschaftsurlaubs sagte ich mir: Was immer immer noch tabuisiert ist allerdings die Situation der Partner von auch passiert, jetzt weiss ich, was zu tun ist», erzählt Reto Leibund- Frauen, die mit ihren Babys nicht glücklich sind. Deren Los aber ist gut. Wie wichtig dies bald schon sein würde, ahnte er noch nicht. dreifach schwierig: «Sie müssen in die neue Rolle des Familienva- Drei intensive Arbeitswochen folgten; der junge Vater kam spät ters hineinwachsen, mit der Krankheit ihrer Frau klar kommen abends nach Hause und ging frühmorgens wieder. Bald berichtete und sind meist auch für das Familieneinkommen verantwortlich», ihm Iris, dass sie nachts nicht schlafen könne, auch wenn Lia längst sagt die Aargauer Psychologin Beatrix Weber Bertschi. Ähnlich gestillt sei; sie erzählte von kreisenden Gedanken, die wie bedroh- wie die meisten Angehörigen von Menschen mit Depressionen liche Schatten nicht von ihr lassen wollten. Just am letzten Tag von Retos strenger Arbeitsphase rief Iris im Büro an und sagte unter Tränen: «Ich halte es nicht mehr aus mit dem Kind!» Sofort fuhr Reto nach Hause. Er war sich fast sicher, dass Iris an einer postna- 24 wir eltern 5/11
«Weil Iris sich unfähig sah, talen Depression litt; auch ihre Mutter hatte diese Krankheit durchlebt und davon berichtet. Noch am gleichen Abend fuhr die Lia grosszuziehen, war das Familie zu den Schwiegereltern ins Zürcher Oberland; Platz war vorhanden, und so war Iris mit dem Kind nicht mehr alleine. Kind für sie das grösste Problem. Für sie war klar: «Wird eine postnatale Depression frühzeitig erkannt und be- handelt, verläuft sie oft leichter und kürzer», sagt Weber Bertschi, Mitglied der Fachgruppe für postpartale Störungen des Verbands Aargauischer Psychologinnen. Wer sich drei Wochen lang er- schöpft fühle oder nicht schlafen könne, solle Hilfe suchen, denn Lia muss weg.» die Krankheit komme nicht von heute auf morgen, sondern habe eine Entstehungsgeschichte. Oft will die Frau allerdings nicht wahrhaben, dass sie krank ist. Da brauche es einen aufmerksamen Partner, der seine Frau zu einer Fachperson begleite. Grosse Worte sind nicht Alois Koflers Metier, der leidenschaft- Auch Iris Leibundgut war überzeugt, nicht krank zu sein; dass liche Handwerker hat dafür alles getan, seiner Frau ein sicheres weder Anti-Depressiva noch Schlafmittel wirkten, war für sie ein und komfortables Heim zu bieten. Hat die roten Wände im Schlaf- Beweis dafür, das «Geschwafel» bei der Psychologin war ihr lästig. zimmer umgestrichen, weil Nicole Kofler die «Alarm-Farbe» nicht Trotz Selbstmordgedanken. «Das war natürlich beängstigend; auch mehr ertrug. Den oberen Stock in eine Wohnung für die Schwie- deswegen liessen wir sie nie allein», so Reto Leibundgut. Er verleg- germutter umgebaut, das Wohnzimmer renoviert. Und tagsüber te seinen Arbeitsplatz nach Hause, ging nur noch einmal in der immer wieder kleine Besorgungen für seine Frau gemacht. Gear- Woche ins Büro; sein Chef hatte glücklicherweise Verständnis für beitet habe er vielleicht 50 oder 60 Prozent. Die finanziellen Konse- die Situation. «Weil Iris sich unfähig fühlte, Lia grosszuziehen, war quenzen belasten das Familienbudget noch heute. das Kind für sie das grösste Problem. Sie sah keine gemeinsame Schmerzhaft ist für die Partner von postnatal depressiven Frau- Zukunft für sich und Lia.» Er habe lernen müssen, ihre Ansichten en die Zurückweisung, die sie von der geliebten Person erfahren. nicht immer ernst zu nehmen. «Ich klammerte mich daran, dass «Iris war ungewohnt kühl. Eine herzliche Umarmung gab es nicht», Iris eine Krankheit hat, die auch wieder vorbei geht.» erzählt Reto Leibundgut. Auch Nicole Kofler blockte Nähe katego- Daran hielt sich auch Alois Kofler (61) fest. Wie an einen Stroh- risch ab. Je länger die Krankheit dauert, desto quälender die kör- halm. Über viele Wochen und Monate hinweg. «Ich sagte immer: Es perliche Distanz für die Partner. «Die grosse Mehrheit der Frauen chunnt scho wieder», erzählt der selbstständige Gartenbauer und hat in der Krankheitsphase kein Interesse an Sexualität; die Män- lächelt. Dass es seiner Frau Nicole (39), ebenfalls Gärtnerin, nach der ner tun gut daran, diese Ablehnung nicht persönlich zu nehmen», Geburt ihres Kindes nicht gut ging, merkte er schnell. Verstehen so die Psychologin Graciela Greco. Paartherapeuten berichten, konnte er es schlecht. «Joy war Nicoles Wunschkind, ein ruhiges dass die Seitensprünge bei Männern vor und nach der Geburt eines und pflegeleichtes Baby», sagt Alois Kofler. Doch die Mutter hatte Kindes deutlich zunehmen. Greco hat eine Erklärung dafür: Angst, mit Joy allein zu sein. Spürte keine Liebe für das Kind, keine «Männer suchen Entlastung von den bedrückenden Ereignissen. Freude an rein gar nichts mehr. Fühlte sich fremd im eigenen Zu- Oft helfen Gespräche mit anderen Frauen. Daraus kann eine Bezie- hause, litt unter Panikattacken. Einen Monat nach Joys Geburt sagte hung entstehen, die über das Freundschaftliche hinausgeht.» sie zu ihrem Mann: «Entweder hilfst du mir oder ich schaue selbst.» Die hohe Erkrankungsrate von Partnern während der post- Sie habe daran gedacht, ihrem Leben ein Ende zu setzen. natalen Depression der Frau ist ein deutliches Zeichen, dass die Alois Kofler war alarmiert. Er telefonierte mit der Frau seines Männer ihre psychische und körperliche Gesundheit keinesfalls Hausarztes, rief eine Psychiaterin an und brachte Nicole schliess- vernachlässigen dürfen. Reto Leibundguts Ankerpunkte in der lich in die Psychiatrische Klinik Königsfelden. «Dort lassen wollte freudlosen Zeit waren tägliches Joggen und hin und wieder ein ich sie nicht, sie war schliesslich nicht geisteskrank.» Also brachte Bier trinken mit Freunden. Nach knapp zwei Monaten merkte er, er sie für zwei Wochen zu seiner Schwester ins Südtirol. Das Baby dass er in eine kritische Phase geriet und ging selbst zur Psycholo- blieb beim Vater. Die Mutter wollte es unter keinen Umständen gin. Alois Koflers Stütze war der Hausumbau. Zudem fehlte er in mitnehmen. den eineinhalb Jahren, während denen Nicole krank war, kaum je Viele Frauen sind während ihrer Krankheit nicht fähig, eine am wöchentlichen Schachabend. Die Regel, mit ausgeschaltetem Bindung zum Kind herzustellen. «Die Beziehungsarbeit überneh- Handy zu spielen, hielt er in dieser Zeit aber nicht ein. «Ich war wie men in dieser Situation oft der Vater, die Grosseltern oder eine Ver- auf Nadeln, doch es klingelte nie.» Viel Unterstützung erhielten wandte», sagt Beatrix Weber. Alois Kofler erinnert sich, wie er mit beide Männer von Familienangehörigen und nahen Freunden. dem Baby auf der Brust abends auf dem Sofa eingeschlafen ist. Mo- Wichtig sei gewesen, die Krankheit überhaupt zu verstehen. Alois mente des Glücks. Bis es seiner Frau wieder besser ging, habe er ein Kofler half das Buch «Ich wollte dich so gerne lieben», in dem sehr nahes Verhältnis zu Joy gehabt. Brooke Shields schonungslos ihre postnatale Depression be- schreibt, Reto Leibundgut die Webseite postnatale-depression.ch. Der feste Glaube daran, dass die Krankheit auch wieder vorüber- geht, lohnte sich. Bei Nicole Kofler dauerte es zwei Jahre, bis sie wieder gesund war. Wie früher sei seine Frau allerdings noch nicht, sagt Alois Kofler. Kürzer war die Krankheit bis Iris Leibundgut. «Als wären wir aus einem schlechten Traum aufgewacht, hat Iris ihre Depression nach zwei Monaten überwunden», erzählt ihr Mann. «Wie schön zu sehen, dass sie endlich Freude hatte an Lia.» Veronica Bonilla Gurzeler 26 wir eltern 5/11
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So helfen Sie Müttern im Babyblues: Laut Fachleuten leiden 10 bis 15 Prozent Tipps für Angehörige: – Holen Sie Hilfe und Entlastung von der Frauen nach der Geburt an einer möglichst vielen Seiten: Familie, Freunde postnatalen Depression. Die Aargauer – Das Risiko für eine postnatale Depression und Nachbarn oder bezahlte Hilfen wie Psychologinnen Graciela Greco und Beatrix steigt, wenn eine Frau nach der Geburt Krippe, Tagesfamilie, Babysitter, Haushalts- Weber Bertschi sind der Meinung, dass zu des Kindes grösstenteils allein ist mit dem hilfe, Spitex. viele verschiedene Symptome unter den Baby, kaum Unterstützung erhält aus – Das können Sie als Bezugsperson sonst Begriff der postnatalen Depression fallen. dem Umfeld und sich von ihrem früheren noch tun: Zuhören, nicht für jedes Problem Das führe dazu, dass andere psychische sozialen Netzwerk abgeschnitten fühlt. sofort Lösungsvorschläge bringen, die Krankheitsbilder ungenügend erkannt – Wenn eine Frau mehrere der folgenden eigenen Erwartungen bezüglich Bewältigung würden. «Oft sagen die Frauen, sie seien Symptome länger als drei Wochen aufweist, des Alltags hinunterschrauben. nicht depressiv, aber es gehe ihnen trotzdem sollte der Kontakt zu einer Fachperson nicht gut», so Weber Bertschi. Sinnvoller gesucht werden: Antriebslosigkeit, wäre deshalb, das Diagnosespektrum Stimmungsschwankungen, Traurigkeit, Weiterführende Infos zu öffnen und fallspezifisch zum Beispiel von Schlafstörung, Erschöpfung, Angst mangelndes Selbstvertrauen, Schuldgefühle, Konzentrationsprobleme, Appetitstörungen, und Adressen: und Panik, Anpassungsstörung, traumatischer Schlafstörungen, Ängste, Panikattacken, • www.postnatale-depression.ch Belastung wegen der Geburt zu reden. Zwangsgedanken, Reizbarkeit, sozialer • R atgeber «Postnatale Depression», Greco: «Ziel ist, dass die Frauen frühzeitig Rückzug, zwiespältige Gefühle dem Kind zu bestellen bei www.promentesana.ch Hilfe suchen, bevor sie in ein chronisches, gegenüber, Suizidgedanken, körperliche psychisches Leiden rutschen.» Beschwerden.
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