Kasuistik über eine Herpes-Zoster-Infek- tion eines 8-jährigen Mädchens

 
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Kasuistik über eine Herpes-Zoster-Infek- tion eines 8-jährigen Mädchens
Originalie

Kasuistik über eine
Herpes-Zoster-Infek-
tion eines 8-jährigen
Mädchens
(A. H.)

Einleitung
Der Herpes Zoster ist eine Viruser-
krankung, welche durch das zur
Familie der Herpesviren gehörende
Varizella-Zoster-Virus (VZV) im Rah-
men einer endogenen Aktivierung
(Infekte, Stress, Abwehrschwäche)
bei Teilimmunen ausgelöst wird.
Reaktivierung und Latenz des Virus
sind nahezu unbekannt (16). Das            Abb. 1: Paraklinik bei Aufnahme: Leukopenie, Diff.BB: monozytär (16,1%), CRP 5,24,
Virus wird in der Kindheit, insbeson-      sonst unauffällig, IGM und IGG Varizella Zoster positiv
dere im Kleinkindalter übertragen
und löst dann die Windpocken aus.          litis), Ösophagitis, Beteiligung des       rale Behandlung wurde aufgrund
Bei dem Ausbruch von Herpes Zoster         Auges und Pneumonien.                      des Alters, der klinischen Ausbildung
kommt es zu einer gürtel- bzw. strei-                                                 am Thorax und des sonst gesunden
fenförmigen Ausbreitung von grup-          Anamnese                                   Kindes verzichtet, gemäß den Emp-
piert stehenden Bläschen entlang           Erstmalige Vorstellung des 8,4-jähri-      fehlungen der Konsensuskonferenz
dem Dermatomverlauf des betroffe-          gen Kindes in der Sprechstunde am          des Robert Koch-Institutes von 2008
nen Spinalganglions, in welchem die        24. 1. 2012. Das Kind klagt über mit-      (http://www.p-e-g.org/archiv_tmp/
Viren zeitlebens persistieren können.      telstarke Schmerzen im Bereich der         jahrestagung_18/forum/sektion_
In Deutschland erkranken jährlich          rechten Thoraxhälfte sowie über            virologie_zoster.pdf.) und der Deut-
etwa 350.000 bis 400.000 Men-              Abgeschlagenheit und körperliche           schen Gesellschaft für Pädiatrische
schen an einem Herpes Zoster (HZV),        Schwäche. Es gingen keine Infekte          Infektiologie, DGPI (13).
ca. 70 % sind älter als 50 Jahre           voraus, Stress oder starke körperli-
(1,17). Bei Kindern ist der Herpes         che Anstrengung wurden negiert.            Nach zwei Tagen erfolgte eine Wie-
Zoster wesentlich seltener. Von 1.000                                                 dervorstellung, bei der die Hautver-
an Windpocken erkrankten Kindern           Eigen- und Familienanamnese                änderung leicht fortgeschritten war
litt durchschnittlich lediglich ein Kind   Unauffällige Geburt 40. SSW, nor-          und auch die Schmerzen zugenom-
nach 5 ± 2,5 Jahren an Herpes Zos-         male Kindheitsentwicklung, 2. Kind         men hatten. Daraufhin wurde zu­­
ter, bezogen auf alle Altersgruppen        gesunder Eltern, Windpocken im             sätzlich Metamizol in altersadaptier-
liegt die prozentuale Häufigkeit bei       4. LM, Überträger: der ältere Bruder.      ter Dosis in Tropfenform verordnet
2% bei unter 10-jährigen und bei           Befund:                                    und eine Wiedervorstellung für den
6% bei 10- bis 18-jährigen (2,18)          Es zeigten sich im Verlauf des Der-        nächsten Tag vereinbart. Am nächs-
Symptome der Infektion sind starke         matoms Th 8. – 9. kleine gruppiert         ten Tag stellte sich die kleine Patien-
drückende bis brennende Schmerzen          stehende Bläschen in einer Ausdeh-         tin mit erheblicher Verschlechterung
im Bereich des Dermatoms, die Bla-         nung von ca. 2 – 5 cm, KG: 136 cm          des Lokalbefundes (Abb. 1) und un­­
senentstehung erfolgt innerhalb            (SDS 0,66/P7 4,5), Gew.: 25,9 kg           stillbaren Schmerzen vor, daraufhin
weniger Stunden bis fünf Tage. Die         (SDS 0,55/P29.1), Temp.: 35.8°, RR         erfolgte die Einweisung in die nahe
Bläschen öffnen sich dann im Verlauf       117/67, Puls 80/min, übriger klini-        gelegene Universitätskinderklinik.
von sieben bis zwölf Tagen und es          scher Befund unauffällig.
kommt zum borkigen Abheilen der                                                       Stationärer Verlauf
Läsionen. Narbenbildung oder Pig-          Therapie und Verlauf                       Nach stationärer Aufnahme erfolgte
mentstörungen (insbesondere nach           Nach eindeutiger klinischer Diagnose       die Einleitung einer virustatischen
Superinfektionen der Haut mit Bak-         wurden lokal antiseptische Lösungen        intravenösen Therapie mit Aciclovir
terien) kommen relativ häufig vor          (Octenisept®) im Wechsel mit anäs-         über insgesamt zwölf Tage und einer
(3,18). Eine weithin gefürchtete           thesierender Lotion (Anaesthesulf-         intensivierten Schmerztherapie mit-
Komplikation ist die Post-Zoster-Neu-      Lotio®) und eine Schmerztherapie           tels Würzburger Schmerztropf (Tra-
ralgie, die die Patienten lebenslang       mit Ibuprofen Saft (200 mg alle acht       madol, Metamizol, Dimenhydrinat),
begleiten kann. Komplikationen sind        Stunden), abwechselnd mit Paraceta-        dann wegen Unverträglichkeiten mit
weiterhin neurologische Manifestati-       mol vierstündig (300 mg alle acht          wiederholten     Pitramidinjektionen
onen (zum Beispiel Meningitis, Mye-        Stunden) ordiniert. Auf eine antivi-       (Dipidolor®). Darunter kam es zur
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Linderung der Schmerzen. Lokal
wurden auf die Läsionen Phenol-
Methanal-Harnstoff-Polykondensat
(Tannosynt®) aufgetragen und desin-
fizierende Bäder durchgeführt. Nach
einigen Tagen zeigte sich unter den
Bläschen ein ausgedehnter Hautde-
fekt (Abb. 2).

Weiterer Verlauf
Nach Entlassung der Patientin erfolg-
ten die Wundverbände ambulant, bis
zur abschließenden Wundheilung
dauerte es noch weitere zehn Tage.
Leider ist die Wundheilung mit einer
doch erheblichen Narbenbildung ein-
hergegangen (Abb. 3 und 4).
                                         Abb. 2: Lokalbehandlung des Defektes mit Hydrogel (Prontosan® Wundgel) und
Die Narben wurden mittels Laserthe-      ­Silikonwundauflagen (Mepitel®). Der stationäre Aufenthalt endete am 15. Tag
rapie behandelt, um zu versuchen,
das Hautbild zu verbessern. Am
Bauch gelang dieses sehr gut, am         Das Kind musste 15 Tage stationär          diesem Grund wird auch angenom-
Rücken leider nur mit mäßigem            behandelt werden und hatte insge-          men, dass keine 100%ige Immunität
Erfolg. Leichte Schmerzen im Bereich     samt einen Schulausfall von vier           gegen das Virus erworben wird.
der Narben treten nach Aussage der       Wochen zu verkraften. Die Narben-          Eine Windpockeninfektion im Klein-
Patientin selten auch heute noch bei     behandlung läuft bis zum heutigen          kind- und Vorschulalter verläuft in
Lageänderungen auf. Eine Post-Zos-       Tage weiter und ist nicht abgeschlos-      aller Regel komplikationslos.
ter-Neuralgie hat sich glücklicher-      sen. Eine in der Zwischenzeit durch-
weise nicht entwickelt (Abb. 4, Seite    geführte immunologische Diagnostik         Genau diese Argumente führen viele
246).                                    erbrachte keine Besonderheiten.            Impfkritiker und -gegner als Begrün-
                                                                                    dung gegen eine Impfung ins Feld,
Zusammenfassung und Diskussion           Bekanntermaßen kommt es bei einer          obwohl durchaus schwere Verläufe
Bei der aufgeführten Kasuistik han-      Ansteckung mit Windpocken im               der Windpockenerkrankung mit
delt es sich um einen seltenen Ver-      Säuglingsalter (meist durch größere        Meningitis, Otitiden, Pneumonien,
lauf einer schweren Herpes-Zoster-       Geschwister wie in diesem Fall) auf-       Osteomyelitis und Hepatitis in der
Infektion, nach vermutlich endoge-       grund des partiellen Nestschutzes          Literatur beschrieben sind, bei Er­­
ner Aktivierung.                         durch maternale Antikörper in den          wachsenen kommt es sogar viel häu-
                                         ersten Lebensmonaten zu relativ            figer zu schweren Verläufen (4, 5). In
VZV-Infektionen können selektiv          harmlosen Infektionen bzw. zu kei-         seltenen Fällen kann es auch zu einer
virustatisch behandelt werden, wenn      nem Ausbruch der Erkrankung. Aus           Infektion bei Schwangeren kommen,
Sie innerhalb von 48 (-72) Stunden
angewendet werden (13). Da für die
orale Zostertherapie im Kindes- und
Jugendalter nur Aciclovir, das Viro­
statikum mit der schlechtesten Bio-
verfügbarkeit, zugelassen ist und bei
oraler Anwendung die Bioverfügbar-
keit maximal 20 % beträgt, wurde
ambulant auf die Einleitung einer
virustatischen Therapie am Anfang
der Erkrankung verzichtet, da eine
zu erwartende gute Prognose vorlag
(Auftreten am Stamm, Alter, keine
Risikofaktoren). Ob hier eine frühzei-
tigere Therapie nach Wiedervorstel-
lung mit oralem Aciclovir, wie ab
dem 16. Lebensjahr empfohlen (13),
den Verlauf gebremst hätte, ist un­­
klar und bleibt zu diskutieren.          Abb. 3: Ambulante Weiterbehandlung mit Wundverbänden

Ärzteblatt Sachsen 6 / 2015                                                                                             245
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                                                                                   (= Zostererkrankung). Eine steigende
                                                                                   Zosterinzidenz bei zunehmendem
                                                                                   Durchschnittsalter der Bevölkerung
                                                                                   ist eher ein demografisches Problem
                                                                                   und vermutlich keines der Varizellen-
                                                                                   impfung. Für beide Probleme gibt es
                                                                                   aber international noch keine kon-
                                                                                   kreten Zahlen (9,10).

                                                                                   In den Vereinigten Staaten wurde
                                                                                   1995 ein Impfprogramm gegen Vari-
                                                                                   zellen gestartet. Die Nachbeobach-
                                                                                   tung hinsichtlich eines vermehrten
                                                                                   Auftretens von Herpes Zoster zeigte
                                                                                   widersprüchliche Ergebnisse. Die
                                                                                   Autoren vermuten einen Anstieg der
Abb. 4: Wundheilung mit erheblicher Narbenbildung                                  HZV-Fälle, bis die erwachsene Bevöl-
                                                                                   kerung nur noch vorwiegend aus
ca. 3 – 6 % aller Schwangeren            impfte Kinder ohne Windpocken in          Einzelpersonen mit impfinduzierter
haben keinen ausreichenden Schutz        der Anamnese sollten möglichst bald       Immunität besteht, die das Wild-VZV
gegen das Windpockenvirus. Eine          geimpft werden, da die Erkrankung         nicht mehr in sich tragen. In Kanada
Infektion in allen Phasen der            bei ihnen mit einer höheren Kompli-       zeigte sich auch ein Anstieg der Inzi-
Schwangerschaft kann den Fötus           kationsrate einhergeht, identisch zu      denz der HZV-Fälle ohne Impfpro-
schädigen, auch für die Schwange-        Erwachsenen. Frauen mit Kinder-           gramm. Die Daten weisen darauf hin,
ren stellt die Infektion ein höheres     wunsch, die keine Windpocken hat-         dass sich bisher noch nicht identifi-
Risiko als für Nichtschwangere dar       ten, Personal im Gesundheitswesen         zierte Risikofaktoren für HZ ebenfalls
(6,13). Eine passive Immunprophy-        und immunsupprimierte Patienten           im Laufe der Zeit verändern (11). In
laxe durch die Gabe eines Varizella-     sollten ebenfalls geimpft werden.         neueren Untersuchungen aus den
Zoster-Immunglobulin (Varitect® i.v.,    Durch die Impfung wird die Morbidi-       Vereinigten Staaten wurde eine 3-
Varicellon® i.m.) innerhalb von 96       tät der Erkrankung reduziert (13, 14,     bis 12-fach reduzierte Erkrankungs-
Stunden nach Expositionsbeginn bei       15). Eine postexpositionelle Varizel-     häufigkeit an Herpes Zoster nach
seronegativen Frauen ist empfohlen,      lenprophylaxe (Inkubationsimpfung)        Impfung gegen Varizellen gefunden,
ob damit das fetale Varizellensyn-       innerhalb von fünf Tagen nach Expo-       diese würde sogar noch höher aus-
drom verhindert werden kann, ist         sition oder innerhalb von 72 Stun-        fallen, wenn diejenigen Kinder ohne
nicht bewiesen (13). Auch das Neu-       den nach Exanthembeginn kann bei          bereits durchgemachte Varizellen­
geborene sollte nach Geburt passiv       Risikopatienten erwogen werden.           infektion (damit ohne Risiko für
immunisiert und postnatal eng beob-      Leider ist die Zostererkrankung eine      einen Zoster) keine Berücksichtigung
achtet werden und bei Auftreten          seltene Komplikation, die auch nach       finden würden (16). Somit scheint
von Effloreszenzen mit Aciclovir int-    der Impfung gegen Varizellen auf-         das Varizellenimpfprogramm keine
ravenös behandelt werden.                treten kann, in der Literatur sind        negativen Auswirkungen auf das
                                         dazu nur einzelne Fälle beschrieben,      Auftreten des Zosters im Kinder und
Die Varizellen-Schutzimpfung ist in      die aber einen blanden Verlauf zeig-      Jugendalter zu haben. In einer Veröf-
Deutschland für alle Kinder und          ten (7, 8).                               fentlichung von 2005 aus England
Jugendlichen von der Ständigen                                                     wurde gezeigt, dass 51 % der
Impfkommission des Robert-Koch-           Es gibt theoretisch immunologisch        Krankheitsfälle verhindert werden
Institutes (STIKO) seit 2004 und          betrachtet zwei mögliche Folgen          und damit natürlich auch ihre Über-
bereits seit 1998 von der Sächsi-         eines generellen Standard-Impfpro-       tragung. Es konnte sogar gezeigt
schen Impfkommision (SIKO) bei            gramms gegen Varizellen. Erstens:        werden, dass bei Auftreten einer
allen als nichtimmun geltenden Per-       Eine Zunahme der altersspezifischen      Gürtelrose trotz Impfung diese in der
sonen (negative Varizellen Anam-          Inzidenz im höheren Lebensalter bei      Regel deutlich milder und mit weni-
nese, fehlende oder nicht dokumen-        schlechten Durchimmunisierungesra-       ger Komplikationen verläuft. Bei
tierte 2. Impfung) empfohlen. Die         ten oder Nachlassen der Immunität        Auftreten eines Zosters war eine
Impfung sollte im Alter von 11 bis 14     nach Jahrzehnten der Impfung.            Postzosterneuralgie um 66,5 % sel-
Monaten erfolgen, sie kann jedoch         Zweitens: Da nach der Varizellenimp-     tener (12,16).
auch jederzeit danach vorgenommen         fung meist keine Effloreszenzen auf-
werden. Eine zweite Impfung sollte        treten, ist anzunehmen, dass Impfvi-     Eine Impfung gegen Herpes Zoster
nach einem Mindestabstand von             ren in der Regel nicht in die Ganglien   (Zostavax®) im Erwachsenenalter
zwölf Wochen erfolgen. Noch unge-         gelangen und damit auch nicht            wird in Sachsen bereits seit 2010 für
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Kasuistik über eine Herpes-Zoster-Infek- tion eines 8-jährigen Mädchens
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über 50-Jährige (ohne Rücksicht auf     Varizellen-Impfprogramms zu isolie-     Ob sich dadurch auch schwere
eine frühere Erkrankung) empfohlen      ren. Die Beteiligung der verschiede-    Krankheitsverläufe durch eine HZV-
(14), seit 09/2013 ist der Impfstoff    nen Faktoren an der HZV-Epidemio-       Erkrankung vermeiden lassen, muss
auch in ganz Deutschland verfügbar.     logie zu klären, wird eine Herausfor-   durch weitere Untersuchungen ge­­
Die Zosterinzidenz wird dadurch         derung sein. Mittels Impfung der        klärt und untermauert werden.
gesenkt und der Krankheitsverlauf       Verbreitung der Windpocken, entge-
gemildert (19). Derzeit wird die Imp-   gen zu treten, scheint nach derzeiti-   Mit freundlicher Genehmigung der
fung nur von einer gesetzlichen         gem Wissensstand, aus medizini-         Eltern.
Krankenkasse in Sachsen übernom-        scher, epidemiologischer und ethi-                        Literatur beim Verfasser
men. Eine STIKO-Empfehlung liegt        scher Sicht, eine sinnvolle Maß-
                                                                                                 Anschrift des Verfassers:
derzeit noch nicht vor.                 nahme zum Schutz von Säuglingen,
                                                                                                  Dr. med. Sebastian May
Es sind weitere Studien erforderlich,   nicht geschützten Schwangeren und                  Facharzt für Allgemeinmedizin
um mögliche Nebeneffekte eines          nicht immunen Erwachsenen zu sein.              Hünerfeldstraße 13, 04288 Leipzig

Ärzteblatt Sachsen 6 / 2015                                                                                         247
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