KIRCHE IN DER GESELLSCHAFT - gemeinsam neue Wege Engagiert im digitalen Raum - Erzbistum Berlin

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KIRCHE IN DER GESELLSCHAFT - gemeinsam neue Wege Engagiert im digitalen Raum - Erzbistum Berlin
KIRCHE IN
          DER GESELLSCHAFT
01/2021

          gemeinsam       neue Wege        entdecken
           Engagiert im    Engagiert im     Engagiert in der
            Kirchenasyl   digitalen Raum   Stadtentwicklung
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INHALTSVERZEICHNIS

                         02                              04                 08

02 I Vom ersten Spatenstich an
     Kirche in der (Siemens-)Stadt
04 I  Biblisches Engagement
      Kirchenasyl in Berlin-Neukölln
07 I  Schon gewusst?
      Termine und Hinweise
08 I  Das Wichtigste ist Zuhören
      Kinderarmut: Durch Corona deutlich mehr Beratung
10 I Den Mund aufmachen
      Kirchliches Engagement gegen Rechtsextremismus
12 I Auf lange Sicht treu
      Unterstützung und Begleitung von Fundraisingprojekten
14 I  Lichterketten und Osterspaziergang
      Rituale braucht der Mensch
16 I Charlottenburg-Wilmersdorf goes digital
      Elaine Rudolphi – native digital catholic
18 I  Wo zwei oder drei
     In Leitungsteams wird Verantwortung geteilt und Ehrenamt aufgewertet
20 I Nah am Menschen
      Ein Standpunkt von Thomas Greiner
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12                                    16                                   20

Kirche von, in, für Gesellschaft?
Die Beziehung zwischen Kirche und Gesellschaft wird       die Kindertagesstätte, in die mehrheitlich Kinder
von den Katholikinnen und Katholiken im Erzbistum         von Familien gehen, die keine Kirchensteuer zahlen?
Berlin unterschiedlich gedacht, gefühlt und gelebt.       Nimmt die Schule in Trägerschaft des Erzbistums zu-
Die einen werden Kirche eher als Kirche in der Gesell-    erst die Kinder von katholischen Eltern auf oder eine
schaft sehen. Andere sprechen von Kirche und Gesell-      Mischung, wie sie den Anteilen der Katholiken in un-
schaft, als sei Kirche nicht als Teil, sondern getrennt   serer Gesellschaft entspricht?
von der Gesellschaft zu denken und zu gestalten.
Wieder andere sehen die Kirche eher als einen Kon-        Es würde sich lohnen, die pastorale Konstitution
trast und ein Gegenüber zur Gesellschaft.                 des II. Vatikanischen Konzils über „Die Kirche in der
                                                          Welt von heute“ auf die Wirklichkeit unseres Erz-
Diese bewusst oder unbewusst vorgenommenen                bistums hin zu lesen. 2.309 Konzilsväter stimmten
Setzungen bestimmen Haltungen und Handlungen.             damals dafür; 75 dagegen, unter diesen Kardinal
Wer die Kirche eher als außerhalb der Gesellschaft        Alfred Bengsch. Die Skepsis gegenüber der Gesell-
stehend sieht, wird beispielsweise die Kirchensteuer      schaft hat historische Gründe. Bei allem berechtigten
eher wie einen Vereinsbeitrag werten, der mehr oder       Zweifel, dass Kirche von der Gesellschaft gegründet
weniger ausschließlich für das innerkirchliche Leben      wurde, lebt sie doch in der und für die Gesellschaft.
und die Mitglieder der Kirche zu verwenden ist. Wer       Communio bedeutet eben auch: allen Menschen
ein Bild von einer Kirche in der Gesellschaft und für     gönnen, dass Gott in ihnen lebt.
die Gesellschaft hat, wird Kirchensteuermittel im-
mer zum Wohl der ganzen Gesellschaft einsetzen.                           Pater Manfred Kollig SSCC
Dass diese hier nur holzschnittartig gezeichneten                         Generalvikar
Kirchenbilder sich brisant auswirken, zeigt sich dann,
wenn konkrete Fragen anstehen: Verwenden wir die
finanziellen Mittel für „den eigenen Kirchturm“ oder

                                                                                                         Vorwort  01
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Kirchenvorstand Stefan Krögers Herz schlägt für die Kirche und für Siemens.

          Vom ersten Spatenstich an
          Kirche in der (Siemens-)Stadt
          Kulturelle Vielfalt und sozialer Frieden sollen herrschen in der Siemensstadt 2.0,
          so steht’s im Internet. Das Siemens-Gelände liegt zwischen zwei Kirchen:
          St. Joseph und St. Stephanus. Was könnten Christen, die dort Gottesdienste feiern
          und ihr Gemeindeleben pflegen, zu diesem Frieden beitragen?, fragt Kirchen-
          vorstand Stefan Kröger und engagiert sich bei den Planungen zur neuen
          Siemensstadt von Beginn an mit.

          Er ist mit Herzblut dabei. Das spürt, wer Stefan Kröger             Als Kirchenvorstand der Gemeinde St. Joseph Siemens-
          zuhört, wenn er über Kirche in der Stadt, in „seiner“               stadt und Mitglied im Verwaltungsausschuss des Pas-
          Siemensstadt, spricht. Der Leiter des Studiengangs                  toralen Raums Spandau-Nord/Falkensee wirbt er da-
          BWL bei der Siemens AG befasst sich ehrenamtlich mit                für, den rechten Zeitpunkt nicht zu verschlafen. Vom
          dem Zukunftsprojekt Siemensstadt 2.0. Und er über-                  ersten Spatenstich an sollten die Kirchen sich inter-
          legt, was es für die Kirchen bedeutet, wenn durch den               essieren und mitdenken, „also nicht erst aufwachen,
          Neubau von rund 2.800 Wohneinheiten und den Zu-                     wenn alles in Sack und Tüten ist wie damals bei der
          zug von gut 7.000 „Neu-Siemensianern“ das Siemens-                  Gestaltung des Potsdamer Platzes oder der Hafencity
          Areal wächst: Damit dieses Stadtquartier ein lebens-                Hamburg“.
          werter Ort wird, „müssen wir Christen uns doch mit
          unseren Erfahrungen und Ideen einbringen und ja,                    Auf einem 70 Hektar großen Areal in der Siemensstadt
          auch mit unserem Glauben“.                                          sollen Arbeiten, Forschen und Wohnen in Einklang ge-
                                                                              bracht werden. Das wollte man schon bei der Grün-

02  Kirche in der (Siemens-)Stadt
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dung der Siemensstadt, einer „Stadt in der Stadt“ vor      Probleme sensibilisieren und christliche Lösungsan-
mehr als einem Jahrhundert: einerseits ein großflächi-     sätze einbringen.“ Er denkt an Themen wie Gerech-
ger Industriekomplex, andererseits eine nach zeitge-       tigkeit, Menschenrechte, Selbstfürsorge, Arbeitsethik,
nössischem Verständnis moderne Wohnsiedlung mit            Bewahrung der Schöpfung oder künstliche Intelligenz.
dreistöckigen Wohnhäusern, begrünten Höfen und
locker angelegten Straßen – eine deutliche Absage an       Für eine Kirche der Zukunft
die Berliner Mietskasernentristesse.                       Die Siemensstadt 1.0., eine komplette Stadt, wurde
                                                           innerhalb weniger Jahre errichtet, und das auf uner-
„Work-Life-Balance“ heißt das ausgewogene Verhält-         schlossenem Terrain. Das Projekt Siemensstadt 2.0 ist
nis zwischen beruflichen Anforderungen und privaten        auf zehn Jahre angelegt. Da braucht es langen Atem
Bedürfnissen heute. In der Siemensstadt 2.0 werden         und kundige Mit-Denkerinnen und Mit-Denker, damit
neue Produktions- und Forschungseinrichtungen,             Visionen Wirklichkeit werden.
Büro- und Gewerbeflächen – zum Beispiel für Start-
Ups und Softwareentwickler – entstehen. Parallel           Stefan Kröger hat neben dem Erzbistum, der Caritas
dazu sind Kitas, eine Grundschule, Einkaufsmöglich-        und der Ökumene auch die Katholische Hochschule
keiten, Spiel- und Sportplätze, eine öffentliche Biblio-   für Sozialwesen Berlin ins Boot geholt. Am dortigen
thek, Hotels, Restaurants und Grünanlagen geplant.         Institut für Religionspädagogik und Pastoral werden
                                                           Konzepte entwickelt, wie die Präsenz der Kirchen am
Christliche Impulse im neuen Kiez                          neuen Standort aussehen könnte, was sich Neu- wie
Stefan Kröger stellt die Frage: „Was haben die Neu-        Altbürger von den Christen wünschen und wie der kul-
Siemensstädter davon, dass im Norden Spandaus und          turelle und soziale Frieden gefördert werden kann.
in Falkensee Christen leben?“ Er ist überzeugt: Ein
friedliches Miteinander wird möglich, „wenn wir auf-       Am Projekt Siemensstadt 2.0 seien nicht nur die Gre-
einander zugehen, miteinander reden, uns kennen-           mien der Gemeinde St. Joseph interessiert, betont Ste-
lernen“. Und der Betriebswirt hat eine Vision – ein Be-    fan Kröger: „Alle Gemeinden des Pastoralen Raumes
gegnungszentrum. Möglichst in der Mitte des neuen          Spandau-Nord/Falkensee signalisieren Bereitschaft,
Standorts, etwa in der Nähe des Schaltwerk-Hochhau-        sich ihren Möglichkeiten entsprechend einzubringen.“
ses. Ein Raum für alle, für Familien und Singles, Mitar-   Das habe auch mit der Hoffnung zu tun, so ein Begeg-
beitende und Studierende, für Kinder wie für Senioren.     nungszentrum könne wie ein Leuchtturm in den ge-
In einem offenen Begegnungszentrum können Nach-            samten Pastoralen Raum ausstrahlen, neuen Schwung
barn sich treffen, miteinander reden, praktische Tipps     bringen, um Kirche für die Zukunft fit zu machen.
austauschen, Feste feiern, Kultur erleben. Und viel-
leicht „selber Spaß finden am Mitgestalten des Kiezes,     Der Pfarrer von St. Joseph, Dr. Hans Hausenbiegl, ver-
damit es schön wird“, das würde Stefan Kröger freuen.      weist in diesem Zusammenhang auf die Enzyklika
                                                           „Fratelli tutti“ von Papst Franziskus über „Geschwis-
Als Träger einer solchen Begegnungsstätte sieht er ne-     terlichkeit und soziale Freundschaft“ (2020). Darin for-
ben den Kirchen die Wohlfahrtsverbände mit ihren Be-       dert der Papst die Christen auf, dorthin zu gehen, wo
ratungsangeboten. „Vielleicht könnte sogar eine kleine     sie ihre Geschwister treffen – die am Rande wie die in
Kita integriert werden.“ „Unbedingt“ gehört für ihn        der Mitte der Gesellschaft.
ein Raum der Stille, der Kontemplation dazu, „in dem
Menschen in der ‚Rushhour des Lebens‘ einmal runter-       „Ist doch möglich, dass eine Schwester, ein Bruder
schalten dürfen, ihre psychische Widerstandsfähigkeit      durch das Handeln und Reden von Christen irgend-
stärken und den inneren Akku aufladen können“.             wann neugierig wird auf Gott und der Glaube Raum
                                                           gewinnt“, hofft Stefan Kröger. „Ja, ich habe ein Herz für
Neben ihrer hohen Sozialkompetenz sollten die Kir-         die Kirche und eins für Siemens“, sagt er und lacht.
chen auch Partner im gesellschaftlichen Diskurs sein,
wünscht Stefan Kröger sich: „Wir könnten für ethische                                               Juliane Bittner

                                                                                       Kirche in der (Siemens-)Stadt  03
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Karim gibt gern etwas zurück und teilt Essen an Obdachlose aus.

          Biblisches Engagement
          Kirchenasyl in Berlin-Neukölln
          Die Pfarrei Heilige Drei Könige in Berlin-Neukölln engagiert sich im Kirchenasyl.
          Dafür erhielt das „Forum Asyl“ der Pfarrei in diesem Jahr den Dreikönigspreis des
          Diözesanrats der Katholiken. Doch was ist eigentlich Kirchenasyl?

          Karim, 21 Jahre alt, lächelt etwas verlegen und sagt:      hörden ihn nach Afghanistan zurückschicken. Karim
          „Ich wohne in der Kirche in der Nansenstraße bei Lissy     schlug sich nach Deutschland durch und fand Asyl in
          und Kalle, und ich habe eine nette Familie in der Kirche   den Räumen von St. Christophorus am Reuterplatz.
          gefunden.“ Mit Kalle ist Pallottinerpater Karl Hermann     Hier ist er geschützt.
          Lenz, langjähriger Priester in der Gemeinde St. Chris-
          tophorus und jetzt in der Pfarrei Heilige Drei Könige      Lissy Eichert vom „Forum Asyl“ skizziert die Ursprünge
          gemeint; mit Lissy die Pastoralreferentin der Pfarrei,     des Kirchenasyls: „Wenn jemand verfolgt war und sich
          Lissy Eichert. Auch sie gehört der Pallottinischen Ge-     an einen heiligen Ort retten konnte, hielt das erst ein-
          meinschaft an.                                             mal die Verfolger ab. Und so konnte geklärt werden,
                                                                     worum es geht und was zu tun ist. In dieser Tradition
          Karim stammt aus Afghanistan. Mit 14 ist er aus sei-       gilt eine Kirche als heiliger Raum, als Schutzort für Ge-
          nem Heimatland geflüchtet, landete nach anderthalb         flüchtete – bis heute.“
          Jahren Flucht mit all ihren Schrecken zunächst in Finn-
          land. Als unbegleiteter Jugendlicher kam er dort in ein    Kirchenasyl ist jedoch kein Ersatz für das staatliche
          Kinderheim. Als er 18 war, wollten die finnischen Be-      Asylverfahren, denn die Kirche kann weder einen Auf-

04  Kirchenasyl
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Eine Anerkennung dieser Gründe durch das BAMF
                                                             sei schwierig, weiß Lissy Eichert vom „Forum Asyl“:
                                                             „Die aktuelle politische Situation sieht so aus, dass
                                                             die allermeisten Härtefalldossiers abgelehnt wer-
                                                             den und deswegen die Kirche entscheiden muss:
                                                             Entlassen wir die Person jetzt aus dem Kirchenasyl
                                                             oder behalten wir sie solange bei uns, bis die Rück-
                                                             überstellungsfrist abgelaufen ist. Das heißt: Die Kir-
                                                             che muss jetzt tapfer sein und sagen: Wir machen’s
                                                             trotzdem.“

                                                             Wird das Kirchenasyl nach den sechs Monaten nicht
                                                             beendet, verlängert es sich um weitere 12 Monate. Im
                                                             Höchstfall verbringt ein Schutzsuchender also bis zu
                                                             18 Monaten im Kirchenasyl. „18 Monate lang sollte
enthaltstitel verleihen noch jemandem zum Asyl in            Karim sich nach Möglichkeit nur auf dem Gelände von
Deutschland verhelfen. Vielmehr gehe es darum, eine          St. Christophorus aufhalten, also nicht alleine zum
bereits getroffene Entscheidung über eine Abschie-           Arzt gehen oder zum Einkaufen oder mal joggen – er
bung nochmal zu überdenken. Dafür werde mit dem              darf nichts, nicht mal hier sein. Das ist Lockdown pur,
Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) ver-          ein Skandal, gegen den die Kirchenasylbewegung in
handelt, „um zu klären, welche humanitären Gründe            ganz Deutschland protestiert.“
einer Abschiebungsentscheidung entgegenstehen
könnten“, so Michael Haas-Busch vom „Forum Asyl“.            Wichtig sei es, in den Monaten der Ausgangssper-
                                                             re Deutsch zu lernen, sagt Lissy Eichert. Aber ebenso
Letzte Chance im Einzelfall                                  wichtig ist die psychotherapeutische Begleitung, „um
In vielen Fällen ist nicht die Abschiebung in das Hei-       die Fluchtgeschichte professionell zu bearbeiten, zu
matland gemeint, sondern zunächst in das europäi-            sehen, was Karim den ganzen Tag macht, wie er sich
sche Land, in dem die geflüchtete Person zuerst einen        fühlt in seinem zwar geschützten aber stark einge-
Asylantrag gestellt hat. Teil des sogenannten Dublin-        grenzten Raum“.
Verfahrens ist es, die Person in dieses Ersteintrittsland
zurückzuführen. Humanitäre Gründe, die gegen eine            An der Seite der Ungehörten
Rückführung sprechen, sind beispielsweise Obdachlo-          Viele Schutzsuchende fragen nach Kirchenasyl. Des-
sigkeit, Perspektivlosigkeit, Armut, wenn in dem Land        halb wünschen sich die Mitglieder vom „Forum Asyl“,
Zwangsprostitution, Menschenhandel oder in den               dass sich noch mehr Gemeinden dazu bereit erklären.
Unterkünften für Geflüchtete menschenunwürdige               Oder mehrere Gemeinden sich zusammentun, um
Bedingungen herrschen.                                       eine Person oder eine Familie im Kirchenasyl zu unter-
                                                             stützen. „Eine Gemeinde muss sich nicht alleine um
Ist die Abschiebung angeordnet, beginnt eine sechs-          alles kümmern“, betont Michael Haas-Busch, „und sie
monatige Frist, in der die Person in dieses Ersteintritts-   steht auch nicht alleine da. Im Erzbistum Berlin wur-
land zurückgeführt werden muss. Verstreicht diese            de ein Flüchtlingsfonds eingerichtet; die Kooperation
Frist, wird die Bundesrepublik Deutschland zuständig.        mit Erzbistum, Caritasverband und Katholischem Büro
Um die drohende Abschiebung zu verhindern, wird              funktioniert gut.“
nun vom „Forum Asyl“ gemeinsam mit dem Katholi-
schen Büro Berlin-Brandenburg ein „Härtefalldossier“         Erzbischof Dr. Heiner Koch unterstützt das Engage-
erstellt, in dem Gründe für den humanitären Einzelfall       ment von „Forum Asyl“ sowie aller Gemeinden, die
dargelegt sind.                                              ihre Räume für das Kirchenasyl öffnen: „Als Kirche
                                                             haben wir den Auftrag, für den Schutz von Verfolgten

                                                                                                          Kirchenasyl  05
KIRCHE IN DER GESELLSCHAFT - gemeinsam neue Wege Engagiert im digitalen Raum - Erzbistum Berlin
und Bedrängten zu sorgen. In besonderer Weise gilt
         dies für Personen, die von Menschenrechtsverletzun-
         gen bedroht sind oder verfolgt werden. Es ist ein Zeug-
         nis unseres Glaubens, an der Seite derer zu stehen,
         die keine Stimme haben.“ „Sehr stolz“ sei er auf das
         Engagement, mit dem viele Gemeinden im Erzbistum
         sowie Einzelne Geflüchtete unterstützen.
                                                                       Kerollous Shenouda bei der Ausgabe von
                     Ich lade alle unsere                              Lebensmittelgutscheinen.

               Pfarreien ein zu prüfen, ob
              auch sie sich durch Gewäh-
                                                                           An den Brennpunkten
                rung von Kirchenasyl oder
                   durch andere Unterstüt-
                                                                             menschlicher Not
                zung Geflüchteter für eine                             Der Jesuiten-Flüchtlingsdienst (JRS) ist dafür be-
                                                                       kannt, an Brennpunkten menschlicher Not ganz
               Umsetzung des Evangeliums                               konkret aus dem Glauben zu leben und zu handeln.
                       einsetzen können.                               Hilfesuchende können Angebote wie Rechtsbera-
                                                                       tung oder die Betreuung in der Härtefallberatung in
                        Erzbischof Dr. Heiner Koch                     Anspruch nehmen. Auch in der Covid-19-Krise ist der
                                                                       JRS eine Anlaufstelle für vielfältige Anliegen.

         Kirchenasyl ist und bleibt – ganz jesuanisch – ein Stein
                                                                       Die Corona-Pandemie stellt viele, gerade ärmere,
         des Anstoßes, bestätigt Lissy Eichert: „Doch selbst           Menschen vor große Herausforderungen. Wenn sie
         Hardliner, die skeptisch sind, ob wir hier Recht bre-         ihre Arbeitsstelle verlieren oder durch Kurzarbeit ih-
         chen, sagen uns: Grundsätzlich sind wir ja nicht für          ren Lebensunterhalt kaum noch bestreiten können,
         Kirchenasyl, aber für diesen konkreten Fall müssen            sind sie auf Hilfe angewiesen.
         wir mal eine Ausnahme machen. Und das ist doch ein
                                                                       „Als Ausländer habe ich viel in dieser Gesellschaft
         Gewinn: zu sehen, wir haben ein gute Rechtsordnung,
                                                                       gelernt. Wenn ich etwas brauchte, fand ich immer
         und trotzdem sind Recht und Gerechtigkeit nicht im-           Unterstützung. Daher ist jetzt für mich die Zeit, um
         mer das Gleiche. Es gibt Situationen, da fallen Men-          anderen zu helfen“, sagt Kerollous Shenouda, der
         schen durchs Raster.“                                         Initiator der Aktion „JRS hilft”.

         Karim, der in Finnland auf der Straße leben musste,           Er und sein Team kennen schwierige Situationen und
                                                                       möchten mit ihrem ehrenamtlichen Engagement
         ist dankbar für die Fürsorge, die er erlebt hat, und gibt
                                                                       beim JRS danke sagen für die Aufnahme hier in in
         gern etwas zurück: „Ich teile Essen für Obdachlose            Deutschland und die Unterstützung, die sie erhiel-
         aus, in der Kirche St. Richard und am Bahnhof Zoo. Ich        ten. Im April des letzten Jahres begannen sie mit der
         mag Leuten helfen und fühle mich sehr gut.“                   Ausgabe von Lebensmittelgutscheinen für beson-
                                                                       ders Bedürftige. Dank der Hilfe des Flüchtlingsfonds
                                                     Juliane Bittner   des Erzbistums Berlin und vielen privaten Spenden
                                                                       konnte das Team bisher für mehr als 115 Familien
                                                                       und 50 Einzelpersonen ein Lichtstrahl in der Not sein.

                                                                       Einzelne Personen unterstützen sie mit Lebensmittel-
                      Jana Gieth von pallotti media® hat               Gutscheinen im Wert von 40 € monatlich, Familien bis
                      einen Film zum Thema produziert.                 zu 120 € monatlich. Helfen auch Sie mit Ihrer Spende!
                      Er ist zu sehen unter:
                      www.erzbistumberlin.de/fluechtlinge                   Jesuiten-Flüchtlingsdienst
                                                                            „JRS hilft“
                                                                            IBAN: DE05 3706 0193 6000 4010 20
                                                                            BIC: GENODED1PAX

06  Kirchenasyl
KIRCHE IN DER GESELLSCHAFT - gemeinsam neue Wege Engagiert im digitalen Raum - Erzbistum Berlin
Schon gewusst?

Kita-Zweckverband                             Mein T_Raum                             TEO goes digital
Die rund 70 katholischen Kitas im             Damit Träume wahr werden kön-           Erlebnispädagogik digital – kann
Erzbistum Berlin sind wichtige und            nen, brauchen junge Menschen            das funktionieren? Die aktuelle
lebendige Orte kirchlichen Lebens.            einen Raum, in dem sie sich mit         Situation mit geschlossenen Schu-
Ein großer Teil der neuen Pfarreien           sich selbst auseinandersetzen, die      len, dem Verbot von Klassenfahr-
wird für bis zu fünf Kitas zustän-            Zukunft in den Blick nehmen und         ten und beschränkten Gruppengrö-
dig sein. Das fordert Haupt- und              sich für die nächsten Schritte Ori-     ßen macht eine neue Form von TEO
Ehrenamtliche zeitlich und fachlich           entierung holen können. Solch ein       möglich: digital. Anleitung erfolgt
heraus, vor allem auch wegen der              Umfeld soll das christliche Orien-      über den Bildschirm, Durchfüh-
stark gewachsenen Anforderungen               tierungsjahr „T_Raum“ bieten: Ein       rung in der Schule oder zu Hause.
an Kita-Träger. Der Aufbau eines ka-          Jahr Freiwilligendienst im Christi-     Je nach Methode/Zielsetzung/Ziel-
tholischen Kita-Zweckverbandes im             an-Schreiber-Haus in Alt-Buch-          gruppe.
Erzbistum Berlin soll die Pfarreien           horst wird mit Auslandserfahrun-
von Trägeraufgaben entlasten und              gen und spirituellen Angeboten          Alles eine Frage der Absprache:
sicherstellen, dass die pastorale Ein-        angereichert.                           www.teoberlin.de
bindung in den Sozialraum der Pfar-

                                                                                                                      ine
rei gestärkt wird. Angestrebt wird, im        Start für das Orientierungsjahr ist

                                                                                                      Term
Jahr 2023 erste katholische Kitas in          der 01.09.2021. Bewerben können
den Zweckverband zu übernehmen.               sich junge Menschen zwischen 18
Kirchengemeinden mit Kitas in ihrer           und 27 Jahren, die für 12 Monate
Trägerschaft werden über das wei-             – als Bundesfreiwilligendienst –
                                                                                                            stalten
tere Vorgehen konkret informiert              ihren persönlichen T_Raum leben                  Gemeinsam ge
                                                                                                              en
und beim Aufbau eingebunden.                  möchten, bis zum 15.05.2021.
                                                                                                und entscheid
                                                                                                                   21, 10 bis 17 Uhr
                                                                                           Samstag, 17. April 20
Ansprechbar für die „Steuerungs-              Seinen Traum ausleben unter:                                         gstag für kirchliche
                                                                                           Digitaler Qualifizierun
gruppe Kita“ ist Markus Weber:                www.mein-t-raum.de                                                     bistum Berlin
                                                                                              Gremienarbeit im Erz
projekte-und-                                                                                          Anmeldung unter:
prozesse@erzbistumberlin.de                                                                                       rlin.de/qualifizierung
                                                                                           www.dieoezesanrat-be

            Shalom –                                                       Shalom –
        Jüdische Filmtage                                              Jüdischer Imbiss
                                                              23. bis 29. August 2021, jew
  23. bis 29. August 2021, 17 und 20 Uhr                                                  eils 12 bis 20 Uhr
          Bürgergarten Stralsund,                                        Bürgergarten Stralsund,
                                                                    Knieperdamm 80b, 18435 Stra
     Knieperdamm 80b, 18435 Stralsund                                                             lsund
         Gezeigt werden Filme über                                     Koscheres Essen für jedermann
                                                                                                     .
       gegenwärtiges jüdisches Leben.                                       Projekt BDKJ Berlin
     Der Eintritt ist frei. Projekt BDKJ Berlin                                                                      Termine  07
KIRCHE IN DER GESELLSCHAFT - gemeinsam neue Wege Engagiert im digitalen Raum - Erzbistum Berlin
Das Wichtigste ist Zuhören
       Kinderarmut: Durch Corona deutlich mehr Beratung
       Martina Nowak arbeitet im Caritas-Beratungszentrum in Berlin-Lichtenberg.
       Sie berät in der Allgemeinen Sozialen Beratung seit acht Jahren Familien,
       die von Armut betroffen sind. Aber wie geht es diesen Eltern und Kindern
       in der Corona-Pandemie eigentlich?

       F rau Nowak, Sie arbeiten seit 2012 mit                Wie viele Familien beraten Sie zurzeit
        Familien. Sicher haben Sie seitdem auch mit            und woher kommen sie?
        dem Thema Kinderarmut zu tun?                          Pro Monat habe ich etwa 90 sogenannte „Klientenkon-
       Ja. Hier in Lichtenberg war seit Beginn meiner Tätig-   takte“. Dabei wird aber nicht unterschieden zwischen
       keit das Thema alleinerziehende Familien ein Schwer-    Personen, die zum ersten Mal kommen und denjeni-
       punkt. Damit ist nicht gemeint, dass Alleinerziehende   gen, die mehrfach die Beratung nutzen. Die meisten
       und ihre Kinder per se arm sind. Aber es besteht ein    Familien, die ich berate, kommen aus Lichtenberg oder
       hohes Risiko, dass diese Kinder Armut erleben, wenn     dem Ortsteil Hohenschönhausen. Auch aus Friedrichs-
       hinzukommt, dass die Eltern arbeitslos sind oder le-    hain und Treptow finden einige Menschen in unsere
       diglich über ein kleines Einkommen verfügen. Damit      Beratungsstelle. Insbesondere in Hohenschönhausen
       hängt oft zusammen, dass die Wohnlage schlecht, die     leben viele Familien, die auf das Jobcenter angewiesen
       Wohnung zu klein ist, dass Freizeitgestaltungsmög-      sind. Darunter gibt es viele geflüchtete oder zugewan-
       lichkeiten nicht finanzierbar sind oder Bildung nicht   derte Menschen. Auch die Zahl der Alleinerziehenden
       bezahlt werden kann.                                    ist in den Hohenschönhausener Hochhaussiedlungen
                                                               verhältnismäßig hoch.

08  Kinderarmut
Kommen mehr Familien zu Ihnen, seit die                     wiederum fühlt sich mit der Beschaffung der not-
Corona-Pandemie ausgebrochen ist?                           wendigen Leihgeräte überfordert bzw. ist zu schlecht
Ja, durch den ersten Corona-Lockdown sind deutlich          mit Technik ausgestattet. Das Dilemma im Land Ber-
mehr Familien zu mir in die Beratung gekommen. So           lin liegt in der Hauptsache darin, dass die Jobcenter
etwa ab Juli 2020 hat sich die Lebenssituation von vie-     auf die Lernmittelfreiheit des Berliner Schulsystems
len verschlechtert. Es entstehen oftmals ganze „Pro-        verweisen, die Schulverwaltung jedoch die Schüler
blem-Pakete“ aus Mietschulden, Schulden aus der             nicht mit den nötigen Geräten ausstattet. Ich habe
Anschaffung eines PCs für Schulkinder oder dadurch,         Beihilfen für notwendige Schul-PCs ausschließlich
dass der Kindesvater keinen Unterhalt mehr beisteu-         über Stiftungsgelder organisieren können – entwe-
ert. Das heißt, die Probleme sind durch Corona viel-        der über den Nothilfe-Fonds der Caritas Gemein-
schichtiger geworden.                                       schaftsstiftung, über das Bonifatiuswerk oder andere
                                                            Privat-Stiftungen.
Wie erleben Sie die Familien, die von Armut
betroffen sind, in den letzten Monaten?         Inwiefern helfen Sie den Familien
Während des ersten Lockdowns habe ich über eine auch auf mentaler Ebene?
Kirchengemeinde kurzfristig eine kleine Spenden-            Das Wichtigste in meiner Beratung ist es erst einmal,
aktion gestartet für von Armut betroffene Familien.         zuzuhören. Das schätzen die Familien – auch die Tat-
Bei der Auszahlung der Spendengelder habe ich eine          sache, dass ich während der Lockdowns weiterhin
sehr große Erleichterung erlebt. Die Familien konn-         persönlich für sie ansprechbar war. Ich spreche Über-
ten dadurch zum Beispiel PCs für das Homeschooling          forderung und Erschöpfung bei meinen Gesprächen
anschaffen oder ihren Kindern einfach mal ein neues         ganz offen an. Wenn ich spüre, eine Depression oder
Spielzeug kaufen. Jetzt erlebe ich die Leute müde von       eine Angsterkrankung könnte bei jemandem eine Rol-
der Belastung und sie fühlen sich sehr hilflos, weil es     le spielen, thematisiere ich das. Ich biete ein Gespräch
so lange dauert und weil es schwierig ist, Kontakte zu      darüber an, wenn die Menschen es möchten.
den Ämtern zu halten. Ich helfe dabei, den Kontakt
zwischen den Familien und den Behörden aufrechtzu-          Was müsste sich für von Armut
erhalten. Einige Eltern entwickeln Ängste, ihre Kinder      betroffene Familien ändern?
weiter in die Schule zu schicken. Sie machen sich gro-      Glücklicherweise wird es in der Öffentlichkeit aktuell
ße Sorgen um die Gesundheit der Kinder und der Fa-          weitestgehend so wahrgenommen, wie es ist: Corona
milie. Diese Ängstlichkeit und Unsicherheit überträgt       trifft die Schwächsten der Gesellschaft am stärksten.
sich merklich auf die Kinder. Sie sind verunsichert, lei-   Behörden und Einrichtungen entwickeln Ideen, wie
den unter Kopfschmerzen oder Bauchweh, ziehen sich          Familien, die von Armut bedroht sind oder in Armut le-
zurück oder oder zeigen vermehrt Gereiztheit und Ag-        ben, besser erreicht werden können. Behördensprache
gressionen. Gerade die Kinder haben viel auf einmal         zum Beispiel macht vielen Menschen Angst, weil sie
zu bewältigen: Die Ängstlichkeit der Eltern, die be-        schwer zu verstehen ist. Die Behörden müssen einen
engten Wohnverhältnisse, die Schwierigkeiten in der         viel einfacheren Kontakt möglich machen. Es braucht
Schule, eingeschränkte Freizeitmöglichkeiten.               mehr wohlwollende Erklärung und Beratung.

Woran fehlt es in den Familien und                                            Das Gespräch führte Christina Kölpin
bei den Kindern am meisten?
Momentan fehlt es den Familien mit schulpflichti-
gen Kindern vor allem an technischer Ausrüstung.                             Martina Nowak, Diplom
Leider haben alle Jobcenter die Anträge auf einen                            Sozialpädagogin/Sozialarbeiterin
Zuschuss für einen Schul-PC abgelehnt, die ich zu-                           Allgemeine Soziale Beratung
sammen mit den Familien gestellt hatte. Auch ein                             Caritas-Beratungszentrum
Widerspruch wurde abgelehnt. Die Jobcenter verwei-                           Tel. 030 666 34 05-00/-11
sen darauf, dass die Schule zuständig sei. Die Schule                        asb-fennpfuhl@caritas-berlin.de

                                                                                                         Kinderarmut  09
Ulrich Höckner vertritt seine Pfarrei im Diözesanrat und leitet die AG „Gegen Rechtsextremismus“.

          Den Mund aufmachen!
          Kirchliches Engagement gegen Rechtsextremismus
          in Brandenburg und Vorpommern
          „Der Widerstand gegen Rechtsextremismus und Rechtspopulismus ist für uns Pflicht
          und Auftrag“ heißt es in einem Grundlagenbeschluss der Vollversammlung des
          Diözesanrats vom September 2020. Als Christinnen und Christen müsse die Würde
          jedes einzelnen Menschen im Zentrum des Denkens und Handelns stehen.
          Dafür machen sich auch Ulrich Höckner und Sabine Arend stark.

          Ulrich Höckner engagiert sich seit vielen Jahren                         Einheimischen und Geflüchteten, um Ängste und Vor-
          gegen rechtsextreme Strukturen. Er lebt in einem                         urteile abzubauen, denn Gott kennt keine Ausländer.“
          kleinen Dorf in der Nähe von Anklam in Vor-                              Höckner vertritt seine Pfarrei im Diözesanrat und leitet
          pommern und leitet hauptberuflich ein Caritas-                           dort die AG „Gegen Rechtsextremismus“. Er kritisiert,
          Regionalzentrum: „Das Problem Rechtsextremismus                          dass in den letzten Jahren immer häufiger herabwür-
          ist nicht nur die Sache von Polizei oder Verfassungs-                    digende Sprüche, Beleidigungen in den Parlamenten
          schutz und lässt sich nicht durch Debatten in den Par-                   und in der klassischen Mittelschicht geäußert werden:
          lamenten lösen, sondern wir selbst, als Kirche, müssen                   „Ich möchte, dass die Menschen in meiner Heimat
          uns engagieren. Daher sind wir vor Ort in die politisch-                 wissen, dass wir als Kirche aus christlicher Überzeu-
          sozialen Netzwerke der Region gegen Rechtsextremis-                      gung an der Seite der Schwachen und Ausgegrenzten
          mus eingebunden und versuchen auch immer wieder,                         stehen, dass die Würde eines jeden Menschen zu ach-
          mit einzelnen Demokratie-Projekten Zeichen zu set-                       ten und zu schützen ist. Anderen Menschen zu helfen
          zen. Wir schaffen z. B. Begegnungsmöglichkeiten von                      ist doch der Kern unserer christlichen Botschaft.“

10  Gegen Rechtsextremismus
Gemeinden im Erzbistum Berlin vor. Am Weltflücht-
                                                                   lingstag, dem 20. Juni 2021, bietet die AG an, vor Ort
                                                                   Sonntagsgottesdienste mitzugestalten. Zum einen ist
                                                                   sie dabei, eine Predigtvorlage zu erarbeiten und zur Ver-
                                                                   fügung zu stellen. Zum anderen können Gemeinden
                                                                   gleich den Prediger und ein anschließendes Gespräch
                                                                   „buchen“. Immer angepasst an die gelebte Praxis vor
Sabine Arend arbeitet in der Mahn- und Gedenkstätte Ravensbrück.
                                                                   Ort. Für Arend sind solche Formate der richtige Weg:
                                                                   „Das christliche Menschenbild ist wichtiger Kompass
  Gut vernetzte katholische Gemeinden können in ihren              und Leitfaden für unser konkretes Denken und Han-
  Dörfern, Städten und Kiezen zu Ansprechpartnern für an-          deln. Es kann uns immer wieder stärken auf unserem
  dere zivilgesellschaftliche Akteurinnen und Akteure wer-         Weg, uns für ein tolerantes und respektvolles Mitein-
  den. Die Bündnisarbeit hat gerade im ländlichen Raum             ander in unserer Gesellschaft einzusetzen. Machen Sie
  eine große Bedeutung, um entsprechende Mitstreiterin-            in Ihren Gemeinden Ihre Pfarrer auf das Angebot auf-
  nen und Mitstreiter zu finden und zu stärken. Einerseits         merksam, organisieren Sie Predigtgespräche nach dem
  müsse man sich über das Vorgehen und die Taktiken                Gottesdienst. Kommen Sie miteinander ins Gespräch,
  von Rechtsextremen gut informieren, andererseits dürfe           kommen Sie mit uns ins Gespräch. Laden Sie uns ein!“
  man darüber nicht den Mut und die Zuversicht verlieren.
  „Es geht auch darum, bei menschenfeindlichen und ras-                                                       Marcel Hoyer
  sistischen Äußerungen im Alltag den Mund aufzuma-
  chen und zu widersprechen“, findet Höckner.
                                                                      Informiert und engagiert
  Strahlkraft von Glaubenszeugen                                      gegen Rechtsextremismus
  Im Pastoralkonzept des Pastoralen Raums Fürsten-
  berg-Neuruppin wird das ehemalige Konzentrations-                   In der AG „Gegen Rechtsextremismus“ des
  lager Ravensbrück nicht nur als ein Ort schlimmster                 Diözesanrats erlebt man eine spannende Mi-
  Verbrechen, sondern auch als ein Ort besonderer                     schung aus persönlichem Engagement und
  christlicher Glaubenszeugnisse erwähnt. Aber kann                   fachlicher Expertise. Mitglieder der Vollver-
  das heutige Engagement gegen Rechtsextremismus                      sammlung des Diözesanrats, Mitarbeitende
  hier ein historisches Fundament finden? Dr. Sabine                  aus dem Erzbischöflichen Ordinariat und aus
  Arend vertritt den Pastoralen Raum im Diözesanrat                   der Caritas arbeiten genauso mit wie externe
  und leitet im Hauptberuf die museologische Samm-                    Kooperationspartnerinnen und -partner. Ziel
  lung der Mahn- und Gedenkstätte Ravensbrück. Sie                    der AG-Mitglieder ist es, für die Gefahren des
  sagt: „Erinnern und Gedenken können dazu anregen,                   Rechtsextremismus auf unterschiedlichen Ebe-
  über menschenverachtende Ideologien und Praktiken                   nen zu sensibilisieren und mögliche Gegenstra-
  wie Antisemitismus oder Rassismus in der Gegen-                     tegien zu entwickeln. Regelmäßig konzipiert
  wart nachzudenken.“ Menschen wie die Ordensobere                    und berät die AG Vorlagen für die Vollversamm-
  Sr. Marie Elisabeth von der Heiligen Eucharistie (Élise             lung des Diözesanrats oder plant konkrete Pro-
  Rivet), die jüdischen Kindern und Verfolgten in der NS-             jekte wie Predigtreihen, Demo-Teilnahmen und
  Zeit in den Klöstern ihrer Gemeinschaft Schutz bot,                 Fortbildungsveranstaltungen. Dabei steht die
  können als Glaubenszeuginnen in Wort und Tat bis                    Rückbindung an die Pfarreien, Gemeinden und
  in die Gegenwart ausstrahlen. Zentraler Bezugspunkt                 katholischen Verbände im Fokus der AG.
  seien die universellen Menschenrechte.
                                                                      Interessierte für eine Mitarbeit in der AG
  Die AG „Gegen Rechtsextremismus“ des Diözesanrats                   „Gegen Rechtsextremismus“ können
  bereitet gerade unter dem Titel „Klar Position bezie-               sich gern melden
  hen für Menschenrechte“ ein neues Angebot für die                   dioezesanrat@erzbistumberlin.de

                                                                                                 Gegen Rechtsextremismus  11
Auf lange Sicht treu
        Unterstützung und Begleitung von Fundraisingprojekten
        Das Fundraising wird im Erzbistum Berlin fest in der Struktur verankert.
        Davon profitieren zuallererst die Pfarreien und Gemeinden, denn Uta Bolze
        unterstützt sie tatkräftig bei ihren Vorhaben, wenn es darum geht,
        Menschen für ein gutes Projekt zu begeistern.

        Wenn die kleinste katholische Gemeinde im Erzbistum        gen, und ab Mai dieses Jahres ist das Fundraising fest
        Berlin die Idee zur Errichtung eines neuen Gemeinde-       in der Struktur des Erzbischöflichen Ordinariats veran-
        und Begegnungszentrums hat, dann ist auch Uta Bol-         kert. Aber dreht sich denn eigentlich alles immer nur
        ze zur Stelle, um das Projekt zu unterstützen und zu       ums Geld? Die Mutter zweier Kinder lacht: „Zum The-
        begleiten. Denn hier geht es nicht nur um Steine und       ma Fundraising hat jeder eigene Bilder im Kopf. Und
        Beton, sondern vor allem auch darum, wie dieses neue       natürlich hat das immer irgendwie mit Geld zu tun –
        Haus mit Leben gefüllt werden kann, welche Impulse in      etwas anderes zu behaupten wäre Quatsch. Aber
        die Gesellschaft getragen werden. Und damit das Erfolg     Fundraising bedeutet für mich sehr viel mehr.“ Es hat
        hat, müssen Kontakte geknüpft, Fürsprecher gefunden        für sie keinen Selbstzweck, und Kirche habe einen be-
        und Fördermittel beantragt werden. Um das Ganze auf        sonderen Auftrag, nämlich Beziehungen herzustellen
        professionelle Beine zu stellen, startete Müncheberg im    und in der Zivilgesellschaft zu wirken.
        April 2017 als eines von fünf Modellprojekten im Bereich
        Fundraising, und Uta Bolze begleitet die Fundraising-      Am besten im Team
        Entwicklung im Erzbistum Berlin seither mit. Im Fund-      Welche Projekte benötigen Unterstützung, wie kommu-
        raising ist die Betriebswirtin schon lange unterwegs,      niziert man diese Projekte, was sind die Zielgruppen? –
        zunächst ehrenamtlich im Förderverein eines Hospizes,      das sind ihrer Ansicht nach die grundsätzlichen Fragen,
        später im Deutschen Hospiz- und Palliativverband, für      die gestellt werden müssen. Der nächste Schritt ist dann
        den sie die Gründung einer Stiftung zur Unterstützung      die Überlegung, was genau gebraucht wird: Zeit, Geld,
        schwerkranker und sterbender Menschen und ihrer An-        Kontakte? Im kirchlichen Bereich steht die Fundraiserin
        gehörigen in Deutschland initiierte. Die neue Stelle zur   vor einer besonderen Herausforderung: Sie muss auch
        Begleitung der fünf Modellprojekte war ihr wie auf den     dem Argument begegnen, dass es für kirchliche Projekte
        Leib geschneidert. Inzwischen sind vier Jahre vergan-      doch eigentlich die Kirchensteuer gäbe. „Aber unabhän-

12  Fundraising
gig von der finanziellen Unterstützung eines Projektes
hat Fundraising auch immer etwas damit zu tun, Men-
schen für ein Projekt zu begeistern, und das kann man
über Kirchensteuermittel gar nicht steuern“, gibt sie zu
bedenken.

Zu ihren Aufgaben gehört es, Gemeinden, Pfarreien,
Orte kirchlichen Lebens zu unterstützen, die Projek-
te planen, bei denen klar ist, dass die Kirchensteuer-         Projekte teilen
mittel nicht ausreichen werden. Dann analysiert die            Herzliche Einladung an die Gemeinden, von
49-Jährige gemeinsam mit allen Beteiligten den Be-             ihren Aktionen vor Ort zu berichten, um einen
darf und schaut sich an, wer in die Planungen bereits          gegenseitigen Austausch zu ermöglichen.
eingebunden ist und wer ggf. noch dazukommen soll-
te, damit alles reibungslos funktionieren kann. Das            Senden Sie Infos über Ihre laufenden
geht ihrer Erfahrung nach nur in einem festen Team.            Projekte deshalb gern an
Und wenn es sogar irgendwann eine Fundraising                  uta.bolze@erzbistumberlin.de
AG gäbe, die das Ganze zukunftsfähig und tragfähig
macht, wäre aus ihrer Sicht ein wichtiges Ziel erreicht.
Als einen weiteren Faktor für gelingendes Fundraising       Ihr erklärtes Ziel ist es, beim Fundraising ein stabiles
benennt sie auch die enge Zusammenarbeit mit den            Niveau zu erreichen, damit zukunftsfähige Planung
Menschen, die in der gemeindlichen Öffentlichkeits-         möglich sei. Dazu gehöre eine regelmäßige und ver-
arbeit unterwegs sind. Denn Fundraising geht nicht          lässliche Kommunikation mit den Mitgliedern, aber
ohne Öffentlichkeitsarbeit. Hier kann sie auch ganz         auch mit den anderen Akteuren im Sozialraum – um
praktisch unterstützen mit Materialien und Vorlagen,        sie gut einzubinden, damit eine langfristige Spender-
sei es bei Kollektenaufrufen in verschiedenen Medien,       bindung entstehen kann.
sei es bei der Erstellung von Flyern oder Spenderbrie-
fen, nicht zuletzt bei Online-Spenden oder mit spezi-       Und eins ist Uta Bolze bei der intensiven Begleitung in
fischen Fortbildungsangeboten.                              Müncheberg sehr deutlich geworden: Wenn ein Pro-
                                                            jekt gelingen soll, geht es weit über Fragen wie „Wel-
Kommunikation auf Knopfdruck                                che Stiftungen, welche Fördermittel können in An-
Ein weiteres Instrument, mit dem sie das Fundraising        spruch genommen werden?“ hinaus. „Denn so wie ich
in den Pfarreien gezielt unterstützen und vereinfa-         es verstehe, bedeutet Fundraising ernsthaft betrieben,
chen kann, ist die Fundraisingdatenbank. Mit ihr kön-       auch Organisationsentwicklung. Weil sich die Haltung
nen die Verwaltungsabläufe abgedeckt, eingehende            verändert, weil sich die Perspektive verändert. Und
Spenden richtig verbucht und Zuwendungsbestäti-             das müssen wir verinnerlichen.“
gungen erstellt werden. Profitiert hat davon z.B. die
Gemeinde St. Christophorus aus der Pfarrei Hl. Drei         Wenn Sie am Ende des Magazins ein Spendenprojekt
Könige, die sehr viele soziale Projekte realisiert. Möch-        finden, das Sie unterstützen können, dann hat
te die Gemeinde wissen, wie viel Geld für die Speisung                  auch hier Uta Bolze den Impuls gesetzt.
der Obdachlosen zur Verfügung steht, dann kann man
das taggenau sehen. Und es ist möglich, die Spende-                                                Martina Richter
rinnen und Spender direkt anzuschreiben, um über
das jeweilige Projekt aktuell zu berichten. „Man kann            Uta Bolze, Referentin für
ganz schnell, sozusagen auf Knopfdruck, Kommunika-               Fundraising-Entwicklung
tion auslösen. Das ist ein immenser Vorteil gegenüber            Tel. 030 326 84-117
vielen einzelnen Exceltabellen oder anderen Hilfsmit-            uta.bolze@erzbistumberlin.de
teln“, fasst die Fundraiserin zufrieden zusammen.                www.erzbistumberlin.de/fundraising

                                                                                                          Fundraising  13
Lichterketten und
        Osterspaziergang
        Rituale braucht der Mensch. Sagt Prälat Stefan Dybowski
                        Ob Einschulungsfeier oder Abschlussball, Trauung oder Beerdigung – Rituale
                        begleiten den Lebenslauf. Andere kommen alle Jahre wieder, wie die Geburts-
                        tagsfeier oder der Hochzeitstag. Darüber hinaus gibt es Gemeinschaftsrituale:
                        das Beisammensein ums Osterfeuer oder Lichter in den Fenstern als Zeichen
                        des Mitgefühls. Auch der Alltag ist voller Rituale: die morgendliche Jogging-
                        runde, Fußball-Gucken mit den Kollegen, die Gute-Nacht-Geschichte fürs Kind.

        Brauchen wir Rituale und wenn ja,                         Rituale sind also mehr als liebgewonnene Gewohnhei-
        wozu eigentlich, Herr Prälat?                             ten. Rituale haben eine Botschaft, die mir sagt, dass
        Ja, der Mensch braucht sie. Dazu möchte ich zunächst      ich für den anderen etwas ganz Besonderes bin. Nach
        erklären, was für mich ein Ritual ist: Der französische   einer solchen Botschaft sehnen sich alle.
        Schriftsteller Antoine de Saint-Exupéry hat es meister-
        haft in der Begegnung des kleinen Prinzen mit dem         Nach dem gewaltsamen Tod eines Mädchens
        Fuchs beschrieben. Es geht um ein wichtiges Thema:        waren am Fundort Plüschtiere aufgereiht.
        Der kleine Prinz will Freunde finden. Und der Fuchs       Noch vor 20 Jahren hätte man sich mit Trauer-
        gibt ihm den Rat: „Du musst mich dir vertraut ma-         schmuck und Gottesdienst begnügt.
        chen.“ Er beschreibt auch, wie das geht, zum Beispiel     Können sich Rituale wandeln?
        immer zur gleichen Zeit zu kommen. „Dann kann ich         Natürlich können sich Rituale wandeln, sie müssen
        mich darauf freuen, werde ganz aufgeregt sein und er-     sich sogar wandeln. Ein schönes Beispiel dafür sind Ein-
        fahren, wie teuer das Glück ist.“                         schlafrituale. Für einen Fünfjährigen kann es ein tolles

14  Rituale
Ritual sein, wenn sich seine Mutter oder der Vater jeden   Genau diese Frage nehme ich als Impuls: die Botschaft
Abend zu ihm ans Bett setzt und eine Gute-Nacht-Ge-        vom Leben mit allen Sinnen zu verkünden. Menschen
schichte vorliest. Einen 15-Jährigen werden Sie damit      warten auf Botschaften, die das Leben positiv verän-
wohl kaum begeistern können. Aber auch ein 15-Jähri-       dern. Wie gut, dass wir für diese Botschaften nicht
ger ist empfänglich für Rituale, wenn Sie Interesse zei-   nur das Hören haben, sondern uns viele andere Sinne
gen für seine Lebenswelten und zum Beispiel mit ihm        zur Verfügung stehen, mit denen wir diese großartige
samstags zum Fußballspiel ins Stadion gehen.               Botschaft auch wirklich erlebbar machen können.

Und Rituale ändern sich mit den Zeiten, in denen wir       Ich denke da an die katholische Eheschließung. Bei
leben. Vor Jahrzehnten sahen Rituale anders aus als        diesem Ritus reichen sich Mann und Frau die Hand,
heute. Das wird eine der großen Aufgaben für jede          und ich darf als Priester die Stola wie ein Band um die
Religion sein: Die Rituale, mit denen sie ihre Botschaft   Hände der Eheleute legen. Gesagt wird dabei nur we-
verkündet, müssen in die Lebenswelt der Menschen           nig. Doch später erzählen mir die Eheleute, dass die-
passen. Andernfalls können sie ganz schnell leer und       ser Moment für sie den tiefsten Eindruck hinterlassen
damit langweilig und uninteressant werden.                 hat. Hier haben sie sich „verbunden“ gefühlt.

Der Berliner Bestatter Eric Wrede berichtet,               Ähnliche Erfahrungen mache ich bei der Krankensal-
dass sich während der Pandemie die Presse-                 bung. Nachdem ich die Stirn und die Hände des Kran-
anfragen bei ihm häuften, „weil man glaubt,                ken mit Öl gesalbt habe, lege ich schweigend meine
dass ich eine Ahnung vom Trauern und vom                   Hände um die Hände des Kranken. Oft schließen die
Sterben habe“.* Woran mag es liegen, dass die              Kranken dabei die Augen, doch sie sind hellwach. Alle
Kirche an „Ritualekompetenz“ einbüßt?                      Kommunikation erfolgt jetzt über die Berührung. Und
Ich gehe davon aus, dass ein Bestatter viel Ahnung von     der Kranke darf erfahren, was das Evangelium verkün-
Trauern und vom Sterben haben sollte. Das ist ja sein      det: Gottes Nähe, Wärme und Zuwendung.
Arbeitsfeld. Ich vermute, dass diese Frage von der Tat-
sache ausgeht, dass immer mehr Menschen für die gro-       Haben Sie ein Lieblingsritual?
ßen Ereignisse des Lebens andere Sinndeuter suchen.        Eines der schönsten Rituale ist für mich ein gemein-
Warum das so ist? Wer beispielsweise schlechte Erfah-      schaftliches Essen. Jesus hat am Abend vor seinem
rungen mit Vertretern der Kirche oder mit lieblos ge-      Leiden mit seinen Jüngern Abendmahl gehalten. Seit
feierten Gottesdiensten gemacht hat, wird kaum eine        2.000 Jahren feiert die Kirche dieses Ritual, diese Litur-
kirchliche Eheschließung oder Bestattung wollen.           gie. Und sie erinnert dabei an den, der sein Leben hin-
                                                           gegeben hat. „Für dich!“ – das war seine Botschaft. Im
Ich nehme die Frage nach dem Verlust der „Rituale-         Moment hat man den Eindruck, dass viele Menschen
kompetenz“ sehr ernst. Wann bin ich denn kompetent         (auch viele Christen) diese Botschaft in der Kirche
in Sachen Rituale? Wenn ich eine Feier so gestalte, dass   nicht mehr wiederfinden. Unsere Gottesdienste wer-
sie „auf den Leib geschneidert ist“? Oder geht es um       den leerer. Ja, vielleicht zeigt sich darin unsere „Ritua-
eine Botschaft, die tatsächlich die Seele der Menschen     lekompetenz“, dass wir die Botschaften, die in unseren
erreicht und ihnen Hoffnung geben kann?                    Ritualen enthalten sind, wieder erlebbar machen – mit
                                                           allen Sinnen, und nicht nur im Gottesdienst, sondern
Was könnten wir tun, um die großartige                     im alltäglichen Leben.
Botschaft vom Leben mit allen Sinnen zu
verkünden?                                                                     Das Gespräch führte Juliane Bittner

* Berliner Zeitung 16./17.01.2021, Magazin S. 5

                                                                                                                Rituale  15
Elaine Rudolphi ermutigt Menschen, neue Kommunikationswege auszuprobieren und bietet ihre Unterstützung an.

         Charlottenburg-Wilmersdorf
         goes digital
         Elaine Rudolphi – native digital catholic
         Können nur Ausnahmetalente die Kirche in Zeiten der Pandemie retten?
         Und darüber hinaus? Glaube, digitales Leben und Naturbegabung für Religion,
         hervorragende Ausbildung und kommunikative Fähigkeiten – die Formel für
         moderne Kirchengemeinden der Zukunft? Vorreiterin ist Elaine Rudolphi. Wer ist sie?

         Ein Besuch bei ihr zu Hause.

         Schwarzgefleckte Schneereste liegen in der Schiller-                um: Bücherregale selbstverständlich und darin viele
         straße vor der St.-Thomas-Kirche. Daneben ein schlich-              Exemplare der Bibel. Ich erinnere mich, dass sie sag-
         ter Altbau. Über dem Klingelschild „Seelsorge“ der                  te: „Wer Christus verstehen will, muss die Bibel lesen.“
         französischsprachigen Gemeinde ist ein frisches Klin-               Offensichtlich liest sie alle erschienenen Ausgaben.
         gelschild angebracht. Die neue Bewohnerin des Hau-                  https://erzaehlmirvondeinemglauben.podigee.io/
         ses heißt Elaine Rudolphi. Ich klingele beherzt. Kaum               5-elaine-rudolphi
         zwei Sekunden später ertönt eine fröhliche Stimme,
         die mich hineinbittet. Und da steht sie vor mir – sie               Der Kaffee steht dampfend vor mir, und schon schießt
         hat wache helle Augen eine warme Stimme – und bie-                  sie los, plaudert offen aus ihrem Leben. Von ihrem
         tet mir einen Kaffee an. Natürlich aus einer Siebträger-            Nomadendasein während der Ausbildung und später
         maschine. Ein wahrer Genussmensch, denke ich. Wäh-                  im Beruf: Berlin, Frankfurt, Dublin, Paris, Brüssel … Von
         rend sie für Nachschub in Sachen Koffein sorgt, sehe                ihrem Elternhaus: keine Kirchgänger im klassischen
         ich mich in ihrem hell eingerichteten Berliner Zimmer               Sinne. Sie spricht von ihrer Neugier, zunächst einer kind-

16  native digital catholic
lichen. Aber sehr stark auf Glauben konzentriert. Wa-         Hier in ihrem Arbeitszimmer entstehen Projekte wie
rum, wieso, woher? Heute sagt sie dazu, dass sie eine         • das meditative online-Abendgebet, das jeden Tag
Naturbegabung für Religion hat. Ihr intellektuelles               ab 19 Uhr gestreamt wird – mit eigens
Hinterfragen wird von den Jesuiten ernst genommen.                eingespielter Musik.
Wichtig dabei war: Man wollte sie nicht „ködern“, son-        • kreative Hybridangebote wie „Beten mit Stift
dern trat in eine Kommunikation auf Augenhöhe.                    und Farbe“.
                                                              • die Unterstützung für „Funkturmkatholiken
Das ist weiterhin der Grundsatz von Elaines Arbeit hier           unterwegs“.
im Pastoralen Raum Charlottenburg-Wilmersdorf:
„Wenn man mit Menschen                                                      Aber auch Projekte für Menschen, die
und gerade mit Jugendlichen                                                 weniger internetaffin sind, wie „Bei An-
in Kontakt treten, sie für den                                              ruf: Impuls“ – eine Telefonaktion.
Glauben begeistern will, darf
man sie nicht irgendwie drän-                                                Der Umgang mit der digitalen Welt ist
gen. Dann laufen sie weg.“                                                   vielen noch neu in den Gemeinden. Als
Das hätte sie genauso ge-                                                    „native digital catholic“ unterstützt
macht. Ist zum Glück nicht                                                   Elaine Ideen und Projekte. „Ich suche
passiert. Sie studierte Theolo-                                              Menschen mit Talenten, die sich ein-
gie aus Leidenschaft.                                                        bringen. Ich will nicht deren Unterstüt-
                                                              zung, sondern ich unterstütze sie bei ihren Ideen und
Bei Idee: Unterstützung                                       Projekten. Ein bisschen wie ein Talentscout.“ So wie
Aber das ist ja nur eine Seite von Elaine Rudolphi. Ich       der Podcast von Marcus Bartelt. Hier mal ein Thema
darf ihr Arbeitszimmer besichtigen. Jedem YouTuber            anregen, da mal einen Interviewpartner vorschlagen.
würde gleich das Herz stehen bleiben. Ich sehe pro-           Never say no, ist Elaines Devise. Denn das Internet hat
fessionelle, digitale Ausrüstung überall in dem aufge-        etwas Anarchisches und lebt auch vom Unperfekten.
räumten und strukturierten Arbeitsraum: iMac, iPad,           Sie ermutigt Menschen, einfach mal was auszuprobie-
Fotokamera, Filmkamera, Fotolampen und selbst ein             ren und sei es noch so verrückt.
Greenscreen stehen für alle Art von digitaler Kommuni-
kation zur Verfügung. Elaine ist ja nicht nur native Theo-    Alleinstehende im Blick
login, sondern auch digital native. Sie selbst bezeichnet     Einer großen Herausforderung will sie sich in Zukunft
sich als Nerd. Da muss ich ihr widersprechen. Sie ist ja      stellen: die stillen Mitglieder der Gemeinde erreichen,
kein Mensch, der sich nur auf eine Sache ausschließlich       die vielen Singles zwischen 25 und 65. Davon gibt es
konzentriert und schlimmstenfalls im sozialen Leben           tausende im Pastoralen Raum Charlottenburg-Wil-
auf dem Abstellgleis steht. Ganz im Gegenteil! Sie ist        mersdorf. Was bewegt die Menschen, welche Fragen
mit all diesen digitalen Erfindungen unserer Zeit ein-        haben sie? Welche Erwartungen an die Kirche?
fach großgeworden, nutzt kreativ die Möglichkeiten,
um Glauben aktiv in den digitalen Lebensraum zu brin-         Beim Verabschieden entdecke ich Elaines Cello und
gen. Kommunikation – wie auch immer, an welchen Or-           frage nach. Sogleich sprudelt sie von einer – na sowas!
ten auch immer. Das ist ihre Leidenschaft.                    – analogen Idee: Jazzmusik-Gottesdienste in St. Cani-
                                                              sius. Ein idealer Rahmen für Künstler in Nach-Pande-
„Menschen in Kontakt bringen mit Gott“ ist ihr Ziel. Heu-     miezeiten.
te gestalten die Menschen nicht nur ihr Wohnzimmer,
sondern auch ihre digitalen Lebensräume. Es ist eine di-      Und sogleich fragt sie mich, ob ich nicht Jazzmusiker
gitale, aber nicht weniger reale Welt, erklärt Elaine ihren   kenne. Kenne ich. Networking at it’s best. Sie wird es
Standpunkt. Die Kirche sollte sich zu einer „Geh-hin-Kir-     sicher auch streamen.
che“ entwickeln. Das heißt, sie muss verstärkt in der di-
gitalen Lebenswelt aktiv werden, um zu verstehen, was                                                  Carmen d’Avis
die Menschen bewegt, was sie von der Kirche erwarten.
                                                                                                 native digital catholic 17
Wo zwei oder drei
        In Leitungsteams wird Verantwortung geteilt und Ehrenamt aufgewertet
        Sieben Leitungsteams sind in der Entwicklungsphase gebildet worden, in denen sich
        zwei oder drei Personen die Leitung der Pastoralen Räume geteilt haben. Neben dem
        jeweiligen Pfarrer haben haupt- oder ehrenamtliche Laien gemeinsam Verantwortung
        für die Entwicklungsphase übernommen. Markus Papenfuß und Christopher Maaß
        haben sich im letzten halben Jahr auf den Weg gemacht und fünf dieser Teams nach
        ihren Erfahrungen gefragt. Wir stellen Ihnen hier die wichtigsten Ergebnisse vor,
        kommentiert von Markus Papenfuß.

            Vorteile durch die geteilte Leitung:                              Leitung innerhalb des
                  Entlastung, Austausch,                                          Leitungsteams
                                                                    Hier wurden unterschiedliche Erfahrungen
               Aufwertung des Ehrenamts                            gemacht: Innerhalb des Teams war Arbeit auf
           In allen Gesprächen wurde herausgestellt, dass           gleicher Augenhöhe Voraussetzung, in der
         der Austausch untereinander und auf Augenhöhe             Außenwahrnehmung wurde größtenteils der
         immens wichtig ist – nicht nur in der praktischen         Pfarrer als Leiter des Teams wahrgenommen.
            Arbeit, sondern auch auf der formalen Ebene.            Da musste sich das Team erst in die eigene
          Die Pfarrer haben es durchaus auch erleichternd                       Leitungsrolle finden.
            empfunden, Verantwortung teilen zu können,
            Konflikte miteinander im Austausch zu lösen,
          einfach gemeinsam unterwegs zu sein. Vor einer                       Wahrnehmung der
            besonderen Herausforderung stand das Team                      Leitungsteams als Einheit
         mit den zwei Ehrenamtlichen: Die hohe Zeit- und               In Sitzungen der Gremien im Pastoralen
          Verantwortungsübertragung ist für sie nicht un-            Prozess wurde das Team schnell als Einheit
         kompliziert, denn es spielt sich alles in der Freizeit    wahrgenommen. Auf Bistumsebene war es an-
          ab. Hier muss das Zeitmanagement generell viel          fänglich ein Lernprozess, beispielsweise nicht nur
           stärker in den Blick rücken, um Ehrenamtlichen            die Leitenden Pfarrer, sondern das gesamte
             eine Beteiligung überhaupt zu ermöglichen.            Team anzuschreiben. Das ist auch eine wichtige
                                                                   Form der Anerkennung: dass alle zeitgleich und
                                                                         gleichberechtigt informiert werden.

             Rollen und Aufgabenverteilung
         innerhalb der Teams – im Vorfeld nicht
        abgesprochen – resultierend aus Situation                         Rollen haben sich verändert
                                                                       Die Rolle des Pfarrers hat sich verändert:
           oder Zeitpunkt der Leitungsanfrage                        Das Handeln im Team überträgt sich auf das
            Die Rollen wurden in allen Teams zunächst als           Handeln als Vorgesetzter. Das Rollenverhältnis
            problematisch empfunden. Wir als Katholiken           zwischen Haupt- und Ehrenamt, Priester und Laie
         sind einfach die Pfarrerrolle gewohnt – er ist unser     wird neu sortiert, haupt- und ehrenamtliche Laien
         erster Ansprechpartner. Und das führte anfänglich              erfahren eine Aufwertung ihrer Arbeit.
          auch zu Spannungen, wenn der Pfarrer Entschei-           Problematisch bei den Zweierteams ist, dass der
          dungen nicht allein trifft. Die Laien mussten sich      Pfarrer auch gleichzeitig der Dienstvorgesetzte ist.
           ihre neue Position in der Pfarrei erst erkämpfen,          Das greift im Leitungsteam dann nicht –
          weil es niemand gewohnt war, auf sie zuzugehen               da mussten sich alle erst hineinfinden.
                 in bestimmten Entscheidungsfragen.

18  Leitungsteams
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