Kirche in Steyr 1850-1975 - Steyr dahoam

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Aus der Festschrift zur Kirchweihe Steyr Tabor 1975

                                 Kirche in Steyr 1850-1975
                                          Von Manfred Brandl

   Wahre Kirchengeschichte kann man nicht schreiben. Ihr eigentlicher Inhalt sind ja Gottes Wort und
sein Wirken für und in uns. Das entzieht sich naturgemäß exakter Nachforschung. Doch das äußerliche,
die „Institution“ Kirche in ihrem Gang durch die Geschichte, das soll den Christen auch interessieren.
Das hilft seiner christlichen Besonnenheit und befördert kritische Liebe zur Mutter Kirche.
   So mag es anlässlich dieser Kircheneinweihung sinnvoll sein, erstmals einen - leider nur sehr knap-
pen - Überblick über die Geschichte christlichen Glaubens und christlicher Tat in Steyr seit etwa 1850
zu bieten. Gerne hätte der Verfasser ein Mehrfaches von dem geschrieben, was er so nur in knappen
Andeutungen berichten kann.

    a. Der politisch-weltanschauliche Hintergrund in Steyr

    In früherer Zeit steckte die katholische Kirche ungleich mehr in der Tagespolitik als heute. Bis zum
großen Revolutionsjahr 1848 war sie in der Monarchie und in den einzelnen deutschen Staaten weit-
gehend unfrei gewesen. Der Staat hatte sie am Gängelband geführt. Vereine waren suspekt und meist
verboten. Es ist begreiflich, dass sie 1848/49 den Umschwung der Verhältnisse nutzte und die Freiheit
der Betätigung in religiösen, caritativen, vereinsmäßigen und politischen Belangen für sich in Anspruch
nahm. Wir stehen am Beginn der klassischen Zeit des Vereinskatholizismus, auch in Steyr. Schon 1849
wird in Steyr bei Sandböck ein „Entwurf der Statuten des Katholikenvereins zu Steyer“ gedruckt. Radi-
kale Bestrebungen hatte es ja im Steyr der Revolutionszeit durchaus gegeben.
    Am 18. Mai 1869 wurde das Kath. Casino als Geselligkeits- und Leseverein aktiviert, das sich dann
nach neuen Statuten vom 6. Juli 1871 zu einem politischen Verein unter dem Namen Kath.-politisches
Casino in Steyr konstituierte. Dieser Verein hat in der Folge versucht, die katholischen Belange in der
Stadtgemeinde zu vertreten. Am 5. November 1908 bestätigte die OÖ. Statthalterei die Umbildung des
Kath.-politischen Casinos in den Christlichsozialen Verein für den Wahlbezirk Steyr mit dem Sitz in Steyr.
- Die Mitglieder des einstigen Casinos nannte man früher auch „Konservative „. Konservativ war sicher
auch ihr Selbstverständnis: Treue zum Kaiserhaus, Treue zu den gegebenen Verhältnissen, Treue zum
überkommenen Glauben vor allem. Führende Konservative waren nach einer Stichprobe (1883): Johann
Abel, Joh. Ev. Aichinger (Stadtpfarrer), Joh. Außermann, Jos. Baumgartner, Friedrich Brandl (1827-1901),
Franz Breselmayr, Joh. Dittmann, Carl Donke, Ferd. Donke, Vorstadtpfarrer Joh. Nep. Dürrnberger, Joh.
Dutzler († 1896), Josef Ecker, Emil Göppl († 1914), Leopold Grießler, Joh. Grünling, Josef Haller († 1892),
Peter Harrer, Carl Holub (1830-1903, der bekannte Mitarbeiter Werndls), Leopold Huber († 1902), Anton
Jäger v. Waldau († 1911), Carl Jäger v. Waldau, Franz Jäger v. Waldau, Heinrich Leitner, Alois Lindhuber,
Georg Lintl (1852-1902), Josef Loibl, Joh. Georg Mayr, Roman Mayrhofer, der Ahlschmiedmeister Leopold
Molterer († 1896), Franz Nothhaft, Franz Pichler, Jos. Peyrl (1826-1887), Georg Pointner, Simon Pölzl,
Simon Pramendorfer, lgnaz Schaden, Florian Schedl, Josef Schwalbl, Peter Steinhuber, Alois Steinhofer
sen., Franz Wiesinger, Josef Zorn. - Kein Akademiker, kein wirklicher Großbürger!
    Bald nach dem Casino kam es in Steyr bereits zur Schaffung eines „liberalen politischen Vereins“.
Er wurde am 8. März 1870 behördlich genehmigt und am 19. März aktiviert. Dieser Verein, der im Hotel
Crammer seinen Sitz hatte, zählte die weitaus einflussreicheren Bürger zu seinen Mitgliedern. Seit der
Statutenänderung (genehmigt 29. Dezember 1879) hieß der liberale Verein „Fortschrittsverein“, spä-
ter „Deutschfortschrittliche Partei“. Sie führte bis zum Frühjahr 1912, als sie mangels an Nachwuchs
zusammenbrach, Jahrzehnte hindurch die Geschicke der Stadt.
    Die Liberalen waren kirchlich meist distanziert, oft genug feindlich. Christentum widersprach dem
Liberalismus des 19. Jahrhunderts, seinem Lebensgefühl, seinem Bildungsstolz, seinen materiellen In-
teressen. Steyrs Hochfinanz gab sich hier ein Stelldichein. Die führenden Männer der ersten Stunde
(1870) waren Dr. Johann Hochhauser, Dr. Alois Spängler, Friedrich Dosch, Viktor Stigler, Dr. Carl Har-
rant, Carl Edlbauer, Josef Werndl, Gustav Gschaider, Franz Bauernfeind, Carl v. Koller und Alois Fürth.
Die durch die Schaffung der liberalen Partei in Steyr weitergetriebene weltanschauliche Polarisierung
sollte sich bald auswirken, bis hin zu den Fronleichnamsprozessionen, wo unter Umständen hohe Char-
gen der Bürgergarde fehlten.
    Für die konservative Seite war der „Fortschrittsverein“ weiter nichts als die ins Politische umge-
setzte Waffenfabriks-Gesellschaft, die damals das wirtschaftliche (und damit auch das politische) Le-
ben der Stadt bestimmte. Die Liberalen und später die Deutschnationalen waren geschützt durch
höchst antiliberale Wahlbestimmungen, die den kleinen Mann oder gar den Arbeiter nicht hochkom-
men ließen, denn für die Besitzenden galt damals noch der Grundsatz: wer am meisten Steuern zahlt
(= besitzt), dem soll auch das meiste Wahlrecht zukommen.
    Zählen wir die wichtigsten Liberalen nochmals auf; wenigstens schlaglichtartig ist ihre soziale Posi-
tion skizziert: Realschuldirektor Edmund Aelschker, Gemeinderat 1892-1906; Dr. Franz Angermann
(1854-1918), Franz Bauernfeind, Josef Berger, Friedrich Dosch, Carl Edelbauer, Gemeinderat 1863-78
und langjähriger Vizebürgermeister († 1907); der Notar Alois Fürth (1817-95); Gustav Gschaider, Ge-
meinderat 1876-86, Vorsitzender der Sparkassendirektion 1874-86 († 1886) ; Dr. Carl Harrant; der
Freund Werndls Dr. Johann Hochhauser († 1908), Gemeinderat 1869-1900, Reichsrat ab 1885; Julius
Huber, Dr. Friedrich Höfner (1837-1901), Bureauchef der Waffenfabrik; Bankdirektor Jakob Kautsch
(1845-1920) ; der Feuerwehr-Kommandant Wilhelm Klein († 1909) ; der Weinhändler Anton Landsiedl
(† 1890); der Galanteriewarenhändler Mathias Perz († 1904), Gemeinderat 1876-95, Sparkassendirek-
tor, Präsident der Pfandleihanstalt etc.; Oberlandesgerichtsrat Ferd. Löhnert († 1908); Bürstenfabri-
kant Anton Mayr (1830-1892), Gemeinderat 1876-92; der Schiffmeister, Spediteur und Holzhändler
Joh. Mayr († 1886); Bürgerschuldirektor Hugo Olbrich (1837-1892); Leopold Putz, Nägelfabrikant und
langjähriger Vizebürgermeister (lebte 1814-99); Fabrikant Rupert Rathner (1835-80); Bürgermeister
Josef Redl (1832-1902); der Generaldirektionsrat der Staatsbahnen Adolf Seyschab; Dr. Alois Spängler,
seit 1851 Arzt in Steyr; Dr. W. Stigler; der Kaufmann, Kohlehändler und Vorsitzende der Sparkassendi-
rektion Joh. Scholz (1828-1901); Franz Tomitz (1835-1904), Gemeinderat 1875-1901 ; der Kattundruck-
Fabrikant Josef Tureck (1847-1913); Generaldirektor Josef Werndl (1831-1889); Ludwig Werndl (1847-
1890); Wenzel Wenhart, Direktor der Aichetschule und beliebter Gesellschafter; der Landtags- und
Reichsratsabgeordnete Franz Wickhoff († 1885); Max Willner und andere. Waren einige noch durchaus
kirchenfreundlich, so kennzeichnet andere (etwa Wickhoff) blinder Hass. Die Partei ging jedenfalls zu
Recht ein - mangels an allgemeingültigen Prinzipien. Was nicht heißt, dass es nicht auch heute noch -
allgemein - Liberalismus gibt.
    Seit den 1890er-Jahren wurde die liberale Partei mehr und mehr verdrängt durch die „Deutsche
Volkspartei“ (ihr Name wechselt, auch „deutsch-österreichische Gewerbepartei“ findet sich). Sie hob
sich nationalistisch scharf ab gegen Juden und Slawen. 1896 erstmals aufgetreten, konnte sie mit (un-
gern geleisteter) Hilfe seitens der katholisch gesinnten Kreise das Mandat für den Reichsrat erringen.
1898 wurde der Deutsche Volksverein für den 4. OÖ. Reichsratswahlkreis geschaffen, 1902 die Bun-
desgruppe Steyr des Vereines „Deutscher Bund in Oberösterreich“. Beiden war das politische „Chamä-
leon“, Realschulprofessor Leopold Erb, Vorstand.
    Der in Steyr geborene Geistliche Ludwig Josef Bermannschläger schrieb eine Tragödie in fünf Akten,
„Deutsch und christlich“, deren Inhalt von der Steyrer Zeitung 1894 Nr. 4 mitgeteilt wurde. Sicher ha-
ben die Katholiken auch in Steyr in den nationalistischen Wirren und Exzessen der ausgehenden Mo-
narchie das Deutschtum sehr herausgekehrt, hat es da und dort gedeutschtümelt, aber die lächerli-
chen Exzesse überschwänglichen Germanen- und Deutschtumskultes vollführten doch die Mitbürger
im leider auch heute noch nicht ausgestorbenen deutschnationalen Lager. Dass auch kirchliche Kreise
weithin befallen waren vom Antisemitismus (aus politischen, nicht so sehr aus rassischen Erwägungen)
und Feindschaft gegen die Slawen - das darf man leider nicht verschweigen. So warf 1898 die Steyrer
Zeitung (Nr. 21) der „judenliberalen Partei von Steyr“ vor, sie sei „vollständig verjudet“. Die liberale
Partei von Steyr sei „national geschlechtlos, also eigentlich volksverräterisch, indem sie ... es veran-
lasst, dass Tausende von Tschechen, Polen, Slowaken ihre Etablissements (d. h. die Waffenfabrik) an-
füllen ...“ Man wollte also im damaligen Selbstbehauptungskampf der Deutschen in der Monarchie
nicht hintanstehen im katholischen Lager. Wir Heutige können uns das nicht mehr leicht vorstellen.
Gern schrieb man übrigens den vollen Namen eines sozialistischen Agitators aus - wie es scheint, recht
genüsslich: Moriz Moses Hirsch Arbeitel Donnerkeil. Er wirkte des Öfteren in Steyr.
Zu den ungeschriebenen Kapiteln Steyrer Stadtgeschichte gehört die Geschichte der Arbeiterschaft.
Leider! Es wäre hochinteressant, über ihren Werdegang zu erfahren. Sie haben die einstige soziale
Schichtung ja vollständig über den Haufen geworfen, dem Bevölkerungsbild ein anderes Gepräge ge-
geben. Die Werndl'sche Waffenfabrik begann in den 1860er-Jahren mit ihrem rapiden Aufschwung.
Neue Arbeiter mussten eingestellt werden; oft kamen sie aus dem Raum der heutigen Tschechoslowa-
kei. Das industrielle Zeitalter stellte sich am 26. Jänner 1867 mit einem „Arbeiterkrawall“ bei der Ham-
mermühle ein. Gendarmerie und Militär schritten ein. Der neue Stand der Fabriksarbeiter stieß bei
vielen alteingesessenen Bürgern auf Misstrauen. Von 1867 bis Anfang der 70er-Jahre herrschte Hoch-
konjunktur in der Waffenfabrik. Der Chronist Willner schrieb zu 1869: „Die aus allen Ländern zusam-
mengeströmten Werndl'schen Arbeiter, deren Zahl in Steyr allein bereits 1600 beträgt, machen in ih-
rem Übermuthe viel Wirtshausspektakel und sonstige Raufexzesse, weshalb bereits die städtische Po-
lizeiwache von fünf auf sieben Bewaffnete vermehrt werden musste.“ Nach Willner schossen damals
„kleine Schenken und Kneipen in großer Zahl empor“ und beförderten „nächtliche Unsicherheit und
Raufhändel“. Wenngleich das nur Randerscheinungen zum ansonsten harten, ungesicherten und
freudlosen Dasein der Proletarier waren, so lässt sich denken, dass dieser Zuzug die Situation von Kir-
che und Seelsorge sehr verschärfen musste.
    Viel Aufsehen machte der erste konfessionslose Kondukt eines ungetauften Arbeiterkindes am 25.
April 1871. Trotz der Weigerung des Pfarrers wurde das Kind im Friedhof beerdigt. 1874 gab es unter
Arbeitern wieder Aufruhr; 280 Pioniere aus Linz wurden zu seiner Unterdrückung eingesetzt. „Hat die
Waffenfabrik Arbeit, tyrannisiert sie durch ihren Einfluss die Stadtbevölkerung, feiert sie, über-
schwemmt sie die Stadt mit Bettlern“, schrieb damals ein Chronist.
    Sozialistisches, lassalle'sches, vielleicht auch marxistisches Ideengut mag in Steyr in den 1870er-Jah-
ren erstmals verbreitet worden sein. Wir bräuchten dazu noch genauere Untersuchungen. „Ein hiesiges
Arbeiter-Comite“, schrieb der Alpen-Bote 1874 Nr. 70, „hatte für Sonntag nachmittags eine Lassalle-Feier
in Jordan's Restaurant zu veranstalten die Absicht gehabt, welche jedoch behördlich untersagt wurde.
Stattdessen producierte sich nachmittags im genannten Locale der Gesangverein des Arbeiter-Bildungs-
vereines“. Zu Anfang 1881 wurden in Steyr heimlich sozialistische Flugblätter verteilt. Sie waren mit „An
die Arbeiter in Osterreich“ betitelt. Auf Initiative eines Wieners namens Bocek fand am 12. März 1881 im
Casino eine Sozialistenversammlung statt. Hauptredner war Dionys Zinner aus Wien.
    Die Industrialisierung Steyrs führte zu einer starken Zunahme der Bevölkerung. Josef Werndl hatte
ein durchaus patriarchalisches Verständnis seiner Rolle als Haupt der Waffenfabrik. Der liberalen Seite
zugetan, hat er sich immerhin mit den Sterbesakramenten versehen lassen. Kirchlich waren die Arbeiter
schon in den 1870er-Jahren abständig, was der antiklerikale Alpen-Bote 1878 einmal zu erklären ver-
suchte: „Es ist wohl Tatsache, dass vor einigen Jahren die Kirchen von den Arbeitern öfter besucht wur-
den, als jetzt. Dies kommt aber hauptsächlich daher, dass in den Kirchen jetzt außer der geschäftsord-
nungsmäßigen Verlesung von Wahl- u. Fastenhirtenbriefen höchstens noch Politik getrieben wird, oder
es wird über die Neuerungen im Staate ordentlich losgedonnert!“ Damit hatte der Alpen-Bote allerdings
die nur schwer zu durchschauende Entfremdung der Arbeiter von der Kirche unzulänglich erklärt!
    Man muss aber doch der Wahrheit die Ehre geben und feststellen: Die Besitzenden von einst waren
liberal bzw. deutschnational. Das heißt, dass die Kirche tatsächlich - hier und sicher auch anderswo -
nicht auf Seite der Besitzenden stand. Die treue Anhängerschaft in Steyr rekrutierte sich aus dem Klein-
bürgertum. Und gegen die liberale Bevorzugung der Großindustrie unter Missachtung des damals oft
notleidenden Handwerks ergriff die katholische Steyrer Zeitung die Partei der letzteren. So wettert
1886 (Nr. 20) gegen das „capitalistische Ausbeutertum“ und zeigt sich dennoch - in anderem Sinn -
konservativ: „Nichts war leichter, als eine Gesetzgebung zu machen, wie die liberale, welche das Hand-
werk als veraltet beiseite warf, seine alte, durch Jahrhunderte bewährte Organisation ... aufhob, an
ihre Stelle die schrankenlose Gewerbefreiheit setzte, ihr die Actien-, Wucher- und sonstige Freiheiten
als Gehilfinnen zur Seite gab und dem Volke zurief: ‚So, jetzt sind die Schranken zum Concurrenzkampf
um‘s Dasein geöffnet, nur los! Moralische Gesetze und Rücksichten haben in diesem Kampf keine Gel-
tung mehr, hier herrscht nur das freie Walten der Naturgesetze und das Spiel der freien Kräfte‘.“ Ja
selbst das sozialdemokratische Steyrer Tagblatt gestand 1919 in seiner Nr. 242: „... haben die Christ-
lichsozialen, namentlich in ihrem bäuerlichen Zweige, trotz aller reaktionären Gesinnung doch eine
gewisse Fühlung mit dem Volk bewahrt. Die ausgesprochene Partei des Großkapitals sind heute die
Großdeutschen.“
    1894 stellten die Sozialisten mit dem Kleidermacher Johann Bresquar und dem Schuhmacher Julius
Glöckl erstmals Kandidaten für die Gemeindestube auf, welche aufgrund eines die etablierten Kreise
begünstigenden Wahlrechtes unterlagen. Erst nach Abänderung des Gemeindewahlrechts konnten
1904 sozialistische Gemeinderäte ihren Einzug in die Gemeindestube halten. Übrigens wechselten die
Konstellationen von Abstoßung und Anziehung, halbherzigem Bündnis und Kampf der vier politischen
Gruppen Steyrs vor 1914 sehr rasch. Einmal zog es die Sozialisten zu den Liberalen, die Konservativen
zu den Deutschvölkischen, dann tauschte man wieder „Partner“. Einmal „umarmten“ sich Deutschfort-
schrittlich und Deutschfreiheitlich, dann stützten die Konservativen wieder den deutschfortschrittli-
chen Dr. Angermann gegen Prof. Erb. Um 1911 näherten sich die Sozialisten den Christlichsozialen. Ein
verworrenes Spiel in unsicherer, dem Krieg zutreibender Zeit. 1919 übernahm die sozialdemokratische
Partei die Führung der Gemeindegeschäfte. Das auf Besitz gegründete Wahlrecht hat bis 1919 auch
die katholische Partei zur vollständigen Bedeutungslosigkeit im Gemeinderat verurteilt.
    Zu den peinlichsten Kapiteln neuerer Stadtgeschichte gehört unzweifelhaft die Pressefehde, in wel-
che die Lokalzeitungen jahrzehntelang verwickelt waren. Hinter dem (heute teilweise erheiternden)
Gepolter steckten aber Extrempositionen weltanschaulicher Art, wie sie uns in dieser Zuspitzung, wo
praktischer Materialismus und Wohlstand alles einschläfern, nicht mehr geläufig sind. Besonders der
Alpen-Bote machte den Katholiken Steyrs das Leben sauer. Unter dem Drucker Michael Haas begann
er vorerst ganz harmlos 1855, um etwa 1863 eindeutig liberal und antiklerikal zu werden. Besonders
unter Emil Haas († 1903) war der Alpen-Bote ein in den Augen der katholischen Presse berüchtigtes
Hetzblatt. Schon 1870 sandten „viele Bürger“ Steyrs einen Brief an das Linzer Volksblatt, in welchem
sie die Kirchenfeindlichkeit des Alpen-Boten beklagten. 1900 wurde das Blatt nach der Übernahme
durch Arthur Fleischanderl († 1902) Organ der Deutschen Volkspartei.
    Die geschichtlich bedeutendste je in Steyr erschienene Zeitung ist die „Steyrer Zeitung“, 1876, wie der
liberale Chronist Willner schreibt, „von den Häuptern der klerikalen Partei“ gegründet. Das Blatt erregte
bald nach seinem ersten Erscheinen Unwillen durch die Angriffe des Redakteurs Auer gegen Josef
Werndl, der damals eine sakrosankte Institution in Steyr war. Auer musste die Stadt bald verlassen. Unter
den ersten Mitarbeitern der Zeitung scheinen manche bekannte Namen auf: Franz Maria Doppelbauer
(1845-1908), 1869-76 Seelsorger in Steyr, war Mitbegründer, Förderer und eine Zeitlang auch Mitredak-
teur der Zeitung. 1889 bis 1908 war er Bischof der Diözese Linz. Dr. Leopold Kern († 1903), seit 1897
Reichsratsabgeordneter, war 1885-87 Redakteur. Chefredakteur von 1897 bis 1919 war der populäre,
streitlustige Theodor Großmann. So gäbe es noch manch anderen Namen solcher zu nennen, die durch
ihre publizistische Tätigkeit die katholische u. politische Situation in Steyr mitbestimmten.
    Seit dem 9. April 1887 erschien die Steyrer-Zeitung in der mit Konzession vom 12. Februar 1887
bewilligten Pressvereinsdruckerei, Pfarrgasse Nr. 2. Seit dem 25. Februar 1887 befand sich auch die
Redaktion in der Pfarrgasse. Am 19. März 1906 kaufte der Kath. Pressverein für Steyr und Umgebung
vom Kaufmann Georg Perz um 58.000 Kronen das Haus Stadtplatz Nr. 2, wo man sich auch heute noch
befindet. Msgr. Dr. Johann Mayböck, Mitbegründer der Zeitung und ihr einstiger Redakteur, weihte
das Haus am 11. Dezember 1906. Einst ein konservatives bzw. christlichsoziales politisches Blatt, ist die
Zeitung seit ihrer Wiedergründung nach dem Zweiten Weltkrieg (1946) stets zurückhaltend gewesen,
um als einzig überlebende der einstigen drei Zeitungen Steyrs für alle da zu sein. Bis 1906 gab es als
sozialistisches Blatt in Steyr einen „Steyrer Volksfreund“. Das 1900 als deutschfortschrittliches Blatt
gegründete „Steyrer Tagblatt“ wurde seit 1919 als sozialdemokratisches Parteiorgan herausgegeben.
Seit jenem Jahr war es marxistisch eingestellt und träumte von der Herbeiführung einer sozialistischen
Gesellschaftsordnung, seit 1919 aber auch vom „unvermeidlichen“ Anschluss an Deutschland. Seit
dem 25. Juni 1926 erschien es in Linz. - Alle genannten Zeitungen haben auf ihre Weise dazu beigetra-
gen, die ideologische, politische, religiöse Situation in der Stadt mitzuprägen.
    Die politische Situation hat sich 1919 radikal gewandelt, nachdem bald nach dem Kriegsende im
November 1918 eine neue, sozialdemokratische Führung in Steyr hochgekommen war. Das besiegelte
den politischen und machtmäßigen Untergang der alten (groß)bürgerlichen Führung. Kirchliche Kreise
haben dem sozialdemokratischen Bürgermeister Josef Wokral († 1926) Sachlichkeit und Integrität
durchaus zugesprochen. In den traurigen Jahren der Ersten Republik bestand für die Kirche dennoch
eine Kampfsituation, aber auch eine Situation großer innerer Geschlossenheit und der Loyalität seitens
vieler engagierter Laien. Man organisierte noch immer gerne - wir werden unten die vielen Vereini-
gungen anführen. Natürlich verwanden es viele nicht, dass das alte Bündnis von „Thron und Altar“
1918 dahingesunken war. Die Kampfsituation von einst besteht heute nicht mehr - möge innerer und
äußerer Friede der Kirche und der Gesellschaft im Ganzen erhalten bleiben! Aber es ist immer auch
schon Anfechtung gewesen, welche die Kirche stark machte.
    Wie und wann in Steyr freidenkerische Strömungen Einzug gefunden haben, ist ungewiss und sicher
nicht genau aufzuklären. Bestimmte Kreise warben 1919 für die Möglichkeit, Leichen in Linz einäschern
zu lassen. Damals galt das als Bekenntnis, dass es mit dem Tod eben aus sei. 1923 wurde die „Flamme“,
„Erster alpenländischer Feuerbestattungsverein in Steyr“ gegründet. Am 11. Juni 1926 beschloss der
Gemeinderat (unter Gegenstimmen der Christlichsozialen) einen Grundstücksverkauf an die
„Flamme“. Eine für den 22. März 1930 geplante Ketzerfeier der Freidenkergruppen Steyr und Kraxental
wurde verboten. Man hatte an die Waldenserverfolgung im Steyr des Mittelalters erinnern und gleich-
zeitig auch der Kirche eins auswischen wollen. Es verärgerte die Katholiken bisweilen, dass der protes-
tantische Pastor Fleischmann eine theologisch liberale Linie vertrat, die Feuerbestattung durchaus be-
fürwortete und dem Zeitgeist entgegenkam. Die Zahl der Kirchenaustritte nahm nach 1919 stark zu,
ebenso Notziviltrauungen, von denen es zwischen 1915 und 1919 keine gegeben haben soll. Manche
bekundeten ihren Protest gegen die katholische Kirche - wie schon in den Zeiten der Monarchie - durch
einen Übertritt zu den Protestanten. Schon 1919 trat das Steyrer Tagblatt für die Abtreibung und emp-
fängnisverhütende Mittel, gegen „Mutterschaftszwang“ ein.
    Interessant ist die Stärke der Vereine im katholischen Steyr von einst. 1841 wurde der 3. Orden des
hl. Franz von Assisi eingeführt. 1849 der „Katholiken-Verein für Glauben, Freiheit und Gesittung“ ge-
schaffen. Sein Zweck war die „Förderung und Kräftigung des unverfälschten Glaubens, des Sinnes für
staatsbürgerliche Freiheit, der Nächstenliebe, Sittlichkeit und Reinlichkeit der Jugend, besonders aber
die Wahrung der Rechte der katholischen Kirche“. Der 1850 gegründete Kath. Frauenverein wurde
1854 anerkannt. 1875 entstand der Kath. Volksverein, Ortsgruppe Steyr. Am 9. Mai 1875 konstituierte
sich der Kath. Arbeiterverein, dem indes die Rückholung der Arbeiterschaft nicht gelingen sollte. Fer-
ner gab es noch den Kath. Pressverein (1881), der noch heute besteht, den Piusverein (1906), die „Sty-
ria“, Kath. Jugendbund für Steyr und Umgebung (1908) und andere. Am 27. November 1904 konstitu-
ierte sich eine Pfarrgruppe St. Michael des katholischen Schulvereines für Österreich. Seit 1909 gab es
den Christlich-Deutschen Turnverein, der Ende 1932 287 Mitglieder hatte. 1927 wurde der Verein
Kath. Arbeiterfrauen und Arbeiterinnen für Steyr und Umgebung gegründet durch Umbildung des Ver-
eines „Organisation christlicher Frauen und Arbeiterinnen für Steyr und Umgebung“ von 1918. Am 26.
Juli 1928 erwarb der kirchliche Verein „Frohe Jugend“ ein Wiesengrundstück, welches 1939 beschlag-
nahmt, später restituiert und erst 1972 abverkauft wurde. Der Christliche Arbeiter-Touristenverein
Steyr baute von 1924 bis 1927 das 1928 eingeweihte Albert-Appel-Haus im Toten Gebirge. Es gab eine
Ortsgruppe des Zentralverbandes christlicher Angestellter. Eine Kath.-deutsche Mittelschülervereini-
gung „Der Turm“ wurde 1928 ins Leben gerufen. 1928 entstand der „Kath. Arbeitsbund“, eine Umbil-
dung des Christlichen Arbeitervereines für Steyr und Umgebung von 1913. „Die Getreuen“ in Steyr,
Landesverband kath. Mädchenvereine Oberösterreichs, entstand 1931. Es gab katholische Jungmän-
nervereine und Mädchengruppen um 1930, nach „Gauen“ zusammengeschlossen. Vom 27. bis 29. Juni
1931 vereinigte hier der 12. Bundestag des Reichsbundes der Katholisch-Deutschen Jugend Österreichs
über 4600 Reichsbündler. Als Ideale bestanden „Tatkatholizismus, Erziehung und Bildung, Heimat und
Deutschtum, soziales Streben, Beruf und Arbeit, Gemeinschaftswirken“. Von weiteren Vereinen wer-
den wir noch hören. Es scheint fast, als habe man alle erdenklichen Aktivitäten und Gesellschaftskreise
mit einem lückenlosen Netz von Organisation überzogen. 1928 propagierte man in Steyr erstmals auch
die „Katholische Aktion“.
    Doch dann kam der 12./13. März 1938 mit dem „Anschluss“ an das Deutsche Reich und seinen
„Führer“ Adolf Hitler. Mit Anfang 1939 ging die Geburts- und Sterbematrikenführung an die Standes-
ämter über. Die Stadtpfarre musste ab 1939 gleich den anderen Pfarren Haushaltsrechnungen führen;
1939 konstituierten sich Pfarrkirchenräte. Die Kongrua-Beiträge des Staates an die Kirche wurden ein-
gestellt. In Steyr liefen Gerüchte um, die Gläubigen müssten in Hinkunft monatliche Beiträge von 10
bis 30 RM an die Kirche leisten; tatsächlich kam es zur Einführung der Kirchensteuer. Die Katholischen
Vereinigungen wurden aufgehoben; nur der Weiterbestand des Kirchenmusikvereines und des Kir-
chenrestaurierungsvereines wurde im August 1940 unter gewissen Bedingungen gestattet.
    Einige Zahlen - sie beziehen sich auf die Stadtpfarre - mögen statistisch die Situation des Glaubens
beleuchten: sie lassen erkennen, wie außerordentlich hoch besonders 1939 die Zahl der Kirchenaus-
tritte war.
   Eintritte in die kath. Kirche (Stadtpfarre Steyr)
      1917-20: 5, ?, 2, 2
      1921-30: 3, 5, 28, 52, 57, ?, ?, ?, 19, 39
      1931-40: 36, 53, 42, 111, 15, 27, 42, 7, 15, 36
      1941-49: 25, 62, 62, 79, 148, 267, 103, 61, 32
   Austritte aus der kath. Kirche (Stadtpfarre Steyr)
     1917-20: 10, ?, 31, 74
     1921-30: 4I6, 372, 485, 118, 82, ?, ?, ?, 87, 116
     1931-40: 35, 30, 28, 97, 67, 26, 18, 363, 1 931, 166
     1941-49: 173, 58, 36, 15, 9, 11, 21, 49, 59
   Bis zur Zeit des Ersten Weltkrieges war die Zahl der Ein- und Austritte vergleichsweise klein gewesen.
   Wozu wir die Geschichte von Politik und Kirche gestreift haben? Geschichte ist immer auch Gegen-
wart, auch wenn sie nicht mehr aktuell zu sein scheint. Wer nur die Gegenwart kennt, kennt nichts;
erst Geschichte erhellt die Gegenwart. Steyr hat eine leidvolle Geschichte hinter sich, die noch das
Bewusstsein vieler älterer Bürger prägt.

b. Die katholische pfarrliche Gliederung

    Unter Kaiser Joseph II. (1780-90) wurde das Dekanat Steyr errichtet. Es wurde mit Genehmigung
der Statthalterei vom 23. Juli 1850 in die Dekanate Steyr und Weyer unterteilt.
    Die Stadtpfarre unterstand dem Patronat des Religionsfonds. Nach Erlass des bischöflichen Ordinari-
ates Linz vom 16. Jänner 1893 erfolgte aus der Pfarre Christkindl die Einpfarrung der Konskriptionsnum-
mern 526, 527, 532, 533, 535, 537; aus der Pfarre Garsten kamen die Nummern 237, 528-532, 536, 541,
542, 543 und 545 an die Stadtpfarre. Mit Erlass des bischöflichen Ordinariates Linz vom 21. November
1942 wurden mit Wirksamkeit vom 1. Jänner 1943 die Ortschaften Sarning und Pyrach aus der Pfarre
Garsten, der restliche Jägerberg und Neuschönau aus der Pfarre St. Ulrich ausgeschieden und der Stadt-
pfarre einverleibt. Nun fielen hier die Gemeindegrenzen und die Pfarrgrenzen zusammen.
    Nach den blutigen Ereignissen vom 12. bis 14. Februar 1934 wurde das von den Sozialdemokraten
errichtete Jugendheim auf der Ennsleite vom Bund beschlagnahmt. Es wurde der kath. Kirche zur Ver-
fügung gestellt, in eine Notkirche für die Ennsleite umgestaltet und darin am 10. Juni 1934 das erste
hl. Messopfer gefeiert. Angeschlossen waren ein Kinderheim und ein Kinderhort. Die Notkirche wurde
am 15. Jänner 1939 von der Hitlerjugend verwüstet. Über Drängen der NS-Behörden riet das bischöf-
liche Ordinariat zum gewünschten Verkauf der Notkirche an die NSDAP. Der am 2. September 1939
abgefasste Pachtvertrag verschwand jedoch spurlos noch vor seiner Unterfertigung. Die vom Stadt-
pfarrer Bamberger 1945 gewünschte Übergabe der Notkirche lehnte Bürgermeister Prokesch ab und
auch vom Ordinariat Linz kam die Weisung, keinen Anspruch auf Objekte zu erheben, welche einst der
sozialdemokratischen Partei gehört hatten. Mit Erlass DFK/R-2463/5-1941 wurde Steyr-Ennsleite eine
Kaplanei und Alois Kaser für ihre Betreuung bestimmt. Diese Gründung hatte aber kaum Einfluss auf
die seelsorgliche Arbeit in diesem Stadtteil. Seit 1945 hat die Kirche stets ihr Augenmerk auf die Enns-
leite gerichtet gehabt. Seit 1961 wurden im neuerbauten Pfarrsaal Messen gefeiert. Seit 1. Jänner 1962
war die Ennsleite Sitz einer Pfarr-Expositur, die Josef, dem Patron der Arbeiter, geweiht ist. Mit 1. Jän-
ner 1970 wurde die Ennsleite eine eigene Pfarre. Diese hat einen sehr interessanten Aufschwung ge-
nommen. Alte Bitterkeit und Vorurteile konnten in großem Ausmaß abgebaut werden. Heute strömen
Gläubige, besonders junge, auch von außerhalb des Pfarrgebietes zu den Gottesdiensten und Veran-
staltungen auf der Ennsleite. In der Jugendbewegung FIO konnten 1969 die Kapläne Friedl, Haidinger
und Wührer eine engagierte Bewegung schaffen, die weit über die Grenzen Steyrs hinaus ausstrahlt
und auf Sympathie stößt. Nicht mehr so geschlossen wie einst, aber doch noch weitgehend, ist die
Ennsleite ein Arbeitersiedlungsgebiet.
   Die Filiale „Unsere Liebe Frau vom Siege“ (ehern. Dominikanerkirche oder Marienkirche) wurde im
Zweiten Weltkrieg zum Rektorat erhoben, was aber bald wieder rückgängig gemacht wurde.
   Am 15. November des Jahres 1785 entstand die Vorstadtpfarre St. Michael. Sie wurde in den Tagen
der Monarchie vom Steyrer Gemeinderat vergeben, lag ja das Patronatsrecht bei der Stadt. Der Bischof
musste fünf Bewerber präsentieren, aus denen der Gemeinderat den Pfarrer bestimmte. Nach Dekret
vom 25. Dezember 1962 wurde mit 1. Jänner 1963 der neue Stadtteil Taschlried (Holubstraße, Kudlich-
straße, Taschlried, Steiner Straße 2a-4d, Ennser Straße ungerade 1-9) aus der Pfarre Gleink ausgeschie-
den und der Stadtpfarre St. Michael einverleibt. - Eine umwälzende Änderung ergibt sich im Zuge der
Neuerrichtung des Pfarrzentrums auf dem Tabor 1972-75.
   Mit 1. November 1941 wurde die Kooperator-Expositur St. Anna mit dem Sitz in der St.-Anna-Ka-
pelle beim Waisenhaus geschaffen und ihr auch jener Teil der Pfarre Sierning zugewiesen, der bei der
Eingemeindung 1938 an die Gemeinde Steyr gekommen war. - Im Hauptgebäude der (Artillerie-)Ka-
serne gab es einen Kapellenraum, welcher während des Bestandes des Flüchtlingslagers nach dem 2.
Weltkrieg als öffentliche Notkirche diente. 1962 musste diese Kapelle geräumt werden, da das Bun-
desheer die Kaserne beanspruchte. Als Ersatz wurde die Wohnbaracke II adaptiert und in ihr im Sep-
tember 1962 ein Kapellenraum geweiht, der bis zum März 1967 bestand. Seit dem 30. Jänner 1972
fand auf dem Tabor wieder unter einfachen Bedingungen Gottesdienst statt; am 3. Februar 1974
konnte man erstmals den neuen Pfarrsaal benützen. - Auch das 1966 erbaute Hausgehilfinnenheim
(Wieserfeldplatz Nr. 17) erhielt eine Kapelle für Hausgottesdienste.
   Münichholz wurde mit dem 1. Jänner 1942 Pfarrexpositur im Sprengel Behamberg (Diözese St. Pöl-
ten). Es ergab sich eine enge Zusammenarbeit mit der Stadtpfarre St. Michael. Mit Urkunde des Bi-
schöflichen Ordinariates St. Pölten vom 14. September 1946 wurde es mit 1. Oktober 1946 kanonische
Pfarre. Die von Oblaten der Unbefleckten Jungfrau Maria versehene Pfarre kam mit 1. Jänner 1947
vom Bistum St. Pölten zum Bistum Linz.
   Seit den Eingemeindungen von 1938 befinden sich auch Teile der Pfarren Christkindl und Gleink im
Gemeindegebiet von Steyr. Letztere wird von Herz-Jesu-Missionären betreut.

c. Die Pfarrer von Steyr seit dem Vormärz

    Wir wollen uns zuerst den Pfarrherren der Stadtpfarre zuwenden. Joseph PIersch, geboren zu Burg-
hausen in Bayern im Jahre 1781, wurde am 15. November 1836 als Stadtpfarrer installiert. Seine be-
sondere Fürsorge galt den Schulen, war er ja Distriktsschulinspektor. Als Dechant verschied er am 13.
März 1855. Ihm folgte Alois Zweythurn, bis dahin Strafhausseelsorger in Garsten, mit Installation am
15. November 1855. In seiner Amtszeit wurde Entscheidendes für die Regotisierung der Stadtpfarrkir-
che getan. Am 10. Februar 1868 starb er in seinem Geburtsort Natternbach im Innkreis. Zu seinem
Nachfolger ernannte der Bischof von Linz als Patronatsherrn den Domprediger Georg Arminger († 7.
Juli 1884), der am 24. Mai 1868 in sein Amt ein geführt wurde. Um diese Zeit ist Steyr einerseits im
Gefolge der Industrialisierung, andererseits durch das Eindringen des Liberalismus zum schwierigen
Pflaster geworden. Johann Ev. Aichinger war wie Zweythurn ein Innviertler; am 8. Dezember 1832
hatte er in Unterbruck bei Prambachkirchen das Licht der Welt erblickt. 1868 war er kurzzeitig Provisor
gewesen. Der am 26. September 1883 investierte und am 14. Oktober 1883 installierte verstarb am 2.
Dezember 1895. Eine markante Gestalt war Johann Ev. Strobl (geb. 11. Dezember 1851 Linz, † 26. Sep-
tember 1931), der von 1880 bis 1891 Vorstadtpfarrkooperator gewesen war, am 28. April 1896 als
Stadtpfarrer investiert wurde und im 80. Lebensjahr am 31. März 1931 sein Amt niederlegte. 1912
wurde er Dechant.
    Bis in dieses Jahrhundert herein gab es in Steyr „Benefizen“, welche der Ausstattung eines Seelsorgers
dienten. Das Allerheiligen-Benefizium in der Berggasse wurde am 12. Dezember 1911 dem provisori-
schen Benefiziaten Josef Bamberger kanonisch verliehen. Der am 11. Februar 1882 als Müllersohn in
Mühlbach, Pfarre Garsten, geborene, hatte es bis 1931 inne. In diesem Jahr trat er die Nachfolge Strobls
an: er wurde am 9. August 1931 als Stadtpfarrer installiert. Am 1. September 1938 übernahm er das
Dekanatsamt. Er starb als Ehrenkanonikus am 25. November 1950. - Der derzeitige Stadtpfarrer Johann
Steinbock wurde am 22. Juni 1909 in St. Agatha im Hausruck geboren. Er war von 1941 bis 1945 im Kon-
zentrationslager Dachau interniert gewesen. Am 1. Februar 1951 wurde er zum Stadtpfarrer ernannt.
    Nun zur Vorstadtpfarre. Alois HimmeIreich, der 1833 die Nachfolge Johann Fuhrmanns (1808–33)
angetreten hatte, starb am 6. Jänner 1868. Dem Magistrat der Stadt Steyr oblag die Neubestimmung;
sie wurde am 18. März 1868 im Rathaus abgehalten und fiel auf Johann Dürrnberger, dessen markan-
tes Auftreten ganz in den Stil jener Zeit passte. Er war am 20. Juli 1834 zu Linz geboren. Seine Ernen-
nung zum Vorstadtpfarrer erfolgte am 29. März 1868, seine Installation am 19. April 1868. 1883 wurde
er Dechant, mit apostolischem Breve vom 12. Oktober 1899 päpstlicher Hausprälat (Monsignore). Die
Stadt ernannte ihn am 7. April 1892 zum Ehrenbürger. Am 20. März 1912 legte er im 78. Lebensjahr
das Pfarramt zurück. Er verschied kurz vor Ausbruch des Ersten Weltkrieges, am 13. Jänner 1914. Wäh-
rend seiner letzten Krankheit, die ihn zur Resignation auf die Pfarre veranlasste, führte Vitzthum (†
1934) die Amtsgeschäfte des Vorstadtpfarrers.
    Dürrnberger stieß offenbar bei der Arbeiterschaft auf größeren Widerstand. 1896 agitierten Sozia-
listen öffentlich gegen die Kirche. Im März und am 29. September 1897 machten Gruppen von Arbei-
tern „Katzenmusik „ vor dem Vorstadtpfarrhof. Der Vorstadtpfarrer vermerkte, man müsse es vermei-
den, „zu einer Zeit auf der Straße zu erscheinen, in welcher die Massen der Arbeiter auf dem Weg sind“
(Vorstadtpfarrchronik 1, S. 142); viel böses Blut machte auch ein Stolgebührenstreit im gleichen Jahr.
    Der Gemeinderat präsentierte am 3. April 1914 den am 25. Mai 1875 in Wernstein bei Passau ge-
borenen Kooperator Alois SchIießIeder auf die Vorstadtpfarre. Seine Installation erfolgte am 23. Juni
1914. Als Ehrendomherr und Dechant (letzteres seit 1931) resignierte er 1938 und starb am 10. Juni
1941. Leopold Brandstätter, am 21. November 1893 zu Frankenmarkt geboren, am 29. Juni 1917 zum
Priester geweiht, wurde, nachdem er Stadtpfarrer von Grieskirchen gewesen war, am 17. März 1940
zum Stadtpfarrer von St. Michael installiert und mit dem 27. März 1951 zum Dechant des Dekanates
bestellt. 1962 wurde er Ehrenkanonikus des Linzer Domkapitels. 1970 trat er in den Ruhestand, den er
in Steyr verbrachte. Er verschied am 29. Oktober 1974. - Am 13. September 1970 wurde Josef Enichl-
mayr (geb. 30. August 1909) als Pfarrer installiert, der bald nach seinem Amtsantritt an das große Werk
der Errichtung des Pfarrzentrums am Tabor ging, ohne indes die Priorität aktiver Seelsorge aufzugeben.
    Erster Seelsorger für den in der NS-Zeit gleichsam aus dem Boden gestampften neuen Stadtteil
Münichholz war P. Josef Meindl SJ (geb. 8. April 1903). Am 1. Jänner 1947 folgte ihm P. Gregor Peter
OMJ; diesem folgend war vom 1. September 1956 bis 14. Februar 1960 P. Franz Schröpfer OMJ Pfarr-
vikar; hierauf stand F. Alois BIumör OMJ der Pfarre vor. Seit dem Herbst 1974 ist P. Engelbert Ferihumer
OMJ Pfarrprovisor.
    Der erste Pfarrkurat auf der Ennsleite war bis 1964 Alois Reiter. Mit Errichtung der Pfarre wurde
Ernst Pimmingstorfer (geb. 8. Dezember 1935) Pfarrer und gleichzeitig (mit 1. Jänner 1970) auch De-
chant des Dekanates Steyr.

d. Das Wirken der Orden in Steyr

    Die Zahl der Ordensniederlassungen war im alten Steyr größer als im Steyr von heute. Kapuziner, Do-
minikaner und Cölestinerinnen wurden im Zuge der josephinischen „Reformen“ abgeschafft. Einige Jahre
davor, 1773, war der Jesuiten - Orden auf Druck der Bourbonenhöfe vom Papst aufgehoben worden und
damit auch ihre große Steyrer Niederlassung, das Gymnasium neben der Michaelerkirche. Seit 1834 ver-
suchten die 1814 vom Papst neuerrichteten Jesuiten, in Steyr neuerdings Fuß zu fassen. Im Oktober d. J.
richtete der Bischof von Linz, Gregorius Thomas Ziegler, ein von Hofkreisen befürwortetes Gesuch um
Rückgabe des ehemaligen Steyrer Kollegs, Michaelerplatz Nr. 6, zugunsten des Jesuitenordens an den
Kaiser Franz I. Doch war die öffentliche Stimmung in Steyr eher gegen diesen Plan. Als im April 1848 der
Bischof von Linz die Jesuiten vom Freinberg (Linz) nach Gleink als einen sicheren und ruhigen Ort bringen
wollte, stachelten die Steyrer „Zwanglosen Blätter“ die Bevölkerung gegen diese Absicht auf, sodass
diese „Gefahr“ schließlich abgewendet wurde. Die Jesuiten waren ja der Kirchengegner liebstes Angriffs-
ziel seit jeher gewesen. Vom 10. bis zum 24. April 1853 wirkten Jesuiten erstmals mit einer Mission wie-
der seelsorglich in Steyr. 1857 misslang ein neuerlicher Rückkehrversuch.
Als am 22. April 1865 die ersten beiden Jesuitenpatres ihren Einzug in Steyr hielten, war der Gemein-
derat heftig dagegen. Allein die ehemalige Dominikanerkirche, welche man dem Orden zur Benützung
zugewiesen hatte, war Filialkirche gewesen, dem Religionsfonds gehörig und dem Zugriff des Gemeinde-
rates entzogen. Die Verrechnung des Kirchenvermögens, der Einnahmen und die Erhaltungskosten des
Gotteshauses sollten weiterhin beim Stadtpfarrer bleiben. Bis 1911 war die Niederlassung ein Missions-
haus, ein Stützpunkt im Dienst der katholischen Volksmissionen. Bis zu 17 Patres hielten sich in Steyr auf.
Männer wie Scharler, Wieser und Zehengruber haben von Steyr aus bis zum Jahre 1911 2545 Volksmis-
sionen abgehalten. Seit 1911 beschränken sich die Arbeiten auf die Seelsorgehilfe in der Stadt und die
Kongregationen; seither sind vier bis sechs Patres der Sozietät Jesu in Steyr anwesend.
    1901 wurde die marianische Kongregation der Männer, Fräulein, Dienenden und Jünglinge, wie
man damals sagte, gegründet, am 25. Mai 1904 die Marianische Frauenkongregation, 1910 die am 1.
April 1941 verbotene und bis Kriegsende eingestellte Studentenkongregation, die nach dem zweiten
Weltkrieg besonders im unvergesslichen P. Schwarz einen begeisternden Leiter hatte. Die Studentin-
nenkongregation wurde von P. Dinkhauser SJ gegründet, der von 1930 bis 1935 in Steyr wirkte. P. Vitus
Loinger SJ (1844--1930) hat sich um die erstgenannten Organisationen verdient gemacht.
    Heute ist die Jesuitenkirche besonders als Beichtkirche beim Stadt- und Landvolk beliebt. Als um
1965 der Orden aus Personalmangel die Auflassung dieser Niederlassung erwog, war die Meinung der
katholischen Bevölkerung sehr entschieden für den Weiterbestand der Jesuitenresidenz.
    Am 10. Mai 1928 wurde das Schloss Vogelsang, Prevenhubergasse Nr. 14, im herabgeminderten
Schätzwert von insgesamt 343.424 Schilling versteigert, nachdem Prinz Ludwig von Sachsen-Coburg-
Gotha finanziell zusammengebrochen war. Die Tiroler Franziskaner - Provinz erwarb die ganze Liegen-
schaft mit etwa 40.000 m2 um den Ausrufpreis von 171.712 Schilling, nachdem die daran interessierte
Stadtgemeinde die Mittel zur Erwerbung nicht hatte aufbringen können. Besonders Dr. Hubert Mes-
senböck hatte sich sehr für die Übernahme der Liegenschaft durch den Orden eingesetzt. Die Franzis-
kaner eröffneten bereits im Herbst 1928 ein Knabenkonvikt samt Hauptschule. P. Ernst Moser OFM,
der Konvikt und Hauptschule eingerichtet hatte, wirkte bis August 1930 in Steyr. 1932 erhielt die Schule
das Öffentlichkeitsrecht. Olga Reithoffer-Hochhauser († 7. Juli 1933) machte die Tiroler Franziskaner-
Provinz zum Erben ihres Besitzes Neulust samt den umliegenden Gründen im Ausmaß von 20 Joch.
    Nun zu den weiblichen Orden. Bereits 1844 gelangte ein Gesuch der Stadt Steyr um Berufung der
Barmherzigen Schwestern vom Orden des HI. Vinzenz von Paul an den Hof in Wien. Die Sache wurde
jedoch von der Stadt nicht sonderlich intensiv betrieben. Am 14. August 1847 erst genehmigte Kaiser
Ferdinand den Antrag. Hierauf ließ die Gemeinde den Plauzenhof (heute St. Anna) um 12.500 fI C.M.
umgestalten. Die Stadtgemeinde schloss am 5. Juni 1849 mit dem Orden einen Vertrag, in welchem
ein jährlicher Pauschalbetrag von 2310 fl für die Betreuung des städtischen Spitals zugesichert wurde
und der Orden sich verpflichtete, die übernommenen 39 Betten auf 50 zu vermehren. Am 22. Dezem-
ber 1849 wurde somit das städtische Krankenhaus von den Barmherzigen Schwestern übernommen.
Sie kamen vom Wiener Mutterhaus. Seit 1861 führen sie auch das Waisenhaus St. Anna. Seit dem 1.
November 1865 wirkten sie im Sondersiechenhaus (Bruderhaus) in der Sierninger Straße Nr. 55. Von
1883 bis 1954 betreuten sie das Städtische Versorgungshaus (Sierninger Straße Nr. 156).
    In den ersten 20 Jahren des Bestandes des Spitals, bis 1870, verpflegten die Schwestern bereits
15.091 Kranke, von denen 1391 starben, das gab 338.684 Verpflegstage. Zwölf Barmherzige Schwes-
tern und 5 Kandidatinnen starben in diesem Zeitraum im Dienste der Nächstenliebe.
    1924 kam es im Gemeinderat zum Wunsch, die geistlichen durch weltliche Schwestern zu ersetzen,
was aber nicht zuletzt wegen der dadurch erforderten hohen Kosten abgelehnt wurde (Gemeindeprot.
5. Juni 1924).
    Mit dem 31. Dezember 1967 mussten die Barmherzigen Schwestern - 21 an der Zahl - das Landes-
krankenhaus in Steyr verlassen, da sie für Ordensspitäler benötigt wurden. Der Nachwuchsmangel bei
den Orden ist ein trauriges Zeichen unserer Zeit.
    Der Katholische Frauenverein in Steyr berief die Barmherzigen Schwestern vom hl. Kreuz (Kreuz-
schwestern), die seit 1863 in der Privatkrankenpflege und in der Schutzanstalt (Wieserfeldplatz Nr. 18-
22), seit 1875 in der Kinderbewahranstalt (Wieserfeldplatz Nr. 4-6, 1973 in die Schutzanstalt übersie-
delt) tätig sind. Im Jahre 1867 kauften sie das Haus Berggasse (alt) Nr. 137. Seit 1932 besitzen und
führen sie die Rudigierschule, Hochhauserstraße Nr. 1.
e. Die Evangelische Kirche A. B. in Steyr

    Joseph II. hatte 1781 dem Augsburgischen Bekenntnis beschränkte Duldung im sogenannten Tole-
ranzpatent gewährt. Wir müssen aber bestürzt erkennen, dass im Vormärz (der Zeit zwischen 1815-
48) Duldung der Protestanten nicht sehr großgeschrieben war. Als um 1838 besonders unter den
Drahtziehergesellen im Aichet „Proselytenmacherei“ vorkam, also für den Protestantismus geworben
wurde, und acht Eheleute ihren Übertritt anmeldeten, wurden „viele gerichtliche Vernehmungen ...
auf Betreiben des Vorstadtpfarramtes und des Kreisamtes im geheimen, jedoch ohne Erfolg, gepflo-
gen“ (Steyrer Kalender 1913 s. 98).
    Erst mit dem Entstehen der Steyrer Waffenindustrie, in den 1860er-Jahren, geriet Bewegung in die
Reihen der Protestanten, die sich am Anfang ja meist aus Arbeitern und Angestellten der Waffenfabrik
zusammensetzten. Der Aufschwung der Werndl'schen Fabrik verursachte durch fremden Zuzug ein
Ansteigen der Protestanten. Wollten sie Gottesdienst feiern, so mussten sie aber zunächst nach Kema-
ten an der Krems wandern. Manchmal besuchte der dortige ev. Pfarrer auch Steyr. Senior Kühne
suchte durch die Wahl eines (1873 neugebildeten) provisorischen Vorstandes die Evangelischen zu er-
fassen. 1872 wurde der Gallneukirchner evang. Pfarrer L. Schwarz beauftragt, die kirchlichen Aufgaben
in Steyr mit Hilfe der Zinsen des vom Gustav- Adolf-Vereines ins Leben gerufenen Reisepredigerfonds
zu führen. 1873 hielt er sechsmal Gottesdienst mit Abendmahl in Steyr. Am 22. Juni 1873 besprachen
Evangelische eine eventuelle Konstituierung einer evang. Gemeinde, die Herren Almeroth, Geiger, Kert
und Nitsche waren führend; der OÖ. Zweigverein des Gustav-Adolf-Vereines stellte 1873 in Hallstatt
auf fünf Jahre je 100 fl zur Besoldung eines Geistlichen in Aussicht.
    Der evang. Oberkirchenrat in Wien hat mit Erlass vom 23. Oktober 1875 über die Superintendentur
und das Seniorat in Wallern beschlossen, dass sich die Evangelischen in und um Steyr zu einer selb-
ständigen Gemeinde A. B. konstituieren dürften. Im Erlass waren auch die Grenzen dieser prot. Ge-
meinde bestimmt, welche die Gemeindevertretung der bisherigen Muttergemeinde Neukematen am
4. April 1875 beschlossen hatte.
    1876 fand die erste Gemeindeversammlung zur Wahl des ersten Presbyteriums statt. Am 18. No-
vember 1877 hielt der erste evang. Pfarrer Steyrs seit 1624, Karl FreyIer, seine Antrittspredigt, welche
auch im Druck erschien. Freyler wurde mit Erlass des Justizministeriums vom 28. März 1878 zum evang.
Strafhausgeistlichen in Garsten bestimmt und über Statthalterei-Erlass vom 22. Mai 1878 auch zum
Mitglied des Steyrer Stadtschulrates ernannt. Auch Waidhofen / Ybbs musste von Steyr aus kirchlich
betreut werden. 1878 und noch lange Jahre später wurden dort jährlich vier prot. Gottesdienste abge-
halten, 1896 erstmals acht. Erst Jahre später gelang die Loslösung Waidhofens.
    Zuerst hat die Steyrer Gemeinde mit einem behelfsmäßigen Betsaal im Haus Gleinker Gasse Nr. 29
ihr Auslangen finden müssen. Bemerkenswert ist das Detail, dass zu seiner Adaptierung Katholiken von
Steyr 35 fl spendeten. Der Ankauf des Hauses bescherte der Gemeinde neben Realitätenbesitz aber
auch Schulden, die nur langsam abgetragen werden konnten; noch 1897 hatte man 2788 fl Schulden.
    1878 war ein Jahr besonderer Aktivität: da fanden die erste Konfirmation und der erste Religions-
unterricht (für 15 Schüler und im Realschulgebäude) statt. In der Presbyter-Sitzung vom 23. November
1878 wurde auf Antrag des Presbyteriums vom 11. Oktober 1878 die Gründung eines Kirchenbau-Ver-
eines beschlossen, doch war vorläufig noch an keinen Kirchenbau zu denken. 1894 spendete der deut-
sche Kaiser für einen solchen 1000 Mark. Der Gemeinderat genehmigte am 16. November 1894 den
Verkauf von 2771 m2 Baugrund. Der evang. Oberkirchenrat in Wien rief die österreichischen prot. Ge-
meinden mit Erlass vom 1. April 1896 zu einer „allgemeinen Liebessteuer“ für den Steyrer evang. Kir-
chenbau auf. Am Dessauer evangelischen Konzil von 1896 stiftete der Gustav-Adolf-Verein über Für-
sprache von Schulrat Dr. R. Hempel († 1896 Leipzig) die Summe von 19.000 Mark als Hauptliebesgabe
für diesen Bau. So konnte die evangelische Kirche in der Nähe des Bahnhofes nach Plänen von L.
Schoene (Wien) 1897/98 zügig erbaut werden, das Pfarrhaus etwa gleichzeitig. Das stürzte die evang.
Gemeinde in neue Schulden. Mannigfache Schwierigkeiten innerhalb der Gemeinde verursachten die
am 18. Dezember 1904 erfolgte Ankündigung des Rücktrittes von Presbyterium und Pfarrer Dr. Seile,
der am 1. Juli 1905 die Pfarrstelle zugunsten der von Altaussee aufgab.
Gerade hier lassen Zahlen einige bedeutsame Einblicke zu. Zuerst die Übertritte von der kath. Kirche
zum Protestantismus:
   1877-80: 0, 0, 2, 1
   1881-90: 4, 1, 3, 0, 0, 1, 1, 0, 2, 0
   1891-1900: 2, 1, 0, 1, 1, 4, 1, 2, 19, 12
   1901-10: 2, 10 8, 0, 9, 6, 5, 17, 22, 14
   1911-20: 8, 13, 20, 24, 21, 10, 14, 18, 27, 52
   1921-30: 93, 59, 75, 66, 149, 105, 202, 117, 125, ?
   Der Höhepunkt dieser Bewegung kam in den Jahren 1934 und 1935, als etwa 1000 Menschen zum
Protestantismus übertraten.
   Vergleichsweise sehr gering die Rücktritte oder Austritte in die katholische Kirche:
   1880: 1, 1890: 1, 1891: 2, 1892: 1, 1896: 3, 1898: 2, 1900: 1, 1902: 2, 1903: 3, 1904: 1, 1907: 2,
1913: 7, 1914: 2. - Sonstige Zahlen sind mir nicht bekannt.
   Auch hier wollen wir kurz der Pfarrer gedenken. Nach Karl FreyIer (1877-82) war die Gemeinde bis
1888 verwaist. Sie wurde in dieser Zeit von Linz und Gallneukirchen aus betreut. Nach der Pfarrerwahl
vom 11. November 1888 wurde A. Kotschy († 1890) am 17. Februar 1889 in sein Amt eingeführt. Ihm
folgte der am 22. Februar 1891 eingeführte R. Johne, diesem am 15. Dezember 1895 E. Stökl, diesem
Dr. Friedrich Selle am 8. Mai 1902. Nach dessen Abgang am 1. Juli 1905 beschloss das Presbyterium
am 6. Juli 1905, die Pfarrstelle erst nach erfolgter Einführung der prot. Kirchensteuer zu besetzen, doch
wurde mit Otto Waitkat (zum Pfarrer gewählt am 29. April 1906) der Gemeinde wieder ein Pastor ge-
geben. Am 5. Juli 1913 verließ er Steyr. Es folgte ihm W. FIeischmann (27. Jänner 1888 - 16. April 1946),
über Wahl vom 19. April 1914. Um 1936 waren 9/10 der Mitglieder der prot. Gemeinde übergetretene
aus der kath. Kirche. Nach Fleischmanns Tod wurde Franz Müller (geb. 1915) am 1. Dezember 1946
Pfarrer in Steyr; er ging 1967 nach Bad Ischl. Seit 1968 ist Manfred DoppIinger (geb. 1928) Pfarrer.
   Der Anteil der Protestanten ist besonders in Münichholz hoch (1959: 10,4 Prozent der Bevölke-
rung). Hier wurde daher eine Tochterpfarre errichtet, der 1960-65 Josef Suchanek (1907 - 65) vorstand,
1966-68 Manfred DoppIinger, 1970/71 Kurt Wieninger, seit 1972 Karl-Heinz Nagl. Mit 1972 ist Münich-
holz selbständig.

f. Die altkatholische Bewegung

    Im Anschluss an das Erste Vatikanische Konzil 1869/70 und die Verkündigung des Dogmas der
päpstlichen Unfehlbarkeit in feierlichen ex-cathedra-Lehrentscheidungen in Glaubens- und Sittensa-
chen war unter der Bezeichnung „Altkatholiken“ eine Gruppe meist sehr gelehrter und engagierter
Persönlichkeiten aus der Kirche ausgetreten. Die Bewegung fand rasch Anklang in Steyr. 1872 bildete
sich hier eine altkatholische Gemeinde. Am 9. März 1872 wurde der erste altkatholische Leichenkon-
dukt gehalten. Dr. Brader wurde zur Abhaltung altkath. Gottesdienste der Ratssaal überlassen! Die
höchste Zahl von Anhängern war schnell erreicht und wurde auf 300 geschätzt. Der überwiegende Teil
waren Fabriksarbeiter. Die liberale Seite zeigte schnell Sympathie für die Bewegung. Der katholiken-
feindliche Alpen-Bote ergriff Partei für die Altkatholiken, nicht zuletzt dank der journalistischen Tätig-
keit eines gewissen Alois Anton. Dieser erregte sehr viel Aufsehen. In Steyr 1824 geboren und 1850
zum Priester geweiht, wurde ihm für eine (unbedeutende) Chronik von Steyr das Ehrenbürgerrecht
verliehen. Nachdem er einige Jahre in Steyr und Sarmingstein als Priester tätig war, verzichtete er mit
8. November 1896 auf seine geistlichen Funktionen und ging nach Wien-Penzing. 1871 wurde er Führer
des Wiener Altkatholizismus und wirkte als solcher bis zu seinem Tod am 9. Juni 1878.
    Die Altkatholiken unterhielten gute Beziehungen zu den Protestanten. Zu einer altkatholischen
Taufe am 7. Oktober 1878 etwa stellte der evang. Pfarrer Freyler „bereitwillig“ das Bethaus zur Verfü-
gung. - Selbst der sozialdemokratische Bürgermeister Josef Wokral war Altkatholik.
    Der Gemeinderat beschloss bei zwei Gegenstimmen am 11. April 1932 die Vermietung des ehema-
ligen Feuerwehrdepots Eisenstraße Nr. 3 an die altkatholische Kirchengemeinde in Linz, vom 15. April
1932 angefangen. Größere Bedeutung hat die Bewegung in Steyr indes nicht erlangt.
g. Die Kirchen und die Bildung

    Nach den beiden letzten Exkursen wollen wir nun kurz streifen, was im katholischen Steyr für die
Bildung der Gläubigen geschehen ist.
    Schon der am 9. Mai 1875 konstituierte Kath. Arbeiterverein hatte die Verbesserung der Lage des
Arbeiterstandes auch in geistiger Beziehung zum Programm.
    Im Oktober 1905 bescheinigte die OÖ. Statthalterei den rechtlichen Bestand des Vereines „Volks-
lesehalle „ in Steyr. Ihm stellte der Gesellenvereinspräses Kooperator Josef Haidinger ein Zimmer im
Gesellenvereinshaus (heute Colosseum-Kino) zur Verfügung. Am 31. Oktober 1926 wurde ihr derzeiti-
ges Heim, ein von Baumeister Hingerl in jenem Jahr errichteter Anbau an die Michaelerkirche (Micha-
elerplatz Nr. 4) eröffnet. Der 1923 gegründete Kath. Volksbildungsverein nahm die Bücherei in seine
Obhut. Der Verein Volkslesehalle in Steyr wurde 1926 umgebildet und hieß seither Verein „Volkslese-
halle Steyr“. 1938 enthielt diese Bibliothek an die 9000 Bände, außerdem noch eine Kinder- und eine
Fernleihbücherei. 1939 erfolgte die Beschlagnahme. Die Stadtbücherei stellte 1600 Bände ein, einige
hundert Bände konnten gerettet werden, der Rest wurde von der Hitlerjugend verbrannt oder einge-
stampft. Nach dem Kriegsende konnte die Stadtbibliothek 1280 Bände zurückgeben. Die wiedererrich-
tete Volkslesehalle wurde am 14. November 1947 eröffnet. Sie verfügte 1964 wieder über 7200 Bände.
    Im Herbst 1960 wurde die Pfarrbücherei Münichholz eröffnet.
    Die gründende Versammlung des Piusvereines zur Förderung der kath. Presse fand am 9. Dezember
1906 statt. Bis 1925 fungierte Dr. Eduard Hönigschmied († 1931) als Obmann. Der Verein wurde am
12. Juni 1927 umgestaltet.
    Im geistigen Leben der Stadt hatte der schon oben erwähnte Kath. Volksbildungsverein unter seinem
Obmann Prof. Dr. Leo Schmalzer, dem späteren Direktor des Realgymnasiums einen guten Klang. Dieser
Verein bestand von 1923 bis 1938. Mitte Februar 1947 begann unter Prof. Dr. Gunther Holub das Kath.
Bildungswerk seine Tätigkeit in Steyr. Von 1951 bis 1975 wurde es höchst erfolgreich von Prof. Erich
Grandy geführt. Im September 1955 wurde auch in Münichholz ein Kath. Bildungswerk geschaffen.
    Was wären feierliche Hochämter ohne Mitwirkung einer geeigneten Kirchenmusik? Ein wenig am
Rande in die Musikgeschichte eingegangen ist der 1862 in Lambach geborene und seit 1888 in Steyr
als Regenschori angestellte Franz X. Bayer durch seine Bekanntschaft mit Anton Bruckner. Er starb am
16. Juli 1921. Bruckner, der Steyr liebte und sich hier großer Wertschätzung erfreute, spielte am 15.
und 18. August 1886 beim Hochamt auf der Orgel. Teile seiner 8. und 9. Symphonien schrieb er im
Stadtpfarrhof. Am 18. August 1892 führte Franz X. Bayer das Te Deum Bruckners in Anwesenheit des
Komponisten auf. Die Stadtpfarrkirchenorgel von 1893 bis 1895 ging weitgehend auf eine Disposition
Bruckners zurück. Am 2. April 1893 spielte der Meister in einer Aufführung seiner D-Dur-Messe die
Orgel. An jenem Tag betonte er, testamentarisch verfügen zu wollen, in Steyr begraben zu werden.
Übrigens wurde Bruckners Messe in D auch 1896, 1898, 1902, 1908, 1910, 1918, 1924, 1929, 1932 und
öfter in Steyr aufgeführt.
    Franz X. Bayer war von Ostern 1888 bis 1921 Leiter beider Kirchenchöre, in Stadtpfarre und St. Mi-
chael. Ihm folgte Friedrich Cloß († 1928). Auch der begabte Johann Prinz († 14. September 1930) wirkte
mit den Kirchenchören. Mit 1. Jul i 1928 wurde Rudolf Pribitzer Regenschori. In der schweren Zeit des
letzten Krieges leitete Friedrich Brandl (1897-1964) beide Kirchenchöre. An der Stadtpfarre folgte ihm
der am 29. Juni 1957 verstorbene Wilhelm E. Hübl, worauf Friedrich Brand! bis zu seinem Tod wieder
den Stadtpfarrkirchenchor leitete. In St. Michael wirkten vom 1. Jänner 1946 bis April 1950 Dr. Franz
KauIich, nachher bis 1965 Alois Brandstetter, seit 1961 auch Emmo Diem, seit 1964 Josef Hackl.
    Während die Kirchenchöre in St. Michael und in der Stadtpfarrkirche heute nicht vereinsmäßig kon-
stituiert sind, bestand von 1924 an der 1941 weiterbelassene Kirchenmusikverein, der vom Messerfabri-
kanten Josef Hack sen. (1893-1964) angeregt worden war. So war es möglich, die vorhandenen Kräfte
auf wirksamste Weise an beiden Pfarrkirchen der Stadt einzusetzen. Damals waren Aufführung sakraler
Musik häufiger als heute: So führte der Verein etwa im Jahr 1929/ 30 124 Ämter, 29 Requien, 4 Litaneien
und 9 Vespern auf. Schwierige Werke wie Beethovens Messe in C, Bruckners Te Deum und Messe in d-
Moll konnten durchaus aufgeführt werden. Postamtsdirektor Anton Sighart († 1950) war lange Jahre
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