100 Jahre neue Universität Zürich und Zürichs Zünfte - Zunft zur Waag

 
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100 Jahre neue Universität Zürich und Zürichs Zünfte - Zunft zur Waag
Philippe Welti, Peter Aisslinger, Neujahrsblatt zum Bächtelistag 2014

100 Jahre neue Universität
Der Festzug der Zünfte Zürichs zur Einweihung

Zürich und Zürichs Zünfte
der neuen Universität Zürich am 20. April 1914

Neujahrsblatt Verlag der Zunft zur Waag, Zürich
100 Jahre neue Universität Zürich und Zürichs Zünfte - Zunft zur Waag
Philippe Welti, Peter Aisslinger, Neujahrsblatt zum Bächtelistag 2014

                                                                    100 Jahre neue Universität
                                                                    Der Festzug der Zünfte Zürichs zur Einweihung

                                                                    Zürich und Zürichs Zünfte
                                                                    der neuen Universität Zürich am 20. April 1914

100 Jahre neue Universität Zürich und Zürichs Zünfte

Neujahrsblatt zum Bächtelistag 2014
Philippe Welti, Peter Aisslinger

Herausgeber: © Neujahrsblatt Verlag der Zunft zur Waag

Bildnachweis: Universität Zürich, Universitätsarchiv

Graphische Gestaltung und Satz: Renato V. Compostella, Herrliberg
Lithographie: Mediafabrik AG, Zürich
Druck: Köpfli & Partner AG, Neuenhof

ISSN 2235-8714
ISBN 978-3-9524264-0-1                                              Neujahrsblatt Verlag der Zunft zur Waag, Zürich
100 Jahre neue Universität Zürich und Zürichs Zünfte - Zunft zur Waag
Vorwort des Zunftmeisters

Bereits zum siebten Mal legen wir ein Neujahrsblatt in unserer Serie über     Peter Aisslinger ist ehemaliger Zunftmeister der Zunft Höngg und verfügt
das Zunftwesen und Umzugstraditionen in Zürich und an anderen Orten           als Mitglied des Herausgeberkreises der massgebenden geschichtlichen         3
in der Welt vor. Diesmal konzentrieren wir uns auf Zürich allein und lassen   Darstellung „Das Zürcher Zunftwesen“ von 2005 und als Mitredaktor des
unseren Blick hundert Jahre zurückgehen: zur festlichen Eröffnung der         jährlichen Sechseläuten-Magazins über die einschlägigen Kenntnisse über
neuen Universität im April 1914. Die Einweihung war ein bedeutsamer           die ZZZ-interne Vorgeschichte des Festumzugs von 1914.
Anlass für Zürich; auch die Zünfte Zürichs wollten ihren Beitrag zum öf-
fentlichen Festakt leisten und widmeten ihren traditionellen Sechseläuten-            Ich freue mich, dass anlässlich des stolzen Jubiläums unserer Uni-
Umzug dem grossen aktuellen Anlass, indem sie ihm das Thema „Bilder           versität auch aus Zunftkreisen Zürichs mit einer freundschaftlichen Geste
aus dem wissenschaftlichen Leben“ gaben. Jede Zunft hatte eine Epoche         nicht nur die zupackende Zuversicht von 1914, sondern auch der heute
der Wissenschaftsgeschichte darzustellen, beginnend mit den Ägyptern          weltweite Ruf einer hervorragenden Lehranstalt der obersten „Liga“ ge-
und endend mit der damaligen Gegenwart. Die Studentenschaften bilde-          bührend gewürdigt wird. Ich bedanke mich ferner bei alt Rektor Prof. Dr.
ten den Abschluss des Umzuges und repräsentierten die damalige aka-           Andreas Fischer für das grosse Interesse, das er dieser Schrift während
demische Jugend, die als erste Generation vom neuen Kollegiengebäude          ihrer Entstehungszeit entgegengebracht hat, und freue mich, dass er be-
Besitz ergreifen konnte.                                                      reit war, als unser redaktioneller Ehrengast zum Geleit des diesjährigen
                                                                              Neujahrsblattes selber zur Feder zu greifen. Ich wünsche den Leserinnen
       Die Schrift entspringt, wie schon die früheren, der Feder unseres      und Lesern eine anregende Lektüre.
Waag-Zünfters Philippe Welti, der sich seit Jahren mit der Umzugstraditi-
on in Zürich und an anderen Orten der Welt befasst. Für die Darstellung
der vorbereitenden Beratungen des Organisationskomitees des Umzugs,           Zürich, den 2. Januar 2014
damals Central-Comité, heute Zentralkomitee der Zünfte Zürichs (ZZZ)          Zunft zur Waag
genannt, durften wir als Spezialkapitel einen Beitrag von Peter Aisslinger    Der Zunftmeister
in das Neujahrsblatt integrieren: „Organisation des Festumzugs von 1914
durch das ‚Sechseläuten-Central-Comité‘“.                                     René Kalt
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Geleitwort unseres Ehrengastes

    Der Sechseläuten-Umzug vom 20. April 1914 war auch für unsere Univer-           Der damalige Festzug war begleitet von der Herausgabe eines schönen
4   sität ein grosses Ereignis, denn die Zünfte Zürichs hatten ihren traditionel-   Festalbums, einem heutigen Sammlerobjekt, in dem das Künstlerpaar F.          5
    len Frühlingsumzug ganz der „neuen Universität“ gewidmet. Bereits zwei          Boscovits sen. und jun. die Pracht des Augenblicks zeichnerisch festhielt.
    Tage zuvor war das vom berühmten Architekten Karl Moser entworfene
    Kollegiengebäude am unteren Zürichberg eingeweiht worden. Die Zeit, als                 Jenes kunstvolle Programm wird heute, aus Anlass des hundert-
    die Universität behelfsmässig im Südflügel der ETH einquartiert war, ging       jährigen Jubiläums der Universitätseinweihung, als Neujahrsblatt der
    damit zu Ende; fortan verfügte sie über einen eigenen stolzen Bau, der          Zunft zur Waag noch einmal aufgelegt. Ich freue mich persönlich sehr
    sich rasch zu einem Wahrzeichen Zürichs entwickelte.                            über diese erneute freundschaftliche Geste aus Zünfterkreisen und dan-
                                                                                    ke den Herausgebern der vorliegenden Schrift auch im Namen der Uni-
             Mit ihrem festlichen Aufmarsch wollten die Zünfte der Öffentlich-      versitätsleitung für ihre Initiative. Ich wünsche der Publikation eine gute
    keit und den vielen angereisten Gästen offenbar vor Augen führen, in            Aufnahme bei allen, denen Zürich, seine Zünfte und seine Universität am
    welchem hohen Ansehen die höchste kantonale Lehr- und Bildungsan-               Herzen liegen.
    stalt stand. Die Zünfte wichen in ihrem „Zug zum Feuer“ für einmal von
    ihren wiederkehrenden Umzugsthemen inklusive Wagen, Uniformen und
    Kostümen ab und machten aus ihrem Umzug einen „Festzug zur Ein-                 Prof. Dr. Andreas Fischer
    weihung der neuen Universität“. Sie wählten das Thema „Bilder aus der           Rektor der Universität Zürich 2008 – 2013
    Geschichte des wissenschaftlichen Lebens“, das von den Zünften - jede           Projektleiter „100 Jahre Hauptgebäude der Universität Zürich“
    für eine Epoche zuständig - in einem grossen geschichtlichen Bogen von
    den alten Ägyptern bis zur Gegenwart dargestellt wurde. Dass die Zünfte
    ihrem traditionellen Brauch eine Sonderform gaben, brachte die ganze
    Begeisterung zum Ausdruck, die weite Kreise für den Festtag der neuen
    Universität empfanden, und man darf annehmen, dass sich damit auch
    sehr viel Mehrarbeit und Mehrkosten verbanden.
100 Jahre neue Universität Zürich und Zürichs Zünfte - Zunft zur Waag
Einleitung

                         Der Anlass zu dieser Schrift ist das hundertjährige Jubiläum des Bezugs      begangen worden. Es repräsentierte aber nie so umfassend das Zürcher          gehörte, untergebracht. 1864 konnte der beim Bau des Eidgenössischen
6                        des neuen Kollegiengebäudes, oder der „neuen Universität“, wie das zeit-     Zunftwesen der Neuzeit, wie dies seit 1839 der Fall war und bis heute         Polytechnikums (ETH) für die Universität reservierte Südflügel bezogen      7
                         genössische Schrifttum sagte. Im April 1914 feierten das akademische         geblieben ist.                                                                werden. Damit gelangte die Universität auf die markante Geländeterrasse
                         Zürich mit zahllosen Ehrengästen und Gästen aus dem In- und Ausland                                                                                        hoch über der Kernstadt, der heutigen Altstadt, wo von 1911 bis 1914 die
                         und die breite Öffentlichkeit Zürichs die Einweihung der neuen Univer-               Die Einweihung der neuen Universität war genau genommen die           „neue Universität“, das Kollegiengebäude, gebaut wurde, das am 18. April
                         sität mit einer denkwürdigen Feier. Die Universität begeht unter der Fe-     Einweihung des neuen Kollegiengebäudes. Die Universität als höchste zür-      1914 mit einem feierlichen Festakt offiziell eingeweiht wurde.
                         derführung ihres alt Rektors Prof. Dr. Andreas Fischer im April 2014 das     cherische Bildungs-, Ausbildungs- und Forschungsstätte war 1914 nicht
                         hundertjährige Jubiläum jenes Anlasses abermals mit einem Festakt und        neu. Im europäischen Zusammenhang nicht so alt und ehrwürdig wie die                  Der Zweck des vorliegenden Neujahrsblattes und der Wunsch
                         verschiedenen Aktivitäten, die auch wieder weite Kreise in die Feierlich-    Universitäten von Prag oder Basel, beispielsweise, aber im schweizeri-        seiner Herausgeber ist es, auch hundert Jahre später die damalige Be-
                         keiten einbeziehen werden.                                                   schen Kontext mit ihren 81 Jahren bereits eine etablierte und respektierte    geisterung für die politische Gestaltungskraft wieder sichtbar zu machen.
                                                                                                      Lehranstalt, fast so alt wie der 1830 in Zürich siegreiche politische Libe-   Um den Festzug auch in der Tradition des Sechseläuten-Umzugs recht zu
                                 Wie bedeutsam die Einweihung 1914 für breite Kreise und die Öf-      ralismus, der sie 1833 hervorgebracht hat, und bereits fünfzehn Jahre         würdigen, werfen wir einen Blick zurück zu den Anfängen des heutigen
                         fentlichkeit Zürichs war, ist daran erkennbar, dass Zürichs Zünfte mit der   älter als der 1848 entstandene schweizerische Bundesstaat, auch er ein        Sechseläutens, zuvor aber noch auf den historischen Übergang vom alten
                         Umwandlung ihres traditionellen Sechseläuten-Umzugs in einen Festzug         Produkt des Liberalismus.                                                     zum neuen Zunftwesen. Da dieser in Zürich vor dem Hintergrund des Epo-
                         zu Ehren der neuen Universität die öffentliche Begeisterung auf unver-                                                                                     chenwandels vom „Ancien Régime“ zum Zeitalter des Liberalismus ablief,
                         wechselbare Weise sichtbar machten. Der Anlass von 1914 fiel in das Jahr             Die universitäre Neugründung von 1833, die der gesellschaftlichen     gilt unser allererstes Augenmerk der hiesigen Entfaltung dieser grossen
    Universität Zürich   des 75. Jubiläums des ersten „offiziellen“ Sechseläuten-Umzugs.              Dynamik der liberalen Revolution entsprang, erfolgte ganz bewusst als         politischen Bewegung.
                                                                                                      Neuanfang, ohne sich auf die bestehenden älteren, teils aus der Refor-
                                 1839 hatte der „festliche Umzug der vereinigten Zünfte“ vom 7.       mationszeit stammenden Institute höherer Bildung abzustützen. Da 1833
                         April zum ersten Mal alle Zünfte Zürichs für die Gestaltung und Durchfüh-    keine geeigneten Gebäulichkeiten zur Verfügung standen, wurde die Uni-
                         rung des Brauchs zusammengebracht. In den vorausgehenden Jahrzehn-           versität zuerst in Gebäuden der Fraumünster-Abtei, dann im sogenannten
                         ten war das Sechseläuten bereits mit gelegentlichen kleineren Umzügen        Hinteramt an der Augustinergasse, das dem ehemaligen Augustinerkloster
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Die Liberale Revolution – eine Universität für Zürich

    Der Wiederaufstieg des zürcherischen Zunftwesens zu Beginn des 19.            weil es das neue und wirtschaftlich erfolgreiche Bürgertum integrierte. Der   Restauration die alten Zustände nicht hatten wiederherstellen können.                              Vorerst dominierte jedoch noch der liberale Siegeszug, der die
8   Jahrhunderts, nun in einer neuen gesellschaftlichen Rolle, kann nicht         Sieg des Liberalismus in Zürich 1830 war ein bedeutender Schritt in der       Deshalb war die Zustimmung zur neuen Ordnung in der Kantonshaupt-                          neue Regierung befähigte, in raschem Tempo moderne gesellschaftliche         9
    ohne Bezug zur grossen politischen Bewegung des Liberalismus gesehen          fortschreitenden Integration dieses Bürgertums in die politischen Struktu-    stadt sehr gemischt. Ebenfalls als Verlierer betrachteten sich, sowohl in                  Anliegen zu verwirklichen und das Staatswesen zu erneuern. Dies erklärt
    werden. Wir erinnern deshalb hier in einer knappen Skizze an diese be-        ren. Nachdem 1830 in Paris die Julirevolution, angetrieben von liberalen      der Stadt wie auch auf dem Lande, untere soziale Schichten, die von der                    den Epochenbegriff der Regeneration, die die rückwärtsgewandte Restau-
    sonders für die Schweiz und Zürich im 19. Jahrhundert bedeutsame ge-          Werten und vom liberalen Bürgertum, den Restaurationskönig Charles X.         liberalen Erneuerung nicht profitieren konnten. Und schliesslich fühlten                   rationszeit 1830 ablöste. In rascher Folge wurden neben den konstitutiven
    schichtsmächtige Bewegung. Die Grundsätze des Liberalismus, insbeson-         hinweggefegt und den „Bürgerkönig Louis Philippe“ auf den Thron gesetzt       sich auch kirchliche Kreise als Verlierer. Der Keim für eine Opposition ge-                Gewalten des modernen Rechtsstaates auch Institutionen eines modernen
    dere der Gedanke der individuellen Freiheit und Gleichheit Aller, schafften   hatte, breitete sich das liberale Gedankengut weiter in Europa aus.           gen den beherrschenden Liberalismus war somit gelegt.                                      Schulbildungswesens geschaffen; die Volksschule wurde konsequent von
    nach einer Phase der philosophischen „Inkubationszeit“ in den Schriften                                                                                                                                                                                der Kirche getrennt und für den ganzen Kanton vereinheitlicht. Für die
    von Locke, Montesquieu, Rousseau und anderen in der Französischen                     Im Kanton Zürich gipfelte diese Bewegung vorerst im Ustertag vom                                                                                                 höhere Ausbildung wurde eine Kantonsschule mit Gymnasium und In-
    Revolution den ersten grossen historischen Durchbruch.                        22. November 1830, an dem eine von den Liberalen zusammengerufene                                                                                                        dustrieschule und schliesslich, als Krönung der liberalen Bildungspolitik,
                                                                                  Versammlung im „Memorial von Uster“ eine Totalerneuerung der Kantons-                                                                                                    eine Universität geschaffen, die losgelöst von vorbestehenden Instituten
           Die Französische Revolution und die daraus fliessende kriegeri-        verfassung in liberalem Sinn forderte. Diese Forderung bewirkte noch im                                                                                                  höherer Bildung von Grund auf nach dem Muster deutscher Universitäten
    sche Expansionspolitik Frankreichs hatten in Zürich vorerst den Unter-        gleichen Monat November die Selbstauflösung des Grossen Rates und die                                                                                                    aufgebaut wurde. Endlich wurde auch das unzeitgemässe Kriterium des
    gang des Zunftregimes 1798 zur Folge. Die als Erstes proklamierte Gleich-     Anordnung von Neuwahlen. Bereits am 14. Dezember 1830 trat der neue                                                                                                      Stadtbürgerrechts für die Wahl zum Professor aufgehoben, und für die
    heit von Stadt und Landschaft öffnete dem aufstrebenden Bürgertum die         Grosse Rat zusammen und setzte eine Verfassungskommission ein, de-                                                                                                       Besetzung der Lehrstühle an der neuen Universität wurden die Tore weit
    Tore zu einer politischen und gesellschaftlichen Partizipation, welche un-    ren Verfassungsentwurf am 20. März 1831 in einer Volksabstimmung mit                                                                                                     aufgestossen. Lehrer und Professoren sollten in erster Linie die fachliche
    ter dem politischen und wirtschaftlichen Protektionismus des alten Zunft-     überwältigendem Mehr angenommen wurde. Das Zürcher Volk hatte nun                                                                                                        und wissenschaftliche Befähigung zur Ausübung eines Lehramtes haben.
    wesens ausgeschlossen war. Ihrer Regierungsmacht beraubt öffneten sich        eine liberale Verfassung und erhielt eine liberale Regierung und eine un-
    nun die alten Zünfte im Verlaufe des 19. Jahrhunderts immer mehr den          abhängige Gerichtsbarkeit. Zürich war als moderner Rechtsstaat, vorläufig                                                                                                       Die erste Generation der Universitätsprofessoren setzte sich man-
    Neubürgern. Das zünftige Rekrutierungsreservoir erfasste nun auch die         noch als repräsentative Demokratie, geboren. Verlierer der Bewegung wa-                                                                                                  gels einheimischen Nachwuchses deshalb mehrheitlich aus deutschen
    Bürgerschaft ausserhalb der einst im Zunftregiment eingebundenen Bür-         ren konservative Kreise, zu denen in der Stadt die alten aristokratischen                                                                                                Professoren zusammen, die meist auch aus politischen Gründen der antili-
    gerfamilien. Nach einer schwierigen Identitätssuche zu Beginn des 19.         Familien zählten, die bereits 1798 mit dem Untergang des Zunftregiments                                                                                                  beralen Repression in ihrer Heimat auswichen und gerne in das liberale
    Jahrhunderts fand das Zürcher Zunftwesen nur deshalb eine neue Rolle,         die Regierungsmacht hatten ablegen müssen und auch während der                Ustertag, 22. November 1830; erste Manifestation der liberalen Bewegung im Kanton Zürich   Zürich kamen. Dies geschah im Jahre 1833, dem bis heute regelmässig
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gefeierten Gründungsjahr der Universität. Der alljährliche Dies Academi-                                                          Eine erste Phase der ungestümen liberalen Modernisierung von Staat und
10   cus geht auf die Eröffnung der Universität am 29. April 1833 zurück. Ne-                                                          Gesellschaft war durch eine Allianz von Konservativen aus Stadt und Land              11
     ben der Verfassung darf die Universität als die stolzeste bleibende Errun-                                                        und sozial Benachteiligten der jüngsten industriellen Entwicklung zum vor-
     genschaft der liberalen Bewegung in Zürich angesehen werden.                                                                      läufigen Stillstand gebracht worden. In der Folge zeigte es sich aber, dass
                                                                                                                                       das liberale Gedankengut doch schon weite Bevölkerungskreise erfasst
             Die liberale Eroberung der Zürcher Politik erlitt zwar ein paar Jahre                                                     hatte und sich längerfristig nicht mehr aufhalten liess. 1844 jedenfalls war
     später im Züriputsch vom September 1839 einen vorübergehenden, aber                                                               die Kraft der konservativen Gegenbewegung bereits wieder verpufft und
     heftigen Rückschlag. Dieser nahm seinen Anfang mit einer Universitäts-                                                            1848 begann mit der Gründung des modernen, von liberalen Kräften do-
     angelegenheit, die als „Straussenhandel“ in die Geschichte einging. Die                                                           minierten Bundesstaates eine neue Epoche.
     liberale Regierung hatte aus ihrer grundsätzlich säkularen Haltung heraus
     für die Neubesetzung des Lehrstuhls für neutestamentliche Theologie den                                                                          Abbildung der Universität Zürich im Sechseläuten-Festprogramm 1914 >
     kritischen Theologen David Friedrich Strauss aus Württemberg berufen.

             Diese Berufung löste den Widerstand kirchlicher und konservativer
     Kreise aus, die die Berufung rückgängig machen wollten und grössere
     Volksmassen von der Landschaft zu einem Marsch nach Zürich mobili-
     sierten. Am 6. September 1839 kam es auf dem Münsterhof zum gewalt-
     samen Zusammenstoss zwischen den revoltierenden Massen und den von
     der Regierung aufgebotenen Truppen. Er forderte 15 Tote und zwang die           Zeitgenössische Karikatur zum «Straussenhandel»
     liberale Regierung zur Flucht aus der Stadt. Der auf den Lehrstuhl ge-
     wählte Theologe Strauss wurde übrigens noch vor Antritt seines Lehramtes
     pensioniert.
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Vom alten zum neuen Zunftwesen Zürichs

     Vor dem Hintergrund der geschilderten liberalen Bewegung fand auch             Helvetischen Republik (1798 bis 1803) in eine neue, wieder föderal struk-    und der liberalen Kantonsverfassung von 1831wurden die Grundsätze der          gesinnten Mitglieder keinen Anlass sahen, in der kurzzeitigen konservati-
12   der Wandel des Zürcher Zunftwesens von seiner Rolle als Herrschafts-           turierte Ordnung mit der Auferlegung der Mediationsakte 1803 den Begriff     Rechtsgleichheit und, besonders bedeutsam, die Handels- und Gewerbe-           ven Gegenbewegung wieder von alter Glorie zu träumen oder gar das Rad           13
     system zu einer neuen, unpolitischen gesellschaftlichen Funktion statt.        der Zünfte wieder einführte. Es sollte damit terminologisch an die frühere   freiheit eingeführt. Mit einer Verfassungsrevision wurden schliesslich 1838    der Geschichte zurückzudrehen. Die moderne Gesellschaft hatte die alten
     Dieser Wandel setzte mit der Besetzung Zürichs durch napoleonische             Zeit erinnert werden, ohne dass jedoch die Errungenschaften der Revolu-      die Wahlzünfte durch Wahlkreise ersetzt und die letzten Vorrechte der          Zünfte, trotz ihrer liebevollen Pflege des historischen Erbes, bereits soweit
     Truppen und kurzlebigen Versuchen neuer staatlicher Ordnung ein. Die           tion aufgegeben wurden. Individuelle Freiheit und Gleichberechtigung von     Stadtbürger abgeschafft. Die Zunft-Gesellschaften, Nachfolgekörperschaf-       durchdrungen, dass diese ihr gesellschaftliches Heil in der Zukunft und
     Zünfte hatten schon Anfang 1798, im Angesicht näher rückender franzö-          Stadt und Landschaft blieben grundsätzlich erhalten.                         ten der historischen Zünfte des Ancien Régime, waren nach und nach             nicht mehr in der Vergangenheit sahen.
     sischer Truppen, das althergebrachte Zunftregiment zu Grabe getragen.                                                                                       dazu übergegangen, sich wieder als Zünfte zu bezeichnen. Ihr Programm
     Eine der Hauptsorgen der zur Auflösung und Liquidation entschlossenen                  Als Zünfte bezeichnete die Mediationsakte die Verwaltungseinhei-     war aber nur noch die private Pflege der Geselligkeit und der Traditionen.
     Zünfte bestand darin, ihre Zunftvermögen zu retten. Die Vermögenswerte         ten, die die Bürger zu Wählergruppen zusammenfassten. Aufgrund der           Was sich verändert hatte, war ihre Zusammensetzung. Die historischen
     wurden privatisiert, um sie dem Einzug durch die Besatzungsmacht zu            Ausdehnung des Wahlrechts auf die Landschaft gab es konsequenter-            Zünfte, die schon im 18. Jahrhundert nicht mehr nur Organisationen des
     entziehen. Diesem Zwecke diente auch die Umbenennung der Zünfte in             weise neben den Stadtzünften nun auch Landzünfte. Die neuen Zünfte           gleichen Handwerks oder Kaufmannsstandes waren, sondern immer stär-
     Zunft-Gesellschaften, womit diese von öffentlichen in private Körperschaf-     waren Wahlzünfte mit rein administrativer Zweckbestimmung; sie wähl-         ker auch Familienangelegenheiten geworden waren, rekrutierten sich nun
     ten umgewandelt wurden. Jede Zunft wählte ihren eigenen Weg der Liqui-         ten ihre Vertreter in den 195-köpfigen Grossen Rat, in welchem aber, als     aus den Familien, die bereits dazu gehörten, und aus Neubürgern, die es,
     dation, allen gemeinsam war, dass sie vorerst aus dem öffentlichen Leben       Konzession an die alte Ordnung, die Wahlzünfte der Stadt nach wie vor        dank den neugewonnenen Freiheiten, aus eigener, nicht vererbter Kraft zu
     verschwanden.                                                                  ein wahlarithmetisches Übergewicht hatten. Diese waren jedoch nicht zu       beruflichem Erfolg brachten und gesellschaftlich aufstiegen.
                                                                                    verwechseln mit den als Gesellschaften wiederbelebten Zünften der alten
             Bereits ab 1801 jedoch regte sich neues Leben in zünftigen Rui-        Ordnung, die in separaten Strukturen die Geselligkeit in alten Formen und            Es gehört zum Erfolgsrezept des neuen Zunftwesens zu Beginn des
     nen. Aus Zunft-Gesellschaften, die ihre Vermögen mit deren Verteilung auf      die alten Bräuche pflegten.                                                  19. Jahrhunderts, dass es sich trotz seiner Liebe zur Traditionspflege nicht
     ihre Mitglieder gerettet hatten, entstanden Gesellschaften, die sich für die                                                                                abschottete, sondern sich als Ort etablierte, wo gesellschaftlicher Aufstieg
     Pflege der Geselligkeit wieder konstituierten und dafür im Wesentlichen               Die neue Ordnung hatte den alten Zünften aber auch Neubürger          sichtbar anerkannt wurde. Diese Fähigkeit setzte bereits während der Re-
     auf die gleichen Mitglieder stützten. Verwirrend für die spätere Geschichts-   zugeführt, wodurch der künftige Wandel des Zunftwesens eingeleitet war.      stauration (1815 – 1830) ein, setzte sich im ersten Liberalisierungsschub
     schreibung erweist sich der taktisch kluge Schachzug der Hegemonial-           Das Zürcher Zunftwesen hatte sich zum ersten Mal in einer für die Zu-        der Regeneration fort und überdauerte auch das konservative Zwischen-
     macht Frankreich, die bei der Überführung der kurzlebigen, chaotischen         kunft bedeutungsvollen Art geöffnet. Mit der liberalen Revolution von 1830   spiel nach dem „Züriputsch“ von 1839, indem auch seine konservativ
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Vom alten zum neuen Sechseläuten

     Der Brauch des Sechseläutens bestand schon zu Zeiten alter Zunftherr-       den trostlosen Verhältnissen noch Feste feiern mögen?“ Doch bereits mit     die Saffran-Zunft als erste einen kostümierten Umzug bei Tageslicht. Es       onsgeschick und seinen künstlerischen Talenten zu verdanken. Fünfzehn
14   lichkeit, d.h. vor ihrem Zusammenbruch 1798. Über den Brauch besteht        dem Wiedererwachen des Zunftlebens gingen die wieder konstituierten         kamen mit der Zeit mannigfaltige Festlichkeiten hinzu, bei der auch Dich-     Sechseläuten-Umzüge von 1839 bis 1866 wurden unter seiner Leitung            15
     allerlei geschichtliches und volkskundliches Schrifttum, aus dem hervor-    Zünfte, oder Zunftgesellschaften, dazu über, das Sechseläuten „am alt       ter und Komponisten mitwirkten. Immer häufiger standen die individuellen      verwirklicht. Es gibt keine andere Persönlichkeit, die grössere Verdienste
     geht, dass sich dessen genaue Anfänge nicht bestimmen lassen. Gesi-         gewohnten Tag“ in einem privaten Rahmen auf zum Teil eigenen, zum Teil      Umzüge unter einem Thema, meist einer historischen Begebenheit, die           zur umfassenden Erneuerung des zünftigen Frühlingsfestes in Anspruch
     chert ist, dass seit dem Mittelalter jährlich am ersten Montag nach der     gemieteten Zunftstuben mit einem Abendessen zu begehen. Aktenkundig         künstlerisch gestaltet wurde.                                                 nehmen darf. Als er 1871 verstarb, war es den Zünften ein Anliegen, den
     Tag-und Nachgleiche im Frühling die wieder länger werdenden Tage ge-        ist, dass 1818 die Meisenzunft abends mit einem Wagen und Musikanten                                                                                      Sechseläuten-Umzug aus Pietätsgründen ausfallen zu lassen. Seine ein-
     feiert wurden.                                                              darauf einen kleinen Umzug veranstalteten. Dies löste im folgenden Jahr,            1836 tauchte zum ersten Mal die Idee auf, die Zünfte könnten sich     zigartige Rolle für die Durchführung des Sechseläuten-Umzugs wird auch
                                                                                 1819, weitere Umzüge anderer Zünfte aus, die ebenfalls mit Wagen, auf       auch zu einem gemeinsamen Umzug zusammentun; 1837 und 1838 wa-                darin erkennbar, dass gleichzeitig mit seinem Hinschied die künftige Ver-
             Vom Grossmünster herab verkündeten die Glocken um sechs Uhr         denen sie ihr historisches Handwerk darstellten oder karnevaleske Szenen    ren die Ideen noch nicht genug ausgereift, aber 1839 fand schliesslich        antwortung für die Organisation des jährlichen Umzuges einem neu ge-
     abends das Ende des Tagwerks und läuteten damit den Feierabend ein.         spielten, mit Musikanten abends ihre Schwesterzünfte auf ihren Stuben       der erste gemeinsame Umzug aller Zünfte statt, der auf den Lindenhof          schaffenen Organ, dem „Sechseläuten Central Comité“ übertragen wurde,
     Die Winterzeit, bei der teils mit künstlichem Licht gearbeitet wurde, war   besuchten und mit launigen Reden die Teilnehmenden unterhielten. Mit        führte und dort mit einem gemeinsamen Festessen im Freien gekrönt wer-        das bis heute in Funktion ist und seit 1923 als „Zentralkomitee der Zünfte
     vorbei, wenn das Tageslicht bis sechs Uhr abends und länger dauerte. Zur    diesen Umzügen und nächtlichen Zunftbesuchen entstand ein wachsen-          den sollte. Allerdings waren die Witterungsverhältnisse alles andere als      Zürichs, ZZZ“ firmiert.
     Feier der wieder erwachenden Natur kamen die Zünfte in ihren Zunftstu-      des Bedürfnis, die Beziehungen zwischen Zunftgesellschaften zu pflegen      günstig, so dass die Organisatoren begannen, an eine Verschiebung des
     ben zu einem „Lichtbraten“ genannten Festessen zusammen. Dies war           und zu entwickeln.                                                          Sechseläuten-Datums auf einen Tag im April zu denken.
     eine ältere Bezeichnung für das Sechseläuten. Mit Anbruch des Frühlings
     fiel das Arbeiten bei künstlichem Licht, die „Lichtarbeit“, weg. Dem Ende          In die gleiche Anfangszeit nächtlicher Auszüge fällt auch die An-           1842 fand dann das Sechseläuten zum ersten Mal im April statt.
     der Lichtarbeit galt das Fest des „Lichtbratens“. Belehrenden Schriften     schaffung von Zunftlaternen, die die vorher mitgeführten Fackeln ersetz-    1872 wurde es definitiv auf den dritten Montag im April verlegt. Der Um-
     aus dem 18. Jahrhundert gemäss soll das damals bereits ein Jahrhunderte     ten. Schritt um Schritt kamen auf diese Weise die Ingredienzen des heuti-   zug von 1839 bleibt in der Erinnerung als der erste „offizielle“ Sechseläu-
     alter Brauch gewesen sein.                                                  gen nächtlichen Sechseläuten-Auszuges mit gegenseitigen Zunftbesuchen       ten-Umzug der vereinigten Zünfte Zürichs.
                                                                                 bzw. des späteren Sechseläuten-Umzuges dazu: Kostüme, Banner, Trans-
            Mit der Selbstauflösung der Zünfte 1798 kam es auch zum vor-         parente, Wagen mit allerlei Darstellungen, die Pflege der witzigen Rede             In diesem Zusammenhang erinnern wir gerne an den Widder-Zünf-
     übergehenden Stillstand des Sechseläuten-Brauchs oder, wie sich S. F.       und Widerrede und natürlich die unbeschwerte Feststimmung der Teil-         ter Heinrich Cramer (1812-1871). Vieles vom Aufschwung der neuen Form
     Gyr in seiner Sechseläuten-Studie von 1912 ausdrückt: „wer hätte unter      nehmer und des mitfeiernden Volkes in den Strassen. 1830 veranstaltete      des Sechseläutens, des Umzugs, ist seiner Initiative, seinem Organisati-
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Der Umzug von 1839 und die thematischen Umzüge im 19. Jahrhundert

     Mit dem Umzug von 1839 beginnt also die neue „Zeitrechnung“ in Zü-          war die Zeit, in der das wiederbelebte Zunftwesen in seiner neuen bürger-
16   richs zünftigem Brauchtum. Neue Festelemente kamen in den folgenden         lichen Identität auch passende äussere Selbstdarstellungsformen auspro-                                                                                                                                                                           17
     Jahren dazu, andere gingen wieder verloren, aber das Format war gege-       bierte. Lange Zeit suchte der zünftige Brauch seine definitive Natur zwi-
     ben und hat bis heute überlebt. Ein wichtiges Gestaltungselement ist die    schen Fasnachtsjux und ernsthafter und historisierender Traditionspflege.
     Ausrichtung des Umzugs auf ein gemeinsames Thema, das dann auf mit-
     geführten Wagen und in den Umzugsgruppen und ihren Kostümen zum                    Das kommt in den Themen der Folgejahre nach 1839 zum Aus-            Sechseläutenumzug1888: reich illustrierte Seite aus dem Umzugsprogramm, den Luzerner Fritschi Zug und Prinz Carneval darstellend
     Ausdruck kommt.                                                             druck. Dies waren die wichtigsten: 1841 und 1866 Die vier Jahreszeiten;
                                                                                 1843 Wallenstein’sches Heer; 1849 Bericht über die Eilwagenreise des        Sechseläuten-Umzug vom 7. April 1839 fand im gleichen Jahr wie der                           Zeit kritischen Machtkampf zwischen Konservativen und Liberalen un-
             Die Feier von 1839 galt der Erinnerung an den Neujahrstag von       Prinzen Carneval; 1851 Zürich und seine Eidsgenossen von 1351; 1856         „Züriputsch“ statt, mit dem die liberale Revolution von 1830 am 6. Sep-                      berührt erwiesen. Die politischen Auseinandersetzungen jener Zeit sind
     1560, als eine aussergewöhnliche Gunst der Witterung den Zünftern er-       Festzug der Riesenlokomotive Miracula Spectacula (zum beginnenden Ei-       tember 1839 einen vorübergehenden Rückschlag erlitt. Bekanntlich wa-                         heute Geschichte, während der mehrfach gewandelte Brauch auch heute
     laubte, für ein gemeinsames Mittagsmahl im Freien auf den Lindenhof zu      senbahn-Zeitalter); 1862 Cosmopolitischer Carneval (Chronik der Mode);      ren die historischen Zünfte zuerst einmal die Verlierer der revolutionären                   Gegenwart darstellt.
     ziehen. „Die Theevisite am 7. April 1839“ war der Titel nicht nur des Um-   1872 Volksfeste verschiedener Zeiten und Völker, mit Extrablatt „Iladig     Umwälzungen von 1798 und 1830/31 gewesen, jedenfalls ihre Mitglieder,
     zugs, sondern auch eines Druckes, der den ganzen Umzug zeichnerisch         zum Sechsilüte-Füür im Chratz. 1872“, welches erlaubt, den Zeitpunkt        die zu den ehemals ratsfähigen Familien gehörten. Andererseits hatten die
     wiedergab sowie die beim Anlass gesungenen Lieder und gesprochenen          der Einführung des „Zugs zum Feuer“ mit Verbrennung eines Bööggs ge-        liberalen Veränderungen dem Zunftwesen auch Neubürger zugeführt, die
     Verse enthielt. So war gleichzeitig auch das erste Sechseläuten-Programm    nau zu datieren; 1875 Bilder aus Schiller und Göthes Dichtungen; 1880       ihren sozialen und gesellschaftlichen Aufstieg präzis den liberalen Errun-
     entstanden. Auch diese Tradition hat sich bis auf den heutigen Tag fort-    Bilder aus der Geschichte Zürichs; 1882 Eröffnung der Gotthardbahn;         genschaften wie der Rechtsgleichheit und der Handels- und Gewerbefrei-
     gesetzt. Die Sechseläuten-Programme, besonders die auf einen thema-         1883 Industrie und Gewerbe (zur Eröffnung der Landesausstellung auf         heit verdankten. Es war also zu erwarten und ist auch aktenkundig, dass
     tischen Umzug bezogenen und deshalb künstlerisch besonders wertvoll         dem Platzspitz); 1885 Zürcher Kolonie am Kongo; 1891 1. Bund Zürichs        zu den Zünftern sowohl Konservative als auch Liberale zählten. Das Be-
     gestalteten Programme, sind seither zu Sammlerobjekten geworden.            mit den Waldstätten; 1894 Ernste und heitere Bilder aus der Entwicklung     merkenswerte an dieser historischen Koinzidenz ist, dass der ideologisch
                                                                                 des Reisens; 1898 Die Schweizerischen Volkstrachten in Bildern aus dem      und machtpolitisch kritische Moment des Züriputsches offensichtlich der
            Dem hier vorliegenden Neujahrsblatt liegt denn auch das Pro-         Volksleben (Festzug zur Einweihung des Schweiz. Landesmuseums am            ungestörten weiteren Entwicklung der Geselligkeit in den Formen des Zür-
     grammheft des Jahres 1914 zugrunde. Thematische Umzüge waren im             25. Juni 1898, anstelle eines offiziellen Sechseläutens). Noch ein Wort     cher Sechseläutens keinen Abbruch tat. Das Sechseläuten als Symbol für
     19. Jahrhundert häufig und neigten eher leichterer Unterhaltung zu; es      zu einer bemerkenswerten historischen Koinzidenz. Der erste offizielle      lebendiges und zukunftstaugliches Brauchtum hatte sich als vom lange
Die Umzüge im 20. Jahrhundert

     Seit 1894 hatte sich ein Vierjahres-Rhythmus für thematische Umzüge           offiziellen Gastkantons sein. Der anderthalb Jahre im Voraus bestimmte
18   herauskristallisiert. Im 20. Jahrhundert kam es dann jedoch nur noch zu       Gastkanton erhält die Gelegenheit, sich während drei Tagen auf dem Lin-       19
     sieben solchen besonderen, festlichen Umzügen. 1902 hiess das Thema           denhof darzustellen und mit einer offiziellen Gruppe hinter der Eröffnungs-
     „Vom hoh’n Olymp herab“, 1906 „Zürich im letzten Jahrhundert“, 1910           gruppe den Zug der Zünfte anzuführen. Die Prominenten des öffentlichen
     „Bildende Künste“ (zur Eröffnung des Kunst-Hauses), und eben 1914 zur         Lebens im jeweiligen Gastkanton werden als Ehrengäste individuell von
     Einweihung der neuen Universität „Bilder aus der Geschichte des wissen-       den Zünften zur Teilnahme am ganzen Fest eingeladen.
     schaftlichen Lebens“. Der im gleichen Jahr ausbrechende Weltkrieg unter-
     brach dann den neuen Rhythmus während zwölf Jahren. Erst 1926 fand                    In der Reihe der thematischen Umzüge des 20. Jahrhunderts be-
     wieder ein thematischer Umzug statt: „Festzug dem Gedächtnis unserer          stand noch vor der Festlegung des für 1914 einzuplanenden Themas die
     Dichter Gottfried Keller und Conrad Ferd. Meyer“, 1936 „600 Jahre Zünfte      Erfahrung mit dem Umzug von 1910. Ein mit der geplanten Eröffnung
     Zürichs“ und schliesslich 1951 „Bündnis Zürichs mit den Eidgenossen           der neuen Universität vergleichbarer Anlass hatte 1910 bestanden, als die
     1351“.                                                                        Zünfte ihren grossen Umzug der Eröffnung des Kunst-Hauses widmeten.
                                                                                   Die unmittelbare Vorgeschichte des grossen Umzugs von 1914 wird nun
             Seither beschränken sich die Zünfte auf die individuelle Selbstdar-   aufgrund der Sitzungsprotokolle des Organisationskomitees im folgenden
     stellung mit Wagen und kostümierten Gruppen und Einzelfiguren, die dem        Kapitel geschildert.
     Handwerk und dem historischen Hintergrund der Zunft entnommen sind.
     Dafür sind neue Elemente hinzugekommen. Generell hat eine Ausweitung
     der Veranstaltungen auch am Rande des Kernanlasses zu einer Verbreite-
     rung der teilnehmenden Bevölkerung stattgefunden.

           Zürichs Frühlingsfest ist nicht mehr nur auf die aktiven Zünfter
     und das entlang des Umzuges applaudierende Publikum beschränkt. Am
     erwähnenswertesten dürfte die 1991 eingeführte aktive Mitwirkung eines
O r g a n i s a t i o n d e s F e s t u m z u g s v o n 1914 d u r c h d a s ‚ S e c h s e l ä u t e n - C e n t r a l - C o m i t é ‘

     Grosse Anlässe werfen ihre Schatten bekanntlich voraus. So fanden in                   auf jene Zeit zu veranstalten. Es soll deshalb der nächsten Plenarsitzung      An der Generalversammlung des Central-Comités im Juni 1913 im Zunft-          wurde ihnen eine andere Gruppe zugeteilt und für den Fall, dass sie einen
20   den beiden Vorjahren 1912 und 1913 als Vorbereitung auf den Gross-                     beliebt werden pro 1913 noch keinen grossen Umzug zu beschliessen‘.            haus zur Waag waren ausser den Vertretern der Hausherrn, der Zunft zur        Turnverein für die Besetzung engagieren müssten, eine ‚Extraentschädi-         21
     anlass am Sechseläuten 1914 bereits zahlreiche Vorstandssitzungen und                  Bereits zwei Tage später fand die Sitzung der Delegierten der Zünfte statt,    Waag (!), und der Zunft zum Widder alle Zünfte vertreten. Herr Präsident      gung‘ bewilligt. Die Bannerträger aller Zünfte sollten ‚beritten und mit Ba-
     Zusammenkünfte der Zunftdelegierten statt. Im unmittelbaren Vorfeld des                an der zuerst der Besuch von Kaiser Wilhelm II. in Zürich und eine allfälli-   Glättli berichtete über erste Sitzungen der Künstlerischen Kommission mit     rett‘ erscheinen.
     Frühlingsfestes folgten sich die Sitzungen des Organisationskomitees im                ge Beteiligung der Zünfte sowie auch die Sechseläuten-Umzüge 1913 und          den fünf Professoren zur Diskussion des Themen-Umzuges ‚Bilder aus
     Wochenrhythmus.                                                                        1914 diskutiert wurden. Nach dem Verlesen des erwähnten Rektorats-             dem wissenschaftlichen Leben‘, der nun für 1914 fest geplant wurde, be-              Knapp vierzehn Tage später traten die Delegierten erneut zusam-
                                                                                            schreibens beschloss die Versammlung, 1913 nur einen Kinderumzug zu            vor sich die Gesellschaft zum Abendessen begab. Für 2 Franken pro Per-        men und beschlossen auf Antrag der Zunft zur Schmieden, der neuen
            1912: Vertreter des Central-Comités, 1871 als ‚Sechseläuten-                    organisieren und erst 1914 anlässlich der Universitätseinweihung wieder        son wurde getafelt, wobei die Tranksame ‚auf allgemeine Rechnung‘ ging.       Universität ein ‚bleibendes Geschenk am besten wohl in Form einer Wap-
     Central-Comité‘ und Zusammenschluss der damals dreizehn historischen                   einen grossen Umzug zu veranstalten. Und Vorsicht war auch angesagt.           An der Septembersitzung des C.C., an der die Delegierten aller zwanzig        penscheibe‘ zukommen zu lassen. Und übrigens würden sich ‚am besten
     Zünfte gegründet und damit Vorläufer des heutigen Zentralkomitees der                  Im Protokoll heisst es nämlich: ‚Um zu verhindern, dass etwa andere Ge-        Zünfte teilnahmen, erläuterte das Präsidium das für 1914 vorgesehene          3 schmale Scheiben à ca. 600fr. eignen‘.
     Zünfte Zürichs (ZZZ), standen in Kontakt mit den Verantwortlichen der                  sellschaften sich in die Organisation eines grösseren Umzuges pro 1914         Umzugsprogramm. Dieses sollte die Entwicklung der Wissenschaften
     Universität. Diese plante die Eröffnung der neuen Hochschule. Sie war an-              einmischen möchten, wird das Praesidium gebeten noch in diesem Jahr            durch die Jahrtausende von den Ägyptern über die Babylonier, die Grie-               Mitte November teilte das C.C. den allegorischen Figuren der sechs
     genehm angetan vom Gedanken, dass zur Feier der Eröffnung des neuen                    ganz inoffiziell mit dem Rektorat Rücksprache zu nehmen‘. Schliesslich         chen und Römer bis ins Mittelalter und die Gegenwart in Bildern darstel-      Fakultäten die Farben zu: Theologie violett, Jus grün, Medizin rot, Philo-
     Universitätsgebäudes in Verbindung mit der Darstellung der Geschichte                  verdankte das C.C. noch die freundliche Einladung der Zunft zur Schmie-        len. Der Präsident forderte die einzelnen Zünfte auf, sich eines der Sujets   sophie I blau, Philosophie II gelb, Veterinaria braun. Und als Regieanwei-
     der Wissenschaften ein thematischer Festumzug anlässlich des Sechse-                   den zum 500-jährigen Hausjubiläum.                                             auszuwählen und ihre Wahl an der nächsten Sitzung bekannt zu geben.           sung folgte der Hinweis, dass ‚wenn möglich bei der Griechengruppe die
     läutens 1914 veranstaltet werden sollte.                                                                                                                              Bereits wies er auch darauf hin, dass die einzelnen Umzugsteilnehmer          Doppelflöten- und Gitarrenspieler durch wirkl. Instrumente gespielt wer-
                                                                                                    1913: Im Januar, es fand bereits die nächste Delegiertenversamm-       sich den historischen Verhältnissen anzupassen hätten, ‚namentlich in der     den sollen ‘.
            An der Vorstandssitzung des Central-Comités (C.C.) im Novem-                    lung statt, berichtete der Präsident, dass ‚laut einem Briefe des Rektorates   Barttracht‘! Ebenso seien ‚Zwicker und Brillen unstatthaft‘.
     ber 1912 verlas der Präsident einen Brief ‚von Seiten des Rektorates der               5 Herren der Universität zur Erweiterung der künstlerischen Comission                                                                                               Für die Wappenscheiben hatten Ende November ‚bereits eine An-
     hiesigen Universität, woraus sich ergibt, dass die Einweihung der neuen                nächstens ernannt werden, welche Comission bis zum Herbst lauf. Jahres                Die Zuteilung der Sujets und Gruppen folgte in der Sitzung Mitte       zahl Zünfte je 100fr. kreditiert‘, und der Vorsitzende gab den wiederum
     Universität voraussichtlich erst im Frühjahr 1914 stattfindet‘. Im Sitzungs-           ein festes Programm ausarbeiten soll‘. Im Weiteren ergab eine Umfrage,         Oktober ‚in gewohnter Weise chronologisch‘. Zweimal musste dabei das          versammelten Delegierten bekannt, dass ‚einem Augenschein zufolge sich
     protokoll heisst es dann weiter, dass es‚ … deshalb für das C.C. viel ein-             dass sich bezüglich eines grossen Festumzuges ‚bis jetzt keine negativen       Los entscheiden, weil sich mehrere Zünfte für das gleiche Bild entschie-      im Senatszimmer ein günstiger Platz für eine gemalte Scheibe gefunden
     facher sein wird einen Sechseläuten Umzug mit Berücksichtigung dieser                  Antworten ergaben‘.                                                            den hatten. Da die Dreikönigen beim Losentscheid den Kürzeren zogen,          habe‘.
Vier Künstler wurden für je 50   Der Vorstand des Central-Comités beschloss sodann, ‚das Zugsalbum …            und wünschte für den ‚Homer- und Aerztewagen etwas Gediegeneres‘. Auf
22   Franken Honorar eingeladen, je   dreifarbig, d.h. 2 Farben auf getöntem Chamoiskarton zu drucken‘. Da-          Antrag der Zünfte Riesbach, Hottingen und Fluntern übernahm das C.C.           23
     zwei Entwürfe für Festpostkar-   durch würden sich zwar die Herstellungskosten von ‚38 auf ca. 75 Cts.‘         die Kosten ‚für das goldene Kalb und die Bundeslade der Judengruppe‘.
     ten einzureichen.                pro Stück erhöhen, was aber durch vermehrten Absatz und eventueller            Zudem mussten Perücken für die Musikkorps beschafft werden. Die ‚Drei-
                                      Erhöhung des Verkaufspreises auf zwei Franken wieder wettgemacht wer-          königenzunft‘ wies in einem Brief darauf hin, ‚dass sie das verschleierte
                                      den könnte.                                                                    Bild [der Wahrheit, d.A.] zu Saïs nicht tragen wolle durch die Zünfter‘. Der
                                                                                                                     Grund lag im grossen Gewicht der monumentalen Darstellung. Das C.C.
                                               1914: Nun folgten sich die Sitzungen Schlag auf Schlag: Vorstand,     beschloss darauf, dass das Bild ‚durch Dienstmänner zu tragen sei, die auf
                                      Delegierte, Organisations-Comité und einmal sogar die Zunftmeister setz-       Kosten der betr. Zunft kostümiert würden‘. Der Fechtklub Amicitia erklärte
                                      ten sich mit Blick auf das grosse Ereignis zusammen. Und die Sitzungen         sich zudem bereit, ‚die Mensurgruppe mit 16 Mann zu übernehmen, bittet
                                      dauerten nicht selten bis über Mitternacht hinaus, was sich auch in der        aber am Abend auf einer Zunft mitmachen zu dürfen bei Bezahlung des
                                      Leserlichkeit der stets handschriftlich abgefassten Protokolle des Schrei-     Essens‘.
                                      bers Dr. A. Pestalozzi niederschlug. Unter den verschiedenen Traktanden
                                      stachen die folgenden heraus: die Auflage des Umzugsalbums wurde mit                   Eine ganze Sitzung wurde der Entscheidung über die Marschroute
                                      10‘000 fixiert, Stadt- und Regierungsrat wurden für Beiträge an die Um-        gewidmet. Diese war ein Umzug durch die halbe damalige Stadt. Die ein-
                                      zugskosten angefragt, vier Künstler wurden für je 50 Franken Honorar ein-      geschobene zwanzigminütige Pause liess wohl alle Gruppen aufschliessen
                                      geladen, je zwei Entwürfe für Festpostkarten einzureichen, deren Text wie      und eine geordnet-gemeinsame Ankunft beim Sechseläutenplatz erwar-
                                      folgt lautete: ‚Offizielle Festpostkarten zur Einweihung der neuen Universi-   ten. Eine gute Idee auch für heute?
                                      tät, Sechseläuten 1914, Zürich, am 20 April 1914‘.

                                             Immer wieder wurden Retouchen bei der Planung angebracht,
                                      oder es wurde das Central Comité um finanzielle Unterstützung angegan-
                                      gen. So refüsierte der Vorstand einen Teil der Entwürfe für die Wagenbilder
Das Festprogramm zur Universitätsweihe in Zürich

     Soweit die Vorgeschichte, teilweise im Originalton. Der Frühling 1914 kam      Universität. Vor Beginn des Festzuges wurden die Gäste der Universität       Am Samstag: Der Weiheakt in der Universität
24   näher; es entstanden üppig dekorierte Wagen, Kostüme wurden für ein-           von den Zünften, verteilt auf die verschiedenen Zunfthäuser, zum Mittag-
     zelne Figuren der Wissenschaftsgeschichte und ganze Gruppen entworfen          essen eingeladen. Auf diese Weise gelangten die aus dem In- und Ausland      Das ganze Festprogramm stand unter einem günstigen meteorologischen
     und genäht und der ganze Umzug wurde, wie schon zuvor, in einem hüb-           eingeladenen Besucher in den Genuss eines echten zünftigen Anlasses          Stern: „Prächtigster Sonnenschein lachte über der Stadt“ als sich der Zug
     schen Programmheft künstlerisch dargestellt. Die Bilder zur Illustration       und wurden Zeugen zünftiger Geselligkeit, zu der seit jeher launige Reden    der in- und ausländischen Honoratioren vom vier Jahre zuvor eröffneten
     des hier vorliegenden Neujahrsblattes entstammen mehrheitlich dem Pro-         und Gegenreden von Zunftmeistern und Ehrengästen gehören.                    Kunsthaus aus in Bewegung setzte und die Künstlergasse hinaufschritt.
     grammheft von 1914. Gezeichnet hatten den Umzug F. Boscovits sen. und
     jun., das bewährte Vater-Sohn Künstlerpaar Friedrich Johannes und Fritz                Schliesslich war für die Gäste an der Rämistrasse eine Zuschauere-           Das dreitägige Programm begann mit einem besonders glanzvollen
     Boscovits, das seit 1873 (der Senior) bzw. seit 1897 (der Junior) die meis-    strade gebaut worden, von der sie dann am Nachmittag den Vorbeimarsch        Weiheakt im Lichthof des neuen Universitätsgebäudes. Zur Begrüssung
     ten Sechseläuten-Programme, einzeln oder gemeinsam, künstlerisch ge-           der Zünfte und das Spektakel der „Bilder aus der Geschichte des wissen-      der festlichen Gemeinde sprachen die Regierungsräte Dr. Keller (öffent-
     staltet haben. Schliesslich wurde der Frühlingsumzug der Zünfte Zürichs        schaftlichen Lebens“ verfolgen konnten.                                      liche Bauten) und Dr. Locher (Erziehungsdirektor) sowie der einladende
     als eigenständiger Teilanlass vollständig in das offizielle Festprogramm zur                                                                                Rektor der Zürcher Universität, Prof. Dr. Egger. Dann überbrachten die
     Universitätsweihe integriert.                                                         Wie weit die Zünfte auch inhaltlich mit der Universitätsfeier ver-    universitären Vertreter aus Deutschland, Frankreich und England ihre
                                                                                    knüpft waren, lässt sich nicht nur am Umzugsthema erkennen, sondern          Glückwünsche: für die deutschen Universitäten seine Exzellenz Ritter von
             Die Feier dauerte dreieinhalb Tage, vom 17. bis 20. April 1914.        auch daran, dass als Schlussbild des Umzuges die Gegenwartsepoche der        Mayr, Rektor der Universität München, für die Sorbonne Paris Prof. Cot-
     Das Programm begann am Freitagabend, 17. April, mit der Ankunft und            Wissenschaftsgeschichte von der damals im Universitätsstudium stecken-       ton, für die Universitäten Oxford und Cambridge Master Macan, dessen
     dem Empfang der auswärtigen Ehrengäste, setzte sich am Samstag, 18.            den Studentengeneration mit Vertretern und Bannern der Studentenver-         Botschaft dem Anlass auch eine besonders herzliche Note gab, da er in
     April, fort mit dem eigentlichen Weiheakt im Lichthof des neuen Kolle-         bindungen dargestellt wurde. Nicht zuletzt auch dank einer detaillierten     deutscher Sprache und freiem Vortrag in seine offizielle Worte „entzücken-
     giengebäudes, am Sonntag, 19. April, mit einem vielfältigen Programm für       Berichterstattung der Neuen Zürcher Zeitung (NZZ) über vier Tage hinweg      de Erinnerungen an seine ehemalige zürcherische Studentenzeit einflocht
     Ehrengäste und Universitätsangehörige, u.a. mit einem Bankett auf der          kann der Nachwelt ein Eindruck eines glanzvollen Festes vermittelt wer-      und unserer Stadt viel Schönes zu sagen wusste.“ Die Bekanntgabe der
     Zunft zur Schmiden, einer Fahrt auf dem Zürichsee und einer Opernauf-          den, der hier nur angedeutet wird.                                           neu ernannten Ehrendoktoren wurde teils mit stürmischem Beifall aufge-
     führung im Stadttheater, und fand seinen Abschluss am Montag, 20. April,                                                                                    nommen.
     mit dem grossen öffentlichen Festumzug der Zürcher Zünfte zu Ehren der                                                                                                                                                                   Weiheakt im Lichthof des neuen Universitätsgebäudes
Der künstlerische Höhepunkt der würdevollen Feier war die Aufführung ei-    lachende Sonne mit, die ihre Strahlen durch die Zunftfenster und Wap-       Festkantate, gedichtet von Prof.   Am Montag: Die Einladung auf die Zunftstuben, der Festzug,
26   ner Festkantate, gedichtet von Prof. Adolf Frey, dem angesehenen Germa-     penscheiben warf und neugierig bis in die Suppenteller hineinschaute.“      Adolf Frey, Zünfter der Zunft      die Bilder                                                                 27
     nisten der Universität und unermüdlichsten Publizisten seiner Zeit (und                                                                                 zur Waag und komponiert von
     übrigens Zünfter der Zunft zur Waag) und komponiert von Friedrich Hegar,           Zu den Ehrengästen hatten sich die Bundesräte Forrer und Ca-         Friedrich Hegar, Direktor des      Am Montagmittag nahmen die Zünfte auf ihren Zunftstuben Gruppen der
     einem bedeutenden Musiker seiner Zeit und Direktor des Zürcher Kon-         londer gesellt, links und rechts vom Bankettvorsitzenden, dem Rektor der    Zürcher Konservatoriums            Festgesellschaft zu ihren Sechseläuten-Mittagessen bei sich auf und ver-
     servatoriums. Die Neue Zürcher Zeitung widmete allein der Beschreibung      Universität gesetzt. Als Hausherr glänzte Schmiden-Zunftmeister Oberst                                         mittelten den Gästen damit einen unmittelbaren Einblick in den nicht-öf-
     der Kantate zwei ganze Spalten und beschloss ihre Berichterstattung über    Meister in seiner Begrüssungsansprache mit ausserordentlich richtung-                                          fentlichen Teil des Sechseläutens. Der Umzug, dem sie am Nachmittag als
     den ersten Tag anerkennend mit den Worten: „So haben Friedrich Hegar        weisenden staatsmännischen Ausführungen, in denen er die internatio-                                           Zuschauer beiwohnten, ist der Erinnerung der Nachwelt in einem künst-
     und Adolf Frey unserer höchsten Bildungsstätte die Ehre hoher Kunst er-     nale Anerkennung von auswärtigen Studiensemestern ansprach, einen                                              lerischen Festprogramm erhalten. In grosszügigen Auszügen aus diesem
     wiesen.“                                                                    künftigen eidgenössischen Finanzausgleich für die Universitätskantone                                          Programmheft werden hier die Erinnerungen an einen grossen und denk-
                                                                                 aufbrachte und sich sogar zu aktuellen Flüchtlingsfragen („die Russenfra-                                      würdigen Umzug zu Ehren der Universität wieder lebendig gemacht.
                                                                                 ge“) äusserte.
     Am Sonntag: Bankett, Ausflug, Opernvorstellung                                                                                                                                             Der Sechseläuten-Festzug 1914 in ausgewählten Bildern und zusammen-
                                                                                         Am Nachmittag stand eine Schiff-Fahrt auf dem Zürichsee auf dem                                        gefassten Worten aus dem offiziellen Festprogramm herausgegeben vom
     Der Berichterstattung der NZZ über das Sonntagsprogramm vom 19. April       Programm; sie sei ausgezeichnet verlaufen, meinte der NZZ-Berichterstat-                                       Central-Comité der Zünfte Zürichs. Jeder Zunft war die Darstellung der
     1914 ist zu entnehmen, dass auch der zweite Jubeltag im prächtigsten        ter: „Fröhliche Studentenverbindungen sorgten für Scherz, Kurzweil und                                         Bilder einer Wissenschaftsepoche übertragen.
     Sonnenschein ablief. Das offizielle Programm begann mit einem Mittags-      Gesang, eine Musik lieferte weitern Ohrenschmaus und die Berge zeigten
     bankett im Zunftsaal der Zunft zur Schmiden, für die Gäste eine erste       sich in allerschönster Parade bei lachendem Sonnenglanz.“ Abends be-
     Vorprobe auf das Sechseläuten vom folgenden Tag:                            suchte die Festgesellschaft eine Aufführung der Gluck-Oper „Orpheus“ im
     „Das Zunfthaus hatte seine Flaggengala bereits ausgehängt, auf dem Tisch    Stadttheater.
     vor dem Sitz des Präsidiums prangte der hellklingende Silberamboss,
     der hier die Tafelglocke vertritt, und darüber thronte ein Stück des rei-
     chen Schmuckes der Schmiedezunft. Als schönste Tafelzierde wirkte die
Eröffnungsgruppe   Ägypter; Zunft zu drei Königen, Gesellschaft zur Constaffel

                                                                                                                            In der Programmillustration und auf dem Foto von 1914 ist eine Sänfte zu
28                                 >                                                                                        sehen, in Form einer Barke und darin das verschleierte Bild zu Sais.       29

     Titel des Festprogramms zum
     Sechseläuten-Festzug von 1914

     Eröffnungsgruppe,
     Illustration aus dem Festprogramm >

     „Wir können dem geistigen Le-
     ben und Weben in unserem Land
     und Volk einen guten Einzug be-
     reiten, sonderlich dies Jahr, wo
     wir der Wissenschaft ein so statt-
     liches Haus erbaut haben und es
     nun festlich eingeweiht werden
     soll. Musik in den Zürcher Far-
     ben, ein Herold mit zwei Beglei-
     tern, die Banner der Stadt, der
     Universität und der Zünfte sollen
     sie einholen.“
Ägypter; Zunft zu drei Königen, Gesellschaft zur Constaffel                                                             Babylonier; Zunft zur Schneidern

30
                                                                                                                             Foto und Illustration zeigen den Sonnengott Schamasch
                                                                                                                             König Hammurabi das Gesetz verleihend.

                                                                   Alt-Ägyptisches Handwerk,1914 zu sehen als Illustration
                                                                   im Festprogramm und real in den Strassen Zürichs.
Israeliten; Zünfte Fluntern, Hottingen, Riesbach

                                                        Das goldene Kalb (Illustration Seite 32) und die Bundeslade (Illustration
32                                                      rechts) werden am Festzug das Limmatquai hinunter getragen (Foto 1914).
Griechen; Zunft Wollishofen                                           Griechen; Zunft Wollishofen, Zunft zur Meisen

                                                                           Zeichnung und Foto: Das Schiff mit dem Peplos der Athene, dahinter Mäd-
34                                                                         chen und Jünglinge, gefolgt von Opfertieren und bewaffneten Reitern       35

                                   Kolorierte Fiktion und Wirklichkeit,
                                   1914 in Zürich: Diogenes in der Ton-
                                   ne gefolgt von Heron, Eratosthenes,
                                   Aristophanes, Aratos, Archimedes, Eu-
                                   kleides und anderen Alt-Griechischen
                                   Geistesgrössen.
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