KLINIK 4.0: UMBRUCH IN DER MEDIZIN - diruj

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KLINIK 4.0: UMBRUCH IN DER MEDIZIN - diruj
Ausgabe 01/2020 Januar/Februar      www.unternehmensjurist.net      Vertriebskennzeichen 23401    Preis: 18,-- Euro

unternehmens jurist    Magazin für Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in Rechtsabteilungen

                  KLINIK 4.0: UMBRUCH
                     IN DER MEDIZIN
          Neue Technologien und künstliche Intelligenz halten Einzug in Krankenhäusern –
               mit rechtlichen Herausforderungen für Syndizi. Im Brennpunkt stehen
                                    Haftung und Datenschutz.
                                                                                                                 KT
                                                                                                        P UN t
                                                                                                       R ch
                                                                                                    E s re
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KLINIK 4.0: UMBRUCH IN DER MEDIZIN - diruj
INHALT unternehmensjurist

TITELTHEMA                               STRATEGIE &                           SCHWERPUNKT
                                         MANAGEMENT                            ARBEITSRECHT

14                                       25                                    41
DIGITALISIERUNG IM                  14   PRODUKT COMPLIANCE               26   E-MOBILITÄT IM JOB                  42
GESUNDHEITSWESEN                         Unternehmensjuristen müssen           Umweltfreundliche Arbeit-
Die Klinik 4.0 erleichtert Ärzten        schon bei der Produktent-             geber werden immer beliebter
wie Patienten das Leben, birgt           wicklung immer strengere Vor-         bei Beschäftigten und für die
aber in juristischer Hinsicht            schriften berücksichtigen. Was        Firmen winken zahlreiche
viele Herausforderungen. Das             Unternehmen und ihre Rechts-          steuerliche Vorteile, wenn sie
Digitalisierungsgesetz soll das          berater tun können, untersucht        auf E-Mobilität umstellen.
ändern. Bei der Finanzierung,            die neue Studie „Produkt Com-         Die praktische Umsetzung
der Verantwortlichkeit und               pliance“ aus der Studienserie         wirft aber noch Fragen auf.
dem Datenschutz bleiben aber             CLI–Corporate Legal Insights
Fragen offen.                            von diruj und der KPMG Law
                                                                               GEGEN DIE                           48
                                         Rechtsanwaltsgesellschaft mbH.
                                                                               UNTERNEHMENSKRISE
                                                                               Eine schwache Konjunktur-
                                         LEGAL PROJECT                    32   prognose setzt Betriebe unter
                                         MANAGEMENT                            Zugzwang. Auch wenn die
                                         Soll die Rechtsabteilung              Lage noch nicht akut ist, sollten
                                         effizienter werden, kann Legal        Betriebe sich mit Optionen für
                                         Project Management (LPM)              mehr Flexibilität beim Personal-
                                         helfen. Doch bislang werden           einsatz befassen.
                                         die Methoden meist im Ausland
                                         und in Kanzleien eingesetzt.
                                                                               WERKS-                              50
                                         Dabei können auch Rechts-
                                                                               WOHNUNGEN
                                         abteilungen davon profitieren.
                                                                               Angesichts von Fachkräfte-
                                                                               mangel und Wohnungsnot
                                         INTERNE                          36   erleben Werkswohnungen
                                         ERMITTLUNGEN                          einen Aufschwung. Zudem soll
                                         Verfehlungen im eigenen               eine Gesetzesänderung Arbeit-
                                         Haus selbst aufzuklären ist           nehmer, die eine vergünstigte
                                         heikel für Unternehmen –              Werkswohnung bewohnen,
                                         sie müssen Datenschutz und            steuerlich entlasten.
EDITORIAL                           03   Betriebsfrieden wahren und
                                         das Arbeits- sowie Strafrecht
KURZ & KNAPP                        08   beachten.

6   Ausgabe 1/2020
KLINIK 4.0: UMBRUCH IN DER MEDIZIN - diruj
unternehmensjurist   INHALT

TRENDS &                                 JOB &                                  NETZWERK
THEMEN                                   KARRIERE

55                                       71                                     79
UNTERNEHMENS-                       56   INTEGRITÄT UND                    72   DIRUJ-FACHBEIRAT                 80
STRAFRECHT                               FÜHRUNG
Seit Mitte August ist der Entwurf        Timo Spitzer betreut als Unter-        GENERAL COUNSEL                  82
des Bundesjustizministeriums für         nehmensjurist globale Transak-         ROUNDTABLE
ein „Gesetz zur Bekämpfung               tionen von Großkunden und
der Unternehmenskriminalität“            spricht als Referent zum Thema         IP SUMMIT                        84
in der Welt. Experten sehen die          „Gute Führung“. Im Interview
geplanten Vorschriften kritisch.         erklärt er, was Unternehmens-          WEDNESDAY-                       85
                                         juristen dazu beitragen können.        WEBINARS @ NOON
BETRIEBLICHES                       62
                                                                                KANZLEIMONITOR                   86
EINGLIEDERUNGS-                          MEETINGS                          76
                                                                                2019/2020
MANAGEMENT                               Viele Beschäftigte halten
Unternehmen müssen länger                Meetings für Zeitverschwen-
erkrankten Arbeitnehmern                 dung. Doch sie können auch             UNTERNEHMENS-                    88
ein betriebliches Eingliede-             nützlich und effektiv sein             JURISTEN-
rungsmanagement anbieten.                – wenn bestimmte Regeln                KONGRESS 2020
Besonders beim Datenschutz               eingehalten werden.
ist für Unternehmensjuristen
Sorgfalt geboten.

AGILE ARBEIT                        66
Auch Rechtsabteilungen nutzen
mittlerweile die agilen Arbeits-
methoden Scrum und Kanban –
mit positiven Erfahrungen. Aller-
dings sind Mut und Flexibilität
für die Veränderungen nötig.

                                                                                PERSONENREGISTER                 90

                                                                                IMPRESSUM                        90

                                                                                                    Ausgabe 1/2020   7
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TITELTHEMA unternehmensjurist

              DIGITALISIERUNG IM GESUNDHEITSWESEN

             ROBO-DOC
             UND
             SCHWESTER
             ALEXA
            Software stellt Diagnosen, Roboter führen
            das Skalpell und die Krankengeschichte
            wird in der elektronischen Patientenakte ge-
            speichert: Die Digitalisierung ist im Kranken-
            haus angekommen. Die Klinik 4.0 erleichtert
            Ärzten wie Patienten das Leben, birgt aber
            in rechtlicher Hinsicht auch Herausforde-
            rungen. Wer ist eigentlich verantwortlich,
            wenn ein OP-Roboter einen Fehler macht
            – und wie ist es um den Schutz digitaler
            Patientendaten bestellt?

            Ω Präzise gleitet das Skalpell um das bösartige Gewebe und    bewegt der Facharzt mit einem Fußpedal. Auf Knopfdruck
            trennt es schließlich aus dem Kehlkopf. Schnell und relativ   kann die Steuerung auch an einen Kollegen an einer zwei-
            unblutig verläuft das Prozedere, aufgezeichnet mit einer      ten Konsole übergeben werden. Im Einsatz ist hier in der
            hochauflösenden Kamera. Dabei liegt das Skalpell nicht        Asklepios Klinik Hamburg-Altona das OP-Robotersystem
            in den Händen eines Chirurgen, sondern wird von einem         „Da Vinci – das modernste OP-Robotersystem der Welt“,
            hochmodernen Roboter geführt. Über eine Konsole kann          wie das Klinikum auf seiner Internetseite betont. Seit 2017
            der Chirurg zwei der vier Roboter-Arme gleichzeitig be-       assistiert der Roboter Spezialisten aus unterschiedlichen
            wegen. Einen der Arme, an dem eine Kamera befestigt ist,      Fachrichtungen bei Operationen, die minimal-invasiv und

14   Ausgabe 1/2020
KLINIK 4.0: UMBRUCH IN DER MEDIZIN - diruj
unternehmensjurist    TITELTHEMA

                                                                  Modernste Technik hält Einzug in Krankenhäuser – und er-
                                                                  leichtert Ärzten wie Patienten das Leben. Der OP-Roboter „Da
                                                                  Vinci“ ist da nur eines von vielen Beispielen.
                                                                  Die Mehrzahl der Ärzte sieht die Digitalisierung dabei als
                                                                  große Chance für die Gesundheitsversorgung, zeigt eine
                                                                  Umfrage des Digitalverbands Bitkom und des Ärzteverbands
                                                                  Hartmannbund. Demnach sagen 67 Prozent der Ärzte, dass
                                                                  Arztpraxen und Krankenhäuser ihre Kosten mithilfe digi-
                                                                  taler Technologien senken können. 62 Prozent meinen, dass
                                                                  digitale Technologien die Prävention verbessern werden und
                                                                  jeder Dritte (34 Prozent) geht sogar davon aus, dass sie die Le-
                                                                  benserwartung der Menschen verlängern. Auch die Patienten
                                                                  stehen den technischen Neuerungen offen gegenüber, wie
                                                                  eine weitere Bitkom-Umfrage zeigt. Demnach ist sich jeder
                                                                  zweite Deutsche sicher, dass es eine Zukunft der Medizin ohne
                                                                  E-Health nicht geben wird. 46 Prozent der Befragten gehen
                                                                  demnach davon aus, dass zumindest Teile der medizinischen
                                                                  Versorgung in Zukunft ausschließlich digital stattfinden wer-
                                                                  den, auch um die steigenden Kosten des deutschen Gesund-
                                                                  heitssystems aufzufangen.

                                                                  IN DIE DIGITALSIERUNG MUSS FINANZIELL
                                                                  INVESTIERT WERDEN

                                                                  Um irgendwann von den Segnungen der technischen Neue-
                                                                  rungen profitieren zu können, muss jedoch zunächst einmal
                                                                  Geld in die Hand genommen und zielgerichtet investiert wer-
                                                                  den. Und daran hapert es vielerorts: „Noch immer werden
                                                                  zahlreiche Kliniken in Deutschland wie Behörden geleitet
                                                                  und nicht wie Unternehmen gemanagt. Auf dieser Ebene
                                                                  wird über Investitionen entschieden, die digitale Vision und
                                                                  Strategie fehlt jedoch oft vollständig“, sagt Dr. Djordje Nikolic,
                                                                  Geschäftsführer der consus clinicmanagement GmbH, die
                                                                  Krankenhäuser bei der Umsetzung von Digitalstrategien berät.
                                                                  „Die pauschalierte und gedeckelte Krankenhaus-Finanzierung
                                                                  lässt überdies keine echten Investitionen zu.“ Zudem würden
                                                                  mitunter auch gute, kostengünstige und teils selbstentwickelte
                                                                  Lösungen scheitern – etwa an den Datenschutzbestimmungen
                                                                  oder auch an der Mitarbeitervertretung, die eine Überwachung
                                                                  der Beschäftigten befürchtet.
                                                                  Die Bundesärztekammer sieht das allerdings anders: Nicht zu
                                                                  wenig Ökonomisierung sei das Problem in den Krankenhäu-
                                                                  sern, sondern zu viel. Ärzte, Krankenschwestern und andere
                                                                  Mitarbeiter im Krankenhaus würden immer stärker unter
damit für die Patienten besonders schonend verlaufen und          Druck gesetzt, um möglichst hohe Profite zu erzielen – und
zugleich hochpräzise sind.                                        der wirtschaftliche Druck belaste nicht nur das Personal im-
In der Medizin prallen derzeit alte und neue Welt aufeinander.    mer stärker, sondern auch die Patienten würden ihn zu spüren
Auf der einen Seite werden noch viele Notizen handschrift-        bekommen. Dieses Grundsatzproblem lässt sich auch nicht
lich von Ärzten verfasst, E-Mails haben Briefe und Faxe noch      durch die Digitalisierung lösen.
lange nicht ersetzt und die elektronische Patientenakte fristet   Mitunter können auch eigentlich gut gemeinte Gesetzesini-
ein Nischendasein. Auf der anderen Seite beginnen Digita-         tiativen die Entwicklung ausbremsen – etwa die Einführung
lisierung und Industrie 4.0 auch die Medizin zu erfassen.         von Pflegepersonaluntergrenzen. Was eigentlich Mindeststan-

                                                                                                                             Ausgabe 1/2020   15
KLINIK 4.0: UMBRUCH IN DER MEDIZIN - diruj
TITELTHEMA unternehmensjurist

                                                                                stellen die Investitionen in Sprachassistenten am Krankenbett
                                                                                und deren Integration in die Klinik-IT Zusatzkosten dar. Bei
                                                                                der Vielzahl der Krankenhäuser, die rote Zahlen schreiben, ist
                                                                                das keine Option.“
                                                                                Im Ergebnis jedenfalls hinkt der Gesundheitssektor in Sachen
                                                                                Digitalisierung hierzulande derzeit noch weit hinterher – und
                                                                                zwar sowohl im internationalen Vergleich als auch im Vergleich
                                                                                mit anderen Branchen. Einer Studie der Bertelsmann-Stiftung
                                                                                zufolge belegt Deutschland den 16. Platz von 17 untersuchten
   „Noch immer werden zahlreiche Kliniken in                                    Ländern. Besonders schlecht schneidet Deutschland dabei in
                                                                                den Bereichen der tatsächlichen Nutzung von Daten und dem
 Deutschland wie Behörden geleitet und nicht wie
                                                                                Reifegrad von Digital-Health-Anwendungen ab. Auf dem ersten
Unternehmen gemanagt. Auf dieser Ebene wird über                                Platz der Studie liegt das vergleichsweise kleine Land Estland,
                                                                                das als Vorreiter in Sachen Digitalisierung in Europa gilt.
 Investitionen entschieden, die digitale Vision und                             Dabei hatte Deutschland die ersten richtigen Schritte zur Digi-
       Strategie fehlt jedoch oft vollständig.“                                 talisierung des Gesundheitswesens schon recht früh gemacht:
                                     –                                          So wurde etwa bereits 2003 die Einführung der elektronischen
                                                                                Gesundheitskarte beschlossen. „Es gibt auch erfolgreiche di-
                            Dr. Djordje Nikolic,
                                                                                gitale Pilotprojekte auf regionaler Ebene, wie zum Beispiel die
            Geschäftsführer, consus clinicmanagement GmbH                       Notfallversorgung von Schlaganfallpatienten oder das Telemoni-
                                                                                toring von Menschen mit Herzerkrankungen“, sagt Dr. Thomas
                                                                                Jansen, Rechtsanwalt und Partner am Münchener Standort der
                                                                                Kanzlei Heuking Kühn Lüer Wojtek und Technologieexperte.
            dards bei der Patientenversorgung garantieren sollte, „führt        „Nur sind diese Technologien und Ansätze noch nicht im Alltag
            faktisch dazu, dass Innovationen verhindert oder gebremst           der Versicherten angekommen.“
            werden, weil sie sich dann nicht rentieren können“, erklärt Dr.
            Jan Liersch. Er ist Jurist im Konzern der Asklepios Kliniken
            und Geschäftsführer der Broermann Holding, dem Mehrheits-
            eigner von Asklepios. Außerdem ist er Mitglied im Fachbeirat
            der diruj Deutsches Institut für Rechtsabteilungen und Unter-
            nehmensjuristen GmbH. Seine Einschätzung: „Viel Geld in
            die Entwicklung von Sprachassistenten im Krankenzimmer
            oder andere digitale Helfer zu investieren, macht ökonomisch
            nicht viel Sinn, wenn der Gesetzgeber vorschreibt, wie viele
            Patienten eine Pflegekraft pro Schicht versorgen darf.“ Das frei-
            lich wird von Fachverbänden durchaus differenzierter bewertet.
            Der Deutsche Berufsverband für Pflegeberufe (DBfK) hält die
            bislang für die vier pflegesensitivsten Krankenhaus-Bereiche
            Intensivmedizin, Geriatrie, Kardiologie und Unfallchirurgie             „Externer Rat ist in praktisch allen
            geltenden Pflegepersonaluntergrenzen für nicht weitreichend
            genug. Ohne die zeitnahe Einführung eines verpflichtenden            Bereichen wichtig. Gerade bei der Frage,
            und am Pflegebedarf des Patienten ausgerichteten Bemes-
                                                                                 wie der Prozessablauf in der Zukunft aus-
            sungsinstruments für Pflegepersonal werde die Pflegekrise
            in den Kliniken nicht gelöst werden können, so der Verband.          sehen wird, hilft der Blick derer, die nicht
            Daran ändern dann auch digitale Innovationen nichts.
            Dass es hier um sensible Bereiche geht, stehe außer Frage,
                                                                                   durch die Einübung der alten Abläufe
            räumt auch Liersch ein. „Es entlastet die Arbeitsabläufe des                     vorbelastet sind.“
            Pflegepersonals natürlich, wenn der Patient für ‚kaum auszu-                                      –
            haltende Schmerzen‘ und ‚bitte eine Flasche Wasser‘ nicht ein
                                                                                  Dr. Jan Liersch, Jurist, Asklepios Kliniken GmbH & Co.
            und denselben Knopf drückt, sondern zum Beispiel mithilfe von
            Sprachassistenten wie einer ‚Schwester Alexa‘ kommuniziert           KGaA; Geschäftsführer der Broermann Holding GmbH;
            werden kann“, so der Klinik-Jurist. „Wenn diese Entlastungen        Fachbeiratsmitglied der diruj Deutsches Institut für Rechts-
            nicht beim Personalschlüssel berücksichtigt werden können,                abteilungen und Unternehmensjuristen GmbH

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KLINIK 4.0: UMBRUCH IN DER MEDIZIN - diruj
TITELTHEMA unternehmensjurist

            Zugleich wurden die Schritte in die richtige Richtung nicht
            konsequent weiterverfolgt, so dass Deutschland in vielen Be-
            reichen abgehängt wurde und heute erheblicher Nachholbe-
            darf besteht – sowohl bei der Digitalisierung der Kranken-
            hauslandschaft als auch beim Technologieeinsatz. So würden
            deutsche Kliniken beispielsweise noch keine elektronische
            Patientenakte nutzen und auch keinen digitalen Medika-
            tionsprozess aufweisen, der „von der Verordnung bis zum
            Bett der Patienten“ reicht, sagt Dr. Reemt Matthiesen, Rechts-
            anwalt und Partner am Münchener Standort der Wirtschafts-         „Aufgrund von unterschiedlichen Ansätzen
            kanzlei CMS Deutschland, der deutsche und internationale
                                                                                   in den Bundesländern kann keine
            Unternehmen zu sämtlichen IT-rechtlichen Fragestellungen
            berät. „Besonders deutlich zeigt sich dies bei kleinen Kranken-     einheitliche Lösung präsentiert werden,
            häusern. Andere Länder sind da deutlich weiter.“ Ursächlich
            für das Defizit sei neben der mangelhaften Investitionskos-
                                                                                      die dringend geboten wäre.“
            tenfinanzierung der Kliniken durch die Bundesländer und                                          –
            dem unzureichenden Breitbandausbau auch eine mangelnde                                 Dr. Thomas Jansen,
            Innovationskultur in den Häusern.                                   Rechtsanwalt und Partner, Heuking Kühn Lüer Wojtek

            FÖDERALE STRUKTUR HEMMT TECHNISCHEN
            FORTSCHRITT                                                       Ein Faktor, der die Entwicklung hemmt, ist auch die föderale
                                                                              Struktur Deutschlands. „Aufgrund von unterschiedlichen An-
            „Prozesse, die anderswo vollkommen selbstverständlich             sätzen in den Bundesländern kann keine einheitliche Lösung
            voll digital ablaufen, sind im Krankenhaus noch analog“,          präsentiert werden, die dringend geboten wäre“, sagt Heuking-
            bestätigt consus-Geschäftsführer Nikolic und nennt ein            Technologieanwalt Jansen. „Deshalb ist Deutschland auch für
            Beispiel: „Für ein Webinar, das wir kürzlich für Klinik-Füh-      internationale Anbieter von Digitalisierungs- und Telematik-
            rungskräfte durchgeführt haben, kamen etwa 60 Prozent der         Lösungen nicht von großem Interesse, denn der Aufbau von
            über 50 Anmeldungen per Fax statt online per komfortabler         vielen kleinen Infrastrukturen ist weniger rentabel als der
            Eingabe-Maske. Fax ist gefühlt schon ziemlich digital im          Aufbau einer zentralen deutschlandweiten Lösung.“ Für die
            Krankenhaus.“                                                     künftige Entwicklung einer Digitalisierungs- und Telematik-
                                                                              Infrastruktur wäre es daher durchaus ratsam den Blick auf
                                                                              andere Länder zu richten, die das Gesundheitswesen bereits
                                                                              erfolgreich digitalisiert haben. „Es würde sicherlich Zeit und
                                                                              Kosten sparen, wenn man sich zum Beispiel am estnischen
                                                                              Vorbild zumindest orientiert, anstatt eine deutsche Sonderlö-
                                                                              sung durchzusetzen“, meint Jansen.
                                                                              Das Bundesgesundheitsministerium (BMG) hat sich vorge-
                                                                              nommen, die Digitalisierung im deutschen Gesundheitswesen
                                                                              nun verstärkt voranzutreiben und hat den Entwurf für ein
                                                                              Digitalisierungsgesetz vorgelegt. „Digitalisierung ist kein Ran-
                                                                              daspekt mehr, sondern steht im Zentrum der Gesundheits-
                                                                              politik. Deshalb treiben wir diese Entwicklung voran“, erklärt
                                                                              Dr. Gottfried Ludewig, Leiter der Abteilung 5 Digitalisierung
    „Neue Technologien bieten die Möglichkeit,                                und Innovation im BMG. Deutschland müsse Vorreiter bei
                                                                              der digitalen Gesundheit werden. „Patientinnen und Patienten
Effizienzpotenziale bei mindestens gleichbleibender,                          sollen spüren, was ihnen die Digitalisierung ganz konkret
   häufig sogar höherer Qualität zu erschließen.“                             bringt“, sagt Ludewig.
                                                                              Zusätzlich zu den Arztpraxen sollen mithilfe des neuen Ge-
                                      –
                                                                              setzes nun auch die Apotheken und Krankenhäuser verpflich-
                            Dr. Reemt Matthiesen,                             tet werden, sich an die Telematik-Infrastruktur anzuschließen,
                          Rechtsanwalt und Partner,                           um weitere digitale Angebote zu ermöglichen. Deadline für
                      Wirtschaftskanzlei CMS Deutschland                      die Krankenhäuser ist dem Entwurf zufolge der 1. Januar 2021.

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KLINIK 4.0: UMBRUCH IN DER MEDIZIN - diruj
unternehmensjurist   TITELTHEMA

„Ob diese Zeitvorgabe einzuhalten ist, bleibt abzuwarten.
Derzeit sind die notwendigen technischen Voraussetzungen
häufig noch nicht hinreichend vorhanden“, sagt Dr. Roland
Wiring, Rechtsanwalt und Partner am Hamburger Standort
der Wirtschaftskanzlei CMS Deutschland, der auf den Bereich
Intellectual Property, Life Sciences & Healthcare spezialisiert
ist. Die im Gesetzentwurf vorgesehenen Sanktionszahlungen
würden insofern wenig zielführend erscheinen. „Auch ist die
Finanzierung der Digitalisierung in den Kliniken nach wie
vor häufig schwierig“, so Wiring. Die Forderung der Deut-           „Digitalisierung ist kein Randaspekt mehr, sondern
schen Krankenhausgesellschaft nach einem Digitalisierungs-
                                                                        steht im Zentrum der Gesundheitspolitik.“
zuschlag in Höhe von zwei Prozent auf alle Rechnungen
                                                                                                       –
erscheine insofern nachvollziehbar.
                                                                                            Dr. Gottfried Ludewig,
                                                                           Leiter der Abteilung 5 Digitalisierung und Innovation,
INTERNATIONALE STANDARDS UND                                                           Bundesgesundheitsministerium
MARKTNAHE LÖSUNGEN

Trotz der Notwendigkeit für entsprechende Anpassungen
im Gesetzgebungsverfahren begrüßen die meisten Experten            Teil zur elektronischen Patientenakte wurde aus dem Refe-
den Entwurf. „Seit 15 Jahren machen wir in diesem Bereich          rentenentwurf gestrichen – hierzu soll es einen gesonderten
nur Trippelschritte. Es muss endlich vorangehen in Sachen          Entwurf geben. „Gerade die elektronische Patientenakte wird
Digitalisierung im deutschen Gesundheitswesen“, so Bitkom-         die Digitalisierung in Krankenhäusern massiv beschleunigen“,
Präsident Achim Berg. Das BGM adressiere in dem Entwurf            so Liersch. „Die anderen Themen wie die ‚App auf Rezept‘
die wichtigen großen Themen. „Dazu gehören die Aufnahme            oder der elektronische gelbe Schein werden sich stärker im
digitaler Lösungen in die Versorgung, neue Anwendungen             ambulanten Sektor bemerkbar machen.“
für die elektronische Patientenakte mit echtem Mehrwert            Auch Jansen findet es problematisch, dass die Thematik der
für die Versicherten und weitere verbindliche Fristen für die      elektronischen Patientenakte aus datenschutzrechtlicher Sicht
Anbindung der Leistungserbringer an die Telematik-Infra-           zunächst ausgeklammert und in einem eigenen Gesetz ge-
struktur“, so Berg. Auch die telemedizinische Versorgung solle     regelt werden soll. „Der Erlass eines zusätzlichen Gesetzes
weiter gefördert werden. „Wichtig ist bei alledem, dass wir        bezüglich des Datenschutzes ist nicht begrüßenswert“, so der
in Deutschland keine Insellösungen entwickeln und interna-         Technologieanwalt. „Aufgrund der Komplexität der DS-GVO in
tional anschlussfähig bleiben“, betont der Bitkom-Präsident.       Bezug auf das Gesundheitswesen mit zahlreichen Öffnungs-
„Hierfür sind gleichermaßen internationale Standards und           klauseln und dem Zusammenspiel von mehreren Gesetzen
marktnahe Lösungen erforderlich.“                                  auf nationaler Ebene, wäre eine Vereinfachung des Rechts
Der Gesetzentwurf entferne mit seinen Ansätzen einige              dringend geboten.“ Dies könne aber gerade nicht erreicht
Hindernisse, die derzeitigen Pilotprojekten im Bereich der         werden, wenn weitere Gesetze erlassen werden.
digitalen Gesundheit entgegenstehen, sagt Heuking-Anwalt
Jansen. „Die Verpflichtung zum Anschluss an die Telematik-
Infrastruktur wird zwangsläufig in diesem Bereich die Digi-        ELEKTRONISCHE PATIENTENAKTE GILT ALS
talisierung fördern und die Krankenhäuser vielleicht auch          SCHLÜSSEL ZUR DIGITALISIERUNG
generell für das Thema Digitalisierung stärker sensibilisieren.“
Die Kosten für den Anschluss tragen laut Gesetzentwurf die         Die elektronische Patientenakte gilt den meisten Experten als
gesetzlichen Krankenkassen. „Die Möglichkeit zur Teleme-           Schlüssel zur Digitalisierung im Krankenhaus. Sie dient der si-
dizin ist eine der größten Neuerungen der letzten Jahre und        cheren Dokumentation und Archivierung von Patientendaten,
wird wesentlich zur Digitalisierung des Gesundheitswesens          die nach Einwilligung des Patienten auch andere Ärzte und
beitragen“, meint Jansen. Zusätzlich könne der Einsatz von         Netzwerkpartner einsehen und weiterführen können. „Die Zu-
E-Health-Anwendungen zu einer gleichzeitig dezentralen wie         griffsrechte müssen dann im Online-Patientenkonto vom Pa-
flächendeckenden Patientenversorgung beitragen. „Dies kann         tienten verwaltet werden können“, erläutert Liersch. „So kann
die Versorgungsqualität insgesamt verbessern“, so Jansen.          der Patient sicherstellen, dass der Arzt den vollen Überblick
Der Gesetzentwurf sei natürlich zu begrüßen, pflichtet ihm         hat und auch die Informationen aus älteren Untersuchungen
Klinik-Jurist Liersch bei, allerdings werde dadurch der Klinik-
alltag zunächst nicht so stark beeinflusst. Der Grund: Der         Ω Fortsetzung auf Seite 21

                                                                                                                            Ausgabe 1/2020   19
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TITELTHEMA unternehmensjurist

                                                           BIANCA MEIER
                                                           Leiterin Recht und Compliance,
                                                           consus clinicmanagement GmbH

                                                           „Der Patient muss
                                                           Herr seiner Daten bleiben“

            Elektronische Patientenakte und Roboter im OP: Die Digitalisierung verändert die Medizin rasant. Das bietet große Chancen,
            die Qualität der medizinischen Versorgung zu verbessern – es birgt aber auch Risiken. Im Interview spricht Bianca Meier,
            Fachanwältin für Medizinrecht und Leiterin Recht und Compliance bei der consus clinicmanagement GmbH, über das
            Digitalisierungsgesetz, den Datenschutz und die juristischen Tücken bei der Digitalisierung im Gesundheitssektor.

            Wie bewerten Sie den vom Bundesgesundheitsminister vor-           Die Timeline ist sportlich gewählt, wenn man den heutigen
            gelegten Entwurf für ein Digitalisierungsgesetz?                  Stand des Terminservice- und Versorgungsgesetzes betrachtet.
            Der vorliegende Gesetzentwurf nimmt sich der notwendigen          Der Bundesgesundheitsminister geht von einer Einhaltung
            Vernetzung der an der Versorgung beteiligten Leistungserbrin-     der selbstgewählten Zeitvorgabe aus, nimmt dabei einzelne
            ger an und fördert innovative Versorgungsformen. Zudem soll       Abstriche aber offenbar in Kauf.
            der Ausbau der Telematik-Infrastruktur beschleunigt sowie
            die Telemedizin gestärkt werden. Wenn diese exemplarisch          „Natürlich müssen wir nicht über die Ein-
            genannten Vorhaben umgesetzt werden, dann sicherlich mit
            einem Benefit für die Patienten, deren optimale Versorgung
                                                                              führung digitaler Prozesse sprechen, solange
            auch in strukturschwachen Gegenden stets im Mittelpunkt           in einzelnen Kliniken noch immer keine aus-
            stehen sollte.                                                    reichende Netzwerk- und IT-Infrastruktur
            Welche Schritte muss man als erstes absolvieren, wenn man
                                                                              vorhanden ist.“
            ein Krankenhaus von analog auf digital umbaut?
            Bevor in kleinteiligen Einzelprojekt-Aktionismus verfallen        Was ist bei der Einführung der elektronischen Patientenakte
            wird, ist eine saubere Prozessanalyse notwendig, um dann eine     in rechtlicher Hinsicht zu beachten?
            solide Digitalisierungsstrategie aufzustellen. Der Fokus sollte   In rechtlicher Hinsicht ist entscheidend, dass der Patient
            dabei zunächst auf die Kernprozesse eines Krankenhauses           Herr seiner Daten bleibt. Die Nutzung der elektronischen
            gerichtet werden. Ferner ist die häufig fehlende Kompatibilität   Patientenakte ist für den Versicherten freiwillig. Er entschei-
            der vorhandenen IT-Lösungen auf den Prüfstand zu stellen.         det, ob er eine solche Karte nutzt, ob Daten auf seine elektro-
            Und natürlich müssen wir nicht über die Einführung digi-          nische Patientenakte übertragen werden, und er entscheidet
            taler Prozesse sprechen, solange in einzelnen Kliniken noch       bestenfalls auch, wer diese einsehen darf. Genau hier liegt
            immer keine ausreichende Netzwerk- und IT-Infrastruktur           die Problematik: Um den Zeitpunkt der Umsetzung nicht
            vorhanden ist.                                                    zu gefährden, soll die Möglichkeit des Patienten, bestimmte
                                                                              Daten auf seiner elektronischen Patientenakte vor einem be-
            Das klingt nach einem hohen Zeitaufwand. Dabei muss               stimmten Arzt zu verbergen, erst später umgesetzt werden.
            manches schon ziemlich bald umgesetzt sein: Ab 2021 ha-           Nutzt der Patient also seine elektronische Patientenakte, so
            ben Patienten doch einen Anspruch darauf, dass ihre medi-         muss er sich genau überlegen, welcher Arzt welche Daten dort
            zinischen Daten von Ärzten und Kliniken in einer elektro-         speichert, da diese im ersten Schritt für alle Leistungserbringer
            nischen Patientenakte gespeichert werden.                         sichtbar sein werden.

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                                                               Ω Fortsetzung von Seite 19

Gesundheitsdaten sind besonders sensibel. Was muss             berücksichtigen kann, deren Relevanz dem Patienten selbst
man bei der Digitalisierung im Krankenhaus aus daten-          nie eingefallen wäre.“ Wie in anderen Bereichen werde der
schutzrechtlicher Sicht beachten?                              Erfolg der Transformationsprozesse allerdings damit zusam-
Der Datenschutz wird immer wieder genannt, wenn es             menhängen, dass neue digitale Prozesse konzipiert und nicht
um Digitalisierung geht. Aber ist ein Faxgerät auf Station     einfach die herkömmlichen Papier-Prozesse auf das Tablet
hinsichtlich des Datenschutzes wirklich besser? Nicht zu       oder Smartphone transportiert werden.
vergessen ist, dass nicht jeder Arzt oder Pfleger berechtigt   Wenn man es richtig angehe, würden sich mithilfe der elek-
ist, die personenbezogenen Gesundheitsdaten eines jeden        tronischen Patientenakte „Fehler wie zum Beispiel bei Arznei-
Patienten einzusehen. Hier sollten Berechtigungs- bezie-       mittelverordnungen und Unverträglichkeiten sowie Doppel-
hungsweise Beschränkungskonzepte vorhanden sein, die           erfassungen vermeiden“ lassen, sagt consus-Geschäftsführer
gewährleisten, dass diese Daten nur von Personen einge-        Nikolic. Außerdem würden Prozesse und Entscheidungen
sehen werden können, die in die Behandlung und Pflege          erheblich beschleunigt.
des Patienten auch eingebunden sind. In Bezug auf die          Auch in der Bevölkerung stößt die elektronische Patientenakte
elektronische Patientenakte muss man außerdem darauf           auf positive Resonanz. Zwei Drittel der Bundesbürger würden
achten, dass allein der Patient bestimmt, welche seiner        sie gerne nutzen, ergab eine Bitkom-Umfrage. Besonders hoch
Daten auf der Karte gespeichert werden dürfen. Es darf         ist die Bereitschaft bei den 16- bis 29-Jährigen mit 74 Prozent
also keinen Automatismus der Datenspeicherung durch            und bei den 30- bis 49-Jährigen mit 70 Prozent. Aber auch in
den Arzt geben.                                                der Altersgruppe 65plus würden sechs von zehn Befragten
                                                               (60 Prozent) auf die elektronische Patientenakte zugreifen. Die
„Bevor in kleinteiligen Einzelprojekt-                         Befürworter zählen dabei nicht nur auf Standardfunktionen wie
                                                               die Speicherung der gesamten Behandlungshistorie (87 Pro-
Aktionismus verfallen wird, ist eine                           zent), sie wünschen sich vor allem auch komfortable smarte
saubere Prozessanalyse notwendig, um                           Funktionen: 98 Prozent wollen etwa einen integrierten digi-
dann eine solide Digitalisierungsstrategie                     talen Impfpass, 91 Prozent haben Interesse an einem digitalen
                                                               Medikationsplan mit automatischem Wechselwirkungscheck.
aufzustellen.“                                                 Auch ein Modul zur Integration der Daten aus Apps oder medi-
                                                               zinischen Geräten wie einem Blutdruckmessgerät (80 Prozent)
Auch im Gesundheitsbereich könnte künstliche Intelli-          sowie ein Vorsorgeplaner (70 Prozent) sind beliebt.
genz künftig eine wichtige Rolle spielen, etwa in Form         Die potenziellen Nutzer fordern dabei für sich vor allem Da-
von OP- und Pflegerobotern. Wie sieht es mit der Haftung       tenhoheit. 61 Prozent wollen, dass sie beim Patienten liegt,
aus, wenn ein Roboter einen Fehler macht?                      weitere 59 Prozent verlangen ein Höchstmaß an Datenschutz
Roboter fallen im Moment weder unter die natürlichen           und Datensicherheit. Für 45 Prozent sind außerdem eine
Personen noch unter die juristischen Personen, können          strukturierte Darstellung und für ein Drittel (34 Prozent) ein
also rechtlich nicht zur Verantwortung gezogen wer-            mobiler Zugang wichtig. „Die elektronische Patientenakte
den. Hersteller von Robotern können derzeit nur dann           wird nur dann ein Erfolg, wenn sie dem Patienten einen ech-
haftungsrechtlich belangt werden, wenn ihnen nach-             ten Nutzen stiftet und unkompliziert zu bedienen ist“, sagt
weislich ein Fehler etwa bei der Programmierung vor-           Bitkom-Präsident Berg. „Vorhandene Daten sollten viel stär-
geworfen werden kann, der zu einem Schaden geführt             ker – auch mobil – genutzt werden. Über eine entsprechend
hat. Nachgedacht wird aktuell über eine verpflichtende         ausgestaltete elektronische Patientenakte wäre das möglich.
Haftpflichtversicherung für Hersteller von Robotern, die       Bei gleichzeitiger Wahrung des Datenschutzes könnte die
im Schadensfall eintrittspflichtig wäre. Ferner wird auf       medizinische Versorgung so deutlich verbessert werden.“
EU-Ebene über die rechtliche Einführung einer soge-
nannten E-Person diskutiert, die verklagt werden könnte
– der Roboter wäre eine solche. Die Lösung könnte nahe-        GESUNDHEITSDATEN SIND BESONDERS
liegender in der Einführung einer verschuldensunabhän-         SENSIBEL
gigen Haftung des Nutzers eines intelligenten Systems
liegen, wie wir sie in Form der Halterhaftung aus dem          Die Datenhoheit der Patienten ist hier allerdings ein zweischnei-
Kraftfahrzeugbereich kennen.                                   diges Schwert: Wo Versicherte Zugriffsrechte widerrufen und
                     Das Interview führte Harald Czycholl.     Einträge in ihrer elektronischen Patientenakte löschen lassen
                                                               können, ist eben nicht mehr sichergestellt, dass wirklich eine
                                                               vollständige Dokumentation vorhanden ist. Dadurch besteht

                                                                                                                         Ausgabe 1/2020   21
TITELTHEMA unternehmensjurist

            etwa die Gefahr, dass es zu Wechselwirkungen von Medika-
            menten kommt, weil der eine Arzt nicht weiß, was der andere
            Arzt verschrieben hat – und der Patient im Gespräch vergessen
            hat, es zu erwähnen. „Ärzte dürfen sich also gerade nicht voll-
            umfänglich auf die Daten aus der elektronischen Patientenakte
            verlassen“, betont Heuking-Technologieanwalt Jansen. Bei Be-
            darf seien eigene Tests und Diagnosen notwendig.
            Grundsätzlich seien die Krankenhäuser im Zuge der Digitali-
            sierung gefordert, die datenschutzrechtlichen Grundsätze zu
            beachten und sich aus datenschutz- und haftungsrechtlicher            „Die Finanzierung der Digitalisierung
            Sicht abzusichern, so Jansen. Dazu gehört auch eine Daten-
                                                                                     in den Kliniken ist nach wie vor
            schutz-Folgenabschätzung gemäß Art. 35 Abs. 1 DS-GVO, denn
            schließlich sind Gesundheitsdaten besonders sensibel – und                      häufig schwierig.“
            müssen entsprechend geschützt werden. Dass hier auch aus                                        –
                                                                                                   Dr. Roland Wiring,
                                                                                               Rechtsanwalt und Partner,
                                                                                         Wirtschaftskanzlei CMS Deutschland
WIE DIE DIGITALISIERUNG DEN
KRANKENHAUSALLTAG VERÄNDERT

Der Arbeitsalltag von Krankenhausärzten wandelt sich infolge der Di-          wirtschaftlichen Gründen besondere Sensibilität geboten ist,
                                                                              zeigt der Fall des Krankenhauses Barreiro Montijo aus Portu-
gitalisierung zusehends. So hat etwa die Arbeitsgemeinschaft der Wis-
                                                                              gal: Die portugiesische Datenschutzbehörde CNPG verhängte
senschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften angekündigt, die             im Herbst 2018 die seinerzeit erste substanzielle Geldstrafe
evidenzbasierten medizinischen Leitlinien der Fachgesellschaften bis          aufgrund eines DS-GVO-Verstoßes: Der Betreiber musste eine
2022 für Ärzte, Medizinstudenten und Patienten als App verfügbar zu           Strafe von 400.000 Euro zahlen – insbesondere deshalb, weil
machen. „Hierdurch wird der zunehmenden Flut von Gesundheits-Apps             zu viele Personen Zugriff auf Patientendaten hatten.
begegnet, die es gerade Patienten oft schwierig macht, einzelne Apps          Wichtig sei es daher, Berechtigungs- beziehungsweise Be-
                                                                              schränkungskonzepte zu etablieren, die gewährleisten, „dass
in Bezug auf Relevanz, Qualität, Sicherheit und Vertrauenswürdigkeit
                                                                              diese Daten nur von Personen eingesehen werden können, die
einzuschätzen“, sagt Dr. Roland Wiring, Rechtsanwalt und Partner in           in die Behandlung und Pflege des Patienten auch eingebun-
der Wirtschaftskanzlei CMS Deutschland.                                       den sind“, sagt Bianca Meier, Fachanwältin für Medizinrecht
Die Digitalisierung beeinflusst aber auch die evidenzbasierte Behand-         und Leiterin Recht und Compliance bei der consus clinicma-
lung selbst. Das gilt beispielsweise für die bildgebende Diagnostik,          nagement GmbH (siehe Interview auf Seite 20). In rechtlicher
„wobei es hier schon lange nicht mehr um die einfache digitale Bild-          Hinsicht entscheidend sei, dass der Patient Herr seiner Daten
                                                                              bleibe und selbst bestimmen könne, wer diese einsehen darf.
dokumentation, sondern um den Einsatz künstlicher Intelligenz geht“,
                                                                              Sämtliche Überlegungen sollten dabei in eine Digitalisie-
so Wiring. „Ferner werden immer mehr operative Eingriffe mithilfe von         rungsstrategie einfließen, die jeder Krankenhausbetreiber
roboterassistierten Operationssystemen durchgeführt werden.“                  schleunigst aufstellen sollte. Dabei ist Beratung von außen
Die Ärzteschaft sieht die Digitalisierung als solche weitgehend positiv.      unverzichtbar, meint Unternehmensjurist Liersch. „Externer
Die letzten Deutschen Ärztetage haben sich mit großer Mehrheit für            Rat ist in praktisch allen Bereichen wichtig. Gerade bei der
eine aktive Mitgestaltung bei der Einführung und Nutzung digitaler            Frage, wie der Prozessablauf in der Zukunft aussehen wird,
                                                                              hilft der Blick derer, die nicht durch die Einübung der alten
Technologien im Gesundheitswesen ausgesprochen. Sofern es um
                                                                              Abläufe vorbelastet sind.“
die Veränderung des Behandlungsprozesses sowie um die des Arzt-
Patienten-Verhältnisses geht, werden bestimmte Entwicklungen wie
beispielsweise digitale Versorgungsangebote allerdings kritisch gese-         VERANTWORTLICH BLEIBT DER ARZT
hen. Für die Ärzteschaft steht weiterhin die Arzt-Patienten-Beziehung im
Mittelpunkt der medizinischen Versorgung. Und das soll auch in Zeiten         Losgelöst von den strategischen und juristischen Erwägungen
                                                                              bietet die Digitalisierung große Chancen, die Abläufe im Kran-
der Digitalisierung so bleiben.
                                                                              kenhaus und damit insbesondere die Patientenversorgung
                                                                              zu verbessern. Es lassen sich natürlich viele kaufmännische

22   Ausgabe 1/2020
TITELTHEMA unternehmensjurist

                                                                             henden Medizinern im Rahmen ihres Studiums vermittelt
                                                                             werden, können Maschinen und Algorithmen hingegen nur
                                                                             begrenzt einhalten – nämlich dann, wenn sie entsprechend
                                                                             programmiert wurden. Außerdem sind auch Diagnostik-
                                                                             Computer und OP-Roboter nicht vor Fehlern gefeit.
                                                                             Aus diesem Grund könnten Roboter wie „Da Vinci“ den
                                                                             Menschen niemals vollständig in seiner Verantwortung er-
                                                                             setzen, betont Klinik-Jurist Liersch. „Die Verantwortung für
                                                                             die Entscheidungen wird beim Arzt verbleiben. Dieser trifft
          „Seit 15 Jahren machen wir in diesem                               die Entscheidungen und bekommt lediglich Unterstützungen
                                                                             durch technische Hilfsmittel.“ Ohnehin sind die Schulungen
       Bereich nur Trippelschritte. Es muss endlich
                                                                             etwa für roboter-assistierten OP-Methoden ohne langjährige
        vorangehen in Sachen Digitalisierung im                              Erfahrung im Operationssaal gar nicht möglich. Mithilfe von
                                                                             OP-Robotern lassen sich aber die OP-Zeiten verkürzen und der
             deutschen Gesundheitswesen.“                                    Blutverlust verringern. Außerdem erholen sich die Patienten
                                    –                                        schneller von dem Eingriff. Und davon haben dann letztlich
                              Achim Berg,                                    alle Seiten etwas. π                         Harald Czycholl
                Präsident des Digitalverbands Bitkom e.V.

            Tätigkeiten vereinfachen – etwa durch die Automatisierung
            von Arbeitsabläufen und die papierlose Datenverarbeitung.
            „Neue Technologien bieten die Möglichkeit, Effizienzpoten-       ×   Die Digitalisierung hat auch die Medizin erreicht, doch
            ziale bei mindestens gleichbleibender, häufig sogar höherer          viele Krankenhäuser hinken bei digitalen Anwendungen
            Qualität zu erschließen“, sagt CMS-Anwalt Matthiesen. Die            hinterher. Briefe und Faxe sind dort immer noch Alltag.
            so eingesparten Ressourcen können dann für die Arbeit am
                                                                             ×   Mit dem Digitalisierungsgesetz will das Bundesgesundheits-
            Patienten genutzt werden.
                                                                                 ministerium das ändern. Damit sollen auch Krankenhäuser
            Hier wiederum bietet die Digitalisierung ebenfalls ein breites
            Spektrum an Möglichkeiten: „Mobile Dokumentation direkt              verpflichtet werden, sich an die Telematik-Infrastruktur anzu-
            am Krankenbett, Optimierung der Leistungsanforderung,                schließen, um weitere digitale Angebote zu ermöglichen.
            enge Verzahnung zwischen OP, Intensivstation und Station,        ×   Deadline für die Krankenhäuser ist dem Entwurf zufolge der
            weil der Fortschritt einer OP in Echtzeit für alle Beteiligten       1. Januar 2021. Experten halten das für wenig realistisch.
            sichtbar ist, sowie Unterstützung durch Fachexperten, die via
                                                                             ×   Als Schlüssel zur Digitalisierung im Krankenhaus gilt die
            telemedizinischer Verfahren hinzugezogen werden“, zählt
                                                                                 elektronische Patientenakte. Sie dient der sicheren Doku-
            Heuking-Experte Jansen auf. Insbesondere im Bereich soft-
            waregestützter Operationsplanung und Operationsrobotik sei           mentation und Archivierung von Patientendaten.
            zudem ein großer Umsatzzuwachs zu erwarten. „Daneben             ×   Die gespeicherten Daten der Patienten zu deren Krankenge-
            wird der Einsatz von künstlicher Intelligenz die Diagnostik          schichte sollen auch von anderen Ärzten eingesehen und wei-
            verändern, da eine Maschine aus einer viel größeren Anzahl           tergeführt werden können. So sollen Doppelbehandlungen
            an Befunden die Wahrscheinlichkeit für eine Erkrankung               und Wechselwirkungen von Medikamenten verhindert werden.
            berechnen kann“, so der Technologieanwalt. „So können selbst
            Krankheiten, die selten auftreten, besser diagnostiziert wer-
                                                                             ×   Die elektronische Patientenakte ist jedoch aus datenschutz-

            den, da eine Maschine die Befunde zentral auswertet. Dies            rechtlicher Sicht problematisch, denn schließlich gelten
            wird die Qualität der Diagnostik erheblich steigern.“                Gesundheitsdaten als besonders sensibel.
            Doch wo die Technik zunehmend Entscheidungen von Men-            ×   Patienten müssen daher die Hoheit über ihre Daten behal-
            schen aus Fleisch und Blut ersetzt, stellt sich auch die Frage       ten und dürfen selbst entscheiden, wer sie einsehen darf.
            nach der Verantwortung. Der sogenannte Hippokratische Eid,           Gegebenenfalls dürfen sie auch Einträge löschen.
            den Ärzte im alten Griechenland schwören mussten, wird
            zwar heutzutage nicht mehr gesprochen, er steht aber weiter
                                                                             ×   Ärzte dürfen sich daher nicht blind auf die Einträge in der

            für die ethische Grundhaltung aller Ärzte, ihr Leben und ihre        elektronischen Patientenakte verlassen. Auch beim Einsatz
            Arbeit in den Dienst der kranken Menschen und der Mensch-            von OP-Robotern oder Diagnosesoftware bleiben die Me-
            lichkeit zu stellen. Solche ethischen Grundsätze, die ange-          diziner in der Verantwortung.

24   Ausgabe 1/2020
STRATEGIE & MANAGEMENT unternehmensjurist

              INTERNE ERMITTLUNGEN

            SCHNELL, FAIR,
            TRANSPARENT
            Unternehmen stehen zunehmend in der Pflicht, Verfehlungen im eigenen Haus selbst
            aufzuklären – nicht nur, um sich vor Schäden und Skandalen, sondern auch vor Haftung
            und Sanktionen zu schützen. Die Herausforderung besteht darin, effizient zu ermitteln,
            dabei Datenschutz und den Betriebsfrieden zu wahren, Arbeits- und Strafrecht zu
            beachten, und mit belastenden Ergebnissen richtig umzugehen.

            Ω Ob Kartellverstöße, Motorenmanipulationen oder Schmier-        keit. Dennoch kann jeder Fall ein anderes Vorgehen verlangen.
            gelder – interne Ermittlungen sind keine Routinekontrollen,      „Das Kick-off-Meeting ist unverzichtbar“, so Schoop. „Hier
            sie beginnen immer mit einem Hinweis oder einem Verdacht         stellt man die Weichen: Welches Fachwissen brauchen wir im
            auf konkrete Pflicht- oder Rechtsverstöße. Lässt sich der Fall   Team? Wie weit ziehen wir die Untersuchungen? Schalten wir
            nicht einfach aufklären, kommen meist externe Kanzleien          sofort die Staatsanwaltschaft ein?“
            zum Einsatz, doch „je mehr wir bei börsennotierten Unter-
            nehmen nach oben gehen, desto eher finden wir in Unter-
            nehmen eigene Ermittlungsabteilungen“, sagt Dr. Christian        DATENSCHUTZRECHTLICHE GUTACHTEN BEI
            Schoop, Partner bei DLA Piper. Auch die benötigen manchmal       KOMPLEXEN FÄLLEN
            Unterstützung, insbesondere wenn der Verdacht bis in hohe
            Ebenen reicht. Dann bringen externe Ermittler die nötige Un-     Im ersten Schritt geht es darum, Beweise zu sichern – meist
            abhängigkeit mit, interne die Kenntnisse der Strukturen. Klare   Dokumente, Browserverlauf und E-Mail-Verkehr. Datenschutz-
            Zuständigkeiten, ein Ablaufplan und ein Investigation Manual     rechtlich zulässig ist die Durchsicht, wenn der Arbeitgeber die
            für die Ermittler sorgen für Rechtssicherheit und Schnellig-     private Nutzung des Accounts und der geschäftlichen E-Mail-
                                                                             Adresse ausgeschlossen hat und ein Tarifvertrag oder eine
                                                                             Betriebsvereinbarung die Einsicht regelt. Liegt ein Anfangs-
                                                                             verdacht für eine Straftat vor, die eine Sichtung erforderlich
                                                                             macht, ist der Zugriff ebenfalls möglich. Ist die Privatnutzung
BETRIEBLICHE AMNESTIEPROGRAMME:                                              geduldet, wird es schwierig. Besser ist es dann, wenn Beschäf-
                                                                             tigte zustimmen – allerdings müssen sie das freiwillig tun,
                                                                             nicht unter Druck, und sie können die Einwilligung jederzeit
• Sie stellen Beschäftigte bei Mitwirkung an der Aufklärung von
                                                                             widerrufen. Insbesondere bei komplizierten Abwägungen
  Konsequenzen frei.
                                                                             lässt Christian Schoop ein datenschutzrechtliches Gutachten
• Mögliche Angebote: Zusicherung von Vertraulichkeit, Verzicht auf           erstellen, damit seine Mandanten eine rechtssichere Entschei-
  arbeitsrechtliche Sanktionen und Strafantrag, Übernahme von                dung treffen können. Sehr umfangreiche Daten lassen sich mit
  Rechtsverteidigungskosten, Bezeugen des kooperativen Verhaltens            Filterprogrammen wie „Relativity“ sinnvoll durchsuchen, oft
  im Strafverfahren.                                                         durch IT-Spezialisten oder Wirtschaftsprüfer, die wiederum
                                                                             auf Datenschutz verpflichtet werden. Es kann sinnvoll sein,
• Sie entbinden jedoch nicht von Anzeige- und Aussagepflichten
                                                                             Verdächtige freizustellen, um ihnen keine Möglichkeit zu
  gegenüber den Behörden.
                                                                             geben, Beweise zu manipulieren oder Zeugen zu beeinflus-
• Verzicht auf Schadensersatz ist gesellschaftsrechtlich oft nicht           sen. Andererseits lassen sie sich vielleicht besser überführen,
  möglich und führt in der Regel zum Verlust des Anspruchs aus der           wenn man sie verdeckt beobachtet. Abhörmaßnahmen sind
  Directors & Officers-Versicherung.                                         grundsätzlich nicht zulässig, unbemerkte Videoaufnahmen
                                                                             wiederum nur bei Verdacht auf eine Straftat. Vom Einsatz ei-

36   Ausgabe 1/2020
unternehmensjurist   STRATEGIE & MANAGEMENT

ner Detektei rät Rechtsanwalt Schoop ab: „Mit legalen Mitteln
finden die auch nicht mehr heraus.“
Wesentlich ist die Befragung von Mitarbeitern als Zeugen
oder Verdächtige. Laut Weisungsrecht des Arbeitgebers haben
Arbeitnehmende die Pflicht zu erscheinen und Fragen, die
unmittelbar im Zusammenhang mit ihrem Aufgabenbereich
stehen, wahrheitsgemäß und vollständig zu beantworten. Ob
eine allgemeine Aussagepflicht besteht und Mitarbeiter auch
Kollegen belasten müssen, ist bisher von der Rechtsprechung
nicht abschließend geklärt. Doch die Bundesrechtsanwalts-
kammer empfiehlt in ihren „Thesen zum Unternehmensan-
walt im Strafrecht“ im Wesentlichen die Grundsätze des fairen
Verfahrens, die auch der Entwurf des Verbandsklagegesetzes
vorsieht (s. dazu Beitrag ab S. 56). Die Befragenden sollten die
Beschäftigten also belehren, dass ihre Aussagen in späteren
Prozessen verwendet werden können, dass sie sich nicht selbst
belasten müssen – und am Ende das Protokoll vorlegen. So
sieht es auch die globale Investigations Guideline der Scha-
effler Group vor. „Wir legen weltweit dieselben Maßstäbe bei
Verfahren und Datenschutz hinsichtlich interner Untersu-

Ω Fortsetzung auf Seite 40
STRATEGIE & MANAGEMENT unternehmensjurist

            Verdachtsfall-Management bei der Allianz Deutschland-Gruppe

            Bei der Allianz Deutschland befassen sich aktuell rund 20 Mitarbeitende ausschließlich mit internen Ermittlungen. Das Team
            besteht in dieser Form seit 2014 und ist insgesamt für rund 50.000 Personen zuständig – Beschäftigte, Handelsvertreter
            und deren Mitarbeiter. Es bearbeitet rund 600 Verdachtsfälle im Jahr, mit dem Schwerpunkt Betrug und Untreue. Chief
            Investigator Peter Birner führt das Ermittlerteam, Syndikusrechtsanwalt Dr. Maximilian Utz, Leiter des Teams Wirtschafts-
            strafrecht und Compliance Untersuchungen, setzt den rechtlichen Rahmen, Bernd Hoffmann verantwortet den Bereich als
            Chief Compliance Officer.

            Interne Ermittlungen werden immer wichtiger für Unter-              Haus ist, bringe ich eher das Ermitteln bei, als einem externen
            nehmen. Bei der Allianz Deutschland befasst sich ein ganzes         Ermittler das Allianzwissen.
            Team nur damit. Welchen Vorteil hat diese Spezialisierung?
            Peter Birner: Arbeitsrecht, Datenschutz oder Betriebsverein-        Sie kamen aber alle drei als Externe: Herr Hoffmann war Kri-
            barungen machen viele Vorgaben, aber noch fehlen klare              minalhauptkommissar und Unternehmensberater, Herr Bir-
            gesetzliche Leitplanken. Daher erfordert es eine hohe Profes-       ner ebenfalls bei der Polizei und bei einem Sicherheitsunter-
            sionalität, rechtlich sauber zu ermitteln. Und man braucht          nehmen, Herr Utz bei einer internationalen Anwaltskanzlei.
            Zeit, Fälle gründlich aufzuklären. Das geht nicht nebenbei.         Hoffmann: Ja, eine schnelle Lernkurve ist angezeigt, die haben
                                                                                wir alle drei nehmen müssen. Wenn wir das Profil intern nicht
            Wie setzt sich ein gutes Team zusammen?                             finden, rekrutieren wir natürlich extern.
            Bernd Hoffmann: Wir rekrutieren Leute aus den wichtigsten           Maximilian Utz: Leute mit verschiedenen Schwerpunkten
            Bereichen – Recht, Vertrieb, IT, die sich tief in den Strukturen,   im Team sind ein Erfolgsfaktor. Ermittlungsergebnisse zu
            Geschäftsprozessen und Systemen auskennen und Kommu-                erzielen, ist Herrn Birners Spezialität – ich stelle sicher,
            nikationsfähigkeit sowie professionelle Skepsis mitbringen.         dass wir sie am Ende auch wirklich verwerten können – ob
            Birner: Lebenserfahrung und eine gefestigte Persönlichkeit          im Straf-, Zivil- oder vor allem im Arbeitsgerichtsprozess.
            gehören auch dazu, um Sachverhalte zu bewerten und selbst-          Das ist so ein bisschen wie das Verhältnis von Polizei und
            bewusst aufzutreten.                                                Staatsanwaltschaft.

                                                                                Wie schulen Sie Ihre Mitarbeiter?
                                                                                Utz: Regelmäßig, bei Eintritt ins Team und zur Auffrischung
                                                                                und Fortbildung. Zu Datenschutz, Arbeitsrecht und Strafrecht
                „Wichtig ist der                                                vor allem intern. Aber auch durch externe Trainer, vor allem
                ´Tone from the Top´.“                                           in forensischen Interviewtechniken.
                                                                                Birner: Wir schulen uns auch sehr viel aus uns selbst heraus.
                BERND HOFFMANN,                                                 Mitarbeiter mit speziellen Fachkenntnissen erläutern ihre
                Chief Compliance Officer,                                       Fälle.
                Allianz Deutschland-Gruppe
                                                                                Woher bekommen Sie Ihre Hinweise?
                                                                                Hoffmann: Anonyme Hinweise können über das IT-System
                                                                                oder den Vertrauensanwalt kommen und natürlich per Brief.
                                                                                Aber das macht nur ein bis zwei Prozent der Meldungen aus,
            Wie finden Sie diese Mitarbeiter?                                   obwohl wir das Hinweisgebersystem intensiv bewerben. Die
            Hoffmann: Meist intern. Die Allianz ist eine komplexe Orga-         Masse kommt offen, direkt oder über den Dienstweg. Das
            nisation. Man muss Prozesse verstehen und Ansprechpartner           werten wir als Hinweis, dass wir eine gute Kultur im Umgang
            kennen, um erfolgreich Manipulationen aufzudecken und bei           mit Compliance-Verdachtsfällen haben.
            Ausflüchten gegenzuhalten.
            Birner: Fachkenntnis und Forensik greifen wie beim Zahnrad          Wie sehen der konkrete Arbeitsablauf und die Arbeitsteilung
            ineinander, aber einem Experten, der schon Jahrzehnte im            aus?

38   Ausgabe 1/2020
unternehmensjurist   STRATEGIE & MANAGEMENT

Birner: Das zentrale Deliktteam prüft alle Eingänge und über-     Prozess. Die Bedingungen sind allerdings so, dass wir letztlich
gibt den Fall bei hinreichendem Tatverdacht einem Bearbeiter.     noch nie für Informationen gezahlt haben.
Größere Fälle übernehme ich selber, eventuell mit weiteren Mit-
arbeitern. Bei Befragungen sind wir immer zu zweit. Wir ermit-    Wann konfrontieren Sie Beschuldigte mit den Vorwürfen?
teln und dokumentieren den Fall – betreut vom zentralen Delikt-   Hoffman: Je pauschaler und anonymer der Vorwurf ist, desto
team. Das macht auch das Qualitätsmanagement, begutachtet         schneller gehen wir auf den Betroffenen zu. Je offener der
den internen Bericht, die Strafanzeige, den Vorstandsbericht.     Hinweis, je schwerer der Vorwurf – desto eher stellen wir erst
Utz: Bei uns in der Compliance läuft dabei alles zusammen,        mal Ermittlungen an, werten Daten aus.
es gibt ein gemeinsames Bearbeitungstool, um sicherzustel-        Birner: Eine Befragung ist ja nur sinnvoll, wenn ich den Be-
len, dass ordentlich und zügig ermittelt wird, nichts hinten      fragten mit Beweisen konfrontieren kann und Argumente
runterfällt.                                                      gegen Ausflüchte habe. Bei sehr konkreten Hinweisen ist der
                                                                  Betroffene genauso wie im Strafverfahren erst am Schluss dran.
Wie haben Sie denn Ihr Verfahrensmanual erstellt und wie          Utz: Wir halten uns aber streng an das Prinzip: ein Beschul-
oft überarbeiten sie es?                                          digter bekommt immer die Möglichkeit, sich zu Vorwürfen
Hoffmann: Wir arbeiten gerade daran, unsere Vorgaben noch         zu äußern.
effizienter in einem Handbuch zusammenzufassen.
Utz: Wir wollen möglichst kurz und prägnant, aber unter Be-
achtung aller rechtlichen Vorgaben Leitplanken aufstellen ...
Hoffmann: … und das in Abstimmung mit dem Betriebsrat.               „Leute mit verschiedenen
Utz: Unsere Ermittler sollen genau wissen, was sie dürfen und
was nicht. Andererseits dürfen die Vorgaben auch nicht zu            Schwerpunkten im Team
spezifisch sein. Compliance-Verstöße kann man nicht sche-            sind ein Erfolgsfaktor.“
matisch bearbeiten.
Birner: Sonst läuft man Gefahr, dass Mitarbeiter nur noch            DR. MAXIMILIAN UTZ,
Vorgaben abhaken und keinen weiten Fokus mehr haben.                 Syndikusrechtsanwalt,
                                                                     Allianz Deutschland-Gruppe
Wie ist der Status der Ermittler im Unternehmen? Werden
die eher als Partner oder als „Petze“ gesehen?
Birner: Man wird respektiert, aber man macht sich nicht
nur Freunde. Persönliche Anfeindungen habe ich aber nicht         Gibt es Amnestieprogramme für „Kronzeugen“?
erlebt. Und wenn wir Stellen ausschreiben, rennen uns die         Hoffmann: Das war bei uns noch nicht nötig. Wenn es nö-
Leute die Bude ein.                                               tig wäre, würden wir es mit externer rechtlicher Begleitung
Hoffmann: Wichtig ist der „Tone from the Top“. Compliance         erwägen. Wir haben ein Integrity-Komitee. Das entscheidet
und Revision sind bei uns direkt beim Vorstandsvorsitzenden       bei Konflikten und Zweifelsfällen. Es besteht aus den Leitern
angesiedelt. Daraus ziehen wir Legitimation und Durchschlags-     Recht, Revision, Compliance und – wenn der Betroffene kein
kraft. Die brauchen sie auch, wenn Sie im Vertrieb darauf be-     Vermittler ist – aus einer Führungskraft der Personalabteilung.
stehen, einem Vermittler den Agenturvertrag zu kündigen, der
dann mit mehreren Millionen Versicherungsbestand zur Kon-         Was passiert, wenn sich ein Fall nicht aufklären lässt?
kurrenz geht. Wir sind keine Business-Enabler, aber auch nicht    Utz: Wir machen uns da rechtsstaatliche Grundsätze zu eigen
nur darauf aus, Sanktionen auszusprechen. Mit Augenmaß die        – es gilt grundsätzlich die Unschuldsvermutung. Wenn es
Linie halten – das ist wichtig. Wir dürfen nicht durch ständige   klare Anhaltspunkte für das Vorliegen eines Verstoßes gibt, wir
Ausnahmen das Compliance- Management kompromittieren.             diesen aber nicht nachweisen können, hilft das Arbeitsrecht
                                                                  auch mit dem Instrument der Verdachtskündigung. Oder wir
Was tun Sie, wenn jemand für Hinweise oder Beweismittel           schalten die Ermittlungsbehörden ein und versuchen über
Geld haben will?                                                  diese eine weitere Aufklärung zu erreichen.
Hoffmann: Wenn man das grundsätzlich ablehnt, es dann             Birner: Die Erfahrung zeigt auch, früher oder später schlägt
aber um viele Millionen Euro oder sogar um die Existenz des       ein Täter wieder auf. Und dann kann er sich nicht mehr auf
Unternehmens geht, ist man in Gefahr, seine Grundsätze über       ein Versehen herausreden.
Bord zu werfen. Deswegen haben wir da einen ganz klaren                                     Das Interview führte Angelika Knop.

                                                                                                                           Ausgabe 1/2020   39
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