Leben mit dem Virus - Kassenärztliche ...
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4. AUSGABE DAS MAGAZIN DER 2020 KASSENÄRZTLICHEN BUNDESVEREINIGUNG Ab April digital Leben mit dem Virus Wie Corona unseren Alltag prägt Folgen der Pandemie Befragung in Praxen Gesundheit anderswo Virologe Jonas Schmidt- Nur mit Mehrwert Lettland: Finanzkrise macht Chanasit im Interview und Zeit digitalisieren London zum Vorbild
Editorial KBV Klartext Das Magazin der Kassenärztlichen Bundesvereinigung Liebe Leserin, lieber Leser, Erscheinungsweise: vierteljährlich das Corona-Virus begleitet uns nun schon fast ein ganzes Jahr. Herausgeber: Wir alle mussten uns in dieser Zeit – auf ganz verschiedene Art Kassenärztliche Bundesvereinigung Dr. Andreas Gassen (Vorstandsvor- und Weise – einschränken und Gewohnheiten ändern. Dieser sitzender der KBV, V.i.S.d.P.) Ausnahmesituation stellten sich Ärztinnen, Ärzte, Psychothera- Redaktion: peutinnen, Psychotherapeuten und medizinisches Personal in Meike Ackermann, Lea Hanke, Thomas ganz Deutschland mit großem Einsatz. Auch wir stellen uns als Schmitt, Hendrik Schmitz, Sten Beneke, Corina Glorius Kassenärztliche Bundesvereinigung dieser Herausforderung auf unterschied- lichen Ebenen – gerade auch beim Blick auf die Sicherstellung der ambulanten Redaktionsbeirat: Dr. Roland Stahl Versorgung. Redaktionsanschrift: Kassenärztliche Bundesvereinigung Doch eines ist sicher: Das Virus wird so schnell nicht verschwinden. Die Fort- Redaktion Klartext schritte in der Impfstoffentwicklung machen zwar Hoffnung, denn Vakzine Herbert-Lewin-Platz 2, 10623 Berlin Tel.: 030 4005-22 42 werden ein wichtiger Baustein in der Pandemiebekämpfung sein. Aber auch sie Fax: 030 4005-272242 werden Covid-19 nicht von heute auf morgen besiegen können. Im Titelthema E-Mail: redaktion@kbv.de www.kbv.de widmen wir uns deswegen der Frage, wie eine langfristige Strategie für den Alltag mit dem Virus aussehen könnte – und was das für unsere Psyche, die Gestaltung: Wirtschaft und unseren Rechtsstaat bedeutet. KloseDetering, Hamburg Druck: Im Interview spricht der Hamburger Virologe Prof. Dr. Jonas Schmidt-Chanasit Druckerei Kohlhammer, Stuttgart über den zukünftigen Umgang mit SARS-CoV-2 und die politische Dimension des Fotos: Virus (ab Seite 10). Einen Rückblick auf die Geschichte und Ausblick auf die digi- Titel: © KloseDetering/shutterstock > S. 2: © Lopata/axentis.de > S. 3: © iStock.com/ tale Zukunft dieses Magazins gibt es ab Seite 14. Auch auf den folgenden Seiten ArtMarie; © iStock.com/Anthony Racano bleibt es digital: Wir blicken zurück auf die Gesundheitskonferenz #healsy20 > S. 4: © iStock.com/ArtMarie > S. 5: © Institut der Deutschen Wirtschaft > S. 6: © (Seite 16) und stellen das PraxisBarometer Digitalisierung (ab Seite 18), den Bü- Adobe Stock/jarun011 > S. 7: © iStock.com/ rokratieindex BIX (Seite 20) sowie das Zi-Infoportal KV-App-Radar (Seite 21) vor. Halfpoint; © picture alliance/AA | Abdulha- mid Hosbas > S. 8: © Ludwig-Maximilians- Universität München > S. 9: © Adobe Stock/ Ins Baltikum verschlägt es uns in der Rubrik „Gesundheit anderswo“: Lettland Microgen; © DPtV/Inga Haar > S. 10: © Bernhard-Nocht-Institut für Tropenmedi- wechselte nach der Finanzkrise zu einem öffentlichen Gesundheitsdienst nach zin > S. 12: © picture alliance/dpa | Daniel britischer Spielart. Seitdem versucht man dort, die Folgen des Wirtschaftskol- Bockwoldt > S. 13: © KBV; © iStock.com/ alvarez > S. 14: © KloseDetering/iStock. lapses abzudämpfen und die Gesundheitsversorgung effizienter zu gestalten. com/nortonrsx, © KBV > S. 16: © Andrea Wie fehlendes Budget, Ärztemangel und Corona-Krise die Medizin im kleinen Katheder > S. 17: © Adobe Stock/studiogra- phicmh > S. 18: © shutterstock > S. 19: © Ostseestaat bedrohen, lesen sie ab Seite 24. Lopata/axentis.de > S. 20: © KloseDetering > S. 21: © iStock.com/DragonImages > S. 22: Ich wünsche Ihnen eine informative und anregende Lektüre. © picture alliance/NurPhoto | Jonathan Raa > S. 24: © iStock.com/mbonaparte > S. 26: © picture alliance/robertharding | Fraser Ihr Dr. Stephan Hofmeister, Hall > S. 27: © Zentralinstitut für die kassen- ärztliche Versorgung Stellvertretender Vorsitzender des Vorstandes www.twitter.com/kbv4u KBV Klartext Die App KBV2GO! kostenlos abonnieren www.youtube.com/kbv4u kostenlos downloaden: und downloaden: www.kbv.de/klartext www.kbv.de/kbv2go www.kbv.de/praxisnachrichten 2 KBV KLARTEXT > 4. AUSGABE 2020
Inhalt Titel Themen Gesundheit anderswo 14 Letzte Klartext-Printausgabe: 24 Lettland: Der lange Schatten 4 Leben mit dem Der 25. Geburtstag wird digital der Finanzkrise Virus – Perspektiven 16 #healsy20: KBV-Konferenz für unseren Alltag mit mit großer Resonanz Corona 18 PraxisBarometer Digitalisierung: Kurz gefasst Mit Mehrwert und Zeit 13 Meldungen aus dem Bund 20 BIX: Bürokratischer Mehraufwand in den Praxen 17 Meldungen aus den Ländern 22 Bericht aus Brüssel: Europas Weg 27 Angeklickt und Aufgeblättert zur Gesundheitsunion Interview 10 Professor Jonas Schmidt-Chanasit: „Vom Normalzustand sind wir noch ein Stück weit entfernt“ In Corona-Zeiten kein ungewöhnlicher Anblick: Restaurants, Bars und Kneipen dürfen nur unter strengen Auflagen oder gar nicht öffnen. KBV KLARTEXT > 4. AUSGABE 2020 3
TITEL Leben mit dem Virus – Perspektiven für unseren Alltag mit Corona Es ist gekommen, um zu bleiben: Fast seit Jahresbeginn bestimmt das Corona-Virus SARS-CoV-2 unseren Alltag. Und es wird nicht so einfach aus unserem Leben verschwinden – selbst wenn eine flächendeckende Impfung der Pandemie ein Ende setzen könnte. 4 KBV KLARTEXT > 4. AUSGABE 2020
TITEL A llen Hoffnungen in Impfstoffe zum Trotz: Das Virus wird uns die nächsten Jahre begleiten. Es dürfte nicht vollständig zu eliminieren sein. Bisher konnte erst einmal ein Virus durch (Universität Hamburg) und zahlreichen Ärzteverbänden einen viel diskutierten Anstoß gegeben. „Das Positionspapier hat zumindest die Werkzeugkasten für das Pandemie-Management ein Vakzin über jahrzehntelange Impfkam- Diskussion entfacht. Das war gut und Auf diese Weise sollen sich permanente pagnen ausgerottet werden – die tödlichen wichtig“, erklärt Dr. Andreas Gassen, Lockdown-Situationen möglichst verhin- Pocken. Aber auch ein Impfstoff wird nur Vorstandsvorsitzender der KBV. „Es gab dern lassen. Das wiederholte Anziehen ein Mittel unter vielen zur Bekämpfung sehr viel Zustimmung – sowohl von Ver- und Lockerlassen von Restriktionen der Covid-19-Pandemie sein. Daher sind bänden als auch von einzelnen Ärztinnen apostrophierte Streeck schlicht als „Stot- Strategien für den Alltag mit Corona und Ärzten. Es gab natürlich auch Kritik. terbremsen“. Gassen: „Es geht uns darum, vonnöten. Mit einem Positionspapier hat Alles andere wäre auch verwunderlich.“ vielleicht eine Art Werkzeugkasten zu die Kassenärztliche Bundesvereinigung In einem strukturierten Dialog wird eine bauen, der verschiedene Möglichkeiten (KBV) gemeinsam mit den Virologen Pro- innerärztliche Diskussion zu dem Umgang adressiert, wie man Maßnahmen je nach fessor Hendrik Streeck (Universität Bonn) mit der Pandemie noch intensiviert. regionaler Notwendigkeit – ich glaube, und Professor Jonas Schmidt-Chanasit die darf man nicht völlig außer Acht > „Soviel Normalität fraglich. Mit Blick auf das Weihnachtsgeschäft können wie möglich zulassen“ weitere Einschränkungen vermieden werden, wenn ge- fährdete Gruppen mithilfe von Schnelltests und obliga- Die Auslastung der deut- torischer Nutzung der FFP2-Masken wirksam geschützt schen Intensivstationen in werden. Auf Weihnachtsmärkte werden wir hingegen den kommenden Tagen und sicher verzichten müssen. Wochen ist entscheidend, wenn Bund und Länder über Notwendig erscheint mir vor allem eine höhere Wirksam- weitere Verschärfungen keit der Corona-Warn-App. Der Datenschutz wird offen- Professor Michael Hüther wie striktere Kontaktver- kundig höher gewertet als andere verfassungsmäßige bote oder die Schließung Grundrechte, in die man eingreift. Das ist unverhältnis- des Einzelhandels nachdenken. Hier gilt: Jede weitere mäßig. Die Meldung einer Infektion sollte verpflichtend Verschärfung muss zielgenau sein. Die höchstmögliche sein, auch sollte das Tracking umfassender möglich sein. Wirksamkeit sollte bei allen Maßnahmen, die zur Debatte Sorgen um die Datensouveränität kann man Rechnung stehen, höchste Priorität haben. tragen, indem man die Daten verlässlich anonymisiert und zu Händen eines Datentreuhänders gibt, damit keine Darüber hinaus muss es immer auch darum gehen, Zweifel entstehen. soviel Normalität wie möglich zuzulassen. Grundsätzlich lassen sich in geordneten Systemen und Strukturen – wie Bis es soweit ist, werden wir uns leider auf zeitlich be- Unternehmen, dem Einzelhandel, Restaurants et cetera – grenzte Teil-Lockdowns einstellen müssen. Aber es wird die Corona-Regeln besser durchsetzen und kontrollieren künftig immer genauer nach Effektivität und Effizienz der als im privaten Bereich. Deswegen sollte klug abgewo- Maßnahmen zu fragen sein. Deswegen ist es wichtig, gen werden: Ein Treffen im Restaurant unter perfekten dass viele epidemiologische Begleitstudien gemacht Hygieneregeln kann weniger risikobehaftet sein als eine werden. Dann kann man die Risikolage in den einzelnen Essenslieferung an den eigenen Esstisch. Kontexten sehr viel besser einschätzen und entsprechend entscheiden. Mit einem Impfstoff ergeben sich neue Nach allem, was wir wissen, hat sich der Einzelhandel Möglichkeiten, die durch die vorgestellte Impfstrategie bisher nicht als problemverschärfend erwiesen – hier angemessen genutzt werden können. Dann ist ein Lock- müssen vor allem die Hygienekonzepte weiter konsequent down umso weniger nötig und wir können zu einer neuen eingehalten werden. Auch die Wirksamkeit der Einschrän- Normalität finden. kungen von Museen und Kulturveranstaltungen ist bisher Professor Michael Hüther ist Direktor des Instituts der Deutschen Wirtschaft (IW) in Köln KBV KLARTEXT > 4. AUSGABE 2020 5
TITEL Das Zentralinstitut für die kassenärztliche Versorgung (Zi) empfiehlt zum weiteren Management der Covid-19-Pandemie unter anderem eine konsequente Strategie der Testung. lassen – in besonderem Umfang zu- oder können unterschiedlichen Risikostufen auch abschalten kann.“ Dazu gehöre bei- konkrete Maßnahmen zugeordnet, be- spielsweise das Thema eines bundesweit Konsequente Strategie schlossen und auch prospektiv kommuni- einheitlichen Ampelsystems, die Frage ziert werden. Diese würden spezifisch den nach Schnelltests oder die Versorgung von Die Vorschläge zum weiteren Management Schutz der vulnerablen Patientengruppen Pflege- und Altenheimen mit FFP2-Mas- der Covid-19-Pandemie sind vielgestaltig. (zum Beispiel Verpflichtung zum Tragen ken, wie es mittlerweile an vielen Orten Das Zentralinstitut für die kassenärztliche von FFP2-Masken bei Kontakt zu Älteren) der Republik bereits geschehe. Versorgung (Zi) empfiehlt in einem Dis- oder den Schutz des Gesundheitswesens kussionsbeitrag etwa, eine konsequente vor Überlastung (zeitweise Verschiebung „All diese Dinge können Eingang in den Strategie der Testung, Kontaktverfolgung elektiver Eingriffe) adressieren. Werkzeugkasten finden“, erklärt der KBV- und Isolation zum Schutz der vulnerablen Chef. „Wir wollen eine fachliche Diskus- Gruppen zu verfolgen. Dabei stehen dem sion, einen innerärztlichen Austausch. Zi zufolge besonders die über 60-Jährigen Denn ich glaube, ganz wichtig ist natür- im Fokus, da die Infektionssterblichkeit lich, so essenziell die Wissenschaft gerade in dieser Altersgruppe stark ansteige. Hoffen auf die Impfung in so einem Thema wie einer viralen Pan- „Die alleinige Hoffnung der Pandemie- demie ist, so wichtig ist ja irgendwo auch Bekämpfung mit Mitteln der Kontaktnach- Große Hoffnung liegt auf der Entwicklung die Transmission in der Umsetzung in die verfolgung erscheint bedauerlicherweise eines Corona-Impfstoffs. Sieben verschie- reale Versorgung.“ Und da seien nun mal unrealistisch“, sagt Zi-Vorstandsvorsitzen- dene Kandidaten sind zurzeit in unter- die Ärzte, ob in der Niederlassung oder der Dr. Dominik von Stillfried. schiedlichen Stadien in der Entwicklung. im Krankenhaus, diejenigen, die unmit- Die Vakzine könnten auch zur Prävention telbar mit den Patienten Kontakt hätten. Konkret rät das Zi unter anderem dazu, und Kontrolle dieser Infektionskrankheit „Deshalb sind diese Ergebnisse und diese in allen Altersgruppen unverändert einen großen Beitrag leisten. Wobei klar Erfahrungen enorm wichtig, um sozusa- weiter zu testen. Allerdings sollten die ist: „Die Impfstoffe, die es geben wird, gen die abstrakten wissenschaftlichen Maßnahmen der Kontaktverfolgung bei werden ein wichtiger Baustein sein, aber Erkenntnisse in eine realistische Strategie positiv getesteten Personen nach Relevanz nicht der Endpunkt, der die Pandemie umzusetzen.“ gestaffelt werden. Auf Grundlage einer sozusagen von heute auf morgen been- vom Zi entwickelten Entscheidungsmatrix den wird“, erklärt Schmidt-Chanasit im 6 KBV KLARTEXT > 4. AUSGABE 2020
TITEL „Klartext“-Interview. „Wichtig ist, dass wir Impfstoffe haben und wir sie als Bau- stein benutzen können neben dem Testen und neben dem besseren Schutz für die vulnerable Population.“ Das sei schon ein großer Schritt nach vorne. Auf verschiedene Impf-Szenarien ist die KBV jedenfalls vorbereitet. „Wir sind in einem sehr engen Dialog mit dem Bundes- ministerium für Gesundheit“, konstatiert Dr. Stephan Hofmeister, stellvertretender Vorstandsvorsitzender der KBV. „Wir ha- ben dieselbe Herausforderung. Natürlich muss möglichst viel zum Impfen zentral und bundeseinheitlich geregelt werden, da alle Menschen das gleiche Recht und den gleichen Anspruch haben, nach den gleichen Regeln versorgt zu werden.“ Andererseits sei Impfen Ländersache. Und es gebe sicher auch viele Gründe, Demonstranten prostestieren gegen eine „Querdenker“-Versammlung. Die Corona-Pandemie ist auch eine warum das eine oder andere wiederum Belastungsprobe für unsere Demokratie. regional geregelt werden muss. Im Aus- tausch mit dem Bundesgesundheitsmi- ein Beipackzettel fertig sein, in dem auch dass eine Impfung großer Teile der Bevöl- nisterium gehe es vor allem darum, Dinge drinsteht, was bei dieser Impfung zu kerung überhaupt nur möglich ist, wenn abzustimmen, die wirklich zentral und beachten ist.“ Trotzdem würde alles so die Vertragsärztinnen und -ärzte impfen. gleich geregelt werden müssten. vorbereitet, dass man einsatzbereit sei. Impfen ist Arztsache – insbesondere und „Wir können aber erst ganz konkret in die ganz klar bei einem neuen Impfstoff, den Umsetzung gehen, wenn wir wissen, wel- noch keiner so genau kennt.“ Zu Recht sei cher Impfstoff mit welchen Applikations- gesagt worden, dass idealerweise 60 Pro- Bedingungen und in welcher Menge an zent der Bevölkerung durchimpft werden Nicht ohne Niedergelassene welchem Tag überhaupt da sein wird.“ müssten. „Das sind so viele Menschen, Für den KBV-Vize ist es unumstößlich, dass es ohne die Vertragsärztinnen und Hofmeister: „Was wir am Ende brauchen, dass die niedergelassene Ärzteschaft eine -ärzte überhaupt nicht gehen wird.“ ist eine Zulassung für einen Impfstoff. bedeutende Rolle bei der Corona-Impfung Denn erst mit der Zulassung wird dann spielen wird. „Wir gehen fest davon aus, Stresstest für die Demokratie? Bei allen Diskussionen um Test- und Impfstrategien, um die Pandemie einzu- dämmen, ist klar, dass es nicht nur eine medizinische oder gesundheitspolitische Perspektive beim Umgang mit Corona gibt. Ebenso Teil der Debatte um das Leben mit dem Virus sind neben anderen psychologische, rechtliche oder ökonomi- sche Aspekte. So hat Professor Clemens Fuest, Präsident des ifo-Instituts, in einem Interview veranschaulicht: „Es kann keine wirtschaftliche Erholung geben, wenn die Pandemie nicht unter Kontrolle ist. Es be- steht kein Konflikt zwischen gesundheits- und wirtschaftspolitischen Anliegen.“ Neben der ökonomischen Perspektive wirft die Pandemie ebenso staatspoliti- sche wie rechtliche Fragen auf. Regie- Auch in Schulen gehört das Tragen von Mund-Nasen-Masken zum Alltag. rungsentscheidungen auf Bundes- und > KBV KLARTEXT > 4. AUSGABE 2020 7
TITEL Corona-Pandemie – Der verfassungsrechtlichen Entscheidung für eine rechts- Verfassungsrechtliche staatliche und parlamentarische Demokratie entspricht Fragen es, dass alle wesentlichen Entscheidungen zur Grund- rechtsverwirklichung und zu deren Grenzen von den Par- Seit März 2020 sind in lamenten, also von den vom Volk unmittelbar gewählten Deutschland im Zuge der und legitimierten Vertretungen, selbst getroffen werden Corona-Pandemie ganz und dass dies nicht allein den Organen der vollziehen- erhebliche Einschränkun- den Gewalt überlassen bleibt. Die äußerst intensiven Professor Hans Jürgen Papier gen der Freiheitsrechte und flächendeckenden Freiheitseinschränkungen sind eingeführt worden. Das aber nicht unmittelbar durch den Gesetzgeber einge- reicht von Eingriffen in die Bewegungs- und allgemeine führt oder explizit zugelassen, sondern im Wesentlichen Handlungsfreiheit sowie in die Niederlassungsfreiheit durch Rechtsverordnungen der Landesregierungen über Beschränkungen der Religionsausübungs- und verfügt worden. Der Bundestag hat zwar vor Kurzem Versammlungsfreiheit, der Berufsfreiheit und des Eigen- eine gewisse Präzisierung des Infektionsschutzgesetzes tumsgrundrechts, der Kunst- und Wissenschaftsfreiheit, im Hinblick auf die Pandemiebekämpfung beschlossen, bis hin zu erheblichen Eingriffen in den Schutzbereich von die mir aber im Hinblick auf den grundrechtlichen Par- Ehe und Familie. lamentsvorbehalt nicht hinreichend erscheint. Die stets erforderlichen Abwägungsentscheidungen zwischen den Alle diese Freiheiten sind im Grundgesetz und weitge- divergierenden Schutzgütern der Gesundheit einerseits hend auch in den Landesverfassungen gewährleistet, und den Freiheitsrechten andererseits bleiben auch selbst allerdings nicht grenzenlos. Durch Gesetz oder aufgrund in grundsätzlicher Hinsicht gerade nicht dem Parlament eines Gesetzes können unter bestimmten Bedingungen vorbehalten, sondern werden im Wesentlichen an die Beschränkungen eingeführt werden, wenn diese zur Exekutive delegiert. Diese bekommt also insoweit einen Verfolgung eines verfassungslegitimen Ziels geeignet, vom Gesetzgeber ausgestellten Persilschein im Hinblick erforderlich und verhältnismäßig sind. Zwischen dem auf die zu ergreifenden Maßnahmen, selbst wenn sie zu Nutzen der Grundrechtseingriffe für den Schutz von Leben den intensivsten Grundrechtsbeschränkungen führen, die und Gesundheit der Bevölkerung einerseits und den es in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland je durch diese Beschränkungen verursachten Schäden an gegeben hat. gleichermaßen verfassungsrechtlich geschützten Gütern materieller und immaterieller Art andererseits muss ein angemessenes und ausgewogenes Verhältnis bestehen. Professor Hans Jürgen Papier war von 2002 bis 2010 Präsident des Bundesverfassungerichts und ist emeritierter Inhaber des Lehrstuhls für Öffentliches Recht an der Ludwig-Maximilians-Universität in München. Länderebene werden angezweifelt. Ist tionsschutzgesetz war ausgerichtet auf Corona auch ein Stresstest für unsere De- einzelne Maßnahmen. Eine landesweite mokratie? „Wir müssen zunächst einmal Richtige Änderungen im oder kontinentalweite und letztlich sogar festhalten, dass wir bisher doch ganz gut Infektionsschutzgesetz weltweite Pandemie war doch außerhalb durch die Krise gekommen sind“, erläutert der Sichtweise des Anwendungsbereichs Professor Ulrich Battis, emeritierter Für das Leben mit dem Virus sieht der des Infektionsschutzgesetzes.“ Staats- und Verwaltungsrechtswissen- Jurist noch die eine oder andere Heraus- schaftler an der Humboldt-Universität zu forderung. „Die Vorstellung, die es zum Battis plädiert darüber hinaus für ein Berlin. „Das heißt, es gibt keine Verwer- Teil in Politik und auch in Medien gibt, konsequenteres Durchgreifen – gerade fungen in dem Sinne, dass bewusst die es muss jetzt alles einheitlich zentral bei manchen Demonstrationen gegen die Autorität des Staates und seiner Anord- festgelegt werden, ist völlig unange- Corona-Maßnahmen: „Letztlich geht es nungen infrage gestellt wird. Es gibt eine messen. Dezentral müssen die richtigen darum, die Bevölkerung zu gewinnen. Und kleine Gruppe, die natürlich im Laufe der angemessenen Entscheidungen getroffen Sie können nicht 80 Prozent der Bevölke- Krise größer wird und das anzweifelt. werden.“ Dafür müsse es einen Rahmen rung auf Dauer überzeugen, wenn Sie 20 Aber die deutsche Infrastruktur, die Teil geben. Zudem müssten die Parlamente Prozent Narrenfreiheit lassen.“ Eine Än- der traditionellen Daseinsvorsorge ist, stärker eingeschaltet werden, was in den derung des Grundgesetzes ist nach Battis‘ ist eben doch immer noch besser als in letzten Wochen auch bereits geschehen Einschätzung nicht erforderlich: „Ich halte vielen umliegenden Staaten.“ sei. Battis hält Änderungen im Infekti- das für entbehrlich.“ Gewisse Änderungen onsschutzgesetz für richtig: „Das Infek- im Infektionsschutzgesetz seien völlig aus- 8 KBV KLARTEXT > 4. AUSGABE 2020
TITEL demie so elementar. „Wir setzen dabei auf den Dialog. Denn nur gemeinsam können wir es am Ende schaffen, die Pandemie zu beherrschen“, formuliert KBV-Vize Hofmeister. Bei immer noch vielen offenen Fragen rund um SARS-CoV-2 bleibt letzt- lich eine Erkenntnis. Schmidt-Chanasit: „Wir werden weiter mit dem Virus leben müssen.“ Thomas Schmitt Eine Ärztin nimmt in ihrer Praxis einen Nasen-Rachen-Abstrich für den PCR-Test auf SARS-CoV-2. reichend – etwa die Begrenzung der Kom- Egal aus welcher Perspektive der Blick auf petenzübertragungen durch Rechtsverord- die Corona-Krise fällt, ist klar: „Das Virus nungen im Sinne der Rechtsprechung des geht nicht weg“, sagt Virologe Streeck. Da- Bundesverfassungsgerichts. her ist das Management der Covid-19-Pan- DREI FRAGEN AN ... DIPL.-PSYCHOLOGIN BARBARA LUBISCH, PSYCHOTHERAPEUTIN UND 1. STELLVERTRETENDE VORSITZENDE DER KBV-VERTRETERVERSAMMLUNG sie vereinsamen. Familien und besonders Menschen mit besonderen Belastungen Alleinerziehende, die räumliche Enge, sollten gezielt unterstützt werden. Die Home-Schooling und Home-Office verein- Möglichkeit, Psychotherapie als Videobe- baren sollen, sind durch die Mehrbelas- handlung oder in Ausnahmefällen als tungen gestresst, gereizt und übermüdet. Telefonkonsultation wahrzunehmen, Psychisch kranke Menschen leiden häufig ist in der Pandemie-Situation von Wir müssen ganz offensichtlich auf abseh- unter verstärkter Symptomatik. besonderer Bedeutung. bare Zeit mit SARS-CoV-2 leben. Welche Folgen hat Covid-19 für unsere Psyche? Wie lassen sich die psychischen Die Corona-Pandemie ist eine infektiologi- Belastungen am besten bewältigen? sche Krise. Wie sehr weitet sie sich auch Wir müssen auf Vieles verzichten, was uns zu einer psychologischen Krise aus? gut tut und Freude bereitet, unseren Alltag Soziale Unterstützung und emotionale umorganisieren und die Anspannung der Nähe sind auch bei physischer Distanz Gerade in unsicheren Situationen brau- möglichen Bedrohung unserer Gesund- möglich. Wir sind herausgefordert, die chen Menschen klare Information und heit aushalten. Gemeinsame Erlebnisse, vielfältigen Kommunikationsmöglichkeiten Orientierung. Der weitere Erfolg der Feiern und Umarmungen fehlen uns allen. über Telefon, Videokonferenzen, Messen- infektiologisch notwendigen Maßnahmen Die Bewältigung dieser Frustrationen und ger, Foren et cetera flexibel zu nutzen und wird auch von der Compliance abhängen, Unsicherheiten ist eine große psychische auszubauen. Weiterer Kontakt ist möglich also der Bereitschaft zur Einhaltung der Anpassungsleistung, die unterschiedlich mit Briefen, Päckchen oder Spaziergän- Verordnungen und Empfehlungen. Deshalb gut gelingt. gen unter Einhaltung der AHA-Regeln. Die sollten diese nachvollziehbar begründet, bewusste Gestaltung von Tagesstruktur klar kommuniziert und durch positive Viele Menschen berichten von gedrückter und Freizeit sind hilfreich: Ausreichend Motivierung unterstützt werden. Die För- Stimmung bis zu deutlichen Depressionen, Bewegung, möglichst in der Natur, und derung und Anerkennung von Verantwor- Schlafstörungen, Ängsten, aber auch ausreichend Schlaf sind in Stresssitua- tungsbereitschaft und Solidarität ist eben- Reizbarkeit, Aggressionen sowie zuneh- tionen wichtig. Soziale Kontakte sollten so wichtig wie Kontrolle und Sanktionen. mendem Alkoholkonsum. geplant werden, weil sie sich nicht von allein ergeben. Ein konstruktiver Diskurs über die unter- Die Belastungen sind je nach Lebenssi- schiedlichen Aspekte der Krise erscheint tuation unterschiedlich: Medizinisches Über die risikoarme Gestaltung der kom- wünschenswert. Psychotherapeuten sind Personal ist erhöhtem Druck ausgesetzt. menden Feiertage sollten wir uns frühzei- gerne bereit, sich mit ihrer Fachkompetenz Für Alleinstehende und junge Menschen tig Gedanken machen. daran zu beteiligen. ist oft das ‚Zuhause-Bleiben‘ sehr schwer, KBV KLARTEXT > 4. AUSGABE 2020 9
INTERVIEW „Vom Normalzustand sind wir noch ein Stück weit entfernt“ Professor Jonas Schmidt-Chanasit ist Virologe und beschäftigt sich unter anderem mit Viren, die durch Stechmücken übertragen werden (Arboviren). Im Klartext-Interview spricht er darüber, wie Corona unser Verhalten ändern kann, wie Streetworking in der Pandemie helfen könnte und wie politisch das Virus mancherorts ist. Die Corona-Pandemie ist ein Marathon, können. Aber es wird dann nicht mehr vollkommen ausreichend. Das ist unsere kein Sprint. Wie sieht unsere Zukunft mit diese Schlagkraft haben, die es derzeit hat. Werkzeugkiste. Mehr braucht man nicht. Covid-19 in Ihren Augen aus? Und wenn man das konsequent um- und Wie können wir mit diesem Virus leben? durchsetzt, hat man ein sehr geringes Das Thema wird uns im Jahr 2021 sicher Risiko, dass man mit dem Virus in Kontakt noch sehr intensiv begleiten. Der Winter Seit Beginn der Pandemie haben wir dafür kommt und sich infizieren kann. Das wird 2021 wird auch noch mal eine Heraus- eigentlich alles in unseren Händen. Am sich in den nächsten Wochen und Mona- forderung. Aber 2022/2023 werden wir Anfang gab es eine Diskussion bezüglich ten so fortsetzen. Zu den AHA-Regeln ist dann mit großer Wahrscheinlichkeit der Schmierinfektion, also der Oberflä- noch das Lüften hinzugekommen – gerade Schritt für Schritt zur Normalität zurück- chenstabilität des Virus. Es hat sich dann in Zeiten, wo es draußen kalt ist und man kehren können. Dann dürfte das Virus gezeigt, dass das eigentlich keine große sich vermehrt in Räumen aufhält, weil es besiegt sein in dem Sinne, dass wir keinen Rolle spielen kann. Wir hatten dann relativ unter besonderen Bedingungen zu einer Ausnahmezustand mehr haben. Natürlich schnell die AHA-Regeln Alltagsmasken, Anreicherung von Aerosolen und natür- wird das Virus weiter zirkulieren und Hygiene – also in dem Fall Händewaschen lich auch zu einer direkten Übertragung existieren. Wir werden es nicht eradizieren – und Abstand, der das A und O ist. Das ist kommen kann. Aber im Regelfall ist es die 10 KBV KLARTEXT > 4. AUSGABE 2020
„Wir werden weiter mit dem Virus leben müssen. Wir werden es nicht eradizieren.“ Tröpfcheninfektion, das heißt der unge- Indikator ist, sodass man frühzeitig in die Und genauso gilt das für junge Leute. schützte Kontakt zu dem anderen. Da hilft Blutgerinnung eingreifen kann, damit es Wir können nicht für zwei Jahre Party – und das ist ganz klar – AHA+L. erst gar nicht zu den Problemen kommt, verbieten. Die machen Party im Keller oder die diese Krankheit mit sich bringt, näm- anderswo. Also müssen wir uns überle- Wie wird Covid-19 unsere Hygieneregeln lich Gefäßverschluss und so weiter. Da gen, wie und wo die vielleicht einmal im dauerhaft verändern? gibt es viele Ideen. Monat zusammenkommen können – mit einer Testung oder einem Konzept, das Genau das treibt viele Menschen um. Aber der Hauptpunkt, auch jenseits der sicher ist. Dann wissen wir, wer dort war. Die Frage ist: Wird sich unser Verhalten Risikogruppen, wo man ganz klar sagt, Und wenn etwas passiert, kann man auch langfristig ändern? Dass man sich weniger da kann man viel mehr machen – von schnell reagieren. die Hand gibt, dass man sich weniger in FFP2-Masken über entsprechende Haus- den Arm nimmt. Dass man, wenn man haltshilfen über eine schnelle Reaktions- Viel Hoffnung steckt in der Entwicklung krank ist, eine Maske benutzt. Letzteres fähigkeit über eine Priorisierung bei der von Impfstoffen gegen Corona. Aktuell wäre auch durchaus jenseits von Corona Testung – ist, dass wir auch die Gruppen gibt es dort große Fortschritte. Wie schät- ein Hilfsmittel: Wir haben ja gesehen, erreichen, wo viele Infektionen auftreten, zen Sie die Impfstoff-Entwicklung ein? dass auch andere Atemwegsinfektionen die wir bisher nicht durch Ansprache reduziert werden. Aber wenn Corona erreicht haben. Meines Erachtens ist da die Man sollte diesen Impfstoff nicht als End- überwunden ist, ist das eine Freiwilligkeit. Äußerung „Wir haben so viele Ansprachen punkt sehen. Das ist eine Kommunikation, Manche werden das machen, andere eben gehabt, aber das hat ja nichts geholfen“ die am Anfang geführt wurde, die wenig nicht. Dann muss man eben schauen, was nicht hilfreich. Wenn man merkt, dass hilfreich war. Die Impfstoffe, die es geben die Auswirkungen dieser Verhaltensände- man da nicht weiterkommt, muss man sich wird, die werden ein wichtiger Baustein rungen sind. neue Möglichkeiten einfallen lassen. Das sein, aber nicht der Endpunkt, der die Pan- ist etwas, was wir aus dem klassischen demie sozusagen von heute auf morgen Ein Satz, den Dirk Brockmann, ein ge- Streetworking kennen. Wenn wir Jugend- beenden wird. Wir müssen erst einmal schätzter Kollege aus dem Robert Koch- liche oder andere Personen- oder Bevöl- sehen, für wen die Impfstoffe geeignet Institut, immer gesagt hat: dass dieses kerungsgruppen nicht erreichen können, sind. Der Teufel steckt bei den Impfstoffen Verhalten die Pandemie verändert und müssen wir sie auf anderem Weg gezielt im Detail. Aber es wird Impfstoffe geben. natürlich auch andere respiratorische Er- erreichen, um genau diese grundlegenden Wichtig ist, dass wir Impfstoffe haben und reger, die übertragen werden, und dass die Maßnahmen, die absolut ausreichend wir sie als Baustein benutzen können ne- Pandemie unser Verhalten verändert. Dies und hilfreich sind, dort näher zu bringen ben dem Testen und neben dem besseren werden wir auch in der Zukunft sehen und und für Verständnis zu werben. Da gibt es Schutz für die vulnerable Population. Das dann wird abzuwarten sein, ob die jährli- unendlich viele Ideen und man kann sehr, ist schon ein großer Schritt nach vorne. chen Influenza-Peaks flacher sind. Diese sehr viel machen. Aber wir werden weiter mit dem Virus Beobachtung wird ganz spannend sein. leben müssen. Wir werden es nicht eradi- So kann es eben ein positiver Effekt sein, Lockdowns, Verbote, zwischenzeitliche zieren. Das wird bei einer freiwilligen Imp- der sich aus Corona ergeben hat, dass sich Schließungen von Kultureinrichtungen fung nicht passieren. Aber das Virus wird das Verhalten der Menschen so geändert oder Gastronomie frustrieren viele Men- seinen Schrecken und die Durchschlags- hat, dass wir nicht mehr diese ganz hohen schen. Wie kann man diese Menschen kraft, in kurzer Zeit Millionen Menschen Peaks bei der Influenza sehen und sich möglicherweise zu mehr eigenverant- zu infizieren, verlieren. Wenn weniger vielleicht auch mehr Menschen impfen wortlichem Handeln motivieren? Infektionen auftreten, ist es so wie viele lassen. Das ist noch spekulativ, aber sicher andere Viren, mit denen wir hier zu tun nicht ganz unplausibel. Es müssen klare, nachvollziehbare Regeln haben in Deutschland. Dann ist es quasi sein. Es ist klar, dass wir nicht nur mit wieder der Normalzustand. Aber davon In der aktuellen Situation: Wie lassen Geboten weiterkommen. Es sollten jedoch sind wir noch ein Stück weit entfernt. sich Risikogruppen besser schützen, so wenig Verbote wie möglich sein, die ohne sie komplett zu isolieren? aber klar nachvollziehbar durch- und Wenn man die öffentlichen Debatten rund umsetzen. Und auf der anderen Seite muss um das Virus verfolgt, sind die Informati- Wir können nicht überall jeden schützen. man Angebote machen. Das ist beides onen zu Corona sehr vielfältig, teils auch Das können wir bei keiner Krankheit. Das notwendig, denn nur mit Verboten kann widersprüchlich. Es wird wissenschaft- ist eine Illusion. Aber wir können daran man so einen Marathon nicht gewinnen. lich diskutiert, politische und ökono- arbeiten, dass so gut zu machen, wie es re- Das geht in die Illegalität. Das haben wir mische Argumente spielen ebenso eine alistisch möglich ist. Da gilt es eben, auch in vielen Bereichen gesehen, in Hamburg Rolle. Wie lässt sich mit dieser Informati- die zu erreichen, die nicht in den Pflege- zum Beispiel in der Prostitution. Die hört onsflut am besten umgehen? und Seniorenheimen sind, sondern die zu ja nicht auf, nur, weil sie verboten ist. Also Hause sind. Zum Beispiel mit ambulanten muss man hier sichere Bereiche schaf- Das ist relativ schwer. Es ist eben in der Teams, die entsprechende Sauerstoffsät- fen, wo eine Gefährdung reduziert wird. Pandemie so, dass all diese Faktoren eine tigungen messen, weil das ein wichtiger Da muss man sich Konzepte überlegen. Rolle spielen. Natürlich ist das Virus in > KBV KLARTEXT > 4. AUSGABE 2020 11
INTERVIEW manchen Ländern auch sehr politisch, in jemand entscheiden – in dem Fall eben die keiten vielleicht sehen wollen, wie eine anderen weniger politisch. Darüber muss Politik, die Parlamente. So funktioniert es zweite Welle, wenn man es so benennen man sich im Klaren sein. Aber wir können in einem Rechtsstaat. Im Rahmen einer will. Aber es gibt ganz deutliche Unter- nicht allein durch die virologisch-epide- reinen Pandemiebekämpfung schränkt schiede. Die Pandemien stehen für sich. miologische Brille schauen und das nur uns das zwar ein. Gerade in Ländern, die Sie treten auf. Sie werden auch in Zukunft von dieser Seite aus sehen. Es ist klar, dass autoritär regiert werden, so wie China, be- wieder auftreten. Wir können nur daran andere Faktoren – Bildung, Ausbildung, stehen ganz andere Möglichkeiten, die im arbeiten, dass wir noch schneller reagie- Grundrechte, wirtschaftliche Aspekte – Rahmen der Pandemiebekämpfung besser ren, was Impfstoff- und Testentwicklung gleichberechtigt zu werten sind durch die wären. Aber in einem Rechtsstaat können betrifft. Und vielleicht können wir es auch Politik und da ein Ausgleich stattfinden wir aus gutem Grund bestimmte Maß- schaffen, sobald ein pandemischer Erreger muss. Das ist das Einmaleins in der Pan- nahmen nicht durchsetzen, die rein aus seinen Siegeszug antreten will, noch demie. Das wird ja auch so gemacht. Da Pandemiebekämpfungssicht toll wären. schneller agieren zu können, um diese vielleicht einmal nicht so genau die Balan- Aber das geht nun mal nicht. Verbreitung vielleicht einzudämmen. ce zu treffen, das ist so. Man hat höchsten Respekt vor den Entscheidungen, die Urplötzlich ist die Virologie sehr in den Was muss sich nach der Erfahrung mit die Politik treffen muss. Die sind nicht Vordergrund gerückt und zu einer zent- dieser Pandemie ändern und was lässt einfach. Es gibt keine Blaupause. Es gibt ralen Wissenschaft geworden. Wie viel sich daraus lernen? auch nicht den richtigen Weg. Man wird Verantwortung bedeutet das für einen das nach der Pandemie beurteilen kön- Forscher und wie gehen Sie damit um? Es sind ganz, ganz viele Aspekte, die man nen, was jetzt besser und was vielleicht da herauslesen wird und muss. Was auch schlechter gewesen ist. Insofern muss man Ich würde die Virologie gar nicht so in schon passiert. Ein wichtiger Aspekt ist das diskutieren, muss die unterschiedli- den Vordergrund stellen wollen. Natürlich schon mal, dass wir ein Stück weit Auto- chen Ansichten zusammenbringen und ist die Virologie ein wichtiger Baustein. nomie zurückgewinnen müssen – sowohl zulassen. Das ist ganz wichtig. Dann muss Aber ich würde es nie wagen wollen, die was die Produktion von Impfstoffen, Medi- Virologie zum Beispiel über die Kollegen kamenten, aber eben auch Schutzmasken der Intensivmedizin zu stellen, die eine oder Tests angeht. Es ist wichtig, dass man ganz wichtige Rolle haben, oder die Allge- das nicht alles im Ausland herstellen lässt meinmediziner oder die mathematischen und dann eine gewisse Abhängigkeit ent- Modellierer. Das ist ein Eigenverständnis steht. Das ist eine ganz wichtige Erkennt- der Virologie, was falsch ist. Man muss nis, dass wir hier doch bestimmte Sachen ganz klar seine Stelle sehen in dieser Pan- in Deutschland behalten sollten. Was die demie. Die ist wichtig, aber sie ist meines Pandemie-Vorbereitung betrifft, wird man Erachtens nicht die entscheidende. Da in den nächsten Jahren sehr viel Geld muss man die Grenzen des eigenen Fachs für die Wissenschaft haben. Da bin ich erkennen. Ich sehe keine herausragende persönlich sehr glücklich darüber. Aber Rolle der Virologie. Wir sind ein wichtiger es darf jetzt nicht zu einer prinzipiellen Mitarbeiter mit vielen anderen Kollegen Verschiebung kommen, was zum Beispiel auch aus anderen Fachbereichen. Dieses die Krebsforschung oder andere nicht- Selbstverständnis ist ganz wichtig. Wenn infektiöse Erkrankungen betrifft. Diese das eben nicht passiert und man denkt, haben natürlich nach wie vor eine viel als Virologe könnte man sich zu fast allem höhere Relevanz – auch die Prävention. Professor Jonas Schmidt-Chanasit äußern, dann wird es problematisch. Das darf nicht durch eine solche Pandemie (Jahrgang 1979) ist Leiter der Abteilung infrage gestellt werden. Da ist es wichtig, für Arbovirologie am Hamburger Bern- Die Corona-Krise ist nicht die erste dass nach wie vor die Forschung gefördert hard-Nocht-Institut für Tropenmedizin und Pandemie in der Menschheitsgeschichte. wird, wie es in der Vergangenheit der Fall seit 2018 Inhaber des Lehrstuhls für Arbo- Wie lässt sich SARS-CoV-2 denn im gewesen ist. virologie an der Universität Hamburg. Er historischen Vergleich einordnen? studierte an der Berliner Charité Medizin. Die Fragen stellten Lea Hanke, Noch während seines Studiums absol- Das finde ich relativ schwierig, denn es Thomas Schmitt und Hendrik Schmitz vierte er mehrere Forschungsaufenthalte sind unterschiedliche Viren mit unter- in Bangkok. Von 2006 bis 2007 arbeitete schiedlichen Eigenschaften und natürlich er im Institut für Medizinische Virologie auch in ganz anderem zeitlichen Zusam- in Frankfurt am Main. 2010 habilitierte menhang. Schauen Sie: Bei der Spani- er für das Fach Virologie an der Universi- schen Grippe war die Welt eine komplett tät Frankfurt. Die von Schmidt-Chanasit andere. Zum Beispiel die Möglichkeiten, geleiteten Forschungsgruppen beschäfti- die wir damals hatten, auch der inter- gen sich mit Emerging und Re-Emerging nationale Waren- und Reiseverkehr, Viruses (zum Beispiel Ebola-Virus oder der entscheidend ist im Rahmen einer Zika-Virus). Pandemie, wie sich ein Virus ausbreiten kann. Insofern steht jede Pandemie für sich, auch wenn wir gewisse Gemeinsam- 12 KBV KLARTEXT > 4. AUSGABE 2020
MELDUNGEN AUS DEM BUND Verschreibungspflichtig: Erste DiGA verfügbar Arztpraxen wichtigste Das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinproduk- Anlaufstelle te hat die ersten Digitalen Gesundheitsanwendungen (DiGA) bekannt gegeben, die von Ärzten und Psychothe- Deutschland konnte die Covid-19-Pandemie im Frühjahr rapeuten verordnet werden können. Die vier Applikati- nur durch ein effizientes Miteinander von starken ambu- onen richten sich an Patienten mit Tinnitus, Angst- und lanten Versorgungsstrukturen und einer leistungsfähigen Panikstörungen, Adipositas oder Rücken-, Hüft- bezie- Kliniklandschaft eindämmen. Dies zeigt eine aktuelle hungsweise Knieschmerzen. Drei dieser Anwendungen Auswertung des Zentralinstituts für die kassenärztliche müssen noch eine Erprobungsphase durchlaufen, um ei- Versorgung in Deutschland (Zi) zu Abrechnungsdaten nen positiven Versorgungseffekt nachweisen zu können. von PCR-Tests. 94 Prozent der PCR-Tests haben die Der Vorstandsvorsitzende der Kassenärztlichen Bundes- niedergelassenen Haus- und Fachärzte durchgeführt, nur vereinigung, Dr. Andreas Gassen, betrachtet nicht nur sechs Prozent die Notaufnahmen der Krankenhäuser. die fehlende Studienbasis als kritisch, sondern auch den Die Vertragsärzte konnten so ein Überlaufen der Kliniken damit verbundenen Kostenaufwand: „Die Krankenkas- verhindern. „Die Leistungen des ambulanten Schutzwalls sen werden für solche Apps künftig viel Geld ausgeben, sollen daher nicht zu gering geschätzt werden“, so der obwohl der Nutzen nicht ausreichend belegt ist.“ Der Vorstandsvorsitzende des Zi, Dr. Dominik von Stillfried. Kostenaufwand sei bereits für die ersten Apps sehr hoch. (lea) Die Tinnitus-App beispielsweise kostet 116,97 Euro pro Patient im Quartal. „Die Krankenkassen müssen das bezahlen, egal ob der Versicherte die App dann wirklich nutzt oder nicht.“ (lea) kv.dox steht kurz vor dem Start Der Kommunikationsdienst „kv.dox“ steht kurz vor der Einführung. Der Dienst für sichere Kommunikation im Medizinwesen (KIM) wurde erfolgreich vom Betrei- ber der Telematikinfrastruktur (TI) gematik geprüft und wird nun in ausgewählten Praxen final getestet. Nach Abschluss des Feldtests können Ärzte und Psy- G-BA ermöglicht chotherapeuten kv.dox bestellen und zum sicheren elektronischen Versand von Arztbriefen, Befunden, AU-Bescheinigung per AU-Bescheinigungen oder anderen medizinischen Do- Telefon wieder kumenten nutzen. Der KIM-Dienst der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV) richtet sich an alle, die an die Aufgrund der ansteigenden Infektionszahlen mit Covid-19 TI angeschlossen sind. In Zukunft soll die gesamte digi- können Ärztinnen und Ärzte Patientinnen und Patienten tale Kommunikation über solche KIM-Dienste erfolgen. mit leichten Erkrankungen der oberen Atemwege wieder Die KBV hat mit dem Digitale-Versorgungs-Gesetz zum nach telefonischer Anamnese krankschreiben. Dies hat ersten Mal die Möglichkeit erhalten, neben der Industrie der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) beschlossen. den Praxen eine eigene TI-Komponente bereitzustellen. Die Bescheinigung gilt für bis zu sieben Kalendertage „Wir werden den Kolleginnen und Kollegen ein gutes und kann einmalig um sieben Tage verlängert werden. Produkt zu einem fairen und kostendeckenden Preis Die Regelung gab es bereits zu Beginn der Pandemie. anbieten“, sagt KBV-Vorstandsmitglied Dr. Thomas Sie lief angesichts der sinkenden Infektionszahlen zum Kriedel. (lea) 31. Mai aus. „Die Sonderregelung zur telefonischen AU-Bescheinigung stellt eine wirksame Maßnahme zur Pandemiebekämpfung dar“, hebt der Vorstandsvorsitzen- de der Kassenärztlichen Bundesvereinigung, Dr. Andreas Gassen, hervor. Die Regelung gilt zunächst bis zum 31. März 2021. (lea) KBV KLARTEXT > 4. AUSGABE 2020 13
KLARTEXT: LETZTE PRINTAUSGABE Der 25. Geburtstag wird digital „Wer Klartext reden will, muss ,Klartext‘ lesen.“ Mit diesem Slogan hat die Kassenärztliche Bundes- vereinigung (KBV) vor 24 Jahren ihre neue Zeitung beworben. Aus der ist längst ein Magazin gewor- den und nach 97 gedruckten Ausgaben erscheint im April 2021 der neue digitale „Klartext“ der KBV – ab dann nicht mehr quartalsweise, sondern schon alle zwei Monate. E in bisschen stolz darauf, dass der „Klartext“ noch immer „Klartext“ heißt, ist der erste Chefredakteur des Blattes (1996-1999), Kai Stiehl, der sich den Namen damals ausgedacht hat. desärztekammer seit den 1970er-Jahren die „Pressestelle der deutschen Ärzteschaft“ – anfangs in Personalunion mit der Redakti- on des Deutschen Ärzteblattes –, doch aus mehr als Pressemitteilungen bestand die Formel-1-Design Ein großes Budget gab es für die Entwick- „Den ,Klartext‘ seinerzeit zu konzipieren Öffentlichkeitsarbeit nicht. Erst Mitte der lung des „Klartext“ nicht. „Wir hatten und herauszubringen, war echte Pionier- 1990er-Jahre bekam die KBV mit Regina zwar von Anfang an einen Layouter, aber arbeit“, erinnert sich Stiehl. Die Gesund- Kißmann eine eigene Pressesprecherin. eigentlich haben wir das Blatt mit primi- heitspolitik war in den 1990er-Jahren Mit Kißmann kam auch die Idee zu einer tivsten Mitteln entwickelt und erstellt“, noch eine andere, sehr spezielle Welt. eigenen Zeitung der KBV. „Die haben wir sagt Ines Körver, die den „Klartext“ seit Die Kommunikation hin zu einer breiten dann sehr schnell in die Tat umgesetzt. seiner Entstehung als Redakteurin und Öffentlichkeit steckte noch in den Kinder- Bis zur ersten Ausgabe sind keine sechs von 1999 bis 2008 als Chefredakteurin schuhen. Zwar teilten sich KBV und Bun- Monate vergangen“, so Stiehl. begleitet hat. Als Zeitung erschien der 14 KBV KLARTEXT > 4. AUSGABE 2020
„Klartext“ im übergroßen DIN-A4-Format Format. Sein aktuelles Aussehen hat der Standpunkten gegenübergestellt. Und in Schwarz-Weiß mit Magenta. Die Fotos „Klartext“ seit der Ausgabe 1/2017. Auch auch die Kollegen aus dem Brüsseler KBV- – sofern nicht von Interviewpartnern wenn sich die Optik und die Haptik in den Büro bestücken den „Klartext“ weiterhin gestellt – machte die Redaktion selbst. Da vergangenen 24 Jahren sehr verändert mit Inhalten zur europäischen Gesund- mussten dann auch schon mal Kollegen haben, die Themen in diesem Magazin heitspolitik. aus dem Haus im weißen Kittel als Model ähneln denen der ersten Ausgabe noch vor die Kamera. sehr. So ging es schon 1996 um vernetzte Der digitale „Klartext“ soll über die Praxen und die Digitalisierung. Auch Internetseite der KBV ohne Anmeldung zu Ein Corporate Design gab es in der KBV zu wenn letztere damals noch aus einem lesen sein. Wer keine Ausgabe verpassen dem Zeitpunkt noch nicht. Publikationen Feldversuch der damaligen Kassenärztli- möchte, kann sich registrieren und wird – auch fachlicher Natur – erschienen eher chen Vereinigung (KV) Nord-Württemberg künftig per E-Mail pünktlich auf die neu- nach den Vorlieben der Verantwortlichen bestand, einen Datenaustausch per ISDN- este Ausgabe aufmerksam gemacht. als nach einem einheitlichen Regelwerk. Leitung zwischen Ärzten und KV zu er- „Das erste ,Klartext‘-Logo mit dem ma- möglichen. Meike Ackermann gentafarbenen Winkel ist zum Beispiel entstanden, weil Kai Stiehl so ein Formel- Eine Digitalisierung erfährt nun auch 1-Fan war und unbedingt die Rubrik ,Pole der „Klartext“ selber. Dieses ist die letzte Um per E-Mail auf den neuen Position‘ wollte. Der Winkel sollte an die gedruckte Ausgabe des Magazins. Ab dem digitalen Klartext aufmerksam Startmarkierung in der Formel 1 erinnern“, 1. April soll der „Klartext“ dann im moder- gemacht zu werden, können Sie sich so Körver. Für die Schlusskorrekturen der nen Online-Format erscheinen. Momentan ab sofort unter www.kbv.de/klartext Zeitung hat sie den Layouter Erhardt Hans arbeitet die Redaktion mit Hochdruck anmelden. jedes Mal persönlich besucht. „Da haben am Konzept für die Zukunft. Und da die wir dann bei ihm zu Hause gesessen und Onlinewelt eine schnelle ist, erscheint Nutzen Sie dafür auch gern die letzten Änderungen gemeinsam einge- auch der „Klartext“ künftig häufiger. Statt diesen QR-Code: arbeitet. Natürlich nur, bis die KBV 2005 vier Ausgaben im Jahr soll es alle zwei nach Berlin gezogen ist. Danach haben Monate neue „Klartext“-Inhalte geben. wir das gefaxt“, erinnert sie sich. Die gewohnten und bewährten Rubriken bleiben dem Magazin teilweise erhalten: Auch weiterhin bereitet die Redaktion ein Titelthema facettenreich auf, interviewt einen Akteur aus dem Gesundheitswe- Von der Zeitung zum Magazin sen und gibt Einblicke in ausländische Gesundheitssysteme. Zudem ist eine Seit 2009 ist die einstige Zeitung ein Ma- Meinungs- oder Expertenkolumne geplant gazin und erscheint in Farbe im DIN-A4- – je nach Thema auch in kontroversen Der „Klartext“ im Wandel der Zeiten: von der Erstausgabe im Oktober 1996 bis zum Heft im dritten Quartal 2020 (von links nach rechts). KBV KLARTEXT > 4. AUSGABE 2020 15
#HEALSY20 KBV-Digitalkonferenz mit großer Resonanz Angesichts der Corona-Pandemie lud die Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV) zur digitalen Ge- sundheitskonferenz ein. Thema der Veranstaltung: der unterschiedliche Umgang mit dem Virus in den EU-Mitgliedstaaten. Wir blicken zurück auf lehrreiche Erfahrungen und interessante Diskussionen mit hochkarätigen Gästen aus Europa und der Welt. S ARS-CoV-2 belastet die nationalen Gesundheitssysteme auf ganz unterschiedliche Weise. Als Teil des assoziierten Programms der deutschen EU-Ratspräsidentschaft diente #healsy20 ten. 20 Dolmetscher und weitere Mitarbei- ter hinter den Kulissen sorgten für einen reibungslosen Ablauf. Neben dem KBV-Vorstandsvorsitzenden In neun Fachforen ging es parallel um un- terschiedlichste Aspekte der Pandemiebe- wältigung, unter anderem Digitalisierung, das System der Selbstverwaltung, die unterschiedlichen europäischen Teststra- als Anlass, ein erstes Zwischenfazit zu Dr. Andreas Gassen und der Vorstandsvor- tegien sowie erste Erkenntnisse aus der ziehen. Welche Versorgungskonzepte sitzenden des GKV-Spitzenverbands, Versorgungsforschung. Auch Möglichkei- haben sich bewährt, welche Schwierig- Dr. Doris Pfeiffer, wohnten den Diskussi- ten zur besseren Vernetzung in der Akut- keiten waren zu bewältigen und welche onen unter anderem Bundesgesundheits- und Notfallversorgung waren Thema eines Konsequenzen bisher zu ziehen? Diesen minister Jens Spahn und der Direktor des Forums. und weiteren Fragen widmete sich die KBV Regionalbüros Europa der World Health Anfang Oktober gemeinsam mit vielen Organisation, Dr. Hans Henri P. Kluge, bei. Dr. Petra Reis-Berkovicz, Vorsitzende der internationalen Experten. KBV-Vertreterversammlung, zeigte sich Spahn zeigte sich mit dem Umgang mit der Veranstaltung mehr als zufrieden. mit Covid-19 in Deutschland insgesamt Die Konferenz sei ebenso erkenntnisreich zufrieden. Das Gesundheitswesen habe wie berührend gewesen. Auch Minister sich hierzulande als leistungsfähig, robust Spahn lobte die gelungene Organisation Internationale Gäste und resilient erwiesen. Die breitflächige und die Vorteile des Hybrid-Formats. und Zuschauer Hausarzt-, Facharzt- und Laborstruktur sei dafür ein wesentlicher Faktor. Auch Hendrik Schmitz Das Interesse an der Konferenz war groß: Gassen konstatierte, dass das Virus in An den zwei Podiumsdiskussionen und Deutschland nicht ungefährlicher sei Die Podien, Fachforen und Vorträge neun Fachforen nahmen nicht nur die als in anderen Ländern – daher müsse von #healsy20 sind als Video mehr als 60 Referenten teil, sondern auch man die dezentrale, ambulante Struktur abrufbar unter 700 Zuschauer aus 38 Ländern, die sich des Gesundheitswesens entsprechend www.kbv.de/html/healsy20.php per Videostream und Livechat zuschalte- würdigen. 16 KBV KLARTEXT > 4. AUSGABE 2020
MELDUNGEN AUS DEN LÄNDERN NORDRHEIN Gesundheitspreis für alltagsnahes BADEN-WÜRTTEMBERG Versorgungsmodell Bericht dokumentiert Das Land Nordrhein-Westfalen hat dem Versorgungsmo- Engagement während dell „Neurologisch-psychiatrische und psychotherapeuti- sche Versorgung“ den Gesundheitspreis 2020 verliehen. Pandemie Insbesondere wurde das Projekt für seinen alltagsnahen Bezug ausgezeichnet. Teilnehmende des Programms sind Der jährliche Bericht „Die ambulante Medizinische Ver- Patienten im Rheinland mit schweren neurologischen und sorgung“ der Kassenärztlichen Vereinigung (KV) Baden- psychischen Erkrankungen, wie beispielsweise Depres- Württemberg zeigte in diesem Jahr das Engagement sionen oder Multiple Sklerose. Diese erhalten schnell der Ärzteschaft und der KV während der Pandemie auf. und strukturiert Hilfe von Ärztinnen und Ärzten sowie Trotz des raumeinnehmenden Themas „Corona“ konnten Psychotherapeuten. Das Modell wurde von der Kassenärzt- weitere Aufgaben wie die Förderung der Niederlassung, lichen Vereinigung Nordrhein und der IVP Networks GmbH der Ausbau der Rufnummer 116117 zur umfassenden gemeinsam mit der AOK Rheinland/Hamburg entwickelt, Servicenummer für Patienten sowie innovative Projekte da die Zahl der Patienten mit neurologisch-psychiatrischen fortgeführt werden. Des Weiteren erzielte die KV mit ihrem Erkrankungen und psychotherapeutischem Behandlungs- Förderprogramm ZuZ (Ziel und Zukunft: Wir – die Ärzte und bedarf stetig weiterwächst. (lea) Psychotherapeuten – in Baden-Württemberg) zur Nieder- lassung von Ärztinnen und Ärzten in strukturschwachen Regionen Erfolge: Seit Beginn des Programms im Jahre 2015 wurden 129 Praxisgründungen oder -übernahmen mit über vier Millionen Euro unterstützt. (lea) BREMEN Positive Bilanz beim Vertrag „Psychische Erkrankungen“ Nach einem Jahr Laufzeit des Vertrags „Psychische Erkrankungen“ und der Online-Plattform „PsychNetz24“ SACHSEN-ANHALT meldet sich die Kassenärztliche Vereinigung (KV) Bremen mit einer positiven Bilanz zurück. Dies zeigte Online-Umfrage eine Auswertung mit Patientenbefragung. Die Teilneh- menden waren sehr zufrieden mit dem Vertrag und der zum Klimaschutz in Online-Plattform. Dreiviertel der Befragten befinden das Arztpraxen Programm als sehr gut bis gut und die meisten (rund 88 Prozent) würden das Projekt weiterempfehlen. Gerade Eine Forschungsgruppe der Martin-Luther-Universität Halle- die vielfältigen Möglichkeiten, die das Programm bietet, Wittenberg hat in Kooperation mit der Allianz Klimawandel wurden von den Patienten gelobt. Das Modell hat die und Gesundheit eine bundesweite Studie zum Thema Kli- KV Bremen in Zusammenarbeit mit der AOK Bremen/ maschutz in der ambulanten Versorgung gestartet, die noch Bremerhaven und der Handelskrankenkasse gestartet, bis Ende des Jahres geht. Die Online-Befragung versucht um Patienten schneller und besser versorgen zu können. herauszufinden, wie niedergelassene Ärztinnen und Ärzte Zielgruppe des Programms sind Patienten mit beson- einen Teil zum Klimaschutz beitragen können und inwie- derem Versorgungsbedarf, die nicht angemessen in der fern dies bereits geschieht. Außerdem werden sie danach Regelversorgung behandelt werden können. Infrage befragt, welche Hürden und Ideen sie zur Umsetzung sehen. kommende Praxen finden weitere Informationen auf der Die Studie ist anonym und die Ergebnisse erscheinen vor- Website der KV Bremen. (lea) aussichtlich im Frühjahr 2021. Interessierte Praxen können unter www.medizin.uni-halle.de/klimapraxen teilnehmen. (lea) KBV KLARTEXT > 4. AUSGABE 2020 17
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