Leben mit dem Virus - Kassenärztliche ...

 
WEITER LESEN
Leben mit dem Virus - Kassenärztliche ...
4. AUSGABE    DAS MAGAZIN DER

2020          KASSENÄRZTLICHEN
              BUNDESVEREINIGUNG                        Ab April
                                                       digital

Leben mit dem Virus
Wie Corona unseren Alltag prägt

   Folgen der Pandemie         Befragung in Praxen        Gesundheit anderswo
Virologe Jonas Schmidt-      Nur mit Mehrwert          Lettland: Finanzkrise macht
Chanasit im Interview        und Zeit digitalisieren   London zum Vorbild
Leben mit dem Virus - Kassenärztliche ...
Editorial

    KBV Klartext
    Das Magazin der Kassenärztlichen
    Bundesvereinigung
                                                                       Liebe Leserin, lieber Leser,
    Erscheinungsweise:
    vierteljährlich
                                                                      das Corona-Virus begleitet uns nun schon fast ein ganzes Jahr.
    Herausgeber:                                                      Wir alle mussten uns in dieser Zeit – auf ganz verschiedene Art
    Kassenärztliche Bundesvereinigung
    Dr. Andreas Gassen (Vorstandsvor-                                 und Weise – einschränken und Gewohnheiten ändern. Dieser
    sitzender der KBV, V.i.S.d.P.)                                    Ausnahmesituation stellten sich Ärztinnen, Ärzte, Psychothera-
    Redaktion:                                                        peutinnen, Psychotherapeuten und medizinisches Personal in
    Meike Ackermann, Lea Hanke, Thomas                                ganz Deutschland mit großem Einsatz. Auch wir stellen uns als
    Schmitt, Hendrik Schmitz, Sten Beneke,
    Corina Glorius                                    Kassenärztliche Bundesvereinigung dieser Herausforderung auf unterschied-
                                                      lichen Ebenen – gerade auch beim Blick auf die Sicherstellung der ambulanten
    Redaktionsbeirat:
    Dr. Roland Stahl                                  Versorgung.

    Redaktionsanschrift:
    Kassenärztliche Bundesvereinigung
                                                      Doch eines ist sicher: Das Virus wird so schnell nicht verschwinden. Die Fort-
    Redaktion Klartext                                schritte in der Impfstoffentwicklung machen zwar Hoffnung, denn Vakzine
    Herbert-Lewin-Platz 2, 10623 Berlin
    Tel.: 030 4005-22 42
                                                      werden ein wichtiger Baustein in der Pandemiebekämpfung sein. Aber auch sie
    Fax: 030 4005-272242                              werden Covid-19 nicht von heute auf morgen besiegen können. Im Titelthema
    E-Mail: redaktion@kbv.de
    www.kbv.de
                                                      widmen wir uns deswegen der Frage, wie eine langfristige Strategie für den
                                                      Alltag mit dem Virus aussehen könnte – und was das für unsere Psyche, die
    Gestaltung:                                       Wirtschaft und unseren Rechtsstaat bedeutet.
    KloseDetering, Hamburg

    Druck:                                            Im Interview spricht der Hamburger Virologe Prof. Dr. Jonas Schmidt-Chanasit
    Druckerei Kohlhammer, Stuttgart
                                                      über den zukünftigen Umgang mit SARS-CoV-2 und die politische Dimension des
    Fotos:                                            Virus (ab Seite 10). Einen Rückblick auf die Geschichte und Ausblick auf die digi-
    Titel: © KloseDetering/shutterstock > S. 2:
    © Lopata/axentis.de > S. 3: © iStock.com/         tale Zukunft dieses Magazins gibt es ab Seite 14. Auch auf den folgenden Seiten
    ArtMarie; © iStock.com/Anthony Racano             bleibt es digital: Wir blicken zurück auf die Gesundheitskonferenz #healsy20
     > S. 4: © iStock.com/ArtMarie > S. 5:
    © Institut der Deutschen Wirtschaft > S. 6: ©     (Seite 16) und stellen das PraxisBarometer Digitalisierung (ab Seite 18), den Bü-
    Adobe Stock/jarun011 > S. 7: © iStock.com/        rokratieindex BIX (Seite 20) sowie das Zi-Infoportal KV-App-Radar (Seite 21) vor.
    Halfpoint; © picture alliance/AA | Abdulha-
    mid Hosbas > S. 8: © Ludwig-Maximilians-
    Universität München > S. 9: © Adobe Stock/        Ins Baltikum verschlägt es uns in der Rubrik „Gesundheit anderswo“: Lettland
    Microgen; © DPtV/Inga Haar > S. 10:
    © Bernhard-Nocht-Institut für Tropenmedi-
                                                      wechselte nach der Finanzkrise zu einem öffentlichen Gesundheitsdienst nach
    zin > S. 12: © picture alliance/dpa | Daniel      britischer Spielart. Seitdem versucht man dort, die Folgen des Wirtschaftskol-
    Bockwoldt > S. 13: © KBV; © iStock.com/
    alvarez > S. 14: © KloseDetering/iStock.
                                                      lapses abzudämpfen und die Gesundheitsversorgung effizienter zu gestalten.
    com/nortonrsx, © KBV > S. 16: © Andrea            Wie fehlendes Budget, Ärztemangel und Corona-Krise die Medizin im kleinen
    Katheder > S. 17: © Adobe Stock/studiogra-
    phicmh > S. 18: © shutterstock > S. 19: ©
                                                      Ostseestaat bedrohen, lesen sie ab Seite 24.
    Lopata/axentis.de > S. 20: © KloseDetering
    > S. 21: © iStock.com/DragonImages > S. 22:       Ich wünsche Ihnen eine informative und anregende Lektüre.
    © picture alliance/NurPhoto | Jonathan Raa
    > S. 24: © iStock.com/mbonaparte > S. 26:
    © picture alliance/robertharding | Fraser         Ihr Dr. Stephan Hofmeister,
    Hall > S. 27: © Zentralinstitut für die kassen-
    ärztliche Versorgung                              Stellvertretender Vorsitzender des Vorstandes

          www.twitter.com/kbv4u                                KBV Klartext
                                                                                                            Die App KBV2GO!
                                                               kostenlos abonnieren
          www.youtube.com/kbv4u                                                                             kostenlos downloaden:
                                                               und downloaden:
                                                               www.kbv.de/klartext                          www.kbv.de/kbv2go
          www.kbv.de/praxisnachrichten

2   KBV KLARTEXT > 4. AUSGABE 2020
Leben mit dem Virus - Kassenärztliche ...
Inhalt

Titel                                               Themen                                   Gesundheit anderswo
                                                    14   Letzte Klartext-Printausgabe:       24   Lettland: Der lange Schatten
4 Leben mit dem                                          Der 25. Geburtstag wird digital          der Finanzkrise

Virus – Perspektiven                                16   #healsy20: KBV-Konferenz
für unseren Alltag mit                                   mit großer Resonanz

Corona                                              18   PraxisBarometer Digitalisierung:    Kurz gefasst
                                                         Mit Mehrwert und Zeit
                                                                                             13   Meldungen aus dem Bund
                                                    20   BIX: Bürokratischer Mehraufwand
                                                         in den Praxen                       17   Meldungen aus den Ländern

                                                    22   Bericht aus Brüssel: Europas Weg    27   Angeklickt und Aufgeblättert
                                                         zur Gesundheitsunion

                                                    Interview
                                                    10   Professor Jonas Schmidt-Chanasit:
                                                         „Vom Normalzustand sind wir noch
                                                         ein Stück weit entfernt“

   In Corona-Zeiten kein ungewöhnlicher Anblick:
  Restaurants, Bars und Kneipen dürfen nur unter
         strengen Auflagen oder gar nicht öffnen.

                                                                                                           KBV KLARTEXT > 4. AUSGABE 2020   3
Leben mit dem Virus - Kassenärztliche ...
TITEL

    Leben mit dem Virus –
    Perspektiven für unseren Alltag
    mit Corona
    Es ist gekommen, um zu bleiben: Fast seit Jahresbeginn bestimmt das Corona-Virus SARS-CoV-2
    unseren Alltag. Und es wird nicht so einfach aus unserem Leben verschwinden – selbst wenn eine
    flächendeckende Impfung der Pandemie ein Ende setzen könnte.

4   KBV KLARTEXT > 4. AUSGABE 2020
Leben mit dem Virus - Kassenärztliche ...
TITEL

A       llen Hoffnungen in Impfstoffe
        zum Trotz: Das Virus wird uns die
        nächsten Jahre begleiten. Es dürfte
nicht vollständig zu eliminieren sein.
Bisher konnte erst einmal ein Virus durch
                                                      (Universität Hamburg) und zahlreichen
                                                      Ärzteverbänden einen viel diskutierten
                                                      Anstoß gegeben.

                                                      „Das Positionspapier hat zumindest die
                                                                                                        Werkzeugkasten für
                                                                                                        das Pandemie-Management
ein Vakzin über jahrzehntelange Impfkam-              Diskussion entfacht. Das war gut und              Auf diese Weise sollen sich permanente
pagnen ausgerottet werden – die tödlichen             wichtig“, erklärt Dr. Andreas Gassen,             Lockdown-Situationen möglichst verhin-
Pocken. Aber auch ein Impfstoff wird nur              Vorstandsvorsitzender der KBV. „Es gab            dern lassen. Das wiederholte Anziehen
ein Mittel unter vielen zur Bekämpfung                sehr viel Zustimmung – sowohl von Ver-            und Lockerlassen von Restriktionen
der Covid-19-Pandemie sein. Daher sind                bänden als auch von einzelnen Ärztinnen           apostrophierte Streeck schlicht als „Stot-
Strategien für den Alltag mit Corona                  und Ärzten. Es gab natürlich auch Kritik.         terbremsen“. Gassen: „Es geht uns darum,
vonnöten. Mit einem Positionspapier hat               Alles andere wäre auch verwunderlich.“            vielleicht eine Art Werkzeugkasten zu
die Kassenärztliche Bundesvereinigung                 In einem strukturierten Dialog wird eine          bauen, der verschiedene Möglichkeiten
(KBV) gemeinsam mit den Virologen Pro-                innerärztliche Diskussion zu dem Umgang           adressiert, wie man Maßnahmen je nach
fessor Hendrik Streeck (Universität Bonn)             mit der Pandemie noch intensiviert.               regionaler Notwendigkeit – ich glaube,
und Professor Jonas Schmidt-Chanasit                                                                    die darf man nicht völlig außer Acht    >

                                          „Soviel Normalität                      fraglich. Mit Blick auf das Weihnachtsgeschäft können
                                          wie möglich zulassen“                   weitere Einschränkungen vermieden werden, wenn ge-
                                                                                  fährdete Gruppen mithilfe von Schnelltests und obliga-
                                    Die Auslastung der deut-                      torischer Nutzung der FFP2-Masken wirksam geschützt
                                    schen Intensivstationen in                    werden. Auf Weihnachtsmärkte werden wir hingegen
                                    den kommenden Tagen und                       sicher verzichten müssen.
                                    Wochen ist entscheidend,
                                    wenn Bund und Länder über                     Notwendig erscheint mir vor allem eine höhere Wirksam-
                                    weitere Verschärfungen                        keit der Corona-Warn-App. Der Datenschutz wird offen-
      Professor Michael Hüther
                                    wie striktere Kontaktver-                     kundig höher gewertet als andere verfassungsmäßige
                                    bote oder die Schließung                      Grundrechte, in die man eingreift. Das ist unverhältnis-
      des Einzelhandels nachdenken. Hier gilt: Jede weitere                       mäßig. Die Meldung einer Infektion sollte verpflichtend
      Verschärfung muss zielgenau sein. Die höchstmögliche                        sein, auch sollte das Tracking umfassender möglich sein.
      Wirksamkeit sollte bei allen Maßnahmen, die zur Debatte                     Sorgen um die Datensouveränität kann man Rechnung
      stehen, höchste Priorität haben.                                            tragen, indem man die Daten verlässlich anonymisiert
                                                                                  und zu Händen eines Datentreuhänders gibt, damit keine
      Darüber hinaus muss es immer auch darum gehen,                              Zweifel entstehen.
      soviel Normalität wie möglich zuzulassen. Grundsätzlich
      lassen sich in geordneten Systemen und Strukturen – wie                     Bis es soweit ist, werden wir uns leider auf zeitlich be-
      Unternehmen, dem Einzelhandel, Restaurants et cetera –                      grenzte Teil-Lockdowns einstellen müssen. Aber es wird
      die Corona-Regeln besser durchsetzen und kontrollieren                      künftig immer genauer nach Effektivität und Effizienz der
      als im privaten Bereich. Deswegen sollte klug abgewo-                       Maßnahmen zu fragen sein. Deswegen ist es wichtig,
      gen werden: Ein Treffen im Restaurant unter perfekten                       dass viele epidemiologische Begleitstudien gemacht
      Hygieneregeln kann weniger risikobehaftet sein als eine                     werden. Dann kann man die Risikolage in den einzelnen
      Essenslieferung an den eigenen Esstisch.                                    Kontexten sehr viel besser einschätzen und entsprechend
                                                                                  entscheiden. Mit einem Impfstoff ergeben sich neue
      Nach allem, was wir wissen, hat sich der Einzelhandel                       Möglichkeiten, die durch die vorgestellte Impfstrategie
      bisher nicht als problemverschärfend erwiesen – hier                        angemessen genutzt werden können. Dann ist ein Lock-
      müssen vor allem die Hygienekonzepte weiter konsequent                      down umso weniger nötig und wir können zu einer neuen
      eingehalten werden. Auch die Wirksamkeit der Einschrän-                     Normalität finden.
      kungen von Museen und Kulturveranstaltungen ist bisher

      Professor Michael Hüther ist Direktor des Instituts der Deutschen Wirtschaft (IW) in Köln

                                                                                                                       KBV KLARTEXT > 4. AUSGABE 2020   5
Leben mit dem Virus - Kassenärztliche ...
TITEL

    Das Zentralinstitut für die kassenärztliche Versorgung (Zi) empfiehlt zum weiteren Management der Covid-19-Pandemie unter anderem eine konsequente Strategie
    der Testung.

    lassen – in besonderem Umfang zu- oder                                                                    können unterschiedlichen Risikostufen
    auch abschalten kann.“ Dazu gehöre bei-                                                                   konkrete Maßnahmen zugeordnet, be-
    spielsweise das Thema eines bundesweit               Konsequente Strategie                                schlossen und auch prospektiv kommuni-
    einheitlichen Ampelsystems, die Frage                                                                     ziert werden. Diese würden spezifisch den
    nach Schnelltests oder die Versorgung von            Die Vorschläge zum weiteren Management               Schutz der vulnerablen Patientengruppen
    Pflege- und Altenheimen mit FFP2-Mas-                der Covid-19-Pandemie sind vielgestaltig.            (zum Beispiel Verpflichtung zum Tragen
    ken, wie es mittlerweile an vielen Orten             Das Zentralinstitut für die kassenärztliche          von FFP2-Masken bei Kontakt zu Älteren)
    der Republik bereits geschehe.                       Versorgung (Zi) empfiehlt in einem Dis-              oder den Schutz des Gesundheitswesens
                                                         kussionsbeitrag etwa, eine konsequente               vor Überlastung (zeitweise Verschiebung
    „All diese Dinge können Eingang in den               Strategie der Testung, Kontaktverfolgung             elektiver Eingriffe) adressieren.
    Werkzeugkasten finden“, erklärt der KBV-             und Isolation zum Schutz der vulnerablen
    Chef. „Wir wollen eine fachliche Diskus-             Gruppen zu verfolgen. Dabei stehen dem
    sion, einen innerärztlichen Austausch.               Zi zufolge besonders die über 60-Jährigen
    Denn ich glaube, ganz wichtig ist natür-             im Fokus, da die Infektionssterblichkeit
    lich, so essenziell die Wissenschaft gerade          in dieser Altersgruppe stark ansteige.               Hoffen auf die Impfung
    in so einem Thema wie einer viralen Pan-             „Die alleinige Hoffnung der Pandemie-
    demie ist, so wichtig ist ja irgendwo auch           Bekämpfung mit Mitteln der Kontaktnach-              Große Hoffnung liegt auf der Entwicklung
    die Transmission in der Umsetzung in die             verfolgung erscheint bedauerlicherweise              eines Corona-Impfstoffs. Sieben verschie-
    reale Versorgung.“ Und da seien nun mal              unrealistisch“, sagt Zi-Vorstandsvorsitzen-          dene Kandidaten sind zurzeit in unter-
    die Ärzte, ob in der Niederlassung oder              der Dr. Dominik von Stillfried.                      schiedlichen Stadien in der Entwicklung.
    im Krankenhaus, diejenigen, die unmit-                                                                    Die Vakzine könnten auch zur Prävention
    telbar mit den Patienten Kontakt hätten.             Konkret rät das Zi unter anderem dazu,               und Kontrolle dieser Infektionskrankheit
    „Deshalb sind diese Ergebnisse und diese             in allen Altersgruppen unverändert                   einen großen Beitrag leisten. Wobei klar
    Erfahrungen enorm wichtig, um sozusa-                weiter zu testen. Allerdings sollten die             ist: „Die Impfstoffe, die es geben wird,
    gen die abstrakten wissenschaftlichen                Maßnahmen der Kontaktverfolgung bei                  werden ein wichtiger Baustein sein, aber
    Erkenntnisse in eine realistische Strategie          positiv getesteten Personen nach Relevanz            nicht der Endpunkt, der die Pandemie
    umzusetzen.“                                         gestaffelt werden. Auf Grundlage einer               sozusagen von heute auf morgen been-
                                                         vom Zi entwickelten Entscheidungsmatrix              den wird“, erklärt Schmidt-Chanasit im

6   KBV KLARTEXT > 4. AUSGABE 2020
Leben mit dem Virus - Kassenärztliche ...
TITEL

„Klartext“-Interview. „Wichtig ist, dass
wir Impfstoffe haben und wir sie als Bau-
stein benutzen können neben dem Testen
und neben dem besseren Schutz für die
vulnerable Population.“ Das sei schon ein
großer Schritt nach vorne.

Auf verschiedene Impf-Szenarien ist die
KBV jedenfalls vorbereitet. „Wir sind in
einem sehr engen Dialog mit dem Bundes-
ministerium für Gesundheit“, konstatiert
Dr. Stephan Hofmeister, stellvertretender
Vorstandsvorsitzender der KBV. „Wir ha-
ben dieselbe Herausforderung. Natürlich
muss möglichst viel zum Impfen zentral
und bundeseinheitlich geregelt werden,
da alle Menschen das gleiche Recht und
den gleichen Anspruch haben, nach den
gleichen Regeln versorgt zu werden.“
Andererseits sei Impfen Ländersache.
Und es gebe sicher auch viele Gründe,             Demonstranten prostestieren gegen eine „Querdenker“-Versammlung. Die Corona-Pandemie ist auch eine
warum das eine oder andere wiederum               Belastungsprobe für unsere Demokratie.
regional geregelt werden muss. Im Aus-
tausch mit dem Bundesgesundheitsmi-               ein Beipackzettel fertig sein, in dem auch         dass eine Impfung großer Teile der Bevöl-
nisterium gehe es vor allem darum, Dinge          drinsteht, was bei dieser Impfung zu               kerung überhaupt nur möglich ist, wenn
abzustimmen, die wirklich zentral und             beachten ist.“ Trotzdem würde alles so             die Vertragsärztinnen und -ärzte impfen.
gleich geregelt werden müssten.                   vorbereitet, dass man einsatzbereit sei.           Impfen ist Arztsache – insbesondere und
                                                  „Wir können aber erst ganz konkret in die          ganz klar bei einem neuen Impfstoff, den
                                                  Umsetzung gehen, wenn wir wissen, wel-             noch keiner so genau kennt.“ Zu Recht sei
                                                  cher Impfstoff mit welchen Applikations-           gesagt worden, dass idealerweise 60 Pro-
                                                  Bedingungen und in welcher Menge an                zent der Bevölkerung durchimpft werden
Nicht ohne Niedergelassene                        welchem Tag überhaupt da sein wird.“               müssten. „Das sind so viele Menschen,
                                                  Für den KBV-Vize ist es unumstößlich,              dass es ohne die Vertragsärztinnen und
Hofmeister: „Was wir am Ende brauchen,            dass die niedergelassene Ärzteschaft eine          -ärzte überhaupt nicht gehen wird.“
ist eine Zulassung für einen Impfstoff.           bedeutende Rolle bei der Corona-Impfung
Denn erst mit der Zulassung wird dann             spielen wird. „Wir gehen fest davon aus,

                                                                                                     Stresstest für die Demokratie?

                                                                                                     Bei allen Diskussionen um Test- und
                                                                                                     Impfstrategien, um die Pandemie einzu-
                                                                                                     dämmen, ist klar, dass es nicht nur eine
                                                                                                     medizinische oder gesundheitspolitische
                                                                                                     Perspektive beim Umgang mit Corona
                                                                                                     gibt. Ebenso Teil der Debatte um das
                                                                                                     Leben mit dem Virus sind neben anderen
                                                                                                     psychologische, rechtliche oder ökonomi-
                                                                                                     sche Aspekte. So hat Professor Clemens
                                                                                                     Fuest, Präsident des ifo-Instituts, in einem
                                                                                                     Interview veranschaulicht: „Es kann keine
                                                                                                     wirtschaftliche Erholung geben, wenn die
                                                                                                     Pandemie nicht unter Kontrolle ist. Es be-
                                                                                                     steht kein Konflikt zwischen gesundheits-
                                                                                                     und wirtschaftspolitischen Anliegen.“

                                                                                                     Neben der ökonomischen Perspektive
                                                                                                     wirft die Pandemie ebenso staatspoliti-
                                                                                                     sche wie rechtliche Fragen auf. Regie-
Auch in Schulen gehört das Tragen von Mund-Nasen-Masken zum Alltag.                                  rungsentscheidungen auf Bundes- und >

                                                                                                                     KBV KLARTEXT > 4. AUSGABE 2020    7
Leben mit dem Virus - Kassenärztliche ...
TITEL

                                              Corona-Pandemie –                     Der verfassungsrechtlichen Entscheidung für eine rechts-
                                              Verfassungsrechtliche                 staatliche und parlamentarische Demokratie entspricht
                                              Fragen                                es, dass alle wesentlichen Entscheidungen zur Grund-
                                                                                    rechtsverwirklichung und zu deren Grenzen von den Par-
                                          Seit März 2020 sind in                    lamenten, also von den vom Volk unmittelbar gewählten
                                          Deutschland im Zuge der                   und legitimierten Vertretungen, selbst getroffen werden
                                          Corona-Pandemie ganz                      und dass dies nicht allein den Organen der vollziehen-
                                          erhebliche Einschränkun-                  den Gewalt überlassen bleibt. Die äußerst intensiven
           Professor Hans Jürgen Papier   gen der Freiheitsrechte                   und flächendeckenden Freiheitseinschränkungen sind
                                          eingeführt worden. Das                    aber nicht unmittelbar durch den Gesetzgeber einge-
           reicht von Eingriffen in die Bewegungs- und allgemeine                   führt oder explizit zugelassen, sondern im Wesentlichen
           Handlungsfreiheit sowie in die Niederlassungsfreiheit                    durch Rechtsverordnungen der Landesregierungen
           über Beschränkungen der Religionsausübungs- und                          verfügt worden. Der Bundestag hat zwar vor Kurzem
           Versammlungsfreiheit, der Berufsfreiheit und des Eigen-                  eine gewisse Präzisierung des Infektionsschutzgesetzes
           tumsgrundrechts, der Kunst- und Wissenschaftsfreiheit,                   im Hinblick auf die Pandemiebekämpfung beschlossen,
           bis hin zu erheblichen Eingriffen in den Schutzbereich von               die mir aber im Hinblick auf den grundrechtlichen Par-
           Ehe und Familie.                                                         lamentsvorbehalt nicht hinreichend erscheint. Die stets
                                                                                    erforderlichen Abwägungsentscheidungen zwischen den
           Alle diese Freiheiten sind im Grundgesetz und weitge-                    divergierenden Schutzgütern der Gesundheit einerseits
           hend auch in den Landesverfassungen gewährleistet,                       und den Freiheitsrechten andererseits bleiben auch selbst
           allerdings nicht grenzenlos. Durch Gesetz oder aufgrund                  in grundsätzlicher Hinsicht gerade nicht dem Parlament
           eines Gesetzes können unter bestimmten Bedingungen                       vorbehalten, sondern werden im Wesentlichen an die
           Beschränkungen eingeführt werden, wenn diese zur                         Exekutive delegiert. Diese bekommt also insoweit einen
           Verfolgung eines verfassungslegitimen Ziels geeignet,                    vom Gesetzgeber ausgestellten Persilschein im Hinblick
           erforderlich und verhältnismäßig sind. Zwischen dem                      auf die zu ergreifenden Maßnahmen, selbst wenn sie zu
           Nutzen der Grundrechtseingriffe für den Schutz von Leben                 den intensivsten Grundrechtsbeschränkungen führen, die
           und Gesundheit der Bevölkerung einerseits und den                        es in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland je
           durch diese Beschränkungen verursachten Schäden an                       gegeben hat.
           gleichermaßen verfassungsrechtlich geschützten Gütern
           materieller und immaterieller Art andererseits muss ein
           angemessenes und ausgewogenes Verhältnis bestehen.

           Professor Hans Jürgen Papier war von 2002 bis 2010 Präsident des Bundesverfassungerichts und ist emeritierter Inhaber des Lehrstuhls für
           Öffentliches Recht an der Ludwig-Maximilians-Universität in München.

    Länderebene werden angezweifelt. Ist                                                                       tionsschutzgesetz war ausgerichtet auf
    Corona auch ein Stresstest für unsere De-                                                                  einzelne Maßnahmen. Eine landesweite
    mokratie? „Wir müssen zunächst einmal                Richtige Änderungen im                                oder kontinentalweite und letztlich sogar
    festhalten, dass wir bisher doch ganz gut            Infektionsschutzgesetz                                weltweite Pandemie war doch außerhalb
    durch die Krise gekommen sind“, erläutert                                                                  der Sichtweise des Anwendungsbereichs
    Professor Ulrich Battis, emeritierter                Für das Leben mit dem Virus sieht der                 des Infektionsschutzgesetzes.“
    Staats- und Verwaltungsrechtswissen-                 Jurist noch die eine oder andere Heraus-
    schaftler an der Humboldt-Universität zu             forderung. „Die Vorstellung, die es zum               Battis plädiert darüber hinaus für ein
    Berlin. „Das heißt, es gibt keine Verwer-            Teil in Politik und auch in Medien gibt,              konsequenteres Durchgreifen – gerade
    fungen in dem Sinne, dass bewusst die                es muss jetzt alles einheitlich zentral               bei manchen Demonstrationen gegen die
    Autorität des Staates und seiner Anord-              festgelegt werden, ist völlig unange-                 Corona-Maßnahmen: „Letztlich geht es
    nungen infrage gestellt wird. Es gibt eine           messen. Dezentral müssen die richtigen                darum, die Bevölkerung zu gewinnen. Und
    kleine Gruppe, die natürlich im Laufe der            angemessenen Entscheidungen getroffen                 Sie können nicht 80 Prozent der Bevölke-
    Krise größer wird und das anzweifelt.                werden.“ Dafür müsse es einen Rahmen                  rung auf Dauer überzeugen, wenn Sie 20
    Aber die deutsche Infrastruktur, die Teil            geben. Zudem müssten die Parlamente                   Prozent Narrenfreiheit lassen.“ Eine Än-
    der traditionellen Daseinsvorsorge ist,              stärker eingeschaltet werden, was in den              derung des Grundgesetzes ist nach Battis‘
    ist eben doch immer noch besser als in               letzten Wochen auch bereits geschehen                 Einschätzung nicht erforderlich: „Ich halte
    vielen umliegenden Staaten.“                         sei. Battis hält Änderungen im Infekti-               das für entbehrlich.“ Gewisse Änderungen
                                                         onsschutzgesetz für richtig: „Das Infek-              im Infektionsschutzgesetz seien völlig aus-

8   KBV KLARTEXT > 4. AUSGABE 2020
Leben mit dem Virus - Kassenärztliche ...
TITEL

                                                                                                     demie so elementar. „Wir setzen dabei auf
                                                                                                     den Dialog. Denn nur gemeinsam können
                                                                                                     wir es am Ende schaffen, die Pandemie
                                                                                                     zu beherrschen“, formuliert KBV-Vize
                                                                                                     Hofmeister. Bei immer noch vielen offenen
                                                                                                     Fragen rund um SARS-CoV-2 bleibt letzt-
                                                                                                     lich eine Erkenntnis. Schmidt-Chanasit:
                                                                                                     „Wir werden weiter mit dem Virus leben
                                                                                                     müssen.“

                                                                                                                                Thomas Schmitt
Eine Ärztin nimmt in ihrer Praxis einen Nasen-Rachen-Abstrich für den PCR-Test auf SARS-CoV-2.

reichend – etwa die Begrenzung der Kom-               Egal aus welcher Perspektive der Blick auf
petenzübertragungen durch Rechtsverord-               die Corona-Krise fällt, ist klar: „Das Virus
nungen im Sinne der Rechtsprechung des                geht nicht weg“, sagt Virologe Streeck. Da-
Bundesverfassungsgerichts.                            her ist das Management der Covid-19-Pan-

                                   DREI FRAGEN AN ... DIPL.-PSYCHOLOGIN BARBARA LUBISCH,
                                   PSYCHOTHERAPEUTIN UND 1. STELLVERTRETENDE VORSITZENDE DER KBV-VERTRETERVERSAMMLUNG

                                                      sie vereinsamen. Familien und besonders        Menschen mit besonderen Belastungen
                                                      Alleinerziehende, die räumliche Enge,          sollten gezielt unterstützt werden. Die
                                                      Home-Schooling und Home-Office verein-         Möglichkeit, Psychotherapie als Videobe-
                                                      baren sollen, sind durch die Mehrbelas-        handlung oder in Ausnahmefällen als
                                                      tungen gestresst, gereizt und übermüdet.       Telefonkonsultation wahrzunehmen,
                                                      Psychisch kranke Menschen leiden häufig        ist in der        Pandemie-Situation von
Wir müssen ganz offensichtlich auf abseh-             unter verstärkter Symptomatik.                 besonderer Bedeutung.
bare Zeit mit SARS-CoV-2 leben. Welche
Folgen hat Covid-19 für unsere Psyche?                Wie lassen sich die psychischen                Die Corona-Pandemie ist eine infektiologi-
                                                      Belastungen am besten bewältigen?              sche Krise. Wie sehr weitet sie sich auch
Wir müssen auf Vieles verzichten, was uns                                                            zu einer psychologischen Krise aus?
gut tut und Freude bereitet, unseren Alltag           Soziale Unterstützung und emotionale
umorganisieren und die Anspannung der                 Nähe sind auch bei physischer Distanz          Gerade in unsicheren Situationen brau-
möglichen Bedrohung unserer Gesund-                   möglich. Wir sind herausgefordert, die         chen Menschen klare Information und
heit aushalten. Gemeinsame Erlebnisse,                vielfältigen Kommunikationsmöglichkeiten       Orientierung. Der weitere Erfolg der
Feiern und Umarmungen fehlen uns allen.               über Telefon, Videokonferenzen, Messen-        infektiologisch notwendigen Maßnahmen
Die Bewältigung dieser Frustrationen und              ger, Foren et cetera flexibel zu nutzen und    wird auch von der Compliance abhängen,
Unsicherheiten ist eine große psychische              auszubauen. Weiterer Kontakt ist möglich       also der Bereitschaft zur Einhaltung der
Anpassungsleistung, die unterschiedlich               mit Briefen, Päckchen oder Spaziergän-         Verordnungen und Empfehlungen. Deshalb
gut gelingt.                                          gen unter Einhaltung der AHA-Regeln. Die       sollten diese nachvollziehbar begründet,
                                                      bewusste Gestaltung von Tagesstruktur          klar kommuniziert und durch positive
Viele Menschen berichten von gedrückter               und Freizeit sind hilfreich: Ausreichend       Motivierung unterstützt werden. Die För-
Stimmung bis zu deutlichen Depressionen,              Bewegung, möglichst in der Natur, und          derung und Anerkennung von Verantwor-
Schlafstörungen, Ängsten, aber auch                   ausreichend Schlaf sind in Stresssitua-        tungsbereitschaft und Solidarität ist eben-
Reizbarkeit, Aggressionen sowie zuneh-                tionen wichtig. Soziale Kontakte sollten       so wichtig wie Kontrolle und Sanktionen.
mendem Alkoholkonsum.                                 geplant werden, weil sie sich nicht von
                                                      allein ergeben.                                Ein konstruktiver Diskurs über die unter-
Die Belastungen sind je nach Lebenssi-                                                               schiedlichen Aspekte der Krise erscheint
tuation unterschiedlich: Medizinisches                Über die risikoarme Gestaltung der kom-        wünschenswert. Psychotherapeuten sind
Personal ist erhöhtem Druck ausgesetzt.               menden Feiertage sollten wir uns frühzei-      gerne bereit, sich mit ihrer Fachkompetenz
Für Alleinstehende und junge Menschen                 tig Gedanken machen.                           daran zu beteiligen.
ist oft das ‚Zuhause-Bleiben‘ sehr schwer,

                                                                                                                    KBV KLARTEXT > 4. AUSGABE 2020   9
Leben mit dem Virus - Kassenärztliche ...
INTERVIEW

     „Vom Normalzustand sind wir
     noch ein Stück weit entfernt“
     Professor Jonas Schmidt-Chanasit ist Virologe und beschäftigt sich unter anderem mit Viren, die
     durch Stechmücken übertragen werden (Arboviren). Im Klartext-Interview spricht er darüber, wie
     Corona unser Verhalten ändern kann, wie Streetworking in der Pandemie helfen könnte und wie
     politisch das Virus mancherorts ist.

     Die Corona-Pandemie ist ein Marathon,         können. Aber es wird dann nicht mehr           vollkommen ausreichend. Das ist unsere
     kein Sprint. Wie sieht unsere Zukunft mit     diese Schlagkraft haben, die es derzeit hat.   Werkzeugkiste. Mehr braucht man nicht.
     Covid-19 in Ihren Augen aus?                                                                 Und wenn man das konsequent um- und
                                                   Wie können wir mit diesem Virus leben?         durchsetzt, hat man ein sehr geringes
     Das Thema wird uns im Jahr 2021 sicher                                                       Risiko, dass man mit dem Virus in Kontakt
     noch sehr intensiv begleiten. Der Winter      Seit Beginn der Pandemie haben wir dafür       kommt und sich infizieren kann. Das wird
     2021 wird auch noch mal eine Heraus-          eigentlich alles in unseren Händen. Am         sich in den nächsten Wochen und Mona-
     forderung. Aber 2022/2023 werden wir          Anfang gab es eine Diskussion bezüglich        ten so fortsetzen. Zu den AHA-Regeln ist
     dann mit großer Wahrscheinlichkeit            der Schmierinfektion, also der Oberflä-        noch das Lüften hinzugekommen – gerade
     Schritt für Schritt zur Normalität zurück-    chenstabilität des Virus. Es hat sich dann     in Zeiten, wo es draußen kalt ist und man
     kehren können. Dann dürfte das Virus          gezeigt, dass das eigentlich keine große       sich vermehrt in Räumen aufhält, weil es
     besiegt sein in dem Sinne, dass wir keinen    Rolle spielen kann. Wir hatten dann relativ    unter besonderen Bedingungen zu einer
     Ausnahmezustand mehr haben. Natürlich         schnell die AHA-Regeln Alltagsmasken,          Anreicherung von Aerosolen und natür-
     wird das Virus weiter zirkulieren und         Hygiene – also in dem Fall Händewaschen        lich auch zu einer direkten Übertragung
     existieren. Wir werden es nicht eradizieren   – und Abstand, der das A und O ist. Das ist    kommen kann. Aber im Regelfall ist es die

10   KBV KLARTEXT > 4. AUSGABE 2020
„Wir werden weiter mit dem Virus leben müssen.
   							Wir werden es nicht eradizieren.“

Tröpfcheninfektion, das heißt der unge-        Indikator ist, sodass man frühzeitig in die      Und genauso gilt das für junge Leute.
schützte Kontakt zu dem anderen. Da hilft      Blutgerinnung eingreifen kann, damit es          Wir können nicht für zwei Jahre Party
– und das ist ganz klar – AHA+L.               erst gar nicht zu den Problemen kommt,           verbieten. Die machen Party im Keller oder
                                               die diese Krankheit mit sich bringt, näm-        anderswo. Also müssen wir uns überle-
Wie wird Covid-19 unsere Hygieneregeln         lich Gefäßverschluss und so weiter. Da           gen, wie und wo die vielleicht einmal im
dauerhaft verändern?                           gibt es viele Ideen.                             Monat zusammenkommen können – mit
                                                                                                einer Testung oder einem Konzept, das
Genau das treibt viele Menschen um.            Aber der Hauptpunkt, auch jenseits der           sicher ist. Dann wissen wir, wer dort war.
Die Frage ist: Wird sich unser Verhalten       Risikogruppen, wo man ganz klar sagt,            Und wenn etwas passiert, kann man auch
langfristig ändern? Dass man sich weniger      da kann man viel mehr machen – von               schnell reagieren.
die Hand gibt, dass man sich weniger in        FFP2-Masken über entsprechende Haus-
den Arm nimmt. Dass man, wenn man              haltshilfen über eine schnelle Reaktions-        Viel Hoffnung steckt in der Entwicklung
krank ist, eine Maske benutzt. Letzteres       fähigkeit über eine Priorisierung bei der        von Impfstoffen gegen Corona. Aktuell
wäre auch durchaus jenseits von Corona         Testung – ist, dass wir auch die Gruppen         gibt es dort große Fortschritte. Wie schät-
ein Hilfsmittel: Wir haben ja gesehen,         erreichen, wo viele Infektionen auftreten,       zen Sie die Impfstoff-Entwicklung ein?
dass auch andere Atemwegsinfektionen           die wir bisher nicht durch Ansprache
reduziert werden. Aber wenn Corona             erreicht haben. Meines Erachtens ist da die      Man sollte diesen Impfstoff nicht als End-
überwunden ist, ist das eine Freiwilligkeit.   Äußerung „Wir haben so viele Ansprachen          punkt sehen. Das ist eine Kommunikation,
Manche werden das machen, andere eben          gehabt, aber das hat ja nichts geholfen“         die am Anfang geführt wurde, die wenig
nicht. Dann muss man eben schauen, was         nicht hilfreich. Wenn man merkt, dass            hilfreich war. Die Impfstoffe, die es geben
die Auswirkungen dieser Verhaltensände-        man da nicht weiterkommt, muss man sich          wird, die werden ein wichtiger Baustein
rungen sind.                                   neue Möglichkeiten einfallen lassen. Das         sein, aber nicht der Endpunkt, der die Pan-
                                               ist etwas, was wir aus dem klassischen           demie sozusagen von heute auf morgen
Ein Satz, den Dirk Brockmann, ein ge-          Streetworking kennen. Wenn wir Jugend-           beenden wird. Wir müssen erst einmal
schätzter Kollege aus dem Robert Koch-         liche oder andere Personen- oder Bevöl-          sehen, für wen die Impfstoffe geeignet
Institut, immer gesagt hat: dass dieses        kerungsgruppen nicht erreichen können,           sind. Der Teufel steckt bei den Impfstoffen
Verhalten die Pandemie verändert und           müssen wir sie auf anderem Weg gezielt           im Detail. Aber es wird Impfstoffe geben.
natürlich auch andere respiratorische Er-      erreichen, um genau diese grundlegenden          Wichtig ist, dass wir Impfstoffe haben und
reger, die übertragen werden, und dass die     Maßnahmen, die absolut ausreichend               wir sie als Baustein benutzen können ne-
Pandemie unser Verhalten verändert. Dies       und hilfreich sind, dort näher zu bringen        ben dem Testen und neben dem besseren
werden wir auch in der Zukunft sehen und       und für Verständnis zu werben. Da gibt es        Schutz für die vulnerable Population. Das
dann wird abzuwarten sein, ob die jährli-      unendlich viele Ideen und man kann sehr,         ist schon ein großer Schritt nach vorne.
chen Influenza-Peaks flacher sind. Diese       sehr viel machen.                                Aber wir werden weiter mit dem Virus
Beobachtung wird ganz spannend sein.                                                            leben müssen. Wir werden es nicht eradi-
So kann es eben ein positiver Effekt sein,     Lockdowns, Verbote, zwischenzeitliche            zieren. Das wird bei einer freiwilligen Imp-
der sich aus Corona ergeben hat, dass sich     Schließungen von Kultureinrichtungen             fung nicht passieren. Aber das Virus wird
das Verhalten der Menschen so geändert         oder Gastronomie frustrieren viele Men-          seinen Schrecken und die Durchschlags-
hat, dass wir nicht mehr diese ganz hohen      schen. Wie kann man diese Menschen               kraft, in kurzer Zeit Millionen Menschen
Peaks bei der Influenza sehen und sich         möglicherweise zu mehr eigenverant-              zu infizieren, verlieren. Wenn weniger
vielleicht auch mehr Menschen impfen           wortlichem Handeln motivieren?                   Infektionen auftreten, ist es so wie viele
lassen. Das ist noch spekulativ, aber sicher                                                    andere Viren, mit denen wir hier zu tun
nicht ganz unplausibel.                        Es müssen klare, nachvollziehbare Regeln         haben in Deutschland. Dann ist es quasi
                                               sein. Es ist klar, dass wir nicht nur mit        wieder der Normalzustand. Aber davon
In der aktuellen Situation: Wie lassen         Geboten weiterkommen. Es sollten jedoch          sind wir noch ein Stück weit entfernt.
sich Risikogruppen besser schützen,            so wenig Verbote wie möglich sein, die
ohne sie komplett zu isolieren?                aber klar nachvollziehbar durch- und             Wenn man die öffentlichen Debatten rund
                                               umsetzen. Und auf der anderen Seite muss         um das Virus verfolgt, sind die Informati-
Wir können nicht überall jeden schützen.       man Angebote machen. Das ist beides              onen zu Corona sehr vielfältig, teils auch
Das können wir bei keiner Krankheit. Das       notwendig, denn nur mit Verboten kann            widersprüchlich. Es wird wissenschaft-
ist eine Illusion. Aber wir können daran       man so einen Marathon nicht gewinnen.            lich diskutiert, politische und ökono-
arbeiten, dass so gut zu machen, wie es re-    Das geht in die Illegalität. Das haben wir       mische Argumente spielen ebenso eine
alistisch möglich ist. Da gilt es eben, auch   in vielen Bereichen gesehen, in Hamburg          Rolle. Wie lässt sich mit dieser Informati-
die zu erreichen, die nicht in den Pflege-     zum Beispiel in der Prostitution. Die hört       onsflut am besten umgehen?
und Seniorenheimen sind, sondern die zu        ja nicht auf, nur, weil sie verboten ist. Also
Hause sind. Zum Beispiel mit ambulanten        muss man hier sichere Bereiche schaf-            Das ist relativ schwer. Es ist eben in der
Teams, die entsprechende Sauerstoffsät-        fen, wo eine Gefährdung reduziert wird.          Pandemie so, dass all diese Faktoren eine
tigungen messen, weil das ein wichtiger        Da muss man sich Konzepte überlegen.             Rolle spielen. Natürlich ist das Virus in >

                                                                                                               KBV KLARTEXT > 4. AUSGABE 2020   11
INTERVIEW

      manchen Ländern auch sehr politisch, in         jemand entscheiden – in dem Fall eben die     keiten vielleicht sehen wollen, wie eine
      anderen weniger politisch. Darüber muss         Politik, die Parlamente. So funktioniert es   zweite Welle, wenn man es so benennen
      man sich im Klaren sein. Aber wir können        in einem Rechtsstaat. Im Rahmen einer         will. Aber es gibt ganz deutliche Unter-
      nicht allein durch die virologisch-epide-       reinen Pandemiebekämpfung schränkt            schiede. Die Pandemien stehen für sich.
      miologische Brille schauen und das nur          uns das zwar ein. Gerade in Ländern, die      Sie treten auf. Sie werden auch in Zukunft
      von dieser Seite aus sehen. Es ist klar, dass   autoritär regiert werden, so wie China, be-   wieder auftreten. Wir können nur daran
      andere Faktoren – Bildung, Ausbildung,          stehen ganz andere Möglichkeiten, die im      arbeiten, dass wir noch schneller reagie-
      Grundrechte, wirtschaftliche Aspekte –          Rahmen der Pandemiebekämpfung besser          ren, was Impfstoff- und Testentwicklung
      gleichberechtigt zu werten sind durch die       wären. Aber in einem Rechtsstaat können       betrifft. Und vielleicht können wir es auch
      Politik und da ein Ausgleich stattfinden        wir aus gutem Grund bestimmte Maß-            schaffen, sobald ein pandemischer Erreger
      muss. Das ist das Einmaleins in der Pan-        nahmen nicht durchsetzen, die rein aus        seinen Siegeszug antreten will, noch
      demie. Das wird ja auch so gemacht. Da          Pandemiebekämpfungssicht toll wären.          schneller agieren zu können, um diese
      vielleicht einmal nicht so genau die Balan-     Aber das geht nun mal nicht.                  Verbreitung vielleicht einzudämmen.
      ce zu treffen, das ist so. Man hat höchsten
      Respekt vor den Entscheidungen, die             Urplötzlich ist die Virologie sehr in den     Was muss sich nach der Erfahrung mit
      die Politik treffen muss. Die sind nicht        Vordergrund gerückt und zu einer zent-        dieser Pandemie ändern und was lässt
      einfach. Es gibt keine Blaupause. Es gibt       ralen Wissenschaft geworden. Wie viel         sich daraus lernen?
      auch nicht den richtigen Weg. Man wird          Verantwortung bedeutet das für einen
      das nach der Pandemie beurteilen kön-           Forscher und wie gehen Sie damit um?          Es sind ganz, ganz viele Aspekte, die man
      nen, was jetzt besser und was vielleicht                                                      da herauslesen wird und muss. Was auch
      schlechter gewesen ist. Insofern muss man       Ich würde die Virologie gar nicht so in       schon passiert. Ein wichtiger Aspekt ist
      das diskutieren, muss die unterschiedli-        den Vordergrund stellen wollen. Natürlich     schon mal, dass wir ein Stück weit Auto-
      chen Ansichten zusammenbringen und              ist die Virologie ein wichtiger Baustein.     nomie zurückgewinnen müssen – sowohl
      zulassen. Das ist ganz wichtig. Dann muss       Aber ich würde es nie wagen wollen, die       was die Produktion von Impfstoffen, Medi-
                                                      Virologie zum Beispiel über die Kollegen      kamenten, aber eben auch Schutzmasken
                                                      der Intensivmedizin zu stellen, die eine      oder Tests angeht. Es ist wichtig, dass man
                                                      ganz wichtige Rolle haben, oder die Allge-    das nicht alles im Ausland herstellen lässt
                                                      meinmediziner oder die mathematischen         und dann eine gewisse Abhängigkeit ent-
                                                      Modellierer. Das ist ein Eigenverständnis     steht. Das ist eine ganz wichtige Erkennt-
                                                      der Virologie, was falsch ist. Man muss       nis, dass wir hier doch bestimmte Sachen
                                                      ganz klar seine Stelle sehen in dieser Pan-   in Deutschland behalten sollten. Was die
                                                      demie. Die ist wichtig, aber sie ist meines   Pandemie-Vorbereitung betrifft, wird man
                                                      Erachtens nicht die entscheidende. Da         in den nächsten Jahren sehr viel Geld
                                                      muss man die Grenzen des eigenen Fachs        für die Wissenschaft haben. Da bin ich
                                                      erkennen. Ich sehe keine herausragende        persönlich sehr glücklich darüber. Aber
                                                      Rolle der Virologie. Wir sind ein wichtiger   es darf jetzt nicht zu einer prinzipiellen
                                                      Mitarbeiter mit vielen anderen Kollegen       Verschiebung kommen, was zum Beispiel
                                                      auch aus anderen Fachbereichen. Dieses        die Krebsforschung oder andere nicht-
                                                      Selbstverständnis ist ganz wichtig. Wenn      infektiöse Erkrankungen betrifft. Diese
                                                      das eben nicht passiert und man denkt,        haben natürlich nach wie vor eine viel
                                                      als Virologe könnte man sich zu fast allem    höhere Relevanz – auch die Prävention.
     Professor Jonas Schmidt-Chanasit                 äußern, dann wird es problematisch.           Das darf nicht durch eine solche Pandemie
     (Jahrgang 1979) ist Leiter der Abteilung                                                       infrage gestellt werden. Da ist es wichtig,
     für Arbovirologie am Hamburger Bern-             Die Corona-Krise ist nicht die erste          dass nach wie vor die Forschung gefördert
     hard-Nocht-Institut für Tropenmedizin und        Pandemie in der Menschheitsgeschichte.        wird, wie es in der Vergangenheit der Fall
     seit 2018 Inhaber des Lehrstuhls für Arbo-       Wie lässt sich SARS-CoV-2 denn im             gewesen ist.
     virologie an der Universität Hamburg. Er         historischen Vergleich einordnen?
     studierte an der Berliner Charité Medizin.                                                              Die Fragen stellten Lea Hanke,
     Noch während seines Studiums absol-              Das finde ich relativ schwierig, denn es          Thomas Schmitt und Hendrik Schmitz
     vierte er mehrere Forschungsaufenthalte          sind unterschiedliche Viren mit unter-
     in Bangkok. Von 2006 bis 2007 arbeitete          schiedlichen Eigenschaften und natürlich
     er im Institut für Medizinische Virologie        auch in ganz anderem zeitlichen Zusam-
     in Frankfurt am Main. 2010 habilitierte          menhang. Schauen Sie: Bei der Spani-
     er für das Fach Virologie an der Universi-       schen Grippe war die Welt eine komplett
     tät Frankfurt. Die von Schmidt-Chanasit          andere. Zum Beispiel die Möglichkeiten,
     geleiteten Forschungsgruppen beschäfti-          die wir damals hatten, auch der inter-
     gen sich mit Emerging und Re-Emerging            nationale Waren- und Reiseverkehr,
     Viruses (zum Beispiel Ebola-Virus oder           der entscheidend ist im Rahmen einer
     Zika-Virus).                                     Pandemie, wie sich ein Virus ausbreiten
                                                      kann. Insofern steht jede Pandemie für
                                                      sich, auch wenn wir gewisse Gemeinsam-

12    KBV KLARTEXT > 4. AUSGABE 2020
MELDUNGEN AUS DEM BUND

 Verschreibungspflichtig:
 Erste DiGA verfügbar                                          Arztpraxen wichtigste
 Das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinproduk-
                                                               Anlaufstelle
 te hat die ersten Digitalen Gesundheitsanwendungen
 (DiGA) bekannt gegeben, die von Ärzten und Psychothe-      Deutschland konnte die Covid-19-Pandemie im Frühjahr
 rapeuten verordnet werden können. Die vier Applikati-      nur durch ein effizientes Miteinander von starken ambu-
 onen richten sich an Patienten mit Tinnitus, Angst- und    lanten Versorgungsstrukturen und einer leistungsfähigen
 Panikstörungen, Adipositas oder Rücken-, Hüft- bezie-      Kliniklandschaft eindämmen. Dies zeigt eine aktuelle
 hungsweise Knieschmerzen. Drei dieser Anwendungen          Auswertung des Zentralinstituts für die kassenärztliche
 müssen noch eine Erprobungsphase durchlaufen, um ei-       Versorgung in Deutschland (Zi) zu Abrechnungsdaten
 nen positiven Versorgungseffekt nachweisen zu können.      von PCR-Tests. 94 Prozent der PCR-Tests haben die
 Der Vorstandsvorsitzende der Kassenärztlichen Bundes-      niedergelassenen Haus- und Fachärzte durchgeführt, nur
 vereinigung, Dr. Andreas Gassen, betrachtet nicht nur      sechs Prozent die Notaufnahmen der Krankenhäuser.
 die fehlende Studienbasis als kritisch, sondern auch den   Die Vertragsärzte konnten so ein Überlaufen der Kliniken
 damit verbundenen Kostenaufwand: „Die Krankenkas-          verhindern. „Die Leistungen des ambulanten Schutzwalls
 sen werden für solche Apps künftig viel Geld ausgeben,     sollen daher nicht zu gering geschätzt werden“, so der
 obwohl der Nutzen nicht ausreichend belegt ist.“ Der       Vorstandsvorsitzende des Zi, Dr. Dominik von Stillfried.
 Kostenaufwand sei bereits für die ersten Apps sehr hoch.   (lea)
 Die Tinnitus-App beispielsweise kostet 116,97 Euro pro
 Patient im Quartal. „Die Krankenkassen müssen das
 bezahlen, egal ob der Versicherte die App dann wirklich
 nutzt oder nicht.“ (lea)

 kv.dox steht kurz
 vor dem Start
 Der Kommunikationsdienst „kv.dox“ steht kurz vor
 der Einführung. Der Dienst für sichere Kommunikation
 im Medizinwesen (KIM) wurde erfolgreich vom Betrei-
 ber der Telematikinfrastruktur (TI) gematik geprüft
 und wird nun in ausgewählten Praxen final getestet.
 Nach Abschluss des Feldtests können Ärzte und Psy-         G-BA ermöglicht
 chotherapeuten kv.dox bestellen und zum sicheren
 elektronischen Versand von Arztbriefen, Befunden,
                                                            AU-Bescheinigung per
 AU-Bescheinigungen oder anderen medizinischen Do-          Telefon wieder
 kumenten nutzen. Der KIM-Dienst der Kassenärztlichen
 Bundesvereinigung (KBV) richtet sich an alle, die an die   Aufgrund der ansteigenden Infektionszahlen mit Covid-19
 TI angeschlossen sind. In Zukunft soll die gesamte digi-   können Ärztinnen und Ärzte Patientinnen und Patienten
 tale Kommunikation über solche KIM-Dienste erfolgen.       mit leichten Erkrankungen der oberen Atemwege wieder
 Die KBV hat mit dem Digitale-Versorgungs-Gesetz zum        nach telefonischer Anamnese krankschreiben. Dies hat
 ersten Mal die Möglichkeit erhalten, neben der Industrie   der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) beschlossen.
 den Praxen eine eigene TI-Komponente bereitzustellen.      Die Bescheinigung gilt für bis zu sieben Kalendertage
 „Wir werden den Kolleginnen und Kollegen ein gutes         und kann einmalig um sieben Tage verlängert werden.
 Produkt zu einem fairen und kostendeckenden Preis          Die Regelung gab es bereits zu Beginn der Pandemie.
 anbieten“, sagt KBV-Vorstandsmitglied Dr. Thomas           Sie lief angesichts der sinkenden Infektionszahlen zum
 Kriedel. (lea)                                             31. Mai aus. „Die Sonderregelung zur telefonischen
                                                            AU-Bescheinigung stellt eine wirksame Maßnahme zur
                                                            Pandemiebekämpfung dar“, hebt der Vorstandsvorsitzen-
                                                            de der Kassenärztlichen Bundesvereinigung, Dr. Andreas
                                                            Gassen, hervor. Die Regelung gilt zunächst bis zum
                                                            31. März 2021. (lea)

                                                                                             KBV KLARTEXT > 4. AUSGABE 2020   13
KLARTEXT: LETZTE PRINTAUSGABE

     Der 25. Geburtstag wird digital
     „Wer Klartext reden will, muss ,Klartext‘ lesen.“ Mit diesem Slogan hat die Kassenärztliche Bundes-
     vereinigung (KBV) vor 24 Jahren ihre neue Zeitung beworben. Aus der ist längst ein Magazin gewor-
     den und nach 97 gedruckten Ausgaben erscheint im April 2021 der neue digitale „Klartext“ der KBV
     – ab dann nicht mehr quartalsweise, sondern schon alle zwei Monate.

     E     in bisschen stolz darauf, dass der
           „Klartext“ noch immer „Klartext“
           heißt, ist der erste Chefredakteur
     des Blattes (1996-1999), Kai Stiehl, der
     sich den Namen damals ausgedacht hat.
                                                  desärztekammer seit den 1970er-Jahren die
                                                  „Pressestelle der deutschen Ärzteschaft“ –
                                                  anfangs in Personalunion mit der Redakti-
                                                  on des Deutschen Ärzteblattes –, doch aus
                                                  mehr als Pressemitteilungen bestand die
                                                                                                Formel-1-Design

                                                                                                Ein großes Budget gab es für die Entwick-
     „Den ,Klartext‘ seinerzeit zu konzipieren    Öffentlichkeitsarbeit nicht. Erst Mitte der   lung des „Klartext“ nicht. „Wir hatten
     und herauszubringen, war echte Pionier-      1990er-Jahre bekam die KBV mit Regina         zwar von Anfang an einen Layouter, aber
     arbeit“, erinnert sich Stiehl. Die Gesund-   Kißmann eine eigene Pressesprecherin.         eigentlich haben wir das Blatt mit primi-
     heitspolitik war in den 1990er-Jahren        Mit Kißmann kam auch die Idee zu einer        tivsten Mitteln entwickelt und erstellt“,
     noch eine andere, sehr spezielle Welt.       eigenen Zeitung der KBV. „Die haben wir       sagt Ines Körver, die den „Klartext“ seit
     Die Kommunikation hin zu einer breiten       dann sehr schnell in die Tat umgesetzt.       seiner Entstehung als Redakteurin und
     Öffentlichkeit steckte noch in den Kinder-   Bis zur ersten Ausgabe sind keine sechs       von 1999 bis 2008 als Chefredakteurin
     schuhen. Zwar teilten sich KBV und Bun-      Monate vergangen“, so Stiehl.                 begleitet hat. Als Zeitung erschien der

14   KBV KLARTEXT > 4. AUSGABE 2020
„Klartext“ im übergroßen DIN-A4-Format                 Format. Sein aktuelles Aussehen hat der                Standpunkten gegenübergestellt. Und
      in Schwarz-Weiß mit Magenta. Die Fotos                 „Klartext“ seit der Ausgabe 1/2017. Auch               auch die Kollegen aus dem Brüsseler KBV-
      – sofern nicht von Interviewpartnern                   wenn sich die Optik und die Haptik in den              Büro bestücken den „Klartext“ weiterhin
      gestellt – machte die Redaktion selbst. Da             vergangenen 24 Jahren sehr verändert                   mit Inhalten zur europäischen Gesund-
      mussten dann auch schon mal Kollegen                   haben, die Themen in diesem Magazin                    heitspolitik.
      aus dem Haus im weißen Kittel als Model                ähneln denen der ersten Ausgabe noch
      vor die Kamera.                                        sehr. So ging es schon 1996 um vernetzte               Der digitale „Klartext“ soll über die
                                                             Praxen und die Digitalisierung. Auch                   Internetseite der KBV ohne Anmeldung zu
      Ein Corporate Design gab es in der KBV zu              wenn letztere damals noch aus einem                    lesen sein. Wer keine Ausgabe verpassen
      dem Zeitpunkt noch nicht. Publikationen                Feldversuch der damaligen Kassenärztli-                möchte, kann sich registrieren und wird
      – auch fachlicher Natur – erschienen eher              chen Vereinigung (KV) Nord-Württemberg                 künftig per E-Mail pünktlich auf die neu-
      nach den Vorlieben der Verantwortlichen                bestand, einen Datenaustausch per ISDN-                este Ausgabe aufmerksam gemacht.
      als nach einem einheitlichen Regelwerk.                Leitung zwischen Ärzten und KV zu er-
      „Das erste ,Klartext‘-Logo mit dem ma-                 möglichen.                                                                            Meike Ackermann
      gentafarbenen Winkel ist zum Beispiel
      entstanden, weil Kai Stiehl so ein Formel-             Eine Digitalisierung erfährt nun auch
      1-Fan war und unbedingt die Rubrik ,Pole               der „Klartext“ selber. Dieses ist die letzte               Um per E-Mail auf den neuen
      Position‘ wollte. Der Winkel sollte an die             gedruckte Ausgabe des Magazins. Ab dem                     digitalen Klartext aufmerksam
      Startmarkierung in der Formel 1 erinnern“,             1. April soll der „Klartext“ dann im moder-                gemacht zu werden, können Sie sich
      so Körver. Für die Schlusskorrekturen der              nen Online-Format erscheinen. Momentan                     ab sofort unter www.kbv.de/klartext
      Zeitung hat sie den Layouter Erhardt Hans              arbeitet die Redaktion mit Hochdruck                       anmelden.
      jedes Mal persönlich besucht. „Da haben                am Konzept für die Zukunft. Und da die
      wir dann bei ihm zu Hause gesessen und                 Onlinewelt eine schnelle ist, erscheint                    Nutzen Sie dafür auch gern
      die letzten Änderungen gemeinsam einge-                auch der „Klartext“ künftig häufiger. Statt                diesen QR-Code:
      arbeitet. Natürlich nur, bis die KBV 2005              vier Ausgaben im Jahr soll es alle zwei
      nach Berlin gezogen ist. Danach haben                  Monate neue „Klartext“-Inhalte geben.
      wir das gefaxt“, erinnert sie sich.                    Die gewohnten und bewährten Rubriken
                                                             bleiben dem Magazin teilweise erhalten:
                                                             Auch weiterhin bereitet die Redaktion ein
                                                             Titelthema facettenreich auf, interviewt
                                                             einen Akteur aus dem Gesundheitswe-
      Von der Zeitung zum Magazin                            sen und gibt Einblicke in ausländische
                                                             Gesundheitssysteme. Zudem ist eine
      Seit 2009 ist die einstige Zeitung ein Ma-             Meinungs- oder Expertenkolumne geplant
      gazin und erscheint in Farbe im DIN-A4-                – je nach Thema auch in kontroversen

Der „Klartext“ im Wandel der Zeiten: von der Erstausgabe im Oktober 1996 bis zum Heft im dritten Quartal 2020 (von links nach rechts).

                                                                                                                                         KBV KLARTEXT > 4. AUSGABE 2020   15
#HEALSY20

     KBV-Digitalkonferenz
     mit großer Resonanz
     Angesichts der Corona-Pandemie lud die Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV) zur digitalen Ge-
     sundheitskonferenz ein. Thema der Veranstaltung: der unterschiedliche Umgang mit dem Virus in den
     EU-Mitgliedstaaten. Wir blicken zurück auf lehrreiche Erfahrungen und interessante Diskussionen mit
     hochkarätigen Gästen aus Europa und der Welt.

     S      ARS-CoV-2 belastet die nationalen
            Gesundheitssysteme auf ganz
            unterschiedliche Weise. Als Teil des
     assoziierten Programms der deutschen
     EU-Ratspräsidentschaft diente #healsy20
                                                   ten. 20 Dolmetscher und weitere Mitarbei-
                                                   ter hinter den Kulissen sorgten für einen
                                                   reibungslosen Ablauf.

                                                   Neben dem KBV-Vorstandsvorsitzenden
                                                                                                 In neun Fachforen ging es parallel um un-
                                                                                                 terschiedlichste Aspekte der Pandemiebe-
                                                                                                 wältigung, unter anderem Digitalisierung,
                                                                                                 das System der Selbstverwaltung, die
                                                                                                 unterschiedlichen europäischen Teststra-
     als Anlass, ein erstes Zwischenfazit zu       Dr. Andreas Gassen und der Vorstandsvor-      tegien sowie erste Erkenntnisse aus der
     ziehen. Welche Versorgungskonzepte            sitzenden des GKV-Spitzenverbands,            Versorgungsforschung. Auch Möglichkei-
     haben sich bewährt, welche Schwierig-         Dr. Doris Pfeiffer, wohnten den Diskussi-     ten zur besseren Vernetzung in der Akut-
     keiten waren zu bewältigen und welche         onen unter anderem Bundesgesundheits-         und Notfallversorgung waren Thema eines
     Konsequenzen bisher zu ziehen? Diesen         minister Jens Spahn und der Direktor des      Forums.
     und weiteren Fragen widmete sich die KBV      Regionalbüros Europa der World Health
     Anfang Oktober gemeinsam mit vielen           Organisation, Dr. Hans Henri P. Kluge, bei.   Dr. Petra Reis-Berkovicz, Vorsitzende der
     internationalen Experten.                                                                   KBV-Vertreterversammlung, zeigte sich
                                                   Spahn zeigte sich mit dem Umgang              mit der Veranstaltung mehr als zufrieden.
                                                   mit Covid-19 in Deutschland insgesamt         Die Konferenz sei ebenso erkenntnisreich
                                                   zufrieden. Das Gesundheitswesen habe          wie berührend gewesen. Auch Minister
                                                   sich hierzulande als leistungsfähig, robust   Spahn lobte die gelungene Organisation
     Internationale Gäste                          und resilient erwiesen. Die breitflächige     und die Vorteile des Hybrid-Formats.
     und Zuschauer                                 Hausarzt-, Facharzt- und Laborstruktur
                                                   sei dafür ein wesentlicher Faktor. Auch                                Hendrik Schmitz
     Das Interesse an der Konferenz war groß:      Gassen konstatierte, dass das Virus in
     An den zwei Podiumsdiskussionen und           Deutschland nicht ungefährlicher sei            Die Podien, Fachforen und Vorträge
     neun Fachforen nahmen nicht nur die           als in anderen Ländern – daher müsse            von #healsy20 sind als Video
     mehr als 60 Referenten teil, sondern auch     man die dezentrale, ambulante Struktur          abrufbar unter
     700 Zuschauer aus 38 Ländern, die sich        des Gesundheitswesens entsprechend              www.kbv.de/html/healsy20.php
     per Videostream und Livechat zuschalte-       würdigen.

16   KBV KLARTEXT > 4. AUSGABE 2020
MELDUNGEN AUS DEN LÄNDERN
                                                              NORDRHEIN

                                                              Gesundheitspreis
                                                              für alltagsnahes
 BADEN-WÜRTTEMBERG                                            Versorgungsmodell
 Bericht dokumentiert                                         Das Land Nordrhein-Westfalen hat dem Versorgungsmo-
 Engagement während                                           dell „Neurologisch-psychiatrische und psychotherapeuti-
                                                              sche Versorgung“ den Gesundheitspreis 2020 verliehen.
 Pandemie                                                     Insbesondere wurde das Projekt für seinen alltagsnahen
                                                              Bezug ausgezeichnet. Teilnehmende des Programms sind
 Der jährliche Bericht „Die ambulante Medizinische Ver-       Patienten im Rheinland mit schweren neurologischen und
 sorgung“ der Kassenärztlichen Vereinigung (KV) Baden-        psychischen Erkrankungen, wie beispielsweise Depres-
 Württemberg zeigte in diesem Jahr das Engagement             sionen oder Multiple Sklerose. Diese erhalten schnell
 der Ärzteschaft und der KV während der Pandemie auf.         und strukturiert Hilfe von Ärztinnen und Ärzten sowie
 Trotz des raumeinnehmenden Themas „Corona“ konnten           Psychotherapeuten. Das Modell wurde von der Kassenärzt-
 weitere Aufgaben wie die Förderung der Niederlassung,        lichen Vereinigung Nordrhein und der IVP Networks GmbH
 der Ausbau der Rufnummer 116117 zur umfassenden              gemeinsam mit der AOK Rheinland/Hamburg entwickelt,
 Servicenummer für Patienten sowie innovative Projekte        da die Zahl der Patienten mit neurologisch-psychiatrischen
 fortgeführt werden. Des Weiteren erzielte die KV mit ihrem   Erkrankungen und psychotherapeutischem Behandlungs-
 Förderprogramm ZuZ (Ziel und Zukunft: Wir – die Ärzte und    bedarf stetig weiterwächst. (lea)
 Psychotherapeuten – in Baden-Württemberg) zur Nieder-
 lassung von Ärztinnen und Ärzten in strukturschwachen
 Regionen Erfolge: Seit Beginn des Programms im Jahre
 2015 wurden 129 Praxisgründungen oder -übernahmen mit
 über vier Millionen Euro unterstützt. (lea)

 BREMEN

 Positive Bilanz beim
 Vertrag „Psychische
 Erkrankungen“
 Nach einem Jahr Laufzeit des Vertrags „Psychische
 Erkrankungen“ und der Online-Plattform „PsychNetz24“         SACHSEN-ANHALT
 meldet sich die Kassenärztliche Vereinigung (KV)
 Bremen mit einer positiven Bilanz zurück. Dies zeigte        Online-Umfrage
 eine Auswertung mit Patientenbefragung. Die Teilneh-
 menden waren sehr zufrieden mit dem Vertrag und der
                                                              zum Klimaschutz in
 Online-Plattform. Dreiviertel der Befragten befinden das     Arztpraxen
 Programm als sehr gut bis gut und die meisten (rund 88
 Prozent) würden das Projekt weiterempfehlen. Gerade          Eine Forschungsgruppe der Martin-Luther-Universität Halle-
 die vielfältigen Möglichkeiten, die das Programm bietet,     Wittenberg hat in Kooperation mit der Allianz Klimawandel
 wurden von den Patienten gelobt. Das Modell hat die          und Gesundheit eine bundesweite Studie zum Thema Kli-
 KV Bremen in Zusammenarbeit mit der AOK Bremen/              maschutz in der ambulanten Versorgung gestartet, die noch
 Bremerhaven und der Handelskrankenkasse gestartet,           bis Ende des Jahres geht. Die Online-Befragung versucht
 um Patienten schneller und besser versorgen zu können.       herauszufinden, wie niedergelassene Ärztinnen und Ärzte
 Zielgruppe des Programms sind Patienten mit beson-           einen Teil zum Klimaschutz beitragen können und inwie-
 derem Versorgungsbedarf, die nicht angemessen in der         fern dies bereits geschieht. Außerdem werden sie danach
 Regelversorgung behandelt werden können. Infrage             befragt, welche Hürden und Ideen sie zur Umsetzung sehen.
 kommende Praxen finden weitere Informationen auf der         Die Studie ist anonym und die Ergebnisse erscheinen vor-
 Website der KV Bremen. (lea)                                 aussichtlich im Frühjahr 2021. Interessierte Praxen können
                                                              unter www.medizin.uni-halle.de/klimapraxen teilnehmen.
                                                              (lea)

                                                                                                KBV KLARTEXT > 4. AUSGABE 2020   17
Sie können auch lesen