TÄTIGKEITS-BERICHT 2020 - Global Nature Fund

 
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TÄTIGKEITS-BERICHT 2020 - Global Nature Fund
TÄTIGKEITS -
BERICHT
2020

Global Nature Fund (GNF )
Internationale Stiftung für Umwelt
und Natur
TÄTIGKEITS-BERICHT 2020 - Global Nature Fund
Seite                                                Unterm Strich / Vorwort

         02

                           3.000
190                                                                                                        140
                           Schülerinnen und Schüler in der Stadt Sanchez nahe dem
                           Mangroves of the Lower Yuna National Park nahmen an einem
                           vom GNF unterstützten Bil­dungsprogramm über die Bedeu-
                           tung von Mangroven als ökologischer Schatz der Dominikani-
Unternehmen und Or-        schen Republik teil.                                                            Haushalte profitieren

                                                     600
ganisationen, darunter                                                                                     im schwimmenden Dorf
der GNF, forderten die                                                                                     Phat Sanday am kam-
deutsche Bundesre-                                                                                         bodschanischen Tonle
gierung im April 2020                                                                                      Sap-See von Mülltren-
in einem offenen Brief                                                                                     nungsbehältern und
dazu auf, die Wirtschaft                                                                                   einer Abfuhr per Boot,
in Corona-Zeiten mit                                                                                       die der GNF und seine
einem Klima-Konjunktur-                                                                                    lokale Partnerorganisa-
paket zu unterstützen,                                                                                     tion FACT eingeführt
das über die Pandemie                                                                                      haben.
hinaus ökologische Her-
ausforderungen nicht                                 Wildbienenarten gibt es in Deutschland. Mit einem
aus dem Blick verliert.                              Leitfaden unterstützt der GNF Unternehmen der Le-
                                                     bensmittelbranche dabei, Insektenschutz zum Teil
                                                     ihrer Businessstrategie zu machen — denn 80 Pro-
                                                     zent aller Pflanzenarten, die unsere Nahrungsgrund-
                                                     lage sichern, sind auf den Besuch von bestäubenden
                                                     Insekten angewiesen.

112 522
                                                                                15.418
Partnerseen und            Läuferinnen und Läufer
-feucht­gebiete umfasst    liefen beim Comrades
das vom GNF koordi-        Charity Lauf für den
nierte Netzwerk Living     Schutz bedrohter Nas-
Lakes, darunter seit       hörner im südafrika-
                                                                                Menschen hat unsere Facebook-Nachricht erreicht,
2019 die Sundarbans        nischen Somkhanda
                                                                                mit der wir das zehnjährige Jubi­läum unserer Living
im Grenzgebiet von In-     Schutzgebiet insgesamt
                                                                                Lakes-Partnerschaft mit der Fundación Montecito
dien und Bangladesch,      7.717 km weit. Das ent-
                                                                                an der kolum­­bianischen Laguna de Tota feierten.
den weltweit größten       spricht ungefähr der
Mangrovenwald.             Strecke von München
                           nach Peking. Auch Mit-
                           arbeitende des GNF
                           und Ehrenamtliche der
                           Aktion „Trinkbecher für
                           Trinkwasser“ waren
                           dabei und spendeten
                           ihre Teilnahmegebühr
                           für das Projekt unseres
                           Partners WILDTRUST.
TÄTIGKEITS-BERICHT 2020 - Global Nature Fund
Tätigkeitsbericht 2020                                 Global Nature Fund                   Seite

                                                                                                               03

    Wie wird unsere                                                                   Impressum

    Zukunft aussehen?
                                                                                      Herausgeber:
                                                                                      Global Nature Fund
                                                                                      Fritz-Reichle-Ring 4
                                                                                      78315 Radolfzell
                                                                                      T: +49 7732 9995-80
Liebe Freundin, lieber Freund des GNF,                                                F: +49 7732 9995-88
                                                                                      E: info@globalnature.org
kürzlich las ich in der Zeitschrift „Natur“ einen Artikel über eine Ausstellung, in   www.globalnature.org
der es um das fossile Zeitalter geht. Sie katapultiert uns in den schwedischen
                                                                                      V.i.S.d.P.: Udo Gattenlöhner
Alltag im Jahr 2053.
      Die weltweiten Treibhausgas-Emissionen haben 2050 die Netto-null-Marke          Redaktion:
erreicht. Gezeigt werden der „letzte Fast-Food Burger, der je serviert wurde“         Viktor Konitzer
(2038) oder Vielfliegerkarten mit dem Hinweis, dass häufiges Fliegen im fossilen      Katja Weickmann

Zeitalter als Statussymbol galt. Zeitungsartikel über Mikroplastik als Auslöser für
                                                                                      Texte:
tödliche Stressreaktionen im Körper oder gewaltsame Zusammenstößen zwischen
                                                                                      Udo Gattenlöhner
Landwirt*innen und militanten Veganer*innen. Legosteine und Nylonstrümpfe als         Thies Geertz
längst ausgestorbene, auf Erdöl basierte Produkte.                                    Marion Hammerl
      Wie wird unsere Zukunft aussehen? Ohne eine Biologische Vielfalt, wie wir sie   Martin Haustermann
heute noch kennen? Ohne fruchtbare Böden und mit nur noch einem Bruchteil an          Stefan Hörmann
                                                                                      Matthias Knüver
Seen und Feuchtgebieten, die Verschmutzung und Übernutzung überlebt haben?
                                                                                      Moritz Konz
      Die Optimisten unter den Umweltschützer*innen und in der Gesellschaft hof-      Tobias Ludes
fen darauf, dass die Corona-Krise die Wirtschaft, die Politik und die Gesellschaft    Dr. Thomas Schaefer
endlich zum Umdenken bewegt. Auch ich möchte gerne glauben, dass der Punkt            Bettina Schmidt
gekommen ist, an dem auf die Verantwortungsvollen gehört wird und sich nicht          Manuela Uhde
                                                                                      Ronja Volles
die durchsetzen, die nur ihre egoistischen Ziele verfolgen zu Lasten der nachfol-
                                                                                      Katja Weickmann
genden Generationen.
      In unserem aktuellen Tätigkeitsbericht beschreiben wir unverdrossen, wie es     Bildnachweis:
nachhaltiger gehen kann: praktische Beispiele zum Schutz der Biologischen Viel-       Titel: WikimediaImages/Pixabay,
falt beim Anbau von Lebensmitteln, um Habitate und fruchtbare Böden zu sichern,       S. 5: Detlev Seyb, S. 6: Hanna    

nachhaltige Aquakultur und Küstenschutz in Indien und Bangladesch, solarbetrie-       Kirschnick-Schmidt, S. 7: min-
                                                                                      ka2507/Pixabay, S. 8: Pexels/Pixa-
bene Kläranlagen in Jordanien, Maßnahmen gegen Mikroplastik in unseren Seen
                                                                                      bay, S. 9: theresaharris10/Pixabay,
— ein Überblick über Projekte und Aktivitäten, die 2053 hoffentlich als Erfolgsmo-
                                                                                                 

                                                                                      congerdesign/Pixabay, S. 18: Peter
delle gefeiert werden.                                                                Wey/Fotolia, S. 19: Marcel Gnauk/
      Die Politik scheint ernsthaft daran zu arbeiten, die Weichen umzustellen. Der   Pixabay, S. 20: Freephotos/Pixa-
                                                                                                            

EU-Green Deal, die EU-„Farm to Fork Strategy“ oder die EU-Biodiversitätsstrate-       bay/OroVerde, S. 23: Hanna Witte,
                                                                                                                  

                                                                                      Jakub Kaliszewski, S. 25: Umwelt-
gie 2030: Allesamt anspruchsvolle Ziele und Maßnahmen, die gezielt aufeinander
                                                                                                                              

                                                                                      dachtverband Österreich, S. 29: TUI
aufbauen und gestärkt von europäischen Richtlinien und nationalen Gesetzen zur
                                                                                                                                    

                                                                                      Group, S. 32 /33: Wildsight, S. 34 /35:
                                                                                                                                          

Umsetzung gebracht werden sollen.                                                     Andrei Reinol, S. 38: frank2905215/
      Wir Umweltorganisationen sind gefragt, die angekündigten politischen Wei-       AdobeStock, S. 41: Martin Steffen,
chenstellungen zu unterstützen, damit sich die Lobbyisten nicht wieder durchset-      alle anderen: GNF-Archiv

zen und alles beim Alten bleibt. Dafür bringen wir unsere Leidenschaft, Expertise
                                                                                      Konzeption und
und unsere Energie ein. Danke, dass Sie uns dabei unterstützen! Bitte bleiben Sie     Gestaltung:
uns gewogen.                                                                          RAYNA. Agentur für
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                                                                                      LASERLINE GmbH, Berlin

Marion Hammerl
Präsidentin                                                                           Klimaneutral gedruckt auf 100 %
                                                                                      Altpapier

                                                                                      © Global Nature Fund
                                                                                      Radolfzell, März 2021
TÄTIGKEITS-BERICHT 2020 - Global Nature Fund
Seite                                             Inhaltsverzeichnis

        04
                                                                                  14       Nachhaltige Aquakultur und Küstenschutz

Themen und Projekte,
                                                                                           in Indien und Bangladesch

die uns in 2019 und 2020
beschäftigt haben:

        08   Life Blue Lakes — Mikroplastik
             in Gewässern

                                                                       24   Neues. Denken. Wagen. Der GNF und seine
                                                                            Projekte zur Nachhaltigkeitsbildung

                16      Integrierte Gemeindeentwicklung
                        in Südafrika und Kambodscha

                                                                                               18     Gemeinsam mit Unternehmen
                                                                                                      für biologische Vielfalt
TÄTIGKEITS-BERICHT 2020 - Global Nature Fund
Tätigkeitsbericht 2020                              Global Nature Fund                                 Seite

                                                                                                                    05
      26       Feuchtgebietsschutz, Nationalpark-
               management und Tourismus

                                                                Living Lakes                      Naturschutz
                                                                & Wasser                          & Lebendige
                                                                Seite 06 bis 08                   Landschaften
                                                                Ein See ist nicht genug:
                                                                GNF zeichnet Seen der Holstei-    Seite 24 bis 25
                                                                nischen Schweiz aus               Neues. Denken. Wagen. Der GNF
                                                                                                  und seine Projekte zur Nachhaltig-
                                                                Seite 08 bis 09                   keitsbildung
                                                                Life Blue Lakes — Mikroplastik
                                                                in Gewässern                      Seite 26 bis 27
                                                                                                  Feuchtgebietsschutz, National-
                                                                Seite 10 bis 11                   parkmanagement und Tourismus
                                                                Mitglieder des Living Lakes-
                                                                Netzwerks                         Seite 28 bis 29
                                                                                                  Interview mit Mike Brauner

                                                                Nachhaltige
                                                                                                  Über den
                                                                Entwicklung
22    GNF im Interview mit
      Martin Schüller
                                                                                                  Global Nature
                                                                Seite 12 bis 13
                                                                Nachhaltige Entwick­lung vor
                                                                                                  Fund
                                                                Ort: für Mensch und Natur
                                                                                                  Seite 30 bis 35
                                                                Seite 14 bis 15                   Fotostrecke: Lebensräume
                                                                Nachhaltige Aquakultur und
                                                                                                  Seite 36 bis 37
                                                                Küstenschutz in Indien und
                                                                                                  Unser Team
                                                                Bangladesch

                                                                Seite 16 bis 17

                                                                                                  Kooperationen
                                                                Integrierte Gemeinde-
                                                                ent­wicklung in Südafrika
                                                                und Kambodscha
                                                                                                  Seite 39
                                                                                                  Kooperationspartner

  41      GNF im Interview mit
          Carsten Oberhagemann                                  Unternehmen
                                                                & Biodiversität                   Finanzen &
                                                                Seite 18 bis 19                   Marketing
                                                                Gemeinsam mit Unternehmen
                                                                für biologische Vielfalt          Seite 41
                                                                                                  Interview mit
                                                                Seite 19                          Carsten Oberhagemann
                                                                Versteckten Kosten auf
                                                                der Spur                          Seite 42 bis 45
                                                                                                  Darstellung des Jahres-
                                                                Seite 20 bis 21                   abschlusses
                                                                Hilfestellung für Unternehmen
                                                                im Wald- und Klimaschutz          Seite 46 bis 47
                                                                                                  Partnerorganisationen
                                                                Seite 21                          in Projekten
                                                                Aktiv für mehr Biodiversität im
                                                                Erdbeeranbau

                                                                Seite 22 bis 23
                                                                Interview mit Martin Schüller
TÄTIGKEITS-BERICHT 2020 - Global Nature Fund
Seite           Living Lakes & Wasser

        06

Seit über 20 Jahren setzen wir
uns für den Schutz von Seen und
Feuchtgebieten ein. Manche Pro-
                                        Bettina Schmidt
                                        ist Diplom-Biologin und
                                        arbeitet beim GNF als

bleme standen schon damals auf
                                        Koordinatorin des Living
                                        Lakes-Netzwerks sowie
                                        als Projektleiterin im

unserer Agenda. Andere kamen
                                        Bereich Naturschutz.

im Laufe der Zeit dazu, weil wir
Menschen uns mit einer nach-
haltigen Lebensweise schwertun.
Aber der GNF wird nicht müde,
mit innovativen Lösungen auf die
vielfältigen Herausforderungen
im Gewässerschutz zu reagieren.
TÄTIGKEITS-BERICHT 2020 - Global Nature Fund
Tätigkeitsbericht 2020                                 Global Nature Fund                                     Seite

                                                                                                                         07
    Ein See ist nicht genug:
    GNF zeichnet Seen
    der Holsteinischen
    Schweiz aus
In den 90er Jahren galt er in Schleswig-Holstein
als ausgestorben — doch seit einiger Zeit gibt der
Fischotter in der Region sein Comeback. Damit
steht er exemplarisch für die gute ökologische
Entwicklung der Holsteinischen Schweiz. Die über
200 Gewässer der Seenplatte zwischen Kieler Förde
und Lübecker Bucht bieten einer Vielzahl von Tier-
und Pflanzenarten eine Heimat. In den klaren Tiefen
des Suhrer Sees ist das seltene Große Nixenkraut
sichtbar, die Schwentine, die mehrere der Seen
durchfließt, beherbergt den Eisvogel und über allem
kreist der stolze Seedadler.
     Mit ihrer Auszeichnung „Lebendige Seen des
Jahres 2020/2021“ möchten der Global Nature
Fund und das Netzwerk Lebendige Seen Deutsch-
land das Engagement aller örtlichen Akteure wür-
digen, die sich im Seen- und Fließgewässerschutz
engagieren. Die Netzwerkpartner Wasser Otter
Mensch e.V. und die Integrierte Station Holsteini-
sche Schweiz tragen vor Ort dazu bei, die attraktive
Seenlandschaft zu erhalten und dem Druck auf das
sensible Ökosystem entgegenzuwirken, der von           See des Jahres 2020 zu erklären. Der Stress, unter     Kapitelbild:
Besiedlung, Landwirtschaft, Freizeitnutzung und        dem der See steht, ist ihm deutlich anzusehen:         Über 200 kleine und große
Tourismus ausgeht. Auch der unermüdliche Einsatz       Sein Wasser schimmert grün. Der Grund dafür sind       Seen prägen das vielseitige
                                                                                                              Landschaftsbild der Hol-
zahlreicher ehrenamtlicher Naturschützer, die sich     Cyanobakterien, die im übermäßig nährstoffhaltigen
                                                                                                              steinischen Seenplatte.
seit rund 30 Jahren im regionalen Seen-Beobach-        Seewasser gut gedeihen. Dazu kommen Belas-
tungsprogramm engagieren, soll mit der Auszeich-       tungen durch Agrochemikalien aus dem örtlichen
                                                                                                              Bild rechts:
nung honoriert werden.                                 Reisanbau und industrielle Abwässer. Auch der
                                                                                                              Hier tummeln sich wieder
     Die Wilo-Foundation unterstützt die Arbeit des    Klimawandel wirkt sich negativ aus: Höhere Tempe-      Otter & Co.: Die Seen der
Netzwerks Lebendige Seen Deutschland langfristig.      raturen und geringere Niederschläge entziehen dem      Holsteinischen Schweiz
Auch das Team Deutschland-Achter, mehrfacher           See Wasser und beschleunigen den Sedimentati-          sind „Lebendige Seen
Europa- und Weltmeister sowie Olympiasieger im         onsprozess, der den flachen See ohnehin bedroht.       2020/2021“.
Rudersport, macht sich als Botschafter für die Um-          Unsere spanische Partnerorganisation Funda-
weltinitiative „Lebendige Seen Deutschland“ und        ción Global Nature arbeitet gemeinsam mit interna­
das Engagement des GNF stark.    «                     tionalen Living Lakes-Partnern intensiv an der
                                                       Verbesserung der Situation im Naturpark Albufera.
                                                       Sie fordert klare administrative Zuständigkeiten für
                                                       das Gebiet, die Umstellung der Landwirtschaft im
    Der Albufera-See                                   Einzugsgebiet auf nachhaltige Anbaumethoden,

    ist zu grün,                                       einen verstärkten Wasserzufluss aus dem Fluss
                                                       Júcar und die Ausbaggerung des Seebodens, um
    um gesund zu sein                                  das Gewässer zu bewahren.    «
Dürre, schlechte Wasserqualität, verschmutze Zu­
flüsse und eine immer intensivere Landwirtschaft
bedrohen den Albufera-See nahe dem spanischen
Valencia und haben das Living Lakes-Netzwerk
da­zu veranlasst, das Gewässer zum Bedrohten
TÄTIGKEITS-BERICHT 2020 - Global Nature Fund
Seite                                   Living Lakes & Wasser

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                                                                        Was ist eigentlich
                                                                        Mikroplastik?

                                                                    Als Mikroplastik bezeichnet man Kunststoffparti-
                                                                    kel mit einem Durchmesser von weniger als fünf
                                                                    Millimetern. Als Kügelchen oder in flüssiger Form
                                                                    werden sie — leider immer noch — manchen Kos-
                                                                    metik- und Reinigungsartikeln zugesetzt, um eine
                                                                    Peeling-Wirkung oder eine gewünschte Konsistenz
                                                                    zu erreichen. Daneben entsteht Mikroplastik aber
                                                                    auch, wenn größere Kunststoffteile durch Wind,
                                                                    Regen und UV-Strahlung in immer kleinere Partikel
                                                                    zersetzt werden. Eine Menge wird auch infolge
                                                                    des Abriebs von Autoreifen auf dem Asphalt frei.
                                                                    Zudem geben Textilien aus synthetischen Stoffen
                                                                    beim Tragen und Waschen winzige Fasern ab, die
                                                                    in den Wasserkreislauf gelangen.
                                                                         Das geschieht, indem einerseits Regenwasser
                                                                    Mikroplastik von Straßen, aber auch Kunstrasen-
                                                                    flächen direkt in die Umwelt spült, andererseits
                                                                    über häusliche Abwässer. Es gibt zwar Techniken,
                                                                    um die winzigen Partikel im Klärprozess aus dem
                                                                    Abwasser herauszufiltern, sie sind aber noch auf-
                                                                    wendig und nicht flächendeckend verbreitet. Ein
                                                                    Teil der Partikel gelangt im Klärschlamm als Dünger
                                                                    wieder auf landwirtschaftliche Flächen und über
                                                                    Nahrungsmittel letztlich in unseren Organismus.

                 Life Blue Lakes — Mikro-
                 plastik in Gewässern
                                                                        Life Blue Lakes —
                                                                                        ­ ein Ansatz
             „Plastic Planet“ lautet der Titel eines Dokumentar-        auf verschiedenen Ebenen
             films von 2010 — Plastik ist allgegenwärtig. Ohne
             Kunststoff ist unser modernes Leben und Arbeiten       Gemeinsam mit italienischen Living Lakes-Partner-
             kaum vorstellbar. Doch das leichte und kosten-         organisationen und der Bodensee-Stiftung hat der
             günstige Material, das sich in jegliche Form bringen   GNF das Projekt Life Blue Lakes gestartet, um den
             lässt und in allen Lebensbereichen Einzug gehalten     Eintrag von Mikroplastik in unsere Gewässer zu
             hat, lässt zunehmend seine Schattenseiten sehen.       vermindern. Gefördert wird Blue Lakes vom Life-
             Neben riesigen Müllteppichen, die auf den Ozeanen      Programm der Europäischen Union. Die Partner
             dahintreiben, zeigt sich ein weiteres Problem erst     setzen exemplarische Maßnahmen am Bodensee
             unter dem Mikroskop: das sogenannte Mikroplastik.      und Chiemsee und drei weiteren Seen in Italien
             Je intensiver Wissenschaftler*innen danach suchen,     (Garda, Trasimeno und Bracciano) um.
             desto mehr finden sie — überall: im Wasser, im Bo-          Aktuell fehlt es noch an einheitlichen Normen
             den, in der Luft und sogar in unserem Essen. Der-      und Testverfahren zum Thema Mikroplastik. Im
             zeit erforschen sie die gesundheitlichen Folgen, die   Rahmen von Blue Lakes entwickeln italienische
             die winzigen Partikel für Mensch und Natur haben.      Expert*innen deshalb Standards, die helfen sollen,
                                                                    Verunreinigungen von Gewässern mit Mikroplastik
                                                                    genau zu erfassen. Zum Einsatz kommen sie zu-
                                                                    nächst in den beiden Pilotregionen Trasimeno und
                                                                    Bracciano. Auch die Bedeutung von Kläranlagen
                                                                    nehmen die Partner in den Blick: Sie entwickeln ein
TÄTIGKEITS-BERICHT 2020 - Global Nature Fund
Tätigkeitsbericht 2020                                 Global Nature Fund                                  Seite

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technisches Protokoll, das in einer Pilotanlage am
Gardasee getestet wird. Es soll helfen, Mikroplastik
im Verlauf des Klärprozesses effektiver aus dem
Wasser herauszuhalten. Auf politischer Ebene setzt
sich Blue Lakes dafür ein, rechtliche Rahmenbe-            Für mündige                                     Bild links:
dingungen so zu verbessern, dass die Produktion            Verbraucher*innen                               Der Abrieb von Reifen
und der Einsatz von Mikrokunststoffen wirksam                                                              macht laut Fraunhofer In-
                                                                                                           stitut für Umwelt-, Sicher-
reguliert und reduziert werden kann.                   Deutschland ist in Europa leider Spitzenreiter in
                                                                                                           heits- und Energietechnik
     Außerdem entwickeln die Projektpartner ge-        Sachen Plastikmüllproduktion, Tendenz stei-         den höchsten Anteil an
meinsam mit den Anrainergemeinden ein Seen-            gend. Ein wichtiges Vorhaben von Blue Lakes ist     Mikroplastik aus.
papier: eine freiwillige Selbstverpflichtung, Wege     deshalb eine Informations- und Aufklärungskam-
zu beschreiten, um die Mikroplastikbelastung           pagne für Konsument*innen. Mit kostenlosem In-      Bilder rechts:
zu verringern. Ein wichtiger Baustein dieser           fomaterial informiert der GNF darüber, was jede*r   Nutzen Sie Ihren Einfluss
Strategie ist der Kontakt zur Reifen-, Kosmetik-       Einzelne tun kann, um den Verbrauch von Plastik     als Verbraucher*in und
                                                                                                           fragen Sie nach Produk-
und Outdoorbranche: So wollen wir nicht gegen,         und Mikroplastik zu reduzieren. Dazu gehören
                                                                                                           ten ohne Kunststoffver-
sondern gemeinsam mit der Industrie Alternativen       einfach umzusetzende Tipps zur Plastikvermei-
                                                                       «
                                                                                                           packung.
zum Einsatz von Kunststoffen entwickeln. Alles mit     dung im Alltag.
einem Ziel: Mikropartikel aus Seen und Flüssen,
aber auch von unseren Tellern fernzuhalten.

                                                                                                           Fordern Sie Ihr kosten-
                                                                                                           loses Exemplar unseres
                                                                                                           Infoflyers zum Thema
                                                                                                           Mikroplastik mit Tipps zu
                                                                                                           dessen Vermeidung an.
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            10
     Mitglieder
     des Living Lakes-
     Netzwerks
Nordamerika
1    Columbia River Wetlands; Kanada                                                            5          3
2    Winnipeg See; Kanada                                                                                          2
3    Athabasca River; Kanada *                                                                         1
4    Huronsee; Kanada *                                                                                                  4
5    Skeena River; Kanada *
6    Mono Lake; USA                                                                         6
7    Chapala See; Mexiko
8    Ignacio Allende Reservoir; Mexiko
9    Laguna de Zapotlán; Mexiko
10   Amatitlán See; Guatemala
11   Atitlán See; Guatemala                                                                         7– 9

Südamerika                                                                                                 11 10
12   Laguna de Fúquene; Kolumbien
13   Totasee; Kolumbien                                                                                                      13
                                                                                                                        12
14   Titicaca See; Peru und Bolivien
15   Pantanal Feuchtgebiet; Brasilien,
     Bolivien und Paraguay
16   Lagunita Komplex; Paraguay
17   Laguna de Rocha; Uruguay
18   Mar Chiquita; Argentinien
19   Río Gallegos; Argentinien
                                                                                                                             14
                                                                                                                                    15
Europa
                                                                                                                                       16
20   Norfolk & Suffolk Broads; Großbritannien
21   Lake District; Großbritannien                                                                                                18
22   Albufera See; Spanien                                                                                                               17
23   Delta de Llobregat; Spanien
24   La Mancha Feuchtgebiete; Spanien
25   La Nava; Spanien
26   Salobrar de Campos; Mallorca, Spanien
                                                                                                                                  19
27   Kolindsund Feuchtgebiete; Dänemark
28   Bodensee; Deutschland, Schweiz
     und Österreich
29   Chiemsee; Deutschland *
30   Dümmer; Deutschland *
31   Lausitzer Seenland; Deutschland *
32   Mindelsee; Deutschland *
33   Oberschwäbische Seen; Deutschland *
34   Plauer See; Deutschland *
35   Schweriner See; Deutschland *
36   Seen der Holsteinischen Schweiz;
     Deutschland *                                 52   Nestos Seen und Lagunen; Griechenland         66   Jipesee; Kenia, Tansania *
37   Stechlinsee; Deutschland *                    53   Labanoras Regionalpark; Litauen               67   Kanyabolisee; Kenia *
38   Steinhuder Meer; Deutschland *                54   Peipsi See; Estland und Russland              68   Katwesee; Uganda *
39   Trasimeno See; Italien                        55   Võrtsjärv See; Estland                        69   Kiwusee; Demokratische Republik
40   Albaner See; Italien *                                                                                Kongo (DRC), Ruanda *
41   Bolsenasee; Italien *                         Afrika                                             70   Kyogasee; Uganda *
42   Bracciano See; Italien *                      56   Sonfon-See; Sierra Leone                      71   Mau-Wald; Kenia *
43   Colfiorito Feuchtgebiet und Park; Italien *   57   Nokoué-See; Benin                             72   Nabugabo-See; Uganda *
44   Gardasee; Italien *                           58   Ossa-See; Kamerun                             73   Naivashasee; Kenia *
45   Lago Maggiore; Italien *                      59   Viktoriasee; Kenia, Tansania und Uganda       74   Ol Bolossat See; Kenia *
46   Nemi See; Italien *                           60   Bogoriasee; Kenia *                           75   Rwihindasee; Burundi *
47   Ortasee; Italien *                            61   Bugesera Seenregion; Burundi *                76   Shompole Feuchtgebiet; Kenia, Tansania *
48   Piediluco See; Italien *                      62   Bujagali Falls; Uganda *                      77   Wamalasee; Uganda *
49   Vicosee; Italien *                            63   Bunyonyi-See; Uganda *                        78   Tanganjikasee; Burundi, Demokratische
50   Militscher Teiche; Polen                      64   Chalasee; Kenia *                                  Republik Kongo (DRC), Tansania, Sambia
51   Balaton (Plattensee); Ungarn                  65   Ihemasee; Ruanda *                            79   Malawisee; Tansania, Malawi, Mosambik
Tätigkeitsbericht 2020                                     Global Nature Fund                                             Seite

                                                                                                                                           11

                 55 54
               27   53
     21                                                                      92
        20      50                                               91 89
                                                   87
         28 – 38 51                                               90
               39 – 49 52        85 83                    88
 22– 26                     86
                                 84                                                                    98
                                                          108                               94
                                  82                                                   96         97
                                                                                            93
                                                        104
                                                                         105      95
                                                                       106

                                                                 107                              100–102
                                                                                   99
56
          57                                                    109
                58                                                 110
                                  59 –77                                                     103

                             78
                                  79

                       80

                                 81

                                                                                            111

                                                                  112

     80 Okavango Delta; Botsuana                        93 Poyang See; China                                107 Pulicat See; Indien
     81 St. Lucia See; Südafrika                        94 Chao See; China *                                108 Wular See; Indien
                                                        95 Dian See; China *                                109 Bolgoda See; Sri Lanka
     Asien                                              96 Dongting See; China *                            110 Maduganga See & Madampe
     82 Totes Meer; Israel, Jordanien, Palästina        97 Tai See; China *                                     See; Sri Lanka
     83 Paliastomi See; Georgien                        98 Biwa See; Japan
     84 Eğirdir-See; Türkei                             99 Tonle Sap See; Kambodscha                        Australien / Ozeanien
     85 Sapanca See; Türkei                             100 Laguna de Bay; Philippinen                      111 Wilson Inlet; Australien
     86 Uluabat See; Türkei                             101 Sampaloc See; Philippinen
     87 Tengis See; Kasachstan                          102 Taal See; Philippinen                           Antarktika
     88 Issyk-Kul See; Kirgisistan                      103 Jempang See & Mahakam                           112 Wostok-See; Antarktis
     89 Hovsgol See; Mongolei                                Feuchtgebiete; Indonesien
     90 Seen Ulaan, Airag, Khyargas, Angir-Nuden        104 Deh Akro Feuchtgebiete; Pakistan
        Mondohei; Mongolei                              105	Sundarbans Feuchtgebiete und Man­
     91 Uvs See; Mongolei                                    grovenwälder; Bangladesch, Indien              * Mitglied eines nationalen oder
     92 Baikalsee; Russland                             106 Chilika See; Indien                               multinationalen Living Lakes-Netzwerks.
Seite            Nachhaltige Entwicklung

        12

„Die Pandemie macht uns auf
schmerzhafte Weise klar, dass
der Raubbau an der Natur zu
                                           Udo Gattenlöhner
                                           ist Agrarwissenschaftler
                                           und arbeitet seit 1999 für

weit gegangen ist“, konstatiert
                                           den GNF, seit 2001 als
                                           Geschäftsführer. Er koor-
                                           diniert verschiedene Pro-

Wolfgang Schäuble im Juli
                                           jekte für eine nachhaltige
                                           Entwicklung in Ländern
                                           des globalen Südens.

2020. Diese Einsicht treibt die            Moritz Konz

globalen Entwicklungsprojekte
                                           ist seit 2020 beim GNF
                                           und arbeitet an Lö­sun­gen
                                           für die Herausforderung

des GNF seit jeher an: Natur
                                           durch nicht nachhaltige
                                           Aquakultur in den Küsten-
                                           regionen Indiens und Ban-

und Umwelt schützen, Grund-
                                           gladesch.

                                           Thies Geertz

bedürfnisse von Menschen
                                           beschäftigt sich als Pro­
                                           jekt­manager des Global
                                           Nature Fund mit dem

absichern und die Resilienz
                                           Konzept integrierter Ge-
                                           meindeentwicklung in
                                           verschiedenen Ländern,

stärken. Das sind unsere Eck-
                                           in denen die Folgen des
                                           Klimawandels bereits
                                           spürbar sind.

pfeiler zukunftsorientierten
und gerechten Handelns.
Tätigkeitsbericht 2020                                 Global Nature Fund                                       Seite

                                                                                                                               13
    Nachhaltige Entwick­
    lung vor Ort: für Mensch
    und Natur
    Ein Bericht von Udo Gattenlöhner

Der ungebremste Klimawandel, der dramatische
Verlust der biologischen Vielfalt und die zunehmen-
de Zerstörung von Lebensräumen sind große globa-
le Herausforderungen und führen zu existentiellen
Bedrohungen, die zuallererst die ärmsten Menschen
der Welt treffen. Aber letztlich betreffen uns diese
Themen alle — Luftverschmutzung, Klimaverände-
rungen, militärische Konflikte, Migration, Pandemien
und viele andere Krisen machen nicht vor Länder-
grenzen halt, wie wir gerade im Jahr 2020 erfahren
mussten.

    Es geht bergauf
In den vergangenen Jahren hat sich der Bereich
Entwicklungszusammenarbeit des GNF äußerst
positiv entwickelt. Neben Spender*innen und För-
derern wie der EU Kommission, anderen Stiftungen
und Unternehmen hat uns vor allen die zunehmen-
de Unterstützung unserer Arbeit durch das Bundes-
ministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit
und Entwicklung (BMZ) auf globaler Ebene neue          Umwelt- und Naturschutz sowie nachhaltige Wirt-
Möglichkeiten eröffnet. Schlüsselbereiche der Pro-     schaftsweisen fördern, um dauerhaft effizient und
jektarbeit des GNF sind neben den ökologischen         wirkungsvoll zu sein.
Themen die Absicherung der Grundbedürfnisse von
                                                                                                                Kapitelbild:
Menschen in Gemeinden im ländlichen Raum und
                                                                                                                Indische Fischer an der
die Bildung. Weitere zentrale Ziele sind die Einhal-
                                                           Unsere Prinzipien: transparent und                   Küste Westbengalens;
tung von Menschenrechten, Verbesserung der Le-                                                                  im Hintergrund Mangro-
bensbedingungen und die Resilienz im Einklang mit          gemeinschaftlich                                     venwald.
dem Schutz von Natur und Umwelt. Geographische
                                                       Hier liegen die gesellschaftlichen und entwicklungs-
Schwerpunkte unseres Projektengagements lagen                                                                   Bild rechts:
                                                       politischen Stärken des GNF. Durch die jahrzehnte-
in Jordanien, Burundi, Tansania, Südafrika, Indien,                                                             Mit seinen Projekten zur
                                                       lange Kooperation mit Partnerorganisationen in           Integrierten Gemeinde-
Bangladesch, Kambodscha, Kolumbien, Mexiko,
                                                       vielen Ländern der Welt können wir eine erfolgreiche     entwicklung trägt der
Paraguay und der Dominikanischen Republik.
                                                       Entwicklungszusammenarbeit in Form einer vertrau-        GNF wie hier in Kambod-
                                                       ensvollen Partnerschaft auf Augenhöhe sicherstellen.     scha dazu bei, Menschen
                                                                                                                weltweit beim Spagat
                                                       Unsere Projekte werden immer gemeinsam mit den
                                                                                                                zwischen Ökonomie und
                                                       Menschen im jeweiligen Land auf partnerschaftlicher,
    Es geht nur global                                                                                          Ökologie zu unterstützen.
                                                       gleichberechtigter Basis geplant und umgesetzt.
Die großen Zukunftsprobleme unserer Gesellschaft            Die Schlüssel zum Erfolg in der Entwicklungs-
sind global: Der hohe Verbrauch fossiler Rohstoffe     zusammenarbeit des GNF sind transparente Ziele,
und die damit verbundenen Veränderungen des            jahrelange Erfahrung, Vertrauen und gegenseitiger
Klimas, die intensive Landwirtschaft und das un-       Respekt. Alle Projekte des GNF werden von unseren
gebremste Wirtschaftswachstum stellen unsere           Mitar-beiter*innen direkt und unmittelbar koordiniert
Lebensweise in Frage und bedrohen die Zukunft          und begleitet. Darüber hinaus versuchen wir immer,
kommender Generationen. Eine zukunftsorientierte       die Wirkungen und Erfolge unserer Aktivitäten zu
Entwicklungszusammenarbeit muss daher neben            messen und die Effizienz unserer Projekte zu erhö-
den Bedürfnissen der Menschen immer auch den           hen. Das ist langfristig der Schlüssel zu nachhaltiger
                                                       positiver Veränderung.  «
Seite                                  Nachhaltige Entwicklung

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                                                                  hin nach Bangladesch erstreckt. Das einzigartige
                                                                  Ökosystem, in dem die letzten wilden Exemplare
                                                                  des Bengalischen Tigers leben, wird durch intensive
                                                                  Garnelenzucht stark unter Druck gesetzt: Für die
                                                                  Aquakultur-Teiche werden große Flächen benötigt,
                                                                  weswegen in beträchtlichem Umfang Mangroven-
                                                                  wälder zerstört werden.

                                                                      Mangroven: effizient gegen
                                                                      den Klimawandel

                                                                  Dabei erfüllen Mangroven eine äußerst wichtige
                                                                  Funktion für unseren Planeten. Neben dem Binden
                                                                  großer Mengen an Klimagasen wie CO² halten ihre
                                                                  verzweigten Wurzeln, die wie Stelzen im Wasser
                                                                  stehen, wertvolle Sedimente zurück und dienen als
                                                                  Laichplatz und Kinderstube für unzählige Meeres-
                                                                  fische. Die Wurzelstrukturen stabilisieren so die
                                                                  empfindlichen Küstenzonen und schützen dadurch
                                                                  die Lebensgrundlagen der Menschen vor Ort —
                                                                  auch vor tropischen Stürmen und Tsunamis, die eine
                                                                  wachsende Bedrohung darstellen. Aus sozial-ökolo-
                                                                  gischer Perspektive ist es ein Dilemma: Die Garne-
                                                                  lenzucht ist aus der Region nicht mehr wegzuden-
                                                                  ken, da sie die Existenz vieler Kleinbäuerinnen und

                 Nachhaltige Aquakultur                           Kleinbauern sichert und für Indien und Bangladesch
                                                                  ein wichtiges Exportgeschäft darstellt. Deswegen
                 und Küstenschutz in                              hat der GNF in Kooperation mit Naturland und un-

                 Indien und Bangladesch                           seren lokalen Partnern NEWS und BEDS sowie mit
                                                                  finanzieller Unterstützung vom Bundesministerium
                 Ein Bericht von Moritz Konz
                                                                  für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung
             Köstliche Garnelen — gegrillt, zur Pasta oder im     (BMZ) sowie der Daimler AG das Projekt SAIME ins
             Curry bei unserem Lieblingsasiaten. Kaum ein Fein-   Leben gerufen.
             schmecker mag sie nicht. Aber wo kommen diese
             Schrimps überhaupt her? Und zu welchem ökologi-
             schen Preis werden sie produziert?
                  Um das herauszufinden, schauen wir ins süd-         SAIME: ein Projekt,
             liche Asien. Hier werden weltweit die größten Men-       viele Partner
             gen an Garnelen in künstlich angelegten Teichen
             gezüchtet. Insbesondere artenreiche Flussdeltas,     SAIME (Sustainable Aquaculture in Mangrove Eco-
             oft mit ausgedehnten Mangrovenwäldern, eignen        systems) ist eine sogenannte Multi-Akteurs-Partner-
             sich perfekt zur Aquakultur der schmackhaften        schaft, die Vertreter*innen verschiedener Interessen-
             Krebstiere. Das gilt auch für die Sundarbans, das    gruppe an einen Tisch bringt: Politik, Wissenschaft,
             größte zusammenhängende Mangrovengebiet der          Zivilgesellschaft und Wirtschaft. Gemeinsam suchen
             Erde, das sich von der östlichen Küste Indiens bis   die Partner nach Lösungen, von denen alle — von
                                                                  der Kleinbäuerin bis zum verarbeitenden Betrieb —
                                                                  profitieren sollen. Auch den deutschen Einzelhandel
                                                                  bindet SAIME mit ein, denn die Kaufentscheidungen
                                                                  von Verbraucher*innen in Europa beeinflussen maß-
Tätigkeitsbericht 2020                                 Global Nature Fund                                   Seite

                                                                                                                          15
geblich die Garnelenzucht in Asien. Im Rahmen des           Wichtig ist auch, den Marktzugang der teil-
Projektes haben wir bereits innovative Lösungs-        nehmenden Farmer*innen zu verbessern, damit der
ansätze entwickelt, zum Beispiel die nachhaltige       Ansatz wirtschaftlich Erfolg hat und Verbreitung
Integrierte Mangroven Aquakultur (IMA). Bei dieser     findet. Deshalb suchen wir den Dialog mit dem
Kulturform werden Mangrovenbäume direkt in die         Lebensmitteleinzelhandel, um ökologisch verträg-     Bild links:
Garnelenteiche gepflanzt, um so vielfältige positive   lich produzierten Garnelen den Weg in die europä-    In einer Baumschule im
Synergieeffekte zu nutzen. Die Bäume stabilisieren     ischen Märkte zu ebnen. Je erfolgreicher wir dabei   indischen Westbengalen
                                                                                                            werden Mangrovensetz-
die Deiche, schützen die Teiche vor Flutereignissen    sind, desto mehr zerstörte Küstenstreifen können
                                                                                                            linge vorbereitet, um
und spenden Schatten. Das herabfallende Laub           wieder mit Mangroven bepflanzt und so dauerhaft      damit degradierte Küs-
bietet den Garnelen sogar Futter. Gleichzeitig er-     geschützt werden — im Einklang mit der Garnelen-
                                                              «
                                                                                                            tenwälder aufzuforsten.
höht sich die Biodiversität auf der Garnelenfarm.      zucht.
Die neu angelegten Pilotfarmen nutzen wir für das                                                           Bild rechts oben:
Training und die Inspiration von Kleinbäuerinnen                                                            Frauen in den Sundar-
und Kleinbauern im Umland. So wird das Wissen                                                               bans nehmen einen
                                                                                                            Fang in Augenschein.
weitergegeben.

                                                                                                            Bild rechts unten:
                                                                                                            Ein Krabbenfischer in
                                                                                                            den Sundarbans.
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                                                                          Entwicklungszusammenarbeit
                                                                          nach dem Prinzip Vielfalt

                                                                      Das ist keine leichte Aufgabe für die Menschen in
                                                                      einem Land im Aufbruch — und mit einer extrem
                                                                      ungleichen Verteilung von Arm und Reich. Deshalb
                                                                      ist es entscheidend, die ärmere ländliche Bevölke-
                                                                      rung in die Schutzmaßnahmen eng einzubinden und
                                                                      ihre Bedürfnisse nach wirtschaftlicher Entwicklung
                                                                      zu unterstützen. Genau darin besteht das Ziel der
                                                                      integrierten Gemeindeentwicklung, die der GNF in
                                                                      vielen ländlichen Gemeinden des globalen Südens
                                                                      umsetzt.
                                                                           Ein erfolgreiches Beispiel ist die Gumbi-Gemein-
                                                                      de im südafrikanischen KwaZulu-Natal. Gemeinsam
                                                                      mit Wildtrust unterstützen wir die Gumbi seit vielen
                                                                      Jahren beim Management eines Wildtierreservats
                                                                      und beim Aufbau touristischer Angebote, um Ein-
                                                                      nahmen aus dem sanften Tourismus zu generieren.
                                                                      Damit die gesamte Gemeinde von dieser Entwick-
                                                                      lung profitiert — was letztlich dem Tierschutz im
                                                                      Reservat nützt — haben wir im Jahr 2019 eine Was-
                                                                      serversorgung für die 5.000 Bewohner*innen und
                                                                      ihr Vieh geschaffen. Dadurch verkürzen sich die
                                                                      Wege zum Wasserholen deutlich und es bleibt ge-
                                                                      nügend Wasser für Vieh und Wildtiere, auch in der
                                                                      Trockenzeit. Außerdem haben wir ein Gemeinde-

                 Integrierte Gemeinde-                                zentrum errichtet, in dem die Menschen den Gemü-
                                                                      seanbau in Permakultur erlernen und Gemüsesetz-
                 entwicklung in Südafrika                             linge erwerben können. Fast 500 Teilnehmer*innen

                 und Kambodscha                                       belegen den Erfolg dieser Schulungen.
                                                                           Diesen Ansatz wollen wir von den Gemeinden
                 Ein Bericht von Thies Geertz
                                                                      auch auf die Schulen in KwaZulu-Natal übertragen
             „Armut ist kein Zufall. Genau wie Sklaverei und Apart-   und haben auch dort Gemüsegärten angelegt. In
             heid ist sie von Menschen gemacht und kann durch         einer weiteren Projektgemeinde unterstützen wir
             die Aktionen des Menschen beseitigt werden.“ Das         Viehzüchter dabei, ihr Weidemanagement mithilfe
             sagte Nelson Mandela einmal über sein Land. Süd-         eines Rotationssystems zu verbessern. Ziel ist es,
             afrika verfügt tatsächlich über einen unglaublichen      die Überweidung von wertvollen Flächen am Rande
             Reichtum — etwa an Bodenschätzen, aber auch an           des Maloti-Drakensberg Parks zu verringern. Gleich-
             Ökosystemen: von den fischreichen Gewässern bei          zeitig unterstützten wir die Viehzüchter*innen dabei,
             Kapstadt bis zu den Ausläufern der Ostafrikanischen      traditionelle Viehauktionen in ihrer Region wiederzu-
             Trockensavanne im Norden, die das weltweit größte        beleben. Wenn die Auktionen vor Ort stattfinden und
             Rückzugsgebiet für Nashörner bilden. Gemeinsam           nicht in der fünfzig Kilometer entfernten Kreisstadt,
             mit unserer Partnerorganisation Wildtrust und ge-        sparen die Züchter*innen die hohen Kosten für den
             fördert vom Bundesministerium für wirtschaftliche        Transport des Viehs. Dadurch steigen ihre Erlöse
             Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) und der             und die lokale Wertschöpfung. Drei Viehauktionen
             Stiftung Ursula Merz setzt sich der GNF für den Er­      konnten wir bereits organisieren, auf denen 129
             halt dieses einzigartigen Naturerbes ein.                Züchter*innen ihre Tiere zu einem fairen Preis ver-
                                                                      kaufen konnten. Die einkommenssteigernden Maß-
                                                                      nahmen schaffen Akzeptanz für die Schutzgebiete,
                                                                      in denen das Naturerbe Südafrikas bewahrt wird.
Tätigkeitsbericht 2020                                 Global Nature Fund                                     Seite

                                                                                                                             17
                                                       tungsmöglichkeit für Touristen anbieten, die sich
                                                       für die Lebensweise der Khmer und die Natur im
                                                       nahegelegenen Biosphärenreservat Tonle Sap inte-
                                                       ressieren. Beim Ausbau der Hütten als Unterkünfte
    Ein schwimmender Kiosk für                         unterstützen wir das Dorf, indem wir gemeinsam         Bild links:

    ein schwimmendes Dorf                              mit der Dorfverwaltung Regeln für umweltgerechten,     Das Somkhanda-Wildtier-
                                                       ethischen und nachhaltigen Tourismus entwickeln.       reservat in Südafrika
                                                                                                              beherbergt die „Big Five“.
Anderer Kontinent, gleiches Erfolgsprinzip: Auch im    Teile der Einnahmen aus dem Tourismus werden in
                                                                                                              Der GNF unterstützt die
schwimmenden Dorf Phat Sanday auf dem Tonle            neue Gemeindeprojekte investiert und kommen so         lokale Gumbi-Gemeinde
Sap-See in Kambodscha arbeitet der GNF gemein-         allen Bewohner*innen zugute. Neben dem Aufbau          beim Management des
sam mit seinem Partner FACT (Fisheries Action          einer touristischen Infrastruktur suchen wir Lösun-    Reservats und bei der
Coalition Team) an einer integrierten Gemeindeent-     gen für das Problem der ausufernden Verschmut-         wirtschaftlichen Entwick-
                                                                                                              lung.
wicklung. Mit der Unterstützung des BMZ und der        zung des Sees mit Plastikmüll: Gemeinsam mit FACT
Wilo-Foundation haben wir in dem Dorf einen            haben wir eine Müllsortier- und Wiederverwertungs-
                                                                                                              Bild rechts:
schwimmenden Trinkwasserkiosk gebaut. Dieser           station aufgebaut und für zunächst 140 Haushalte
                                                                                                              Das kambodschanische
versorgt rund eintausend Menschen mit sauberem         Mülltrennungsbehälter und eine regelmäßige Abfuhr      Dorf Phat Sanday am Tonle
Wasser. Der Vorteil des Kiosks liegt darin, dass das   per Boot eingeführt.                                   Sap-See ist um eine ökolo-
Wasser direkt aus dem See gepumpt und aufberei-              Das effiziente Zusammenwirken der verschie-      gisch sinnvolle Attraktion
tet werden kann — ohne aufwendige Wasserleitun-        denen Gemeindeentwicklungsmaßnahmen bietet             reicher: einen Wasserkiosk.
gen. Nach der Reinigung durch Ultrafiltration wird     den Menschen in den schwimmenden Dörfern eine
das Wasser direkt in 20-Liter-Kanister abgefüllt,      bessere Wertschöpfung und ermöglicht den lang-
auf die Boote der Bewohner*innen verladen und          fristigen Schutz ihrer Fischbestände und der einzig-
abtransportiert.                                       artigen biologischen Vielfalt der Region. Durch
     Das saubere Trinkwasser nutzt nicht nur den       diesen Ansatz verbinden wir Naturschutz und wirt-
Bewohner*innen von Phat Sanday. Es ist auch die        schaftliche Entwicklung — eine „Win-Win“-Situation
Grundvoraussetzung für die Entwicklung von natur-      für Mensch und Natur.  «
basiertem Tourismus als zweites wirtschaftliches
Standbein neben der Fischerei. Bislang sind nahezu
alle Menschen im Dorf ausschließlich von ihren Er-
trägen aus der Fischerei abhängig. Dank der neuen
Trinkwasserversorgung können mehrere Familien in
Phat Sanday schwimmende Hütten als Übernach-
Seite           Unternehmen & Biodiversität

        18

Immer mehr Unternehmen
in Deutschland und Europa
machen „Grün statt Grau“
                                              Stefan Hörmann
                                              ist Verwaltungswissen-
                                              schaftler und leitet beim

zum Teil ihrer Unterneh-
                                              Global Nature Fund den
                                              Bereich Unternehmen und
                                              Biodiversität sowie unser

mensstrategie. Nicht nur auf
                                              Bonner Büro.

                                              Martin Haustermann

dem eigenen Grundstück,
                                              ist Ingenieur und beschäf-
                                              tigt sich mit Umweltkosten,
                                              Lebenszyklusanalysen und

auch weltweit tragen sie Ver-
                                              dem nachhaltigen Anbau
                                              von Naturkautschuk.

antwortung für nachhaltige                    Ronja Volles
                                              ist Geographin und erar-

Lieferketten und biologische
                                              beitet in ihren Projekten
                                              Hilfestellungen zum Thema
                                              Wald- und Biodiversitäts-

Vielfalt. Wir beim GNF ent-
                                              schutz für Unternehmen.

wickeln gemeinsam mit den
                                              Tobias Ludes
                                              arbeitet als Projektmanager
                                              für den GNF und setzt sich

Unternehmen Strategien, wie
                                              für eine biodiversitäts-
                                              freundliche Landwirtschaft
                                              in Europa und weltweit ein.

sie dieser Verantwortung ge-                  Matthias Knüver

recht werden können.
                                              ist Umweltmanager und
                                              engagiert sich für die natur-
                                              nahe Gestaltung von Unter-
                                              nehmensstandorten und
                                              nachhaltige Landwirtschaft.
Tätigkeitsbericht 2020                                    Global Nature Fund                                     Seite

                                                                                                                                19
    Gemeinsam mit
    Unternehmen für bio-
    logische Vielfalt
    Ein Bericht von Stefan Hörmann

Seit drei Jahren engagieren wir uns im Projekt LIFE
Food & Biodiversity für mehr Biodiversitätsschutz in
der Lebensmittelbranche. Ein erfreuliches Ergebnis:
Namhafte Produzenten und Einzelhändler sowie
Akteure und Verbände aus der Landwirtschaft ha-
ben angekündigt, im Jahr 2021 eine Brancheninitia-
tive zur Biodiversität zu starten. Dabei verständigen
sie sich auf konkrete Ziele und einen Maßnahmen-
plan, um Insekten zu fördern, Böden zu schützen
und Gewässer zu schonen.
     Wichtig sind praktische Leitfäden und Instru-
mente, die sich in Strategien und Abläufe der Unter-
nehmen integrieren lassen. Zwei Beispiele, an denen
wir maßgeblich beteiligt sind:

1. Mit dem Leitfaden für Wald- und Klimaschutz
   erfahren Unternehmen, wie sie zur Wiederherstel-
   lung von Wäldern beitragen können, die für den
   Kampf gegen die Globale Erwärmung wesentlich
    sind: angefangen bei der naturnahen Gestaltung
    von Firmengeländen über Baumpflanzaktionen
    mit Mitarbeitenden bis hin zur nachhaltigen Liefer-
    kettengestaltung.

2. G
    astronom*innen können mittels eines Umwelt-          Preis, der den tatsächlichen ökologischen Gesamt-      Kapitelbild:
   kostenrechners erfassen, welche Schäden an             kosten dieses Gerichts entspricht.                     Natur aus dem Bilderbuch
   Klima, Wasser, Biodiversität und Ökosystemen                Das Schlüsselwort lautet Umweltkosten: Moder-     — Unternehmen profitie-
                                                                                                                 ren von intakten Öko-
   ein Lebensmittel und seine Erzeugung verursacht.       ne Modelle zu deren Bestimmung machen berechen-
                                                                                                                 systemen und beeinflus-
   Das Gute dabei: Sie erhalten Tipps zu Zutaten          bar, welchen Wert die ökologischen Ressourcen der      sen sie zugleich.
   und Menüs, die besonders umweltfreundlich sind.        Erde für uns bereithalten — und was es kostet, sie
                                                          zu verbrauchen. So sorgen die Rodung von Re-
Nicht nur Unternehmen, sondern auch Mitarbeiten-                                                                 Verkaufspreis und Um-
                                                          genwäldern zum Anbau von Futtermitteln und die         weltkosten im Verhältnis
de und interessierte Verbraucher*innen erhalten
                                                          Aufzucht und der Transport der Tiere dafür, dass       — wieviel sind wir für
zahlreiche Anregungen für einen nachhaltigen Le-
                                                          die Umweltkosten von Fleischgerichten deutlich         den Einfluss, den wir auf
bensstil. Zum Umweltkostenrechner haben wir                                                                      unsere Umwelt ausüben,
                                                          höher liegen als die vegetarischer oder veganer
einen praktischen Verbraucherleitfaden veröffent-                                                                bereit zu zahlen?
                                                          Speisen. Trotzdem zahlt der Gast im Imbiss für den
licht, der wertvolle Erkenntnisse zu den wahren
Kosten von Essen und Reisen beinhaltet.      «            vegetarischen Kebab mit Falafel aus Kichererbsen
                                                          nicht unbedingt weniger als für den mit Kalbfleisch,             + 2,50 €
                                                                                                                           Umweltkosten
                                                          obwohl die Umweltkosten für einen Falafel-Kebab
                                                          bei lediglich 20 Cent liegen.
                                                                                                                           3,50 €
    Versteckten Kosten                                         Diese und weitere Umweltkosten hat der GNF
                                                          im Projekt „Naturkapital im Hotel- und Gastgewerbe“
                                                                                                                           Döner Kebab

    auf der Spur                                          bewertet und für Unternehmen anwendbar gemacht.
                                                                                                                 6 Euro statt 3,50 — so
    Ein Bericht von Martin Haustermann                    Neben einem Leitfaden stellt der GNF Unternehmen       viel muss uns ein Döner
                                                          aus der Lebensmittelbranche und Gastronomie auch       Kebab wert sein, wenn
Ein Döner Kebab beim Imbiss um die Ecke kostet
                                                          Umweltkostenrechner zur praktischen Anwendung          wir für die ökologischen
3,50 €. Hätte es einen Einfluss auf unser Essver-                                                                Schäden aufkommen wol-
                                                          zur Verfügung. Die Maßnahmen werden vom Bun-
halten, wenn wir noch einmal 2,50 € draufschlagen                                                                len, die seine Produktion
                                                          desumweltministerium und dem Umweltbundesamt
müssten? Folgt man einem Berechnungsverfahren,
das sich in den letzten Jahren zunehmend durch-
                                                          gefördert.«                                            verursacht.

setzt, so handelt es sich dabei in etwa um den
Seite                                   Unternehmen & Biodiversität

        20
                                                                   weltministerium geförderten Projektes publiziert
                                                                   haben, macht deutlich, dass Kompensation nur eine
                                                                   von vielen Maßnahmen für den Ausgleich unver-
                                                                   meidbarer Umweltkosten bzw. Klimagasemissionen
                                                                   sein sollte. Und dass es zahlreiche Möglichkeiten
                                                                   für unternehmerisches Waldengagement gibt, die
                                                                   schädliche Umwelteinflüsse vermeiden, noch bevor
                                                                   sie entstehen.

                                                                       Waldschutz in der eigenen Liefer-
                                                                       kette und darüber hinaus

                                                                   Zu Beginn sind strukturelle Veränderung im Unter-
                                                                   nehmen essentiell, um die eigenen Lieferketten in
                                                                   den Fokus zu rücken und auf mehr Transparenz und
                                                                   Nachhaltigkeit auszurichten. Viele Branchen sind
                                                                   zumindest indirekt für den Verlust von Wäldern auf
                                                                   der ganzen Welt verantwortlich. Deshalb lohnt es
                                                                   sich für Unternehmen, gezielt auf Zulieferer zu set-
                                                                   zen, die über eine Zertifizierung nachweisen, dass
                                                                   sie nicht zur globalen Entwaldung beitragen. Das
                                                                   schützt nicht nur den Wald, sondern stärkt auch die
                                                                   eigene Reputation in Bezug auf Verantwortung und
                                                                   Nachhaltigkeit.
                                                                        Unternehmen können jedoch noch mehr für
                                                                   den Schutz des Waldes tun: zum Beispiel auf
                                                                   eigenen Firmengrundstücken Baumpflanzaktionen
                                                                   umsetzen. Auch Geld nachhaltig zu investieren und
                                                                   umweltfreundliche Kredite aufzunehmen, bietet

                 Hilfestellung für                                 Möglichkeiten, Wald zu schützen oder aufzuforsten.
                                                                        Gute Wiederaufforstung benötigt konkrete
                 Unternehmen im Wald-                              Kriterien und langfristige Planung. Es muss sicher-

                 und Klimaschutz                                   gestellt werden, dass neu gepflanzte Bäume nicht
                                                                   in zwanzig Jahren wieder abgeholzt werden. Das
                 Ein Bericht von Ronja Volles
                                                                   können wir beispielsweise erreichen, indem wir
                  Eine Möglichkeit, Umweltkosten auszugleichen,    die Bevölkerung, die den Wald in vielfältiger Weise
             sind sogenannte Kompensationsprojekte. Der GNF        nutzt, einbinden, weiterbilden und Menschen dabei
             unterstützt Unternehmen dabei, sich mittels solcher   unterstützen, sich alternative Einkommensquellen
             Modelle erfolgreich in den Waldschutz einzubrin-      zu erschließen. Neuer Wald sollte aus standortan-
             gen. Immer mehr Unternehmen wollen klimaneutral       gepassten Baumarten in hoher Artenvielfalt gebildet
             werden, also unterm Strich ohne CO²-Emissionen        werden, indem verschiedene heimische Arten mitei-
             wirtschaften. Mit der Unterstützung von Projekten,    nander kombiniert werden.
             die häufig in Entwicklungsländern umgesetzt wer-
             den, lassen sich dort Klimagase einsparen oder
             speichern.
                                                                       Faszination Wald
                  Angebote für solche Kompensationsmaßnah-
             men gibt es viele. Und gerade Waldprojekte sind       All das lohnt sich, denn Wälder sind ganz besonde-
             beliebt — aber welche sind wirklich förderwürdig?     re Ökosysteme und für das Überleben der Mensch-
             Unser neuer Leitfaden für Unternehmer*innen, den      heit unerlässlich: Sie speichern immense Mengen
             wir gemeinsam mit OroVerde im Rahmen eines vom        an CO², sind also essenziell für den Schutz unseres
             Bundesamt für Naturschutz und dem Bundesum-           Klimas. Wälder regulieren außerdem Wasserkreis-
                                                                   läufe, bewahren den Boden vor Erosion und regulie-
                                                                   ren das Mikroklima. Sie dienen der Erholung, ver-
Tätigkeitsbericht 2020                                 Global Nature Fund                                   Seite

                                                                                                                          21
bessern unsere Gesundheit und schaffen nach-           Erdbeerproduzent*innen im Blick zu behalten.
haltige Einkommen, z.B. durch Tourismus, durch         Dazu sollen Qualität und Ertrag verbessert,
Entnahme und Weiterverarbeitung von Rohstoffen         gleichzeitig aber negative Umweltauswirkungen
wie Holz, Kautschuk oder Kakao.    «                   reduziert werden. Dazu helfen die Projektpartner     Bild links:
                                                       den Farmer*innen dabei, besseren Anschluss an        Wer Waldprojekte unter-
                                                       Absatzmärkte für ihre Erdbeeren zu finden.           stützen möchte, sollte
                                                                                                            sich gut darüber infor-
                                                            Es freut uns, dass wir Madre Tierra mit un-
    Aktiv für mehr                                     seren Erfahrungen im Erstellen effizienter Biodi-
                                                                                                            mieren, welche wirklich
                                                                                                            sinnvoll sind. Dabei hilft
    Biodiversität                                      versitätspläne bereichern können. Im konkreten
                                                       Fall des Erdbeeranbaus legen wir das Augenmerk
                                                                                                            z.B. die Checkliste mit

    im Erdbeeranbau
                                                                                                            ökologischen und sozialen
                                                       vor allem auf den Schutz bestäubender Insekten,      Kriterien in unserem neuen
    Ein Bericht von Tobias Ludes                                                                            Leitfaden.
                                                       die für die Produktion besonders wichtig sind. Die
    und Matthias Knüver
                                                       Insekten ermöglichen den Erdbeerpflanzen erst
                                                                                                            Bild oben rechts:
                                                       die Fruchtbildung. So führt der Schutz ihrer Popu-
In der Region Maravatío im mexikanischen Bun-                                                               Die Früchte werden als
                                                       lation letztlich sowohl zu höheren Ertragsmengen     Dammkultur unter Folien-
desstaat Michoacán hat der Anbau von Erdbeeren
                                                       als auch zu besserer Qualität der Früchte. Die auf   tunneln produziert.
große Bedeutung — für viele Menschen ist er eine
                                                       Empfehlung des GNF umgesetzten Maßnahmen
lebenswichtige Einkommensquelle. Leider hat der
                                                       umfassen unter anderem das Pflanzen heimischer       Bild unten rechts:
Erdbeeranbau auch negative Auswirkungen auf
                                                       Hecken und Blühstreifen, um den Bestäubern           Erdbeeren aus Anbau in
die biologische Vielfalt vor Ort. Verunreinigungen                                                          Maravatío, Mexiko.
                                                       neue Lebensräume zu bieten. Gleichzeitig redu-
des Bodens durch Plastikabfälle, die bei der Pro-
                                                       zieren die Erzeuger*innen auf Grundlage unseres
duktion anfallen, und der Einsatz von Pflanzen-
                                                       BAP in einem genau bestimmten Umfang Pflan-
schutz- und Düngemitteln gefährden die biologi-
                                                       zenschutz- und Düngemittel, ohne den Ertrag an
sche Vielfalt. Umso wichtiger, dass zunehmend
                                                       Erdbeerfrüchten zu gefährden — eine Win-win-
ein Umdenken hin zu ökologisch verträglicheren
landwirtschaftlichen Praktiken stattfindet. Der GNF
                                                       Situation für Landwirtschaft und Umweltschutz. «
unterstützt seit 2019 ein Projekt, das diese positi-
ven Tendenzen fördert.
     Im Januar 2020 waren wir vor Ort in Maravatío,
um Schulungen von Berater*innen zur Methodik der
sogenannten Biodiversity Action Plans BAPs durch-
zuführen. Die Methode zeigt Farmer*innen konkrete
Möglichkeiten auf, ihre Landwirtschaft biodiversi-
tätsverträglich auszurichten und trotzdem renta-
bel zu wirtschaften. Die Schulungen sind Teil des
Projekts „Madre Tierra“, an dem sich zahlreiche
Unternehmen, unter anderem Danone, Altex und
Walmart, beteiligen. Gemeinsam mit der Deut-
schen Gesellschaft für Internationale Zusammen-
arbeit (GIZ) setzen wir uns für eine regenerative
Landwirtschaft im Erdbeeranbau in Mexiko ein.
Die Initiative zielt darauf ab, die bestehende bio-
logische Vielfalt zu schützen, bereits verlorene
Arten wiederanzusiedeln und dabei die soziale
und ökonomische Perspektive der mexikanischen
Seite                                                    Unternehmen & Biodiversität

           22

„Mehr als die Hälfte
aller Fairtrade-Produ-
zentenorganisationen
                                                                                    ven neu zu Fairtrade kommen, gibt es noch viel zu
                                                                                    verbessern. Beispiele sind die Reduktion des Pes-
                                                                                    tizideinsatzes in konventionellen Betrieben, verbes-

sind gleichzeitig Bio-
                                                                                    serte Bewässerungstechniken oder die Einfürung
                                                                                    einer organisierten Abfallentsorgung. Auch die

zertifiziert und auch
                                                                                    Bedeutung des Biodiversitätsschutzes ist nicht
                                                                                    jedem/r Produzent*in klar. Es gibt aber auch viele
                                                                                    positive Beispiele: Mehr als die Hälfte aller Fair-

viele konventionelle
                                                                                    trade-Produzentenorganisationen sind gleichzeitig
                                                                                    Bio-zertifiziert und auch viele konventionelle Betrie-

Betriebe haben sich
                                                                                    be haben sich bezüglich Umweltschutz über die
                                                                                    Zeit deutlich verbessert. Hier greift der Entwick-
                                                                                    lungsansatz von Fairtrade, also die schrittweise

bezüglich Umwelt-
                                                                                    Umsetzung von Umweltkriterien.

schutz über die Zeit                                                                Der Global Nature Fund ist seit 2016 Mitglied bei
                                                                                    Fairtrade. Welche Bedeutung hat für euch die Mit-

deutlich verbessert.“
                                                                                    wirkung des GNF?
                                                                                         Wir haben 36 Mitgliedsorganisationen; einige
                                                                                    seit der Gründung 1992, viele später dazugekom-
Martin Schüller im Interview mit Stefan Hörmann                                     mene und einige neuere. Der GNF gehört zu den
                                                                                    neueren und ist eine der aktivsten. Er hat viel dazu
                                                                                    beigetragen, dass das Thema Umwelt im Fairtrade-
                                                                                    System deutlich an Priorität gewonnen hat, und
                                                                                    zwar auf nationaler wie internationaler Ebene.

Martin Schüller              Fairtrade wird häufig als sozialer Standard wahr-
ist Agrar- und Umwelt-       genommen, der für faire Löhne und Arbeitsbedin-        Gemeinsam mit dem GNF engagiert ihr euch im
ingenieur. Seit 2010         gungen steht. Welche Bedeutung haben Umwelt-           „Initiativkreis Biodiversität in der Lebensmittel-
arbeitet er bei Transfair
                             aspekte im Fairtrade-Siegel?                           branche“ für den Schutz von Artenvielfalt und
e.V. als Referent für Ent-
wicklungspolitik sowie
                                  Fairtrade ist Teil einer globalen Bewegung für    Lebensräumen — warum?
für Standards & MEL          mehr Handelsgerechtigkeit. Ursprünglich spielten            Agrarökosysteme sind weltweit durch Klima-
(Monitoring, Evaluation      Umweltaspekte darin keine Rolle, aber das hat sich     wandel, Wassermangel und weitere Faktoren be-
and Learning)                geändert. Heute sind etwa ein Drittel der Standard-    droht, besonders in den ohnehin schon stärker
                             kriterien Umweltkriterien. Zwar stellen wir nach wie   betroffenen tropischen Ländern. Wenn Agraröko-
                             vor Kleinbäuerinnen und Kleinbauern sowie Arbei-       systeme kollabieren, ist die Lebensgrundlage von
                             ter*innen aus dem globalen Süden in den Mittel-        Kleinbäuerinnen und Kleinbauern zerstört. Oft ist
                             punkt, aber deren Lebensgrundlage ist unmittelbar      das die Folge von Umwelt- und Sozialdumping, also
                             von intakten Ökosystemen abhängig. Umweltas-           extrem niedrigen Erzeugerpreisen. Noch lange nicht
                             pekte haben deshalb eine zentrale Bedeutung.           alle Unternehmen der Lebensmittelbranche stellen
                                                                                    sich ihrer menschenrechtlichen Unternehmensver-
                                                                                    antwortung — und dazu gehört ausdrücklich auch
                             Geht das Engagement für faire Produktionsbedin-        die Umweltfrage in den Lieferketten, man spricht
                             gungen immer Hand in Hand mit dem Einsatz für          hier von „Environmental Due Diligence“. Das muss
                             Umweltschutz und biologische Vielfalt oder gibt es     sich ändern.
                             Fälle, in denen die Aspekte einander behindern?
                                  Ich würde nicht sagen, dass es immer Hand in
                             Hand geht. Dafür sind die Fairtrade-Produzenten-
                             organisationen zu unterschiedlich hinsichtlich ihres
                             Entwicklungsstandes. Vor allem, wenn Kooperati-
Tätigkeitsbericht 2020                                   Global Nature Fund                                   Seite

                                                                                                                         23

                                                                                                              Bild oben rechts:
                                                                                                              Martin Schüller, Fair-
                                                                                                              trade Deutschland /  
                                                                                                              TrainsFair e. V.

                                                                                                              Bild unten rechts:
                                                                                                              In Deutschland tragen
                                                                                                              alle Fairtrade-Bananen
                                                                                                              auch ein Bio-Siegel.

Zum Schluss: Wie entwickelt sich der Absatz von
Fairtrade-Produkten in Deutschland und weltweit?
     In Deutschland entwickelt sich Fairtrade positiv,
aber es gibt auch Länder mit Rückgängen — aller-
dings wegen äußerer Faktoren wie dem Brexit oder
COVID-19. Die Pandemie hat viele Produzent*innen
stark getroffen, über Nacht wurden Aufträge stor-
niert oder Lieferketten unterbrochen, zum Beispiel
weil Frachtschiffe festgesetzt wurden. Es wird einige
Zeit dauern, bis das überwunden sein wird. Insge-
samt scheint sich das Umfeld aber in eine Richtung
zu verändern, in der die Fairtrade-Themen an Be-
deutung gewinnen, Stichwort Lieferkettengesetz.    «

                                                         für Gruppen benachteiligter Erzeuger*innen in Län-
    Umweltschutz und                                     dern des Globalen Südens, etwa als Mitglied im

    Fairer Handel                                        Fair Rubber Verein für den fairen Handel von Pro-
                                                         dukten aus Naturlatex. Auf Projektebene ergänzt
    Ein Kommentar von Stefan Hörmann
                                                         sich der GNF ideal mit Partnern wie Femnet und
Als Umweltschutzorganisation hat der GNF das             Südwind-Institut, die ihre langjährige fundierte
Schubladendenken längst abgelegt. Wir wissen,            Expertise in Fragen von Arbeits- und Menschen-
dass soziale Verantwortung und der Schutz der                                  «
                                                         rechten mit uns teilen.
Umwelt — insbesondere biologischer Vielfalt —
eng miteinander verknüpft sind. Eine Erkenntnis,
die unsere Arbeit prägt.
     Das spiegelt sich in den Projekten und Koopera-
tionen des GNF wider: So sind wir seit fünf Jahren
aktives Mitglied bei Fairtrade Deutschland, um ei-
nen gerechten und ökologisch verantwortlichen
Handel zu fördern. Außerdem engagieren wir uns
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