Monat - Internationale Vernetzung 100 Jahre Behindertenbewegung - Die Zeitschrift - Österreichischer Behindertenrat

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Monat - Internationale Vernetzung 100 Jahre Behindertenbewegung - Die Zeitschrift - Österreichischer Behindertenrat
Die Zeitschrift
                     monat
                       Ausgabe 4/2018

                     Internationale Vernetzung
                     100 Jahre Behindertenbewegung
Foto: Lukas Ilgner

                         behindertenrat • www.behindertenrat.at • Aboservice Tel.: (01) 513 1 533 • Abo: 24,00 Euro /Ausland + Porto
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2   www.behindertenrat.at
Monat - Internationale Vernetzung 100 Jahre Behindertenbewegung - Die Zeitschrift - Österreichischer Behindertenrat
Foto: Privat
editorial
            D
                 as letzte „monat“ im Jahr 2018 steht im Zeichen der internationalen
                 Vernetzung. Durch die Österreichische EU-Ratspräsidentschaft
                 fanden mehrere internationale Konferenzen zum Thema Behin-
            derungen statt, zwei davon mitveranstaltet vom Behindertenrat. Die
            Konferenz Arbeit für Alle wird auf den Seiten 18 und 19 Revue passiert.
            Über die Themen des Board-Meetings des European Disability Forums
            (Europäisches Behindertenforum) können Sie sich auf den Seiten 20 bis
            24 informieren.

            Ein vielbesprochenes Thema, das die ganze Welt beschäftigt und weiter-
            hin beschäftigen wird, ist Digitalisierung und Künstliche Intelligenz. Es
            besteht die Chance auf gänzlich neue Möglichkeiten der Barrierefreiheit.
            Doch aufgrund fehlender Inklusion im Bildungsbereich haben viele Men-
            schen mit Behinderungen keinen Zugang zur Digitalisierung und drohen,
            abgehängt zu werden, was mich mit großer Sorge erfüllt.

            Blicken wir als Österreichischer Behindertenrat auf das letzte Regie-
            rungsjahr zurück, müssen wir eine zwiespältige Bilanz ziehen. Mit dem
            Sozialministerium gibt es aktuell eine sehr gute Zusammenarbeit. Auf
            Regierungsebene und mit anderen Ministerien müssen wir jedoch hart
            gegen Leistungskürzungen, gegen fehlende Kompetenz und für mehr
            Chance auf Partizipation der Interessenvertretungen für Menschen mit
            Behinderungen kämpfen.

            Zum Schluss möchte ich mich für das in uns gesetzte Vertrauen und für
            die gelungene Zusammenarbeit mit so vielen Akteuren im Behinderten-
            bereich im Jahr 2018 bedanken. 

                  Herzlichen Dank, schöne Feiertage und alles Gute im neuen Jahr!
                                                              Euer Herbert Pichler

                                                                     www.behindertenrat.at   3
Monat - Internationale Vernetzung 100 Jahre Behindertenbewegung - Die Zeitschrift - Österreichischer Behindertenrat
Nachrichten                                                                                              Ausgabe 4/2018

             DAS FEHLT               Freie Normenarbeit
              Von                    Barrierefreiheit bei ÖNORM B 1600
              Gabriele Sprengseis
                                                                                         Von Bernhard Bruckner

D   er Nationale Aktionsplan Be-
    hinderung (NAP) 2012-2020
kommt in die Jahre und braucht       E  nde 2017 wurde vom Österrei-
                                        chischen Institut für Bautechnik
eine zeitgemäße Erneuerung.          (OIB) ein Überarbeitungsantrag zur
Im Regierungsprogramm ist von        ÖNORM B 1600 (Norm zur bauli-
„Evaluierung und Weiterführung       chen Barrierefreiheit) bei Austrian
des NAP für den Zeitraum 2021        Standards International (ASI) einge-
bis 2030“ zu lesen. In den neuen     bracht. Dieser Überarbeitungsantrag
Aktionsplan müssen die Erkennt-      zielte darauf ab, die ÖNORM B 1600
nisse und Erfahrungen des alten      auf die deutlich schlechteren
Plans einfließen. Evaluierung        Barrierefreiheit-Standards der Län-
bedeutet, dass wissenschaftlich      der-Bauordnungen herab zu senken.
geprüft wird, wie die Umsetzung
funktioniert hat und was die         Begründet wurde dies vom Öster-
Maßnahmen in Bezug auf die           reichischen Institut für Bautechnik
Ziele der UN-Behindertenrechts-      damit, dass § 5 Abs 3 Normengesetz
konvention bewirkt haben. Denn       2016 besagt, dass Normen, sofern
die Ziele der UN-Behinderten-        sie geltenden Gesetzen oder Verord-
rechtskonvention sind die Basis      nungen widersprechen, unverzüglich
des NAP. Selbstverständlich sind     einer Überarbeitung zugeführt oder
Menschen mit Behinderungen in        gegebenenfalls zur Gänze zurückge-
diesen Prozess einzubeziehen,        zogen werden müssen.
um echte Partizipation zu                                                                      Foto: Pixabay / Gerd Altmann

gewährleisten.                       Im öffentlichen Stellungnahmever-
In Österreich spielen Auszeich-      fahren zu dem Überarbeitungsantrag     von DDr. Heinz Mayer, welches vom
nungen eine große Rolle. Viele       sprachen sich der Österreichische      Österreichischen Behindertenrat,
Frauen mit Behinderungen             Behindertenrat und andere Interes-     der Behindertenanwaltschaft und
leisten großartige Arbeit, sie       senvertretungen für Menschen mit       SLIÖ – Selbstbestimmt Leben Öster-
bleiben jedoch meist unsichtbar.     Behinderungen entschieden gegen        reich beauftragt wurde, konnte die
Folglich bleibt auch eine ent-       eine Anpassung der ÖNORM B 1600        Direktion von Austrian Standards
sprechende Würdigung aus. Es         an den Barrierefreiheitslevel der      International (ASI) davon überzeugt
fehlt ein eigener Preis für Frauen   Bauordnungen der Länder aus.           werden, dass die ÖNORM B 1600
mit Behinderungen. In Anleh-                                                einen höheren Standard an Barriere-
nung an den Her Abilities Award      Kern der Argumentation des Öster-      freiheit haben darf, als die Bauord-
oder dem Paritätischen Preis für     reichischen Behindertenrats war es,    nungen der Länder.
Frauen mit Behinderungen in          dass die ÖNORM keinen geringeren
Berlin könnte auch eine Aus-         Standard an Barrierefreiheit als die   Damit ist nun gesichert, dass sich
zeichnung in Österreich geschaf-     gesetzlichen Bestimmungen haben        die Normenarbeit wieder auf ihr
fen werden. Öffentliche Aner-        darf, eine Übererfüllung der gesetz-   ursprüngliches Ziel, nämlich die
kennung stärkt nicht nur das         lichen Vorgaben aber zulässig ist.     Abbildung des Stands der Technik
Selbstbewusstsein der einzelnen                                             konzentrieren kann und nicht am
Frau mit Behinderungen sondern       Nach monatelangen Diskussionen         Gängelband der Landesgesetz-
trägt zur Sensibilisierung in der    mit Austrian Standards Interna-        gebung hängt. 
Gesellschaft bei.                   tional (ASI) und mit Hilfe eines
                                     verfassungsrechtlichen Gutachtens

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Aus dem Inhalt                                                                                                    Ausgabe 4/2018

Editorial Herbert Pichler            3

Neue Mitglieder                      6

100 Jahre Behindertenbewegung        8

Angehörigenpflege in Österreich 10

Update: Erhöhte Familienbeihilfe 12

Österreich und die
Europäische Union                    16

Internationale Strategien für
einen inklusiven Arbeitsmarkt        18

Europa zu Gast in Wien               21

Weihnachtsempfang für
Menschen mit Behinderungen           26

"normal" leben für 6 Monate          28

Her Abilities Award                  30
                                                                    Foto: Riess 1991                        Foto: Gudrun Eigelsreiter

                                          D                                            D
 Liebe Leserin, lieber Leser!                  er Artikel von Volker Schönwiese             ie Vorstandssitzung des Euro-
 Wir wünschen Ihnen viel Spaß beim             zeigt einen Rückblick auf 100                päischen Behindertenforums
 Lesen des neuen Heftes und freuen             Jahre Behindertenbewegung in                 (EDF) findet immer in jenem
 uns über Ihre Rückmeldung an:            Österreich und den Weg zum Selbst-           Land statt, das gerade den Vorsitz
 presse@behindertenrat.at                 bestimmten Leben. Viele historische          der EU-Ratspräsidentschaft innehat.

 monat
                                          Vorgänge sind unbekannt, Erinne-             Daher wurde das EDF heuer nach
                                          rung droht verloren zu gehen.                Wien eingeladen.

     Gefördert aus den Mitteln des                             Seiten 8 bis 10                             Seiten 21 bis 23
     Sozialministeriums

IMPRESSUM: Medieninhaber: Österreichischer Behindertenrat · Herausgeber: Herbert Pichler · Redaktion:
Dr.in Gabriele Sprengseis (gs) - Mag.a Heidemarie Egger (he) · Adresse: 1100 Wien, Favoritenstraße 111/11, Tel.: 01
513 1533, Mail: presse@behindertenrat.at · Website: www.behindertenrat.at · Offenlegung nach dem Mediengesetz:
www.behindertenrat.at/impressum · Gestaltung, Anzeigenverkauf, Layout und Druck: Die Medienmacher GmbH ·
8151 Hitzendorf · Filiale: 4800 Attnang-Puchhheim, 07674 62 900, www.diemedienmacher.co.at Nachdruck nur nach
ausdrücklicher, schriftlicher Genehmigung der Redaktion gestattet. · Nicht alle Artikel entsprechen unbedingt der Mei-
nung der Redaktion. Wir haben das Ziel, eine möglichst breite Diskussionsbasis für behindertenpolitische Themen und
Standpunkte zu schaffen und die Sichtbarkeit von Menschen mit Behinderungen zu erhöhen. · Bankverbindung: easy-
bank, IBAN: AT85 1420 0200 1093 0600, BIC: EASYATW1 DVR 08 67594 · ZVR-Zahl: 413797266 · Erscheinungsort Wien.

                                                                                              www.behindertenrat.at               5
Monat - Internationale Vernetzung 100 Jahre Behindertenbewegung - Die Zeitschrift - Österreichischer Behindertenrat
Neue Mitglieder                                                                                              Ausgabe 4/2018

Verein v-OHR-laut

D
      er Verein v-OHR-laut hat            einiges in Sachen Hörbarrierefrei-
      2014 als Austauschgruppe            heit erreicht werden. Ein großes
      begonnen. Schnell stellte sich      Projekt von v-OHR-laut ist die
heraus, dass ein großes Vakuum bei        SchriftdolmetscherInnenausbildung.
der Unterstützung von Menschen            Da es in Westösterreich einen großen
mit Hörbeeinträchtigungen in Tirol        Mangel an geeigneten Schrift-
herrscht. 2015 wurde der Verein           dolmetscherInnen gab, wurde in
gegründet und regelmäßige Aus-            Kooperation mit dem BFI Innsbruck
tauschtreffen wurden veranstaltet,        ein Lehrgang konzipiert, der inzwi-
um unter anderem Hilfestellung zu         schen Standard in Österreich ist. Den
leisten. Auch Vorträge, Ausflüge,         Aufbaulehrgang absolvierten einige
sonstige gemeinsame Unterneh-             bereits tätige Dolmetscherinnnen
mungen und natürlich Beratungen           aus Österreich und Deutschland. Ins-     Vorstand von v-OHR-laut    Foto: v-OHR-laut
werden angeboten. Es gibt auch            gesamt schlossen 15 Teilnehmerinnen
eine sehr aktive Familiengruppe von       mit einem Diplom ab. Weiteres Pro-
hörbeeinträchtigten bzw. gehörlo-         jekt: demnächst wird ein neues und        Verein v-OHR-laut
sen Eltern und/oder Kindern.              innovatives Off- und Online-Schrift-      Interessenvertretung für
Der Verein ist im Österreichischen        dolmetschsystem gestartet. Obfrau         schwerhörige Menschen
Behindertenrat, Behindertenbeirat         von v-OHR-laut ist Ariane Pischl,         E-Mail: office@v-OHR-laut.at
Innsbruck, in der NutzerInnenver-         sie hat selbst eine Hörbehinderung,       Hallerstraße 109/1
tretung Tirol und auch in anderen         ebenso wie Kassier Mag. Andreas           6020 Innsbruck
Gremien aktiv. Durch Interventionen       Reinelt. Bernold Dörrer ist Schrift-      www.v-OHR-laut.at
und Schlichtungen konnte bereits          führer und nutzt einen Rollstuhl. 

Erzherzog-Johann-Gesellschaft
Initiativ für Kinder und Jugendliche mit Behinderungen
                                          Leben eintraten. Auch heute noch         Fachzeitschrift „behinderte men-
                                          ist es die Mission des Vereins zur       schen“. Zudem bieten wir finanzi-
                                          Verwirklichung von Inklusion und         elle und ideelle Unterstützung für
                                          Barrierefreiheit in allen Lebensberei-   Studierende aller Fachbereiche an,
                                          chen beizutragen. Die Organisation       welche sich im Rahmen ihrer Mas-

D
      ie Erzherzog-Johann-Gesell-         engagiert sich für eine Gesellschaft,    terarbeit oder Dissertation mit der
      schaft – Initiativ für Kinder und   in der Menschen mit Behinderungen        Verbesserung der Lebensqualität
      Jugendliche mit Behinderungen       auf einer rechtlich-politischen Ebene    von Menschen mit Behinderungen
entstand 2016 aus dem Zusammen-           als gleichberechtigte, selbstbestimmte   beschäftigen. 
schluss zweier gemeinnütziger Verei-      Bürger*innen anerkannt werden.
ne. Der Ursprungsverein Initiativ für     Dazu werden inklusive Begegnungs-         Erzherzog-Johann-
Kinder und Jugendliche mit Behin-         räume organisiert, in Form von            Gesellschaft
derungen entwickelte sich in den          Veranstaltungen, Workshops und            Initiativ für Kinder und
1970er Jahren aus dem Pioniergeist        Aktionen, mit dem Ziel, das öffentli-     Jugendliche mit Behinderungen
couragierter Eltern von Kindern und       che Bewusstsein für die Rechte von        Alberstraße 8, 8010 Graz
Jugendlichen mit Behinderungen, die       Menschen mit Behinderungen und            Tel: +43 316 327 936 11
für eine gleichberechtigte Teilhabe       ihre Potentiale zu stärken. Außerdem      E-Mail: initiativ@graz1.at
ihrer Kinder am gesellschaftlichen        ist Initiativ Mitherausgeber der          www.initiativ.or.at

6         www.behindertenrat.at
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Neue Mitglieder                                                                                         Ausgabe 4/2018

Selbsthilfe
Polyneuropathie
M
       ag. Franz Karl, Präsident der   gründet. Im März 2018 wurde Mag.
       Österreichischen Selbsthilfe    Franz Karl – vom Jörg Leiter (dama-
       Polyneuropathie, erinnert       liger Präsident) gebeten – Präsident
sich: „PNP – Polyneuropathie - ein     dieses Vereins zu werden. 2016
Wort, das mir vor 2000 kaum zu         wurde im Parlament eine Petition für
Ohren gekommen ist. 2007 begann        die Entwicklung eines Medikamentes
es – unsicheres Gehen und Kribbeln     gegen Polyneuropathie überreicht,
in den Füßen. Nach einer Mus-          die allerdings unbehandelt blieb
kel- und Nervenbiopsie war meine       und durch Auflösung des Nationalra-
Diagnose klar; Polyneuropathie und     tes „verfallen“ ist. Der Verein macht   Mag. Franz Karl		             Foto: Privat
Einschlusskörperchen-Myositis.“        Beratungsgespräche in Wien, NÖ und
Ärzte sagen 30% der Polyneuropa-       Salzburg, wo es auch Landesgruppen
thie seien auf Alkoholismus, 30%       gibt. Zu den gemeinsamen Aktivi-
auf Diabetes und 30% auf Chemo-        täten zählen Ausflüge, Feiern und
therapie zurückzuführen, bei 10%       Öffentlichkeitsarbeit. 
wisse man den Grund nicht - so auch
bei Herrn Karl.                         Selbsthilfe Polyneuropathie
Der Verein Österreichische Polyneu-     www.selbsthilfe-polyneuropathie.at; E-Mail: polyneuropathie@gmx.at
ropathie wurde im Oktober 2016 ge-      Tel: 0664 159 4113; Lagerstraße 5/2/7, 2460 Bruck/Leitha

                                                                                     www.behindertenrat.at            7
Monat - Internationale Vernetzung 100 Jahre Behindertenbewegung - Die Zeitschrift - Österreichischer Behindertenrat
Geschichte

Aktionstheater der AKN-Wien 1978, Aufführung in Innsbruck: Die Normalität tanzt und behinderte Menschen fallen.   Foto: IBN 1978

100 Jahre Behindertenbewegung
Österreich auf dem Weg zum Selbstbestimmten Leben                                                Von Volker Schönwiese

D
      ie Geschichte der Behinderten-      Ähnliches. Alle anderen behinderten        on in Kooperation mit ExpertInnen
      bewegung in Österreich ist bis-                                                (wie ÄrztInnen, Sonderschullehre-
      her wenig aufgearbeitet. Viele                                                 rInnen). Die zentrale Forderung war
historische Vorgänge sind unbekannt,                                                 „Arbeit nicht Mitleid“ und es ent-
Erinnerung droht verloren zu gehen.                                                  stand eine gewisse Nähe zu den
Ein Projekt zur Geschichte der                                                       Sozialdemokraten, die die Forderun-
Behindertenbewegung mit einem                                                        gen der Arbeitsgemeinschaft im
Schwerpunkt auf die Selbstbestimmt                                                   Parlament präsentierten. Angestrebt
                                          „Der Krüppel“ 1927-1938
Leben-Bewegung ist, von der Uni-                                                     wurde z.B. die Gleichstellung mit
versität Salzburg finanziert, durch       Personen waren nach dem Armen-             Kriegsgeschädigten und ein rechtli-
die digitale Bibliothek bidok.at an       und Heimatrecht minimalst versorgt         cher Anspruch auf Leistungen in
der Universität Innsbruck durch-          oder in Altenheimen, Versorgungs-          einem Bundesgesetz, um der
geführt worden.                           häusern oder Anstalten unterge-            Armenfürsorge zu entkommen. Die
                                          bracht. Siegfried Braun, der 1913          Arbeitsgemeinschaft setzte auf
Zwischenkriegszeit                        nach Wien zog und dort Unterstüt-          Sonderschulen, Heime und Werk-
Die Wurzeln der heutigen Bewegun-         zung nur in einem „Siechenhaus“ für        stätten, die als Bildungs- und
gen von Personen mit Behinderungen        sich finden konnte, war der wesent-        Rehabilitationsorte verstanden
sind in der Zeit nach dem Ersten          liche Gründer der "Krüppelarbeitsge-       wurden. Die Forderungen der
Weltkrieg zu finden. Kriegsopfer hat-     meinschaft / Vereinigung der               Krüppelarbeitsgemeinschaft ließen
ten noch während des ersten               Körperbehinderten Österreichs“. Die        sich in Österreich in seiner Entwick-
Weltkriegs bestimmte Leistungen           Gemeinschaft entwickelte sich in           lung in Richtung Dollfuss-Regime/
erkämpft, Personen mit Arbeitsunfäl-      den 20er- und 30er-Jahren des 20.          Austrofaschismus nicht umsetzen.
len oder -erkrankungen erreichten         Jhd. zu einer Selbsthilfeorganisati-       Die Krüppelarbeitsgemeinschaft

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gründete mehrere Werkstätten und       sierens verdrängt. Neuer Ausgangs-      Selbstbestimmt Leben auftrat.
versuchte so, selbst Arbeit zu         punkt war die BürgerInnenrechtsbe-      Menschenrechtliche Perspektiven
schaffen. 1938 passte sich die         wegung behinderter Menschen in          und Themen wurden in die politi-
Arbeitsgemeinschaft widerstandslos     den USA, die mit Demonstrationen,       schen Debatten einer Gesellschaft
den Nationalsozialisten an, in der     Blockaden und Klagen für die            eingeführt, die es bis dahin ge-
letzten Nummer der eigenen Zeit-       Schaffung von Voraussetzungen für       wohnt war, behinderte Menschen
schrift wurde dazu aufgerufen, für     ein selbstbestimmtes Leben eintrat.     als Objekte karitativer Fürsorge oder
den „Anschluss“ zu wählen. Unter                                               staatlicher Wohlfahrt zu betrachten.
nationalsozialistischer Herrschaft                                             Entmündigung, Isolation und Aus-
wurde aus dem Kampf um Arbeit                                                  sonderung sollten nicht länger hin-
eine Pflicht auf Leistung für die                                              genommen werden. Bald wurde klar,
„Volksgemeinschaft“, verbunden mit                                             dass das Ziel, Kontrolle über das
einem eugenischen Sterilisations-,                                             eigene Leben zu erhalten, nicht nur
Selektions- und Mordprogramm zur                                               über politische Aktionen erreicht
Auslöschung der weniger                                                        werden konnte. Einige Gruppen
Leistungsfähigen.                                                              gründeten in dieser verzweifelten
                                                                               Situation Selbsthilfeorganisationen,
Ab 1945                                                                        ähnlich wie nach dem Ersten Welt-
Nach dem Zweiten Weltkrieg ent-                                                krieg Selbsthilfegruppen TrägerInnen
standen neben der Fortführung                                                  von Werkstätten wurden.
traditionsreicher Selbsthilfeverbän-                                           Die neu gegründeten Zentren für
de (Zivilinvalidenverband, Blinden-                                            Selbstbestimmtes Leben boten als
verband, Gehörlosenverband) ab         Demonstrationen 1974                    Selbsthilfeorganisationen Peer
den 1970er-Jahren an Menschen-                                                 Counselling und Persönliche
rechten und Selbstbestimmung           Kontrolle über                          Assistenz statt Pflege und Betreu-
orientierte Selbsthilfebewegungen.     eigenes Leben                           ung an. Vielfach gab und gibt es
Sie wandten sich vom traditionellen    Aus der politischen Stimmung der        die Kooperation aller Organisati-
Wohlfahrtsmodell ab, forderten         1968er-Bewegung begann sich auch        onen der Behindertenbewegung
umfassende Gleichstellung und          im deutschsprachigen Raum eine          zur Durchsetzung von politischen
protestierten gegen Diskriminierung    kleinteilige Graswurzelbewegung         Reformen, im Gegensatz zur Zwi-
und Aussonderung. Sie gründeten        von Personen mit Behinderungen          schenkriegszeit gab es auch Erfolge.
Zentren für Selbstbestimmtes Leben     und ihrer Verbündeter zu entwickeln,    In den 1990er-Jahren wurden viele
und entwickelten eine Praxis von       die erst in den 1980er-Jahren als       Reformen in Angriff genommen, wie
Peer Counselling und Persönlicher
Assistenz. Diese neuen Behinderten-
bewegungen hatten und haben
starken Einfluss auf den Paradig-
menwechsel in Behindertenpolitik
und Behindertenhilfe, wie er sich in
der von der internationalen Selbst-
bestimmt Leben Bewegung initiier-
ten UN-Behindertenrechtskonventi-
on (2006) wiederspiegelt. Diesen
neuen Gruppen
war die Tradition der Selbsthilfe in
der Zwischenkriegszeit völlig unbe-
kannt, die Zwischenkriegszeit und
die Zeit des Nationalsozialismus
waren unter dem allgemeinen            Mahnwache vor Stephansdom
Schleier des Schweigens und Tabui-     Brozek (Wien), Schleser (Sbg), Schönwiese (Ibk)		                 Foto: Riess 1991

                                                                                       www.behindertenrat.at                9
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Pflege

die schulische Integration, Pflege-      schenrechtlich richtige Richtung,            dem Zurückdrehen dieser Errungen-
geldreform, Reform des Entmünd-          wurden allerdings in der Folge poli-         schaften orientiert und wenig an
igungsrechtes in Richtung Sachwal-       tisch weder konsequent umgesetzt             Umgestaltung in Richtung menschen-
terschaft, Unterbringungsgesetz          noch weiterentwickelt.                       rechtlicher Standards.
und die Verfassungsreform. All diese     Alle Regierungen ab Ende der
Initiativen verweisen in eine men-       1990er waren an Stagnation oder              Durch die Tätigkeit der Behinder-
                                                                                      tenbewegung über 100 Jahre im
                                                                                      Rahmen eines historischen Wandels
                                                                                      ist eine enorme Reform-Dynamik
                                                                                      in Gang gesetzt worden, deren
                                                                                      Höhepunkt die Verabschiedung der
                                                                                      UN-Behindertenrechtskonvention im
                                                                                      Jahr 2006 war.
                                                                                      Die Kämpfe um die Umsetzung und
                                                                                      Sicherung von Menschenrechten
                                                                                      dauern allerdings bis heute an. 

                                                                                       Weitere Infos
                                                                                       Zeitleiste, Archiv, Interviews
                                                                                       bidok.uibk.ac.at/projekte/
                                                                                       behindertenbewegung
Demonstration 2010 „Persönliche Assistenz für Alle“ Linz		           Foto: Karoliny

Angehörigenpflege in Österreich
Situation pflegender Angehöriger von Menschen mit Behinderung
                                                                 Von Martina Koller, Franz Kolland, Martin Nagl-Cupal

I
    m Auftrag des Sozialministeriums wurde an der Univer-
    sität Wien bis Mai 2018 eine Studie über die Situation
    pflegender Angehöriger in Österreich durchgeführt.
Ziel war es, ein möglichst umfassendes Bild dieser Perso-
nengruppe zu zeichnen.
In einem qualitativen Studienteil wurden Interviews mit
Angehörigen geführt, um zu analysieren, wie Pflege- und
Betreuungsnetzwerke entstehen und aufrechterhalten
werden. In einem quantitativen Studienteil wurden
mittels Fragebögen über 3.000 pflegende Angehörige von
BezieherInnen von Pflegegeld befragt. Es handelt sich
dabei sowohl um Angehörige von Menschen, die zu Hause                                            Foto: Andi Weiland/Gesellschaftsbilder.de
leben, als auch von Menschen, die in einer Einrichtung
betreut werden.                                              leben, gelegt werden. Dies entspricht in der Befragung
                                                             350 Personen.
In der folgenden Kurzdarstellung soll der Fokus auf
pflegende Angehörige von Menschen mit „angeborenen           Wer sind die Menschen, die zu Hause pflegen/betreuen?
Erkrankungen bzw. Fehlbildungen“ bzw. „mit einer geis-       Es handelt sich dabei zu fast drei Viertel um Eltern, nur
tigen Behinderung seit der Geburt oder dem Kindesalter“      ein sehr geringer Prozentsatz sind Partnerinnen bzw. Part-
(so die Bezeichnungen im Fragebogen), die zu Hause           ner oder Geschwister. Außerdem sind über 80 % dieser

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Angehörigen weiblich, was darauf schließen lässt, dass         Welche positiven Aspekte bringt die Pflege/Betreuung
es sich hauptsächlich um Mütter handelt, die Personen          mit sich?
mit Behinderungen pflegen. Im Schnitt sind pflegende           Angehörige assoziieren mit der Pflege und Betreuung
Angehörige in dieser Gruppe 54 Jahre alt, also tendenziell     eine Reihe positiver Aspekte. Am stärksten dabei ist die
etwas jünger als es pflegende Angehörige in der Gesamt-        intensive Beziehung zur gepflegten Person. Diese ist bei
studie sind. Nur rund 37 % der Befragten sind Voll- oder       Angehörigen von Menschen mit Behinderungen noch
Teilzeit erwerbstätig, ein nicht unwesentlicher Anteil von     stärker vorhanden als bei Angehörigen im Allgemeinen,
19 % ist im Haushalt tätig, 33 % der befragten Personen        genauso wie das Gefühl, sich durch die Pflege und Betreu-
sind pensioniert.                                              ung persönlich weiterentwickeln zu können. Ähnlich stark
                                                               wie in der Gesamtgruppe der Angehörigen fällt die Zustim-
Wie kann die Gruppe der betreuten Personen                     mung dazu aus, dass sie sich gebraucht fühlen.
charakterisiert werden?
Die betreuten Personen sind zu einem Großteil Minder-          Mit welchen negativen Aspekten sind pflegende
jährige oder junge Erwachsene, über die Hälfte sind maxi-      Angehörige konfrontiert?
mal 30 Jahre alt. Meist sind es Kinder der befragten, pfle-    Angehörigenpflege wird aber auch mit negativen Aus-
genden Angehörigen. Die meisten gepflegten Menschen            wirkungen assoziiert. Die am stärksten wahrgenommenen
mit Behinderungen haben eine Pflegegeldstufe zwischen          Auswirkungen sind „sich Sorgen machen“, das Gefühl,
3 und 5 (39 %), ein sehr hoher Prozentsatz befindet sich       „dass alles zu viel wird“ bzw. das Gefühl „alleine gelassen“
aber auch in den Stufen 6 bis 7 (35 %), welche den größ-       zu sein. Dies trifft bei Angehörigen von Menschen mit
ten Betreuungsaufwand mit sich bringen. Im Vergleich zur       Behinderungen tendenziell noch stärker zu, als bei Ange-
Gesamtheit, der im Rahmen der Studie erfassten, betreu-        hörigen im Allgemeinen.
ten Personen, haben Menschen mit einer Behinderung             Im Vergleich mit der Gesamtheit der pflegenden An-
deutlich höhere Pflegegeldstufen.                              gehörigen in Österreich zeigt sich, dass sich pflegende
                                                               Angehörige von Menschen mit Behinderungen allgemein
Was sind Motive für die Übernahme von                          stärker belastet fühlen. Die Befragung belegt, dass es
Pflege-/Betreuungsaufgaben?                                    für Angehörige, die einen Menschen mit Behinderungen
Der absolut größte Teil von rund drei Viertel der Befragten    pflegen bzw. betreuen am häufigsten die zeitlichen und
sieht die Übernahme der Pflege als selbstverständlich an.      die psychischen Belastungen sind, die als besonders stark
Rund 50 % empfindet aber auch eine Verpflichtung ge-           empfunden werden. Aber auch die körperliche Belastung
genüber der pflegebedürftigen Person. Ein Beweggrund,          und der Stress werden von jeweils mehr als der Hälfte der
der zwar auch bei pflegenden Angehörigen generell eine         Angehörigen als (sehr) stark wahrgenommen. Die finanzi-
hohe Relevanz hat, aber für Angehörige von Menschen mit        elle Belastung ist zwar aus Sicht der Angehörigen weniger
Behinderungen noch deutlich wichtiger ist, ist die starke      stark ausgeprägt als die anderen Belastungsarten, wird
emotionale Verbindung zur gepflegten Person.                   aber dennoch von fast der Hälfte als (sehr) stark gesehen.

Wie gehen pflegende Angehörige mit der                         Insgesamt kann festgehalten werden, dass die Gruppe
Pflege-/Betreuungssituation um?                                der pflegenden Angehörigen von Menschen mit Behin-
Die Analyse zeigt, dass ein großer Teil der Angehörigen        derungen in vielen Aspekten pflegenden Angehörigen im
von Menschen mit Behinderungen die Situation so akzep-         Allgemeinen sehr ähnlich ist. Dennoch zeigt sich anhand
tiert und das Gefühl hat, die Situation „im Griff“ zu haben.   der dargestellten Aspekte, dass es sich um eine Gruppe
Außerdem können weniger als die Hälfte außerhalb der           handelt, für die die Pflege bzw. Betreuung belastender
Betreuung abschalten und es bleibt nur rund einem Drittel      ist als für pflegende Angehörige im Allgemeinen. Deshalb
genügend Zeit für sich selbst. Die Studienergebnisse           sollte das Augenmerk darauf gelegt werden, wie pflegende
zeigen aber auch sehr deutlich, dass die sozialen Res-         Angehörige von Menschen mit Behinderungen in beson-
sourcen von pflegenden Angehörigen sehr gut ausgeprägt         derer Weise unterstützt werden können. 
sind. Dies bezieht sich vor allem auf die Familie, die stark
als emotionaler Rückhalt gesehen wird. Auch der Rück-
halt durch Freundinnen beziehungsweise Freunde wird              Weitere Infos
von vielen der pflegenden Angehörigen als eine wichtige          broschuerenservice.sozialministerium.at
Ressource angesehen.

                                                                                            www.behindertenrat.at       11
Beihilfen                                                                                                        Ausgabe 4/2018

Update: Erhöhte Familienbeihilfe
Wesentliche Änderungsvorschläge wurden übernommen                                            Von Bernhard Bruckner

O
       hne Vorwarnung wurde Men-
       schen mit Behinderungen im
       Sommer 2018 die erhöhte
Familienbeihilfe gestrichen. Hinter-
grund sind zwei Entscheidungen des
Verwaltungsgerichtshofes aus den
Jahren 2013 und 2016.
Umgehend wurde von der zuständi-
gen Ministerin Bogner-Strauß eine
Gesetzesreparatur angekündigt,
mit dem Ziel den ursprünglichen
Zustand wiederherzustellen und den
Eigenbezug von erhöhter Familien-
beihilfe von Menschen mit Behinde-
rungen wieder zu ermöglichen.
Die Gesetzesänderung wurde von
den Regierungsparteien mittels In-                                                       Foto: Andi Weiland / Gesellschaftsbilder.de

itiativantrag, und damit ohne öf-
fentliche Begutachtung, im Parla-      Organisationen von der ÖVP zu einem     nicht dazu führen, dass Menschen
ment eingebracht. Mit dem Geset-       Gespräch mit VertreterInnen aller       mit Behinderungen den Anspruch auf
zestext des Initiativantrags wurde     Parteien eingeladen. Bei dem Ge-        erhöhte Familienbeihilfe verlieren.
festgelegt, dass Personen nur dann     spräch konnten die Kritikpunkte zum     Weiters wurde gefordert, dass das
keinen Anspruch auf die (erhöhte)      Initiativantrag aufgezeigt werden.      Taschengeld, das Menschen mit
Familienbeihilfe haben, wenn deren     Daraufhin wurde den Interessenver-      Behinderungen für ihre Beschäf-
Lebensunterhalt zur Gänze aus öf-      tretungen von Menschen mit Behin-       tigung in Werkstätten erhalten,
fentlichen Mitteln getragen wird.      derungen versichert, dass sie in die    als eigener Beitrag zum Unterhalt
                                       Erarbeitung des Einführungserlasses     gewertet wird, damit diese Personen
Reparatur fehlgeschlagen               an die Finanzämter zur Neurege-         Anspruch auf erhöhte Familienbeihilfe
Die gesetzliche Klarstellung in        lung der erhöhten Familienbeihilfe      haben. Abschließend wurde gefordert,
diesem Punkt wurde von Behin-          eingebunden werden. Des Weiteren        dass es keinesfalls zu einer Rückfor-
dertenorganisationen begrüßt. Da       wurde ein regelmäßiges Monitoring       derung bereits ausbezahlter erhöhter
jedoch nebenbei auch einige neue       über die Entwicklung der Anzahl von     Familienbeihilfen kommen darf.
Bestimmungen eingefügt wurden,         Bezieher und Bezieherinnen erhöh-
konnte man damals von keiner wirk-     ter Familienbeihilfe zugesagt.          Größte Härten beseitigt
lich Reparatur sprechen. Aufgrund                                              Die wesentlichen Änderungsvor-
der unpräzisen Formulierung drohte     Stellungnahme                           schläge der Interessenvertretungen
sogar eine Verschlechterung für        Behindertenrat                          von Menschen mit Behinderungen
Menschen mit Behinderungen.            In seiner Stellungnahme zum Entwurf     wurden in den Erlass übernommen
                                       des Einführungserlasses forderte        und damit jedenfalls die größten
Einbindung und Monitoring              der Österreichische Behindertenrat      Härten für Menschen mit Behinde-
Nach einem gemeinsamen medialen        insbesondere, dass die Definition von   rungen beseitigt. Ob damit wirklich
Aufschrei vieler Interessenvertre-     „eigenständiger Haushaltsführung“       eine vollständige Reparatur des
tungen von Menschen mit Behinde-       an die Lebensrealität von Menschen      Familienlastenausgleichsgesetzes
rungen wurden der Österreichische      mit Behinderungen anzupassen ist.       gelungen ist, wird erst das beglei-
Behindertenrat und andere              Unterstützungsleistungen dürfen         tende Monitoring zeigen. 

12       www.behindertenrat.at
Monitoringausschuss                                                                                                       Ausgabe 4/2018

Kinder und Jugendliche
Öffentliche Sitzung von Tiroler- und Bundesmonitoringausschuss
                                                                                                                    Von Hannah Wahl
                                                                           ab Jänner 2019 monatlich treffen wird. Im Mittelpunkt
                                                                           stehen an diesem Tag auch personell die Kinder und
                                                                           Jugendlichen mit Behinderungen, die sich aktiv und
                                                                           engagiert an den verschiedenen Thementischen einbrin-
                                                                           gen und von ihren Erfahrungen erzählen. So berichten sie
                                                                           beispielsweise von der Schwierigkeit, nach der Schule eine
                                                                           Arbeitsstelle zu finden. Physische Barrieren machen es für
                                                                           viele am Land besonders schwer an den (Aus)bildungsort
Öffentliche Sitzung in Innsbruck   Foto: Monitoringausschuss Hannah Wahl   zu gelangen. Aber auch mit sozialen Barrieren kämpfen
                                                                           Kinder und Jugendliche mit Behinderungen.

A
      m 27. November 2018 fand die erste gemeinsame
      öffentliche Sitzung des Tiroler Monitoringausschusses                Ein Highlight war die Präsentation der Tiroler Jugend-
      und des Bundesmonitoringausschusses in Inns-                         gruppe, die ihren Film „Unsere Rechte“ erstmals der
bruck statt. Rund 150 Teilnehmerinnen und Teilnehmer                       Öffentlichkeit vorführte. Begleitet wurde das durch den
diskutierten über die Lebensrealitäten von Kindern und                     Landesschulrat sowie die Kinder- und Jugendanwaltschaft
Jugendlichen mit Behinderungen.                                            unterstützte Projekt von Sozialwissenschafterin Petra
Kinder und Jugendliche mit Behinderungen beschäftigen                      Flieger, die gegenüber der Tiroler Tageszeitung feststellt:
dieselben Themen wie Kinder und Jugendliche ohne                           „Bei der Suche nach Lösungen müssen Betroffene mitein-
Behinderungen: (Aus)Bildung und Beruf, Liebe und                           bezogen werden. Sie wollen für sich sprechen!“
Sexualität, alleine wohnen und viele weitere. „Oft wird                    Die Ergebnisse des partizipativen Prozesses bilden die
die Stimme von Kindern und Jugendlichen noch weniger                       Essenz für eine gemeinsame Stellungnahme vom Tiroler
gehört, als die von Erwachsenen“, gibt Erich Girlek vom                    Monitoringausschuss und dem Unabhängigen Monitoring-
Unabhängigen Monitoringausschuss zu bedenken.                              ausschuss des Bundes. Jeder, der nicht teilnehmen konnte,
Für Kinder und Jugendliche mit Behinderungen in Tirol                      hat noch einen Monat Zeit, um darauf schriftlich Stellung
gibt es aus diesem Grund eine Jugendgruppe, die sich                       zu nehmen. 

Menschenrechte
10 Jahre UN-Behindertenrechtskonvention			                                                                    Von Heidemarie Egger

E
     s gibt ja schon Menschenrechte,           UN-BRK die Leitlinie vor. Aufgrund               wenn sie an etwas teilhaben dürfen
     wozu eigentlich so eine „Extra“           der Komplexität des Themas Behin-                und auch mal akzeptieren, wenn
     Sammlung von Rechten von                  derung sind sich auch die Interessen-            etwas nicht geht. Warum pochen alle
Menschen mit Behinderungen? Weil               vertretungen nicht immer über den                immer darauf und thematisieren, wie
das Thema Behinderung kompliziert,             richtigen Weg einig. Die UN-BRK setzt            lange die UN-BRK schon in Kraft ist
vielfältig und individuell ist. Vieles         den Rahmen und schützt davor, sich               in Österreich? Weil Rechte zu haben,
was gut gemeint ist, kann schnell in           immer wieder in Grundsatzdiskussio-              nichts ist, worum man betteln müssen
die falsche Richtung führen.                   nen zu verlieren.                                sollte und wofür man dankbar sein
                                                                                                sollte. Die UN-BRK ist ein Vertrag
Die Sicht auf das Leben mit Behin-             Vielen Menschen mit Behinderungen                darüber, dass alle teilhaben sollen
derungen entwickelt sich stetig und            sind ihre Rechte nicht bewusst. Sie              und bietet Wegbeschreibungen und
es wird immer normaler ein Leben               bekommen von klein an gesagt, sie                Spielregeln, was das genau heißt. Die
mit Behinderungen zu führen. Nicht             sollen doch zufrieden sein, wenn man             Umsetzung des Vertrages wird geprüft
zuletzt gibt für diese Entwicklung die         sich um sie kümmert, dankbar sein,               und auch eingemahnt. 

                                                                                                       www.behindertenrat.at       13
Projekt                                                                                                                 Ausgabe 4/2018

Inklusives Wohnen in Europa
Personenzentriertes Arbeiten: Projekt TOPHOUSE
                                                                                                           Von Wolfgang Bamberg

                                                                         Denn eine Bestandsaufnahme zeigt, dass in vielen Fällen
                                                                         die bisherigen Wohnvergabe- und Bedarfserhebungs-
                                                                         systeme nicht ausreichend geeignet sind. Die aktuellen
                                                                         und komplexer werdenden Anforderungen der Nutzer
                                                                         und Nutzerinnen werden nicht ausreichend berücksichtigt.

                                                                         Unter der Koordination der Essl-Stiftung und EASPD,
                                                                         dem europäischen Dachverband für soziale Dienstleis-
                                                                         tungsorganisationen, sind die Organisationen Jugend
                                                                         am Werk (Österreich), Homeless Link (England), Irish
                                                                         Council for Social Housing (Irland), ASPA Foundation
                                                                         (Finnland) und Support (Spanien) Projektpartner.

Wohngemeinschaft Engerthstraße                                           Im Projekt TOPHOUSE wird eine Studie zu Best-Practice-
                                   Foto: Kollektiv Fischka/fischka.com
                                                                         Beispielen im Bereich des inklusiven Wohnens und der
                                                                         Unterstützungsysteme erarbeitet. Es wird ein Überblick

I
    m europäischen Partnerschaftsprojekt TOPHOUSE                        über bestehende Praktiken auf europäischer Ebene
    stehen die Stärkung der Kompetenzen von Mit-                         entstehen. Außerdem werden konkrete Handlungsemp-
    arbeiterinnen und Mitarbeitern in den Bereichen                      fehlungen zu den Themen: Erhebung der individuellen
Beratung, Assessment und Unterstützungsleistungen im                     Bedürfnisse und Rechte, individuelle Wohnungsvergabe,
Vordergrund. Sie erweitern ihr Wissen, um Personen mit                   Bedarfserhebung für Unterstützungsleistungen und
Unterstützungsbedarf personenzentriert zu beraten und                    Entwicklung einer bereichsübergreifenden Zusammenar-
zu begleiten.                                                            beit erarbeitet. Als weiteres Ergebnis ist die Entwicklung
                                                                         eines Lehrgangs beziehungsweise von Weiterbildungs-
Ziel des im Rahmen von Erasmus+ geförderten Projekts                     modulen für Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in den
TOPHOUSE (TOPHOUSE steht für „Towards Person Centred                     Bereichen Beratung, Assessment und Unterstützung ge-
Housing and Support in Europe“) ist es, personenzen-                     plant sowie die Zusammenstellung konkreter Methoden
triertes Arbeiten in die tägliche Praxis von Organisa-                   zur Umsetzung von personenzentrierter Unterstützung.
tionen, Ämtern und Behörden sowie Fördergebern zu
integrieren. Vor diesem Hintergrund werden bestehende                    Jugend am Werk wird Mitte des Jahres 2019 eine Infor-
Systeme für die Vergabe und die Bedarfserhebung für                      mationsveranstaltung über das Projekt und dessen bis-
Wohnangebote hinterfragt, beziehungsweise neu defi-                      herige Ergebnisse veranstalten. Interessierte Personen
niert. Ausgangpunkt für den Start dieses Projekts sind                   können sich bereits jetzt dafür anmelden. 
die Fortschritte in der Sozialpolitik, die auch zu einer
gesteigerten Nachfrage und Bedarf an sozialem Woh-
nungsbau geführt haben.                                                   Projekt TOPHOUSE
                                                                          Information/Anmeldung Informationsveranstaltung:
Das Projekt TOPHOUSE dauert von Dezember 2017 bis                         Daniela Erber: daniela.erber@jaw.at
Dezember 2019. Es soll erreicht werden, dass die Kompe-
tenzen von Fachkräften im Bereich der Bedarfserhebung
für Wohnangebote sowie in der Unterstützung definiert
und ihre Fähigkeiten gestärkt werden. Entscheidend
sind dabei die Menschenrechte und die Bedürfnisse von
ausgrenzungsgefährdeten Personen, insbesondere von
Personen mit einer Behinderung.

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International                                                                                                   Ausgabe 4/2018

Inklusive Freiwilligeneinsätze
Lasst Euch von niemandem sagen, ihr könnt das nicht machen!
                                                                                                     Von Kristofer Lengert

E
    ine Zeit lang im Ausland leben,
    eine andere Kultur kennenlernen,
    in einem sozialen Projekt mitar-
beiten – diesen Wunsch haben viele.
Lange Zeit waren internationale
Freiwilligendienste aber nicht inklusiv
ausgerichtet. Das zu ändern, daran
arbeitet die Servicestelle WeltWeg-
Weiser. Mit Erfolg.

WeltWegWeiser ist eine Servicestelle
für internationale Freiwilligeneinsät-
ze, angesiedelt bei Jugend Eine Welt.
Sie berät Interessierte bei der Suche     Erwin Buchberger im Einsatz an einer Schule in Lettland             Foto: WeltWegWeiser
nach Möglichkeiten für sinnstiftendes
Engagement in Ländern des Globalen        Schule: „Ich bin Pfadfinder. Dass ich      Behinderungen, Lernschwierigkeiten,
Südens. Im Jahr 2017 wurde hier ein       einen Rollstuhl verwende und im            Diabetes, Epilepsie und psychischen
Pilotprojekt zur Förderung von Inklu-     Alltag persönliche Assistenz brauche,      Vorerkrankungen gefördert. Aber
sion ins Leben gerufen.                   hat mich nicht daran gehindert, mich       auch Menschen mit ganz anderen
                                          dieser Herausforderung zu stellen.         Behinderungen sind herzlich
Gemeinsam mit dem Verein Grenzen-         Das war eine gute Erfahrung und sehr       willkommen.
los und der Organisation Internatio-      gut für mein Selbstvertrauen.“
nale Freiwilligeneinsätze machte sich                                                Inklusive Freiwilligeneinsätze ermög-
WeltWegWeiser daran, die Rahmen-          Heute arbeitet Buchberger bei Welt-        lichen nicht nur für die Freiwilligen
bedingungen für Freiwilligeneinsätze      WegWeiser, um andere Menschen mit          selbst prägende Lebenserfahrungen.
für Menschen mit Behinderungen zu         Behinderungen zu unterstützen, ähn-        Sie haben auch eine entwicklungs-
verbessern. Eineinhalb Jahre später       liche Erfahrungen machen zu können:        politische Dimension: Freiwillige mit
haben neun Entsendeorganisationen         „Wir beraten zu den Möglichkeiten          Behinderungen können vor Ort eine
im WeltWegWeiser-Netzwerk inklusive       eines Freiwilligeneinsatzes. Dabei         Vorbildfunktion haben. So können
Programme. Sie bieten vielfältige         schauen wir uns an, was eine Person        sie dazu beitragen, die Rechte von
Möglichkeiten freiwilligen Engage-        machen möchte, was sie kann, was           Menschen mit Behinderungen auf
ments in Afrika, Asien und Latein-        ihre Stärken sind. Außerdem fragen         globaler Ebene zu stärken. 
amerika von Kinderbetreuung über          wir nach, was eine Person braucht,
Peer-to-Peer-Beratung bis hin zu          damit der Einsatz gut gelingen kann:
handwerklichen Tätigkeiten für Men-       Braucht sie Unterstützung oder eine
schen mit und ohne Behinderungen.         barrierefreie Unterkunft? Dann helfen
                                          wir bei der Organisation und Finan-          Weitere Infos
Ein Auslandseinsatz ist eine wichtige     zierung solcher Bedarfe.“                    WeltWegWeiser -
Lernerfahrung, welche das Leben in                                                     Servicestelle für internationale
positiver Weise nachhaltig verändern      Ziel ist es, niemanden aufgrund einer        Freiwilligeneinsätze
kann. Erwin Buchberger war vor Jah-       Behinderung von einem Freiwilligen-          Tel. +43 664 621 7044
ren selbst als Freiwilliger im Ausland.   dienst in einem anderen Land aus-            Erwin.Buchberger@
In Lettland unterstützte er den Un-       zuschließen. So wurden im Rahmen             jugendeinewelt.at
terricht und die Nachmittagsbetreu-       des Pilotprojekts bereits Einsätze           www.weltwegweiser.at
ung von Kindern einer integrativen        von Freiwilligen mit körperlichen

                                                                                             www.behindertenrat.at          15
International

Österreich
und die
Europäische
Union
              Aus „einfach informiert“

E uropa besteht aus 50 Staaten.
  28 dieser europäischen Staaten
arbeiten eng zusammen.
Das ist die Europäische Union
(kurz: EU). Alle Mitglieder haben
gemeinsame Ziele.

Zu den Zielen der Europäischen
Union gehört es zum Beispiel, den
Frieden in Europa zu sichern. Und
es soll keine Grenzen zwischen den
einzelnen Ländern geben.
Man soll Waren in alle Länder
der EU verkaufen können. Und
ganz wichtig ist eine gemeinsame
Währung. In 19 Ländern der EU
kann man mit dem Euro bezahlen.          EU Staaten in Europa					                         Foto: Lebenshilfe Bremen

Das war der Anfang
Vor etwas mehr als 60 Jahren haben sechs europäische Staaten beschlossen, in wirtschaftlichen
Angelegenheiten enger zusammen zu arbeiten. Dadurch sollten auch Kriege zwischen den Ländern
verhindert werden. Und die Zusammen-Arbeit sollte mehr Wohlstand für die Bürger bringen.

Den Vertrag für die Zusammen-Arbeit haben damals die Länder Belgien, Frankreich, Italien, Luxemburg,
die Niederlande und Deutschland unterschrieben.
Viele andere Länder sind später noch dazu gekommen.

Österreich gehört zur EU
Im Jahr 1992 hat man einen neuen Vertrag gemacht und die Europäische Union gegründet.
Österreich gehört seit dem Jahr 1995 zur EU. In der EU gibt es eine enge politische Zusammen-Arbeit
für die Wirtschaft und für die Sicherheit. Aber auch für die Rechte der Bürger. Bürger aus der EU dürfen
zum Beispiel ganz einfach in alle Länder der EU reisen und dort auch arbeiten.

Die Europäische Kommission
Die Regierung von der EU heißt Europäische Kommission.
Der Regierungs-Sitz ist in Brüssel. Brüssel ist die Hauptstadt vom Land Belgien.

16      www.behindertenrat.at
Ausgabe 4/2018

Die Mitglieder der EU-Regierung heißen Kommissare.
Jeder Kommissar kümmert sich um ein bestimmtes Thema.
Wichtige Themen sind zum Beispiel Bildung oder Klimaschutz.
Es gibt noch sehr viele wichtige Themen.

Gemeinsame Gesetze für die EU
Im Rat der Europäischen Union kommen die Minister aus allen EU-Ländern zusammen.
Sie diskutieren, ändern und beschließen Gesetze gemeinsam mit dem Europäischen Parlament.

Der Sitz des Europäischen Parlaments ist in Straßburg. Straßburg ist eine Stadt in Frankreich.

Der Rats-Vorsitz
Der Vorsitz im Rat der Europäischen Union wechselt alle 6 Monate.
Wer den Vorsitz hat, leitet die Besprechungen.

Am 1. Juli 2018 hat Österreich den Vorsitz übernommen. Das nennt man auch EU-Rats-Präsidentschaft.
Sie dauerte bis zum 31. Dezember 2018.
Und es hat zusätzliche Aufgaben und Pflichten für Österreich bei der Mitarbeit in der EU gegeben.

Österreichische EU-Präsidentschaft
Im Rat treffen sich die Regierungs-Chefs und Minister der 28 Mitglieder-Länder.
Sie beraten über wichtige politische und wirtschaftliche Themen.

Österreich hatte folgende Schwerpunkte für die Beratungen festgesetzt:
• Migration, das ist die Zuwanderung von Flüchtlingen
• EU-Budget, das ist die Planung von Einnahmen und Ausgaben
• Brexit, dabei geht es um den Austritt von Großbritannien aus der EU
• Sicherheit und noch vieles mehr
Rumänien übernimmt den Vorsitz im EU-Rat
Ab 1. Jänner 2019 wurde der Vorsitz im EU-Rat von Rumänien übernommen.
Rumänien ist ein Land in Ost-Europa. Die Hauptstadt heißt Bukarest. Rumänien ist ungefähr 3 Mal so
groß wie Österreich.

In Rumänien leben sehr viele Menschen in großer Armut. Besonders am Land. In den großen Städten
ist es etwas besser. Hier verdienen die Leute auch etwas mehr. Sie bekommen für ihre Arbeit aber immer
noch viel weniger Geld als die Menschen in Österreich. 

 „einfach informiert - Meine leicht verständliche Zeitung“
 ist für alle Menschen gedacht, die schwierige Sprache nicht gut verstehen.
 Die Zeitung kann man abonnieren:
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International

Ministerin Hartinger-Klein mit Behindertenratspräsident Pichler 					                                     Alle Fotos: Harald Lachner

Internationale Strategien für
einen inklusiven Arbeitsmarkt
Wirkung der Maßnahmen im europäischen Vergleich                                                 Von Heidemarie Egger

S
     eit 10 Jahren ist nunmehr die       Soziales, Gesundheit und Konsumen-
     UN-Behindertenrechtskonven-         tenschutz, European Association of
     tion in Österreich in Kraft. Dies   Service Providers for Persons with
wurde zum Anlass genommen, das           Disabilities, European Platform for
Recht auf Arbeit für Menschen mit        Rehabilitation, European Union of
Behinderungen, laut Artikel 27 der       Supported Employment.
Konvention, in den Fokus zu nehmen
und eine Zusammenkunft von Exper-        Europäische Expertise
tinnen und Experten aus ganz Europa      Ziel der Konferenz war es, Strategien
zu organisieren. Am 27.09.2018           und Wissen aus ganz Europa zusam-
tauschten sich mehr als 250 Teilneh-     menzutragen, mit Expertinnen und
merinnen und Teilnehmer aus ganz         Experten zu reflektieren und eine
Europa zur Umsetzung des Rechts auf      gemeinsame Deklaration zu erarbei-
Arbeit aus.                              ten. Die Deklaration wird Maßnah-
                                         men beinhalten, um allen Menschen
Die Konferenz „Arbeit für Alle – Em-     mit Behinderungen die Teilhabe am
ployment for All“ wurde veranstaltet     Arbeitsmarkt zu ermöglichen. Konkret
von: Dachverband berufliche Integra-     wurden folgende Themengebiete zur
tion - dabei-austria, Österreichischer   Umsetzung des Rechts auf Arbeit für
Behindertenrat, ÖGB Chancen-Nutzen       Menschen mit Behinderungen in
Büro, Bundesministerium für Arbeit,      Österreich, Belgien, Deutschland,       Christy Lynch (Irland)

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Ausgabe 4/2018

Konferenz "Arbeit für Alle" im ÖGB Catamaran

Frankreich, Irland, Slowakei und          •    Wirkung von Initiativen             Arbeitsmarkt teilhaben zu lassen.
Spanien behandelt:                        •    Empfehlungen für spezifische        „Wissen und Erfahrungen aus ganz
                                               Maßnahmen                           Europa zeigen, was funktioniert und
                                          •    statistische Daten zur Beschäf-     was nicht funktioniert, um Menschen
                                               tigungssituation von Menschen       mit Behinderungen Teilhabe am
                                               mit Behinderungen                   Arbeitsmarkt zu ermöglichen. Durch
                                                                                   die Konferenz ‚Arbeit für Alle – Em-
                                          Ein großer Wissens- und Erfahrungs-      ployment for All‘ und der im Entste-
                                          pool entstand durch die Konferenz        hen begriffenen ‚Wiener Deklaration‘
                                          ‚Arbeit für Alle – Employment for All‘   nutzen wir dieses Wissen und ermög-
                                          in Wien. Mit dem Blick auf erfolg-       lichen allen europäischen Staaten,
                                          reiche europäische Strategien und        davon zu profitieren. So wird Öster-
                                          Maßnahmen für die Umsetzung              reich seiner Rolle in der EU-Ratsprä-
                                          des Rechts auf Arbeit für Menschen       sidentschaft vorbildlich gerecht“, so
                                          mit Behinderungen wurde an einer         Markus Neuherz, Geschäftsführer des
                                          gemeinsamen Deklaration gearbeitet.      Dachverband berufliche Integration
                                          „Damit stellen wir dieses Wissen den     Austria (dabei-austria). 
                                          europäischen und den österreichi-
                                          schen Entscheidungsträgerinnen und
                                          Entscheidungsträgern zur Verfügung“,
                                          so Herbert Pichler, Präsident des
Herbert Pichler
                                          Österreichischen Behindertenrates.

•   Strategien zur Umsetzung des          Wiener Deklaration
    Artikel 27 der UN-BRK                 Die Konferenz war einer der ersten        Weitere Infos
    (Recht auf Arbeit)                    Schritte hin zu einer gemeinsamen         Deklaration in Kürze online auf
•   Zugang zu Arbeit nach der             Deklaration mit Maßnahmen, um alle        www.dabei-austria.at
    Schulbildung                          Menschen mit Behinderungen am

                                                                                          www.behindertenrat.at       19
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Fragen an Österreich
List of issues des UN BRK-Komitee                                    Von Gudrun Eigelsreiter und Bernhard Bruckner

W
        ie in der letzten Ausgabe des
        Monats berichtet, reiste die
        österreichische Zivilgesell-
schaft anlässlich des 2. Staaten-
prüfungsverfahrens nach Genf, um
dem Komitee die Situation von
Menschen mit Behinderungen in
Österreich zu schildern und ihre Fra-
gen zu beantworten. Daraufhin hat
das Komitee die sogenannte „list
of issues“ beschlossen. Dies ist ein
Fragenkatalog zum Stand der Um-         Zivilgesellschaft in Genf						                                      Foto: EDF
setzung der UN Behindertenrechts-
konvention. Der Staat Österreich        Maßnahmen zur Verfügung, die ge-       über Maßnahmen zur Förderung des
hat nun bis Herbst 2019 Zeit, diese     troffen wurden, um die Aufhebung       Übertritts von Menschen mit Behin-
Fragen zu beantworten. Dabei wur-       der Rechte von Kindern mit Behin-      derungen aus geschützten Arbeits-
den die wichtigsten vorgebrachten       derungen zu verhindern.                plätzen in den offenen Arbeitsmarkt
Punkte berücksichtigt. Dem Staat                                               an. Bitte geben Sie außerdem an,
Österreich werden unter anderem         Kein inklusives Bildungs-              welche Maßnahmen zur sozialver-
folgende Fragen gestellt:               system (Art.24)                        sicherungsrechtlichen Absicherung
                                        Bitte stellen Sie Informationen über   für die oben genannten Personen
Kein Paradigmenwechsel                  getroffene wirksame Maßnahmen          getroffen wurden […].
vom medizinischen Modell                zur Verfügung, die sicherstellen,
zum menschenrechtsbasier-               dass ein angemessenes Ausmaß an        Mangelnde Barrierefreiheit
ten Ansatz (Art.1-4)                    Geldmitteln bereitgestellt wird, um    (Art.9)
Bitte geben Sie an, welche Maßnah-      Kindern mit Behinderungen auf der      Bitte geben Sie an, ob alle öffent-
men ergriffen wurden, um sicher-        Grundlage der individuellen Erfor-     lichen Dienstleistungen, insbeson-
zustellen, dass die Einschätzung        dernisse des Schülers/der Schülerin    dere Bildungs-, Gesundheits- und
von Behinderungen dem im Über-          angemessene Vorkehrungen zu bie-       Sozialdienste, sowie alle Dienst-
einkommen vorgesehen Menschen-          ten; Bereitstellung von Unterstüt-     leistungen für KundInnen auf der
rechtsmodell von Behinderung und        zung für SchülerInnen mit Behinde-     Ebene des Bundes, der Länder und
insbesondere Artikel 4.3. entspricht.   rungen im Rahmen des allgemeinen       der Gemeinden gänzlich barrierefrei
                                        Bildungssystems; […].                  im Einklang mit den Rechtsvorschrif-
Mehrfachdiskriminierung                                                        ten des Vertragsstaates und den
von Frauen und Kindern mit              Kein inklusives Arbeits-               abschließenden Bemerkungen des
Behinderungen                           system (Art.27)                        Ausschusses gemacht worden sind.
Frauen mit Behinderungen (Art.6):       Bitte stellen Sie Informationen zur
Bitte machen Sie Angaben zu den         Verfügung, welche Maßnahmen            Mangelnde Rahmenbedin-
von Bund und Ländern ergriffenen        getroffen wurden, um Programme         gungen für selbstbestimm-
Maßnahmen, um Frauen mit Behin-         für die Beschäftigung von Men-         tes Leben (Art.19)
derungen zu stärken, einschließlich     schen mit Behinderungen auf dem        Bitte geben Sie die Anzahl der
Maßnahmen zur Bereitstellung ziel-      offenen Arbeitsmarkt zu fördern        Wohnheime für Menschen mit
gruppenspezifischer und barrierefrei    und um das geschlechtsspezifische      Behinderungen im Vertragsstaat an,
zugänglicher Dienstleistungen.          Beschäftigungsungleichgewicht und      aufgeschlüsselt nach der Anzahl der
Kinder mit Behinderungen (Art.7):       Lohngefälle zu verringern. Bitte       Bewohnerinnen und Bewohner in
Bitte stellen sie Informationen über    geben Sie spezifische Informationen    jedem dieser Häuser. 

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International                                                                                                      Ausgabe 4/2018

Europa zu Gast in Wien
Vorstandssitzung des Europäischen Behindertenforums                                                   Von Gudrun Eigelsreiter

                                                                                         mit Behinderungen an Wahlen
                                                                                         teilnehmen können. Um politische
                                                                                         EntscheidungsträgerInnen und die
                                                                                         Gesellschaft dahingehend zu sensibi-
                                                                                         lisieren, wurden die Kampagne
                                                                                         „European Elections for All“ und
                                                                                         eine Online Petition lanciert. Das
                                                                                         politische Mitbestimmungsrecht ist
                                                                                         ein integraler Bestandteil einer De-
                                                                                         mokratie und das Recht aller Bürger-
                                                                                         Innen, selbstverständlich auch von
                                                                                         jenen 80 Millionen EU-BürgerInnen
                                                                                         mit Behinderungen. Die EU kann es
                                                                                         sich nicht leisten, ihnen weiterhin
                                                                                         ihre Rechte als Bürgerinnen und
                                                                                         Bürger zu verwehren.
EDF-Boardmeeting					                                        Foto: Gudrun Eigelsreiter
                                                                                         European Accessibility Act

D
      ie Vorstandssitzung des Euro-    braucht es statistische Daten, um                 In den Trilogverhandlungen (Ver-
      päischen Behindertenforums       soziale, kommunikative und physi-                 handlungen zwischen EU-Parlament,
      (EDF) findet immer in jenem      sche Barrieren zu veranschaulichen.               EU-Kommission und EU-Rat) wurde
Land statt, das gerade den Vorsitz     Politischen EntscheidungsträgerInnen              der European Accessibility Act in den
der EU-Ratspräsidentschaft innehat.    kann dadurch die Dringlichkeit ge-                letzten Monaten diskutiert. Die ös-
Im zweiten Halbjahr 2018 war dies      sellschaftlicher Veränderungen vor                terreichische Ratspräsidentschaft hat
Österreich. Gemeinsam mit dem EDF      Augen geführt werden. EDF Präsi-                  sich stark für einen Kompromiss zum
hat der Österreichische Behinder-      dent Yannis Vardakastanis brachte                 European Accessibility Act eingesetzt.
tenrat dieses Board Meeting organi-    das Problem so auf den Punkt: „If                 Im EU-Rat wurde ein vorläufiger,
siert und vom 15.-18. November in      we are invisible in statistics, we are            politischer Kompromiss erreicht. Er
Wien abgehalten.                       invisible in policies.”                           deckt vor allem digitale Produkte und
                                                                                         Dienstleistungen ab. Die bauliche
Statistische Daten                     EU-Wahl                                           Umgebung, Transport und Dienstleis-
Am Samstag den 17.11. hatte der        In Österreich haben alle Menschen                 tungen von Kleinstunternehmen sind
Österreichische Behindertenrat         mit Behinderungen das Recht, zu                   nun nicht mehr von den Barrierefrei-
die Chance zu der „öffentlichen“       wählen. In vielen EU-Mitgliedslän-                heitsanforderungen abgedeckt. Dies
Sitzung des EDF Board Meetings         dern ist dies anders und Menschen                 wurde kritisiert. Andere sehen darin
VertreterInnen seiner Mitgliedsorga-   mit Behinderungen wird ihr Recht,                 aber auch eine begrüßenswerte, erste
nisationen einzuladen. Das Meeting     an politischen Wahlen teilzunehmen,               Etappe auf dem Weg in eine umfas-
stand im Zeichen der statistischen     verwehrt. Wahllokale genauso wie                  send barrierefreie EU.
Datenerhebung. Weltweit gibt es zu     Informationsmaterial im Vorfeld von
wenig oder gar keine validen Daten     Wahlen sind oft nicht barrierefrei                Das EDF vertritt europaweit 80
zur Lebenssituation von Menschen       zugänglich. Dies entspricht nicht der             Millionen Menschen mit Behinde-
mit Behinderungen. Der Löwenan-        UN-BRK zu deren Umsetzung sich                    rungen. Die mehrtägigen Treffen
teil, der in Österreich erhobenen      alle EU-Staaten verpflichtet haben.               des EDFs dienen der Vernetzung und
Statistiken, bezieht sich auf den      Im Vorfeld der nächsten EU-Parla-                 dem Informationsaustausch. Gudrun
Bereich Arbeit. Im Zusammenhang        ments-Wahl lobbyiert das EDF dafür,               Eigelsreiter nahm für den Österrei-
mit Menschen mit Behinderungen         dass ausnahmslos alle Menschen                    chischen Behindertenrat teil. 

                                                                                                www.behindertenrat.at       21
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