Kommunikation bei Demenz - Arbeitshilfe Bessere Kommunikation #8 - GQMG
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Arbeitshilfe Bessere Kommunikation #8 Kommunikation bei Demenz 1. Auflage, 12.7.2020 © GQMG/AG Kommunikation im Qualitätsmanagement und Risikomanagement Henrichs M, Herbig N, Neufang A, Enseleit I, Heun S, Holtel M, Josuks H, Pilz S, Pivernetz K, Poimann H, Rode S, Schulhoff I, Stapenhorst K, Weber H, Zeien K hältnis mehr Menschen neu erkranken, als dass bereits 1. Hintergrund und Evidenz Erkrankte sterben. Als organisch-psychische Störung ist das Syndrom De- „Sofern kein Durchbruch in Prävention und Therapie menz die Folge einer chronischen bzw. voranschreiten- gelingt, wird sich nach Vorausberechnungen der Bevöl- den Hirnschädigung, welche Auswirkungen auf das kerungsentwicklung die Krankenzahl bis zum Jahr 2050 Denken im Allgemeinen, die Gedächtnisleistung, die Wahrnehmung, die Fähigkeit zu Lernen, die Rechen-, auf rund 3 Millionen erhöhen. Dies entspricht einem Orientierungs-, Entscheidungs- und Handlungsfähigkeit mittleren Anstieg der Zahl der Erkrankten um 40.000 sowie die Sprache hat. Die kognitiven Veränderungen pro Jahr oder um mehr als 100 pro Tag.“ (Bickel 2018; führen zu nachlassender emotionaler Kontrollfähigkeit L EL) und Motivation und einem veränderten Sozialverhalten Die Versorgung von dementen Menschen wird immer (Steinmetz 2016; L EL/Dilling 2008; L EL/DIMDI 2018; L relevanter. Kommunikation ist dabei ein wichtiger EL). Aspekt, sie erfüllt unterschiedliche Funktionen. Nach Für die Diagnose muss eine verminderte Gedächtnis- Watzlawick et al. (Watzlawick, Beavin & Jackson 1974; leistung und eine Beeinträchtigung im Denken vorlie- L EL) führt nicht nur Sprache zu Kommunikation, son- gen, die den Alltag der betroffenen Person beeinflussen dern jegliches Verhalten. Immer begleitet die nonverba- (Gutzmann & Brauer 2007; L EL). Es wird zwischen primärer und sekundärer Demenz unterschieden. Die sekundäre Demenz ist in manchen Fällen behandelbar bzw. ausheil- bar. Primäre Demenz umfasst 80 bis 90 % aller Demenzfälle, sie ist nur begrenzt the- rapiefähig und derzeit unheilbar (DIMDI 2018; L EL/Dilling 2008; L EL). Die häufigste Form der Demenz mit 50 bis 60 % ist die Alzheimerkrankheit. An zweiter Stelle mit 15 bis 20 % steht die vaskuläre Demenz aufgrund von Durchblutungsstö- rungen bzw. Schädigungen an Blutgefäßen (Zaudig 1995; L EL). Zudem existieren Mischformen (Kruse 2008; L EL). Gemäß der Deutschen Alzheimer Gesell- schaft leben heute 1,7 Millionen demente Menschen in Deutschland. Der demogra- phische Wandel führt dazu, dass im Ver-
Arbeitshilfe Bessere Kommunikation #8 Kommunikation bei Demenz le Kommunikation die verbale. Sie kann unterstützen, vervollständigen, Schwerpunkte setzen, aber auch widersprechen. Zum nonverbalen Kommunizieren Worum es geht gehören Blickkontakt oder dessen Ausbleiben, Körper- Mit dementen Menschen zu kommunizieren wird sprache, Mimik, räumliche Distanz, Schweigen, Berüh- im Verlauf der Erkrankung immer schwieriger. rung, paraverbale Zeichen der Stimme (Betonung, Pflegende und Angehörige sind mitunter hilflos. Klangfarbe, Sprechgeschwindigkeit usw.), Kleidung, Eine wertschätzende, achtsame Haltung und die Statussymbole und das Umfeld der Kommunikation richtigen Kommunikationsstrategien und Metho- (Frindte 2001; L EL/Rode et al. 2016; L I). Sozialer Ver- den unterstützen die Beziehung zu den Erkrankten. gleich, soziale Kontrolle, Beeinflussung von anderen und Abgleich der eigenen Wirklichkeit mit fremden What it's about Wirklichkeiten sind ebenfalls bedeutsam (Frindte 2001; Communicating with people with dementia beco- L EL/Knebel 2013; L EL). mes increasingly difficult as the disease progresses. Sprach- und Sprechstörungen gehören neben Lern- Carers and relatives are sometimes helpless. An schwierigkeiten, motorischen Störungen und Proble- appreciative, respectful attitude and the right men im visuell-räumlichen Bereich zu den grundlegen- communication strategies and methods support den Beeinträchtigungen jeder Demenzerkrankung. Mit the relationship with the person with dementia. Fortschreiten der Erkrankung nehmen Sprachvermö- gen, Sprachverarbeitung und Sprechvermögen der Die verwendeten Personen- und Berufsbezeichnungen stehen Betroffenen immer mehr ab (Gutzmann & Brauer 2007; immer gleichwertig für alle Geschlechter, auch wenn sie nur in L EL/Siegler 2009; L EL). Diese Veränderungen stören einer Form benannt sind. die Kommunikation und beeinflussen so das soziale Leben bis hin zur Isolation (Füsgen 2003; L EL). Ebene lassen zu Beginn der Erkrankung stärker nach als Die meisten Studien liegen zur Alzheimerdemenz vor, beim Altern ohne Demenz (Förstl, Kurz & Hartmann nur wenige zur vaskulären Demenz (Siegler 2009; L EL). 2009; L EL/Knebel 2013; L EL). Die sogenannte Vienna Einige Studien berichten von einem Zusammenhang List, die als Instrument zur Erfassung der Lebensqualität zwischen Ausprägungsgrad und Sprachstörung. Man von dementen Menschen in einem späten Stadium geht davon aus, dass die Krankheit unterschiedlich dient, führt Kommunikation an erster Stelle auf (Porz- verläuft und die Sprachdefizite sich individuell entwi- solt et al. 2004; L EL). ckeln. Ein allgemeiner Verlust an Geschwindigkeit zeigt sich sowohl kognitiv als auch sprachlich (Gutzmann & Den dementen Menschen bleiben Ressourcen in der Brauer 2007; L EL). verbalen Sprache wie die Fähigkeit zum Sprecherwech- sel (Orange & Purves 1996; L EL), ebenso Phonologie Die Krankheit beginnt mit Wortfindungs- und Benenn- und Syntax, emotionale Ansprechbarkeit durch Musik störungen. Bei Tests, z. B. durch Vorlage von Bildern, und andere Reize und vor allem der Wunsch der Patien- werden häufig semantisch verwandte bzw. sehr ähnli- tinnen nach Kommunikation (Steiner 2010; L EL). Die che Wörter genannt. Besonders schwer zu benennen nonverbale Kommunikation wird zwar ebenfalls durch sind neuere Wörter, die noch nicht lange im Wortschatz die Erkrankung beeinträchtigt, Verhaltensbeobachtun- der Patientinnen vorhanden sind (Fabbro 1999; L EL/ gen weisen jedoch auf erhaltene Ressourcen hin. Emo- Domnick 1994; L IV). Die Gründe für diese Störungen tionen sind nach Bowlby Sifton offensichtlich sehr be- sind allerdings so verschieden wie die Gründe für die deutsam für Demenzpatientinnen. Sie nehmen nonver- Erkrankung (Siegler 2009; L EL). bale und emotionale Zeichen sensibel wahr und kom- Zusätzlich finden sich Störungen im Arbeitsgedächtnis munizieren darüber (Bowlby Sifton 2008; L EL/Knebel (Speicher für Denkvorgänge, auch für die Sprache rele- 2013; L EL). vant), in der Aufmerksamkeit, in der Sprachstruktur Schwieriges Verhalten der dementen Menschen ist (Variationsarmut, einfache Sprache, viele Floskeln) oder häufig auf Probleme in der Kommunikation zurückzu- im Sprachverständnis (Priorisierung fällt schwer, gene- führen (Savundranayagam, Hummert & Montgomery relle Informationsarmut) (Knebel 2013; L EL). 2005; L EL). Kommunikations- und Konfliktlösungsschu- Insbesondere der fortschreitende Abbau im kognitiven lungen wirken sich positiv auf schwierige Verhaltens- Bereich, der Wahrnehmung, Gedächtnis, Sprache, weisen von Demenzpatientinnen aus (Robison et al. Sprechen, Denken oder Entscheidungsfindung beein- 2007; L EL). Haberstroh et al. zeigten, dass Kommunika- flusst, beeinträchtigt die Kommunikation mit den Be- tionstrainings für Pflegekräfte zum Umgang mit demen- troffenen (Knebel 2013; L EL/Bayles & Tomoeda 2007; L ten Menschen und mit Kolleginnen zu einer höheren EL). Kommunikative Kompetenzen auf der verbalen erlebten sozialen Kompetenz führen. Dies wirkt sich Arbeitshilfen Bessere Kommunikation Seite 2 von 8
Arbeitshilfe Bessere Kommunikation #8 Kommunikation bei Demenz positiv auf die Lebensqualität der Patientinnen und die rinnen gerichtete Kommunikation in einer Einrichtung psychische Beanspruchung der Pflegerinnen aus (Ha- muss von der Leitung bewusst implementiert werden, berstroh, Neumeyer & Pantel 2011; L EL/Knebel 2013; L sie ergibt sich nicht von allein. EL). Demente Menschen äußern häufig selbst ihr Kom- Eine wertschätzende Grundhaltung wird durch die munikationsbedürfnis (Batsch NL & Mittelman MS Arbeitsbedingungen unterstützt. Arbeiten mit ausrei- 2012; L EL). chend qualifiziertem Personal, gute Sprachkenntnisse Die zentrale Rolle der Kommunikation und der Gestal- und adäquate Ausstattung unterstützen die Kommuni- tung der Beziehung zu dementen Menschen wird nicht kation mit dementen Menschen. zuletzt deutlich am Titel des Expertenstandards des Um eine demenzfreundliche Kommunikation in einer Deutschen Netzwerks für Qualitätsentwicklung in der Einrichtung zu fördern, sind Schulungen der Mitarbeiter Pflege (DNQP): Beziehungsgestaltung in der Pflege von zu wertschätzender Kommunikation, zur Erkrankung Menschen mit Demenz und seiner Zielsetzung: „Jeder und zu konkreten Methoden wichtig. pflegebedürftige Mensch mit Demenz erhält Angebote zur Beziehungsgestaltung, die das Gefühl, gehört, ver- standen und angenommen zu werden sowie mit ande- 4. Haltung und Verhaltensstrate- ren Personen verbunden zu sein, erhalten oder fördern“ gie (DNQP 2019; L EL). Die wesentlichste Grundlage der bestehenden Arbeiten Wertschätzung zum Thema Demenz und dem Umgang mit dementen Eine wertschätzende Grundhaltung und achtsames Menschen lieferte Tom Kitwood. Er entwickelte in den Verhalten sind elementar. Die Würde der erkrankten 1980er und 1990er Jahren den Ansatz des person-cent- Person ist ein zu schützendes Gut, das unbedingt be- red care (Kitwood & Bredin 1992; L EL). Der Experten- wahrt werden muss (Fuhrmann et al. 1995; L EL), be- standard Beziehungsgestaltung in der Pflege von Men- sonders wenn ihre sprachlichen Einschränkungen grö- schen mit Demenz unterstreicht die zentrale Rolle die- ßer werden. ses Ansatzes mit dem Strukturkriterium S1a: „Die Pfle- gefachkraft hat eine person-zentrierte Haltung in der Besondere Herausforderungen Pflege von Menschen mit Demenz entwickelt.“ Das bewusste Wahrnehmen der kommunikativen Kitwood entwickelte eine neue Methode zur Evaluation Asymmetrie zwischen Pflegenden und Patientinnen ist der Pflegequalität (Dementia Care Mapping) mit dem von besonderer Bedeutung. Die erkrankte Person ist Ziel, den Standpunkt der dementen Person einzuneh- grundlegend verletzlich, wenn Entscheidungen über sie men. Hauptaufgabe der Demenzpflege war für Kitwood getroffen werden, die sie nicht beeinflussen oder nach- der „Erhalt des Personseins angesichts versagender vollziehen kann. Dies lässt sich über gelingende Kom- Geisteskräfte“ (Kitwood 2000; L EL) munikation ausgleichen (Hirsch 1997; L EL). Mit dem Fortschreiten einer Demenz wird der Dialog 2. Ziele zwischen der pflegenden Person und der Patientin Die kommunikativen Kompetenzen von Mitarbei- zunehmend erschwert und begrenzt. Der Sprachabbau tenden in Gesundheitseinrichtungen, von Bezugs- nimmt weiter zu. Die Wahrnehmung der Patientin und Betreuungspersonen im Umgang mit demen- weicht stärker von der der Pflegenden ab. Sie bewegt ten Menschen sollen gefördert werden. sich aufgrund der Schwierigkeiten im Kurzzeitgedächt- Sie sollen in der Lage sein, intensive Beziehungsar- nis gedanklich immer mehr in der Vergangenheit. Es beit zu leisten, da Respekt, Anerkennung, Verständ- entstehen unterschiedliche Wirklichkeiten. Förderung nis und Nähe unerlässlich für eine gelingende und Erhalt von kommunikativen Fähigkeiten stellt eine Kommunikation mit dementen Menschen sind. immer größere Herausforderung dar. Sie sollen nonverbale wie emotionale Ressourcen Zusätzliche Erschwernis bringt die Tatsache, dass sich der Patientinnen nutzen und Methoden erlernen, ein alter und kranker Mensch nun mit dem Thema Tod die die verbale Kommunikation unterstützen. auseinandersetzen muss. Dies kann viele Ängste und Das übergeordnete Ziel der Förderung ist – soweit Sorgen hervorrufen. Verständigungsschwierigkeiten möglich – die Erhaltung der kommunikativen Fer- führen hier zu weiteren Herausforderungen. tigkeiten von dementen Menschen, um Rückzug und Vereinsamung vorzubeugen. Beziehungsarbeit Psychische Versorgung ist wie die physische ein wichti- 3. Voraussetzungen ger Bestandteil der Pflege (Vorderwülbecke 2005; L EL). Eine auf Verständigung mit Patientinnen und Bewohne- Ob im Krankenhaus, im Pflegeheim oder in der Versor- Arbeitshilfen Bessere Kommunikation Seite 3 von 8
Arbeitshilfe Bessere Kommunikation #8 Kommunikation bei Demenz gung zu Hause durch Angehörige oder Pflegedienste – ographie, das individuelle Krankheitserleben und die betreuende Person verbringt die meiste Zeit mit der das Beziehungsgefüge wichtig. Patientin, sie ist immer die wichtigste Bezugsperson für Laut Kitwood sind zwei Dinge von essentieller Bedeu- sie. Insbesondere ein kranker und alter Mensch ist auf tung: eine liebevolle und zuwendende Art angewiesen. Ober- „Das erste besteht darin, einigermaßen detailliert über ste Priorität sollte die kommunikative Einbindung in ein die Lebensgeschichte einer jeden Person Bescheid zu soziales Gefüge sein, sodass es nicht zu Einsamkeit und wissen; selbst wenn jemand nicht in der Lage ist, an zu einem völligen Rückzug der erkrankten Person seiner narrativen Identität festzuhalten, so können dies kommt. Die Betreuenden leisten Beziehungsarbeit, die andere immer noch tun. Das zweite besteht in Empa- fehlende Angehörigenunterstützung ausgleichen kann. thie, die es ermöglicht, auf eine Person in der Einzigar- Nonverbale Kommunikation wird besonders relevant, tigkeit ihres Seins als Du zu reagieren.“ da die Sprachfertigkeit der Patientin abnimmt. Der Expertenstandard des DNQP greift dies in allen Die Ressourcenorientierung sollte im Mittelpunkt der Struktur-, Prozess- und Ergebniskriterien auf, z. B. in P2: Versorgung stehen und so zeitig wie möglich beginnen „Die Pflegefachkraft plant auf Basis einer Verstehenshy- (Vorderwülbecke 2005; L EL). Empathie ist grundlegend pothese unter Einbeziehung des Menschen mit Demenz für den Umgang mit einer Demenzpatientin. Sich in die und seiner Angehörigen sowie den beteiligten Berufs- zu pflegende Person einzufühlen, erfordert die Fähig- gruppen individuell angepasste beziehungsfördernde keit, ihr Verhalten nicht direkt zu bewerten, sondern die und -gestaltende Maßnahmen.“ Situation und die Person geduldig und in Ruhe zu be- obachten. Gelingende Kommunikation wirkt sich positiv Als wichtiges Instrument wird hier u. a. die Fallbespre- auf den gesundheitlichen Zustand der Patientin aus. chung gesehen, um daraus eine auf den betroffenen Auch die Arbeitszufriedenheit der Pflegenden steigt Menschen abgestimmte Pflegeplanung zu erstellen. Die (Darmann 2000; L EL). Fragestellungen: „Wie erlebt die Person sich selbst, andere Menschen, ihre Welt? Aus welchem Denken, 5. Methode, Fühlen, Erleben heraus ergeben die Verhaltensweisen, Befindlichkeiten und Erscheinungsweisen einen subjekti- Anwendungsszenarien, ven Sinn? Was ist die Funktion von Verhaltensweisen, was wird mit dem Verhalten kompensiert, auf welche Vorbereitung, Durchführung inneren Antriebe, Fragen, Themen ist das Verhalten eine Antwort?“ sind dabei wichtige Eckpunkte (DNQP 2019; 5.1. Grundlagen in der Kommunikation mit L EL). dementen Menschen Häufig wird ein dementer Mensch nicht ernst genom- Grundsätzlich existiert in Bezug auf die Kommunikation men oder es wird davon ausgegangen, dass er nichts mit dementen Menschen kein Rezeptwissen. Jede mehr „mitbekommt“. Trotz kognitiver Einbußen ist er Beziehung, jeder Behandlungsplan sowie die Kommuni- aber bis in das späte Stadium der Erkrankung hinein in kation müssen individuell gestaltet werden. der Lage, sich in Situationen einzufühlen. Beziehungspflege ist im Umgang mit dementen Men- Gerade auf der Beziehungsebene nimmt er noch sehr schen von besonderer Bedeutung, denn sie kann in viel wahr. Er hat zwar häufig Probleme damit, eine allen Stadien der Demenz die Symptome abmildern. Handlung einzuleiten und zu beginnen, jedoch weiter- Negative Momente in der Beziehung zu pflegenden hin das Bedürfnis, sich nützlich zu machen und eigen- oder unterstützenden Personen können hingegen zu ständig zu handeln. Hier ist es hilfreich, wenn die Pfle- ihrer Verstärkung führen. Zu diesen Symptomen zählen gende dies erkennt und einen Anreiz zur Handlung Unruhe, Angst, ständiges Umherlaufen, Depressionen, schafft. Apathie, Aggressionen, das Gefühl bestohlen worden zu sein, Schlafstörungen, Wahn oder Halluzinationen. Pflegende sollten darin gestärkt werden, mit der Des- orientierung eines dementen Menschen umzugehen Besonders hilfreich sind folgende drei Aspekte der und mehr auf nonverbale Botschaften zu achten. Häufig personenzentrierten Begegnung (Grond 2000; L EL): fehlt dafür die Zeit. Außerdem ist eine feste Tagesstruk- Echtheit und Wahrhaftigkeit: kein Verstehen vor- tur wichtig. Aktivierung, Lob, Hilfe zur Selbstpflege, täuschen. Lächeln und teilweise Berührung sind außerdem hilf- Validation: die erkrankte Person wertschätzend reich (Grond 2000; L EL). wahrnehmen, sie ernst nehmen und akzeptieren, Bezugspersonen wie sie ist. Empathie: sich in die erkrankte Person einfühlen verzichten auf Pronomen – statt: Ihre Tochter hat und versuchen diese zu verstehen; dazu sind die Bi- angerufen. Sie kommt gegen Mittag vorbei. besser: Arbeitshilfen Bessere Kommunikation Seite 4 von 8
Arbeitshilfe Bessere Kommunikation #8 Kommunikation bei Demenz Ihre Tochter hat angerufen. Ihre Tochter kommt ge- 2. Mutterwitz gen Mittag vorbei. Leichte kognitive Beeinträchtigungen und erste Erinne- sprechen in „Ich-Form“ über alles, was sie vorhaben rungslücken. Hier ist es sinnvoll, über den Dialekt der – Ich möchte nun mit Ihnen in den Garten gehen. – betroffenen Person zu kommunizieren oder über eine Ich bringe Sie nun in Ihr Zimmer. Art von Humor, die sie von früher kennt. Ansonsten ist vermeiden Verneinungen. es weiterhin möglich, die üblichen Kommunikationsre- sprechen in wenigen Worten, kurzen und klaren geln zu verwenden. Aussagen und wiederholen das Gesagte geduldig. stellen Fragen, die eher präzisieren – Wie? Was? 3. Emotionale Grundbedürfnisse Wann? Wo? – als nach Ursachen zu suchen – Wa- Die Betroffene orientiert sich stärker an vertrauten Din- rum? gen, wie Muttersprache, Dialekt, Gerüchen, an vertrau- ermutigen die Betroffene, mit Ja und Nein zu ant- ten Sätzen oder Sprichwörtern. Es bestehen teilweise worten. kognitive Ausfälle. sprechen möglicherweise im Dialekt der Betroffe- nen. 4. Prägungen sprechen ruhig und langsam zu und mit ihnen und Normen und Rituale, die für die Person wichtig waren, vermeiden hohe Stimmlagen. werden relevant. Es bestehen ein leichtes kognitives wechseln in angespannten Situationen vielleicht in Defizit und ausgeprägte Störungen in verschiedenen einen Flüsterton – das ruft das Gefühl eines ver- Bereichen. So ist die Betroffene nicht mehr über aktuel- trauten Miteinanders hervor. le Nachrichten informiert, hat eine reduzierte Erinne- lassen der Betroffenen Zeit zu denken und zu ant- rung an die Vergangenheit und kann sich nicht mehr worten. gut konzentrieren. Sie befindet sich nun etwa auf dem sprechen einen dementen Menschen stets auf Au- Entwicklungsniveau eines Vorschulkindes. Auf der emo- genhöhe und von vorne an (Bohnes 2010; L EL). tionalen Ebene, in Verbindung mit frühen Erinnerun- spiegeln im Gespräch die Körperhaltung des de- gen, ist die Betroffene aber durchaus ansprechbar. So menten Menschen, wenn z. B. jemand steht, dann bietet es sich an, nach Kindheitserinnerungen zu fragen, kommunizieren sie im Stehen. die emotional behaftet sind, wie z. B. das erste Fahrrad reagieren authentisch. oder die Einschulung. beschreiben während einer Handlung kurz, aber dennoch klar, was sie tun. Wenn die Person nicht Auch Erinnerungsstücke wie Fotos, Karten oder Ähnli- direkt versteht, was gemeint ist, wiederholen sie ches können hinzugezogen werden. Biographisches langsam und geduldig, was sie gesagt haben. Wissen ist hilfreich, um Erinnerungen zu aktivieren agieren wertschätzend und versuchen, die Gefühle (Josuks 2018; L EL). der Betroffenen in Sprache zu übersetzen. 5. Höhere und niedere Triebe Auch wenn manche kommunikativen Handlungen für die betreuende Person keinen Sinn ergeben, beispiels- Es besteht eine mittlere kognitive Störung. Verbale und weise ein häufiges Wiederholen des Gesagten, ist das nonverbale Kommunikation sollten von dort an spezi- Wichtigste, die erkrankte Person nicht verbessern oder fisch an die Prägungen der Patientin angepasst werden. verändern zu wollen, sondern sie mit all ihren Verhal- Die Tagesstruktur sollte früheren Ritualen entsprechen. tensweisen anzunehmen (Berghaus, Knapic & Sievert 1999; L EL). 6. Intuition Ab Stufe 6 ist der betroffene Mensch auf dem Entwick- In jedem Fall ist es wichtig, verbale und nonverbale lungsstand eines Säuglings. Der kognitive Abbau ist weit Kommunikation in Einklang miteinander zu nutzen und vorangeschritten. Hier können Bräuche, Glaube und keine Widersprüche zu schaffen (Josuks 2018; L EL). Aberglaube oder andere Bereiche dieser Art relevant 5.2. Angepasste Kommunikation werden. Die Patientin lässt sich gut über Märchen oder gemeinsames „zu Gott sprechen“ erreichen. Zudem ist Für sieben verschiedene Interaktionsstufen, angepasst der Tonfall, in dem die Bezugsperson spricht, relevant an das Fortschreiten der Erkrankung, schlägt Böhm ent- um ein vertrautes Gefühl herzustellen. sprechende Kommunikationsarten vor (Böhm 1992; L EL): 7. Urkommunikation 1. Sozialisation Ab Interaktionsstufe 7 lässt sich gut mit den Sinnen arbeiten, da Kommunikation im üblichen Sinne nicht Noch keine kognitiven Störungen. Ein übliches Gespräch mehr möglich ist. Um die Sinne anzuregen, eignen sich ist auf verbaler Ebene möglich. Berührungen am Körperstamm (z. B. Einreibungen, Arbeitshilfen Bessere Kommunikation Seite 5 von 8
Arbeitshilfe Bessere Kommunikation #8 Kommunikation bei Demenz Massagen), Bilder, Musik, Geräusche oder Düfte (Josuks A – Avoid confrontation 2018; L EL). A steht dafür, Konfrontationen zu vermeiden. Es ist nicht hilfreich, einen dementen Menschen auf seine 5.3. FOCUSED Fehler hinzuweisen. Es soll eher versucht werden, dies Mitte der 90er Jahre wurde eines der ersten Program- zu umgehen und auszuweichen. Es dürfen jedoch keine me für eine verbesserte Kommunikation mit dementen unwahren Aussagen gegenüber der Patientin getroffen Menschen in den USA entwickelt (Ripich et al. 2000; L werden. Dies würde eher verwirren als helfen. IV). In sieben Einheiten werden wesentliche Vorgehens- weisen für einen erfolgreichen Austausch mit den Be- B – Be practical troffenen vermittelt. Das Akronym FOCUSED nennt die B steht dafür, dass die Pflegende vorausschauend agie- sieben Buchstaben für die Kommunikationsstrategien: ren soll. Wenn sie wahrnimmt, dass es zu einer schwie- rigen Situation kommen könnte, soll sie ausweichen F = Face to face oder das Thema wechseln. Dem dementen Menschen direkt gegenübertreten; Blickkontakt aufnehmen; die Person auf sich aufmerk- C – Clarify the feelings and comfort sam machen. Bei C geht es darum, dass die Pflegende versuchen soll, die beobachteten Gefühle des dementen Menschen in O = Orientation Worte zu fassen und ihm tröstend zur Seite zu stehen. Orientierung geben: Wichtige Begriffe und Sätze mehr- Häufig wird die Betroffene in der Folge ruhiger und fach wiederholen, der Person Zeit geben, das Gesagte weniger ängstlich. zu verstehen. Bei der ABC-Methode wird erneut klar, dass für einen C = Continuity demente Menschen das Gefühl, ernst genommen zu werden, ebenso von Bedeutung ist wie das Gefühl, Gesprächsthemen nicht abrupt wechseln, ein neues verstanden zu werden und selbstständig zu sein (Josuks Thema vorher ankündigen. 2018; L EL). U = Unsticking 5.5. Kommunikations-TAnDem Unterstützen bei Wortfindungsproblemen, indem man den Satz der Person mit dem korrekten Wort paraphra- In Deutschland wird ein evaluiertes Trainingsprogramm siert: Meinst du ...?. für Angehörige von Menschen mit Demenz mit dem Namen Kommunikations-TAnDem eingesetzt (Haber- S = Structure stroh, Neumeyer & Pantel 2011; L EL). Möglichst kurze, geschlossene Fragen stellen. So kann Im Kommunikations-TAnDem durchlaufen die Bezugs- der demente Mensch einfache Antworten geben. Ent- personen ein psychoedukatives Training. Ihnen wird scheidungen auf zwei Optionen begrenzen: Dies oder Wissen über Kommunikation vermittelt und ein kon- das? struktiver Austausch in der Gruppe der Bezugspersonen ermöglicht. So können diese die Stärken und Schwä- E = Exchange chen von dementen Menschen identifizieren und ihr Gespräche mit angenehmen, alltäglichen Themen be- eigenes Kommunikationsverhalten darauf ausrichten. ginnen. Fragen stellen, die die Betroffene leicht verste- Der Vorteil dieses Konzepts besteht darin, dass es auf hen und beantworten kann. Hinweise geben, wenn sie sprachliche Veränderungen bei Demenz eingeht und Hilfe braucht, um die Antwort zu finden. sich an den Stärken der Patientinnen orientiert. D = Direct 5.6. Validation und Integrative Validation Kurze, einfache Sätze wählen, Gestik, Mimik und Bild- Eine weitere Methode ist die Validation. Mit ihrer Hilfe sprache einsetzen. sucht man Zugang zum Erleben des dementen Men- schen. Feil nennt dies: „In den Schuhen des anderen 5.4. ABC-Methode gehen“. Ziel ist es, die Bedürfnisse zu erkennen, die Die ABC-Methode wird insbesondere für Situationen hinter den Äußerungen des dementen Menschen lie- genutzt, in denen die Betroffene aggressives Verhalten gen. Ein Beispiel: Die Erkrankte äußert, sie wolle nach zeigt. Sie gibt der Betroffenen das Gefühl, dass sie in Hause. Wenn sie bereits zuhause ist, verbirgt sich da- ihrer Selbstständigkeit nicht in Frage gestellt wird. hinter möglicherweise das Bedürfnis nach Geborgen- heit (Feil & de Klerk-Rubin 2017; L EL). Die Grundsätze der Validation sind: Arbeitshilfen Bessere Kommunikation Seite 6 von 8
Arbeitshilfe Bessere Kommunikation #8 Kommunikation bei Demenz kurze Sätze bilden heitsversorgung e. V. (GQMG) W-Fragen stellen: Wer? Wie? Wann? Was? Wo? – Industriestraße 154 jedoch nicht: Warum?, denn damit fragt man nach D-50996 Köln kausalen Zusammenhängen, die der demente Telefon +49 2236 9696188 Mensch vielleicht nicht mehr herstellen kann Fax +49 2236 9696189 nonverbal mit Gestik, Mimik und Tonfall unterstüt- info@gqmg.de zen Eine veränderbare Datei zur Anpassung an Ihre lokalen Zeit für Antworten lassen Gegebenheiten erhalten Sie über die AG Kommunikati- von vorne und auf Augenhöhe mit der Erkrankten on im Qualitäts- und Risikomanagement der GQMG: sprechen www.gqmg.de/gqmg_leistung/kommunikation. verständlich, respektvoll und ruhig kommunizieren Äußerungen akzeptieren und nicht widersprechen 7. Literatur authentisch sein, nicht lügen, denn die Erkrankte Batsch NL & Mittelman MS (2012): World Alzheimer report würde das merken 2012. Overcoming the stigma of dementia. London: Alzhei- auf die Bedürfnisse und Gefühle der Erkrankten mer’s Disease International (Level EL). achten, nicht so sehr auf den Wortsinn Bayles KA & Tomoeda CK (2007): Cognitive-Communication Ein desorientierter Mensch strebt danach, die unerle- disorders of dementia. San Diego: Plural Publishing (Level EL). digten Aufgaben seines Lebens aufzuarbeiten. Es ist Berghaus HC, Knapic K-H & Sievert U (1999): Kommunikation und Kooperation in der Altenhilfe. Vorträge und Arbeitsberich- Aufgabe der Betreuungskraft, sie darin zu unterstützen. te der 9. Fachtagung „Behinderung und Alter“ an der Heilpäda- In Deutschland wurde die Methode der Validation gogischen Fakultät zu Köln. Köln: Kuratorium Deutsche Alters- durch Nicole Richard zur Integrativen Validation® (IVA) hilfe (Level EL). weiterentwickelt (Richard et al. 2016; L EL). Im Zentrum Bickel H (2018): Informationsblatt 1. Die Häufigkeit von De- stehen Formen der Kommunikation mit dementen menzerkrankungen. Informationsblatt der Deutschen Alzhei- mer Gesellschaft e. V. Selbsthilfe Demenz. https://www.deut- Menschen, durch die eine wertschätzende Beziehung sche-alzheimer.de/fileadmin/alz/pdf/factsheets/infoblatt1_hae hergestellt wird. Integriert wurden Bestandteile anderer ufigkeit_demenzerkrankungen_dalzg.pdf (9.9.2019) (Level IV). Konzepte wie z. B. die Biographiearbeit. Die Methodik Böhm E (1992): Verwirrt nicht die Verwirrten. Neue Ansätze ist inzwischen anerkannt und wird genutzt, wenn ein geriatrischer Krankenpflege. 6. Aufl. Bonn: Psychiatrie-Verlag Sprachvermögen noch vorhanden ist und die Betreu- (Level EL). ungskraft das Gefühl erkennt, das hinter einer Aussage Bohnes H (2010): Die Möglichkeiten der Kommunikation mit einem Demenzerkrankten. Aus der Reihe: DEMENZ – Pflege oder Handlung des Erkrankten steht. und Betreuung zuhause. Bonn: Verlag PRO PflegeManagement (Level EL). 6. Pocketversion Bowlby Sifton C (2008): Das Demenz-Buch. Bern: Hans Huber Diese Arbeitshilfe finden Sie zum Download unter (Level EL). www.gqmg.de/downloads. Darmann I (2000): Anforderungen der Pflegeberufswirklichkeit an die kommunikative Kompetenz von Pflegekräften. Pflege 13. 219-225 (Level EL). Dilling H (2008): Internationale Klassifikation psychischer Stö- rungen: ICD-10 Kapitel V (F); Klinisch-diagnostische Leitlinien. 6. Aufl. unter Berücksichtigung der Änderungen entsprechend ICD-10-GM 2004/2008.). Bern: Hans Huber (Level EL). DIMDI (Deutsches Institut für Medizinische Dokumentation und Information) im Auftrag des Bundesministeriums für Gesund- heit (BMG) unter Beteiligung der Arbeitsgruppe ICD des Kurato- riums für Fragen der Klassifikation im Gesundheitswesen (KKG) (2018): ICD-10-GM Version 2019, 10. Revision. Köln (Level EL). DNQP (Deutsches Netzwerk für Qualitätsentwicklung in der Pflege, Hrsg.) (2019): Expertenstandard Beziehungsgestaltung in der Pflege von Menschen mit Demenz. Schriftenreihe des Deutschen Netzwerks für Qualitätsentwicklung in der Pflege. Osnabrück (Level EL). Domnick H (1994): Altersdemenz und Kommunikation: Eine Als Erinnerungsstütze für die Kitteltasche gibt es eine empirische Untersuchung. Köln: Diplomarbeit (Level IV). Pocketversion dieser Arbeitshilfe in Form einer beid- Fabbro F (Hrsg.) (1999): Concise encyclopedia of language pathology. Oxford: Elsevier (Level EL). seits bedruckten Postkarte. Sie erhalten sie über die Feil N & de Klerk-Rubin V (2017): Validation. Ein Weg zum Geschäftsstelle der GQMG: Verständnis verwirrter alter Menschen. 11. Aufl. München: Ernst Reinhardt (Level EL). Gesellschaft für Qualitätsmanagement in der Gesund- Förstl H, Kurz A & Hartmann T (2009): Alzheimer-Demenz. In: Arbeitshilfen Bessere Kommunikation Seite 7 von 8
Arbeitshilfe Bessere Kommunikation #8 Kommunikation bei Demenz Förstl H (Hrsg.): Demenzen in Theorie und Praxis. 3. Aufl. Hei- H, Stapenhorst K, Tatzel C & Weber H (2016): Grundregeln der delberg: Springer (Level EL). Kommunikation (Arbeitshilfe Bessere Kommunikation 1). Stutt- Frindte W (2001): Einführung in die Kommunikationspsycholo- gart (Level I). gie. Weinheim: Beltz (Level EL). Savundranayagam MY, Hummert ML & Montgomery RJV Fuhrmann I, Gutzmann H, Neumann E-M & Niemann-Mirmehdi (2005): Investigating the effects of communication problems M (1995): Abschied vom Ich – Stationen der Alzheimer Krank- on caregiver burden. The journals of gerontology. Series B. Psy- heit. Freiburg im Breisgau: Herder (Level EL). chological sciences and social sciences 60: 48-55 (Level EL). Füsgen I (2003): Sprech- und Schluckstörungen bei Alzheimer- Siegler B (2009): Wortabrufgeschwindigkeit unter dem Einfluss Demenz. In: Füsgen I (Hrsg.): Sprech- und Schluckstörungen – von Alter und Demenz. 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