KOMMUNIKATIVES KROKODIL - EINVIERTEL

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KOMMUNIKATIVES KROKODIL - EINVIERTEL
Bilder: Jürg Zimmermann
                                                                                                                                                                            21

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                          106 Meter lang, 65 Meter breit, bis zu acht Geschosse: der Neubau «Krokodil» in der Winterthurer Lokstadt, die in den nächsten Jahren entsteht.
                          Rechts grenzt die noch leere Fläche des künftigen Dialogplatzes an.

                                                          Gaiwo und Gesewo beziehen Neubau in der Winterthurer Lokstadt

                          Kommunikatives Krokodil
                                                               Schritt für Schritt entsteht bis 2024 auf dem Areal der ehemaligen
                                                               Lokomotivfabrik in Winterthur das neue Quartier «Lokstadt». Mit dazu
                                                               gehört das Gebäude «Krokodil». Im imposanten Holzbau bieten die
                                                               beiden Genossenschaften Gaiwo und Gesewo 121 preisgünstige
                                                               Wohnungen an. In ihrem Hausteil «EinViertel» lotet die Gesewo die
                                                               kommunikative Architektur neu aus.
                                                               Von Reto Westermann

                                                               Im Oktober 1920 zog erstmals eine Lokomotive            al. Im Norden klaffen Baugruben, aus denen
                                                               vom Typ Ce 6/8 II einen Zug über die Gotthard-          weitere Gebäude hinaufwachsen werden, im
                                                               strecke. Aufgrund ihrer speziellen Form mit             Westen wird gerade eine Häuserzeile hochge-
                                                               den langen Vorbauten und ihrer grünen Farbe             zogen, und im Osten grenzt die noch leere Flä-
                                                               verlieh man ihr schon bald den Spitznamen               che für den künftigen Dialogplatz an. Trotz der
                                                               «Krokodil». Gebaut wurden insgesamt 64 Ma-              noch etwas unwirtlichen Umgebung wird im
                                                               schinen dieses Modells, und zwar in den Hallen          Krokodil bereits gewohnt. Zwischen August
                                                               der Schweizerischen Lokomotiv- und Maschi-              und November 2020 zogen die Mieterinnen
                                                               nenfabrik (SLM) in Winterthur. Die Krokodil-            und Mieter der Genossenschaft für selbstver-
                                                               Lokomotiven sind heute ebenso Geschichte                waltetes Wohnen (Gesewo), der Genossen-
                                                               wie die Fabrik. Dort, wo einst Tausende Loko-           schaft für Alters- und Invalidenwohnungen
                                                               motiven das Licht der Schienenwelt erblickten,          (Gaiwo), die Besitzer der Eigentumswohnun-
                                                               entsteht derzeit ein neues Quartier – die Lok-          gen sowie die Mieterinnen und Mieter der An-
                                                               stadt (siehe Separatbeitrag Seite 28).                  lagestiftung Adimora ein. Insgesamt umfasst
                                                                  Als Reminiszenz an die industrielle Vergan-          das Krokodil 248 Wohneinheiten, 121 davon
                                                               genheit ihres Standorts tragen sämtliche Neu-           gehören den beiden Genossenschaften. Die
                                                                                                                                                                            WOHNEN NOVEMBER 2020

                                                               bauten Namen berühmter Lokomotiven.                     Gesewo, deren Hausverein sein Projekt «Ein-
                                                               «Krokodil» heisst der erste fertiggestellte Neu-        Viertel» getauft hat, besitzt den nördlichen Ge-
                                                               bau in der Lokstadt. Trotz seinen eindrückli-           bäudeteil, die Gaiwo den westlichen.
                                                               chen Dimensionen – 106 Meter lang, 65 Meter
                                                               breit und bis zu acht Geschosse hoch – steht            Dreissig Prozent gemeinnützig
                                                               das Gebäude derzeit noch etwas verloren auf             Dass die beiden Genossenschaften im Krokodil
                                                               dem rund zwanzig Fussballfelder grossen Are-            heute vergleichsweise preiswerten Wohnraum
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WINTERTHUR

                        Ein Grossteil des Gemeinschaftslebens wird im 2000 Quadratmeter grossen Innenhof stattfinden. Hier ist ersichtlich, dass der Bau zu grossen
                        Teilen aus vorgefertigten Holzelementen besteht.

                                                             anbieten können, ist dem Regionalverband               rich festgelegt. «Dadurch waren die Land- so-
                                                             Winterthur von Wohnbaugenossenschaften                 wie Baukosten gedeckelt, was faire Mieten
                                                             Schweiz zu verdanken. Dieser intervenierte             möglich macht», sagt Andreas Wirz. Er beglei-
                                                             2012 während des Gestaltungsplanverfahrens             tete mit seiner Firma Archipel das Projekt seit
                                                             und verlangte einen Mindestanteil an gemein-           2012, zuerst als Berater von WBG Winterthur
                                                             nützigen Wohnungen. Schliesslich einigte man           bei der Einwendung zum Gestaltungsplan, bei
                                                             sich mit der Grundeigentümerin Implenia und            der Erarbeitung des Vertrags mit Implenia so-
                                                             der Stadt auf dreissig Prozent. Die Details sind       wie als Begleitung der Winterthurer Genossen-
                                                             in einem privatrechtlichen Vertrag zwischen            schaften im von Implenia durchgeführten Bie-
                                                             WBG Winterthur und Implenia festgehalten.              terverfahren für die Vergabe der Hausteile. Seit
                                                                Als Rahmenbedingungen wurden einerseits             2015 und noch bis 2021 ist er von der Gesewo
                                                             die Mindestgrössen der Wohnungen und ande-             als externer Gesamtprojektleiter fürs «EinVier-
                                                             rerseits die maximalen Investitionskosten ge-          tel» mandatiert. Nachdem die Winterthurer
                                                             mäss der Wohnbauförderung des Kantons Zü-              Stimmbevölkerung 2015 den Gestaltungsplan

                       Grundriss Obergeschoss Gaiwo M1/200
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                                                                                                                                                                       Grund

                                                                 Grundrisse im
                                                             Gaiwo- (links) und
                                                               im Gesewo-Teil.

                                                                                                                            Grundriss Obergeschoss Gesewo M1/200
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                                                                                                                                    WINTERTHUR
Die Gaiwo bietet fünfzig alters­gerechte Wohnungen, die mit einer Ausnahme über zwei und zweieinhalb Zimmer verfügen.

angenommen hatte, konnten sich die lokalen            zum Einsatz: Statt wie üblich zuerst die Ele-
Baugenossenschaften als Mitinvestoren für das         mente aus Beton zu erstellen und danach die
Krokodil bewerben. Gesewo und Gaiwo wur-              vorgefertigten Bauteile aus Holz daran anzu-
den schliesslich ausgewählt, kauften von Imp-         docken, wurde der Arbeitsablauf bei den
lenia die jeweiligen Grundstücke und konnten          Treppenhäusern umgekehrt: Dort dienten
die Anforderungen an ihre künftigen Gebäude-          die zuerst aufgerichteten Holzelemente gleich
teile direkt ins Programm des Architekturwett-        als Schalung für den Beton. Der Vorteil: Holz
bewerbs einfliessen lassen. Dabei wünschte die        und Beton passen so exakt aufeinander, wäh-
Gesewo möglichst kommunikative Wohnfor-               rend beim traditionellen Vorgehen das Zu-
men und ein breites Wohnungsspektrum. Die             sammenfügen der sehr präzisen Holz- mit
Gaiwo hingegen bestellte knapp bemessene,             den weniger präzisen Betonbauteilen manch-
altersgerechte Wohnungen. «Wir vermieten vor          mal zu Problemen führt.
allem an Menschen, die im Schnitt achtzig Jah-           Im Gebäudeinnern wurden die Wände und
re alt sind und ein begrenztes Budget haben»,         das Holzwerk farblich differenziert und in den
erklärt Gaiwo-Geschäftsführer Samuel Schwit-          Wohnungen von Gaiwo, Gesewo sowie Adimo-
ter.                                                  ra gestrichen. Die Fassadengestaltung des Kro-
                                                      kodil-Gebäudes nimmt Elemente aus der in-
Neuartiger Holzbau                                    dustriellen Bebauung auf – beispielsweise die
Das Rennen machte schliesslich das Projekt            vertikale Gruppierung der Öffnungen, die an
der Architekturbüros Baumberger & Stegmeier           die grossen Fenster der ehemaligen Industrie-
aus Zürich und KilgaPopp aus Winterthur. Ba-          hallen erinnert. Der Materialwechsel in der
sierend auf dem im Gestaltungsplan definier-                                         Fortsetzung auf Seite 26
ten Volumen entwarfen sie ein Hofhaus. Es ist
nach Minergie P zertifiziert und erfüllt alle Vor-
gaben bezüglich Nachhaltigkeit und Energie-            Baudaten Gaiwo
effizienz für 2000-Watt-Areale. Das Haus um-           Bauträgerin:                                  Umfang:
schliesst einen 2000 Quadratmeter grossen              Genossenschaft für Alters- und Invali-        50 Wohnungen, Treffpunktraum
Innenhof. Rein von der äusseren Optik her              denwohnungen (Gaiwo), Winterthur
                                                                                                     Baukosten (BKP 1–5):
würde man hinter den Fassaden einen Massiv-            Architektur:                                  15,5 Mio. CHF total
                                                                                                                                    WOHNEN NOVEMBER 2020

bau erwarten. Doch die Decken, Wände und               Baumberger & Stegmeier AG, Zürich;            5200 CHF/m2 HNF
Stützen bestehen zu grossen Teilen aus vorge-          KilgaPopp Architekten AG, Winterthur
                                                                                                     Mietzinsbeispiele:
fertigten Holzelementen. Nur die Unterge-              Landschaftsarchitektur:                       2-Zimmer-Wohnung (50 m2):
schosse, einzelne Bereiche des Erdgeschosses           Hager Partner AG, Zürich                      1133 CHF plus 140 CHF NK
sowie ein Teil der Treppenhaus- und Liftkerne                                                        2 ½-Zimmer-Wohnung (61 m2):
                                                       Totalunternehmerin:
wurde in Beton erstellt. Bei dieser kombinier-                                                       1324 CHF plus 150 CHF NK
                                                       Implenia AG, Dietlikon
ten Bauweise kamen auch neue Techniken
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WINTERTHUR

                       Das Angebot der Gesewo reicht von Kleinwohnungen über die klassische Familienwohnung bis hin zu Clusterwohnungen und WG. Die Wohnungen
                       bieten sowohl Ausblicke auf den grossen Haushof als auch auf die Lichthöfe mit den Treppenhäusern.

                                                         Fassade und der Balkon auf der Seite zum Dia-       sowie Decken in Weiss, graue Wände und au-
                                                         logplatz hin wiederum markieren die Höhe, auf       berginefarbige Forster-Metallküchen. «Par-
                                                         der sich einst die Kranbahnen der Fabrik befan-     kett wird von unserer Mieterschaft sehr ge-
                                                         den.                                                schätzt und hat sich in anderen Liegenschaf-
                                                                                                             ten bewährt», sagt Gaiwo-Geschäftsführer
                                                         Gaiwo: günstige Kleinwohnungen                      Samuel Schwitter. In den Gesewo-Wohnun-
                                                         Bei der Materialisierung ihrer Wohnungen            gen hingegen sind helle Anhydritböden ver-
                                                         entschieden sich die beiden Genossenschaf-          legt, dazu kommen weisse Einbauküchen. Die
                                                         ten für unterschiedliche Konzepte: Die Gaiwo        Wände sind ebenfalls grau und das Holzwerk
                                                         wählte klassische Parkettböden, Holzstützen         weiss. Bei den Grundrissen entwarfen die Ar-
                                                                                                             chitekten für die Gaiwo eine Lösung mit drei
                                                                                                             minimal gehaltenen Treppenhauskernen. An
                        Baudaten Gesewo                                                                      diesen docken pro Stockwerk drei Wohnun-
                                                                                                             gen an. Das Angebot umfasst eine Dreizim-
                        Bauträgerin:                             Umfang:
                        Gesewo, Genossenschaft für selbstver-    71 Wohnungen und Jokerzimmer                merwohnung und 49 kleinere Wohnungen
                        waltetes Wohnen, Winterthur              (6597 m2 HNF), Ateliers, Gemeinschafts-     mit drei verschiedenen Grundrisstypen.
                                                                 und Gewerberäume (975 m2 HNF),                 Die eine bietet zweieinhalb Zimmer mit ei-
                        Betreiberin:
                                                                 Dachterrasse und Innenhof                   ner Wohnfläche von 61 Quadratmetern. Sie
                        Hausverein EinViertel,
                        www.einviertel-gesewo.ch                 Baukosten (BKP 1–5, prov.):                 reicht von Fassade zu Fassade und bietet so-
                                                                 34,7 Mio. CHF total (exkl. Parkierung)      wohl zum Innenhof einen Balkon als auch zur
                        Gesamtprojektleitung:
                                                                 4600 CHF/m2 HNF                             angrenzenden Gasse eine Loggia. Die anderen
                        Andreas Wirz, Archipel GmbH, Zürich
                                                                 Mietzinsbeispiele (Pflichtdarlehen          Wohnungstypen haben zwei Zimmer mit einer
                        Architektur:
                                                                 siehe Haupttext):                           Gesamtfläche von 55 oder 61 Quadratmetern
                        Baumberger & Stegmeier AG, Zürich;
                                                                 2 ½-Zimmer-Wohnung (61,5 m2):
WOHNEN NOVEMBER 2020

                        KilgaPopp Architekten AG, Winterthur                                                 und orientieren sich entweder zum Innenhof
                                                                 1417 CHF plus 208 CHF NK (subventio-
                        Landschaftsarchitektur:                  niert: 959 CHF plus 138 CHF)                oder zur Gasse hin. Die Mietpreise ohne Ne-
                        Hager Partner AG, Zürich                 4 ½-Zimmer-Wohnung (100,5 m2):              benkosten betragen beispielsweise für eine
                                                                 1929 CHF plus 333 CHF NK (subventio-        Zweizimmerwohnung im ersten Obergeschoss
                        Totalunternehmerin:
                                                                 niert 1323 CHF plus 230 CHF)                zum Hof hin 1133 Franken. Dieselbe Wohnung
                        Implenia AG, Dietlikon
                                                                 8 ½-Zimmer-Wohnung (6-Personen-WG,          kostet im fünften Stock 1350 Franken. Gemein-
                                                                 188,5 m2): 3452 CHF plus 616 CHF NK
                                                                                                             schaftlich genutzt werden die Waschküchen
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                                                                                                                                          WINTERTHUR
Der grosszügige Eingangsbereich im Gesewo-Teil wird mit seinen Tischen, Sesseln und einer kleinen Bar   An die Eingangshalle schliessen
auch der Gemeinschaftlichkeit dienen.                                                                   zwei Lichthöfe an, wo sich
                                                                                                        die Treppenhäuser mit den Woh-
                                                                                                        nungszugängen befinden.
im Keller und ein kleiner Treffpunkt im fünften       ten Innenhof blicken. Das Wohnungsangebot
Stock. Zudem hat die Gaiwo die Möglichkeit,           ist sehr breit: Kleine Wohnungen mit zweiein-
den Gemeinschaftsraum im Hausteil der Ge-             halb Zimmern sind ebenso dabei wie klassi-
sewo zu nutzen. Dafür konnte diese nicht be-          sche Familienwohnungen mit viereinhalb
nötigte Veloabstellräume von der Gaiwo über-          Zimmern oder Wohnraum für eine Cluster-
nehmen.                                               wohnung und zwei grosse WG mit bis zu elf-
                                                      einhalb Zimmern.
Gesewo: kommunikatives Wohnen                             Der Mietzins für eine 4 ½-Zimmer-Wohnung
Ganz anders als der Hausteil der Gaiwo kommt          mit 101 Quadratmetern Wohnfläche im dritten
das «EinViertel» der Gesewo im Innern daher.          Obergeschoss beträgt beispielsweise knapp
Das beginnt bereits im Eingangsbereich: Die-          zweitausend Franken ohne Nebenkosten. Dazu
ser erinnert mit seinen meergrünen Wänden,            kommen ein Pflichtdarlehen und ein freies
den grosszügigen Platzverhältnissen, den Ti-          Darlehen. Für eine Familienwohnung beläuft
schen, Sesseln und einer kleinen Bar eher an          sich die aufzutreibende Summe auf rund 65 000
eine Hotelhalle als an ein Wohnhaus. Ihre             Franken. «Es ist sicher so, dass dies den Kreis
Fortsetzung findet diese Grosszügigkeit in den        der potenziellen Mieter ein Stück weit ein-
beiden je sechs Geschosse hohen Lichthöfen            schränkt», sagt Gesewo-Geschäftsführerin Ka-
mit offenen Treppenaufgängen. Diese schlies-          tharina Gander. Die Genossenschaft verfügt
sen links und rechts an die Eingangshalle an.         aber über einen Pflichtdarlehensfonds, der bei
Sie machen das von der Gesewo gewünschte              Mietenden mit beschränkten finanziellen Ver-
kommunikative Wohnen trotz der Gebäude-               hältnissen den grössten Teil des Darlehens
tiefe von 25 Metern überhaupt möglich. Damit          übernehmen kann. Die Darlehen der Mieter-
erhalten die Wohnungen Tageslicht auch über           schaft sind notwendig, um zusammen mit Ei-
                                                                                                                                          WOHNEN NOVEMBER 2020

die zu den Lichthöfen orientierten Fenster im         genkapital aus dem Vermögen der Gesewo das
Bereich der Küchen, Garderoben und Loggi-             Projekt zu finanzieren. Neben den Wohnungen
en. Diese Fenster schaffen zugleich Ein- und          stehen den Gesewo-Mieterinnen und -Mietern
Ausblicke sowie Sichtkontakte. So kann man            im «EinViertel» auch zwei Ateliers und ein Ge-
beispielsweise von der Küche aus über den             meinschaftsraum im Erdgeschoss, Joker- und
Lichthof und durch das Fenster der Loggia der         Gästezimmer sowie eine Dachterrasse zur Ver-
dortigen Wohnung hinweg bis in den begrün-            fügung. Die Genossenschaft vermietet im Erd-
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                                                                         geschoss zudem Gewerberäume – beispiels-                                    kauft oder baut dann die Liegenschaft. Die Ini-
WINTERTHUR

                                                                         weise an die Confiserie Vollenweider, die zum                               tianten gründen jeweils einen Hausverein, der
                                                                         Dialogplatz hin ein Café einrichten wird. Die                               anschliessend den Betrieb des Gebäudes und
                                                                         Gesewo selber betreibt seit September im                                    die Vermietung der Wohnungen übernimmt.
                                                                         «EinViertel» auch ihre Geschäftsstelle.                                     Nach diesem Rezept wurde vor zehn Jahren in
                                                                                                                                                     Winterthur beispielsweise auch das Projekt
                                                                         Neuland für die Gesewo                                                      «Giesserei» mit 140 Wohnungen realisiert. «Die
                                                                         Mit der Planung und Realisierung des «Ein-                                  Genossenschaft ist eigentlich in erster Linie
                                                                         Viertel» betrat die Gesewo Neuland, nicht nur                               eine Dienstleisterin, welche die Hausgemein-
                                                                         aufgrund der für die relativ kleine Genossen-                               schaft bei der Umsetzung ihrer Idee unterstützt
                                                                         schaft hohen Investitionskosten – die Gesamt-                               und den Kauf oder Bau einer Liegenschaft
                                                                         anlagekosten belaufen sich voraussichtlich auf                              überhaupt erst möglich macht», sagt Geschäfts-
                                                                         46,7 Millionen Franken –, sondern auch wegen                                führerin Katharina Gander.
                                                                         des ungewohnten Planungsablaufs: Üblicher-                                     Beim Neubau in der Lokstadt war es gerade
                                                                         weise kommt eine Gruppe mit einem konkre-                                   umgekehrt: Hier gab es zum Zeitpunkt des Re-
                                                                         ten Projekt auf die Genossenschaft zu. Diese                                alisierungsentscheids keine Initianten und kei-

                       Von der Loki zur Lokstadt
                       Das ehemalige Areal der Lokomotiv- und Maschinenfabrik bildet den letzten Akt der
                       Umnutzung des Sulzer-Areals Stadtmitte in Winterthur. Eine kurze Abhandlung
                       des langen Wegs vom Industriestandort zum Wohn- und Geschäftsquartier «Lokstadt».
                       Von Üsé Meyer
                                                                                                                                                                 Dialogplatz
                                                                                                                                                                 Das grüne Herz der Lokstadt:
                                                                                                          Rocket                                Der zentrale, verkehrsfreie
                       «Lokianer» nannten sie

                                                                                                                                                                                                                            Bild: Implenia
                                                                                               Das bis zu 100 Meter hohe                        Stadtplatz wird mit seinem
                                                                                                                                                 Dialogplatz
                       sich selbst, die Angestell-                                             Wahrzeichen der Lokstadt ist
                                                                                               nicht nach einer Winterthurer
                                                                                                                                                dichten, grünen Baumdach
                                                                                                                                                zum Schlendern und Verwei-
                       ten der Schweizerischen                                                 Lok, sondernRocket
                                                                                                             nach der welt-                     len einladen.
                                                           Elefant                             weit ersten gebauten Loko-
                       Lokomotiv- und Maschi-              An der Ecke Zürcherstrasse/         motive  benannt.  Das   Wohnge-                                          Krokodil
                       nenfabrik (SLM) in Win-                Elefant
                                                           Katharina-Sulzer-Platz gele-        bäude verfügt über ein öffent-                                           Krokodil
                                                                                                                                                                        Die erste Wohnüberbauung
                                                           gen, werden hinter denkmal-         liches Dachgeschoss.                                                     der Lokstadt ist ein grosser
                       terthur. Die Arbeit war             geschützten Fassaden neue,                                                                                   Holzbau und besitzt einen In-
                                                           attraktive Dienstleistungsflä-                                                                               nenhof. Sie fasst vier unter-
                       lang und hart – Pausen gab          chen entstehen. Dazu gehört                                           Tigerli                                schiedliche Wohnformen un-
                                                                                                                                Tigerli
                       es kaum. Trotzdem wurde             auch  die Halle «Rapide»,
                                                           ein Hotel vorgesehen ist.
                                                                                     in der                                                                             ter einem Dach zusammen.

                       es als Privileg erachtet, ein
                                                                                                                                                                                           Drehscheibe
                       Teil der «Loki» zu sein,                                                                                                                                                 Drehscheibe   Technopark
                                                                                                                                                                                                               Technopark

                       man war stolz, an den Lo-                                                                          Bigboy
                                                                                                                          Bigboy

                                                                                            Rapide
                       komotiven mitzuarbeiten,                                               Rapide

                                                      Habersack
                       die schliesslich auf den       Habersack
                                                      Das Tor zur Lokstadt:
                                                      Die öffentliche, denkmal-
                       Geleisen in aller Welt un-     geschützte Halle soll eine
                       terwegs waren. Gegründet       Vielfalt von Gastronomie-                             Draisine
                                                                                                              Draisine
                                                      und Einkaufsangeboten                                                                                                                    Stadthäuser
                       wurde die SLM 1871 von         bieten und das neue Herz-
                                                                                                                                                                                                Stadthäuser
                                                                                                                                                                                               Die Verknüpfung von bestehen-
                                                      stück der Lokstadt werden.                                                         Tender
                                                                                                                                         Tender                                                der Bausubstanz und moderner
                       Charles Brown, sie stieg                                                                                                                                                Architektur schafft ein einzig­
                       zum grössten Lokomotiv-                                                                  Roter    Pfeil
                                                                                                                  Roter Pfeil
                                                                                                                                                                                               artiges Immobilienangebot.

                       hersteller in der Schweiz
                       auf und beschäftigte zu ih-
                                                                                                                                                        Lokhaus
                       rer besten Zeit rund 1500                                                                                                        Lokhaus
                                                                                                                                                        Informations- und Veranstaltungs-
                                                                                                                                                        raum in einem. Hier erfahren Sie
                       «Lokianer». Dann verän-                                                                                                          alles über die Lokstadt. Aktuelle In-
                                                                                                             Haltestelle
                                                                                                                    HaltestelleLoki
                                                                                                                                Loki
                       derte sich das internatio-                                                                                                       fos finden Sie stets auch auf der
                                                                                                                                                        Website: www.lokstadt.ch
                       nale Lokomotivgeschäft
                       sehr schnell zu ungunsten Übersichtsplan der Lokstadt, die bis 2024 entsteht. Sie umfasst Neubauten ebenso wie erhaltenswerte
                       der SLM, weshalb die einst historische Gebäude.
                       stolze Firma 1998 vom
                       Markt verschwand und ihre Geschäfts- baulichen Leitbildes angestossen. Im sel- zent der Wohnflächen dem gemeinnützi-
WOHNEN NOVEMBER 2020

                       sparten entweder geschlossen, verselb- ben Jahr kaufte der Immobilienkonzern gen oder preisgünstigen Wohnen vorbe-
                       ständigt oder veräussert wurden. Das Implenia das Areal und erarbeitete mit halten sein müssen.
                       Ende der SLM machte Platz für neue, vor- der Stadt Winterthur einen Gestaltungs-
                       erst temporäre Nutzungen auf dem Areal, plan, der 2015 von der Stadtbevölkerung Neues Leben
                       das bald «Werk 1» genannt wurde. Die angenommen wurde. Ein wichtiges Ele- Der weitere Planungsprozess erwies sich
                       definitive Umnutzung des «Werk 1» wur- ment des Gestaltungsplans bildete die als herausfordernd. Es gab etwa Diskussi-
                       de 2010 mit der Erarbeitung eines städte- Regelung, dass mindestens dreissig Pro- onen zu Anzahl und Höhe der Hochhäu-
KOMMUNIKATIVES KROKODIL - EINVIERTEL
29

nen Hausverein. Dieser wurde für einmal vom

                                                                                                                                                                         WINTERTHUR
Vorstand der Genossenschaft mit einem eigens
dafür eingestellten Projektleiter selber ins Le-
ben gerufen. Es entstand zwar rasch eine Grup-
pe Interessierter, die im Rahmen von zahlrei-
chen Workshops auch in die Planung des Ge-          Die Fassadengestaltung des Krokodil-Neubaus nimmt Elemente des
bäudes mit einbezogen wurde. Der eigentliche        industriellen Erbes auf.
Hausverein – der heute für das Gebäude zu-
ständig ist – wurde erst 2016 gegründet, als vie-   sondern auch langfristig für einen Grossteil der
le Entscheide längst gefällt waren. «Wir planten    Mieterschaft passen würde. «Die jetzige Lö-
zu Beginn zusammen mit Leuten, die später           sung mit den Lichthöfen und den grossen ge-
nicht unbedingt zu den Nutzern gehören wür-         meinschaftlichen Räumen im Erdgeschoss
den», sagt Andreas Wirz. Eine Herausforderung       lässt eine breite Vielfalt zu, und es wird span-
dabei war etwa, ein Konzept für die Wohnun-         nend sein zu sehen, wie der Hausverein diese
gen und Gemeinschaftsräume zu entwickeln,           Flächen künftig in Beschlag nimmt», sagt Ge-
das nicht partikulären Interessen entsprach,        sewo-Gesamtprojektleiter Andreas Wirz. 

ser, über die Erhaltung des Fabrikkirchen-

                                                                                                                                          Bild: Alessandro Della Bella
gebäudes wurde debattiert, und schliess-
lich sagte 2017 mit der Fachhochschule
ZHAW auch noch einer der ursprünglich
eingeplanten Hauptnutzer ab. Für einen
Teil der Flächen konnte als Ersatz die
Krankenkasse Swica als Ankermieterin
gewonnen werden. Schliesslich erfolgte
im Jahr 2018 die Grundsteinlegung für
das erste Gebäude (siehe Haupttext).
   In der «Lokstadt», wie das ehemalige
«Werk 1» heute heisst, werden Themen
wie Ökologie und Nachhaltigkeit hochge-
halten: Beispielsweise wird der neue
Stadtteil das erste 2000-Watt-Areal von
Winterthur sein. Sorge trägt man auch
der alten Bausubstanz – diverse unter
Schutz stehende Gebäude und Hallen
bleiben bestehen und sorgen damit für
die Erhaltung des industriellen Charak-
ters des Areals. Die historischen Gebäu-
de, genauso wie die Neubauten, werden
Namen von bekannten Lokomotiven tra-          Lokstadt-Baustelle im Juni 2020: Als erstes Haus wird das «Krokodil» fertig.
gen, von denen der grösste Teil auf eben
diesem Areal gebaut wurde: Krokodil,                                                                                                      Bild: winbib

Elefant, Habersack, Tigerli oder Roter
Pfeil sind nur einige davon. Als Eingangs-
tor zur «Lokstadt» dient künftig die denk-
malgeschützte Halle «Habersack» mit
Gastronomie- und Einkaufsangeboten.
Sie führt direkt zum Herz des Areals, zum
«Dialogplatz». Ein grünes Dach aus rund
150 Bäumen soll dort zum Schlendern
und Verweilen einladen. Während mit
dem Gebäude «Krokodil» der erste Neu-
bau des Areals dieses Jahr fertiggestellt
wurde, soll mit dem Hochhaus «Rocket»
2025 der letzte Bau bezugsbereit sein.
                                                                                                                                                                         WOHNEN NOVEMBER 2020

Dann werden auf den 120 000 Quadrat-
metern der «Lokstadt» in 750 Wohnun-
gen rund 1500 Menschen leben und ein
Vielfaches davon in den Büros, Co-Wor-
king-Spaces, Gastronomiebetrieben, Ver-
kaufsläden oder im Hotel arbeiten. Sie        Die 1871 gegründete Schweizerische Lokomotiv- und Maschinenfabrik (SLM). Sie beschäftigte
alle sind dann die neuen «Lokianer».         bis zu 1500 Menschen.
KOMMUNIKATIVES KROKODIL - EINVIERTEL KOMMUNIKATIVES KROKODIL - EINVIERTEL KOMMUNIKATIVES KROKODIL - EINVIERTEL
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