Wann ist eine Strahlentherapie bei gutartigen Erkrankungen sinnvoll?

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BERICHT

Wann ist eine Strahlentherapie
bei gutartigen Erkrankungen sinnvoll?
Zum Einsatz von Strahlen bei Fersensporn & Co.

Strahlen werden nicht nur bei bösartigen Erkrankungen erfolgreich einge-                         Ansprechen auf Strahlen zu rechnen»,
setzt. Auch im Fall von Fersensporn, Tennisellenbogen oder Morbus Dupuyt-                        erklärt Seegenschmiedt.
                                                                                                 Als Indikationen für eine Strahlenthera-
ren kann eine Strahlentherapie hilfreich sein, aber hier ist sie im therapeuti-                  pie bei schmerzhaften Prozessen gelten:
schen Angebot sehr viel weniger präsent. Einen Überblick über die damit ver-                     ❖ Gelenkschmerzen (mit behinderter

bundenen Möglichkeiten und Grenzen bot eine Fortbildung der Klinik für                             Normalfunktion), die sich als refrak-
                                                                                                   tär gegen konventionelle Behandlun-
Radio-Onkologie des Universitätsspitals Zürich, ergänzt durch ein Update zur                       gen erwiesen haben;
Arthrosetherapie.                                                                                ❖ eine funktionelle Inoperabilität oder
                                                                                                   Ablehnung einer Operation;
                                                                                                 ❖ lange Wartezeit bis zur geplanten
          Christine Mücke
                                                                                                   Operation;
                                                                                                 ❖ Kontraindikationen gegen andere
          Schon seit Jahrzehnten wird die Strah-     Unter den entzündlichen Veränderun-           Behandlungen.
          lentherapie auch bei gutartigen Erkran-    gen haben die aktivierten Arthrosen
          kungen eingesetzt, ohne dass dazu ent-     mit fast 40 Prozent den grössten Anteil,    Antientzündlich oder inflamma-
          sprechende Evidenz vorlag. «Aber in        danach folgen Fersensporn (25%) und         torisch – die Dosis macht’s
          den letzten Jahren sind gute randomi-      Periarthropathien der Schulter (21%).       Die immunmodulierenden Eigenschaf-
          sierte Studien gemacht worden», sagte      Bei Patienten mit schmerzhaften Ge-         ten der Strahlen unterscheiden sich je
          Prof. Dr. Guckenberger, Universitäts-      lenkbeschwerden gibt die Anamnese           nach Dosis: Im Niedrigdosisbereich
          spital Zürich. Wesentlichen Anteil         wesentliche Hinweise auf Art und Aus-       (Einzeldosis < 1 Gy, Gesamtdosis < 12 Gy,
          daran hatte Prof. Dr. M. Heinrich See-     prägung der Schmerzen. Etwa das             nur perkutan) wirken sie antientzünd-
          genschmiedt aus dem Strahlenzentrum        Schmerzprofil, die Funktion, auch be-       lich. Im Hochdosisbereich (Einzeldosis
          Hamburg, der sich seit 1995 in der         rufliche Anforderungen oder (sportli-       1,8–2 Gy; Gesamtdosis > 30 Gy; per-
          Arbeitsgruppe «Gutartige Erkrankun-        che) Hobbys gehören dazu. Aber auch         kutan und interstitiell) der Therapie
          gen» der Deutschen Gesellschaft für        die Ursache ist zu hinterfragen: Ist die    maligner Tumoren hingegen haben sie
          Radioonkologie (DEGRO) dem Ein-            Entzündung sekundär? Liegt eine Frak-       inflammatorische Effekte.
          satz der Strahlen bei gutartigen und       tur oder ein Trauma zugrunde? Wie           Die lindernde Wirkung einer Niedrig-
          entzündlichen Erkrankungen widmet.         sieht es mit Differenzialdiagnosen aus?     dosisbestrahlung bei schmerzhafter
          1995 entstanden in Deutschland die         Wichtig: Eine Strahlentherapie kommt        Arthrose erklärt Seegenschmiedt mit
          ersten nationalen Konsensusleitlinien,     nicht in einer primären Schmerzsitua-       zellulären und molekularen Effekten,
          die regelmässig überarbeitet zurzeit als   tion infrage – nicht nur wegen der          die via Endothel auf Makrophagen und
          «S2e Leitlinie Strahlentherapie gut-       Möglichkeit einer Spontanremission,         Leukozyten gerichtet sind. So erfolge
          artiger Erkrankungen» zur Verfügung        sondern es sollten zunächst auch an-        etwa im Niedrigdosisbereich eine
          stehen (siehe Kasten 1). Mit zuneh-        dere Interventionen (Ruhigstellung,         Dämpfung der Zellaktvität (Down-
          mendem Wissen hat der Einsatz der          Kühlung, Injektionen, ggf. Stosswellen-     Regulation), wodurch – ähnlich wie bei
          Strahlentherapie bei entzündlichen, de-    therapie etc.) versucht werden.             Medikamenten – apoptopische Reak-
          generativen, hyperproliferativen so-                                                   tionen angestossen werden, die die Ent-
          wie funktionellen Erkrankungen einen       Zeitfenster beachten                        zündung gezielt reduzieren: «Im Ver-
          deutlichen Zuwachs zu verzeichnen.         «Tritt nach 3 bis 6 Monaten keine Bes-      gleich zu oralen Medikamenten, von
          Dieser betrug von 1999 bis 2004 in         serung ein, sollte eine Strahlentherapie    denen wir gar nicht genau wissen, wie
          Deutschland insgesamt 86 Prozent.          in Erwägung gezogen werden, denn in         sie das Zielgebiet erreichen, sind Strah-
          Eine Auswertung am Strahlenzentrum         vielen Studien wird deutlich, dass das      len weitaus gezielter und haben weni-
          Hamburg von 2009 bis 2013 zeigt,           Zeitfenster zwischen 6 und 12 Mona-         ger Nebenwirkungen.» Lokoregionaler
          dass die grösste Zunahme bei degene-       ten für eine Strahlentherapie optimal       Zugang, schneller Abbau der Ent-
          rativen Gelenkbeschwerden und hyper-       ist. Bei Schmerzen, die länger als 1 Jahr   zündung und die nachhaltige Wirkung
          proliferativen Erkrankungen stattfand.     bestehen, ist mit einem schlechteren        der Niedrigdosisradiotherapie seien die

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                                                                                                                                Vorteile einer Strahlentherapie, fasst der
  Kasten 1:                                                                                                                     Experte zusammen. Und falls erforder-
  Aktualisierte Leitlinien 2015                                                                                                 lich, ist auch eine Wiederholung möglich.

  Die im Springer-Verlag erschienene Leitlinie befasst sich mit Indikationsstellung, Dosis                                      Auswirkungen auf DNA und Erbgut?
  und Bestrahlungstherapie ausgewählter gutartiger Erkrankungen, unter anderem von                                              Vor dem Entscheid für eine Strahlen-
  Morbus Dupuytren, Morbus Ledderhose, Keloiden und Induratio penis plastica (1). Für                                           therapie müssen allfällige Risiken und
  die meisten davon gibt es in der Literatur umfangreiche Evidenz, dass die Strahlenthe-                                        Nebenwirkungen sorgfältig in Betracht
  rapie eine schonende und effektive Behandlungsoption darstellt (siehe auch Tabelle 1).                                        gezogen werden. Denn trotz der extrem
  Die Evidenzlevel variieren von 2c bis 4, die Empfehlungsgrade von A bis C. Somit kann                                         kurzen Einwirkung der Strahlen wer-
  eine Strahlentherapie im Rahmen interdisziplinärer Behandlungskonzepte für die mei-
                                                                                                                                den in den Geweben nicht nur relativ
  sten der genannten Erkrankungen empfohlen werden, sei es als primärer Ansatz, als
                                                                                                                                kurzfristig einsetzende Reparaturme-
  wirkungsvolle Alternative oder Ergänzung zu anderen Therapieoptionen.
                                                                                                                                chanismen, sondern vor allem auch
                                                                                                                                langfristige biologische Effekte ange-
  Erkrankung                                                                      Evidenzgrad             Empfehlung
                                                                                                                                stossen (Abbildung 1). Sowohl Neben-
  agressive Fibromatose                                                                   II                      B             wirkungen als auch eine Tumorinduk-
                                                                                                                                tion könnten sich mit grosser Latenz
  Keloide und hypertrophe Narben                                                          II                      B
                                                                                                                                bemerkbar machen und je nach Alter
  schmerzhafte degenerative Gelenkerkrankungen =                                        II–III                  B–C             des Patienten auch Jahrzehnte später
  aktivierte Arthrose                                                                                                           noch relevant sein, betonte Dr. Nico-
  schmerzhafte Insertionstendinopathie                                                  II–III                  B–C             laus Andratschke, Universitätsspital
                                                                                                                                Zürich.
  Morbus Dupuytren (Handfläche)                                                         II–III                  B–C

  Morbus Ledderhose (Fusssohle)                                                          III                      C             Genetisches Risiko vor allem
                                                                                                                                bei Älteren zu vernachlässigen
                                                                                                                                Insgesamt ist das Krebsrisiko abhängig
  Evidenz- und Empfehlungsgrade lehnen sich an das Schema des Oxford Centre of Evi-
                                                                                                                                von der Strahlendosis, vom exponier-
  dence-Based Medicine für die Therapie von Erkrankungen an. Studien der Klasse Ia
                                                                                                                                ten Organ, vom Volumen des bestrahl-
  haben die höchste Evidenz, Studien der Klasse IV die geringste. Je besser der Evidenz-
  grad, desto besser ist die wissenschaftliche Begründbarkeit für eine daraus abgeleitete                                       ten Gewebes sowie vom Alter der Be-
  Therapieempfehlung, die Empfehlungen Grad A, B, C und D bedeuten soll/sollte/kann                                             troffenen. Diese Überlegungen sind vor
  durchgeführt werden beziehungsweise die Entscheidung ist offen.                     Mü                                        allem für Patienten mit Kinderwunsch
                                                                                                                                relevant. Für die mehrheitlich bereits
  Radiotherapy for Non-Malignant Disorders, Editors: Michael Heinrich Seegenschmiedt MD, Hans-Bruno Makoski MD, Klaus-Rüdiger
  Trott MD, Luther W. Brady MD, ISBN: 978-3-540-62550-6 (Print) 978-3-540-68943-0 (Online)                                      über 50 Jahre alten Patienten, die zur
                                                                                                                                Bestrahlung gutartiger Veränderungen
                                                                                                                                kommen, seien sie jedoch zu vernach-
                                                                                                                                lässigen, so Andratschke. Grundsätz-

                                                                                           
                             Biologische Effekte von Bestrahlung                                                                lich sei die Strahlenempfindlichkeit bei
                                                                                                                                Jüngeren grösser, zudem das Lebens-
                                                                                                                                zeitrisiko aufgrund der noch längeren
                                                     DNA-Schaden                                                                Lebenszeit höher.
                                                                                                                                Wenn es um die Bestrahlung wegen gut-
                        Zelltod                                                       Zellüberleben                             artiger Erkrankungen geht, werden
                                                                                                                                Grenzwerte, ab denen sicher mit einer
                                                                                                                                Tumorinduktion zu rechnen ist (deter-
   Mukositis, Hautschäden                          somatische Zelle                              Karzinogenese                  ministischer Effekt), nicht erreicht. Al-
        Infertilität                                  Keimzelle                                   Mutationen                    lerdings hat prinzipiell jede Strahlenbe-
                                                                                                                                lastung tumorinduzierendes Potenzial,
                                                                                                                                das jedoch nicht zwingend auch zu
                                                                                                                                einem Tumor führt (stochastischer Ef-
                                                                                                                                fekt) – hierfür gibt es keinen Grenzwert.
            Deterministische Effekte                                             Stochastische Effekte                          «Zur Abschätzung des Gesamtrisikos
                                   nt
                              eleva
                                                                                                                                einer Tumorinduktion versuchen wir,
                    r n icht r
                  ❖ Schweregrad                                                  ❖ Wahrscheinlichkeit
                                                                                                                                die Wirkung einer applizierten Strah-
                  ie
                 Hdosisabhängig                                                       dosisabhängig
                                                                                                                                lendosis über die effektive Dosis zu
                 ❖ Schwellenwert                                                 ❖ kein Schwellenwert                           beurteilen», erklärte der Experte. Die
                                                                                                                                effektive Dosis setzt sich zusammen aus
                                                                                                                                Äquivalenzdosis und – aufgrund unter-
Abbildung 1: Auch eine kurze gezielte Bestrahlung kann mit langfristigen Auswirkungen                                           schiedlicher Strahlensensitivität – organ-
einhergehen. Jede Strahlenbelastung hat tumorinduzierendes Potenzial, das jedoch nicht                                          spezifischem Wichtungsfaktor. Am Bei-
zwingend auch zu einem Tumor führt.                                                                                             spiel der Bestrahlung eines Fersensporns

              ARS MEDICI 8 ■ 2016                                                                                                                                   369
BERICHT

                                                                                                  wird die Indikation bei uns sehr vor-
                                                                                                  sichtig und erst nach Ausschöpfung der
                    So sehe ich das                                                               Alternativen gestellt.»
                    Dr. med. Adrian Forster, Kantonsspital Winterthur                             Die eher konservative Indikationsstel-
                                                                                                  lung zur Strahlentherapie am USZ be-
                                                                                                  stätigte Guckenberger in der anschlies-
                                                                                                  senden Frage- und Antwortrunde:
                                                                                                  «Auch wenn die Zahlen eine andere
  Meiner Erfahrung nach sind die besten Indikationen für einen Strahlentherapie bei gut-          Einschätzung erlauben und das Risiko
  artigen Erkrankungen einerseits entzündliche Erkrankungen im engeren Sinne, näm-                absolut und relativ vertretbar ist, be-
  lich Enthesitiden im Rahmen von Spondyloarthritiden, typischerweise Ferse, welche auf           handeln wir junge Patienten nicht. Wir
  die medikamentöse Therapie wie TNF-Hemmer nicht ansprechen, andererseits diffuse                konzentrieren uns auf ein Patienten-
  proliferative Erkrankungen, insbesondere die plantare Fibromatose – Morbus Ledder-              kollektiv, bei dem wir keine relevanten
  hose –, wenn diese zu ausgedehnt ist, um sie mittels Steroidinfiltration anzugehen. An          Risiken sehen.»
  zweiter Stelle stehen für mich polyartikulär stark aktive Fingerpolyarthrosen.       ❖
                                                                                                  Strahleneinsatz bei Fibromatosen:
                                                                                                  vom Morbus Dupuytren ...
                                                                                                  Wann bei Fibromatosen eine Indika-
                                                                                                  tion zur Stahlentherapie vorliegt, fasste
                           Die optimale Patientenselektion
                                                                                                  Guckenberger im nächsten Vortrag zu-

                                                                         
                                                                                                  sammen. Er begann mit dem Morbus
                                    Die richtige Indikation                                       Dupuytren, einer proliferativen Er-
                                                                                                  krankung der Fibroblasten mit hoher
                                                                                                  Prävalenz. Ihr Altersgipfel liegt bei 50
                                                                                                  bis 60 Jahren, sie ist deutlich häufiger
        Alter < 30 Jahre             Alter 30 bis 50 Jahre           Alter > 50 Jahre             bei Männern. Bekannt sind als Risiko-
                                                                                                  faktoren unter anderem genetische und
                                                                                                  Umweltfaktoren, Alter, Tabak- und
            keine RT                  nach Ausschöpfen                frühzeitige RT              Alkoholkonsum sowie assoziierte Er-
                                       der Alternativen                  sinnvoll                 krankungen wie Diabetes oder Krebs –
                                                                              RT: Radiotherapie   dennoch bleibt der genauere Zusam-
                                                                                                  menhang noch weitgehend unklar.
                                                                                                  Vorliegen und Ausmass einer allfälligen
Abbildung 2: Bei grundsätzlich richtiger Indikation orientiert sich die Entscheidung für oder
                                                                                                  Kontraktur sind wichtige Kriterien für
gegen eine Strahlentherapie am Alter.
                                                                                                  das therapeutische Vorgehen. Im kli-
                                                                                                  nisch fortgeschrittenen Stadium mit re-
           mit 6 × 0,5 Gy zeigte Andratschke, dass      und das Risiko mit 0,1 beziehungs-        levanten, schmerzhaften Kontrakturen
           die effektive Dosis auch ohne Strahlen-      weise 0,05 Prozent bereits etwas höher.   und beeinträchtigter Lebensqualität wird
           schutzmassnahmen mit 0,0015 Sievert          Vor dem Hintergrund eines allgemei-       chirurgisch interventiert. Im interme-
           niedrig und das additive genetische          nen Lebenszeitrisikos für eine Krebs-     diären Stadium kann als einzige nicht
           Risiko in diesem Fall verschwindend          erkrankung von 20 bis 25 Prozent ist      chirurgische Option Kollagenase inji-
           gering ist. Zum Vergleich: Die Strah-        diese Risikoerhöhung jedoch praktisch     ziert werden – eine effektive Mass-
           lenbelastung eines Abdomen-CT liegt          nicht nachweisbar.                        nahme, trotzdem bleiben bei einem
           bei 0,02 Sievert.                                                                      Drittel der Patienten residuelle Kon-
                                                        Eine gute Patientenselektion              trakturen und Bewegungseinschrän-
«Das genetische Risiko ist bei den                      ist entscheidend                          kungen. Eine Strahlentherapie ist im
                                                        Im Vergleich zu den gastrointestinalen    frühen proliferativen Stadium der Er-
meisten Strahlenbehandlungen gut-
                                                        und kardiovaskulären Risiken, die etwa    krankung ohne relevante Kontraktu-
artiger Erkrankungen nicht relevant.»                   mit einer Vorbehandlung durch NSAR        ren indiziert, mit dem Ziel, die Progres-
                                                        einhergehen, ist die Strahlenbehand-      sion zu stoppen. Die beste Studie dazu
           Das Risiko einer Tumorinduktion als          lung eine sichere Methode – für den       stammt aus Erlangen; sie umfasst 135
           Spätfolge wird ähnlich abgeschätzt. Al-      richtigen Patienten mit der richtigen     Patienten im Frühstadium mit progre-
           tersabhängig liegt das Lebenszeitrisiko      Indikation (siehe Abbildung 2), so das    dienter Erkrankung über mindestens
           wiederum im Fall einer Fersenspornbe-        Fazit von Andratschke: «Unter 30 Jah-     6 Monate. Diese wurden mit 10 x 3 Gy
           strahlung zwischen 0,009 (Risiko bei         ren ist die Risikoabschätzung schwie-     in zwei Serien bestrahlt. Je früher ein
           Bestrahlung mit 50 Jahren) und 0,005         rig, da sehen wir im Moment von einer     Krankheitsstopp erzielt werden konnte,
           Prozent (Risiko bei Bestrahlung im           Strahlentherapie ab. Bei Patienten über   desto höher die Möglichkeit einer lang-
           Alter von 70 Jahren) sehr niedrig. Bei       50 Jahre ist ein früher Einsatz der       fristigen Stabilisierung, so Guckenber-
           einer Palmarfibromatose (10 × 2 Gy)          Strahlentherapie sinnvoll und das Risi-   ger weiter – in der Studie gelang das nach
           liegt die effektive Dosis bei 0,25 Sievert   koprofil zu rechtfertigen. Dazwischen     13 Jahren in 70 bis 87 Prozent der Fälle.

370        ARS MEDICI 8 ■ 2016
BERICHT

         Und die Beschwerden? Zwei Drittel der        10 Sitzungen. Damit können Progres-         Fazit: Bei den drei genannten hyperpro-
         Patienten erfuhren eine Linderung, bei       sion und Schmerzen bei über 80 Prozent      liferativen Fibromatosen sollte die An-
         14 Prozent blieben die Beschwerden           der Patienten kontrolliert werden.          wendung von Strahlen früh erwogen
         unverändert, und bei 20 Prozent kam          Eine weitere Option für den Einsatz         werden – jedoch nur bei progredienten
         es zur Progression. Die Späteffekte der      von Strahlen kann der seltenere Mor-        Erkrankungen, da grundsätzlich die
         Strahlentherapie waren relativ mild und      bus Peyronie sein. Er stellt für die Be-    Möglichkeit einer Spontanremission
         wahrscheinlich der normalen Hautalte-        troffenen eine sehr grosse Belastung dar    besteht. Solange keine oder allenfalls
         rung vergleichbar, berichtete der Experte.   und hat seinen Häufigkeitsgipfel im         geringe funktionelle Einbussen vorlie-
         Überdies konnte trotz Bestrahlung im         Alter zwischen 50 und 70 Jahren. In den     gen, kann bei einer relevanten Zahl von
         weiteren Verlauf erfolgreich operiert        aktuellen AUA-Leitlinien werde die Strah-   Patienten mit einer Strahlentherapie die
         werden (erforderlich in 42 Fällen).          lentherapie zwar nicht empfohlen, aber      Erkrankung zum Stillstand gebracht
                                                      es gebe eine ganze Reihe von Unter-         und ein chirurgisches Verfahren ver-
         ... bis Morbus Ledderhose und                suchungen – viel mehr als bei einigen       hindert werden, fasste Guckenberger
         Morbus Peyronie                              anderen Indikationen, berichtete Gu-        zusammen.                             ❖
         Bei einer Fibromatose der Plantar-Apo-       ckenberger. So zeigen aktuelle Studien
         neurose (Morbus Ledderhose) sind             bei 29 bis 75 Prozent der Behandelten       Christine Mücke
         Kontrakturen seltener, im Vordergrund        eine Verbesserung – sei es eine Reduk-
         stehen Schmerzen und Einschränkun-           tion der Schmerzen (56–100%) oder           Quelle: Symposium Strahlentherapie: Unerwartete Hilfe
                                                                                                  bei Fersensporn, Tennisellenbogen und Morbus Dupuytren.
         gen der Gehfähigkeit durch die knoti-        der Deviation (11–78%). Wichtig ist         Donnerstag, 14. Januar 2016, Universitätsspital Zürich.
         gen Veränderungen. Analog zum Mor-           auch hier eine frühe Indikationsstellung:
         bus Dupuytren wird vorzugsweise in           Liegt erstmal eine grössere Deviation
         frühen Stadien bestrahlt, lokalisiert in     vor, bildet sie sich nicht mehr zurück.

Update Arthrose: Klinische Kompetenz gefragt

Bevor eine Arthrose ein Fall für den Radiologen wird, vergeht meist einige                        genannte Effekt-Size; jeweils im Ver-
Zeit. Bis dahin spielen die richtige Diagnose und Therapie eine wichtige Rolle                    gleich zu Plazebo bzw. Kontrolle). Die
                                                                                                  Zusammenfassung von Studien ver-
– und dabei vor allem die klinische Kompetenz des betreuenden Arztes.                             schiedener Interventionen zeigt bei-
                                                                                                  spielsweise, dass Paracetamol (Wirk-
         Christine Mücke                                                                          grösse 0,15) wesentlich weniger wirk-
                                                                                                  sam ist als eine Gewichtsreduktion
                                                                                                  (0,20) und etwas wirksamer als Infor-
         Der erste Reflex bei Patienten mit           Die symptomatische Arthrose ist             mationen über das Krankheitsbild (0,1).
         Arthrose ist häufig ein Röntgenbild.         charakterisiert durch intraartikuläre       Paracetamol wird häufig aus Angst vor
         Dieses bringt aber in der Regel weder        Schmerzen, Anlauf-, Bewegungs- und          den gastrointestinalen Nebenwirkun-
         diagnostisch noch für das weitere Pro-       Belastungsschmerzen, sobald Druck           gen unter NSAR gegeben – dabei geht
         zedere wichtige Erkenntnisse, bedau-         auf das Gelenk ausgeübt wird (z.B.          es selbst mit einem solchen Risiko
         erte Dr. Pius Brühlmann, Universitäts-       treppab auf das Knie oder treppauf auf      einher. Einen diesbezüglichen Schutz
         spital Zürich, zum Auftakt seines Up-        die Hüfte). Die dekompensierte Ar-          ermöglicht entweder die zusätzliche
         dates über die Arthrose. Denn eine           throse ist wahrscheinlich therapeutisch     Gabe von Protonenpumeninhibitoren
         latente Arthrose ist nicht behandlungs-      am komplexesten, dabei liegen Irrita-       (PPI) oder der Einsatz von Coxiben an-
         bedürftig. Bei symptomatischer Arthrose      tionen im Bereich der Sehnen, Bänder        stelle von nicht steroidalen Antirheu-
         ist es für das weitere Vorgehen ent-         und Muskeln vor; hier kann man nicht        matika (NSAR).
         scheidend, woher der Schmerz kommt.          nur medikamentös eingreifen, sondern        Topische Präparate sind mit einer
         Ist er intraartikulär, periartikulär, ent-   muss auch funktionell auftrainieren.        Wirkgrösse von 0,45 recht effektiv, so
         zündlich oder mechanisch verursacht?                                                     der Experte. Die absolute Wirkung
         «Und dafür benötigen Sie nur ihre            Interventionen                              setzt sich wahrscheinlich zusammen
         klinische Kompetenz, weder Röntgen           und ihre Wirksamkeit                        aus der transkutanen Resorption sowie
         noch MRI», betonte der Rheumato-             Die Wirksamkeit verschiedener Inter-        dem physikalischen Effekt der Einrei-
         loge. «Das Röntgenbild zeigt allenfalls,     ventionen hinsichtlich des Schmerzes        bung (ausser beim Pflaster Tissugel
         dass der Knorpel etwas verringert ist.»      lässt sich als Wirkgrösse angeben (so-      [Flector®]).

         ARS MEDICI 8 ■ 2016                                                                                                                      371
BERICHT

                                                      zeigen konnte. Steroide schnitten im        nicht endgültig geklärt; ebenso wenig be-
 Injektion Glukokortikoide:                           Vergleich zu NaCl hinsichtlich Gelenk-      legen Studien, inwieweit Prothesen ver-
                                                      spalt und Nebenwirkungen vergleich-         hindert oder verzögert werden können.
 Empfehlungen für die Praxis
                                                      bar ab, in Bezug auf Schmerz und
 ❖ Intervall: mind. 4 Wochen warten                   Funktion jedoch signifikant besser.         Gewichtsabnahme korreliert
 ❖ Anzahl: max. 4 mal pro Jahr                        Alles in allem können sie bei guter Indi-   mit Knorpelabbau
 ❖ Dosis (Kenacort®*):                                kation relativ grosszügig eingesetzt        Eine weitere hervorragende – und nicht
   – grosse Gelenke 40 mg                             werden (siehe auch Kasten links), so        nur symptomatische, sondern auch
   – mittlere Gelenke 20 mg                           das Fazit des Experten.                     chondroprotektive – nicht pharmako-
   – kleine Gelenke 5-10 mg                                                                       logische Massnahme bei Gonarthrose
                                                      Ist ein Knorpelschutz möglich?              ist die Gewichtsabnahme. Schon mit
 * Die Kristallform von Kenacort® bleibt länger       Können wir den Knorpel erhalten oder        einer durchschnittlichen Reduktion
 im Gelenk als die anderer Steroide, damit ist        sogar wieder verbessern? Dafür sind         von 10 Prozent in einem Jahr konnte
 es bei entzündlicher Arthrose die beste Wahl         die Glykosaminoglykane Chondroitin-         die Abnahme des medialen Knorpels
 für langanhaltende Wirkung.                          sulfat und Glukosaminsulfat geeignet.       reduziert werden, so Ergebnisse einer
                                                      Sie stimulieren die Proteoglykan- und       Untersuchung, die am letzten Jahres-
                                                      Hyaluronsäuresynthese und hemmen            treffen der Radiological Society of
          Die intraartikulär zu applizierende         degradierende Enzyme. Ihre knorpel-         North America (RSNA) präsentiert
          Hyaluronsäure kann in alle Gelenke          schützende Wirksamkeit wurde in eini-       wurden. Je grösser der Gewichtsverlust
          gespritzt werden; am häufigsten wird        gen Studien zur Gonarthrose belegt;         war, desto weniger wurde der Knorpel
          dies im Knie-, Hüft-, Daumensattel-         radiologisch betrachtet konnte die Ab-      abgebaut, wie im MRI gezeigt werden
          und Zehengrundgelenk gemacht. Sie           nahme des Gelenkspaltes im Vergleich        konnte.
          wirke zum einen durch das hochmole-         zu Plazebo signifikant reduziert wer-
          kulare Netz stossdämpfend, zum ande-        den. Auch MRI-Studien haben mittler-        Eigenbluttherapie als neue
          ren werde die Gleitwirkung verbessert,      weile gezeigt, dass die Substanzen          Therapieoption?
          erläuterte Brühlmann. «Es gibt jedoch       das Knorpelvolumen stabilisieren und        Brühlmann sprach noch eine neuere
          relativ wenig Studien. Wir injizieren       gegenüber Plazebo die Progression           Massnahme an, die am Universitätsspi-
          mittlerweile einmal und schauen, wie        verhindern können. Bei Fingerpoly-          tal Zürich näher untersucht werden
          lange die Wirkung anhielt, das variiert     arthrose zeigten weitere Daten die          soll. Es geht um die Auswirkungen
          durchaus. Die hochmolekularen Sub-          Wirksamkeit von Chondroitinsulfat           einer intraartikulären Eigenblutthera-
          stanzen sind teurer, aber in der Wir-       (Condrosulf®): Unter radiologischer         pie im Vergleich zur Steroidinjektion.
          kung den tiefmolekularen nicht über-        Beobachtung über drei Jahre kam es bei      Die Applikation der angereicherten
          legen», ergänzte der Referent. Ob ein       Patienten unter dem Verum in 8,8 Pro-       Plättchen, eine Mischung aus 300 bis
          chondroprotektiver Effekt vorliegt, ist     zent zu einer Progression versus 30 Pro-    400 Substanzen, stimuliert die Knor-
          nicht untersucht; Hyaluronsäure ist         zent unter Plazebo. «Wir können zur         pelmatrixsynthese und wirkt antient-
          nach wie vor nicht als KVG-Leistung         Dauer der Einnahme momentan wenig           zündlich. Interessant könnte das vor
          abrechenbar.                                sagen. Die Substanz wurde über drei         allem in bradythrophen Geweben
          Steroide haben, intraartikulär injiziert,   Jahre untersucht, und es gibt keine         (Sehnen/Enthesen) und abgeschlosse-
          eine gute Wirkgrösse (0,6). Sie kommen      Hinweise dafür, dass die Wirkung da-        nen Räumen (Gelenken) sein.         ❖
          insbesondere bei aktivierten Arthrosen      nach nachlässt.» Es wirke zudem sogar
          zum Einsatz; bei symptomatischen Ar-        in signifikantem Ausmass auf Schmerz        Christine Mücke
          throsen ohne Entzündung ist Hyalu-          und Funktion, «auch wenn wir es dafür
          ronsäure besser. Die Angst vor Nekro-       eigentlich nicht geben», so Brühlmann
          sen oder Knorpelabbau unter Steroiden       weiter. Aber es gibt auch noch etliche
                                                                                                  Quelle: Symposium Strahlentherapie: Unerwartete Hilfe
          ist unbegründet, wie eine schon etwas       offene Fragen zur Chondroprotektion:        bei Fersensporn, Tennisellenbogen und Morbus Dupuytren.
          ältere Untersuchung bei Gonarthrose         Beginn und Dauer einer Therapie sind        Donnerstag, 14. Januar 2016, Universitätsspital Zürich.

372       ARS MEDICI 8 ■ 2016
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