Kompakt Hörstörungen - Österreichische Ärztezeitung

 
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kompakt
 Hörstörungen
                ÖÄZ 4/25. Februar 2022 – Sonderpublikation
Kompakt Hörstörungen - Österreichische Ärztezeitung
Inhalt
    Einleitung und Definition _ Seite 3
    Einteilung der Schwerhörigkeit_ Seite 4
    Ursachen der Schallempfindungs-
    schwerhörigkeit _ Seite 6
    Risikofaktoren für
    Hörstörungen bei Kindern _ Seite 6
    Einteilung der Schwerhörigkeit
    nach dem Schweregrad_ Seite 7
    Audiologische Diagnostik_ Seite 8
    Therapie _ Seite 9
    Indikation für ein Hörgerät _ Seite 10
    Indikation für ein implantierbares Hörgerät _ Seite 10
    Prinzip von implantierbaren Hörsystemen _ Seite 11
    Beispiel Cochlea-Implantat _ Seite 12
    Wissen kompakt _ Seite 15

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EINLEITUNG
Weltweit sind rund 500 Millionen Men-         men, viral oder genetisch bedingt sind
schen von Schwerhörigkeit betroffen; bei      sowie stoffwechselinduzierte Hörschä-
den über 65-Jährigen ist es jeder zweite.     den im Vordergrund. Bei Erwachsenen
Mehr als 32 Millionen davon sind Kinder.      steht die Wiederherstellung des Gehörs
In Österreich werden ein bis zwei von 1.000   im Mittelpunkt.
Kindern mit einer relevanten Hörschädi-
gung geboren; bei Frühgeborenen ist die
                                              DEFINITION
Rate deutlich höher.
                                              Je nach der betroffenen Region unterschei-
Im Kindesalter liegt laut WHO eine Hör-       det man zwischen Schallleitungsschwer-
störung dann vor, wenn der Hörverlust         hörigkeit (äußeres Ohr und Mittelohr)
auf dem besser hörenden Ohr mehr als          und Schallempfindungsschwerhörigkeit
30 Dezibel beträgt. Bei Kindern mit per-      (Innenohr und/oder Hörnervenschädi-
manenten Hörschäden geht es darum, die        gung) unterschiedlichen Schweregrades
Hörentwicklung zu gewährleisten, damit        (= periphere Hörstörungen). Bei der Schall-
der Spracherwerb möglich ist. Bei Erwach-     verarbeitungsstörung (neurale oder zent-
senen stehen die Schwerhörigkeit im Alter,    rale Störung) sind Hörnerv oder Hörbahn
die lärmbedingten Hörschäden und die          beziehungsweise Hörrinde betroffen.
Hörschäden, die durch Schädel-Hirn-Trau-

                                                                                       3
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HÖRSTÖRUNGEN

Schallleitungsschwerhörigkeit                  Schallempfindungsstörungen sind mit
                                               Ausnahme der im Kindesalter seltenen
Eine Schallleitungsschwerhörigkeit ent-        Hörstürze permanente Hörstörungen, die
steht in Folge einer Störung der Schall-       progredient verlaufen können. Bei klei-
übertragung zwischen äußerem Gehör-            neren Kindern sind Schallempfindungs-
gang und/oder dem Mittelohr. Diese             schwerhörigkeiten meist beidseits und
passagere ein- oder beidseitige Schwer-        genetisch bedingt – besonders bei Früh-
hörigkeit stellt die größte Gruppe der         geborenen.
kindlichen Schwerhörigkeit dar. Zwischen
dem ersten und dem dritten Lebensjahr          Von einer kombinierten Schwerhörigkeit
entwickeln zehn bis 30 Prozent der Kin-        spricht man, wenn eine Kombination von
der einen Paukenerguss mit einer daraus        Schallleitungsschwerhörigkeit und Schall-
resultierenden passageren Schallleitungs-      empfindungsschwerhörigkeit vorliegt.
störung.
                                               Schallverarbeitungsschwerhörigkeit
Permanente Schallleitungsstörungen – als
Folge von angeborenen oder erworbenen          Zur Schallverarbeitungsschwerhörigkeit
Defekten der schallübertragenden Struk-        zählen die neurale Schwerhörigkeit, die
turen im Gehörgang oder Mittelohr und          durch eine Störung der Hörnervenfunk-
die Tympanosklerose – sind bei Kindern         tion hervorgerufen wird sowie die zentrale
seltener.                                      Schwerhörigkeit durch eine Störung der
                                               Funktion der Hörbahn beziehungsweise
Schallempfindungsschwerhörigkeit               der Hörrinde.

Bei der Schallempfindungsschwerhörig-          Die auditive Verarbeitungs- und Wahr-
keit ist die Schallaufnahme oder die Schall-   nehmungsstörung, eine Form der Schall-
verarbeitung im Innenohr vermindert            verarbeitungsschwerhörigkeit, ist vor
– bedingt durch eine Schädigung oder           allem im Schulalter relevant. Sie liegt
unzureichende Funktion der Cochlea. Die        vor bei einem unauffälligen Tonschwel-
Funktion des Corti-Organs, Träger der          lenaudiogramm, aber dennoch zent-
Sinneszellen im Innenohr, ist bei allen For-   rale Prozesse des Hörens gestört sind
men der Schallempfindungsschwerhörig-          (= Informationsverarbeitugsstörung). Die
keit gestört; am häufigsten sind die äuße-     betroffenen Kinder haben Schwierigkei-
ren Haarzellen betroffen.                      ten bei der Lautdiskrimination, dem Ver-

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Tab. 1: Schallleitungsschwerhörigkeit
 Ursache                         Mögliche Diagnosen u.a.              Audiologische Diagnostik

 Störung der Schallübertragung   akut                                 •   Stimmgabeltest
 im äußeren Gehörgang und/       • Cerumen obturans                   •   Flüstertest
 oder Mittelohr                  • Tubenkatarrh                       •   Hörweitenbestimmung
                                 • Paukenerguss                       •   Reintonaudiogramm
                                 • Traumatische                       •   Impedanzaudiometrie
                                   Trommelfellperforation
                                 • Akute Otitis media/Otitis
                                   externa

                                 permanent
                                 • Gehörgangsstenose/
                                   -Atresie
                                 • Trommelfell- oder Ketten-
                                   defekt
                                 • Cholesteatom
                                 • Missbildung
                                 • Otosklerose
                                 • Tympanosklerose

Tab. 2: Schallempfindungsschwerhörigkeit
 Ursache                         Mögliche Diagnosen u.a.                  Audiologische Diagnostik

 Verminderte Schallaufnahme      akut                                     •   Stimmgabeltest
 oder Schallverarbeitung im      • Idiopathischer Hörsturz                •   Flüstertest
 Innenohr - bedingt durch        • Akutes Lärmtrauma                      •   Hörweitenbestimmung
 Schädigung oder unzurei-        • Bakterielle/virale Labyrinthitis       •   Reintonaudiogramm
 chende Funktion der Cochlea;                                             •   Sprachaudiogramm
 häufig sind die äußeren         hereditär/permanent                      •   Otoakustische Emissionen
 Haarzellen betroffen (Abfall
                                 • Heriditäre Schwerhörigkeit
 der Knochenleitungsschwelle,
                                 • Presbyakusis
 Verlust der nichtlinearen
                                 • Lärmschwerhörigkeit
 Verstärkung (Recruitment-
                                 • Medikamentös-toxische
 phänomen) und der einge-
                                   Schwerhörigkeit
 schränkten Frequenzselektivi-
                                 • Idiopathisch-chronisch
 tät (Verzerrungen)
                                   progrediente Schwerhörigkeit

                                                                                                         5
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    Tab. 3: Ursachen der Schallempfindungsschwerhörigkeit
    Erworben -infektiös: perinatal oder postnatal: Meningitis, Masern, Mumps …
             -geburtstraumatisch: Schädeltrauma, intrakranielle Blutung …
             -ototoxisch: Sucht- und Genussmittel wie Alkohol, Medikamente(Aminoglykoside,
             Zytostatika, Diuretika …), gewerbliche Stoffe (Schwermetalle, Lösungsmittel …) etc.
             -metabolisch: Asphyxie …

    Genetisch bedingt

    Häufigkeit
    • genetisch bedingt: bis 70 Prozent*
    • pränatal erworben: bis 10 Prozent*
    • perinatal erworben: bis 20 Prozent*
    • postnatal erworben: bis 15 Prozent*
    • Ursache unbekannt: bis zu 30 Prozent*

    *je nach Studie

    Tab. 4: Risikofaktoren für Hörstörungen bei Kindern*
    •   Familiäre Hörstörungen
    •   Intensivstation >48h Beatmung
    •   Frühgeborene
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stehen von akustischen Signalen sowie              und bei 61 bis 80 Dezibel um eine hoch-
der Schalllokalisation und Schalllaterali-         gradige Schwerhörigkeit (Grad 3). Bei
sation von auditiven Stimuli.                      einem Verlust von 81 Dezibel spricht man
                                                   von Restgehör – etwa wenn die Hörwahr-
                                                   nehmung für sehr tief frequente Signale
EINTEILUNG NACH
                                                   nach wie vor besteht.
SCHWEREGRAD
Klinisch erfolgt die Einteilung von Hörstö-
                                                   HÖR-SCREENING
rungen bei Erwachsenen anhand des Rein-
ton-Audiogramms und bezieht sich auf               In Österreich ist seit 2003 im Mutter-Kind-
den mittleren Hörverlust im Hauptsprach-           Pass ein generelles Neugeborenen-Scree-
bereich. Bei einem mittleren Hörverlust            ning vorgesehen. Dieses nicht invasive und
von 26 bis 40 Dezibel handelt es sich laut         schmerzlose Screening soll in der ersten
WHO um eine geringgradige Schwerhörig-             Lebenswoche erfolgen. Dabei werden die
keit (Grad 1), bei 41 bis 60 Dezibel um eine       otoakustischen Emissionen und die Hirn-
mittelgradige Schwerhörigkeit (Grad 2)             stammpotentiale gemessen.

Tab. 5: Schwerhörigkeit: Einteilung nach Schweregrad (Erwachsene)
                       Mittlerer Hörverlust
 Grad der
                       im Reintonaudio-        Empfehlung
 Schwerhörigkeit
                       gramm
                                               Beratung, Verlaufskontrolle bei Schallleitungs-
 0 – normalhörig       25 dB oder besser
                                               schwerhörigkeit: OP-Indikation prüfen
                                               Beratung, Hörgerät gegebenenfalls empfehlens-
 1 – geringgradige                             wert bei Schallleitungsschwerhörigkeit oder
                       26 bis 40 dB
 Schwerhörigkeit                               kombinierter Schwerhörigkeit; gegebenenfalls
                                               operative Versorgung
                                               Hörgerät empfohlen bei Schallleitungsschwer-
 2 – mittelgradige
                       41 bis 60 dB            hörigkeit oder kombinierter Schwerhörigkeit;
 Schwerhörigkeit
                                               gegebenenfalls operative Versorgung
                                               Hörgerät nötig, falls keine Hörgerät-Versorgung
 3 – hochgradige                               möglich: Prüfung, ob andere Hörsysteme (implan-
                       61 bis 80 dB
 Schwerhörigkeit                               tierbares Hörgerät, Cochlea-Implantat) möglich
                                               sind.
                                               Hörgeräte-Trageversuch; bei Scheitern in der Regel
 4 – Hörreste oder
                       81 dB oder mehr         Indikation für Cochlea-Implantat, gegebenenfalls
 Taubheit
                                               auch Hirnstammimplantat-Versorgung

                                                                                                 7
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                                                Ist die Diagnose „Hörstörung“ gesichert,
                                                sollten so rasch wie möglich und alters-
                                                angepasst hörverbessernde und entwick-
                                                lungsfördernde Maßnahmen ergriffen
                                                werden. Ziel ist eine erfolgreiche Kom-
                                                munikationsfähigkeit mithilfe von Laut-
                                                sprache und ein offenes Sprachverstehen
                                                bis hin zu altersgerechten Sprachleistun-
                                                gen.

                                                DIAGNOSTIK
                                                Die audiologische Diagnostik hängt von
                                                der klinischen Fragestellung sowie vom
                                                Entwicklungsalter des Kindes ab. Subjek-
                                                tive Methoden untersuchen die Gesamt-
                                                funktion des Gehörs (Reflexaudiometrie,
                                                Reaktionsaudiometrie etc.); dabei ist die
                                                aktive Kooperation des Kindes erforder-
                                                lich. Bei objektiven Methoden werden
                                                Teilfunktionen des Gehörs untersucht;
                                                die passive Kooperation des Kindes ist er-
                                                forderlich. Damit sollen Art und Ausmaß

Tab. 6: Audiologische Diagnostik
 Schallleitungs-       Schallempfindungs-      Neurale                   Zentrale
 schwerhörigkeit       schwerhörigkeit         Schwerhörigkeit           Schwerhörigkeit

 • Stimmgabeltest      • Stimmgabeltest        • Reintonaudiogramm       • Hörweiten-
 • Flüstertest         • Flüstertest           • Sprachaudiogramm          bestimmung
 • Hörweiten-          • Hörweiten-            • Überschwellige          • Reintonaudiogramm
   bestimmung            bestimmung              Testverfahren           • Sprachaudiogramm
 • Reintonaudiogramm   • Reintonaudiogramm     • Hörermüdungstests       • Überschwellige
 • Impedanzaudio-      • Sprachaudiogramm      • Elektrische Response-     Testverfahren
   metrie              • Otoakustische Emis-     Audiometrie             • Hörermüdungstest
                         sionen                                          • Elektrische Response-
                                                                           Audiometrie

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der Hörstörung festgestellt werden – be-       Man unterscheidet
sonders dann, wenn subjektive Hörprüf-         • konservative Therapieverfahren: Gehör-
verfahren aufgrund des Entwicklungsalter         gangsreinigung/Fremdkörperentfer-
des Kindes keine ausreichende diagnos-           nung, Ventilationssysteme mit Nasen-
tische Sicherheit bieten. Zum Einsatz kom-       ballon
men Impedanzaudiometrie, die Messung           • operative Therapieverfahren: Paracen-
von otoakustischen Emissionen sowie die          tese, Paukenröhrchen (plus Adenotomie
Hirnstammaudiometrie.                            und Tonsillektomie), Tympanoplastik,
                                                 Stapesplastik, Gehörgangsplastik, Kno-
                                                 chenverankerte Hörgeräte
THERAPIE
                                               • apparative Therapieverfahren: Kno-
Je nach vorliegender Hörstörung und de-          chenleitungshörgeräte,    Luftleitungs-
ren Schweregrad stehen zunächst medi-            hörgeräte
zinische Behandlungen oder chirurgi-
sche Interventionen im Vordergrund. So         Therapie der Schall-
können etwa zahlreiche Ursachen einer          empfindungsschwerhörigkeit
Schallleitungsschwerhörigkeit   operativ
korrigiert werden. Hingegen ist bei der        Bei einer akut aufgetretenen Schallempfin-
Schallempfindungsschwerhörigkeit ledig-        dungsschwerhörigkeit und bei akuter Ver-
lich eine apparative Versorgung möglich.       schlechterung der Hörleistung bei einem
Kann bei einer permanenten Hörstörung          schon zuvor bestehenden Hörverlust geht
die Ursache nicht behoben werden, stellt       es zunächst darum, mögliche spezifische
die Anpassung von Hörgeräten oder die          Ursachen zu ermitteln – wie zum Beispiel
Versorgung mit einem Cochlea-Implantat         CMV-Infektionen, ototoxische Substanzen,
die wichtigste therapeutische Maßnahme
dar.

Therapie der
Schalleitungsschwerhörigkeit

Die Auswahl der Therapie hängt von der
der Ursache, der Dauer, dem Ausmaß der
Störung und allfälligen Komorbiditäten
wie etwa Lippen-, Kiefer-, Gaumenspalten,
Trisomie 21, Operationsfähigkeit, Otitis ex-
terna, chronische Otitis media, Sprachent-
wicklungsverzögerung ab.

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Kompakt Hörstörungen - Österreichische Ärztezeitung
HÖRSTÖRUNGEN

Perlymph-Fistel, erweiterter Aquäductus      und 4.000 Hertz. Sprachaudiometrisch
endolymphaticus, Borreliose. Falls mög-      muss die Verstehensquote bei Verwen-
lich soll eine gezielte Therapie erfolgen.   dung des Freiburger Einsilbentests auf
                                             dem schlechteren Ohr mit Kopfhörern bei
Liegt eine beidseitige persistierende        65 Dezibel nicht mehr als 80 Prozent be-
Schallempfindungsschwerhörigkeit vor,        tragen.
soll unverzüglich die Versorgung mit Hör-
geräten – in der Regel mit zwei Hinter-      Voraussetzung für eine beidseitige Hör-
dem-Ohr-Geräten – erfolgen, um die Hör-      geräteversorgung ist ein Hörverlust von
bahnreifung in den kritischen Phasen der     mindestens 30 Dezibel auf dem besseren
Hör-Sprach-Entwicklung zu stimulieren.       Ohr im Tonschwellenaudiogramm in min-
                                             destens einer Frequenz zwischen 500 und
Indikation für ein Hörgerät                  4.000 Hertz. Sprachaudiometrisch beträgt
                                             die Verstehensquote bei Verwendung des
Voraussetzung für die Hörgeräteversor-       Freiburger Einsilbentests auf dem bes-
gung eines Ohres ist ein tonaudiome-         seren Ohr mit Kopfhörern bei 65 Dezibel
trischer Hörverlust von mindestens 30        nicht mehr als 80 Prozent.
Dezibel auf dem schlechteren Ohr im
Tonschwellenaudiogramm in mindestens         Indikation für ein
einer der Prüffrequenzen zwischen 500        implantierbares Hörgerät

                                             Eine Indikation für ein implantierbares Hör-
                                             gerät besteht in der Regel dann, wenn aus
                                             medizinischen oder audiologischen Gründen
                                             eine Versorgung mit einem konventionellen
                                             Hörgerät nicht möglich ist. Jeder Implantation
                                             geht ein dokumentierter Trageversuch eines
                                             konventionellen Hörgeräts voraus.

                                             Für die Implantation gelten – im Vergleich
                                             zu konventionellen Hörgeräten bei der
                                             Schallempfindungsschwerhörigkeit – u.a.
                                             Kriterien, die das dauerhafte Tragen eines
                                             Hörgeräts verhindern wie zum Beispiel eine
                                             chronische Otitis externa, Juckreiz und Ge-
                                             hörgangsekzeme oder wenn mit konven-
                                             tionellen Hörgeräten eine Hörminderung
                                             nicht ausreichend versorgt werden kann.

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kompakt

Die Wahl des geeigneten Implantatsystems      Signalabgabe erfolgt durch mechanische
hängt ab vom Alter des Patienten sowie        Schwingungen. Implantierbare Hörsyste-
von audiologischen und anatomischen           me bestehen aus folgenden fünf Kompo-
Kriterien.                                    nenten: Signalaufnahme, Signalverarbei-
                                              tung, Signalübertragung, Signalabgabe und
Bei Schallleitungsschwerhörigkeit und         Energieversorgung. Die Systeme unter-
kombinierter Schwerhörigkeit (Malforma-       scheiden sich in der Anordnung dieser
tionen, St. p. Mittelohr- und Schläfenbein-   Komponenten, ihrer Implantierbarkeit und
chirurgie, sklerosierende Mittelohrerkran-    der technologischen Umsetzung.
kungen) kann durch ein implantierbares
Hörsystem eine verbesserte Sprachdis-         Nach der Lokalisation unterscheidet man
krimination erwartet werden. Bei einer er-    aktive Mittelohrimplantate (Signalabgabe
worbenen Schallleitungsschwerhörigkeit        erfolgt im Mittelohr, wo der Signalwandler
sollten die konventionell-chirurgischen       an die intakte Gehörknöchelchenkette ge-
Möglichkeiten der Mittelohr-Rekonstruk-       koppelt wird), Knochenleitungsimplantate
tion ausschöpft sein.                         (Signal geht an den Schädelknochen, der
                                              die mechanischen Schwingungen auf das
Prinzip von                                   Innenohr überträgt), Cochlea-Implantat
implantierbaren Hörsystemen                   (elektrische Reizung des Hörnervs) und
                                              das auditorische Hirnstammimplantat
Alle implantierbaren Hörsysteme sind          (stimuliert akustisch relevante Areale des
akustisch-mechanische Wandler: Die            Hirnstamms).

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HÖRSTÖRUNGEN

BEISPIEL
COCHLEA-IMPLANTAT
Cochlea-Implantate umgehen
die normalen Transduktions-
mechanismen des peripheren
Hörsystems und stimulieren den
Hörnerv direkt. Ein Mikrophon
empfängt die Signale, die im Pro-
zessor verarbeitet und in elek-
trische Impulse übersetzt und
drahtlos transkutan zum Implantat
gesendet werden. Das Cochlea-Im-
plantat selbst wird hinter dem Ohr in
einem Knochenbett verankert, die Elek-
troden in die Cochlea vorgeschoben.
Das Implantat decodiert die Signale, die
Elektroden in der Hörschnecke stimulie-         Fälle – zu einem Verlust des Hörvermö-
ren dort den Hörnerv. Diese Reize werden        gens kommen; häufig in Kombination mit
– wie beim gesunden Hören – zur weite-          einer cochleären Ossifikation. Hier sollte
ren Verarbeitung an das Gehirn weiter-          die Indikation rasch geprüft sowie eine
geleitet.                                       audiologische und neuroradiologische
                                                Diagnostik erfolgen.
Cochlea-Implantat bei Kindern
Bei angeborener hochgradiger, an Taub-          Cochlea-Implantat bei Erwachsenen
heit grenzender Schwerhörigkeit oder Ge-        Bei Erwachsenen ist es therapeutisches
hörlosigkeit ist es therapeutisches Ziel, mit   Ziel, das Gehör wiederherzustellen, wenn
einem Cochlea-Implantat die Hörentwick-         mit konventionellen Hörgeräten, Kno-
lung zu ermöglichen und die Vorausset-          chenleitungshörgeräten oder implantier-
zung für einen hörgerichteten Lautsprach-       baren Hörgeräten kein für die lautsprach-
erwerb zu schaffen. Der Eingriff kann ab        liche Kommunikation ausreichendes
dem sechsten Lebensmonat erfolgen. Bei          Hören erzielt werden kann.
einer erworbenen hochgradigen Schwer-
hörigkeit oder Gehörlosigkeit sollte die        Indikationen
Implantation so früh wie möglich erfolgen.      Bei einer Hörstörung wird die Indikation für
                                                ein Cochlea-Implantat für jedes Ohr getrennt
Nach einer bakteriellen Meningitis kann         ermittelt. Bei seitengleichem Gehör sollte,
es – je nach Studie in bis zu 50 Prozent der    wenn auf beiden Seiten die Kriterien für eine

12
kompakt

Versorgung mit einem Cochlea-Implantat er-       sorge. Diese umfasst die medizinische und
füllt werden, bei Kindern eine simultane bila-   technische Kontrolle und Beratung sowie
terale Implantation angestrebt werden.           die Überprüfung der Hör-, Sprech- und
                                                 Sprachleistung.
Kontraindikationen
Absolute Kontraindikationen für die Ver-         Zwischen dem ersten Tag postoperativ bis
sorgung mit einem Cochlea-Implantat              zu sechs Wochen postoperativ beginnt die
sind eine Aplasie der Cochlea oder des           Basistherapie. Die anschließende Cochlea-
Hörnervs, zentrale Taubheit mit Funk-            Implantat-Rehabilitation benötigt bei
tionsstörungen im Bereich der zentralen          Erwachsenen in der Regel 40 Behand-
Hörbahnen. Weiters zählen dazu auch              lungstage und ist über einen Zeitraum von
strukturelle Hindernisse (kein Zugang zur        sechs bis 24 Monaten notwendig.
Erstanpassung, Rehabilitation oder Nach-
sorge) oder Hindernisse von Seiten des           Bei Kindern kann die Folgetherapie bis
Patienten (nicht fähig, an Basistherapie,        zum 18. Lebensjahr andauern und um-
Rehabilitation etc. teilzunehmen).               fasst rund 60 Behandlungstage. Die Hör-
Relative Kontraindikationen sind zum Bei-        und Sprachrehabilitation erfolgt unter
spiel Mittelohrinfektionen, eine nur einge-      Mitarbeit der Eltern und muss an die
schränkte Rehabilitationsfähigkeit, schwere      individuellen Voraussetzungen des Kindes
Begleiterkrankungen oder der fehlende            angepasst sein.
Nachweis des Hörnervs in der Bildgebung.

Operation
Die Implantation eines Cochlea-Implan-
tats erfolgt in Vollnarkose und dauert ein
bis zwei Stunden. Der Eingriff ist im Hin-
blick auf die Risken mit denen einer Mittel-
ohroperation vergleichbar. Perioperativ
sollte eine liquorgängige Antibiotikapro-
phylaxe erfolgen. Postoperativ beträgt der
stationäre Aufenthalt fünf bis sieben Tage.
Nach der Einheilung erfolgt noch stationär
 die Erstanpassung des Sprachprozessors.

Rehabilitation
Die Versorgung mit einem Cochlea-Im-
plantat erfordert eine lebenslange Nach-

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HÖRSTÖRUNGEN

                                              haben die einzelnen Hemisphären
     DIE ENTSTEHUNG
                                              unterschiedliche Aufgaben: Die linke
     DES HÖRENS
                                              Seite ist für die Unterscheidung der
     Bei der Geburt ist das Hören im Gegen-   Silben zuständig, die rechte Seite für
     satz zum Sehen sehr gut ausgebildet.     die Erkennung der Sprachmelodie.
     Schon in den ersten Lebensmonaten        Wesentliche Voraussetzung für die opti-
     nimmt das Neugeborene Geräusche          male Hörverarbeitung ist die Zusam-
     ganz besonders gut differenziert wahr.   menarbeit der beiden Gehirnhälften. Ist
     Dabei gibt es eine Wahrnehmungsvor-      diese nur ungenügend, kein dominan-
     liebe für melodiös gesprochene Sprache   tes Ohr ausgeprägt oder wechselt die
     im Frequenzbereich von Frauenstim-       Lateralität hin und her, wird Gehörtes
     men. Schon ab dem fünften Schwanger-     verzögert oder nicht in der richtigen
     schaftsmonat hört der Fetus recht gut.   Reihenfolge wahrgenommen.
     So erinnern sich Neugeborene an das
     Lautmuster einer Geschichte, die ihnen
                                              DER HÖRVERLUST
     während der Schwangerschaft vorge-
                                              UND DIE KOGNITION
     lesen wurde.
                                              Ein Hörverlust verändert auch andere
                                              kognitive Leistungen. Schon rund drei
     DAS HÖREN
                                              Monate nach dem Beginn einer leichten
     VERSTEHEN
                                              Schwerhörigkeit organisiert sich das Ge-
     Linkes und rechtes Ohr nehmen nor-       hirn neu: Andere Sinne wie der Sehsinn
     malerweise Geräusche, Töne oder ge-      oder der Tastsinn treten in den Vorder-
     sprochene Sprache unterschiedlich        grund. Während bei einem hörenden
     wahr; sie erreichen das Trommelfell      Menschen die Hörrinde ausschließlich
     üblicherweise auch zeitlich versetzt.    für die Verarbeitung von Höreindrücken
     Das trägt unter anderem dazu bei,        zuständig ist, kommt es aufgrund der
     die Schallquelle zu bestimmen. In der    fehlenden akustischen Signale zu einer
     Folge muss das Gehirn die Informa-       Neuverteilung der Aufgaben im Gehirn.
     tionen, die aus beiden Ohren kommen,     Dabei werden die frontalen und prä-
     zusammenführen. Dabei gelangt der        frontalen Bereiche des Gehirns aktiver;
     Input vom rechten Ohr zunächst in        es sind mehr Anstrengungen für das
     die linke Gehirnhälfte, der Input vom    Zuhören notwendig, was offensichtlich
     linken Ohr in die rechte Gehirnhälf-     eine kortikale Ressourcenallokation im
     te. Bei der Sprachverarbeitung selbst    Gehirn bewirkt.

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kompakt

      WISSEN kompakt
      • In Österreich werden jährlich ein bis zwei Kinder mit
        einer relevanten Hörschädigung geboren.
      • Seit 2003 ist im Mutter-Kind-Pass ein generelles Neu-
        geborenen-Hörscreening vorgesehen.
      • Ist die Diagnose „Hörstörung“ gesichert, sollten so
        rasch wie möglich altersangepasst hörverbessernde
        Maßnahmen ergriffen werden.
      • Bei Kindern mit einer permanenten Hörschädigung soll
        die Hörentwicklung den Spracherwerb ermöglichen.
      • Bei Erwachsenen steht die Wiederherstellung des Ge-
        hörs im Mittelpunkt.
      • Je nach Art der vorliegenden Hörstörung und deren
        Schweregrad stehen medizinische Behandlungen oder
        chirurgische Interventionen im Vordergrund.
      • Kann die Ursache einer permanenten Hörstörung nicht
        behoben werden, erfolgt die Anpassung eines Hörge-
        räts oder die Versorgung mit einem Cochlea-Implantat.

Quelle: State of the Art „Hörstörungen bei Kindern“ - Österreichische Ärztezeitung Nr. 17 vom 10. Sep-
tember 2017; State of the Art „Hörstörungen Update“ – Österreichische Ärztezeitung Nr. 10 vom 25. Mai
2021, Stangl, W. (2022), Stichwort: ‚Hörsinn – Online Lexikon für Psychologie und Pädagogik‘

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