Kompakt Hörstörungen - Österreichische Ärztezeitung
←
→
Transkription von Seiteninhalten
Wenn Ihr Browser die Seite nicht korrekt rendert, bitte, lesen Sie den Inhalt der Seite unten
Inhalt Einleitung und Definition _ Seite 3 Einteilung der Schwerhörigkeit_ Seite 4 Ursachen der Schallempfindungs- schwerhörigkeit _ Seite 6 Risikofaktoren für Hörstörungen bei Kindern _ Seite 6 Einteilung der Schwerhörigkeit nach dem Schweregrad_ Seite 7 Audiologische Diagnostik_ Seite 8 Therapie _ Seite 9 Indikation für ein Hörgerät _ Seite 10 Indikation für ein implantierbares Hörgerät _ Seite 10 Prinzip von implantierbaren Hörsystemen _ Seite 11 Beispiel Cochlea-Implantat _ Seite 12 Wissen kompakt _ Seite 15 2
kompakt EINLEITUNG Weltweit sind rund 500 Millionen Men- men, viral oder genetisch bedingt sind schen von Schwerhörigkeit betroffen; bei sowie stoffwechselinduzierte Hörschä- den über 65-Jährigen ist es jeder zweite. den im Vordergrund. Bei Erwachsenen Mehr als 32 Millionen davon sind Kinder. steht die Wiederherstellung des Gehörs In Österreich werden ein bis zwei von 1.000 im Mittelpunkt. Kindern mit einer relevanten Hörschädi- gung geboren; bei Frühgeborenen ist die DEFINITION Rate deutlich höher. Je nach der betroffenen Region unterschei- Im Kindesalter liegt laut WHO eine Hör- det man zwischen Schallleitungsschwer- störung dann vor, wenn der Hörverlust hörigkeit (äußeres Ohr und Mittelohr) auf dem besser hörenden Ohr mehr als und Schallempfindungsschwerhörigkeit 30 Dezibel beträgt. Bei Kindern mit per- (Innenohr und/oder Hörnervenschädi- manenten Hörschäden geht es darum, die gung) unterschiedlichen Schweregrades Hörentwicklung zu gewährleisten, damit (= periphere Hörstörungen). Bei der Schall- der Spracherwerb möglich ist. Bei Erwach- verarbeitungsstörung (neurale oder zent- senen stehen die Schwerhörigkeit im Alter, rale Störung) sind Hörnerv oder Hörbahn die lärmbedingten Hörschäden und die beziehungsweise Hörrinde betroffen. Hörschäden, die durch Schädel-Hirn-Trau- 3
HÖRSTÖRUNGEN Schallleitungsschwerhörigkeit Schallempfindungsstörungen sind mit Ausnahme der im Kindesalter seltenen Eine Schallleitungsschwerhörigkeit ent- Hörstürze permanente Hörstörungen, die steht in Folge einer Störung der Schall- progredient verlaufen können. Bei klei- übertragung zwischen äußerem Gehör- neren Kindern sind Schallempfindungs- gang und/oder dem Mittelohr. Diese schwerhörigkeiten meist beidseits und passagere ein- oder beidseitige Schwer- genetisch bedingt – besonders bei Früh- hörigkeit stellt die größte Gruppe der geborenen. kindlichen Schwerhörigkeit dar. Zwischen dem ersten und dem dritten Lebensjahr Von einer kombinierten Schwerhörigkeit entwickeln zehn bis 30 Prozent der Kin- spricht man, wenn eine Kombination von der einen Paukenerguss mit einer daraus Schallleitungsschwerhörigkeit und Schall- resultierenden passageren Schallleitungs- empfindungsschwerhörigkeit vorliegt. störung. Schallverarbeitungsschwerhörigkeit Permanente Schallleitungsstörungen – als Folge von angeborenen oder erworbenen Zur Schallverarbeitungsschwerhörigkeit Defekten der schallübertragenden Struk- zählen die neurale Schwerhörigkeit, die turen im Gehörgang oder Mittelohr und durch eine Störung der Hörnervenfunk- die Tympanosklerose – sind bei Kindern tion hervorgerufen wird sowie die zentrale seltener. Schwerhörigkeit durch eine Störung der Funktion der Hörbahn beziehungsweise Schallempfindungsschwerhörigkeit der Hörrinde. Bei der Schallempfindungsschwerhörig- Die auditive Verarbeitungs- und Wahr- keit ist die Schallaufnahme oder die Schall- nehmungsstörung, eine Form der Schall- verarbeitung im Innenohr vermindert verarbeitungsschwerhörigkeit, ist vor – bedingt durch eine Schädigung oder allem im Schulalter relevant. Sie liegt unzureichende Funktion der Cochlea. Die vor bei einem unauffälligen Tonschwel- Funktion des Corti-Organs, Träger der lenaudiogramm, aber dennoch zent- Sinneszellen im Innenohr, ist bei allen For- rale Prozesse des Hörens gestört sind men der Schallempfindungsschwerhörig- (= Informationsverarbeitugsstörung). Die keit gestört; am häufigsten sind die äuße- betroffenen Kinder haben Schwierigkei- ren Haarzellen betroffen. ten bei der Lautdiskrimination, dem Ver- 4
kompakt Tab. 1: Schallleitungsschwerhörigkeit Ursache Mögliche Diagnosen u.a. Audiologische Diagnostik Störung der Schallübertragung akut • Stimmgabeltest im äußeren Gehörgang und/ • Cerumen obturans • Flüstertest oder Mittelohr • Tubenkatarrh • Hörweitenbestimmung • Paukenerguss • Reintonaudiogramm • Traumatische • Impedanzaudiometrie Trommelfellperforation • Akute Otitis media/Otitis externa permanent • Gehörgangsstenose/ -Atresie • Trommelfell- oder Ketten- defekt • Cholesteatom • Missbildung • Otosklerose • Tympanosklerose Tab. 2: Schallempfindungsschwerhörigkeit Ursache Mögliche Diagnosen u.a. Audiologische Diagnostik Verminderte Schallaufnahme akut • Stimmgabeltest oder Schallverarbeitung im • Idiopathischer Hörsturz • Flüstertest Innenohr - bedingt durch • Akutes Lärmtrauma • Hörweitenbestimmung Schädigung oder unzurei- • Bakterielle/virale Labyrinthitis • Reintonaudiogramm chende Funktion der Cochlea; • Sprachaudiogramm häufig sind die äußeren hereditär/permanent • Otoakustische Emissionen Haarzellen betroffen (Abfall • Heriditäre Schwerhörigkeit der Knochenleitungsschwelle, • Presbyakusis Verlust der nichtlinearen • Lärmschwerhörigkeit Verstärkung (Recruitment- • Medikamentös-toxische phänomen) und der einge- Schwerhörigkeit schränkten Frequenzselektivi- • Idiopathisch-chronisch tät (Verzerrungen) progrediente Schwerhörigkeit 5
HÖRSTÖRUNGEN Tab. 3: Ursachen der Schallempfindungsschwerhörigkeit Erworben -infektiös: perinatal oder postnatal: Meningitis, Masern, Mumps … -geburtstraumatisch: Schädeltrauma, intrakranielle Blutung … -ototoxisch: Sucht- und Genussmittel wie Alkohol, Medikamente(Aminoglykoside, Zytostatika, Diuretika …), gewerbliche Stoffe (Schwermetalle, Lösungsmittel …) etc. -metabolisch: Asphyxie … Genetisch bedingt Häufigkeit • genetisch bedingt: bis 70 Prozent* • pränatal erworben: bis 10 Prozent* • perinatal erworben: bis 20 Prozent* • postnatal erworben: bis 15 Prozent* • Ursache unbekannt: bis zu 30 Prozent* *je nach Studie Tab. 4: Risikofaktoren für Hörstörungen bei Kindern* • Familiäre Hörstörungen • Intensivstation >48h Beatmung • Frühgeborene
kompakt stehen von akustischen Signalen sowie und bei 61 bis 80 Dezibel um eine hoch- der Schalllokalisation und Schalllaterali- gradige Schwerhörigkeit (Grad 3). Bei sation von auditiven Stimuli. einem Verlust von 81 Dezibel spricht man von Restgehör – etwa wenn die Hörwahr- nehmung für sehr tief frequente Signale EINTEILUNG NACH nach wie vor besteht. SCHWEREGRAD Klinisch erfolgt die Einteilung von Hörstö- HÖR-SCREENING rungen bei Erwachsenen anhand des Rein- ton-Audiogramms und bezieht sich auf In Österreich ist seit 2003 im Mutter-Kind- den mittleren Hörverlust im Hauptsprach- Pass ein generelles Neugeborenen-Scree- bereich. Bei einem mittleren Hörverlust ning vorgesehen. Dieses nicht invasive und von 26 bis 40 Dezibel handelt es sich laut schmerzlose Screening soll in der ersten WHO um eine geringgradige Schwerhörig- Lebenswoche erfolgen. Dabei werden die keit (Grad 1), bei 41 bis 60 Dezibel um eine otoakustischen Emissionen und die Hirn- mittelgradige Schwerhörigkeit (Grad 2) stammpotentiale gemessen. Tab. 5: Schwerhörigkeit: Einteilung nach Schweregrad (Erwachsene) Mittlerer Hörverlust Grad der im Reintonaudio- Empfehlung Schwerhörigkeit gramm Beratung, Verlaufskontrolle bei Schallleitungs- 0 – normalhörig 25 dB oder besser schwerhörigkeit: OP-Indikation prüfen Beratung, Hörgerät gegebenenfalls empfehlens- 1 – geringgradige wert bei Schallleitungsschwerhörigkeit oder 26 bis 40 dB Schwerhörigkeit kombinierter Schwerhörigkeit; gegebenenfalls operative Versorgung Hörgerät empfohlen bei Schallleitungsschwer- 2 – mittelgradige 41 bis 60 dB hörigkeit oder kombinierter Schwerhörigkeit; Schwerhörigkeit gegebenenfalls operative Versorgung Hörgerät nötig, falls keine Hörgerät-Versorgung 3 – hochgradige möglich: Prüfung, ob andere Hörsysteme (implan- 61 bis 80 dB Schwerhörigkeit tierbares Hörgerät, Cochlea-Implantat) möglich sind. Hörgeräte-Trageversuch; bei Scheitern in der Regel 4 – Hörreste oder 81 dB oder mehr Indikation für Cochlea-Implantat, gegebenenfalls Taubheit auch Hirnstammimplantat-Versorgung 7
HÖRSTÖRUNGEN Ist die Diagnose „Hörstörung“ gesichert, sollten so rasch wie möglich und alters- angepasst hörverbessernde und entwick- lungsfördernde Maßnahmen ergriffen werden. Ziel ist eine erfolgreiche Kom- munikationsfähigkeit mithilfe von Laut- sprache und ein offenes Sprachverstehen bis hin zu altersgerechten Sprachleistun- gen. DIAGNOSTIK Die audiologische Diagnostik hängt von der klinischen Fragestellung sowie vom Entwicklungsalter des Kindes ab. Subjek- tive Methoden untersuchen die Gesamt- funktion des Gehörs (Reflexaudiometrie, Reaktionsaudiometrie etc.); dabei ist die aktive Kooperation des Kindes erforder- lich. Bei objektiven Methoden werden Teilfunktionen des Gehörs untersucht; die passive Kooperation des Kindes ist er- forderlich. Damit sollen Art und Ausmaß Tab. 6: Audiologische Diagnostik Schallleitungs- Schallempfindungs- Neurale Zentrale schwerhörigkeit schwerhörigkeit Schwerhörigkeit Schwerhörigkeit • Stimmgabeltest • Stimmgabeltest • Reintonaudiogramm • Hörweiten- • Flüstertest • Flüstertest • Sprachaudiogramm bestimmung • Hörweiten- • Hörweiten- • Überschwellige • Reintonaudiogramm bestimmung bestimmung Testverfahren • Sprachaudiogramm • Reintonaudiogramm • Reintonaudiogramm • Hörermüdungstests • Überschwellige • Impedanzaudio- • Sprachaudiogramm • Elektrische Response- Testverfahren metrie • Otoakustische Emis- Audiometrie • Hörermüdungstest sionen • Elektrische Response- Audiometrie 8
kompakt der Hörstörung festgestellt werden – be- Man unterscheidet sonders dann, wenn subjektive Hörprüf- • konservative Therapieverfahren: Gehör- verfahren aufgrund des Entwicklungsalter gangsreinigung/Fremdkörperentfer- des Kindes keine ausreichende diagnos- nung, Ventilationssysteme mit Nasen- tische Sicherheit bieten. Zum Einsatz kom- ballon men Impedanzaudiometrie, die Messung • operative Therapieverfahren: Paracen- von otoakustischen Emissionen sowie die tese, Paukenröhrchen (plus Adenotomie Hirnstammaudiometrie. und Tonsillektomie), Tympanoplastik, Stapesplastik, Gehörgangsplastik, Kno- chenverankerte Hörgeräte THERAPIE • apparative Therapieverfahren: Kno- Je nach vorliegender Hörstörung und de- chenleitungshörgeräte, Luftleitungs- ren Schweregrad stehen zunächst medi- hörgeräte zinische Behandlungen oder chirurgi- sche Interventionen im Vordergrund. So Therapie der Schall- können etwa zahlreiche Ursachen einer empfindungsschwerhörigkeit Schallleitungsschwerhörigkeit operativ korrigiert werden. Hingegen ist bei der Bei einer akut aufgetretenen Schallempfin- Schallempfindungsschwerhörigkeit ledig- dungsschwerhörigkeit und bei akuter Ver- lich eine apparative Versorgung möglich. schlechterung der Hörleistung bei einem Kann bei einer permanenten Hörstörung schon zuvor bestehenden Hörverlust geht die Ursache nicht behoben werden, stellt es zunächst darum, mögliche spezifische die Anpassung von Hörgeräten oder die Ursachen zu ermitteln – wie zum Beispiel Versorgung mit einem Cochlea-Implantat CMV-Infektionen, ototoxische Substanzen, die wichtigste therapeutische Maßnahme dar. Therapie der Schalleitungsschwerhörigkeit Die Auswahl der Therapie hängt von der der Ursache, der Dauer, dem Ausmaß der Störung und allfälligen Komorbiditäten wie etwa Lippen-, Kiefer-, Gaumenspalten, Trisomie 21, Operationsfähigkeit, Otitis ex- terna, chronische Otitis media, Sprachent- wicklungsverzögerung ab. 9
HÖRSTÖRUNGEN Perlymph-Fistel, erweiterter Aquäductus und 4.000 Hertz. Sprachaudiometrisch endolymphaticus, Borreliose. Falls mög- muss die Verstehensquote bei Verwen- lich soll eine gezielte Therapie erfolgen. dung des Freiburger Einsilbentests auf dem schlechteren Ohr mit Kopfhörern bei Liegt eine beidseitige persistierende 65 Dezibel nicht mehr als 80 Prozent be- Schallempfindungsschwerhörigkeit vor, tragen. soll unverzüglich die Versorgung mit Hör- geräten – in der Regel mit zwei Hinter- Voraussetzung für eine beidseitige Hör- dem-Ohr-Geräten – erfolgen, um die Hör- geräteversorgung ist ein Hörverlust von bahnreifung in den kritischen Phasen der mindestens 30 Dezibel auf dem besseren Hör-Sprach-Entwicklung zu stimulieren. Ohr im Tonschwellenaudiogramm in min- destens einer Frequenz zwischen 500 und Indikation für ein Hörgerät 4.000 Hertz. Sprachaudiometrisch beträgt die Verstehensquote bei Verwendung des Voraussetzung für die Hörgeräteversor- Freiburger Einsilbentests auf dem bes- gung eines Ohres ist ein tonaudiome- seren Ohr mit Kopfhörern bei 65 Dezibel trischer Hörverlust von mindestens 30 nicht mehr als 80 Prozent. Dezibel auf dem schlechteren Ohr im Tonschwellenaudiogramm in mindestens Indikation für ein einer der Prüffrequenzen zwischen 500 implantierbares Hörgerät Eine Indikation für ein implantierbares Hör- gerät besteht in der Regel dann, wenn aus medizinischen oder audiologischen Gründen eine Versorgung mit einem konventionellen Hörgerät nicht möglich ist. Jeder Implantation geht ein dokumentierter Trageversuch eines konventionellen Hörgeräts voraus. Für die Implantation gelten – im Vergleich zu konventionellen Hörgeräten bei der Schallempfindungsschwerhörigkeit – u.a. Kriterien, die das dauerhafte Tragen eines Hörgeräts verhindern wie zum Beispiel eine chronische Otitis externa, Juckreiz und Ge- hörgangsekzeme oder wenn mit konven- tionellen Hörgeräten eine Hörminderung nicht ausreichend versorgt werden kann. 10
kompakt Die Wahl des geeigneten Implantatsystems Signalabgabe erfolgt durch mechanische hängt ab vom Alter des Patienten sowie Schwingungen. Implantierbare Hörsyste- von audiologischen und anatomischen me bestehen aus folgenden fünf Kompo- Kriterien. nenten: Signalaufnahme, Signalverarbei- tung, Signalübertragung, Signalabgabe und Bei Schallleitungsschwerhörigkeit und Energieversorgung. Die Systeme unter- kombinierter Schwerhörigkeit (Malforma- scheiden sich in der Anordnung dieser tionen, St. p. Mittelohr- und Schläfenbein- Komponenten, ihrer Implantierbarkeit und chirurgie, sklerosierende Mittelohrerkran- der technologischen Umsetzung. kungen) kann durch ein implantierbares Hörsystem eine verbesserte Sprachdis- Nach der Lokalisation unterscheidet man krimination erwartet werden. Bei einer er- aktive Mittelohrimplantate (Signalabgabe worbenen Schallleitungsschwerhörigkeit erfolgt im Mittelohr, wo der Signalwandler sollten die konventionell-chirurgischen an die intakte Gehörknöchelchenkette ge- Möglichkeiten der Mittelohr-Rekonstruk- koppelt wird), Knochenleitungsimplantate tion ausschöpft sein. (Signal geht an den Schädelknochen, der die mechanischen Schwingungen auf das Prinzip von Innenohr überträgt), Cochlea-Implantat implantierbaren Hörsystemen (elektrische Reizung des Hörnervs) und das auditorische Hirnstammimplantat Alle implantierbaren Hörsysteme sind (stimuliert akustisch relevante Areale des akustisch-mechanische Wandler: Die Hirnstamms). 11
HÖRSTÖRUNGEN BEISPIEL COCHLEA-IMPLANTAT Cochlea-Implantate umgehen die normalen Transduktions- mechanismen des peripheren Hörsystems und stimulieren den Hörnerv direkt. Ein Mikrophon empfängt die Signale, die im Pro- zessor verarbeitet und in elek- trische Impulse übersetzt und drahtlos transkutan zum Implantat gesendet werden. Das Cochlea-Im- plantat selbst wird hinter dem Ohr in einem Knochenbett verankert, die Elek- troden in die Cochlea vorgeschoben. Das Implantat decodiert die Signale, die Elektroden in der Hörschnecke stimulie- Fälle – zu einem Verlust des Hörvermö- ren dort den Hörnerv. Diese Reize werden gens kommen; häufig in Kombination mit – wie beim gesunden Hören – zur weite- einer cochleären Ossifikation. Hier sollte ren Verarbeitung an das Gehirn weiter- die Indikation rasch geprüft sowie eine geleitet. audiologische und neuroradiologische Diagnostik erfolgen. Cochlea-Implantat bei Kindern Bei angeborener hochgradiger, an Taub- Cochlea-Implantat bei Erwachsenen heit grenzender Schwerhörigkeit oder Ge- Bei Erwachsenen ist es therapeutisches hörlosigkeit ist es therapeutisches Ziel, mit Ziel, das Gehör wiederherzustellen, wenn einem Cochlea-Implantat die Hörentwick- mit konventionellen Hörgeräten, Kno- lung zu ermöglichen und die Vorausset- chenleitungshörgeräten oder implantier- zung für einen hörgerichteten Lautsprach- baren Hörgeräten kein für die lautsprach- erwerb zu schaffen. Der Eingriff kann ab liche Kommunikation ausreichendes dem sechsten Lebensmonat erfolgen. Bei Hören erzielt werden kann. einer erworbenen hochgradigen Schwer- hörigkeit oder Gehörlosigkeit sollte die Indikationen Implantation so früh wie möglich erfolgen. Bei einer Hörstörung wird die Indikation für ein Cochlea-Implantat für jedes Ohr getrennt Nach einer bakteriellen Meningitis kann ermittelt. Bei seitengleichem Gehör sollte, es – je nach Studie in bis zu 50 Prozent der wenn auf beiden Seiten die Kriterien für eine 12
kompakt Versorgung mit einem Cochlea-Implantat er- sorge. Diese umfasst die medizinische und füllt werden, bei Kindern eine simultane bila- technische Kontrolle und Beratung sowie terale Implantation angestrebt werden. die Überprüfung der Hör-, Sprech- und Sprachleistung. Kontraindikationen Absolute Kontraindikationen für die Ver- Zwischen dem ersten Tag postoperativ bis sorgung mit einem Cochlea-Implantat zu sechs Wochen postoperativ beginnt die sind eine Aplasie der Cochlea oder des Basistherapie. Die anschließende Cochlea- Hörnervs, zentrale Taubheit mit Funk- Implantat-Rehabilitation benötigt bei tionsstörungen im Bereich der zentralen Erwachsenen in der Regel 40 Behand- Hörbahnen. Weiters zählen dazu auch lungstage und ist über einen Zeitraum von strukturelle Hindernisse (kein Zugang zur sechs bis 24 Monaten notwendig. Erstanpassung, Rehabilitation oder Nach- sorge) oder Hindernisse von Seiten des Bei Kindern kann die Folgetherapie bis Patienten (nicht fähig, an Basistherapie, zum 18. Lebensjahr andauern und um- Rehabilitation etc. teilzunehmen). fasst rund 60 Behandlungstage. Die Hör- Relative Kontraindikationen sind zum Bei- und Sprachrehabilitation erfolgt unter spiel Mittelohrinfektionen, eine nur einge- Mitarbeit der Eltern und muss an die schränkte Rehabilitationsfähigkeit, schwere individuellen Voraussetzungen des Kindes Begleiterkrankungen oder der fehlende angepasst sein. Nachweis des Hörnervs in der Bildgebung. Operation Die Implantation eines Cochlea-Implan- tats erfolgt in Vollnarkose und dauert ein bis zwei Stunden. Der Eingriff ist im Hin- blick auf die Risken mit denen einer Mittel- ohroperation vergleichbar. Perioperativ sollte eine liquorgängige Antibiotikapro- phylaxe erfolgen. Postoperativ beträgt der stationäre Aufenthalt fünf bis sieben Tage. Nach der Einheilung erfolgt noch stationär die Erstanpassung des Sprachprozessors. Rehabilitation Die Versorgung mit einem Cochlea-Im- plantat erfordert eine lebenslange Nach- 13
HÖRSTÖRUNGEN haben die einzelnen Hemisphären DIE ENTSTEHUNG unterschiedliche Aufgaben: Die linke DES HÖRENS Seite ist für die Unterscheidung der Bei der Geburt ist das Hören im Gegen- Silben zuständig, die rechte Seite für satz zum Sehen sehr gut ausgebildet. die Erkennung der Sprachmelodie. Schon in den ersten Lebensmonaten Wesentliche Voraussetzung für die opti- nimmt das Neugeborene Geräusche male Hörverarbeitung ist die Zusam- ganz besonders gut differenziert wahr. menarbeit der beiden Gehirnhälften. Ist Dabei gibt es eine Wahrnehmungsvor- diese nur ungenügend, kein dominan- liebe für melodiös gesprochene Sprache tes Ohr ausgeprägt oder wechselt die im Frequenzbereich von Frauenstim- Lateralität hin und her, wird Gehörtes men. Schon ab dem fünften Schwanger- verzögert oder nicht in der richtigen schaftsmonat hört der Fetus recht gut. Reihenfolge wahrgenommen. So erinnern sich Neugeborene an das Lautmuster einer Geschichte, die ihnen DER HÖRVERLUST während der Schwangerschaft vorge- UND DIE KOGNITION lesen wurde. Ein Hörverlust verändert auch andere kognitive Leistungen. Schon rund drei DAS HÖREN Monate nach dem Beginn einer leichten VERSTEHEN Schwerhörigkeit organisiert sich das Ge- Linkes und rechtes Ohr nehmen nor- hirn neu: Andere Sinne wie der Sehsinn malerweise Geräusche, Töne oder ge- oder der Tastsinn treten in den Vorder- sprochene Sprache unterschiedlich grund. Während bei einem hörenden wahr; sie erreichen das Trommelfell Menschen die Hörrinde ausschließlich üblicherweise auch zeitlich versetzt. für die Verarbeitung von Höreindrücken Das trägt unter anderem dazu bei, zuständig ist, kommt es aufgrund der die Schallquelle zu bestimmen. In der fehlenden akustischen Signale zu einer Folge muss das Gehirn die Informa- Neuverteilung der Aufgaben im Gehirn. tionen, die aus beiden Ohren kommen, Dabei werden die frontalen und prä- zusammenführen. Dabei gelangt der frontalen Bereiche des Gehirns aktiver; Input vom rechten Ohr zunächst in es sind mehr Anstrengungen für das die linke Gehirnhälfte, der Input vom Zuhören notwendig, was offensichtlich linken Ohr in die rechte Gehirnhälf- eine kortikale Ressourcenallokation im te. Bei der Sprachverarbeitung selbst Gehirn bewirkt. 14
kompakt WISSEN kompakt • In Österreich werden jährlich ein bis zwei Kinder mit einer relevanten Hörschädigung geboren. • Seit 2003 ist im Mutter-Kind-Pass ein generelles Neu- geborenen-Hörscreening vorgesehen. • Ist die Diagnose „Hörstörung“ gesichert, sollten so rasch wie möglich altersangepasst hörverbessernde Maßnahmen ergriffen werden. • Bei Kindern mit einer permanenten Hörschädigung soll die Hörentwicklung den Spracherwerb ermöglichen. • Bei Erwachsenen steht die Wiederherstellung des Ge- hörs im Mittelpunkt. • Je nach Art der vorliegenden Hörstörung und deren Schweregrad stehen medizinische Behandlungen oder chirurgische Interventionen im Vordergrund. • Kann die Ursache einer permanenten Hörstörung nicht behoben werden, erfolgt die Anpassung eines Hörge- räts oder die Versorgung mit einem Cochlea-Implantat. Quelle: State of the Art „Hörstörungen bei Kindern“ - Österreichische Ärztezeitung Nr. 17 vom 10. Sep- tember 2017; State of the Art „Hörstörungen Update“ – Österreichische Ärztezeitung Nr. 10 vom 25. Mai 2021, Stangl, W. (2022), Stichwort: ‚Hörsinn – Online Lexikon für Psychologie und Pädagogik‘ IMPRESSUM: Medieninhaber und Verleger: Verlagshaus der Ärzte GmbH, Nibelungengasse 13, A-1010 Wien, www.aerztezeitung.at, Tel.: +43 (0)1 512 44 86-0 // Chefredaktion: Dr. Agnes M. Mühlgassner, MBA; Redaktionelle Betreuung: Dr. Sophie Fessl// Grafik & Layout: Irene Danter // Druck: Ferdinand Berger & Söhne GmbH, A-3580 Horn // Allgemeine Hinweise: Die ÖÄZ-Sonderpublikation erhebt inhaltlich keinen Anspruch auf Vollständigkeit. Der besseren Lesbarkeit halber werden die Personen- und Berufsbezeichnungen nur in einer Form verwendet; sie sind natürlich gleichwertig auf beide Geschlechter bezogen. // Nachdruck und Wiedergabe, auch auszugsweise, nur mit schriftlicher Genehmi- gung der Verlagshaus der Ärzte GmbH © Cover: SPL, picturedesk.com; Bilder Innenteil: SPL, picturedesk.com 15
kompakt
Sie können auch lesen