Kompetenznetzwerk "Islamistischer Extremismus" - (KN:IX) Herausforderungen, Bedarfe und Trends im Themenfeld - BAG RelEx
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Kompetenznetzwerk „Islamistischer Extremismus“ (KN:IX) Herausforderungen, Bedarfe und Trends im Themenfeld Report 2021
Report 2021 Grußwort Seite 4 01 Einleitung Seite 6 02 Stimmungsbild 2021 Seite 10 Erhebung Seite 11 Themen, Trends und Bedarfe in der Islamismusprävention I Fokusgruppengespräche Seite 32 Themen, Trends und Bedarfe in der Islamismusprävention II 03 Schlaglichter 2021 Seite 46 „Legalistischer Islamismus“ und „politischer Islam“ Seite 47 Herausforderungen für die Präventionspraxis Antimuslimischer Rassismus Seite 52 Auswirkungen auf Demokratieförderung und Präventionsarbeit Inhaltsverzeichnis Recht behalten ist auch keine Lösung Seite 58 Ambiguitätstoleranz in der Islamismusprävention Im Osten was Neues? Seite 68 Präventionspraxis in Ostdeutschland Warum Gender? Seite 74 Geschlechterdimensionen in der Distanzierungs- und Deradikalisierungsarbeit Bedrohungsmanagement Seite 83 Zum Umgang mit Hochrisikoklientel in der indizierten Prävention 04 Ausblick Seite 92 Autor*innen Seite 94 Literaturverzeichnis Seite 96 Impressum Seite 106 2 3
Report 2021 Liebe Leser*innen, mit seinem Report 2021 legt das Kompetenznetzwerk „Islamistischer Extremismus“ (KN:IX) zum zweiten Mal ein be- deutendes Kompendium zum Stand der Extremismusprä- vention im Phänomenbereich in Deutschland vor. Den beteiligten zivilgesellschaftlichen Organisationen – der Bundesarbeitsgemeinschaft religiös begründeter Extremis- mus, Violence Prevention Network und ufuq.de – ist es ge- lungen, die Relevanz einer evidenzbasierten Prävention von islamistischem Extremismus und deren Bedarfe aufzuzeigen. Darin bestätigt sich einmal mehr: Die Bedeutung des Enga- gements von Zivilgesellschaft und spezialisierter Nichtregie- rungsorganisationen kann nicht hoch genug eingeschätzt und gewürdigt werden, wenn es darum geht, Prävention langfristig, nachhaltig und wirksam zu gestalten. Grußwort Der Report beleuchtet sowohl indizierte, selektive als auch universelle Prä- ventionsstrategien und widmet sich grundlegenden Einzelfragen anhand eines relevanten Spektrums. Extremismusprävention ist kein Feuerlöscher, sondern Brandschutz Prävention ist bekanntermaßen eine „zuvorkommende“ Haltung. Und eine des Geschäftsführers des Deutschen Präventionstages Erich Marks solche Präventionshaltung muss namentlich in den Bereichen Präventions- politik, Präventionsforschung und Präventionspraxis deutlich wachsen, wenn wir erfolgreich sein wollen in einer proaktiven, kreativen und engagierten Ge- staltung eines friedlichen gesamtgesellschaftlichen Miteinanders. Dem Report wünsche ich eine vielfache Lektüre und Aufmerksamkeit in der Präventionslandschaft, in den Medien und ausdrücklich auch seitens der Ab- geordneten des neu gewählten 20. Deutschen Bundestages sowie der neuen Bundesregierung. Erich Marks Geschäftsführer des Deutschen Präventionstages 4 5
01 Report 2021 Hier fühlte man sich zurückversetzt in die Jahre 2015 oder 2016, als die Anschläge in Paris und Berlin ähnliche Reaktionen und Forderungen hervorriefen. Dabei ist in der Zwischenzeit viel passiert. Zivilgesellschaftliche und staatliche Akteur*in- nen haben in den vergangenen Jahren eine Vielzahl von Ansätzen entwickelt. Die Ergebnisse des Forschungsprojektes MAPEX – Mapping und Analyse von Präventions- und Distanzierungsprojekten im Umgang mit islamistischer Ra- dikalisierung veranschaulichen die Breite der Präventionslandschaft und die Vielfalt der Handlungsansätze, die in den vergangenen Jahren in Deutschland umgesetzt wurden. So dokumentiert die Webseite www.mapex-projekt.de für die Jahre 2018 und 2019 insgesamt 886 aktive Projekte, die in der schulischen und außerschulischen Bildungsarbeit, der Kinder- und Jugendhilfe, in Vereinen und Gemeinden, in der Distanzierungsarbeit oder im Strafvollzug Extremismus vorbeugen und begegnen. Dabei handelt es sich um Maßnahmen, die auf kommunaler, Landes- oder Bundesebene angesiedelt sind. Einleitung Trotz der Vielzahl dieser Angebote machten die Reaktionen auf den Mord im Pariser Vorort noch einmal die Notwendigkeit deutlich, diese Angebote und die gewonnenen Erfahrungen noch sichtbarer und zugänglicher zu machen. Das betrifft sowohl die konkreten Maßnahmen, die zur Prävention und Intervention, beispielsweise in der Jugend- und Bildungsarbeit, notwendig sind, als auch Er- kenntnisse, die in der Präventionsarbeit etwa in Bezug auf mögliche Radika- lisierungsfaktoren gesammelt wurden. Denn Präventionsarbeit – das wird in Die Förderung von demokratischer Kultur und die Prävention von Ex- vielen Projekten deutlich – umfasst nicht nur die Arbeit mit Jugendlichen und tremismus stellen in einer pluralistischen Gesellschaft dauerhafte jungen Erwachsenen selbst, sondern erfordert auch eine Auseinandersetzung mit den gesellschaftlichen und politischen Rahmenbedingungen, die Hinwen- Herausforderungen dar. Ihr Gelingen steht und fällt mit langfristig dungsprozesse zu extremistischen Szenen begünstigen können. So verweisen Praktiker*innen beispielsweise immer wieder auf den Einfluss von rassistischen angelegten Strukturen, die eine kontinuierliche Arbeit und den fort- Diskursen auf Jugendliche, die eine Radikalisierung befördern können. währenden Transfer von Expertise und Erfahrungen ermöglichen. Vor diesem Hintergrund waren die nicht selten von Stereotypen und antimus- Wie dringend erforderlich es ist, diese Kontinuität zu gewährleisten, limischen Ressentiments geprägten Warnungen kontraproduktiv, mit denen nach dem Mord an Samuel Paty auf einen vermeintlich wachsenden Einfluss wurde im Oktober 2020 erneut deutlich: Der islamistisch begründete islamistischer Einstellungen unter Schüler*innen hingewiesen wurde. Eine Po- larisierung der öffentlichen Debatte um „den“ Islam und „die“ Muslim*innen Mord an dem Geschichtslehrer Samuel Paty in einem Vorort von Pa- erschwert die Bemühungen darum, Jugendlichen und jungen Erwachsenen Erfahrungen von Anerkennung und Zugehörigkeit zu ermöglichen und damit ris löste auch in Deutschland heftige Debatten aus und sorgte in vie- auch einer möglichen Faszination für islamistische Identitäts- und Gemein- len Schulen für Verunsicherung. In öffentlichen Reaktionen war von schaftsangebote entgegenzuwirken. einer wachsenden Gefahr durch den gewalttätigen Islamismus die Handlungsbedarf besteht daher auch in der alltäglichen Praxis. So zeigen Ge- spräche, die unter Lehrkräften und Pädagog*innen in der Folge des Mordes Rede, dem durch Staat und Zivilgesellschaft endlich wirksam begeg- über den Umgang mit Konflikten, z. B. im Kontext von Schweigeminuten, geführt wurden, wie wenig präsent die bereits vorliegenden Erfahrungen und Hand- net werden müsse. lungsansätze im pädagogischen Alltag sind. Auf der einen Seite steht also eine Fülle an Materialien, Arbeitshilfen sowie Beratungs- und Fortbildungsangebo- ten, die über unterschiedliche Aspekte der Präventionsarbeit informieren. Auf 6 7
Report 2021 der anderen Seite beklagen Fachkräfte häufig den Mangel an zeitlichen und organisatorischen Ressourcen, um die Angebote aufgreifen und in die eigene Über KN:IX Arbeit integrieren zu können. Präventionsprojekte stehen daher vor der Aufga- be, ihre Erfahrungen und Ansätze zukünftig noch stärker in die Fachöffentlich- keit und -praxis zu transferieren und Anstöße zu geben, damit präventive An- gebote langfristig in der Jugend-, Bildungs- und Sozialarbeit verankert werden können. Das Kompetenznetzwerk „Islamistischer Extremismus“ – Denn das haben die vergangenen Jahre gezeigt: Auch jene Modellprojekte, die erfolgreich mit einzelnen Zielgruppen gearbeitet haben, können nur punktuell KN:IX besteht seit Beginn der aktuellen Förderperiode von Veränderungen bewirken. Nachhaltig und breitenwirksam werden sie in vielen „Demokratie leben!“ (2020-2024). Es reagiert auf die Ent- Fällen erst in der Zusammenarbeit und im Austausch mit Regelstrukturen, die die Auseinandersetzung mit Islamismus genauso wie mit Rechtsextremismus, wicklungen im Phänomenbereich und begleitet sowohl die sexualisierter Gewalt oder Mobbing in ihre alltägliche Arbeit integrieren. Prä- ventionsakteur*innen können hier wichtige Beiträge leisten, um die Erfahrun- Präventions-, Interventions- und Ausstiegsarbeit als auch gen und Ansätze, die in anderen Zusammenhängen entwickelt wurden, an die die im Themenfeld geführten fachwissenschaftlichen De- jeweiligen örtlichen und organisatorischen Kontexte anzupassen. batten. Als Netzwerk, in dem die Bundesarbeitsgemein- Akteur*innen der Präventionsarbeit kommt darüber hinaus die Rolle zu, auf neue Entwicklungen und Veränderungen im Themenfeld zu reagieren und diese in schaft religiös begründeter Extremismus, ufuq.de und Vio- den Präventionsansätzen aufzugreifen. Das betrifft neue thematische Schwer- lence Prevention Network zusammenarbeiten, analysiert punkte, wie in jüngerer Vergangenheit die Verbreitung von Verschwörungs- narrativen, oder neue fachliche Herausforderungen, die sich beispielsweise KN:IX aktuelle Entwicklungen und Herausforderungen der durch die Rückkehr ehemaliger Mitglieder dschihadistischer Organisationen universellen, selektiven und indizierten Islamismuspräven- nach Deutschland stellen. Dabei spielen auch die zahlreichen Forschungspro- jekte eine besondere Rolle, die in den vergangenen Jahren zu Hintergründen tion und bietet Akteur*innen der Präventionsarbeit einen und Dynamiken von Radikalisierungsprozessen durchgeführt wurden. Auch hier leisten Präventionsakteur*innen einen wichtigen Beitrag, aktuelle Erkennt- Rahmen, um bestehende Ansätze und Erfahrungen zu dis- nisse aus der Radikalisierungsforschung in der pädagogischen Arbeit aufzu- kutieren, weiterzuentwickeln und in die Arbeit anderer Trä- greifen und bestehende Ansätze weiterzuentwickeln. ger zu vermitteln. Der vorliegende Report bietet einen Überblick über aktuelle Themen und Her- ausforderungen, die die Präventionsarbeit im Jahr 2021 beschäftigt haben und die für die Weiterentwicklung der Präventionslandschaft relevant sind. Aus- Das Kompetenznetzwerk versteht sich als dienstleisten- gangspunkt des Reports 2021 sind die Ergebnisse der jährlichen KN:IX-Bedarfs- de Struktur zur Unterstützung von Präventionsakteur*in- umfrage und der Fokusgruppengespräche, die von KN:IX mit unterschiedli- chen Akteur*innen der Präventionsarbeit durchgeführt wurden. Dabei stehen nen aus der Zivilgesellschaft, öffentlichen Einrichtungen unter anderem Fragen zur phänomenübergreifenden Arbeit, zur Kooperation von zivilgesellschaftlichen und staatlichen Stellen und zur Digitalisierung von in Bund, Ländern und Kommunen sowie Fachkräften etwa Extremismus im Mittelpunkt. Die anschließenden „Schlaglichter“ widmen sich aus Schule oder Jugendarbeit. Neben dem Wissens- und Fragestellungen, denen in der aktuellen Präventionsarbeit und in den Befra- gungen größere Bedeutung beigemessen wurden. Sie geben Einblicke sowohl Praxistransfer zwischen unterschiedlichen Präventions- in fachwissenschaftliche Debatten als auch in Erfahrungen aus der Praxis, und trägern zählt die Verstetigung von Präventionsansätzen in sie formulieren Empfehlungen und Anregungen, wie Akteur*innen aus der Prä- ventionspraxis diese Erkenntnisse und Erfahrungen in ihrer eigenen Arbeit auf- den Regelstrukturen zu den Schwerpunkten unserer Arbeit. greifen können. 8 9
Report 2021 Ergebnisse Die Bedarfserhebung fand online im Zeitraum vom 5. März bis 6. April der KN:IX- 2021 statt. Die Fragen wurden unter Berücksichtigung aktueller fachwis- 02 senschaftlicher und präventionspraktischer Debatten entwickelt und Bedarfser- setzten Schwerpunkte auf Themen, die von den Befragten der Bedarfs- hebung 2021 abfrage 2020 als besonders wichtig eingestuft wurden. zu Themen, Trends und Für die Befragung 2021 ermittelte KN:IX 201 Kontakte von Trägern und Expert*innen, die in der zivilgesellschaftlichen und staatlichen Präven- Bedarfen in tionsarbeit tätig sind und über Erfahrungen im Themenbereich „Islamis- der Islamis- tischer Extremismus“ verfügen. Diese wurden per Email zur Teilnahme muspräven- eingeladen. Teilnahme-Links wurden ebenfalls über die offiziellen So- tion cial-Media-Kanäle und Newsletter-Verteiler der Netzwerkpartner*innen und durch Kooperationspartner*innen gestreut. 81 Personen nahmen Svetla Koynova an der Umfrage teil, was einer Rücklaufquote von 40 Prozent entspricht (Violence Prevention Network) (2020: 87/43 Prozent). Die Umfrage ist aufgrund der geringen absoluten Zahl an Befragten und ihres Überblickscharakters nicht repräsentativ. Sie bietet allerdings empirisch fundierte Einblicke in die aktuellen, von gesellschaftlichen und politischen Einflüssen geprägten, Während die Auswertung der Fokusgrup- Entwicklungen der Präventionslandschaft und ermög- pengespräche (siehe Seite 32) aufgrund licht durch ihren jährlichen Turnus einen Vergleich zum Stimmungsbild 2021 der vertraulichen und heterogenen Zu- Stimmungsbild 2020. Die Ergebnisse geben Hinweise auf sammensetzung der Gesprächsrunden Themen und Herausforderungen, die von Fachkräften in (beispielsweise staatliche und zivilge- der Praxislandschaft als bedeutsam für ihre Arbeit be- sellschaftliche Gesprächspartner*innen) wertet werden. Zudem bietet die Befragung im Jahr 2021 anonymisiert wurde, hatten die Be- zum ersten Mal die Möglichkeit, Rückmeldungen zu KN:IX- fragten der Online-Umfrage die Wahl, anonym zu bleiben oder nähere Anga- Angeboten zu erfassen, die den Netzwerkpartner*innen Die Auswertung aktueller Entwicklungen und Bedarfe in den Berei- ben über sich zu machen. Angegebene gegebenenfalls als Grundlage für gewünschte Modifika- Kontaktdaten wurden genutzt, um eine tionen dienen. chen der universellen, selektiven und indizierten Prävention erfolgt telefonische Nachbefragung im Rah- men der laufenden externen Evaluation Unter den Befragten rechneten sich 71 Prozent zivilge- auf der Grundlage jährlicher quantitativer Erhebungen und quali- des Kompetenznetzwerks, durchgeführt sellschaftlichen, 18 Prozent staatlichen sowie elf Prozent durch IMAP GmbH, zu ermöglichen. Wenn sonstigen Präventionsträgern (z. B. ehrenamtlichen Initi- tativer Befragungen. Neben einer Online-Erhebung fanden vier Fo- Sie noch nicht die Möglichkeit hatten, an unserer jährlichen Bedarfsabfrage teilzu- ativen, kommunalen Verwaltungen und Forschungsstel- kusgruppengespräche mit insgesamt 59 Teilnehmenden aus unter- nehmen und in die Einladungsliste 2022 len) zu. Die Projektarbeit fand auf folgenden Ebenen statt. aufgenommen zu werden, bzw. wenn Sie schiedlichen Bereichen der Präventionsarbeit statt. Die jährlichen mehr über unsere Publikationen erfahren 2 % Nachbarschaft/Kiez möchten, schreiben Sie uns gern unter KN:IX-Bedarfsabfragen und Fokusgruppengespräche verfolgen das info@kn-ix.de, oder besuchen Sie unsere 16 % Kommune Website https://kn-ix.de/publikationen/. Ziel, Entwicklungen, Trends und Bedarfe in der Arbeit im Phänomen- bereich „Islamistischer Extremismus“ über mehrere Jahre hinweg zu Informationen zur Online-Bedarfs- dokumentieren, um auf dieser Grundlage bedarfsgerechte Angebote abfrage für Träger der Präventionsarbeit entwickeln und anbieten zu können. 51 % Land 31 % Bund 10 11
Report 2021 6 Bei 22 Prozent der Befragten (Mehrfachnennung möglich) konzentrier- Städtische und kommunale Verwaltungen te sich die Arbeit hauptsächlich auf großstädtische Räume, bei jeweils sieben Prozent auf mittelstädtische und auf kleinstädtische/ländliche 6 Räume, während die große Mehrheit von 69 Prozent in allen genannten Räumen tätig ist. Zivilgesellschaftliche Kontexte (bspw. Vereine) Thematisch verorteten 53 Prozent den inhaltlichen Schwerpunkt ihrer 7 Arbeit bei islamistischem Extremismus, 20 Prozent bei religiös-extre- Jugendhilfe und Jugendämter mistischem Extremismus allgemein und sieben Prozent bei gruppenbe- zogener Menschenfeindlichkeit. 20 Prozent der Befragten beschrieben 15 die Inhalte ihrer Arbeit mit Begriffen wie „Radikalisierungsprozesse“ und „phänomenübergreifende Extremismusausprägungen“ oder begrenz- Bildungseinrichtungen ten ihre Tätigkeiten auf Felder wie „Extremismusprävention im Justizvoll- zug“ oder „Gewaltprävention allgemein“. 78 Prozent der Befragten gaben an, sich auf Jugendliche und junge Her- anwachsende zu konzentrieren, 47 Prozent auf das sozialräumliche Um- feld von Jugendlichen (einschließlich Eltern und Angehörige), 38 Prozent auf andere zivilgesellschaftliche Träger (u. a. mit Fokus auf antimuslimi- Die Verortung ihrer Arbeit im Präventionskontext ordneten die teilneh- schen Rassismus, Antisemitismus und Antidiskriminierung), vier Prozent menden Träger wie folgt ein: auf Betroffene von Gewalt sowie 18 Prozent auf Kinder. Die Zahlen ent- sprechen damit weitgehend den Angaben der Befragten im Jahr 2020. Ergebnisse Insgesamt 56 Befragte nutzten die Möglichkeit, die präventive Wir- 7 % Jugend- und Sozialarbeit 27 % Primärprävention/ der Online- kung ihrer Tätigkeit einzuschätzen. Dazu standen ihnen 16 Ant- wortmöglichkeiten zur Verfügung, die unterschiedliche Wirkungs- universelle Prävention Umfrage effekte auf der Mikro-, Meso- und der Makroebene widerspiegeln. 16 % Klassische politische Bildung 1. Ziele und Im Folgenden werden diejenigen präventiven Effekte aufgezählt, die in Themen der Prä- mehr als 50 Prozent der Antworten gewählt wurden (Mehrfachnennung ventionsarbeit möglich): „Sensibilisierung für extremistische Ideologien und Akteur*in- nen“ (49 Befragte), „Förderung von kritischem Denken“ (43 Befragte), „För- derung von Ambiguitätstoleranz“ (40 Befragte), „Förderung von reflektier- ten Zugängen zu Religion und Religiosität“ (36 Befragte), „Förderung von 25 % Tertiärprävention/ 25 % Sekundärprävention/ Selbstwert- und Selbstwirksamkeitserfahrungen“ (35 Befragte), „Förde- indizierte Prävention selektive Prävention rung von gesellschaftlicher Teilhabe und Empowerment“ (34 Befragte), „Unterstützung der biografischen (Selbst-)Reflexion“ (32 Befragte), „Unter- stützung von Identitätsbildungsprozessen“ (30 Befragte), „Förderung von Anerkennung, Zugehörigkeit und Bindungserfahrungen“ (30 Befragte). Als Zielgruppe ihrer Angebote nannten 78 Prozent der Befragten „Multi- plikator*innen“ (Mehrfachnennungen möglich). Diese waren unter an- Auffällig im Vergleich zum vergangenen Jahr war der Anstieg der An- derem in folgenden Kontexten aktiv: zahl der Befragten, die „Vermittlung von Medienkompetenz“ als eine der Hauptwirkungen ihrer Arbeit benannten – von neun Personen im Jahr 5 2020 auf 25 im Jahr 2021. Insgesamt wird der Förderung von Medienkom- petenz im Phänomenbereich eine steigende Bedeutung beigemessen. Sicherheitsbehörden Die große Mehrheit der Befragten (46 Personen) gab an, dass die (neo-) 5 salafistische Szene weiterhin die größte Rolle für ihre Arbeit spiele, ge- Strafvollzug und Justiz 12 13
Report 2021 folgt von der transnationalen islamistischen Strömung Hizb ut-Tahrir breitet sei und sie entsprechende Vorurteilskonstruktionen auch an und ihren Umfeldorganisationen (29 Befragte), der Muslimbruderschaft entscheidenden Stellen des gesellschaftlichen und politischen Lebens (18 Befragte) und unterschiedlichen Formen von türkischem Ultrana- beobachten würden – u. a. bei „Pädagog*innen“ und „in Behörden“. Aus- tionalismus, wie z. B. die Grauen Wölfe (13 Befragte). Weniger wahrge- grenzungs- und Ablehnungserfahrungen stellten vor diesem Hinter- nommen wurden Bewegungen wie die Hisbollah (sieben Befragte), die grund ein wichtiges Hinwendungsmotiv zu extremistischen Angeboten Hamas (sieben Befragte) oder christlich fundamentalistische Grup- dar, sodass hier eine starke Wechselwirkung zu beobachten sei: Zum pierungen und neue religiöse Bewegungen (vier Befragte). Einzelne Er- einen ermächtigten gesellschaftliche Diskurse zum strukturellen Ras- wähnungen unter „Sonstiges“ wiesen auf „Radikalisierungstendenzen in sismus vor allem Jugendliche und junge Heranwachsende, Forderun- der tschetschenischen Community“ sowie „regionale Gruppierungen, gen nach Teilhabe und Zugehörigkeit zu stellen. Zum anderen würden die nicht global agieren“, wie dschihadistische Gruppierungen in Syrien sie durch extremistische Akteur*innen mit dem Ziel aufgegriffen, das (bspw. „Ahrar Al Scham“, „den [sog.] Islamischen Staat“) oder den „Kali- gesellschaftliche System grundsätzlich infrage zu stellen. In diesem Zu- fatstaat/Kaplancis“ hin. sammenhang wurden von sieben Befragten explizit die rechtsextremis- tischen und rassistischen Anschläge der vergangenen Jahre genannt. Insbesondere der „Anschlag in Hanau“ (Februar 2020) hat ihrer Beob- Welche ideologischen 13 achtung nach zu einer Destabilisierung der Zielgruppen beigetragen.1 Szenen, Gruppierun- Sonstiges (bitte angeben) gen oder Phänomene 4 Auch die Corona-Pandemie wurde von 21 Befragten genannt – 16 von aus dem Bereich des Keine davon ihnen sahen hier einen direkten Zusammenhang zur verstärk- religiös begründeten ten Verbreitung von Verschwörungserzählungen und Fake Extremismus spielen 4 Christlich fundamentalistische Gruppierungen News im Internet, wo diese in Form von „antisemitischen Ver- für Ihre Arbeit aktuell schwörungsnarrativen“, religiösen Deutungsversuchen („Stra- eine besondere Rolle? 6 fe Gottes“ bzw. einer bevorstehenden „Apokalypse“) oder als all- (Mehrfachnennung Hamas gemeine Verschwörungsmythen über unbekannte, allwissende möglich) 7 „Strukturen der Macht“ auftreten. Auf diese Entwicklungen reagiert Hisbollah die Arbeit zur Prävention religiös-extremistischer Ideologisierung, wie schon angedeutet, mit zunehmender Förderung von Medienkompetenz. 18 Muslimbruderschaft „Identität“ und „muslimische Identitäten“ in Deutschland waren das 13 von den Befragten am dritthäufigsten benannte Thema islamistischer Türkischer Ultranationalismus (z. B. Graue Wölfe) Ansprachen (13 Befragte). Neun Befragte nannten zudem Geschlechter- 29 konstruktionen als zentralen Komplex – im Einzelnen aufgeführt wurden Islamismus der Hizb ut-Tahrir und Umfeldorganisationen dabei „Fragen nach den richtigen Geschlechterrollen“, „Kleidungsvor- schriften bei Frauen“, „Männlichkeit“ und verwandte Alltagsthemen.2 Pri- 46 vate Probleme in der Familie und deren religiös legitimierte Bewältigung (Neo-)Salafismus wurden von sieben Personen hervorgehoben. Ebenfalls sieben Prakti- ker*innen benannten allgemeine religiöse Fragen zum „richtigen Islam“ Die Angebote von Präventionsarbeit müssen sich nicht zuletzt an The- und den „Absolutheitsanspruch der Religion“ als relevantes Thema für men orientieren, die islamistische Akteur*innen setzen und mit denen ihre Zielgruppen, das von extremistischen Akteur*innen häufig aufge- sie Bedürfnisse, Interessen und Sorgen der vorwiegend jugendlichen griffen worden sei. Für sechs Fachkräfte, vor allem in pädagogischen Tä- Zielgruppe ansprechen. Die Befragten hatten die Möglichkeit, die aus tigkeitsfeldern, gaben die Diskussionen um den Mord am französischen ihrer Sicht vier wichtigsten Themen frei zu benennen. Dabei wurde der Lehrer Samuel Paty einen Impuls zur Förderung von Meinungs- und Re- Themenkomplex Diskriminierungserfahrungen und Rassismus, ins- ligionsfreiheit in schulischen Kontexten. Zugleich sei der Mord Anlass für besondere antimuslimischer Rassismus und die damit einhergehen- eine weitere „Stigmatisierung des Islam“ gewesen, die wiederum von ex- den Ausgrenzungserfahrungen, von 38 Befragten benannt. Dieser Be- tremistischen Akteur*innen instrumentalisiert worden sei. reich stellt damit wie bereits im vergangenen Jahr das wichtigste Feld islamistischer Ansprachen dar. Die Befragten stellten dazu fest, dass 1 Siehe dazu auch Schlaglicht „Antimuslimischer Rassismus“, S. 52. (antimuslimischer) Rassismus in großen Teilen der Gesellschaft ver- 2 Siehe dazu auch Schlaglicht „Warum Gender?“, S. 74. 14 15
Report 2021 2. Auswirkungen Auch bei den Fragen nach dem Einfluss gesellschaftlicher Rahmenbe- Tätige im Bereich der universellen Prävention unterstrichen, dass auch gesellschaftlicher dingungen auf die Präventionsarbeit erhielten die Themen „struktureller der Mangel an zeitlichen Ressourcen und Flexibilität in Schulen und im Entwicklungen Rassismus“ und „Diskriminierung“ mit 35 Nennungen die größte Aufmerk- Bildungsplan der Präventionsarbeit enge Grenzen setze (sieben Nennun- auf die Präven- samkeit der Befragten. In diesem Zusammenhang wurde u. a. auf Vorurteils- gen). Insgesamt seien die „Teilhabevoraussetzungen“ für Jugendliche in tionsarbeit haltungen in Behörden und schulischen Kontexten hingewiesen, die – so die Bildungskontexten mangelhaft und würden von pädagogischen Fach- Beobachtungen – mit rassistischen und ressentimentgeleiteten Diskursen kräften oft nur als „Nice-to-have“ betrachtet. in Medien und Politik korrelierten. Die Folgen seien Ablehnungserfahrungen im Besonderen bei muslimischen Jugendlichen, aber auch Frustration Im Bereich der selektiven und indizierten Prävention wurde die Forderung unter Praktiker*innen, deren Arbeit weder verstanden noch ausreichend nach einer klareren Durchsetzung des „Zeugnisverweigerungsrechts“ Interesse entgegengebracht würde (fünf weitere Nennungen in Zusam- im Kontext der Beratungsprozesse formuliert (drei Nennungen), um die menhang mit medialen Diskursen). Ebenfalls als Rahmenbedingungen ge- an Vertrauensbeziehungen geknüpfte Effektivität der Arbeit abzusichern. nannt wurden zunehmende mediale Polarisierungsphänomene im Kon- text von Rechtsextremismus und Rechtspopulismus (zwei Nennungen). 3. Konsequenzen Die Pandemie beeinflusst auch die Präventionsarbeit im Phänomenbe- aus der Covid- reich „Islamistischer Extremismus“. Die Zielgruppenerreichung war laut Darüber hinaus hätten u. a. die islamistisch motivierten Anschläge in Niz- 19-Pandemie der Befragten stark erschwert. So sei im Strafvollzug die Durchführung za, Conflans-Sainte-Honorine, Wien und Dresden starken Einfluss auf die von Veranstaltungen größtenteils unmöglich und in Schulen stark ein- Wahrnehmung der Präventionspraxis in der Öffentlichkeit ausgeübt geschränkt gewesen. Auch Multiplikator*innen, „vor allem in schulischen (fünf Befragte): „Präventionsarbeit wird infrage gestellt, weil die verhin- Kontexten“, seien „überfordert“ und dadurch nur schwer für die vielfältigen derten Vorfälle nicht sichtbar sind, während schon ein Einzelfall genügt, Online-Angebote zu erreichen, die auch zum Teil miteinander „konkur- um die Annahmen der Öffentlichkeit über unsere Arbeit zu verunsichern“. rierten“. Auch die Praktiker*innen selbst äußerten vereinzelt den Wunsch Die Folge sei „steigender Legitimationsdruck“ und vereinzelt „Anfeindun- nach einer „Entschleunigung von Online-Meetings“. Allgemein wurde die gen“, was – so die Schlussfolgerung – eine verstärkte „Medienpräsenz“ der emotionalisierende Wirkung von Online-Angeboten kritisch eingeschätzt Akteur*innen erfordern würde, um die „Logik [ihrer] Arbeit“ beschreiben zu und angezweifelt, ob sie volle pädagogische Wirkung entfalten könnten. können. Die dazu notwendige Zeit fehle dann jedoch „woanders in der Die Befragten wünschten sich eine Plattform für den „Austausch über ge- Praxis“. Zugleich werde in der Medienberichterstattung „der Fokus […] auf lingende digitale Formate“ und „multimediale Angebote zur Prävention sicherheitspolitische Aspekte“ gelegt (insgesamt sechs Nennungen auf und Identitätsstärkung“. Zwei Befragte forderten die Entwicklung von Kon- allen Präventionsebenen), was vor allem in der selektiven und indizierten zepten für eine „anonyme Chatberatung“ oder eine „text- und videoba- Prävention zur „Versicherheitlichung“ des Diskurses und zu „Zankereien sierte Beratung“4. Hoffnung verbanden die befragten Praktiker*innen mit zwischen Zivilgesellschaft und Sicherheitsbehörden“ führe.3 der Impfkampagne (zwei Nennungen) und der Finanzierung von Tests für Mitarbeitende (zwei Nennungen). Allerdings wurde in diesem Zusammen- Auf die Frage nach dem Einfluss von Rahmenbedingungen auf die Arbeit hang auch eine ergänzende Beschaffung und Bezahlung von Schnell- im Phänomenbereich wurde die „fehlende Langfristigkeit von Förderun- tests durch die Mittelgeberinstitutionen gefordert, da der Aufwand dafür gen“ am zweithäufigsten genannt (22 Befragte). Die stets mit kurzen Zeit- in den Projektlogiken bisher nicht unterzubringen sei (zwei Nennungen). horizonten versehene (Modell-)Projektarbeit ermögliche „keine langfris- tige Planbarkeit“, „keine Nachhaltigkeit der Ansätze“ und fördere zudem 4. Fachaus- Wie bereits im Jahr 2020 hatten die Befragten die Möglichkeit, Erfahrun- eine „hohe Mitarbeiterfluktuation“. Hier wurden die „Perspektivlosigkeit von tausch, Informa- gen mit Formaten zum Austausch zwischen Wissenschaft und Praxis zu Fachkräften“ und die „prekären Arbeitsbedingungen“ mehrfach als Grund tionsquellen und beschreiben und ihre Bedarfe zu schildern. Dabei gaben bei der Frage für häufigen Personalwechsel unterstrichen, der einhergehe mit dem Transfer nach ihren Zugängen zu Forschungsergebnissen 55 Befragte an, regel- Verlust von institutionellem Wissen und Expertise sowie mit einem stei- mäßig an Fachveranstaltungen teilzunehmen. Die große Mehrheit liest genden Bedarf an „Kapazitäten zur Einarbeitung neuer Mitarbeiter*innen“. Medienberichte und wissenschaftliche Publikationen wie Forschungs- berichte und Dissertationen, marginal weniger Befragte (31) greifen auf Die Corona-Pandemie wurde von sieben Befragten als erschwerte Rah- Fachzeitschriften zurück. Unter dem Kommentarfeld „Sonstiges“ wurden menbedingung erwähnt. Problematisiert wurden dabei u. a. die „unklare zusätzlich Quellen wie Social Media, Podcasts und Webseiten (etwa der Planbarkeit“, die erschwerte Zielgruppenerreichung und die unzureichen- BpB oder von ufuq.de) genannt. Ergänzend erwähnten die Befragten Aus- de Digitalisierung an Schulen und in Hafteinrichtungen. tausch und Netzwerktreffen mit anderen Trägern, Arbeitskreise und den 3 Vgl. Fokusgruppengespräch zu „Auswirkungen des Sicherheitsdiskurses“, S. 32. 4 Vgl. Fokusgruppengespräch „Digitalisierung in der Radikalisierung“, S. 36. 16 17
Report 2021 direkten Dialog mit Forschenden als gängige Formate, um über wissen- Formate zur Weiterbildung über Methoden und Praxisansätze werden schaftliche Erkenntnisse auf dem Laufenden zu bleiben. von den Befragten nach eigener Angabe rege genutzt. Die hier genann- ten themenspezifischen Bedarfe bezogen sich am häufigsten (sechs Welche ideologischen 9 Nennungen) auf Methoden der geschlechtsspezifischen Ansprache (z. B. Szenen, Gruppierun- Sonstiges (bitte angeben) in der „Jungen- und Mädchenarbeit“ mit Blick auf „Männlichkeitsentwürfe“ gen oder Phänomene oder „sexualisierte Gewalt im Kontext des islamistischen Extremismus“).5 39 Weiterhin wurden Bedarfe nach „theologischen Zugängen in der Dera- aus dem Bereich des Forschungsberichte bzw. Dissertationen religiös begründeten dikalisierungsarbeit“, „theologischen Gegennarrativen“ und Methoden Extremismus spielen 31 der „muslimischen Seelsorge“ (vier Befragte) genannt sowie Interesse Fachzeitschriften an systemischen Beratungsmethoden (vier Befragte) und psychosozia- für Ihre Arbeit aktuell eine besondere Rolle? len und psychotherapeutischen Beratungsansätzen geäußert (drei Be- 46 (Mehrfachnennung Medien fragte). Drei Befragte formulierten überdies Interesse an methodischen möglich) Aspekten von digitalem Arbeiten, die „Interaktivität“ ermöglichten. 55 Teilnahme an Fachveranstaltungen Ich interessiere mich 30 für folgende Aus- direkte Zusammenarbeit mit anderen Trägern Die Befragten konnten überdies formulieren, welche Formate ihnen da- tauschformate: (Mehr- bei helfen würden, Forschungsergebnisse noch stärker in ihrer Praxis be- 43 fachnennung möglich) Vernetzungstreffen rücksichtigen zu können. Zehn Befragte teilten hier die Idee einer zusam- menführenden Informationsplattform (Online-Portal oder Newsletter), 34 die frei zugängliche wissenschaftliche Artikel und Literaturhinweise sam- Hospitationen bei anderen Trägern („Job Shadowing") meln und zur Verfügung stellen könnte. Einige Praktiker*innen (vier Be- 38 fragte) erwähnten, dass vielfältige Quellen und Newsletter bereits exis- Austausch von Methoden tierten, in der Praxis aber oft die zeitlichen Kapazitäten fehlten, um diese angemessen nutzen zu können. Außerdem wurde vereinzelt der Wunsch 32 geäußert, dass eine solche Plattform Auswertungen und statistische Trägerübergreifende kollegiale Beratung Daten auch multimedial präsentieren und Bilder oder audiovisuelle For- mate nutzen solle. Eine stärkere Aufmerksamkeit wünschten sich die Be- Ausgeprägtes Interesse besteht auch an Austauschformaten zu Pra- fragten (sechs explizite Nennungen) für „praxisbezogene Erkenntnisse“, xismethoden, zur Vernetzung und zur trägerübergreifenden kollegialen „praxisbezogene Ergebnispräsentationen“ und „Vorstellungen von Eva- Beratung und Zusammenarbeit. Die Befragten konnten in offener Form luationserkenntnissen“ unterschiedlicher Projekte, Methoden und Maß- Akteur*innen aus spezifischen Disziplinen und Arbeitsfeldern benennen, nahmen. Zwei Befragte wünschten sich mehr Zugang zu internationalen mit denen sie sich einen Austausch wünschten. Häufig genannt wur- Studienergebnissen, vor allem im „europäischen Vergleich“. den dabei Psycholog*innen und Psychotherapeut*innen (sechs Befrag- te) sowie Tätigkeitsfelder wie die (Jugend-)Sozialarbeit, insbesondere die Schulsozialarbeit (drei Befragte), „gestalterische, ästhetische Me- Ich bilde mich regel- 37 dienkompetenzbildung, auch für Erwachsene“, „Sektenforschung“ und mäßig weiter über kollegialem Austausch extern „Arbeit mit Geflüchteten, Ausländerämtern und -behörden, Ausländer- Methoden und Praxis- 43 räten, Migrationsberatung“. Weitere Institutionen, mit denen aus Sicht ansätze in meinem kollegialem Austausch intern der Befragten mehr Vernetzung wünschenswert wäre, sind Sicherheits- Arbeitsbereich mit Hilfe 34 behörden, Jugendämter, Jugendgerichtshilfen und Justizbehörden. Ein von: (Mehrfachnen- Fort- und Weiterbildungsseminaren besonderer Fokus wurde, wie bereits im Jahr 2020, auf die Vernetzung nung möglich) mit Kolleg*innen gelegt, die im Phänomenbereich Rechtsextremismus 44 arbeiten. Auch die stärkere Zusammenarbeit mit Fachkräften in Antidis- Fachveranstaltungen kriminierungsnetzwerken und der Austausch zur „phänomenübergrei- 41 fenden Arbeit“ wurde mehrmals hervorgehoben (fünf Befragte). Fachveröffentlichungen 5 Siehe dazu auch Schlaglicht „Warum Gender?“, S. 74. 18 19
Report 2021 Fokusthemen Das bereits 2020 zu beobachtende Interesse an phänomenübergrei- Ich plädiere für 33 2021 fenden Ansätzen sollte die Bedarfsabfrage 2021 vertiefen. Dazu wurden vermehrt phänomen- die Befragten zunächst gebeten, in eigenen Worten zu erläutern, was sie übergreifende Ansätze 1. Phänomenüber- unter dem Begriff verstehen. Die große Mehrheit von 45 Befragten, die in der Prävention von 18 greifendes Arbei- sich dazu äußerten, konzentrierte sich auf die Betrachtung individuel- religiös begründetem ten ler „psychosozialer Radikalisierungsfaktoren und Hinwendungsmotive“ Extremismus. 4 und betonte die Bedeutung des methodischen Austauschs mit Trägern anderer Phänomenbereiche zu Distanzierungsberatung, zu „pädagogi- 0 schen Methoden“ und zum Thema „Identität“. Exemplarisch dafür stehen folgende Aussagen zweier Befragter: „Die unterschiedlichsten extre- mistischen Phänomenbereiche werden von fast demselben Klientel Stimme Stimme Stimme eher Stimme angesprochen, oft ist es fast schon Zufall, für welche Gruppe sich die vollkommen zu eher zu nicht zu nicht zu präradikalisierte Person entscheidet.“ „Wenn wir davon ausgehen, dass Radikalisierungsprozesse im Allgemeinen vor allem innerpsychische und interpersonelle Ursachen haben, bedeutet phänomenübergreifen- Angesichts der differenzierten Vorstellungen von phänomenübergrei- de Arbeit vor allem, die dem Anschluss an eine extremistische Gruppe fender Arbeit ist es nicht überraschend, dass eine große Anzahl der Be- zugrundeliegenden Ursachen zu erschließen und die jungen Menschen fragten angibt, sich in ihrer Praxis bereits um phänomenübergreifende darin zu fördern und zu stärken, sich von dem Angebot dieser Gruppen Ansätze zu bemühen. nicht mehr im gleichen Maße angezogen zu fühlen.“ Arbeiten Sie selbst 14 Befragte betonten mit Blick auf Radikalisierungsfaktoren, ideolo- 31 phänomenübergrei- gische Rhetoriken oder Hinwendungsmotive die Notwendigkeit, Ge- fend? meinsamkeiten und Unterschiede zwischen den Phänomenbereichen 17 pointiert festzuhalten. Ergänzend dazu sollten im Rahmen von phäno- menübergreifender Arbeit auch die politischen und gesellschaftlichen 7 Zusammenhänge betrachtet werden, die den Rahmen für die Biogra- fien der Zielgruppen setzten („Sozialraum“, „politische Gegebenheiten“, „Mediendiskurse“). Die Hälfte (22) der Antworten betrachtete daher auch die phänomenübergreifende Arbeit aus der Perspektive von „gesamt- gesellschaftlichen Krisen“, die unterschiedliche Formen von „Ideologi- Ja Nein Ich weiß nicht/ sierung, Radikalisierung und Polarisierung“ gleichermaßen befördern keine Angabe könnten. 2. Online-Präsenz Ein weiterer Befund, der die Ergebnisse aus der Befragung von 2020 er- Insbesondere müsse der Betrachtung von „Wechselwirkungen“ unter- extremistischer neut bestätigt, ist die vielfältige und stark ausgeprägte Online-Präsenz schiedlicher Formen „gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit“, die sich und präventiver extremistischer Akteur*innen. Damit verbunden sind Fachdiskussionen gegenseitig verstärken (wie antimuslimischer Rassismus, islamistischer Akteur*innen darüber, ob und in welcher Form effektive Gegen- bzw. Alternativange- Extremismus, Rechtsextremismus), mehr Aufmerksamkeit geschenkt bote entwickelt werden können.7 werden (sieben Nennungen). Phänomenübergreifende Arbeit umfasse dabei die Auseinandersetzung mit der „dialektischen Beziehung zwischen Zur Erkundung, welche Kanäle und Plattformen von der Fachpraxis be- diesen Phänomenen, die die Argumentation für die jeweiligen extremis- reits beobachtet werden, fragte KN:IX zunächst: „Welche Online-Kanä- tischen Akteur*innen und die Herstellung von Feindbildern“ ermögliche.6 le und -Quellen extremistischer Akteur*innen spielen in Ihrer Arbeit eine Rolle?“ 53 Befragte gaben darauf eine Antwort. Zehn Befragte beobach- Die große Mehrheit der Befragten plädiert vor diesem Hintergrund für teten keine entsprechenden Webpräsenzen. Die große Mehrheit bezog die verstärkte Anwendung phänomenübergreifender Ansätze in der sich generell auf Plattformen, wie YouTube (15 Nennungen), Instagram Prävention von religiös begründetem Extremismus. (zehn), Facebook und Telegram (jeweils acht), TikTok (vier), Twitter (drei) 6 Vgl. Fokusgruppengespräch zu „Phänomenübergreifenden Ansätzen“, S. 32. 7 Vgl. Fokusgruppengespräch zur „Digitalisierung in der Radikalisierung“, S. 36. 20 21
Report 2021 und Discord (zwei). Erwähnt wurden auch WhatsApp, die 4chan/8chan- Es existieren genügend 3 10 12 2 Foren und reddit. Konkrete Akteur*innen, die genannt wurden, waren Gelegenheiten und „Generation Islam“ (vier Nennungen), salafistische Prediger wie Marcel Formate für den Aus- Wissenschaft und Praxis in meinem Arbeitsfeld. Krass und Pierre Vogel (drei Nennungen), „Realität Islam“ und „Macht’s tausch zwischen... Klick“ (jeweils zwei Nennungen). Weitere genannte Kanäle und Quellen 3 19 4 1 waren „Botschaft des Islam“, „Furkan“, „Islamische Fakten“, „Habibiflo“ und zivilgesellschaftlichen Stellen untereinander. „Abul Barra Tube“. Erwähnt wurden auch Nikolai Nerling und Attila Hild- mann, die als Agitatoren im Phänomenbereich Rechtsextremismus und 1 11 12 3 Verschwörungsnarrative eine Rolle spielten. zivilgesellschaftlichen und staatlichen Stellen. Zur Frage nach den digitalen Informationsquellen (z. B. Accounts/Online- Trifft voll zu Trifft eher zu Trifft eher nicht zu Trifft überhaupt nicht zu Akteur*innen/Social-Media-Kanäle), die Praktiker*innen ihrer Zielgrup- pe empfehlen würden, gaben uns 45 Befragte eine Antwort. Die große Mehrheit benannte konkrete Accounts, lediglich elf gaben ausdrücklich Die Kooperation/der an, keine Accounts zu kennen. Mit elf Nennungen stach der datteltäter- 2 12 10 3 Austausch... Channel auf YouTube deutlich hervor, gefolgt von den Mediendiensten zwischen Wissenschaft und Praxis ist in meinem Arbeitsfeld zufriedenstellend. der Bundeszentrale für politische Bildung (zehn), der Homepage von ufuq.de (neun) sowie dem Portal islam-ist.de und den dazugehörigen 6 15 5 1 Social-Media-Kanälen (jeweils sieben Nennungen). Auf jeweils zwei Nennungen kamen die pädagogischen Online-Präsenzen des Vereins zwischen zivilgesellschaftlichen Trägern untereinander ist zufriedenstellend. Turn, die YouTube-Präsenz von Museltoonz und der Podcast Gedanken- salat. Einzelne Erwähnungen unter den empfohlenen Medien fanden die 2 11 12 2 Fachstelle Liberi, die BR Mediathek, der Mediendienst Integration, die öf- zwischen zivilgesellschaftlichen und staatlichen Akteur*innen ist zufriedenstellend. fentlich-rechtlichen Funk-Medien, Streetwork@online, antworten-auf- salafismus.de, die Accounts Jihadi Fool und Mr. Wissen 2 Go sowie me- Trifft voll zu Trifft eher zu Trifft eher nicht zu Trifft überhaupt nicht zu diale Auftritte von Aladin El-Mafaalani, Ozan Keskinkılıç, Esra Karakaya und Enissa Amani. Für die Zielgruppe der Multiplikator*innen wurde die Webseite der BAG RelEx, die Inhalte von Global Network on Extremism Die Qualität der Kooperation unter den entsprechenden Akteur*innen and Technology, der Fachstelle Extremismus und Psychologie sowie des wird ähnlich eingeschätzt: Während 21 Befragte der Meinung waren, RISE-Projekts des JFF und des Vereins IDA e.V. empfohlen. dass die Kooperation zivilgesellschaftlicher Träger untereinander (eher) zufriedenstellend sei, stimmten diesem Befund 13 Personen auch mit 3. Stand der Bereits im vergangenen Jahr wurden die Fachkräfte gebeten, eine Ein- Blick auf die Kooperation zwischen staatlichen und zivilgesellschaft- Kooperations- schätzung zu aktuellem Stand und Umfang ihrer Kooperationen an- lichen Trägern zu. Ein gemischtes Bild ergab sich bei der allgemeinen beziehungen zugeben und die Verfügbarkeit von Austauschformaten zu bewerten. Bewertung des Austauschs zwischen Wissenschaft und Praxis: Hier zeig- 2020/2021: Dazu konnten sie zunächst die Aussage „Es existieren genügend Aus- ten sich zwei Personen „sehr zufrieden“, zwölf „eher zufrieden“, zehn „eher universelle tauschformate für zivilgesellschaftliche und staatliche Stellen“ auf einer unzufrieden“ und drei fanden den Austausch „gar nicht zufriedenstel- Prävention vierstufigen Skala bewerten: „Stimme zu“, „Stimme eher zu“, „Stimme lend“. Dies erscheint überraschend vor dem Hintergrund der intensiven eher nicht zu“ und „Stimme nicht zu“. 27 Befragte der universellen Prä- Nutzung von Forschungspräsentationsplattformen und Austauschfor- vention beteiligten sich, und es zeigte sich, dass zivilgesellschaftliche maten in diesem Feld, wie bereits in den vorangegangenen Kapiteln Austauschformate von der großen Mehrheit als ausreichend bewertet geschildert. Ein Motiv könnte sein, dass Forschungsvorhaben nach Ein- wurden. Etwa die Hälfte der Befragten befand, dass es noch zu weni- schätzung der Akteur*innen noch praxisbezogener ausfallen könnten. ge Gelegenheiten und Formate für den Austausch zwischen zivilgesell- Zudem scheint die Themenauswahl nicht genau genug die Bedarfe der schaftlichen und staatlichen Stellen sowie zwischen Wissenschaft und Befragten zu treffen. Weitere mögliche Gründe für diese Einschätzung Praxis gebe. liefern eventuell die weiter unten vorgestellten Ideen zur Anpassung verfügbarer Austauschformate in der universellen Prävention.8 8 Vgl. Fokusgruppengespräch zu „Kooperationen mit Sicherheitsbehörden“, S. 35. 22 23
Report 2021 Selektive Im Bereich der selektiven und indizierten Prävention zeichnet sich ein Die Kooperation/der 4 14 7 0 und indizierte zum Teil gegensätzliches Bild ab. Hier war die Mehrheit von 17 Befrag- Austausch... Prävention ten (eher) der Meinung, dass genügend Austauschformate zwischen zwischen Wissenschaft und Praxis ist in meinem Arbeitsfeld zufriedenstellend. Wissenschaft und Praxis existierten. Auch die Formate zwischen staat- lichen und zivilgesellschaftlichen Trägern betrachteten 15 Befragte als 5 14 6 0 „eher genügend“, auch wenn sich nur eine Person „voll zufrieden“ mit ih- zwischen zivilgesellschaftlichen Trägern ist zufriedenstellend. rer Anzahl zeigte. Nimmt man die sicherheitsbehördlichen Stellen hinzu, stimmte keine*r der Aussage voll zu. Immerhin 13 Personen fanden die Gelegenheiten zum Austausch eher genügend. Fast ebenso viele, zwölf 0 11 13 1 Personen, waren (eher) gegenteiliger Meinung. zwischen zivilgesellschaftlichen, staatlichen und sicherheitsbehördlichen Stellen ist zufriedenstellend. Entsprechend bewerteten 14 Befragte die Kooperation zwischen diesen drei Akteur*innengruppen als „eher nicht“ oder „gar nicht“ zufriedenstel- 1 12 12 0 lend. Auch bei den anderen abgefragten Konstellationen ergibt sich ein gemischtes Meinungsbild. Eine geringe Mehrheit war (eher) zufrieden zwischen zivilgesellschaftlichen und staatlichen Akteur*innen ist zufriedenstellend. mit der Kooperation zwischen zivilgesellschaftlichen Trägern unterei- Trifft voll zu Trifft eher zu Trifft eher nicht zu Trifft überhaupt nicht zu nander. Die Bewertung der Kooperation zwischen staatlichen und zivil- gesellschaftlichen Trägern fällt eindeutig gemischt aus: 13 stimmten der Aussage (eher) zu und zwölf eher nicht.9 Zusammenfas- Somit lässt sich festhalten, dass Bedarf an weiteren Formaten zur Ver- sende tiefung der Kooperation auf allen Präventionsebenen besteht. In der uni- Betrachtung versellen Prävention sollte der Fokus zum einen auf den Dialog zwischen Es existieren genügend 5 12 6 2 der Kooperations- Wissenschaft und Praxis gelegt werden, zum anderen sollten mehr Aus- Gelegenheiten und beziehungen tauschformate für staatliche und zivilgesellschaftliche Akteur*innen Formate für den zwischen Wissenschaft und Praxis ist in meinem Arbeitsfeld. untereinander entstehen. In der selektiven und indizierten Prävention Austausch... werden vor allem Angebote zur Abstimmung zwischen staatlichen, si- 7 14 3 1 cherheitspolitischen und zivilgesellschaftlichen Akteur*innen gebraucht. zwischen zivilgesellschaftlichen Stellen untereinander. Von den Befragten wurden zudem konkrete Vorschläge zur Verbesse- 0 13 9 3 rung der Kooperation erbeten. Die offen formulierten Antworten von ins- gesamt 28 Teilnehmer*innen weisen auf die unterschiedlichen Bedarfe je zwischen zivilgesellschaftlichen, staatlichen und sicherheitsbehördlichen Stellen. nach Präventionsebene hin: Während die Vorschläge im Bereich der uni- versellen Präventionspraxis vermehrt in Verbindung mit Wissenschafts- 1 15 7 2 Praxis-Beziehungen standen oder zum Ziel hatten, Konkurrenzdenken zwischen zivilgesellschaftlichen Akteur*innen untereinander vorzubeu- zwischen zivilgesellschaftlichen und staatlichen Stellen. gen, bezogen sich die Vorschläge der Befragten aus der selektiven und Trifft voll zu Trifft eher zu Trifft eher nicht zu Trifft überhaupt nicht zu indizierten Ebene fast ausschließlich auf den Dialog der staatlichen und zivilgesellschaftlichen Träger mit den Sicherheitsbehörden. Die Erfahrungen und das Wissen der Praxis aus der universellen Präven- tion sollten von der Forschung demnach stärker berücksichtigt werden. Empfehlenswert seien „Arbeitsgruppen“ zwischen beiden Professio- nen, die gemeinsam Handlungsempfehlungen für die Praxis formulier- ten. Auch wurde gewünscht, dass Ansätze stärker in den Fokus der For- schung rücken sollten, die auf eine verstärkte „Jugendbeteiligung“ in Deutschland zielen. In „ländlichen Räumen“ mit schwierigem Zugang zu universitären Einrichtungen sollten ausreichende finanzielle Ressourcen 9 Vgl. Fokusgruppengespräch zu „Kooperationen in Multi-Agency-Kontexten“, S. 42. 24 25
Report 2021 zur Verfügung gestellt werden, um wissenschaftliche Mitarbeiter*innen Bitte geben Sie an, in- 1 für die Mitarbeit in Projekten gewinnen zu können. Mit Blick auf die Bezie- wiefern Sie folgenden hungen der zivilgesellschaftlichen Organisationen untereinander wur- Aussagen zustimmen: 5 de, wie bereits im vergangenen Jahr, eine kontinuierliche Förderung als 14 Weg genannt, um Konkurrenz zwischen einzelnen Trägern abzuschwä- 4 chen bzw. zu vermeiden. Dazu könnten auch inhaltlich und methodisch fokussierte Fachveranstaltungen beitragen, bei denen sich die Träger Bei der Einschätzung von Klient*innen (Radikalisierung, Perspektiven, Hilfeplan konkret über ihre jeweiligen Herangehensweisen austauschen. „Runde etc.) gibt es Rollenklarheit zwischen allen beteiligten Akteur*innen. Tische“, regelmäßige „digitale Stammtische“ und „Kooperationsverein- Trifft voll zu Trifft eher zu Trifft eher nicht zu Trifft überhaupt nicht zu barungen“ sollten als Instrumente zur besseren Kooperation unter den Akteur*innen zum Einsatz kommen. Im Bereich der selektiven und indizierten Prävention wurde vorgeschla- Weitere Im Bereich der universellen Prävention wurden aufgrund der Empfehlun- gen, Infoveranstaltungen mit geringer Größe und geografischem Fokus Fokusthemen gen aus dem Report 2020 vertiefende Fragen zu spezifischen Fokusthe- durchzuführen, bei denen sich die staatlichen, zivilgesellschaftlichen 2021 men gestellt. und sicherheitsbehördlichen Akteur*innen gemeinsam fortbilden könn- (universelle ten. Die Idee gemeinsamer Fortbildungen wurde mehrmals im Kontext In freien Kommentarfeldern gingen die Teilnehmer*innen der Frage der Zusammenarbeit unterschiedlicher Stellen mit Sicherheitsbehörden Prävention) nach: „In welchen Formen äußern sich gesellschaftliche Polarisierungen aufgegriffen, da solche Treffen es leichter machen würden, eine „ge- bei Ihren Zielgruppen?“ Auffällig war hier, dass häufig auf die Gefahr einer meinsame Sprache“ zu finden. Gegenseitiger Respekt und Absprachen Polarisierung der zirkulären, sich gegenseitig bedingenden und verselbständigenden Dy- „auf Augenhöhe“ mit „definiertem Rollenverständnis“ seien hierbei von Gesellschaft namik hingewiesen wurde. Vier Befragte gingen auf unterschiedliche As- besonderer Bedeutung. pekte dieser wechselseitigen Beziehung ein: „Zugespitzte Positionen und Verhaltensformen“ würden immer häufiger als „Provokation und Aus- Auf diesen Zusammenhang weisen auch die Antworten auf Fragen druck von Ideologie“ gedeutet, was zu einer Verschließung und weiteren nach differenzierter Einschätzung von Klient*innen und Rollenklarheit Zuspitzung der Positionen des Gegenübers führe. „Toleranz, Respekt und zwischen den beteiligten Akteur*innen im Feld der selektiven und indi- Ambiguitätstoleranz werden jeweils bei ‚den Anderen‘ erwartet.“ Zudem zierten Prävention hin (s. Abb.): 24 Befragte glauben, dass die Einschät- führten „Vorurteile“ der Pädagog*innen, Fachkräfte und Behörden bei (vor zung der Klient*innen aus dem Blickwinkel mehrerer Perspektiven und allem jungen) Betroffenen zu „geringem Selbstvertrauen“. Die so entste- Disziplinen geschieht. Der Überzeugung, dass eine Rollenklarheit zwi- hende „berufliche, schulische und finanzielle Verunsicherung“, die auch schen den Akteur*innen bestünde, stimmt eine Mehrheit (18 Personen) zu Anfeindungen oder Rückzug führen könne, verstärke wiederum die der Befragten zu. Vereinzelt wurde in den offenen Kommentaren aber Vorurteile bei den Beobachter*innen. Diskriminierungserfahrungen (hier auch der Wunsch nach einer Einbeziehung von „Leitfäden“ zur Klärung insbesondere antimuslimischer Rassismus) lösten, so die Praktiker*innen, von Zuständigkeiten zwischen den beteiligten Akteur*innen zum Aus- Abwehrhaltungen bei Betroffenen aus, die in der Folge schwerer zugäng- druck gebracht (zwei Nennungen). lich für (politische) Bildungsangebote seien. Ablehnungs- und Diskrimi- nierungserfahrungen könnten dann ihrerseits zu einer „Ablehnung von demokratischen Werten“ führen, weil diese z. B. als „heuchlerisch“ emp- Bitte geben Sie an, in- funden würden. Verunsicherung, Abwehrhaltungen und Isolation können 0 wiefern Sie folgenden Betroffene vulnerabel für extremistische Ansprachen machen. Neben Aussagen zustimmen: 1 „Online-Kriegen“ und „Hate Speech“ (drei Nennungen) wurden auch offe- 12 ne Konflikte im Rahmen von Bildungsveranstaltungen (zwei Nennungen) als Zeichen für Polarisierungen in der Gesellschaft gedeutet, die aber 12 ihrerseits, auch darauf wurde hingewiesen, Potenzial für pädagogische Unsere eigene Einschätzung von Klient*innen erfolgt aus dem Blickwinkel Interventionen etwa zur Bearbeitung eindimensionaler Bilder bergen. verschiedener Perspektiven und Disziplinen. Um solchen Polarisierungserscheinungen begegnen zu können, setzen Trifft voll zu Trifft eher zu Trifft eher nicht zu Trifft überhaupt nicht zu sich die Praktiker*innen regelmäßig mit methodischen Ansätzen aus- 26 27
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