KONJUNKTUR-BERICHTE KIELER
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KIELER KONJUNKTURBERICHTE NR. 99 (2023|Q1) KIELER KONJUNKTUR- BERICHTE Weltwirtschaft im Frühjahr 2023 Abgeschlossen am 15. März 2023 © Angela Husfeld/ IfW Kiel Nr. 99 (2023|Q1) Klaus-Jürgen Gern, Stefan Kooths, Jan Reents, Nils Sonnenberg und Ulrich Stolzenburg Forschungszentrum Konjunktur und Wachstum 1
KIELER KONJUNKTURBERICHTE NR. 99 (2023|Q1) INHALTSVERZEICHNIS Weltkonjunktur im Frühjahr 2023: Hartnäckige Inflation, gebremste Expansion Überblick ............................................................................................................................... 3 Ausblick: Weltkonjunktur bleibt zunächst schwach ......................................................... 8 Die Prognose im Einzelnen.................................................................................................. 10 Konjunkturtief in den Vereinigten Staaten steht noch bevor .......................................... 10 China: Erholung von Corona mit Gegenwind ................................................................ 14 Langsame Belebung in der Europäischen Union .......................................................... 16 Japan am Rande der Rezession ................................................................................... 17 Schwache Konjunktur im Vereinigten Königreich .......................................................... 19 Schwellenländer mit wenig Schwung ............................................................................ 20 Literatur ............................................................................................................................... 24 2
KIELER KONJUNKTURBERICHTE NR. 99 (2023|Q1) HARTNÄCKIGE INFLATION, GEBREMSTE EX- PANSION Klaus-Jürgen Gern, Stefan Kooths, Jan Reents, Nils Sonnenberg und Ulrich Stolzenburg Die Erholung der Weltwirtschaft von den Aus- Überblick wirkungen der Corona-Pandemie ist im Jahr 2022 unter dem Eindruck hoher Energiepreise Der Anstieg der Weltproduktion hat sich und großer Unsicherheit erst einmal zu Ende zum Ende des vergangenen Jahres wieder gegangen. Bremsend wirkt inzwischen zuneh- mend auch die Geldpolitik, die zwar recht spät, verlangsamt. Die weltwirtschaftliche Expan- aber dann ausgesprochen rasch gestrafft sion schwächte sich im Jahr 2022, bei aller- wurde und angesichts eines weiterhin hohen In- dings unstetem Verlauf, insgesamt deutlich ab. flationsdrucks wohl noch weiter angezogen Im Schlussquartal legte die globale Wirtschafts- werden wird. Die Weltproduktion legte zum Jah- leistung erneut nur wenig zu. Bremsend wirkten resende hin nur schwach zu und dürfte im lau- die gestiegenen Energiepreise, die in Reaktion fenden Jahr trotz einer spürbaren Belebung in auf die hohe Inflation inzwischen deutlich rest- China nur mäßig expandieren. Gemessen auf riktive Geldpolitik und in China nochmals Maß- Basis von Kaufkraftparitäten rechnen wir mit ei- nahmen zur Eindämmung einer Corona-Infekti- nem Anstieg von 2,5 Prozent, nach einem Zu- onswelle. Im Jahresergebnis erhöhte sich die wachs von 3,2 Prozent im vergangenen Jahr. Weltproduktion mit 3,2 Prozent zwar in etwa so Damit haben wir unsere Prognose für das Jahr stark wie im mittelfristigen Trend; im Schluss- 2023 gegenüber unserer Dezemberprognose um 0,4 Prozentpunkte erhöht, zum einen weil quartal lag sie aber nur noch um 1,8 Prozent sich die Lage an den Energiemärkten deutlich höher als ein Jahr zuvor. Zuletzt hat sich die entspannt hat, zum anderen weil sich die Wirt- weltwirtschaftliche Stimmung zwar etwas auf- schaft in den Vereinigten Staaten als robuster gehellt, für das laufende Quartal signalisiert der erwiesen hat als erwartet. Für das Jahr 2024 vom IfW Kiel auf der Basis von Stimmungsindi- liegt unsere Prognose unverändert bei 3,2 Pro- katoren aus 42 Ländern berechnete Indikator zent. Die Inflation dürfte zwar in den kommen- den Monaten dank der wieder niedrigeren Roh- Abbildung 1: stoffpreise deutlich sinken, der zugrunde lie- Weltwirtschaftliche Aktivität gende Preisauftrieb dürfte aber vorerst hoch Prozent Index bleiben und allenfalls gegen Ende des Progno- 9 101 sezeitraum wieder in die Nähe der Zielmarken Weltwirtschaftsklima sinken. 7 100 5 3 99 1 -1 Bruttoinlandsprodukt 98 -3 -5 97 -7 -9 96 2016 2017 2018 2019 2020 2021 2022 2023 Quartalsdaten; saisonbereinigt; Weltwirtschaftsklima berechnet auf Basis von Stimmungsindikatoren aus 42 Ländern; Bruttoinlands-produkt: preisbereinigt, Veränderung gegenüber dem Vorquartal, 46 Länder, gewichtet nach Kaufkraftparität. Kasten 1: Zur Entwicklung am Weltmarkt für LNG (S. 22 323) Quelle: OECD, Main Economic Indicators; nationale Quellen; 3
KIELER KONJUNKTURBERICHTE NR. 99 (2023|Q1) für das globale Wirtschaftsklima allerdings eine Der Welthandel ging spürbar zurück, hat weiter nur mäßige Expansion (Abbildung 1). sich zuletzt aber gefangen. Der globale Wa- Damit ist die Phase der Erholung der Weltwirt- renaustausch verringerte sich noch deutlich schaft von dem pandemiebedingten Einbruch stärker als die Industrieproduktion; im Dezem- zunächst einmal zu Ende gegangen. ber 2022 war das Welthandelsvolumen nach Die Industrieproduktion gab zum Jahres- den Zahlen des niederländischen CPB um fast ende auf breiter Front nach. Der Anstieg der 4 Prozent niedriger als im September. Nach un- globalen Industrieproduktion, der im Sommer seren Berechnungen auf der Basis von Schiffs- 2022 recht schwungvoll gewesen war, setzte bewegungsdaten war der Rückgang beim Volu- sich im Herbst nicht weiter fort. Vielmehr ging men der in Containern gehandelten Waren seit die industrielle Erzeugung sowohl in den fortge- dem Frühsommer sogar noch etwas ausge- schrittenen Volkswirtschaften als auch in den prägter (Abbildung 3). Die Entwicklung am ak- Schwellenländern im vierten Quartal leicht zu- tuellen Rand deutet indes darauf hin, dass sich rück. Zu der konjunkturellen Abschwächung der die Abwärtsdynamik im Welthandel nach dem Nachfrage kamen in China erneut die Auswir- Jahreswechsel nicht fortgesetzt hat. Nach den kungen von Lockdowns, die auch die industri- Ergebnissen des Kiel Trade Indicator hat der elle Aktivität beeinträchtigt haben dürften. Deut- Welthandel in den ersten beiden Monaten des lich an Schwung verloren hat insbesondere die laufenden Jahres wieder angezogen. Elektronikindustrie, wo es angesichts erheblich ausgebauter Produktionskapazitäten zu einem In den fortgeschrittenen Volkswirtschaften Preisverfall bei Halbleitern gekommen ist. Bei hat sich die Konjunktur deutlich alledem ließen die Anspannungen in den Logis- abgeschwächt. Im vierten Quartal nahm die tiknetzwerken weltweit weiter nach. Die Contai- gesamtwirtschaftliche Produktion in der Gruppe ner-Frachtraten im Seeverkehr haben sich in- der fortgeschrittenen Volkswirtschaften nur zwischen nahezu auf das Niveau verringert, noch mit einer Rate von etwa 0,3 Prozent zu, das in den Jahren vor der Corona-Krise üblich die inländische Verwendung sogar nur um 0,1 war. Auch die Zahl der Schiffe, die sich vor Hä- Prozent (Abbildung 4). Zum einen verlor die fen stauen, hat inzwischen fast wieder Normal- Expansion des privaten Konsums unter dem niveau erreicht (Abbildung 2). Eindruck der hohen Inflation weiter an Fahrt, zum anderen wurden die Anlageinvestitionen Abbildung 2: verringert. Vor allem in Europa schnallten die Anteil blockierter Fracht in der Seeschifffahrt privaten Haushalte angesichts gesunkener Prozent Realeinkommen ihre Gürtel enger, während 16 sich in den Vereinigten Staaten der Anstieg der 14 Konsumausgaben lediglich verlangsamte. Auch in Japan, wo das Konsumniveau allerdings 12 immer noch niedriger ist als vor dem Ausbruch der Covid-Pandemie, legte der private Konsum 10 moderat zu. Bei den Investitionen ist der Rückgang besonders ausgeprägt im 8 Wohnungsbau in den Vereinigten Staaten, wo die Aktivität innerhalb eines Jahres um fast 20 6 Prozent gesunken ist. So ist der mit 0,7 Prozent 4 noch recht kräftige Anstieg des US- Bruttoinlandsprodukts wesentlich darauf 2 zurückzuführen, dass die Lagerbestände wieder zunahmen. In den übrigen 0 fortgeschrittenen Volkswirtschaften wurden 2018 2019 2020 2021 2022 2023 kaum noch Zuwächse der Monatsdaten. Anteil an Waren, die sich global auf wartenden gesamtwirtschaftlichen Produktion verzeichnet. Containerschiffen befinden. Während die Wirtschaft in Japan leicht um Quelle: Kiel Trade Indicator. 0,2 Prozent zulegte, stagnierte sie sowohl im 4
KIELER KONJUNKTURBERICHTE NR. 99 (2023|Q1) Abbildung 3: Euroraum als auch im Vereinigten Königreich; Globaler Containerhandel in Südkorea schrumpfte sie sogar deutlich. Mill. TEU In den Schwellenländern wurde die ohnehin 15,00 verhaltene Expansion nochmals durch pan- 14,50 demiebedingte Belastungen in China ge- bremst. Der Produktionsanstieg in den großen 14,00 Schwellenländern verlangsamte sich im vierten 13,50 Quartal wieder deutlich und war mit knapp 0,5 Prozent weniger als halb so hoch wie im länger- 13,00 fristigen Durchschnitt. In China stagnierte die 12,50 Wirtschaftsleistung infolge abermaliger Lock- downs zur Eindämmung von Covid-Infektionen. 12,00 Nachdem die Null-Covid-Politik Anfang Dezem- ber beendet worden war, wirkte eine massive 11,50 Infektionswelle bremsend. Inzwischen scheint 11,00 aber die Pandemie auch in China ihren Einfluss auf die Konjunktur verloren zu haben. In Indien 10,50 legte die gesamtwirtschaftliche Produktion im 10,00 Quartalsvergleich zwar deutlich zu, im Ver- 2018 2019 2020 2021 2022 2023 gleich zum Vorjahr erhöhte sie sich aber nur um 4,4 Prozent und blieb damit hinter den Erwar- Monatsdaten. Menge an global transportierten Containern in TEU (20-Fuß Standardcontainer) basierend auf tungen zurück. Vor allem der Anstieg des priva- Schiffsbewegungsdaten. ten Konsums verlangsamte sich angesichts ge- Quelle: Kiel Trade Indicator. stiegener Finanzierungskosten. Höhere Zinsen und verteuerte Lebenshaltung belasteten auch die Konjunktur in den übrigen asiatischen Schwellenländern, wo die Produktion zum Teil Abbildung 4: Gesamtwirtschaftl. Entwicklung in den G7-Ländern sogar empfindlich zurückging. In Lateinamerika war das Bild zuletzt uneinheitlich. Während das Prozent BIP 12 Inländische Verwendung Bruttoinlandsprodukt in Brasilien leicht und in 10 Chile deutlich schrumpfte, blieb die Produktion anderswo aufwärtsgerichtet, wenngleich meist 8 nur in moderatem Tempo. In Russland schließ- 6 lich legte die gesamtwirtschaftliche Produktion 4 gegen Jahresende offenbar spürbar zu, die im Frühjahr verzeichneten starken Einbußen wur- 2 den aber noch nicht wieder wettgemacht. 0 Die Rohstoffpreise sind nur noch moderat -2 erhöht und dürften im Prognosezeitraum -4 noch etwas nachgeben. Die Lage an den Roh- -6 stoffmärkten hat sich in der zweiten Jahres- hälfte deutlich entspannt. Zunächst begannen -8 die Preise für Industrierohstoffe unter dem Ein- -10 druck gedämpfter Nachfrage aus China und all- -12 gemein verdüsterter Konjunkturerwartungen zu 2016 2017 2018 2019 2020 2021 2022 sinken. Der Preis für Kupfer etwa war zeitweise Quartalsdaten; preis- und saisonbereinigt; Veränderung gegen- kaum noch höher als in den Jahren vor Aus- über dem Vorquartal; G7: Vereinigte Staaten, Japan, Kanada, Deutschland, Frankreich, Italien und Vereinigtes Königreich. bruch der Corona-Krise. Deutlich erhöht sind zwar immer noch die Preise vieler Nahrungs- Quelle: OECD, Main Economic Indicators; Berechnungen des IfW Kiel. mittel, allerdings liegen auch sie zumeist ein gu- tes Stück unterhalb der im Frühjahr 2022 5
KIELER KONJUNKTURBERICHTE NR. 99 (2023|Q1) verzeichneten Niveaus. Der Ölpreis ist seit Juni mittelfristig steigendem Bedarf hängt die wei- tendenziell rückläufig; weder eine Kürzung der tere Entwicklung maßgeblich davon ab, in wel- Förderquoten durch die OPEC im Oktober noch chem Ausmaß die globalen LNG-Produktions- die Inkraftsetzung des EU-Embargos und eines kapazitäten ausgebaut werden (Kasten 1) Preisdeckels für russisches Rohöl Anfang De- Die Inflation hat ihren Höhepunkt zwar wohl zember und für Ölprodukte aus Russland An- überschritten, ist aber nach wie vor stark er- fang Februar haben diesen Trend gebrochen. höht. Der Preisauftrieb ist zuletzt etwas zurück- Die Maßnahmen haben aber dazu geführt, dass gegangen von den historischen Höhen, die er sich die Preisdifferenz zwischen Brent und der im Verlauf des Jahres 2022 erreicht hatte. Seit russischen Referenzsorte Urals nochmal deut- Oktober 2022 ist die Inflationsrate in den G7- lich ausgeweitet und für russisches Rohöl am Ländern von 8,4 Prozent auf 7,4 Prozent (Ja- Spotmarkt zeitweise kaum noch 50 US-Dollar nuar) gesunken (Abbildung 6). Maßgeblich für gezahlt wurden.1 Seit Jahresbeginn liegt der den Rückgang war die Entspannung an den Preis für Öl der Sorte Brent etwas über 80 Dol- Energiemärkten. Ab dem Frühjahr könnte sich lar und ist damit kaum noch höher als Durch- von dieser Seite sogar eine Entlastung erge- schnitt des Jahres 2021. Der Markt erscheint ben. Hingegen verharrte die Kernrate der Infla- weiterhin gut versorgt. Wir rechnen im Einklang tion bis zuletzt auf den im Herbst erreichten ho- mit den Finanzmärkten damit, dass sich Rohöl hen Niveaus. Der Preisanstieg bei Nahrungs- im Prognosezeitraum weiter allmählich verbilligt mitteln hat sich trotz auch hier in den vergange- (Abbildung 5). In den vergangenen Monaten ist nen Monaten wieder niedrigeren Notierungen schließlich auch das Preisniveau am europäi- an den Rohstoffmärkten bis zuletzt sogar ver- schen Gasmarkt weiter deutlich gesunken, zu- stärkt. letzt auf ein Niveau, wie es im Herbst 2021 ver- zeichnet wurde. Für dieses und das nächste Die Notenbankzinsen werden vorerst weiter Jahr sind derzeit angesichts weiterhin eng be- erhöht. Die Notenbanken in den großen fortge- grenzter Verfügbarkeit von Flüssiggas lediglich schrittenen Wirtschaftsräumen haben auf den moderate weitere Rückgänge zu erwarten. Bei starken Anstieg der Inflation recht spät, dann Abbildung 5: Abbildung 6: Rohstoffpreise Verbraucherpreise in den fortgeschrittenen Volks- wirtschaften 2015=100 US-Dollar 240 140 9 Prozent Verbraucherpreise insgesamt Rohstoffpreise ohne Energie Kernindex Ölpreis (rechte Skala) 8 120 200 7 100 6 5 160 80 4 60 3 120 2 40 1 80 0 20 -1 40 - 2016 2018 2020 2022 2012 2014 2016 2018 2020 2022 2024 Monatsdaten; Veränderung gegenüber dem Vorjahr der Ver- braucherpreise in den Vereinigten Staaten, im Euroraum, in Monatsdaten; Rohstoffpreise: HWWI-Index auf US-Dollarbasis; Japan und im Vereinigten Königreich, gewichtet mit dem Brutto- Ölpreis: Spotpreis Sorte Brent. Grau schattiert: Prognose des inlandsprodukt zu Preisen und Wechselkursen von 2019; Kern- IfW Kiel. index: Verbraucherpreise ohne Energie und Nahrungsmittel. Quelle: International Petroleum Exchange via Refinitiv Quelle: OECD, Main Economic Indicators; Berechnungen des Datastream; HWWI, Rohstoffpreisindex. IfW Kiel. 1 Nachdem Russland eine Förderkürzung um 500 ooo Barrel pro Tag ab März angekündigt hatte, stie- gen die Uralsnotierungen zuletzt wieder etwas an. 6
KIELER KONJUNKTURBERICHTE NR. 99 (2023|Q1) aber mit einer historisch sehr steilen Anhebung abgebaut. Im Ergebnis fällt die finanzielle Rest- der Leitzinsen reagiert. In den Vereinigten Staa- riktion stärker aus, als dies allein durch die Leit- ten liegt das Ziel für die Federal Funds Rate in- zinserhöhungen angelegt ist. Hinzu kommen zwischen bei 4,5 bis 4,75 Prozent und damit nur fiskalische Konsequenzen der Kehrtwende in noch wenig niedriger als am Ende der letzten der Geldpolitik, da die Zentralbanken in den ausgeprägten Phase geldpolitischer Restriktion nächsten Jahren wohl keine Gewinne an die Fi- im Jahr 2007. Nachdem die US-Notenbank die nanzministerien überweisen werden (Sonnen- Höhe der Zinsschritte nach und nach reduziert berg, 2023). Denn die im Zuge der Ankaufpro- hatte, waren viele Beobachter zeitweise von ei- gramme entstandenen hohen Überschussre- nem nahen Ende des Zinserhöhungszyklus serven der Banken werden nun mit den Leitzin- ausgegangen. Angesichts von wieder stärkeren sen verzinst und verursachen bei den Noten- Aktivitätsindikatoren und einer hartnäckig ho- banken Zinsaufwendungen, während die aus hen Kerninflationsrate hat die Fed zuletzt aber dem in der Zeit niedriger Zinsen angehäuften weitere Zinsschritte signalisiert. Wir rechnen mit Anleihebestand entstehenden Zinseinkommen einer Kette von weiteren drei Zinserhöhungen gering sind. Durch diese Konstellation ergeben um jeweils 0,25 Prozentpunkte bis zum Juli, be- sich für die Zentralbanken sehr hohe Verluste, vor die Leitzinsen dann einige Zeit auf dem Ni- die das Eigenkapital mancher Zentralbanken veau von 5,25 bis 5,5 Prozent belassen werden aufzehren dürften. (Abbildung 7). Die EZB, die erst im vergange- Abbildung 7: nen Sommer begonnen hatte, die Zügel anzu- Leitzinsen Prognose ziehen, hat ihren Leitzins mittlerweile auf 3 Pro- zent erhöht und einen weiteren Schritt um 0,5 Prozent Prozent für Mitte März angekündigt. Wir rech- 6 nen damit, dass der Zinsgipfel im Sommer bei Euroraum 4 Prozent erreicht sein wird. Auch die Bank von 5 USA England dürfte ihren Leitzins noch weiter, auf in UK der Spitze 4,75 Prozent, anheben. Für den Ver- 4 lauf des kommenden Jahres sind dann bei nachlassender Inflation und mäßiger konjunktu- 3 reller Expansion allmähliche Zinssenkungen wahrscheinlich. 2 Zur Zinspolitik kommt eine quantitative Straffung der Geldpolitik, die ebenfalls zu 1 restriktiveren finanziellen Konditionen führt. Die Fed führt ihren Anleihebestand derzeit um 0 2019 2020 2021 2022 2023 2024 95 Milliarden Dollar pro Monat zurück. Die EZB plant für den Zeitraum von März bis Juni einen Quartalsdaten, Wert am Periodenende. Euroraum: Haupt- refinanzierungssatz, USA: Federal Funds Rate, UK:, Japan: Umfang von monatlich 15 Milliarden Euro, da- Quelle: Refinitiv. grau hinterlegt: Prognose des IfW Kiel. nach könnte der Rhythmus auf bis zu 30 Milliar- den Euro erhöht werden. Während Fed und EZB den Anleihebestand dadurch reduzieren, dass die durch auslaufende Anleihen herein- Die Geldpolitik in den Schwellenländern kommenden Mittel nicht erneut reinvestiert wer- bleibt zumeist stabilitätsorientiert. Einige den, geht die Bank von England darüber hinaus Schwellenländer haben 3 ähnlich wie manche und verkauft aktiv Papiere, um die anvisierte osteuropäischen Volkswirtschaften 3 früh mit jährliche Rückführung des Anleihebestandes ihrem Zinsanhebungszyklus begonnen und ihre um 80 Mrd. Pfund zu erreichen. Durch Verrin- Leitzinsen bereits seit Mitte vergangenen Jah- gerung des Anleihebestandes wird der dämp- res unverändert lassen. Zinssenkungen sind al- fende Effekt auf die Terminprämien, der durch lerdings im Umfeld nach wie vor relativ hoher die Ankaufprogramme entstanden war und ei- Inflation und weiter steigender Zinsen in den nen expansiven Impuls setzte, schrittweise großen fortgeschrittenen Volkswirtschaften 7
KIELER KONJUNKTURBERICHTE NR. 99 (2023|Q1) bislang kaum vorgenommen worden. Im Ge- weniger. In der Folge hat sich die Stimmung bei genteil wurden ungünstige Nachrichten von der Unternehmen und Haushalten weltweit aufge- Inflation etwa in Indien oder Mexiko zum Anlass hellt. Das Risiko eines Abrutschens in eine aus- für weitere Zinsanhebungen genommen. Eine geprägte Rezession ist deutlich gesunken. Al- Ausnahme in diesem Bild einer auf monetäre lerdings ist das Niveau von umfragebasierten Stabilität setzender Geldpolitik ist die Türkei, wo Frühindikatoren wie den Einkaufsmanagerindi- die Zinsen trotz sehr hoher Inflation seit dem zes sowohl im Verarbeitenden Gewerbe als vergangenen Sommer mehrfach gesenkt wur- auch in den Dienstleistungsbereichen insge- den, zuletzt nach dem verheerenden Erdbeben samt noch recht niedrig und deutet nicht auf Ende Februar. eine rasche Belebung der Konjunktur hin. Aus- schlaggebend für die nach wie vor gedämpften Die stützenden Wirkungen der Finanzpolitik wirtschaftlichen Aussichten ist die scharfe Straf- laufen aus. Obwohl die hohen Ausgaben zur fung der Geldpolitik, die zu deutlich höheren Fi- Milderung der wirtschaftlichen Folgen der Pan- nanzierungskosten geführt hat und die Ausga- demie die Staatsfinanzen in den fortgeschritte- beneigung bremst. In den Vereinigten Staaten nen Volkswirtschaften, aber auch in vielen hat sich die Zinsstrukturkurve inzwischen so Schwellenländern, stark belastet haben, blei- stark invertiert, dass dies nach den Erfahrungen ben ausgeprägte Konsolidierungsanstrengun- der Vergangenheit als ein starkes Signal für gen derzeit aus. Allerdings werden die Budgets eine bevorstehende Rezession gewertet wer- dadurch entlastet, dass sich die Energiepreise den müsste. Dass wir dennoch keinen scharfen wieder verringert haben. Vor allem in Europa Konjunktureinbruch erwarten, liegt vor allem an hat sich die Wirtschaftspolitik mit einem zum dem ungewöhnlich großen finanziellen Polster, Teil erheblichen fiskalischen Aufwand darum das die privaten Haushalte dank der massiven bemüht, die Auswirkungen der Energiekrise auf staatlichen Einkommenstransfers in der Haushalte und Unternehmen zu begrenzen. Coronakrise aufgebaut haben. Die während der Andererseits dürften die Verteidigungsausga- Pandemie aufgehäuften Extra-Ersparnisse hal- ben in der veränderten geopolitischen Lage fen im vergangenen Jahr dabei, das Konsumni- deutlich steigen. Längerfristige Programme zur veau angesichts schrumpfender Realeinkom- Förderung der Infrastruktur und insbesondere men aufrecht zu erhalten und sind erst zum klei- eines Ausbaus erneuerbarer Energien werden neren Teil abgeschmolzen. zwar zunehmend umgesetzt, bedeuten aber wohl keinen erheblichen fiskalischen Impuls. Die Weltwirtschaft expandiert im laufenden Für 2024 rechnen wir mit insgesamt bremsen- Jahr deutlich verlangsamt. Nachdem im Jahr den Wirkungen von der Finanzpolitik. 2022 wohl noch ein Zuwachs der Weltproduk- tion um 3,2 Prozent erreicht wurde, was in etwa der mittelfristigen Trendrate entspricht, dürfte Ausblick: Weltkonjunktur bleibt sie im Jahr 2023 nur um 2,5 Prozent steigen zunächst schwach (Tabelle 1). Für 2024 rechnen wir mit einer Be- schleunigung der Konjunktur auf 3,2 Prozent. Bremsenden Einflüssen auf die Weltwirt- Auf der Basis von Marktwechselkursen ergeben schaft stehen stützende Faktoren gegen- sich Veränderungsraten der globalen Produk- über. Einige der ungünstigen Rahmenbedin- tion von 2,1 Prozent in diesem und 2,7 Prozent gungen, die für die Abschwächung der Welt- im nächsten Jahr, nach 3,0 Prozent im Jahr konjunktur im vergangenen Jahr wesentlich 2022. Damit haben wir unsere Prognose für das verantwortlich waren, haben sich zuletzt zwar Jahr 2023 gegenüber unserer Dezemberprog- verbessert. So sind die Rohstoffpreise und ins- nose (Gern et al, 2022) um 0,4 Prozentpunkte besondere die für Energie wieder deutlich ge- angehoben; für 2024 bleibt sie unverändert. Der sunken. In der Folge hat sich die Inflation etwas weltweite Warenhandel dürfte im Jahr 2023 nur verringert. Auch haben sich mit der Abkehr von um 1,2 Prozent und im nächsten Jahr um 2,7 der Null-Covid-Politik in China die Aussichten Prozent steigen, nach einem Zuwachs um 3,2 verbessert, dass sich die Konjunkturentwick- Prozent im vergangenen Jahr. lung dort verstetigen kann, und Lieferengpässe behindern die wirtschaftliche Aktivität immer 8
KIELER KONJUNKTURBERICHTE NR. 99 (2023|Q1) In den fortgeschrittenen Volkswirtschaften Krise im Immobiliensektor ein bremsender Fak- bleibt die Expansion zunächst gedämpft. tor, so dass die gesamtwirtschaftliche Produk- Bremsend wirkt nach wie vor der Kaufkraftent- tion wohl trotz deutlich expansiver Wirtschafts- zug durch die hohe Inflation. Während hier Be- politik mit 5,2 Prozent für chinesische Verhält- lastungen aber allmählich abnehmen, werden nisse nicht sehr stark zulegen wird. Von der sich die verschlechterten monetären Rahmen- Aufhebung der pandemiebedingten Restriktio- bedingungen zunehmend bemerkbar machen. nen in China wird insbesondere auch der Frem- Im Wohnungsbau sind die Auswirkungen der denverkehr in der Region profitieren, wo chine- höheren Zinsen bereits seit einiger Zeit spürbar, sische Touristen vor der Krise für einen Großteil besonders stark in den Vereinigten Staaten, der Einnahmen gesorgt hatten. Die wirtschaftli- aber auch in einigen europäischen Ländern, che Dynamik in den asiatischen Schwellenlän- nicht zuletzt in Deutschland. In Europa dürfte dern wird aber aufgrund der gedämpften Ex- sich die gesamtwirtschaftliche Produktion als portaussichten für die Industrie und einer auf- Folge der Entspannung an den Energiemärkten grund höherer Zinsen und inflationsbedingt ge- dennoch leicht beleben. In den Vereinigten drückter Realeinkommenszuwächse verhalte- Staaten steht hingegen noch eine merkliche nen Inlandsnachfrage nur mäßig sein. Die ge- Abschwächung der Konjunktur bevor, ohne die nannten Faktoren belasten auch die Konjunktur eine nachhaltige Rückführung der Inflation auf in den übrigen Schwellenländern, wo die Pro- ein akzeptables Niveau wohl nicht zu erreichen duktionszuwächse im laufenden Jahr in der Re- ist. Zu hoch war zuletzt noch die Dynamik am gel deutlich niedriger sein werden als 2022. Arbeitsmarkt und damit verbunden bei den Löh- Die Risiken für die Prognose liegen zuneh- nen. Eine ausgeprägte Rezession erwarten wir mend im finanziellen Umfeld. Nach wie vor angesichts der nach wie vor hohen finanziellen bilden Energieversorgung und Energiepreise Puffer der privaten Haushalte jedoch nicht. Al- ein Risiko für die Prognose. Gegenwärtig er- les in allem dürfte der Anstieg des Bruttoin- scheinen uns Aufwärts- und Abwärtsrisiken für landsprodukts in den fortgeschrittenen Volks- die Rohstoffpreise ausgeglichen. In der kurzen wirtschaften im laufenden Jahr auf 0,9 Prozent Frist könnte sich die Konjunktur in den Vereinig- zurückgehen und auch im Jahr 2024 mit 1,6 ten Staaten als robuster erweisen als erwartet. Prozent recht mäßig ausfallen, nachdem im Dies würde über höhere Importe auf die übrige vergangenen Jahr trotz der vielfältigen Belas- Welt ausstrahlen. Inzwischen scheint allerdings tungen als Folge des Ukrainekriegs noch ein klar, dass die derzeitige Inflationsdynamik nicht Zuwachs um 2,9 Prozent verzeichnet wurde ohne eine Phase konjunktureller Schwäche ge- (Tabelle 2). Die Inflation auf der Verbraucher- brochen werden kann. So dürften dann die US- ebene geht bei den getroffenen Annahmen im Zinsen stärker angehoben werden und länger Verlauf dieses Jahres wieder zurück, liegt im hoch bleiben als hier angenommen. Dann Jahr 2023 voraussichtlich aber immer noch bei könnte sich im weiteren Verlauf des Prognose- 5,3 Prozent und wird auch im kommenden Jahr zeitraums auch die Abwärtsdynamik des Fi- mit voraussichtlich 3 Prozent noch höher sein nanzzyklus verstärken und daraus resultie- als von den Notenbanken angestrebt. Bei alle- rende Risiken für die Finanzstabilität noch mehr dem erhöht sich die Arbeitslosigkeit ausgehend an Gewicht gewinnen. In den Vereinigten Staa- von dem derzeitigen sehr niedrigen Niveau et- ten sind inzwischen bereits mehrere Banken in was, der Anstieg fällt aber mit weniger als ei- Schieflage geraten bzw. untergegangen, bei nem Prozentpunkt moderat aus. denen Kunden angesichts hoher Verluste im In den Schwellenländern verstärkt sich die Anleiheportfolio das Vertrauen verloren und in wirtschaftliche Expansion vor allem auf- großem Stil versucht haben, ihre Einlagen ab- grund einer Belebung der chinesischen zuziehen. In vielen Ländern geben inzwischen Konjunktur allmählich wieder. Nachdem die die Immobilienpreise nach einer langen Phase Null-Covid-Politik beendet wurde und die fol- starken Anstiegs nach. Auch hieraus können gende Infektionswelle nun offenbar abgeklun- sich finanzielle Ungleichgewichte ergeben, die gen ist, entfallen nun weitgehend die Belastun- die wirtschaftliche Aktivität zusätzlich bremsen. gen durch die Pandemie. Allerdings bleibt die 9
KIELER KONJUNKTURBERICHTE NR. 99 (2023|Q1) Tabelle 1: Bruttoinlandsprodukt und Verbraucherpreise in der Welt Gewicht Bruttoinlandsprodukt Verbraucherpreise 2021 2022 2023 2024 2021 2022 2023 2024 Weltwirtschaft 100 6,2 3,2 2,5 3,2 7,1 9,4 7,6 5,9 darunter Fortgeschrittene Länder 58,8 5,4 2,6 0,9 1,5 3,3 7,5 4,8 2,7 China 18,6 8,4 3,0 5,2 5,2 0,9 2,0 2,8 2,7 Lateinamerika 4,7 7,0 3,6 1,0 1,6 28,1 17,2 17,2 16,6 Indien 7,0 8,9 6,7 5,9 6,9 5,5 6,7 5,9 5,5 Ostasiatische Schwellenländer 5,0 3,6 4,2 3,4 4,2 3,1 5,1 3,3 2,8 Russland 3,1 4,6 -2,1 -0,4 1,2 5,9 13,8 12,5 14,0 Afrika 2,4 4,9 3,3 3,6 3,7 15,1 15,0 13,8 12,2 Nachrichtlich: Welthandelsvolumen (Waren) 10,3 3,2 1,2 2,7 Weltwirtschaft (gewichtet gemäß Bruttoin- 6,0 2,9 2,1 2,7 5,1 8,1 6,2 4,6 landsprodukt im Jahr 2021 in US-Dollar) Prozent. Gewicht: gemäß Bruttoinlandsprodukt im Jahr 2021 nach Kaufkraftparität. 4 Bruttoinlandsprodukt, Verbraucher- preise: Veränderungen gegenüber dem Vorjahr; Ostasiatische Schwellenländer: Thailand, Malaysia, Indonesien und Philippi- nen; Fortgeschrittene Länder: Die Werte stimmen nicht notwendigerweise mit denen in Tabelle 3 überein, da der Länderkreis hier breiter gefasst ist und ein anderes Konzept bei der Gewichtung verwandt wird. Quelle: IMF, International Financial Statistics; OECD, Main Economic Indicators; Berechnungen des IfW Kiel; grau hinterlegt: Prognose des IfW Kiel Tabelle 2: Bruttoinlandsprodukt, Verbraucherpreise, und Arbeitslosenquote in den fortgeschrittenen Ländern Gewicht Bruttoinlandsprodukt Verbraucherpreise Arbeitslosenquote 2021 2022 2023 2024 2021 2022 2023 2024 2021 2022 2023 2024 Europäische Union 40,3 5,4 3,6 1,0 1,8 2,9 8,9 6,2 2,9 7,1 6,1 6,5 6,9 Euroraum 34,4 5,3 3,5 1,1 1,6 2,6 8,3 5,5 2,6 7,8 6,7 6,8 6,8 Schweden 1,0 5,2 2,7 -0,1 1,5 2,7 7,8 5,8 3,6 8,8 7,5 8,0 8,3 Polen 2,2 6,7 5,2 -0,2 3,7 5,3 12,7 9,4 4,4 3,4 2,9 3,3 3,6 Vereinigtes 5,2 7,6 4,0 -0,1 1,4 2,6 9,2 7,9 3,8 4,5 3,7 4,4 4,5 Königreich Schweiz 1,0 4,2 2,1 0,5 1,3 0,6 2,7 2,5 1,2 5,1 4,4 4,6 4,6 Norwegen 0,6 4,0 3,2 2,1 2,4 3,5 6,3 4,8 3,0 4,4 3,3 3,4 3,5 Vereinigte Staaten 35,2 5,9 2,1 0,8 1,0 4,7 8,0 4,4 2,8 5,4 3,6 4,3 4,7 Kanada 3,1 5,0 3,4 0,7 1,1 3,4 6,8 4,2 2,5 7,4 5,3 5,5 5,7 Japan 8,6 2,3 1,0 0,7 1,6 -0,2 2,5 2,7 1,9 2,8 2,7 2,5 2,4 Südkorea 3,8 4,1 2,6 1,2 2,7 2,5 5,3 3,6 2,8 3,6 2,8 3,2 3,0 Australien 2,2 5,2 3,7 2,3 2,7 2,8 6,6 4,5 3,0 5,1 3,8 4,1 4,3 Aufgeführte Länder 100,0 5,5 2,9 0,9 1,6 3,3 8,0 5,3 2,9 6,0 4,8 5,2 5,5 Prozent. Gewicht gemäß Bruttoinlandsprodukt im Jahr 2021 in US-Dollar. 4 Bruttoinlandsprodukt: preisbereinigt, Verände- rung gegenüber dem Vorjahr. 4 Verbraucherpreise: Veränderung gegenüber dem Vorjahr, Europäische Union und Norwe- gen: harmonisierter Verbraucherpreisindex (HVPI). 4 Arbeitslosenquote: standardisiert nach dem ILO-Konzept. Ländergrup- pen gewichtet auf der Grundlage der Erwerbspersonenzahl von 2021. Quelle: Eurostat, VGR; OECD, Main Economic Indicators; IMF World Economic Outlook Database; Statistics Canada, Cana- dian Economic Account; grau hinterlegt: Prognose des IfW Kiel. Die Prognose im Einzelnen Maßgeblich für den Anstieg im letzten Quartal des Jahres war ein deutlicher Lageraufbau. Rechnerisch trug auch die Entwicklung im Au- Konjunkturtief in den Vereinigten ßenhandel deutlich zum Anstieg des Bruttoin- Staaten steht noch bevor landsprodukts bei: die Exporte gingen nur leicht zurück, während die Importe deutlich sanken. Nach einem Rückgang im ersten Halbjahr Während sich der Anstieg des privaten Kon- expandierte das Bruttoinlandsprodukt in der sums lediglich verlangsamte, wobei Dienstleis- zweiten Jahreshälfte in den Vereinigten tungen weiterhin nachgefragt waren, gingen die Staaten wieder deutlich. Im dritten und vierten Anlageinvestitionen getrieben von weiter kräftig Quartal legte die Wirtschaftsleistung um 0,8 sinkenden Wohnungsbauinvestitionen zurück. bzw. um 0,7 Prozent zu (Abbildung 8). Für das Gesamtjahr wurde trotz des Rückgangs 10
KIELER KONJUNKTURBERICHTE NR. 99 (2023|Q1) im ersten Halbjahr ein Zuwachs der gesamtwirt- Abbildung 8: schaftlichen Produktion von 2,1 Prozent ver- Bruttoinlandsprodukt in den Vereinigten Staaten zeichnet. Kettenindex (2015 = 100) Prozent 120 10 Zu Beginn des laufenden Jahres zeigt sich Veränderung die Wirtschaft weiter robust. Die Frühindika- Niveau toren deuten für das erste Quartal 2023 auf eine 115 5 stärkere konjunkturelle Dynamik hin als im Quartal zuvor. Der private Konsum stieg im Ja- 110 0 nuar im Vergleich zum Vormonat um 1,1 Pro- zent, die Einzelhandelsumsätze sogar um 3,0 Prozent. Während der Einkaufsmanagerindex 105 -5 für Dienstleistungen mit 55,1 Punkten deutlich im expansiven Bereich notierte, lag er für die In- 100 -10 dustrie im Januar mit 47,7 Punkten weiter deut- lich unterhalb der Expansionsschwelle. Ein -2,8 5,9 2,1 0,8 1,0 Rückgang bei den Auftragseingängen deutet 95 -15 darauf hin, dass die industrielle Aktivität im I II III IV I II III IV I II III IV I II III IV I II III IV Laufe des Jahres weiter nachlässt, nachdem 2020 2021 2022 2023 2024 die Industrieproduktion bereits im vierten Quar- Quartalsdaten, Wert am Periodenende. Euroraum: Hauptrefinanzierungssatz, USA: Federal Funds Rate, UK: BoE tal spürbar zurückgegangen war. base rate. Die Talfahrt im Wohnungsbau setzt sich fort, Quelle: Bureau of Economic Analysis; grau hinterlegt: Prognose des IfW Kiel. und auch die Unternehmensinvestitionen zeigen inzwischen Anzeichen von Schwä- che. Die Wohnungsbauinvestitionen sind be- ten wir für das kommende Sommerhalbjahr reits seit fast zwei Jahren rückläufig, und eine rückläufige Unternehmensinvestitionen. Trendwende ist angesichts der im Zuge der Der private Konsum verliert im Jahres-ver- restriktiven Geldpolitik deutlich gestiegenen lauf deutlich an Fahrt. Zu Beginn dieses Jah- Kosten für Immobilienfinanzierungen nicht in res haben die privaten Haushalte ihren Konsum Sicht. Der Wohnungsbau schrumpfte im ver- angesichts deutlich gestiegener verfügbarer gangenen Jahr um fast 11 Prozent. Die aktuelle Einkommen nochmals kräftig ausgeweitet. Entwicklung stimmt nicht optimistisch: Die Ver- Maßgeblich für den Anstieg war neben höheren käufe von Bestandsimmobilien gingen im Ja- Löhnen ein ausgeprägter Abgabenrückgang, nuar weiter zurück, im Vergleich zum Vorjahr bei dem es sich allerdings wohl um einen ein- verringerten sie sich um fast 37 Prozent. Gegen maligen Effekt handelte (Kasten USA). Der den Trend stiegen zuletzt zwar die Verkäufe deutliche Rückgang der in der Pandemie zu- von Neubauten, sie lagen im Januar aber immer sätzlich aufgestauten Ersparnisse, die inzwi- noch rund 19 Prozent unter dem Vorjahreswert. schen zu rund 40 Prozent aufgebraucht sein Ungebrochen ist auch der Abwärtstrend bei den dürften, und die weiter hohen Teuerungsraten Immobilienpreisen. Die Verkaufspreise von Ein- werden den Konsum im Laufe dieses Jahres familienhäusern lagen im Januar knapp 14 Pro- belasten. Die Sparquote ist zuletzt wieder ge- zent unter den im Juli 2022 verzeichneten stiegen; sie notierte im Januar bei rund 4,7 Pro- Hochständen. Auch die Unternehmensinvestiti- zent und damit rund 2 Prozentpunkte über ihren onen werden durch die erheblichen Zinserhö- Tiefststand im vergangenen Jahr. Wir rechnen hungen der Notenbank gebremst. Zudem ha- damit, dass die Sparquote in diesem Jahr wei- ben die Finanzinstitute die Kreditvergabestan- ter zunimmt und im Jahresdurchschnitt 5,5 Pro- dards zuletzt weiter verschärft. Insbesondere zent erreicht. Stützend wirken zwar die seit ei- im Verarbeitenden Gewerbe ist die Stimmung niger Zeit wieder steigenden real verfügbare gedrückt und die Auftragseingänge waren zu- Einkommen, doch dürften die bremsenden Fak- letzt tendenziell rückläufig, was auf gedämpfte toren überwiegen, zumal sich die Beschäfti- Absatzerwartungen schließen lässt. So erwar- gungszunahme voraussichtlich verlangsamen 11
KIELER KONJUNKTURBERICHTE NR. 99 (2023|Q1) und die Lohnzuwächse allmählich verringern Abbildung 9: werden. Arbeitsmarkt in den Vereinigten Staaten Die Dynamik am Arbeitsmarkt lässt dem- Prozent Millionen 16 160 nächst nach. Der Employment Cost Index Arbeitslosenquote Beschäftigung (rechte Skala) (ECI) stieg im vierten Quartal 2022 im Vergleich zum Vorjahr um 5,1 Prozent. Die durchschnittli- chen Stundenlöhne erhöhten sich im gleichen 12 150 Zeitraum um 4,4 Prozent. Damit stiegen die Löhne zuletzt etwas verlangsamt. Die Beschäf- tigungsentwicklung blieb hingegen bis zuletzt robust. Der überaus kräftige Anstieg der Zahl 8 140 der Beschäftigten im Januar 2023 war aller- dings auch auf Sonderfaktoren wie ein beson- ders mildes Wetter zurückzuführen. Die Ar- 4 130 beitslosenquote fiel im Januar auf 3,4 Prozent, den niedrigsten Wert seit 1969 (Abbildung 9). Gleichzeitig mehren sich aber Hinweise, dass sich die Lage am Arbeitsmarkt in den kommen- 0 120 den Monaten eintrüben könnte. So sind die Zahl 2016 2018 2020 2022 der Stellenausschreibungen und die Kündi- Monatsdaten; saisonbereinigt. gungsrate von ihren Höchstständen zurückge- Quelle: US Department of Labor, Employment Situation. gangen, und Indikatoren wie eine abnehmende Zahl von Zeitarbeitskräften oder eine Zunahme Eine merkliche Abnahme des Inflations- der Teilzeitbeschäftigung könnten bereits auf drucks lässt noch auf sich warten. Nachdem eine kommende Trendwende am Arbeitsmarkt die US-Notenbank die Leitzinsen seit März hindeuten. 2022 in einer raschen Schrittfolge von jeweils Die Finanzpolitik ist weiter restriktiv ausge- 50 oder 75 Basispunkten von Null um 4,25 Pro- richtet. Maßgeblich für die dämpfende Wirkung zentpunkte angehoben hatte, reduzierte sie im der Finanzpolitik in den USA ist das Auslaufen Februar 2023 das Tempo und beschloss einen der umfangreichen Fiskalprogramme, welche Anstieg um 25 Basispunkte auf eine Spanne während der Corona-Pandemie aufgelegt wor- von 4,50 bis 4,75 Prozent. Der letzte Zinsschritt den waren. Auch vom viel diskutierten „Inflation erfolgte vor dem Hintergrund eines leichten Reduction Act“ gehen per Saldo keine positiven Rückgangs des Inflationsdrucks. In der zweiten konjunkturellen Impulse aus. Das Paket sieht Hälfte des vergangenen Jahres hatten sich In- zwar zusätzliche Ausgaben von rund 470 Mrd. flation und Kerninflation allmählich verringert US-Dollar vor. Diese verteilen sich aber über 10 und lagen deutlich unterhalb ihrer zur Jahres- Jahre und haben fallen gemessen an der Wirt- mitte erreichten Höchststände (Abbildung 10). schaftsleistung mit weniger als 2 Promille kaum An den Finanzmärkten wurde bereits auf ein ins Gewicht. Außerdem stehen den zusätzli- baldiges Ende der Zinserhöhungen spekuliert. chen Ausgaben, die vor allem auf die Unterstüt- Im Januar und Februar 2023 stieg die Teuerung zung einer Energiewende in den Vereinigten im Vergleich zum Vormonat jedoch wieder stär- Staaten gerichtet sind, Maßnahmen wie die ker, um 0,5 bzw. 0,4 Prozent. Im Februar hat Einführung eines Mindeststeuersatz für Unter- die Fed ihren Ton erneut verschärft und ange- nehmen und reduzierte Ausgaben für Arznei- deutet, dass es noch einige Zinsschritte brau- mittel gegenüber, die ein veranschlagtes Volu- chen wird, um die Inflation nachhaltig auf ein men von rund 725 Mrd. US-Dollar haben, so stabilitätsgerechtes Niveau zu bringen. Wir er- dass das Budget insgesamt sogar entlastet warten für die kommenden Monate noch drei wird. Die Inflation wird trotz des Namens des weitere Zinsschritte von jeweils 25 Basispunk- Pakets wohl auch nicht spürbar gedämpft. ten. Einer der Haupttreiber der hohen Inflations- rate sind neben den Preisen für Dienstleistun- gen die steigenden Wohnkosten. Da 12
KIELER KONJUNKTURBERICHTE NR. 99 (2023|Q1) Abbildung 10: Index, in dem eine Reihe von vorlaufenden In- Inflation in den Vereinigten Staaten dikatoren zusammengefasst ist, liegt auf Re- Prozent zessionsniveau. Schrumpfende Wohnungsbau- 9 investitionen und nachgebende Aufträge in der Verbraucherpreise 8 Kernindex Verbraucherpreise Industrie deuten auf einen Rückgang der Aktivi- Deflator des privaten Verbrauchs tät im Produzierenden Gewerbe hin. Stützend 7 Kernindex Deflator wirkt zurzeit noch der robuste private Konsum, 6 der durch kräftige Einkommenszuwächse und den Puffer an Extra-Ersparnissen gespeist wird. 5 Diese stützenden Faktoren werden aber in den 4 kommenden Monaten voraussichtlich an Ge- 3 wicht verlieren. Alles in allem rechnen wir für das Sommerhalbjahr 2023 mit einem Rückgang 2 der gesamtwirtschaftlichen Produktion, der 1 aber moderat ausfallen dürfte. Für das laufende Jahr insgesamt dürfte sich noch ein Zuwachs 0 des Bruttoinlandsprodukts um 0,8 Prozent er- -1 geben, für 2024 rechnen wir bei dann wieder 2016 2018 2020 2022 allmählich anziehender Konjunktur mit einem Monatswerte. Veränderung gegenüber dem Vor-jahr. Anstieg der gesamtwirtschaftlichen Aktivität um Kernindex: ohne Energie und Nahrungsmittel. 1,0 Prozent (Tabelle 3). Die Inflationsrate wird Quelle: US Department of Labor, Consumer Price Index. in diesem Jahr voraussichtlich von 4,4 Prozent betragen. Im kommenden Jahr erwarten wir Mietpreise, die zur Kalkulation der Wohnkosten eine Inflationsrate von 2,8 Prozent. Die Arbeits- im Verbraucherpreisindex herangezogen wer- losigkeit steigt im Verlauf des Jahres 2023 spür- den, in vergleichsweisen langen zeitlichen Ab- bar an und wird sich im Jahr 2024 voraussicht- ständen angepasst werden, ist die Preisent- lich auf 4,7 Prozent belaufen. wicklung in diesem Sektor sehr träge (Bolhuis 2022). Der Anteil von Wohnkosten im Waren- Tabelle 3: korb für die Berechnung der Verbraucher- Eckdaten zur Konjunktur in den Vereinigten Staaten preisinflation liegt bei rund 35 Prozent. Entspre- 2021 2022 2023 2024 chend groß ist die Bedeutung dieser Kompo- Bruttoinlandsprodukt 5,9 2,1 0,8 1,0 Inländische Verwendung 7,0 2,4 0,3 1,0 nente für die Entwicklung der Inflationsrate im Private Konsumausgaben 8,3 2,8 0,8 0,7 Prognosezeitraum. Seit Mitte 2022 geht die Staatsausgaben 0,6 -0,6 1,3 1,0 Anlageinvestitionen 7,4 -0,2 -2,6 1,1 Teuerungsrate für Mieten in den USA spürbar Ausrüstungen 10,3 4,3 -0,9 0,9 zurück, und es ist zu erwarten, dass sich dies Geistige Eigentumsrechte 9,7 8,9 4,3 2,0 im weiteren Verlauf auch zunehmend dämp- Gewerbliche Bauten -6,4 -6,9 -1,3 0,5 Wohnbauten 10,7 -10,7 -13,5 0,5 fend auf die Verbraucherpreise auswirken wird. Vorratsveränderungen 0,3 0,7 0,0 0,1 Außenbeitrag -1,1 -0,3 0,5 0,1 Die Konjunktur schwächt sich im Prognose- Exporte 6,1 7,2 1,0 0,8 zeitraum deutlich ab. Die weiterhin restriktiv Importe 14,1 8,2 -2,4 0,5 Verbraucherpreise 4,7 8,0 4,4 2,8 ausgerichtete Geldpolitik dürfte zunehmend Arbeitslosenquote 5,4 3,6 4,3 4,7 bremsend auf die Ausgabebereitschaft von pri- Leistungsbilanzsaldo -3,7 -3,7 -3,2 -3,0 Budgetsaldo (Bund) -11,9 -5,3 -4,4 -4,6 vaten Haushalten und Unternehmen wirken. Ei- Bruttoinlandsprodukt: preisbereinigt, Veränderung ge- nige Indikatoren deuten bereits auf eine spür- genüber dem Vorjahr in Prozent. 4 Außenbeitrag, Vor- bare konjunkturelle Abschwächung hin. So sind ratsveränderungen: Lundberg-Komponente. 4 Arbeits- losenquote: in Prozent der Erwerbspersonen. 4 Leis- die Renditen für zweijährige US-Staatsanleihen tungsbilanzsaldo, Budgetsaldo: in Prozent des nomina- seit einiger Zeit deutlich höher als die Renditen len Bruttoinlandsprodukts. 4 Budgetsaldo: Fiskaljahr. Quelle: Bureau of Economic Analysis; US Department für Anleihen mit zehnjähriger Restlaufzeit. Eine of Labor, Employment Situation and Consumer Price In- solch starke Inversion der Zinsstrukturkurve dex; US Department of the Treasury, Monthly Treasury war in der Vergangenheit regelmäßig Vorbote Statement; Berechnungen des IfW Kiel; grau hinterlegt: Prognose des IfW Kiel. einer Rezession. Auch der Leading Economic 13
KIELER KONJUNKTURBERICHTE NR. 99 (2023|Q1) China: Erholung von Corona mit Abbildung 11: Gegenwind China: Bruttoinlandsprodukt und alternative Aktivi- tätsmaße Die chinesische Wirtschaft expandierte im vergangenen Jahr nur schwach. Aufgrund Prozent Index 20 Bruttoinlandsprodukt (linke Skala) 4 der strikten Null-Covid-Politik wurde die wirt- Keqiang-Index (linke Skala) schaftliche Aktivität 2022 weiterhin stark belas- Fernald et al. (2015)-Indikator 3 15 tet (Abbildung 11). Im vierten Quartal des ver- 2 gangenen Jahres stagnierte das chinesische 10 Bruttoinlandsprodukt. Zunächst bremsten er- 1 5 neut erhebliche Einschränkungen zur Eindäm- 0 mung der Pandemie. Nachdem Anfang Dezem- 0 ber die Restriktionen aufgehoben worden wa- -1 ren, belastete eine enorme Infektionswelle die -5 -2 wirtschaftliche Aktivität. Verwendungsseitig litt der Konsum besonders. Die Einzelhandelsum- -10 -3 2016 2018 2020 2022 sätze gingen im vierten Quartal um fast 5 Pro- Quartalsdaten. Bruttoinlandsprodukt: Veränderung gegenüber zent zurück. Stark rückläufig war zudem der Au- dem Vorjahr. Keqiang-Index: arithmetisches Mittel des Kredit- ßenhandel. Das Exportvolumen sank im Ver- wachstums, der Frachtkargoraten sowie des Stromverbrauchs. Fernald et al. (2015)-Indikator: erste Hauptkomponente der gleich zum Vorjahr um mehr als 10 Prozent (Ab- Vor-jahresraten der Stromerzeugung, Einzelhandelsumsätze, Schie-nenfrachtverkehrs und Rohmateralpreise (zur Auswahl bildung 12). Zusätzlich wurde die Konjunktur der Variablen, vergleiche Fernald et al. (2015). Is China durch die ausbleibende Erholung im Immobili- Fudging its Figures? Evidence from Trading Partner Data. Federal Reserve Bank of San Francisco, Working Paper 2015- ensektor belastetet. Maßgeblich für die gesamt- 12). wirtschaftliche Expansion war ein Anstieg der Quelle: National Bureau of Statistics, People's Bank of China; Investitionen, wobei hauptsächlich Infrastruk- Berechnungen des IfW Kiel turinvestitionen des Staates und Investitionen von Staatsunternehmen sowie die Lagerbe- Abbildung 12: stände erhöht wurden. Im gesamten Jahr ex- Außenhandel China pandierte das Bruttoinlandsprodukt um lediglich 3,0 Prozent. Dies ist eine der niedrigsten Raten Prozent Exporte in Chinas neuerer Geschichte. Abgesehen vom 80 Importe Corona-Krisenjahr 2020 wurde eine niedrigere Zuwachsrate zuletzt im Jahre 1976 verzeichnet. 60 Der private Konsum ging sogar um 0,2 Prozent zurück. 40 Nach der Abkehr von der Null-Covid Politik 20 belebt sich die Wirtschaft aktuell deutlich. Aktuelle Indikatoren lassen auf einen kräftigen 0 Produktionsanstieg im ersten Quartal dieses Jahres schließen. Sowohl in der Industrie als -20 auch im Dienstleistungssektor zeichnet sich eine spürbare Erholung ab. Der Caixin Einkaufsmanager-Index für das Verarbeitende -40 Gewerbe überschritt im Februar mit 51,6 erstmals seit Juli vergangenen Jahres die -60 2016 2018 2020 2022 Expansionsschwelle von 50 Punkten. Der Einkaufsmanager-Index für den Veränderung gegenüber dem Vorjahr auf Basis von Dienstleistungssektor stieg ebenfalls deutlich Quartalsdurchschnitten. an und markierte mit 55,0 Punkten den Quelle: Chinesische Zollverwaltung. höchsten Wert der letzten sieben Monate. 14
KIELER KONJUNKTURBERICHTE NR. 99 (2023|Q1) Der private Verbrauch erholt sich zwar, ent- der Aufzeichnung in 2007. Zwar wurden von der faltet aber nur mäßige Dynamik. Nach dem Regierung Maßnahmen zur Stabilisierung des plötzlichen Ende der Null-Covid-Politik konnte Sektors beschlossen, sie haben den Abwärts- sich das Virus in China zunächst sehr schnell trend bisher aber noch nicht stoppen können. ausbreiten und hat laut offiziellen Angaben be- Einnahmen aus Landverkäufen waren in der reits mehr als 80 Prozent der Bevölkerung infi- Vergangenheit die wichtigste Einnahmequelle ziert. So ist der Höhepunkt der Infektionswelle der lokalen Gebietskörperschaften. Mit dem inzwischen überschritten, und die damit verbun- Einbruch des Immobiliensektors reduzierten sie denen Belastungen für die chinesische Wirt- sich drastisch, was die lokalen Regierungen schaft klingen ab. Besonders der private Kon- dazu zwingt, Ausgaben einzuschränken. sum kann sich nun wieder weitgehend normal Die Wirtschaftspolitik bleibt auf expansivem entfalten. Nachholeffekte beim Konsum dürften Kurs. Auf nationaler Ebene versucht die Regie- die wirtschaftliche Aktivität anregen, zumal rung seit Anfang 2022 durch mehrfache Locke- auch in China die Sparquote während der Pan- rungen der Geldpolitik und gezielte Maßnah- demie gestiegen ist und Extra-Ersparnisse ge- men zur Unterstützung von Immobilienentwick- bildet wurden. Allerdings dürfte der Konsum- lern die Krise einzudämmen. Dieser Kurs wurde schub weniger dynamisch sein als in anderen im vierten Quartal fortgesetzt, freilich bislang Ländern. Denn Unsicherheiten über die wirt- ohne durchgreifenden Erfolg. Die Preisentwick- schaftliche Entwicklung und eine hartnäckige lung ist bei alledem ruhig. Die Verbraucher- Krise im Immobiliensektor belasten den Kon- preise waren im Januar dieses Jahres um 2,1 sum auch nach dem Ende der Null-Covid-Poli- Prozent höher als ein Jahr zuvor, die Produzen- tik. Die Vermögen der Haushalte sind in China tenpreise gingen zuletzt um 0,8 Prozent zurück zu rund 80 Prozent im Immobiliensektor gebun- (Abbildung 13). den und die dort andauernden Probleme dürf- ten die Bereitschaft bremsen, die zusätzlichen Die Nach-Covid-Belebung fällt mäßig aus. Ersparnisse für Konsum zu verwenden. Dar- Nach dem Ende der Null-Covid-Politik dürfte die über hinaus haben sich die Ersparnisse ver- schiedener Einkommensgruppen während der Abbildung 13: Pandemiezeit sehr unterschiedlich entwickelt. Preisentwicklung in China Zusatzersparnisse konnten vor allem in höhe- ren Einkommensgruppen gebildet werden, Prozent Prozent 8 Verbraucherpreise 10 während niedrigere Einkommensgruppen, die Kernrate üblicherweise eine höhere Konsumneigung ha- 7 Produzentenpreise (rechte Skala) 8 ben, häufiger Arbeitsunterbrechungen hinneh- 6 6 men mussten und damit verbunden größere fi- nanzielle Einbußen erlitten. 5 4 Die Immobilienkrise ist noch nicht überwun- 4 2 den. Der Immobiliensektor war in der Vergan- genheit einer der Wachstumsmotoren für die 3 0 chinesische Wirtschaft. Seit Mitte 2021 steht er 2 -2 vor großen Herausforderungen. Die Immobi- lienpreise in den 70 größten Städten fallen nun 1 -4 bereits seit fast 1 ½ Jahren, und auch die Bau- 0 -6 aktivität ist weiter auf Talfahrt. Im Dezember wurden 39 Prozent weniger Wohnimmobilien- -1 -8 projekte begonnen als ein Jahr zuvor. Die für 2016 2018 2020 2022 neue Bauprojekte akquirierten Flächen redu- zierten sich im Vergleich zum Vorjahr um mehr Monatswerte; Veränderung gegenüber dem Vorjahr. Kernrate: Verbraucherpreise ohne Energie und Nahrungsmittel. als die Hälfte. Das Volumen neu ausgegebener Quelle: National Bureau of Statistics. Immobilienkredite stieg zuletzt um nur 1,3 Pro- zent, dies ist der geringste Anstieg seit Beginn 15
KIELER KONJUNKTURBERICHTE NR. 99 (2023|Q1) chinesische Wirtschaft auf einen stetigen Ex- hohe Inflation dürfte weiter abebben. Die Ver- pansionskurs einschwenken, der allerdings ge- braucherpreise steigen im Durchschnitt des lau- messen an historischen Maßstäben moderat fenden Jahres wohl um 5,5 Prozent, nachdem bleibt. So dürfte das Bruttoinlandsprodukt im die Inflation im Vorjahr mit 8,5 Prozent so hoch laufenden Jahr um 5,2 Prozent steigen. Dies war wie nie zuvor seit Bestehen der Währungs- entspricht in etwa dem von der chinesischen union. Im Jahr 2024 dürfte die Teuerungsrate Regierung ausgegebenen Wachstumsziel für mit 2,5 Prozent wieder vergleichsweise mode- dieses Jahr von 5 Prozent, ist aber recht mäßig, rat ausfallen. Die Arbeitslosigkeit bleibt niedrig. wenn man bedenkt, dass sich die Wirtschaft In der übrigen EU sind insbesondere die Mit- von den Belastungen durch die Covid-Politik er- gliedsländer in Osteuropa stark von den holt. Für das kommende Jahr rechnen wir eben- Auswirkungen des Ukraine-Konflikts betrof- falls mit einem Anstieg um 5,2 Prozent. Dabei fen. In den mittel- und osteuropäischen Län- ist unterstellt, dass die Probleme im Immobilien- dern ging die Produktion in der zweiten Jahres- sektor allmählich an Gewicht verlieren. Sie blei- hälfte zum Teil recht deutlich zurück. Beson- ben aber ein Risiko für die Konjunktur. ders hohe Inflationsraten, ein relativ hoher An- teil des Handels mit Russland und der Ukraine, Langsame Belebung in der Euro- und wohl auch eine besonders hohe Unsicher- päischen Union heit aufgrund der räumlichen Nähe zu Russland belasteten die Konjunktur. Zudem haben die Mit Abklingen der Energiekrise haben sich die Konjunkturaussichten im Euroraum et- Notenbanken dort, wo eine eigenständige Geld- politik betrieben wird, bereits recht früh und was aufgehellt.2 Bis zum Jahresende 2022 wa- auch recht deutlich reagiert, so dass sich die ren die Auftriebskräfte offenbar stark genug, um zu verhindern, dass die Wirtschaftsleistung als monetären Rahmenbedingungen spürbar ver- schlechtert haben. Stützend wirken die seit dem Folge der hohen Energiepreise und des damit vergangenen Jahr stark steigenden Zuschüsse verbundenen Kaufkraftentzugs schrumpft. Die bis zur Jahresmitte kräftige Erholung von den aus dem Gemeinschaftsprogramm „Next Gene- ration EU“. Die maßgeblich zur Finanzierung pandemiebedingten Einbußen ist aber erst ein- von Projekten zur Dekarbonisierung und Digita- mal zu Ende gegangen. Angesichts der wieder deutlich niedrigeren Energiepreise blicken Un- lisierung gedachten Mittel gehen deutlich über- proportional an die mittel- und osteuropäischen ternehmen und Verbraucher inzwischen wieder Mitgliedsländer, entlasten dort die Staatshaus- etwas optimistischer in die Zukunft, und die Konjunktur dürfte nach der zum Jahresende halte und regen wirtschaftliche Aktivität an. Ent- lastung kommt auch von den Preisen, deren 2022 verzeichneten Stagnation allmählich wie- Anstieg sich im Prognosezeitraum deutlich ver- der Tritt fassen. Im Prognosezeitraum dürfte die Konjunktur von einem stärkeren privaten Ver- langsamt So dürfte die wirtschaftliche Aktivität in diesem und im nächsten Jahr wieder Fahrt brauch gekennzeichnet sein, die gesamtwirt- aufnehmen. Für 2023 rechnen wir gleichwohl in schaftliche Dynamik dürfte jedoch aufgrund der deutlichen Straffung der Geldpolitik verhalten einigen Ländern mit einem Rückgang des Brut- toinlandsprodukts im Jahresdurchschnitt (Ta- bleiben. Insgesamt wird das Bruttoinlandspro- belle 5). dukt im laufenden Jahr wohl um 1,1 Prozent zu- legen, gefolgt von einem Zuwachs um 1,6 Pro- zent im kommenden Jahr. Die zuletzt noch 2Für eine ausführliche Analyse der Konjunktur im Euroraum siehe Boysen-Hogrefe et al. (2023). 16
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