Bildungsbegleitung in der Eltern- und Familienbildung - Bedeutung, Stellenwert und Erfordernisse einer familienorientierten Bildungsbegleitung ...

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Bildungsbegleitung in der Eltern- und Familienbildung - Bedeutung, Stellenwert und Erfordernisse einer familienorientierten Bildungsbegleitung ...
Bildungsbegleitung in der
Eltern- und Familienbildung
     Bedeutung, Stellenwert und Erfordernisse einer
        familienorientierten Bildungsbegleitung

Anknüpfungspunkte aus der wissenschaftlichen Forschung
Bildungsbegleitung in der Eltern- und Familienbildung - Bedeutung, Stellenwert und Erfordernisse einer familienorientierten Bildungsbegleitung ...
Inhaltsverzeichnis

1. Bildung im Spannungsfeld von Familie und Öffentlichkeit .......................................................................2
2. Eltern als Impulsgeber für Bildungswege .......................................................................................................4
3. Aspekte zur Bildungsförderung.........................................................................................................................9
4. Bildung: eine zentrale Ressource für den Aufstieg .................................................................................... 13
5. Bildungsbegleitung in der Eltern- und Familienbildung .......................................................................... 14
6. Bildungsbegleitung verbessert Bildungschancen ...................................................................................... 18
      Literatur ............................................................................................................................................................... 19

Berlin, April 2012

Regine Schefels
Evangelische Hochschule Berlin (EHB)
Teltower Damm 118-122, 14167 Berlin

Internet: www.elternchance.de

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1. Bildung im Spannungsfeld von Familie und Öffentlichkeit

Die Diskussion um den Stellenwert von Bildung, um Bildungsergebnisse und internationale
Leistungsvergleiche unterstreicht, dass Bildung für die Entwicklung des Einzelnen, für seine
gesellschaftliche Teilhabe als auch für die Zukunftsfähigkeit Deutschlands von zentraler Bedeutung
ist. Auf der gesellschaftspolitischen Agenda haben Bildungsthemen deshalb einen wichtigen
Stellenwert. Das gemeinsame Anliegen verschiedener Bildungsakteure zielt darauf ab, einen
möglichst hohen Bildungsstand zu ermöglichen. So ist heute unwidersprochener Konsens, dass
Bildungsförderung den Einzelnen mit seinem individuell gestalteten Potenzial bestmöglich
unterstützen und zu seiner Entfaltung beitragen soll. Zugleich hat im Zug internationaler Vergleiche
die Notwendigkeit zugenommen, auch gesamtgesellschaftlich hohe Bildungserträge vorweisen zu
können. In Zusammenhang mit volkswirtschaftlichen wie gesellschaftlichen Auswirkungen ist ein
möglichst hoher Bildungsstand daher ein entscheidender Vorteil - Deutschlands Zukunft steht und
fällt mit der Bildung seiner Bürgerinnen und Bürger.

Die Debatten in der (Früh-)Pädagogik, Soziologie und Ökonomie um frühe und faire Chancen für
jedes Kind haben ein erweitertes Verständnis von Bildung1 und früher Förderung mit sich gebracht,
das den Beitrag des Elternhauses zur Entwicklung und Bildung der Kinder stärker einbezieht. Dabei
geht es auch darum, neben formale Bildungsanliegen auch non-formale und informelle
Bildungszusammenhänge stärker in den Blick zu nehmen. Non-formale Lernwelten wie die Familie
oder Medien besitzen Forschungsergebnissen zufolge eine ähnlich wichtige Rolle wie die formalen
Bildungsorte Schule, Ausbildungssystem und Hochschule (vgl. Rauschenbach 2005). Entsprechend
wird die sogenannte Alltagsbildung als „Schlüsselfrage bei der Durchsetzung von mehr
Bildungsgerechtigkeit gesehen“ (Brake/Büchner 2012).

Familie ist der erste Bildungsort

Da der Beginn des Bildungsprozesses heutzutage nicht erst initiativ mit dem Schulbesuch, sondern
biografisch weit früher verortet wird, sehen sich Eltern deutlich stärker als zuvor mit der Vermittlung
von Bildung konfrontiert. Zumindest normativ – und infolgedessen heute auch faktisch – steigen die
Anforderungen an Bildungsvermittlung im familialen Umfeld. Kindliche Bildungsprozesse werden
durch die Eltern-Kind-Interaktion früh initiiert und mit determiniert, Bildungsentscheidungen bereits
mit der Wahl der Kinderbetreuung getroffen.

Für Kinder ist der Bildungsort Familie von zentraler Bedeutung. Auch wenn Familienformen heute
vielfältiger ausfallen, gilt die Institution Familie nach wie vor als wichtigste Instanz, die Kinder in ihrer
Entwicklung und der Vermittlung von Werten, Bildungsvoraussetzungen und Bildungsinhalten
begleitet. Zugleich hat in der gesellschaftlichen Rezeption die Bedeutung und Wertschätzung früher
Förderung, die in institutionellen Angeboten bereitgestellt wird, deutlich zugenommen. Unterstützt
wird diese Einschätzung durch den internationalen Vergleich von Bildungsergebnissen sowie durch

1
  Zur Diskussion um pädagogische Ansätze der Förderung von Bildungsprozessen in der vorschulischen Kindheit und dem
sich wandelnden Bildungsverständnis siehe u.a. BMBF (2007); zum Bildungsverständnis aus subjektwissenschaftlicher
Perspektive siehe u.a. BMFSFJ (2006): Zwölfter Kinder‐ und Jugendbericht.

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bestätigende Forschungsresultate aus unterschiedlichen wissenschaftlichen Disziplinen (vgl.
Europäische Kommission 2009). Zahlreiche Untersuchungen belegen die positive Wirkung
familienunterstützender Angebote früher Förderung, insbesondere für den Spracherwerb, für die
Entwicklung emotionaler und sozialer Kompetenz und für die Förderung von Kindern aus benach-
teiligten Familienkontexten (vgl. OECD 2010b, Bock-Famulla/Wöhrmann, DIW 2010, DJI 2010).

Eher formelle Lernprozesse betrachtend, setzt sich familiäre Bildungsbegleitung mindestens bis zum
Ende der Schullaufbahn, wenn nicht sogar noch durch Ausbildung und Studium fort. Eltern sehen
sich nicht nur mit zahlreichen Bildungsentscheidungen konfrontiert, sie sind auch gefordert, im
Schulalltag vielfach und fortlaufend Unterstützungsfunktionen zu übernehmen, um entsprechende
Bildungsergebnisse zu sichern.

Vor diesem Hintergrund rückt der Blick hinsichtlich einer erfolgreichen Bildungsförderung den Raum,
der zwischen Elternhaus und Bildungsinstitution besteht, stärker in den Mittelpunkt. „Parental
involvement has become one of the centerpieces of educational dialogue among educators, parents,
and political leaders”, konstatiert Jeynes (2003) in seiner Meta-Analyse zur elterlichen Beteiligung.
Diese Fokussierung ermöglicht nicht nur die bestehende Wechselwirkung zwischen Elternhaus und
öffentlichem Bildungssystem stärker zu berücksichtigen, sondern trägt vor allem dazu bei, dass die an
dieser Stelle verorteten Potenziale zukünftig gewinnbringend genutzt werden können. Dabei soll es
vor allem darum gehen, den Austausch zwischen Fachkräften und Eltern als selbstverständlichen
Bestandteil pädagogischer und erzieherischer Arbeit weiter zu etablieren. Insbesondere die frühe
Förderung, aber auch später der Schulbesuch setzt heute auf eine intensive Interaktion zwischen
Eltern und pädagogischem Personal als förderlich für individuelle Bildungserfolge.

Schnittmenge: Bildung

Darüber hinaus sind auch andere Orte der Begegnung von Eltern und Fachleuten Gestalter in der
Bildungsvermittlung. Durch niederschwellige Begegnungsorte, Möglichkeiten für einen gegenseitigen
Austausch oder durch das Zusammenspiel von Bildungsberatung und Familienangeboten lassen sich
zielgruppenübergreifend Alltagskompetenzen wie Bildungsinhalte vermitteln.

Optimalerweise ergänzen Familie sowie öffentliche Einrichtungen und Angebote einander. Sie setzen
damit Weichen für erfolgreiche Bildungsbiografien, hohe Bildungserträge und damit langfristig volks-
wirtschaftliche Stabilität. Forschungsergebnisse zeigen (vgl. OECD 2009, 2010a+b, DIW 2010), dass
Bildungsförderung durch die Familie und in Kinderbetreuungseinrichtungen zu einer größeren
individuellen Chancengerechtigkeit für die Gestaltung erfolgreicher Bildungsbiografien führt.
Internationale Leistungsvergleiche belegen, dass gute Bildungsergebnisse sich positiv auf ein stabiles
gesellschaftliches Gefüge auswirken und volkswirtschaftliche Vorteile sichern (vgl. Europäische
Kommission 2009; Heckman 2000). Zusammengefügt bilden beide Ansätze das argumentative
Grundgerüst, das die Bildungsförderung in Deutschland heute prägt.

Sowohl bei der frühen Förderung, die in Kitas oder in der Tagespflege vermittelt wird, als auch für
den Schulbereich gilt, dass eine intensive Zusammenarbeit von Elternhaus und Bildungsinstitution
die beste Grundlage für eine individuell passende Bildungsvermittlung ist (vgl. auch Textor

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2009/2011 sowie BMFSFJ 2005, S.21f). Um bessere Ergebnisse und mehr Chancengerechtigkeit
erreichen zu können, empfehlen daher Expertinnen und Experten, insbesondere an dieser
Schnittstelle zwischen Elternhaus und Bildungssystem, für eine engere Verknüpfung und
entsprechende Unterstützung zu sorgen (vgl. Deutscher Verein 2009; Jeynes 2003).

In Bildungsplänen der Länder wird der gemeinsamen Bildungsförderung von Familie und Institution
zunehmend Rechnung getragen, da sich durch die Stärkung elterlicher Unterstützungskompetenzen
und eine aktive Elternbeteiligung an institutionellen Bildungsprozessen der Kinder nachhaltige
Effekte im Sinne von höheren Lern- und Sozialkompetenzen nachweisen lassen.

Im Folgenden soll gezeigt werden, weshalb die individuelle Begleitung von Eltern den
Bildungschancen und -erfolgen von Kindern zugutekommen kann. „Wechselnde Anerkennung,
Transparenz und die Absprache von gemeinsamen Zielen für und mit dem Kind“ gelten dafür als
Mindestvoraussetzungen, die solche „Erziehungspartnerschaften“ kennzeichnen (Tschöpe-
Scheffler 2010, S. 11)

Hier wird die Annahme zugrunde gelegt, dass eine bildungs- und entwicklungslauforientierte
Elternbegleitung zu einer verbesserten Zusammenarbeit zwischen Bildungseinrichtungen und Familie
führt (vgl. Textor 2009/2011). Infolgedessen würden sich so langfristig die individuellen Chancen
jedes Kindes auch auf ein selbstbestimmtes und selbstständiges Leben erhöhen. Dazu werden die
verschiedenen Aspekte von Bildungsförderung näher beleuchtet. Ein Ausblick auf die mögliche
Implementierung von Bildungsbegleitung im Rahmen der Familienbildung macht deutlich, welche
Vorteile eine solch enge Verzahnung bietet.

2. Eltern als Impulsgeber für Bildungswege

Eltern sind insbesondere in der frühkindlichen Phase wichtige Akteure für die Vermittlung erster
Bildungsinhalte. Sie regen Neugier, Wissensdrang und Entdeckungslust an. Sie legen Grundsteine für
das Selbstvertrauen und ebnen Wege, wie sich Neues erfahren und erlernen lässt. Bildungserlebnisse
sind zumindest in den ersten Lebensjahren von Kindern stark mit Selbsterfahrung, Verhalten und
Umgebungswahrnehmung verknüpft und werden hier folglich nicht im Sinne einer
leistungsorientierten Aneignung von „klassischen“ Bildungsinhalten verstanden. Kindheit ist weit
mehr als nur Vorbereitungszeit für die Schule (BMFSFJ 2011). Vielmehr bieten Kinderjahre einen
Schatz an vielfältigen Bildungsmöglichkeiten, der im Zusammenwirken mit der kindlichen Umwelt
freigelegt wird.

Die Familie gilt als erste und lebensbegleitend wichtigste Bildungs-, Erziehungs- und
Betreuungsinstanz für Kinder. Sie stellt entscheidende Weichen für erfolgreiche Bildungs- und
Lernprozesse (vgl. Wissenschaftlicher Beirat für Familienfragen 2005, 6; im internationalen Kontext
z.B. Desforges 2003). Dazu gehört das Fundament für ein Bildungsinteresse. Neugier, Motivation und
Ausdauer sind einige der Kompetenzen, die Kinder im Bildungsprozess benötigen und die sie –
zumindest anfänglich – im Wesentlichen durch ihre Eltern erfahren.

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Darüber hinaus treffen Eltern wichtige Bildungsentscheidungen für ihre Kinder (Uhlig et al. 2009). Sie
legen damit die Eckpfeiler der Bildungsbiografie ihrer Kinder fest, ermutigen, setzen Zielmarken oder
begrenzen Möglichkeiten. Bildungserfolge und Bildungsaufstiege hängen wesentlich von der
Situation in der Familie ab, sie werden bestimmt durch die eigenen Bildungserfahrungen der Eltern
und sind im günstigen Fall geprägt von einer Balance aus Zutrauen und Ermutigung
(vgl. Walper 2011). Auch internationale Studien bestätigen die starke Verantwortung von Eltern und
Familie für die Bildung ihrer Kinder (vgl. OECD 2010a, 5). Bildung wird in diesem Zusammenhang als
Wechselwirkung zwischen Kind und Bezugspersonen verstanden, also als dynamischer Prozess. Die
hohe Bedeutung dieser Interaktion weist sowohl den zu Erziehenden als auch den Erziehenden eine
aktive Rolle für die Lern- und Entwicklungsprozesse zu (Anning et al. 2004). Als ein solch „lernendes
System“ definiert, haben Bildungsprozesse auch Rückkoppelungen auf elterliche Kompetenzen.
Kinder spiegeln die ihnen vermittelten Normen und Strategien in ihre Familien zurück und können
damit auch Verhaltensänderungen bei ihren Eltern bewirken.

Elternschaft und Bildungsauftrag

Bildungsaufgaben werden heute als wichtiger Teil der familiären Erziehungskompetenz verstanden.
Angesichts der Erkenntnisse im Bereich früher Förderung lassen sich familiale Leistungen
definitorisch wie praktisch kaum noch auf die Erziehung und Persönlichkeitsbildung von Kindern
beschränken. Übereinstimmend gelten mittlerweile auch bildungsrelevante Inhalte als wesentliche
Bestandteile des elterlichen Erziehungsauftrags.

Aufgrund des tradierten Verständnisses von Elternschaft in Deutschland wurde Erziehung und
familiäre Bildungsvermittlung jedoch lange Zeit als Gegenstand der familieninternen Prozesse
betrachtet. Auch im Rahmen der Forschung wurde diese Einstellung über mehrere Jahrzehnte
abgebildet. So wird die gestiegene Bedeutungszuschreibung der Familie als wichtiger Bildungsort der
frühen Kindheit erstmals in der Bildungsberichterstattung 2012 in den Fokus rücken.

Die historisch bedingte Trennung der Bildungseinrichtung Schule und des erziehenden Elternhauses
haben in Deutschland dazu geführt, dass frühkindliche Bildung lange nicht als eigenständige
Bildungsleistung anerkannt war. Der Bildungsauftrag des Elternhauses wurde vorwiegend als
individuelle Aufgabe verstanden, die demgemäß unterschiedlich stark akzentuiert werden konnte.
Nach wie vor lässt sich beobachten, dass Eltern, deren Kinder ein Gymnasium besuchen, deutlich
mehr Engagement bei der Bildungsbegleitung abgefordert wird, als es in den anderen Schulformen
üblich ist.

Insgesamt lässt sich konstatieren, dass die Intensität familiärer Bildungsbegleitung während der
Schulzeit in hohem Maße von den elterlichen Ressourcen und Präferenzen abhängig ist
(vgl. Pomerantz 2007).

Weder in der deutschen Forschung noch in der gesellschaftlichen Debatte hat hier bislang eine
allgemeingültige Konkretisierung oder praktische Festlegung auf Inhalte, Reichweite oder
Zielsetzung elterlicher Bildungsbegleitung stattgefunden. Entsprechend unterschiedlich wird je nach
Schichtzugehörigkeit die Vermittlung von Bildungsinhalten und -zielen verstanden (vgl. Allensbach

                                                  5
im Auftrag von Vodafone 2011). Vielmehr wurden die Debatten zur Bildungsvermittlung in den
vergangenen Jahrzehnten von einer defizitorientierten Betrachtungsweise geprägt, die in erster Linie
darauf abzielte darzustellen, an welchen Punkten eine zielgerichtetere Bildungsbegleitung im und
durch das Bildungssystem selbst wünschenswert wäre.

Vor diesem Hintergrund erklärt sich, dass Eltern mit Blick auf die Bildungsverläufe der Kinder in
Deutschland bislang weitgehend auf sich gestellt sind. Traditionell haben sich keine Instanzen zur
systematischen Ausbildung relevanter Kompetenzen entwickelt. Vielmehr bedarf es einer starken
eigenen Motivation der Eltern zur Selbstqualifikation und zum Erwerb von Elternkompetenzen im
Bereich Bildung. Für die Gestaltung des alltäglichen Familienlebens im Allgemeinen, aber auch von
Bildungsprozessen im Besonderen wurden vorausgehende Qualifikationen bei den Eltern häufig als
nicht notwendig erachtet. Diese „Ungelerntenrolle“ (Pettinger/Rollik 2008) der Eltern wurde in den
vergangenen Jahren zunehmend hinterfragt, weil die Anforderungen an Elternschaft aufgrund des
gewachsenen Erziehungswissens und der steigenden Bedeutung von Bildung stark zugenommen
haben.

Ausgehend von den Befunden, dass Familie als eigenständiger Bildungsort zu wenig in den
Mittelpunkt gerückt werde (Rauschenbach 2005), hat die Diskussion um die Qualität früher
Förderung heute den Blick um die (Bildungs-) Leistungen von Familie erweitert. Auch im Folgenden
soll es nicht darum gehen, Bildung ausschließlich im Sinn von Qualifikationserwerb oder
Schulabschlüssen zu betrachten. Vielmehr wird der Bildungsort Familie als „biographisches Zentrum“
(Brake/ Büchner, 2012, 127) verstanden, der die gesamte Lebensspanne überdauernd Einfluss ausübt.
In diesem Zusammenhang wird Bildung ebenso als „aktive Selbstbildung“, wie als Fähigkeit, Bindung
zu entwickeln und auch als wichtiger Interaktionsprozess zwischen Eltern und Kind gefasst (vgl.
auch Tschöpe-Scheffler 2006).

Wenn Bildung zu kurz kommt

Generell gilt: Je mehr Anregung und individuelle Förderung ein Kind in seinen ersten Lebensjahren
erhält, umso besser verläuft seine Entwicklung (vgl. Bertelsmann 2006). Doch nicht in allen Familien
können Kinder von einer guten familiären Bildungsvermittlung und von individuell passenden
Bildungsentscheidungen profitieren.2 Für die empirische Kindheits- und Bildungsforschung stellen
die primären Herkunftseffekte (Leistungsunterschiede aufgrund der sozialen Herkunft) und
sekundären Herkunftseffekte (die über Leistungsunterschiede hinausgehenden Differenzen in den
familialen Bildungsentscheidungen) des Elternhauses wesentliche Einflussfaktoren auf das
Qualifikationsniveau der Kinder dar (vgl. Vodafone 2011, 19). Auch die formale Bildung und
Qualifikation der Eltern ist für Bildungsentscheidungen und den Bildungserfolg der Kinder offenbar
ein entscheidender Hintergrundfaktor (vgl. Heckman 2011, Lassnigg/Vogtenhuber 2009). Kinder aus
ressourcenarmen Familien haben häufig Eltern, die keinen beruflichen Abschluss besitzen und leben
damit unter ungünstigen häuslichen Voraussetzungen, die einen positiven Zugang zu Bildung
verhindern (Meier-Gräwe 2010).

2
 Die Diskussion um Leistungsdruck und Interventionismus von bildungsaffinen Eltern im Vorschulalter („Tiger Moms“,
„Hubschraubereltern“) wird an dieser Stelle erwähnt, aber nicht ausgeführt.

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Kinder aus ressourcenarmen Familien verfügen nachweislich über weniger altersgemäße
Handlungsspielräume und Erfahrungsmöglichkeiten als andere Kinder (DJI 2011). Nach
Erkenntnissen der OECD ist ein erfolgreicher Bildungsweg vor allem bei Kindern aus wirtschaftlich
schlechter gestellten Familien weniger wahrscheinlich als bei Kindern aus wohlhabenderen Familien
(OECD 2008).

Geringe Entscheidungsmöglichkeiten, fehlende individuelle Förderung im Elternhaus und eine
mangelnde Wertschätzung von Bildungsinhalten sind entscheidende Faktoren, die Bildungswege
frühzeitig verengen und behindern können. Eltern können hier bremsende oder gar einengende
Wirkung ausüben. Beobachtungen zeigen, dass eine solche Abwärtsspirale vor allem dann einsetzt,
wenn Eltern über einen geringen Bildungshintergrund verfügen, Bildung für sie keinen hohen
Stellenwert hat oder sie sich den Aufgaben der Erziehung und Bildung nicht gewachsen sehen
(vgl. Bourdieu 1993).

Familiäres Erbe: Wie viel Bildungsbegleitung ist möglich?

Zum allgemeinen Konsens gehört heute, dass Bildungschancen stark vom Bildungshintergrund und
der sozialen Herkunft der Eltern geprägt werden (vgl. Meier-Gräwe 2010, Uhlig et al. 2009). In diesem
Zusammenhang wurde der Begriff der „sozialen Vererbung“ von Bildungschancen geprägt: Die
Generation der Kinder setzt die Bildungswege ihrer Eltern fort. Danach weisen die
Bildungsambitionen der Eltern eine starke Korrelation mit dem eigenen Bildungshintergrund auf.
Ergebnisse aus der Bildungsforschung als auch aus der Demoskopie belegen dies besonders deutlich
im Hinblick auf den anzustrebenden Schulabschluss. Obwohl Eltern aus den unteren sozialen
Schichten ihren Kindern den sozialen Aufstieg wünschen, schätzen sie die eigenen Voraussetzungen,
die Bildung ihrer Kinder zu fördern, oft als sehr gering ein. In der Folge streben sie für ihre Kinder
weniger häufig Schulabschlüsse wie das Abitur oder den Realschulabschluss an (vgl. Allensbach im
Auftrag von Vodafone 2011). Offenbar mangelt es hier in vielen dieser Familien an
„Aufstiegsglauben“. Zwar wünscht sich die Mehrheit der Eltern aus ressourcenarmen Familien, dass
es ihren Kindern später besser geht als ihnen selbst. Doch nur ein Drittel glaubt, dass dies auch der
Fall sein wird (vgl. Allensbach 2009).

Verschiedene Untersuchungen belegen, dass der Einfluss des Elternhauses auf Bildungschancen in
kaum einem anderen Land so stark ausgeprägt ist wie in Deutschland (BLK 2003, PISA 2009, Uhlig et
al. 2009). Internationale Vergleiche zeigen, dass (West-)Deutschland von elf untersuchten
europäischen Ländern das Land mit den geringsten Gesamtmobilitätsraten ist. Deutschland weist von
allen Ländern den stärksten Zusammenhang zwischen sozialer Herkunft und eigener Position aus. In
keinem anderen untersuchten Land verharren die Menschen so stark in ihrer Herkunftsposition
(vgl. Heinrich-Böll-Stiftung 2010).

Neben strukturellen Defiziten lassen sich auch solche Faktoren für diesen Befund diagnostizieren, die
eng an die familiäre Bildungsbegleitung gekoppelt sind. Eine große Rolle spielt dabei die bereits
erwähnte Selbstwahrnehmung der Eltern, eine weitere die (Selbst-)Einschätzung der Kinder aus
ressourcenarmen Familien.

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Die Vermittlung früher Bildung hängt zunächst im Wesentlichen von der Kommunikationsfähigkeit
der Eltern ab. Mit einem reichhaltigen Sprachschatz und Sprechvermögen sind Kinder eher in der
Lage, Erlebnisse und Erfahrungen so zu verarbeiten, „dass entsprechende Lernerfolge in der Schule
möglich sind“ (Solga/ Dombrowski 2009, 23). Darüber hinaus kann sich ein gutes Bildungsfundament
herausbilden, wenn wichtige Kompetenzen, wie Wissensdurst, Neugier, Durchhaltevermögen und
Selbstorganisation    im      Elternhaus    vermittelt    wurden.      Auch   das   Konzept     der
Selbstwirklichkeitserwartung kommt hier in hohem Maße zum Tragen: Menschen, denen von
anderen zugetraut wird, eine bestimmte Situation zu meistern, strengen sich eher an. Sie glaubten
mehr an sich, als wenn andere an ihren Fähigkeiten zweifelten. Kinder erfahren diese
Selbstwirklichkeitserwartung zunächst durch die Beobachtung ihrer Eltern. Kinder vergleichen sich in
diesem Umfeld zum ersten Mal mit anderen Menschen, das heißt mit Eltern und Geschwistern. Über
sie bekommen sie in erster Linie die Fähigkeiten vermittelt, in eigene Kompetenzen zu vertrauen und
auf ihr Wissen und ihre Fertigkeiten zu setzen (vgl. Schwarzer/ Jerusalem 2002).

Aus den Ergebnissen von Kinderbefragungen ist bekannt, dass Kinder aus ressourcenarmen Familien
vergleichsweise häufiger über ein geringes Selbstvertrauen verfügen und seltener das Abitur als
Abschluss anstreben: „Kinder aus der Unterschicht benennen nur zu 19 Prozent, […] Kinder aus der
Oberschicht […] zu 76 Prozent das Gymnasium oder das Abitur als Bildungsziel“
(vgl. Hurrelmann/Andresen 2010, 8). Offenbar tendieren Kinder dazu, ihre Chancen niedrig
einzuschätzen, wenn sie auf eine geringe Unterstützung aus ihrem Umfeld stoßen.

Der Umfang der elterlichen Bildungsunterstützung für die Bildungsergebnisse, die Kinder erzielen
(können), spielt gleichfalls eine wichtige Rolle. Die alltägliche Unterstützung zum Beispiel in Form
der Hausaufgabenbetreuung gilt in Deutschland nach wie vor als notwendig, um gute
Schulleistungen erzielen zu können. Die elterlichen Kompetenzen und Ressourcen bei der
Hausaufgabenhilfe fallen jedoch bei genauerer Betrachtung höchst unterschiedlich aus. Trotz
unterschiedlicher Bildungsniveaus liegt der Anteil der Eltern, die ihren Kindern gelegentlich bei den
Hausaufgaben hilft, etwa gleich hoch. Knapp die Hälfte aller Eltern mit einfacher Schulbildung gibt
jedoch an, dass es ihnen schwer oder sehr schwer fällt, ihrem Kind passende Unterstützung zu bieten
(49 Prozent). Bei Eltern mit höherer Schulbildung fällt dieser Teil deutlich geringer aus (19 Prozent).
Es verwundert daher nicht, dass sich etwa die Hälfte aller Eltern aus den unteren sozialen Schichten
mehr Unterstützung bei der Betreuung und Erziehung ihrer Kinder wünscht (Allensbach im Auftrag
von Vodafone 2011).

Bildungschancen für Kinder mit Migrationshintergrund

Besonders betroffen von ungleichen Bildungschancen sind Kinder, die in Familien mit
Migrationshintergrund leben. So zeigen diverse Studien, dass Kinder und Jugendliche nichtdeutscher
Staatsangehörigkeit auch in der dritten Generation im deutschen Bildungssystem schlecht
abschneiden: Sie verharren „überrepräsentativ im ‚niederen‘ Schulwesen, sie verfehlen häufiger den
Hauptschulabschluss und bleiben überdurchschnittlich oft ohne Berufsausbildung“ (BLK 2003, vgl.
auch PISA 2009). Auch im Vergleich zu anderen Staaten zeigt sich ein hohes Maß an ethnischer
Segregation im deutschen Bildungssystem (DIW 2011). In der Folge ist in Deutschland unter den 20-
bis 29-Jährigen mit Migrationshintergrund der Anteil der Geringqualifizierten ohne Abitur oder

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abgeschlossene Berufsausbildung doppelt so hoch wie in der gleichen Altersgruppe ohne
Migrationshintergrund (PISA 2009).

Zweifellos wollen Eltern mit Migrationshintergrund für ihre Kinder gute Chancen und die Aussicht
auf eine wirtschaftlich sichere Zukunft. So geben 71 Prozent der Eltern mit türkischem
Migrationshintergrund als Wunsch an, dass es ihrem Kind später besser geht. Allerdings sind nur
55 Prozent davon überzeugt, dass dies auch eintreten wird. Offenbar besteht hier deutlicher
Pessimismus, was die Chancenverteilung für Kinder mit Migrationshintergrund betrifft. Diese
Annahme bestätigt sich, wenn Eltern nach den Bildungschancen ihrer Kinder befragt werden. Hier ist
die Mehrheit der Eltern mit Migrationshintergrund der Auffassung, dass Kinder aus
Zuwandererfamilien nicht die gleichen Chancen im Schulsystem haben wie deutsche Schülerinnen
und Schüler.

Sprachprobleme und mangelnde familiäre Unterstützungskapazität werden als Hauptlast angesehen,
warum Schüler und Schülerinnen mit Migrationshintergrund nicht genauso gut abschneiden wie
deutsche Kinder. Überdies werden zahlreiche Nachteile der schulpädagogischen Seite zugeschrieben.
So glauben Eltern mit Migrationshintergrund, dass Lehrer und Lehrerinnen Zuwandererkinder zu
wenig fördern, sie schlechter beurteilen und insgesamt mehr Vorurteile gegenüber ihnen haben
(Allensbach im Auftrag von Vodafone 2011).

Es zeigt sich, dass insbesondere bei türkischen Einwanderern die Diskrepanz zwischen den
ambitionierten Bildungszielen einerseits und schwachen schulischen Leistungen andererseits
besonders ausgeprägt ist. Der hohe Bildungsoptimismus wird offensichtlich unterminiert von einer
relativen Uninformiertheit über das deutsche Schulsystem und der Neigung, die kindliche
Bildungsleistung zu überschätzen. Eltern mit türkischem Migrationshintergrund separieren darüber
hinaus stark zwischen eigener Erziehungsleistung und schulischer Förderung. Infolgedessen
tendieren sie dazu, Förderung und Lernen als vornehmliche Aufgabe der Schule zu sehen und an die
Lehrenden zu delegieren (Relikowski 2011).

Nichtdestotrotz fällt das Engagement von Eltern mit türkischem Migrationshintergrund bei der
täglichen Hausaufgabenhilfe hoch aus. 64 Prozent geben an, gelegentlich oder häufig ihren Kindern
bei den Hausaufgaben zur Seite zu stehen (Eltern insgesamt: 56 Prozent). Zugleich jedoch bekennt
nahezu die Hälfte der Eltern, dass ihnen diese Unterstützung schwer fällt (Eltern insgesamt:
35 Prozent). Vor diesem Hintergrund erklärt sich, dass sich 59 Prozent der Eltern mit türkischem
Migrationshintergrund mehr Unterstützung bei der Betreuung und Erziehung ihrer Kinder wünscht.
Dieser Wunsch nach mehr Information und Unterstützung für die familiäre Bildungsbegleitung
erfährt auch von wissenschaftlicher Seite Unterstützung. So nennt eine vergleichende Studie zu
Bildungsverläufen aus dem DIW ausdrücklich die außerhalb der Familie liegenden „sozialen
Netzwerke“ als entscheidenden Faktor bei der Weichenstellung in frühen Jahren. Wichtig sei, so die
Autorinnen und Autoren der Studie, „die Aufmerksamkeit, die ein Schüler von einem ‚Mentor‘ erhält“
(DIW 2011). Die Forschungsergebnisse belegen, dass eine Unterstützung durch eine solche Fachkraft
gezielt die Chance bietet, Jugendlichen aus benachteiligten und ethnisch segregierten Vierteln
Bildungsmotivation und das notwendige Selbstvertrauen zu vermitteln.

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3. Aspekte der Bildungsförderung

Bildungsfundament Frühe Förderung

Die Bedeutsamkeit der frühkindlichen Bildung für den späteren Schulerfolg ist hinlänglich durch
nationale und internationale Studien belegt (vgl. z.B. OECD 2010b): „Investment in Early Education is
essential for building a strong foundation for lifelong learning and for ensuring equitable access to
learning opportunities later in school”3 (OECD 2010b, 225). So wirken sich nachweisbar Investitionen
in frühe Bildung für Kinder im Alter von 0 bis 5 Jahren positiv auf die Kindesentwicklung aus; dieser
Zusammenhang zeige sich in dieser Altersgruppe sogar noch deutlicher als bei Investitionen für
ältere Kinder (vgl. OECD 2009, 178). „Governments should concentrate spending early in the child’s
life cycle“, fordert daher die OECD (OECD 2009, 179). Auch die EU formuliert: „Für die Entwicklung
der kognitiven, emotionalen und sozialen Fähigkeiten von Kindern ist es zentral, dass sie am sozialen
Leben teilhaben können und frühzeitig mit anregenden Lernangeboten in Berührung kommen“
(EU 2009, 35, zit. n. BMFSFJ 2010a, 11).

Internationale Studienergebnisse belegen auch, dass entscheidende Schritte vor dem dritten
Lebensjahr erfolgen müssen, damit nachhaltige Effekte erzielt werden können (vgl. Heckman 2000,
2011). Insbesondere sogenannte soft skills, die laut Heckman wesentlich für den Bildungserfolg sind,
werden früh im familiären Umfeld herausgebildet.

Ein Blick auf die ökonomische Rendite von Bildungsinvestitionen zeigt darüber hinaus, dass in der
Gegenüberstellung von Schülern zu Hochschulabsolventen die Ressourcen, die für Kinder im
Vorschulbereich bereitgestellt werden, deutlich ertragreicher sind. Wer in der Kita-Zeit gut gefördert
wurde, hat entsprechend bessere Aussichten, auch in der Grundschule erfolgreich zu sein und findet
insgesamt für die Gestaltung einer erfolgreichen Bildungsbiografie weniger Hürden vor
(vgl. Krüger 2011).

Für Deutschland konnten die positiven Effekte eines frühen Krippenbesuchs bei der späteren
Schulwahl deutlich gemacht werden. Für den Durchschnitt der Kinder erhöht sich demnach die
Wahrscheinlichkeit, ein Gymnasium zu besuchen, von 36 Prozent auf rund 50 Prozent, wenn sie eine
Krippe besucht haben. Dabei liegt die Verbesserung der Bildungschancen durch den Krippenbesuch
für benachteiligte Kinder höher als für den Durchschnitt. So gehen von den benachteiligten Kindern,
welche eine Krippe besucht haben, rund zwei Drittel mehr auf das Gymnasium (Bertelsmann Stiftung
2008).

Bildungsökonomische Analysen unterstützen den Ansatz, dass neben einem qualitativ hochwertigen
Angebot an Kinderbetreuung auch die Stärkung der familiären Bildungsvermittlung wichtig ist, um
gute Bildungschancen eröffnen zu können (vgl. Heckman 2011). So konnte gezeigt werden, dass die
Nutzung von öffentlichen Kinderbetreuungseinrichtungen stark vom Bildungsniveau der Eltern bzw.
der Mutter abhängt. Laut den AID:A-Daten nehmen 50 Prozent der Kinder von Müttern mit
akademischem Abschluss vor dem Ende des dritten Lebensjahres eine außerfamiliale Betreuung in

3 Investitionen in frühkindliche Bildung sind wesentlich, um eine gute Grundlage für lebenslanges Lernen herzustellen und
den gleichen Zugang zu späteren schulischen Lernchancen zu sichern.

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Anspruch; wohingegen die Gruppe bei Müttern, die maximal mit der Hauptschule abschloss, unter
20 Prozent Nutzung bleibt (Leu 2010, zit. n. DJI 2011, 11).

Neben regionalen Unterschieden zeigt sich auch, dass erwerbstätige Mütter seltener Eltern-Kind-
Gruppen besuchen als nicht erwerbstätige Mütter. Kinder mit Müttern aus bildungsfernen Gruppen
und insbesondere aus Haushalten mit geringem Einkommen nutzen entsprechende Angebote mit
einer geringeren Wahrscheinlichkeit (Schmiade/ Spieß 2010).

Gute Voraussetzungen erfolgreicher Bildungsvermittlung

Um die Chancengleichheit bei der frühen Förderung von Kindern zu verbessern und damit nachhaltig
Wirkung für die Gestaltung ihrer Bildungsbiografie erzielen zu können, scheint es angesichts dieser
Ergebnisse erforderlich, bereits vor und neben dem Besuch einer Tagesbetreuung ressourcenarme
bzw. sogenannte bildungsferne Familien aktiv anzusprechen, damit frühzeitig Weichen für eine gute
Förderung – familiär und außerfamiliär – gestellt werden können. Wissenschaftlichen Erkenntnissen
zufolge lässt sich durch eine aktive Ansprache, eine kontinuierliche Begleitung und durch
niedrigschwellige Angebote neben einer verbesserten Förderung der Kinder auch eine höhere soziale
Teilhabe der Eltern und Kinder erreichen (vgl. Schmiade/Spieß 2010).

Offensichtlich ist nur einer Minderheit von Eltern aus der Unterschicht bewusst, dass gute
Bildungschancen unter anderem darauf aufbauen, dass Wissensdurst stimuliert wird, Kinder
Anregungen erhalten und Lesefreude gefördert wird. Gegenüber 80 Prozent der Eltern aus den
oberen Sozialschichten halten nur 26 Prozent der Unterschichteltern die Vermittlung solcher
Fähigkeiten für wichtig (Allensbach 2009). Zugleich sieht die Mehrheit dieser Eltern in diesem Bereich
Beratungsbedarf. Befragt nach ihrem Wünschen geben sie an, dass sie gerne mehr Know-how hätten,
um ihren Kindern eine gute und vielseitige Bildung zu ermöglichen (Allensbach im Auftrag von
Vodafone 2011). Eltern wünschen sich auch mehr Kenntnisse darüber, wie sie ihr Kind beim Lernen
individuell unterstützen und fördern und wie sie eine positive Lernumgebung im Familienalltag
schaffen können (vgl. ifb 2010, 181; BMFSFJ 2005, 21).

Bildungsferne oder sozioökonomisch benachteiligte Eltern verfügen oft selbst nicht über die
notwendigen Mittel, ihre Kinder bei Bildungsentscheidungen oder im konkreten Schulalltag
hinreichend zu unterstützen. In der Alltagspraxis mangelt es hier zu oft an Lernkompetenz und
Unterstützungsvermögen. Kinder aus bildungsfernen Schichten starten daher ihre Bildungslaufbahn
sowohl in frühkindlicher als teilweise auch in schulischer Bildung später und/oder weniger
erfolgreich als Kinder aus bildungsnahen Familien. Eine Studie des Mannheimer Zentrums für
Europäische Sozialforschung konstatiert dazu: „Es kann also nur versucht werden, Eltern die
Bedeutung, die anregende Aktivitäten zwischen Eltern und Kindern für deren Entwicklung haben,
noch intensiver zu verdeutlichen“ (Mannheimer Zentrums für Europäische Sozialforschung 2001, 18).
Auch Brake und Büchner sehen in ihrer Forschungsarbeit die Bereitstellung von Möglichkeiten zur
Alltagsbildung als „Schlüsselfrage bei der Durchsetzung von mehr Bildungsgerechtigkeit“ (Brake/
Büchner 2012, 229).

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Bildungsübergange als Fixpunkte der Bildungsbiografie

Bildungsübergänge sind für Eltern aus allen sozialen Schichten Phasen, in denen ein hoher Bedarf an
Information und Orientierung belegt ist (vgl. Carle 2004). Dies betrifft den Eintritt in die erste
außerfamiliale Betreuung, den Schuleintritt sowie den Wechsel auf eine weiterführende Schule. Auf
der Suche nach der passenden Bildungs- und Betreuungseinrichtung wünschen sich viele Eltern Rat
und Information über passgenaue Angebote der individuellen Förderung. So gibt es online bereits
zahlreiche Portale, die sich mit Elternfragen rund um Kita- und Schulwahl auseinandersetzen und
Eltern die Möglichkeit bieten, sich zu diesem Thema auf breiter Basis auszutauschen. Auch
Informationsveranstaltungen für Eltern und entsprechende Angebote der Familienbildung greifen
diesen Bedarf vielerorts bereits auf.

In manchen Familien mangelt es indes an Information zur Bedeutung der frühkindlichen Förderung,
zum Spracherwerb oder gesunden Entwicklung, so dass Bildungsentscheidungen der Familie an
Institutionen delegiert werden, unterbleiben oder vorhandene Angebote nicht genutzt werden. So
zeigen demoskopische Ergebnisse deutlich, wie unterschiedlich „eine optimale Förderung der Kinder“
(Allensbach 2011) in den verschiedenen sozialen Schichten bewertet wird. Während 61 Prozent der
Eltern aus höheren sozialen Schichten es für besonders wichtig hält, gezielt eine gute Schule
auszusuchen, halten das nur 39 Prozent der Eltern aus schwächeren sozialen Schichten für eine
zentrale Maßnahme. Der gemeinsame Besuch kultureller Veranstaltungen oder eine individuelle
musikalische Förderung erreicht in der Skala wichtiger Förderungsziele bei sozial schwächeren Eltern
nur etwa die Hälfte der Nennungen von Eltern aus höheren sozialen Schichten (Allensbach im
Auftrag von Vodafone 2011).

Eigene Erfahrungen oder Schwierigkeiten mit Schule und Lernen können bei Bildungsentscheidungen
zusätzliche Hürden darstellen. In der Folge neigen Eltern mit niedrigen Bildungsabschlüssen eher
dazu, geringere Bildungserwartungen an ihr Kind zu stellen und zu realisieren. So zeigt Becker, dass
der „Einfluss sozialer Herkunft und migrationsbedingter Ressourcen des Elternhauses auf die
Lernvoraussetzungen bei der Einschulung und die schulischen Leistungen sowie die darauf
basierende Chance, nach der Grundschule für weiterführende Bildung (Realschule oder Gymnasium)
empfohlen zu werden, eine wichtige Ursache für Chancenungleichheiten im Bildungssystem zum
Nachteil von einheimischen wie zugewanderten Kindern und Jugendlichen aus ‚bildungsfernen‘
Gruppen ist“ (Becker 2010).

Als zusätzlich problematisch erweist sich beim Eintritt der Kinder in das Schulsystem, dass sich der
Kontakt von Schule und Eltern häufig auf die Einschätzung des Leistungs- und Disziplinverhaltens
der Kinder beschränkt. Eine Verschränkung des frühen Lernens von Kindergarten und Schule sowie
eine stärkere Einbeziehung der Eltern im Sinne einer Erziehungspartnerschaft finden Eingang in die
Bildungspläne der Länder. Gleichwohl ist eine systematische Einbeziehung von
Erziehungspartnerschaften in den Lernwelten von Kindern und Jugendlichen noch immer nicht
erreicht (Carle 2004).

Für Eltern mit Migrationshintergrund besteht häufig eine zusätzliche Hürde, Bildungsentscheidungen
kompetent treffen zu können, da sich das Bildungssystem, auch angesichts der föderalen

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Bildungsbreite in Deutschland, nicht einfach durchschauen lässt. In der Folge weisen vor allem
bildungsferne Schichten und Personen mit Migrationshintergrund niedrigere Bildungsabschlüsse auf
und      erreichen   häufiger    keinen  allgemeinen    oder    beruflichen    Bildungsabschluss
(vgl. Bildungsberichterstattung 2010).

4. Bildung: eine zentrale Ressource für den Aufstieg

Deutschland gilt als eines der Länder, in denen die Bildungsverläufe der Kinder besonders stark durch
den sozialen und ökonomischen Hintergrund der Familie beeinflusst werden (vgl. u.a.
Bildungsberichterstattung 2010; OECD 2010b). Je geringer der soziale und ökonomische Status der
Familien, desto seltener erreichen die Kinder gute Schulleistungen und einen weiterführenden
Schulabschluss (vgl. PISA 2009 ff.; OECD 2009). In der Folge entwickelt sich oftmals eine
„Armutsspirale“: Aus ungünstigen Bildungschancen werden schlechtere Bildungsabschlüsse und
mangelnde Berufsqualifikationen.

Bildung als Armutsprävention

Wer gute Bildungsabschlüsse vorweisen kann, ist besser gegen Erwerbslosigkeit und
Einkommensarmut geschützt (vgl. Walper 2011, Siebter Familienbericht 2007). Bildung gilt daher als
zentrale Ressource für einen späteren beruflichen Aufstieg. Je niedriger das Bildungsniveau, desto
schwächer ist die Wettbewerbsfähigkeit auf dem Arbeitsmarkt und damit die Chance auf eine
selbständige Einkommenssicherung. Armut und Bildung stehen demnach in einer wechselseitigen
Abhängigkeit und wirken oft als gegenseitiger Hemmschuh.

Bildungsinvestitionen tragen langfristig zu einer verbesserten Integration in den Arbeitsmarkt und zu
erhöhten Einkommen bei. Bildung zahlt sich aber nicht nur für die individuelle berufliche
Entwicklung aus, sondern es lässt sich auch ein gesellschaftlicher „Pay-Off“ von
Bildungsinvestitionen ausmachen. Bildung ist nicht nur aus Gründen der Chancengerechtigkeit als
wichtiger gesellschaftlicher Auftrag zu verstehen,              sondern hat auch einen hohen
gesamtgesellschaftlichen ökonomischen Nutzen (vgl. OECD 2009, 179). „Kinder repräsentieren das
höchste Potential an Produktivität; die Investition in das kindliche Humanvermögen verspricht den
höchstmöglichen Gewinn in der Zukunft“ (Olk 2007, 46).

Volkswirtschaftliche Auswirkungen niedriger Bildungserträge

Volkswirtschaftliche Betrachtungen von Bildungsinvestitionen und Bildungserträgen sind in
Deutschland erst seit wenigen Jahren ein Forschungsgebiet, das Aufmerksamkeit erfährt. Mittlerweile
liegen detaillierte Analysen zur Bestimmung der gesamtgesellschaftlichen Folgekosten
unzureichender Bildung vor (vgl. Bertelsmann 2011). „Betrachtet man die Bevölkerung im Alter
zwischen 25 und 65 Jahren, so finden sich mehr als sieben Millionen Männer und Frauen ohne
berufliche Ausbildung. Menschen mit unzureichender Bildung stellen in Deutschland also keineswegs
eine Randgruppe dar“ (Bertelsmann 2011). Entsprechend hohe Folgekosten werden auf
gesamtgesellschaftlicher Ebene prognostiziert.

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Vor dem Hintergrund von Wirtschaftswachstum und Produktivität stellen sich die historisch und
international vergleichend betrachtet stagnierenden Bildungsquoten in Deutschland (vgl. z.B. OECD
2010b) als Problem dar. So kommt eine Bilanz, die die Mehreinnahmen und Mehrausgaben, die aus
dem Ausbau der Kinderbetreuung der unter Dreijährigen und einer besseren frühkindlichen Bildung
resultieren, zu folgendem Ergebnis: „30,4 Milliarden Euro ergeben sich an steigenden Steuer- und
Sozialversicherungseinnahmen. 4,2 Milliarden Euro können aus der Arbeitslosenversicherung erspart
werden. Insgesamt können 34,6 Milliarden an Mehreinnahmen und Minderausgaben gewonnen
werden“ (BMFSFJ 2010a, 22).

Die Förderung der Bildung von Kindern zahlt sich diesen und anderen Berechnungen zufolge
eindeutig volkswirtschaftlich positiv aus. Alle Berechnungen von Folgekosten unzureichender
Bildung belegen, dass Investitionen in Bildung und ein chancengerechtes Bildungssystem hohe
Erträge erwarten lassen (Bertelsmann 2011). Internationale wie nationale Forschungsergebnisse
zeigen darüber hinaus, dass insbesondere eine frühe Förderung einen hohen ökonomischen Nutzen
nach sich zieht (Heckman 2000, DIW 2010).

5. Bildungsbegleitung in der Eltern- und Familienbildung

Um langfristig inter- und intragenerationelle Aufstiegsmobilität und Bildungschancen in Deutschland
zu garantieren, gilt die familiäre Bildungsbegleitung als weichenstellender Ansatzpunkt. Eltern sollen
so schon frühzeitig darin unterstützt werden, passende Bildungsentscheidungen für ihre Kinder zu
treffen (vgl. Becker 2008; Deißner/ Oeser 2010). Wie gezeigt wurde, ist für einen Aufstieg durch
Bildung angesichts des hohen familiären Einflusses die elterliche Unterstützung zentral. So beginnt
der Einfluss auf die Leistungsmotivation schon lange vor dem Schuleintrittsalter und wird
maßgeblich durch familiäre Vorbilder geprägt (Zimmermann/ Spangler 2001). Gerade ein Ansetzen
im Vorfeld der ersten Bildungsentscheidungen erhöht die Chance, dass entscheidende Weichen zum
Wohl des Kindes gestellt werden und soziale Ungleichheiten im Bildungssystem abgebaut werden
können (vgl. Brake/ Büchner 2012).

Eine frühe und kontinuierliche Elternbegleitung im Bildungsverlauf von Kindern ist in Deutschland
noch nicht etabliert. Bislang umfassen Angebote, die in diese Richtung gehen, eher eine punktuelle
bzw. zielgruppenorientierte Unterstützung. Zu wenig werden Eltern frühzeitig Orientierungshilfen zu
Bildungsentscheidungen, -inhalten und -übergängen angeboten. Zu oft setzen die bestehenden
Angebote innerhalb des Bildungs- oder Ausbildungssystems erst dann ein, wenn Bildungsdefizite
erkannt werden oder Bildungsbiografien bereits ungünstig verlaufen. Ein systematisches Angebot an
Bildungsbegleitung und -beratung für Familien zur Stärkung der Elternkompetenz und eine
Unterstützung bei Entscheidungen zu Bildungsübergängen existiert bislang nicht.

Von wissenschaftlicher Seite wird jedoch dringend dazu geraten, mit einer intensiven
Beratungsstrategie frühzeitig auf die Verbesserung von Bildungschancen einzuwirken. „Policies
directed toward families may be a more effective means for improving the performance of schools
than direct expenditure on teacher salaries or computer equipment” (Heckman 2000, 5).

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Auch deutsche Bildungsforscher sind dafür, dass Bemühungen für mehr Bildungsgerechtigkeit
präventiv ausgestaltet werden müssen. Eine frühzeitige Förderung, die den „Aufbau, den Erhalt und
den Ausbau von Lernmotivation“ unterstützt, „anstatt (wie in der Vergangenheit) auf die
nachträgliche Reparatur gescheiterter Bildungsbiografien zu setzen“ (Brake/ Büchner 2012, 239) wird
als ein effizientes Vorgehen gesehen, um Bildungsbenachteiligungen dauerhaft abbauen zu können.
In diesem Sinn sollte eine familiäre Bildungsbegleitung angelegt sein. Sie muss darauf abzielen,
Eltern von Anfang an in mehrfacher Weise zu unterstützen. Über die klassischen Themen der
Bildungsförderung hinaus nimmt eine frühe Bildungsbegleitung deshalb auch den informellen
Alltagsbereich in den Blick, um Eltern und Kindern das Verständnis für ein umfassendes
Bildungsfundament zu vermitteln.

Die Eltern- und Familienbildung scheint besonders geeignet zu sein, dies zu ermöglichen. Denn
Eltern- und Familienbildung ist durch ihre Vielfalt, ihre Flexibilität und Wohnortnähe direkt bei den
Familien verortet. In der Regel sind sie die ersten öffentlichen „Bildungsakteure“, die Familien
erreichen, viele bereits unmittelbar vor und nach der Geburt der Kinder. Zu ihren Aufgaben gehört
auch die Information und Beratung über individuelle Hilfeangebote.

Über Angebote der Eltern- und Familienbildung und aufsuchende Elternarbeit, die konkrete
Beratung und direkte Hilfen verspricht, können Zugänge für alle Familien, gerade auch für
ressourcenarme Familien, eröffnet werden. Ein Großteil der Angebote der Elternbildung richtet sich
prinzipiell an alle Eltern. Überdies ist die Familienbildung durch eine ressourcenorientierte, nicht
defizitorientierte Haltung geprägt, so dass ihre Angebote nicht den Blick auf die elterlichen
Schwächen richten, sondern auf einen Austausch auf Augenhöhe des Erfahrungswissen der Eltern
einerseits und des Expertenwissens der Fachkräfte andererseits abzielen. Dies ist wichtig, um eine
Vertrauensbeziehung zu den Eltern aufbauen und erhalten zu können.

Fachkräfte aus Familienbildungseinrichtungen erreichen schon jetzt einen erheblichen Anteil der
Familien mit kleinen Kindern. Eine erste Evaluation der Elternbildungsangebote in Deutschland weist
ein traditionell sehr vielfältiges Angebot vor dem Hintergrund einer pluralen Trägerlandschaft aus.
Sie hat gezeigt, dass über zwei Millionen Teilnehmende mit rund 200 Tsd. Elternbildungsangeboten
jährlich erreicht werden. Die Hälfte aller Angebote wandte sich an Eltern mit ihren Kindern (vgl.
BMFSFJ 2006). Die Eltern- und Familienbildung wird in der Lage gesehen, differenziert auf
unterschiedliche Bedürfnisse von Familien einzugehen (vgl. ifb 2010, 20). Hier finden
dementsprechend vielfältige Vorstellungen von Familie sowie von Entwicklung, Betreuung und
Bildung ihren Platz, so dass der Pluralisierung von Familienformen Rechnung getragen wird und den
Eltern und Familien ein entsprechend breites und flexibles Angebot zur Verfügung gestellt werden
kann (vgl. ifb 2010, 26).

Familienbildung ist in Deutschland etabliert und anerkannt. Nichtsdestotrotz kann nicht übersehen
werden, dass nach wie vor viele der Angebote überwiegend von Familien aus der Mittelschicht4

4 Zur sog. Mittelschichtsorientierung in der Familienbildung siehe u.a. Melanie Mengel: Familienbildung mit benachteiligten
Adressaten, VS Verlag 2007 sowie Lösel, 2006 unter
http://www.bmfsfj.de/doku/elternbildungsbereich/html/04diskussion/diskussion06.html

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genutzt werden. Auch wenn erfolgreiche Praktiken, ressourcenarme Familien verstärkt anzusprechen
und dauerhaft für Familienbildungsangebote zu gewinnen, deutlich zugenommen haben, funktioniert
die Umsetzung in der Praxis noch nicht in dem Ausmaß, in dem es wünschenswert wäre. Die
verstärkte Anbindung von Familienbildung an Kindertagesstätten, zum Beispiel in der Ausgestaltung
von Familienzentren und Mehrgenerationenhäusern, hat zu einer deutlichen Öffnung beitragen
können.

Fachkräfte der Familienbildung verfügen durch die bereits etablierten Strukturen über gute
Anknüpfungspunkte, Eltern bereits zu einem frühen Zeitpunkt im Lebensverlauf von Kindern zu
erreichen. Diese Zeit erweist sich, wie bereits beschrieben, als wichtige Phase, um elementare
Grundlagen für die Bildungsbiografien der Kinder zu legen und methodisches Wissen und
Kompetenzen über das „Lernen lernen“ einzuüben.

Allerdings sind Bildung und Lernen, wiewohl seit PISA auch für die Familienbildung oft als
Erfordernis formuliert, als Gegenstand in der Familienbildungspraxis ein bislang noch wenig
verbreitetes Thema. Dabei kann sie gerade im Grenzbereich zwischen formaler und informeller
Bildung eine Lücke füllen, die derzeit noch eine „Baustelle“ in der Bildungsunterstützung darstellt.
Für Familienbildung tut sich hier ein zukunftsträchtiger Gestaltungsraum auf, der auf Kreativität und
neue Formen der Elternarbeit angewiesen ist.

Bei der Integration von Bildung und Lernen in die Inhalte von Familienbildung zeigt sich, dass gerade
die Bedeutung von Bildung durchaus milieuspezifisch unterschiedlich besetzt ist5. Sie kann dabei
sowohl als Statussymbol oder als „Eintrittskarte“ für eine höhere soziale Mobilität verstanden werden
(vgl. u.a. KAS 2008; Heinrich-Böll-Stiftung 2010). Infolgedessen sind zielgruppenspezifische
Angebote erforderlich, die sowohl Information zum deutschen Bildungssystem wie auch konkreten
Rat zu individueller Förderung beinhalten können.

Eltern- und Familienbildung zielt auf eine unmittelbare Erweiterung der Handlungsressourcen und
des Wissens von Eltern. Wie gezeigt wurde, ist gerade im Hinblick auf Bildungsentscheidungen mehr
Wissen und Kompetenz erforderlich, damit Eltern ihre Kinder ausreichend fördern können.
Familienbildung soll qua Definition die Aneignung von konkreten Kenntnissen (Wissen), Fertigkeiten
(Kompetenzen) und Informationsstrategien fördern (vgl. ifb 2010, 33). Vor diesem Hintergrund sind
Fachkräfte der Familienbildung dazu aufgefordert, Bildung als Thema im Alltag von Familien stärker
zu verankern. Familie als erster Bildungsort muss dafür noch stärker in der Ausrichtung der
Familienbildung zutage treten. In diesem Zusammenhang ist es sinnvoll und zukunftsorientiert, die
Aufgaben der Familienbildung um Aspekte der Bildungsbegleitung zu erweitern.

Für die Vermittlung von Bildung sind Fähigkeiten und Kompetenzen gefragt, die sich nicht auf die
formale Bildung reduzieren lassen (vgl. die Bedeutung non-formaler Lernwelten, Rauschenbach
2005). Um Kindern Bildungszugänge zu ermöglichen, sind für ihre Eltern auch Alltags- und
Daseinskompetenzen notwendig. Fachkräfte sind hier gefordert, sich an den Ressourcen und am
Kontext der jeweiligen Familie zu orientieren (vgl. Tschöpe-Scheffler 2006). Zudem sind

5 Siehe auch AWO‐Bundesverband, 2011, zur Zielgruppenorientierung von Familienbildungsangeboten für Familien in
benachteiligten Lebenslagen

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niederschwellige Angebote und Strategien notwendig, die dabei behilflich sind, konkrete
Informationen und praktische Unterstützung zu vermitteln (vgl. ifb 2010, 37). Ein wünschenswertes
Ergebnis wäre überdies, wenn Fachkräfte der Eltern- und Familienbildung zu Vertrauenspersonen für
Familien werden und damit eine Brücke zwischen Institutionen und Familienalltag bilden können.

Sozialraumorientierung und Vernetzung

Im Rahmen der Weiterentwicklung der Familienbildung besteht in Fachkreisen Einigkeit darüber,
dass der Sozialraum als Handlungsraum der Familien zukünftig stärker einbezogen werden muss, um
Familien wirksam erreichen zu können (vgl. Deutscher Verein 2007). Dies erfordert die Entwicklung
bzw. Verfestigung regionaler bzw. lokaler Bildungsräume, in denen unterschiedliche Lernorte, also
Familien, Kindertagesstätten, Schulen etc. zusammenarbeiten. Im sozialen Umfeld der Familien
sollten dafür erweiterte Kooperationen zwischen Eltern und den im Erziehungs- und im
Bildungsbereich verantwortlichen lokalen Akteuren (Kita, Schule, Institutionen der Familienbildung)
ausgebaut und ein Netzwerk von Eltern- und Familienbildungsangeboten aufgespannt werden
(Deinet/ Bossman 2011).

Die Förderung von Entwicklung, Betreuung und Bildung ist heutzutage auf viele Schultern verteilt:
Von der Tagespflege über die Kita bis zur Schule tragen zahlreiche Personen und Institutionen zu
Bildungsprozessen bei. Für eine effiziente Kooperation und ein gemeinsames Wirken ist es sinnvoll,
wenn sich Fachkräfte der Familienbildung mit anderen Fachkräften, die am kindlichen
Bildungsprozess beteiligt sind, auf kommunaler und regionaler Ebene vernetzen (vgl. Deutscher
Verein 2009). Dies führt zu Synergieeffekten und einer abgestimmten Programmentwicklung und
Arbeitsteilung in der Familienbildungsarbeit vor Ort.

Vernetzung erfordert vielfache Kompetenzen von den beteiligten Akteuren und die Nutzung
passender Rahmenbedingungen. Erforderlich ist ein Kern an bestehenden Personen, die miteinander
kooperieren, Kenntnisse über den Sozialraum haben und die aktiv die Vernetzung vorantreiben.
Darüber hinaus sind spezifische Kompetenzen wie Beratungskompetenz und insbesondere auch
interkulturelle Kompetenz erforderlich (vgl. BMFSFJ 2009). Des Weiteren ist die Nutzung bereits
bestehender Netze, wie Runder Tische, Lokaler Bündnisse für Familie und anderer lokaler Verbünde
sinnvoll für die Anknüpfung eigener Aktivitäten und zur Vermeidung von Doppelstrukturen. (vgl. ifb
2010, 144).

In der aufsuchenden Elternarbeit liegt ein wichtiger Schlüssel, um Eltern gezielt zu erreichen. Die
Bedeutung der aufsuchenden Elternarbeit für die frühkindliche Erziehung wird auch in
internationalen Studien betont (vgl. OECD 2009, 181): „Die räumliche Nähe zum Familienalltag kann
vor allem im Hinblick auf wenig bildungsgewohnte Zielgruppen ausschlaggebend dafür sein, ob ein
Angebot der Familienbildung überhaupt wahrgenommen und ein Bezug dazu aufgebaut wird“ (ifb
2010, 227). Die entsprechende Erweiterung von Komm-Strukturen um Geh-Strukturen, ein
sozialräumlich für Familien leicht zu erschließendes Angebot („Niedrigschwelligkeit“) sowie die
Kooperationen von klassischen Bildungseinrichtungen mit anderen Angeboten für Familien sind für
die Begleitung von kindlichen Bildungsprozessen und -verläufen als elementar einzuschätzen.

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