KUNST IST AUFFÜHRERISCHE BILDHAUERERI. ZUM EINMISCHEN DER ANNA GOHMERT - Ein Text von Milosz Paul Rosinski
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KUNST IST AUFFÜHRERISCHE BILDHAUERERI. ZUM EINMISCHEN DER ANNA GOHMERT. Ein Text von Milosz Paul Rosinski Stuttgart & Berlin, 2017
Kunst ist aufführerische Bildhauerei. Zum Einmischen der Anna Gohmert. Detail, aus Twin Monument, Skulptur und Performance, 2013 Milosz Paul Rosinski 1
Kunst ist aufführerische Bildhauerei. Zum Einmischen der Anna Gohmert. My body’s my canvas. [laughing] -‐ Kim Gordon, Is It My Body?, Berlin, Sternberg Press: 2014, p. 133. Anna Gohmert (*1983, Stuttgart) und Ihre Kunst zeichnet sich durch einen zeitbasierten und aufführerischen Gebrauch ihres Körpers und Ihrer Person im öffentlichen und privaten Raum aus. Ausgestellt in öffentlichen Anstalten wie dem Arbeitsamt Stuttgart in 2013, dem international-‐ artworldigen KW Institute for Contemporary Art in Berlin-‐Mitte in 2013, aber auch verschiedenen Performance-‐Venues in Kraków in 2013-‐14, versteht Sie es als Kunst, sich einzumischen. Als Persönlichkeit ist sie auch Gesellschaftstheoretikerin, nimmt an interdisziplinären Foschungssymposia teil, wie dem Was ist Kritik Heute? in 2017 in München. Selbst organisiert sie Hinterhofstipendia mit. In ihrem künstlerischen Werk entsteht eine experimentelle bildhauerische Malerei, eine Skizzierung und Studienserie von Selbstentwürfen im Raum. Der Körper der Multimedia Künstlerin und alleinerziehenden Mutter inszeniert sich, um relationale Körperlichkeit zu erzeugen, als soziale Plastik. Die situativen Skulpturbilder, welche Gohmert baut, hauen sich in die Umwelt ein. Damit ist gemeint, dass Gohmert, die in Stuttgart lebt und arbeitet, in ihren Werksprozessen ,,Kunstkörper’’ produziert, die scheinbare Grenzen des Eigenen und des Anderen überschreiten. Nicht nur Physisches wird überbrückt, auch Metaphysisches materialisiert, Zeitlichkeiten wie auch Örtlichkeiten werden neu ausgehandelt. Was eingemeißelt ist, was bereits betoniert ist, wird nichtsdestotrotz oder gerade deswegen zum formbaren Material. Was Gohmert, ausgebildete Freie Künstlerin und Meisterschülerin von Felix Ensslin und Christian Jankowski der Staatlichen Akademie der Bildenden Künste Stuttgart (sowie Schülerin von Mirosław Balłka und Grzegorz Kowalski der Akademia Sztuk Pięknych w Warszawie), durch diese performative sowie maskenbildnerische Arbeit ausstellt, die an methodische Züge von Paweł Althamer, Isa Genzken, oder Roni Horn erinnert, ist die Unverbindlichkeit, die Wandelbarkeit und Plastizität der eigenen Identität. In der Tat ist es auch eine „Unverbildlichkeit“ der Identität. Obschon Gohmert eine selbstreferenzielle Künstlerin ist, malt sie sich nicht, fixiert sich auch nicht selbst fotografisch. Tatsächlich ist ihr Körper canvas: Objekt, Oberfläche, Struktur, poröser Körper, bildgebendes Material, und strapazierfähiger Stoff. Einzelaufnahme, Stille Post (,I took advantage of you from the start and I realized it very soon’) , Konzept und Video, 2013, 12:15min Milosz Paul Rosinski 2
Kunst ist aufführerische Bildhauerei. Zum Einmischen der Anna Gohmert. Introvertierte street art: Rom als Tattooinstallation Ein Beispiel für diesen canvashaften Körpergebrauch ist Schatten der Antike (2010). In dieser Arbeit fixiert Gohmert Monumente Roms auf Ihren Körper. Ähnlich wie Brad Downey die Fassaden des Gegebenen der architektonischen Konstruktion aushebelt, besticht Gohmerts Arbeit durch die Einverleibung des Stadtbildes als schlichtes Tapeziermaterial. Es findet eine Art Introvertierung der Konventionen der street art statt: Nicht das Abbilden in der Stadtarchitektur, sondern das Abbilden dieser als Spachtelmasse passiert. Eigentlich, allerdings, betrachten wir eine Spurensicherung. Als Stencil-‐Negative eines Sonnenbrands bilden sich Konturen eines Schattens. Querschnitte von Architekturikonen wie dem Kolosseum bekleiden ihren Arm, das Pantheon verortet sich auf dem Bauch. Diese Brandmarken bestempeln Gohmert’s Körper. Das souvenirhafte dieser „Tattooinstallation“ verinnerlicht die touristische Erfahrung als Fetisch der Aneignung von Ikonen. Anstelle des Slogans ‚been there, done that’, welches für Graffitisprayende wie auch für Fototouristen modus operandi der Raumerfahrung ist, erlaubt sich Gohmert ein bildhauerisches peeling-‐off der Denkmäler durch die erfundene Schablonentechnik als konsumierende, aber eben auch selbst-‐produzierende Praxis. Gleichzeitig und als Nachspiel dieses relationalen Sonnenspiels stellt sich Gohmert auf dem Handtuch im Bikini als landscape body painting, sowie als öffentliches Spektakel aus. Als Performance an die site-‐specific Arbeiten von Sarah Trouche erinnernd, oder an eine entspanntere Interventionsmentalität einer Milo Moiré, sonnt sich Gohmert gelassen auf dem Backsteinpflaster, schwimmt im sozialen Raum. All dies geschieht beim Tattooenthäuten, da die Sonnenstrahlen die Konturen der Brandmarkennegative ruinieren und verschwinden lassen. Diese Multimedia Arbeit über Projektionsflächen wurde für den Szpilman Award 2010 als die weltweit beste ephemeral art nominiert. Fotografische Dokumentation, Schatten der Antike, Performance, Rom, 2010 Milosz Paul Rosinski 3
Kunst ist aufführerische Bildhauerei. Zum Einmischen der Anna Gohmert. Re-‐Collection: Entscheidung zur transgenerationalen Erinnerungsskultur?! Wiederkehrende Motive in Gohmerts Werk sind vor allem zeitliche Prozesse wie Reisen oder Monumentalisierung, sowie Sammlungen und Übertragungen. Als Membran und bildendes Element, als relationaler Agent dieser wandelnden und transformativen Motivprozesse dient ihr Körper. Diese haltlose Grundlosigkeit ihrer Praxis lädt zu einer intuitiven, einer gefühlsbetonten Rezeption ein. Humoristische, aber auch provokative, sowie melancholische Stimmungen werden durch ihr Werk erzeugt. Diese Motivprozesse werden aufführerisch im Event, in der Aktion, in der Inszenierung, oder in der ‚Tour’ als Formen der sozialen Skulpturarbeit in Szene gesetzt und dokumentiert, sowie durch Videoarbeiten ergänzt. Bildhauerei, so erklärt es Gohmert, ist vor allem ein zeitlicher Prozess des Miteinanders im Raum. Durch die Zeit geht dieses Miteinandersein in Gesten wie dem Sammeln, aus welchem soziale Beziehungen durch Objektgeschichten erwachsen. In der Installation Die Mineraliensammlung meines Vaters: Willst du mit mir gehen ☐ja ☐nein ☐vielleicht (2016) wird die persönliche Verflechtung zu einer Sammlung zum Gegenstand transgenerationaler Vermittlung von Erinnerung. Allerdings ist dieses Moment der Begegnung und der Möglichkeit des Re-‐enactments als Entwurf zu verstehen. Die Abschlussarbeit der Meisterschülerin des Weißenhof-‐Programms 2016 wird zur fast forensischen Auseinandersetzung des Erwachsens, des Bindens, der Ablehnung, des Ablösens und der Folgeschaft. Es ist schließlich die Ansammlung ihres Vaters, eines Geologen. Der dreigliedrige Titel deutet auf das essayistisch-‐spielerische Terrain dieser Arbeit als Entscheidung hin: ja, nein, oder eben vielleicht. Detail, Die Mineraliensammlung meines Vaters: Willst du mit mir gehen ☐ja ☐nein ☐vielleicht, 4-‐D Installation: Atlas, 622 Fotografien, 66 Displays, Video, 2 Graffiti (‚ja’, ‚nein’), 2016 Während in Arbeiten wie Schatten der Antike (2010) das Spannungsgeflecht des Ephemeralen und Monumentalen durch den Körper und bildtragenden Körpergebrauch verhandelt wird, thematisiert Gohmert in Mineraliensammlung (2016) mnemnonische Texturen durch ein Stück Welt. Das Erbe-‐sein bestimmt das Bewusstsein. Diese Baustelle des Selbst ist eine relational-‐plastische Arbeit, verkörperlicht durch Mineralien als Inbegriff der Skulpturhaftigkeit von Körpern. Milosz Paul Rosinski 4
Kunst ist aufführerische Bildhauerei. Zum Einmischen der Anna Gohmert. In anderen Worten, die flüssige, kristalline, und gegenständliche Erinnerung und Vergesslichkeit welche die Mineralien chemisch-‐physikalisch sind, werden durch das mögliche situative Entstehen von Kontinuität oder Bruch ihrer Ansammlung in ein Dilemma gepackt. Die Schwelle der Trennung oder Bindung zu dem väterlichen materiellen Sammlungserbe wird als Haltung zur re-‐collection, zur Wiederkollektion und Wiedererinnerung verfächert und verspielt – oder verworfen. Detail, Die Mineraliensammlung meines Vaters: Willst du mit mir gehen ☐ja ☐nein ☐vielleicht, 4-‐D Installation: Atlas, 622 Fotografien, 66 Displays, Video, 2 Graffiti (‚ja’, ‚nein’), 2016 Somit ist diese Arbeit nicht nur eine Galerie oder eine Ausstellung, sondern die Kuration einer ,,gamified genesis“. In dieser situativen Erlebnisplastik entsteht damit in der Villa Merkel in Esslingen ein vierdimensionales Werk: ein Atlas, der die Mineralien als ,objet retrouvé’ sequentiell katalogisiert, ein Gitternetz von 66 fotografischen DIN A2 Raster-‐Aufnahmen als Panorama, sowie in einem zweiten Ausstellungsraum eine Videoinstallation als fingiertes Found Footage home video, de facto eigenes Material einer Begegnung von Gohmerts Vater, ihr Selbst, und ihrer Tochter, sowie schließlich als supplementierende Frage, die Bleistiftkritzelei ‚ja’ und ‚nein’ an einer der Wände dieses Raums, während die Vielleicht-‐Option, die sich nicht fixieren lässt, auch so im Raum stehen bleibt. Die Methode Mäeutik: Spiegelbilder Ihrer Selbst Ein drittes Hauptelement Anna Gohmerts künstlerischen Werks neben der Gestaltung des öffentlichen Raums als Labor, und dem Selbsterörtern als relationale Aufgabe, ist die Hybridisierung der Selbsterfahrung. Diese drei Tendenzen lassen sich bereits in Schatten der Antike (2010), und Mineraliensammlung (2016) finden, allerdings bestechen vor allem neuere Arbeiten und work in progress durch Elemente der affektiven Arbeit zum und mit dem/der Anderen. Die Fragilität der Schätze ist eben, nicht nur an Objekten zu finden, sondern auch an Menschen, deren einmaliger Schatz ihr Leben ist. Die Dialogarbeit mit Fremden, Laien, Amateuren, Milosz Paul Rosinski 5
Kunst ist aufführerische Bildhauerei. Zum Einmischen der Anna Gohmert. und zufällig Begegnenden als sozialorientiere Aufgabe und „intimate artivism“ nähert sich und nährt sich von häuslichen Themen. Es entsteht eine Art bildhauerische und maskenbildnerische social commentary durch Performativität, anknüpfend an den Pathos von militanten Konzeptkünstlern wie Carrie Mae Weems, oder Adrian Piper, die wie Gohmert nach Aufrichtigkeit und Gerechtigkeit suchen. Serien-‐Fotografie (33x24cm), Wurzelbehandlung, 2017 Anhand der Ausbildung als Friseurin erlernte Gohmert die Spiegelarbeit des plastischen Gestaltens, wie die Stuttgarter Zeitung in der Reportage ‚Brotlose Kunst in Stuttgart’ bereits in 2012 aufmerksamst berichtete. Diese Spiegelarbeit betrifft nicht nur die durch Fotografien dokumentierten Performances, wie Wurzelbehandlung (2017), auch durch die Videoarbeiten entstehen Spiegeleffekte: ,Ein Porträt meiner selbst als Porträt einer anderen Person’, schreibt Gohmert in und über ihre aktuelle Arbeit HELGA: Sterben üben (2017). Auch ist frisieren ein Schnipseln, ein Schnippeln, eine bildhauerische Choreografie des Selbst am Anderen. Durch das zeitbasierte Fundament Ihrer Videopraxis gewinnt in diesen affektiven Arbeiten die Spiegelung eine räumliche, eine mediale sowie politische Formkraft. Das Video wird Helga überleben, am Leben erhalten, aber auch Tod erscheinen lassen. ‚Past, present, future are always co-‐implicating’, wie Brian Massumi in Semblance and Event erläutert (2011: 24). Events sind passing und occuring, aber auch, so würde ich im Blick auf Gohmert’s Mäeutik hinzufügen: events are always remembered as mirror-‐works. Das Event als „passierte Passage“ ist Dokumentationsarbeit, Bildhauerei ist Erinnerungsarbeit. Dies bedeutet, dass sich das Event nicht nur in der Dokumentation des Erlebten im gehauten Bild, sondern auch im Erlebnis-‐an-‐sich aus der Beobachtung heraus konstituiert, aus dem gaze auf das Gegebene, Gezeigte, Präsentierte. Auch die Selbsterfahrung ist eine Übersetzungserfahrung der Konstitution des Eigenen durch den Blickwinkel, durch den Versuch des Anderen. Gohmerts seit 2011 laufende Arbeit Historic histery verwandelt die Historie, die his story in eine „herstory“, nicht umsonst in einem Diktat, einem Sprechen zum Anderen. Sie, Anna Gohmert, Stipendiatin der Studienstiftung des deutschen Volkes mischt sich ein: ,Ich diktiere meine eigene Kunstgeschichte’. Ausgezeichnet. Sie lacht. Milosz Paul Rosinski 6
Kunst ist aufführerische Bildhauerei. Zum Einmischen der Anna Gohmert. Detail, Historic Histery, Performance und Text, seit 2011 Ein Text von Dr. Milosz Paul Rosinski, Herbst 2017 Milosz Paul Rosinski (*1989, Grudziądz, PL) schreibt Texte. Milosz lebt und arbeitet in Berlin und ist promovierter Philosoph und Filmwissenschaftler (Cambridge, 2017). Jüngste Texte zu Kino, Eventchoreografien, Live-‐Art, und Genderthemen in Studies in French Cinema, MERKUR, warehouse, sowie Families, Relationships and Societies. Ausstellungen künstlerischer Werke in HKW Berlin. Studium in Berlin, Cambridge, San Diego, Paris, und Maastricht. Diverse internationale Preise und Stipendien. Instagram: loresqi Milosz Paul Rosinski 7
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