Kunstvermittlung in den Opelvillen Partizipation als Chance - junge Frauen fördern
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Kunstvermittlung in den Opelvillen Partizipation als Chance — junge Frauen fördern Die 2001 von der Stadt Rüsselsheim gegründete Kunst- und Kulturstiftung möchte ein »Ort für alle« oder »möglichst viele« sein. Um dieses Ziel zu er- reichen, werden immer wieder neue Strategien der Vermittlungsarbeit erdacht. Die Teilhabe aller gesell- schaftlichen Gruppen ist uns nicht zuletzt daher ein besonderes Anliegen, da aktive Mitwirkung neue und zeitgemäße Verständigungen über Vergangenes und Gegenwart, Kultur und Alltag, Kunst und Umwelt und vieles mehr ermöglichen kann. machte die Aktion »Gesichter einer Stadt — Porträts aus Rüsselsheim«, zu der Kinder und Familien aus Rüssels- heim und Umgebung eingeladen wurden. Darauf folgte der zweite Projektteil »Forschergeist wecken — Kunst entdecken« für bildungsbenachteiligte Kinder, um Müttern mit Migrationshintergrund den Besuch von Sprachkursen zu ermöglichen. Zum Schluss wurden diese Mütter und weitere Frauen aller Nationen mit und ohne Migrationshintergrund zum »Kulturcafé« in die Opelvillen eingeladen. Mit Stolz können wir sagen, dass unsere Angebote Das Projekt »Begegnungen durch Kunst« resultierte begeistert angenommen wurden und wir aus den zwei aus unseren Erfahrungen durch Ausstellungsbesuche ersten Projektteilen regen Zulauf zum Kulturcafé für von Flüchtlingen. Gerade bei der Vermittlungsarbeit Frauen hatten. Dank unseren Kunstvermittlerinnen, mit muslimischen Frauen haben wir gemerkt, wie insbesondere Judith Goossens und Tina Hölzel, wurde sinnvoll es sein kann, eigene Projekte zu schaffen, die mit dem Kulturcafé nicht nur ein Kunstraum für Frauen, nur Frauen vorbehalten sind. Dies ist auch damit zu sondern auch ein experimenteller Freiraum geschaffen. erklären, dass einige der Frauen in einem weitgehend Die Teilnehmerinnen probierten aus, lernten voneinan- traditionellen Rollenverständnis leben. Vor diesem der und hatten genug Zeit und Raum zum Austausch. Hintergrund schien es uns bedeutsam, einen Ort zu Die folgenden Erfahrungsberichte zu den einzelnen beleben, an dem handwerklich gearbeitet wird, aber Projektabschnitten zeigen, wie die Umsetzung gelang. auch experimentiert und ausprobiert werden kann. Um Frauen, die ansonsten keine Ausstellungen oder Museen besuchen, für unser Projekt zu gewinnen, haben wir es in drei Phasen unterteilt. Den Anfang 3
I Begegnungen durch Kunst »Gesichter einer Stadt — Porträts aus Rüsselsheim« Malaktion beim Sommerfest positioniert werden konnte. Einige Kinder zeichneten ihr Gesicht mit einem wasserfesten Stift vor, andere Kinder malten ihr Porträt mit wasserlöslichen Finger- farben ohne Konturen direkt auf die Plexiglasscheibe. Anschließend verschönerten sie ihre Porträts mit Sand, Dekosteinen, Pfeifenputzern, Federn, Knöpfen oder Wackelaugen. Wenn ein Kind sein Werk dann als fertig erachtete, konnte es das Bild trocknen lassen, wäh- rend es mit seiner Familie die übrigen Angebote des Sommerfests besuchte. Gegen Ende der Veranstaltung wurden die Kunstwerke schließlich abgeholt und mit nach Hause genommen. Insgesamt war die Malstation sehr gut besucht. In den wenigen Stunden am Nachmittag kamen über zwan- zig Kinder vorbei, zum Teil wurden die vorhandenen Sitzgelegenheiten knapp. Mit zusätzlichen Stühlen und durch Zusammenrücken konnte das Platzproblem jedoch schnell gelöst werden. Für alle Besucher und Besucherinnen war die Aktion ein spaßiges Erlebnis. Mit dem ersten Teil des Projekts »Begegnungen durch Ein besonderer Partner dieses Projekts war die Klasse Kunst« wollten wir möglichst viele Menschen anspre- 3b der Grundschule Innenstadt, die bereits im Vorfeld chen und neue Kontakte knüpfen. So fand die Malakti- mit ihrer Klassenlehrerin Anette Stock sechs Wochen on »Gesichter einer Stadt — Porträts aus Rüsselsheim« lang im Kunstunterricht für die Malaktion tätig war. Die auf dem Sommerfest der Opelvillen im Juli 2019 statt. Ergebnisse wurden beim Sommerfest im Wintergarten Schon in der Vergangenheit hatte sich gezeigt, dass die der Opelvillen ausgestellt und machten zusätzlich auf Sommerfeste im Freien mit einem bunten Programm die Aktion aufmerksam. Die Präsentation zeigte deut- junger Kunst und vielfältigen Angeboten für Jung und lich unterschiedliche Gestaltungsweisen auf und unter- Alt — von Eiswagen über Grillecken bis zu Tanzmusik — strich damit, wie kreativ die Schülerinnen und Schüler auch viele Gäste anlocken, die nicht zu den Ausstel- an die Aufgabenstellung herangingen. Die Ausstellung lungsbesuchern zählen. Unter dem namensgebenden dieser Bilder diente zugleich als Inspirationsquelle für Leitsatz konnten junge Besucher und Besucherinnen ihr die jungen Sommerfestbesucher. eigenes Porträt oder das eines Freundes oder Ver- wandten auf eigens zugeschnittene Plexiglasscheiben Da die Opelvillen die Malaktion über unterschiedliche malen und mit diversen Dekoartikeln bekleben. Die Medien angekündigt hatten, nahmen auch andere Wahl fiel auf Plexiglas als Bildträger, da das Material Kinder vor dem Sommerfest Kontakt auf. So melde- durch seine Transparenz besonders spannend ist und te sich ein neunjähriger Junge aus Rüsselsheim und neben den kreativen Möglichkeiten auch spielerische schickte ein gemaltes Selbstporträt im Vorfeld zu, das Aspekte möglich waren, die den Kontakt untereinan- dann zur weiteren Werbung in Presseankündigungen, der aufbauten und förderten. Social-Media-Nachrichten und im Newsletter verwen- det wurde. Auf dem Sommerfest kam der engagierte Direkt im Eingangsbereich war die Kreativstation für Teilnehmer mit einem Freund nochmals persönlich an interessierte Kinder aller Altersstufen aufgebaut. Um der Malstation vorbei, um dort ein weiteres Porträt auf das eigene Porträt malen zu können, standen mehrere Plexiglas zu malen. Spiegel auf den Tischen bereit, vor die eine Staffelei 4
II Begegnungen durch Kunst »Forschergeist wecken — Kunst entdecken« Sommerferienprogramm für bildungsbenachteiligte Kinder Der zweite Projektteil richtete sich explizit an Familien Während der Schulsommerferien finden die Sprachkur- und deren Kinder, die vor kurzem nach Deutschland se der AWO wochenweise täglich weiter statt. In dieser emigriert oder geflüchtet sind. Um einen Kontakt zu Zeit haben viele Mütter große Probleme, eine Kinder- dieser Zielgruppe aufzubauen, wurden im Vorfeld betreuung zu finden oder sich kostenpflichtige Ferien- Gespräche mit der AWO Perspektiven Bildung gGmbH angebote zu leisten. Sie bleiben dann den Kursen fern in Rüsselsheim geführt, die zur AWO Hessen-Süd (kurz und verlieren den Anschluss an den Unterrichtsstoff, für Arbeiterwohlfahrt Bezirksverband Hessen-Süd e.V.) der sich durch die anschließende Sommerpause der gehört. In Rüsselsheim werden über diese Einrichtung AWO noch weiter verzögert. Häufig müssen die Teil- unter anderem berufsbezogene Sprachförderkurse, nehmerinnen den Kurs wiederholen und werden so in Integrationskurse und Migrationsberatung für erwach- ihrem persönlichen Sprachfortschritt zurückgeworfen. sene Zuwanderer angeboten. 6
Das Programm des Sommerworkshops gestaltete sich in Anlehnung an die gleichzeitig laufende Ausstellung Bethan Huws. Film Zone & Film Script sehr vielfältig. Die walisische Künstlerin Bethan Huws beschäftigte sich in ihrem 2013 entstandenen Film Zone mit hei- mischen Vogelarten und Zugvögeln, die rund um den französischen See Etang des Landes zu finden sind. In dem dazu vorbereitenden Filmskript tritt sie auch als Forscherin auf, die verschiedenste Bezüge zwischen Natur und Kunst herstellt. In Kooperation mit den Opelvillen konnten die Kinder der Sprachkursteilnehmer im Alter von 6 bis 10 Jahren in den Sommerferien eine Woche lang täglich vormit- tags an einem kostenfreien Workshop teilnehmen. Dies ermöglichte es einigen Müttern, weiterhin den Sprachkurs zu besuchen. Vorab wurde in den Sprach- kursen der Bedarf an Kinderbetreuung durch einen Fragebogen ermittelt. Die Nachfrage war höher als die Kapazität des Workshops. Letztendlich konn- ten fast zwanzig Kinder aus Syrien, Pakistan, Indien, Serbien, Moldawien und Rumänien durchgehend an dem Angebot teilnehmen. Zu Beginn kannten sich die wenigsten Kinder in der Gruppe und ihre verschie- denen Herkunftsländer gaben Anlass zu Streitereien. Da einige Kinder dem Vermittlerteam offenbarten, bereits traumatisierende Erfahrungen in ihrer Heimat gemacht haben zu müssen, wurden direkt zu Beginn das gegenseitige Respektieren einer anderen Person, unabhängig von Herkunft und Religion, als wichtiger gesellschaftlicher Wert besprochen und gemeinsame Gruppenregeln festgelegt. Diese wurden im Laufe der Woche regelmäßig wiederholt und förderten mit der Zeit das Zusammenwachsen der Gruppe. Auch die Kinder bekamen im Sommerworkshop Gele- genheit, sich mit Natur, Kunst und der Verbindung von beidem auseinanderzusetzen. Dank des guten Wetters fand die gesamte Veranstaltung im Gartenbereich statt. Es erfolgten ausgiebige Erkundungsrundgänge um die denkmalgeschützte Villenanlage und den na- hegelegenen Vernapark, bei denen die Kinder Blüten, Blätter oder Vogelfedern sammeln konnten. Bei diesen Rundgängen wurden Kaninchen, Eichhörnchen und verschiedene Vogel- und Insektenarten gesichtet, die passenden Anlass für verschiedene Rätselspiele gaben. So wurden beispielsweise laminierte Karten mit Tier- und Blütenmotiven herumgereicht und besprochen. 7
Der anschließende Ausstellungsbesuch bot eine gute Möglichkeit, die Kinder spielerisch an die Ausstel- lungsinhalte heranzuführen. Im Vorfeld wurden unsere Museumsregeln besprochen, da nur zwei Kinder aus der Gruppe schon zuvor ein Museum besucht hatten. Im Zentrum des Rundgangs stand insbesondere das Thema Natur. Nachdem die Kinder den Film Zone an- gesehen hatten, konnten sie sich darüber austauschen. Viele Vogelarten im Film wurden wiedererkannt, zum einen durch die spielerische Annäherung im Vorfeld und zum anderen durch die gemeinsame Betrachtung des Filmskripts. Die Kinder beschrieben die ihnen unbekannten Vogelarten durch ihre Auffälligkeiten und stellten anschließend weiterführende Fragen, beispielsweise zu der besonderen Lebensweise der Zugvögel. Am Ende führte die Diskussion zum Thema Umwelt und den Eingriff des Menschen in die Natur. Auch künstlerisch wurden die Kinder zu einer intensi- Dadurch beschäftigten sich die Kinder mit dem Prob- ven Beschäftigung mit Natur angeregt. Dazu konnten lem Umweltverschmutzung. sie im ersten Schritt beispielsweise Malvorlagen vieler verschiedener Naturmotive ausmalen. Dies geschah im Zusammenhang mit der Anfertigung eines eigenen Kalenders, an dem während der ganzen Woche gebas- telt werden konnte. An verschiedenen Tagen wurden unterschiedliche Bastelprogramme durchgeführt, um die Monatsblätter möglichst abwechslungsreich zu gestalten. An einigen Tagen wurden Frösche, Fische und Vögel als Origami gefaltet, die anschließend als Elemente in die einzelnen Monatsseiten eingefügt werden konnten. An anderen Tagen kamen Stempel- und Collagetechniken sowie die Verwendung von Solarpapier zum Einsatz. Auch die bei den gemeinsa- men Rundgängen gesammelten Naturobjekte wurden auf diese Weise kreativ verarbeitet. Des Weiteren gab es an einem Tag Gelegenheit, sich eine Vogelmaske zu basteln. Viele Kinder interpretierten den Kernge- danken um und wählten Masken von Comichelden wie Ladybug oder Superman als Vorlage. Die farbigen Grundmuster wurden anschließend mit Federn und weiteren Dekoartikeln verschönert. 8
Einige Kinder waren sehr aktiv und so verschafften ihnen belebende Bewegungsspiele, darunter diverse Ballspiele, Seilspringen und Kartoffellauf, die nötige körperliche Betätigung. Auch verschiedene Gesell- schaftsspiele, wie beispielsweise Boule, Vogel-Memory oder Sonnenblumen-Domino, sorgten für ein abwechs- lungsreiches Programm. Weitere Unternehmungen wie das gemeinsame Kresseziehen, ein Schminkangebot sowie das Spiel mit Schaum und Seifenblasen rundeten den Inhalt des Sommerworkshops ab. Ein besonderes Highlight war eine gemeinsame Wasserschlacht, die an einem ungewöhnlich heißen Tag durchgeführt werden konnte. 9
III Begegnungen durch Kunst »Kulturcafé für Frauen« Im dritten und abschließenden Projektteil wurden Das Konzept sah für den Einstieg einen kurzen Besuch Frauen aller Nationen dazu eingeladen, gemeinsam der aktuellen Ausstellungen Konkrete Poesie / poesia in den Opelvillen kreativ zu werden. Dafür wurde das concreta. Augusto de Campos, Eugen Gomringer und temporäre Vermittlungsformat »Kulturcafé« im Herbst Freunde und Geraldo de Barros — Unilabor. Möbel und 2019 ins Leben gerufen. Ein wichtiger Bestandteil Fotografien vor, die sowohl konkrete, geometrische des immer donnerstags stattfindenden Cafés war der Wortbilder als auch Möbel und Fotografien beinhal- Aufbau von Nähe und Vertrautheit, um den Besuche- teten. An jedem der Termine sollte ein anderes Kunst- rinnen eine entspannte und gemütliche Atmosphäre werk oder eine Werkgruppe im Vordergrund stehen, zu bieten. Die Teilnehmerinnen waren zu wiederhol- um das Programm im Falle von wiederkehrenden ten Besuchen des Kulturcafés eingeladen, aber auch Besucherinnen abwechslungsreich zu gestalten. Diese Neuzugängen wurde stets die Teilnahme ermöglicht. Einführung war vorwiegend zur Inspirationsfindung Zudem gab es eine Kinderbetreuung, die ab dem zwei- gedacht. Anschließend gab es Kaffee und Gebäck im ten Termin in Anspruch genommen wurde. Wintergarten der Opelvillen, während das Vermitt- lungsteam diverse Mal- und Handwerkstechniken vorstellte und somit langsam den Einstieg in die Krea- tiveinheit vorbereitete. Anschließend konnte jede Teil- nehmerin frei und kreativ gestalten. An jedem Termin wurde etwas anderes zum Ausprobieren angeboten, trotzdem sollten die Besucherinnen komplett frei in der Wahl ihres Schaffens bleiben. Wenn einer Teilnehmerin beispielsweise das Malen und Zeichnen besonders gut gefiel, konnte sie dies an den darauffolgenden Terminen wiederholen. Der Wintergarten eignete sich als Ort besonders gut, da er durch die beiden Fens- terfronten sehr hell ist und einen schönen Ausblick auf die umgebende Landschaft bietet, die wiederum als Inspiration dienen konnte. Im Vorfeld wurde gezielt Werbung durch Handzettel gemacht, die über den bestehenden Kontakt zu der AWO in den Sprachkursen verteilt wurden und auch im Ausstellungshaus gut sichtbar auslagen. Zudem wurde das Projekt im Vorfeld der Presse vorgestellt und während der Durchführung in unseren sozialen Me- dien beworben. Ein weiterer Kontakt zu potenziellen Teilnehmerinnen kam durch den Flüchtlingsbetreuer Jens Grode zustande, der den Runden Tisch Raunheim leitet. Diese Einrichtung im Nachbarort besteht aus eh- renamtlichen Helfern und Helferinnen, die Flüchtlinge begleiten und ihnen weiterhelfen. Über Herrn Grode nahm eine Gruppe geflüchteter Frauen aus Raunheim regelmäßig am Kulturcafé teil. 10
Beim zweiten Termin wurden Eugen Gomringers Wort-Konstellationen wind, schweigen und ping pong mit den Teilnehmerinnen betrachtet. Die Frauen brach- ten der gesamten Ausstellung ein großes Interesse entgegen. Als sie beispielsweise die Schreibmaschine entdeckten, auf der Eugen Gomringer in den 70er-Jah- ren seine Wortgebilde getippt hatte, erzählten sie begeistert von ihren eigenen Erfahrungen mit einer Schreibmaschine. Im Anschluss stand im Wintergarten das Arbeiten mit Stoff, Nadel und Faden im Vorder- grund. Die Faszination von Wörtern und wie damit ge- spielt werden kann, inspirierte viele Teilnehmerinnen ungemein, da mehrere Stickereien mit Buchstaben- bildern entstanden. Daneben wurden Kissenbezüge Bereits am ersten Termin des Kulturcafés nahmen acht mit Naturmotiven und Herzen gestickt. Während des Frauen teil, vier von ihnen stammten aus Afghanistan, handwerklichen Beisammenseins entstand zwischen zwei aus der Türkei und eine aus Marokko. Zunächst zwei Teilnehmerinnen, die sich vor dem Kulturcafé wurden die geometrisch-abstrakten Fotoformas von noch nicht kannten, eine Unterhaltung auf Deutsch. Geraldo de Barros betrachtet. In diesen Arbeiten Obwohl sie aus verschiedenen Ländern — Türkei und experimentiert der Brasilianer mit Fotografie, indem Afghanistan — kamen, stellten sie als Gemeinsamkeit er beispielsweise Negative mehrfach belichtet oder fest, dass ihre Großmütter ihnen das Sticken beige- zerschneidet und dann wieder zu einer neuen Form bracht hatten. zusammenpresst. Als Resultat überlagern sich in den Fotoformas mehrere Schichten. Diese Vorgehensweise wurde in der anschließenden Kreativeinheit aufgegrif- fen, bei der verschiedene Maltechniken angeboten wurden. Die Besucherinnen hatten die Möglichkeit, mit Pastell- und Aquarellfarben, aber auch mit Gouache zu experimentieren. Auch die simple Bleistiftzeichnung kam zum Einsatz. Als Trägermaterial wurden neben diversen Papiersorten erneut die Plexiglasscheiben vom Sommerfest angeboten, die von fast allen Teilneh- merinnen als Maluntergrund gewählt wurde. Die Frau- en nutzten die Transparenz der Scheibe, um mehrere Schichten von Gouache aufzutragen, und orientierten sich damit lose an den Fotoformas. Andere ließen sich von den geometrischen Formen inspirieren, ein Groß- teil der Besucherinnen nahm sich jedoch Motive aus dem Internet zum Vorbild. 11
Zum letzten Termin betrachtete die Gruppe aus Raunheim nochmals einige Konstellationen von Eugen Gomringer und ein paar Wortgebilde von Augusto de Campos. Die Vermittlerin ging näher auf die Werke schweigen, wind, ping pong, terre moto, cidadecitycité, pluvial fluvial und das schwarze geheimnis ein, wobei sie die Inhalte auf eine einfache Art und Weise trans- portierte. Die geplanten 15 Minuten wurden deutlich überschritten, da die Teilnehmerinnen wieder ein besonderes Interesse an der Ausstellung zeigten. Sie blieben länger vor vielen Gedichten stehen und fragten auch nach weiteren Informationen. In der Kreativein- heit wählte jede Besucherin noch einmal das Handwerk aus, das ihr am besten gefiel. Einige Frauen versuchten sich an der Stempel- und Collagetechnik und auch ein weiteres Fadenbild wurde produziert. Eine andere Teilnehmerin probierte das Filzen aus, nachdem sie gesehen hatte, wie eine Vermittlerin am vorangegan- genen Termin damit gearbeitet hatte. Eine andere Möglichkeit, mit Faden zu arbeiten, war das Fertigen eines Fadenbildes. Zunächst wurden, einem bestimmten Muster folgend, in eine Holzplat- te mehrere Nägel gehämmert, die dann beliebig mit einem Faden verbunden werden konnten. Auf diese Weise entstanden farbige Bilder der etwas anderen Art. Besonders am dritten Termin experimentierten viele Frauen mit dieser Technik, nachdem sie von einer Teilnehmerin beim zweiten Termin ausprobiert worden war. An diesem Tag wurden beim Ausstellungsrund- gang die Möbelstücke genauer betrachtet, die Geraldo de Barros für Unilabor entworfen hatte, die von ihm in den 50er-Jahren in São Paulo mitbegründete Arbei- tergemeinschaft. Einige Frauen erkannten sofort den Bezug zum Bauhaus, der sich in der linearen Gestal- tungsweise der ausgestellten Möbel wiederfindet. Im Kreativteil wurde anschließend unter anderem das Arbeiten mit Modelliermasse angeboten. Hier holten sich einige Teilnehmerinnen erneut Inspiration aus der Ausstellung und formten beispielsweise Miniaturmö- belstücke wie ein Bett nach, das an prominenter Stelle im ersten Saal ausgestellt war. Zwei Frauen stickten Bei allen Terminen herrschte im Kulturcafé eine ent- auch an den Kissenbezügen weiter, die sie im Termin spannte Atmosphäre. Die Besucherinnen überwan- davor angefangen hatten. den ihre anfängliche Schüchternheit zunehmend und lernten sich durch mehrfachen Besuch besser kennen. Zwar war das Sprachniveau der Teilnehmerinnen unter- schiedlich, doch mithilfe eines langsamen Sprechens und Gestikulierens gab es keinerlei Kommunikations- probleme. Da zu Beginn einige Frauen zögerten, beim Kreativteil direkt aktiv zu werden, war das gemeinsa- me Gespräch mit den Vermittlerinnen wichtig. Dass Hemmschwellen bestanden, wurde immer dann deut- lich, wenn eine neue Technik vorgestellt wurde. Das erste Ausprobieren erfordert Mut, da das Resultat nicht vorhersehbar ist und auch die handwerklichen Schritte erst einmal eingeübt werden müssen. Durch die von der Vermittlung im Vorfeld geschaffene, entspannte Atmosphäre überwog dann aber die große Experimen- tierfreude die anfängliche Schüchternheit. 12
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Ausblick und Dank Der Erfolg aller drei Projektteile erfüllt uns mit Stolz. spannende Aspekte, die von unseren jungen Besu- Die Besucherresonanz war insgesamt groß und sehr chern und Besucherinnen begeistert aufgenommen positiv. Das von uns gesetzte Ziel, Partizipation durch wurden. Am Ende des Workshops gaben ausnahmslos Kunst und die Teilhabe an kulturellen Projekten zu för- alle Kinder an, dass sie gerne wieder in die Opelvil- dern, konnten wir voll und ganz erfüllen. Rückblickend len kommen möchten. Das zeigte sich insbesondere würden wir immer wieder ein für alle offenes Fest als am letzten Veranstaltungstag, einem Freitag, der für Startpunkt eines großangelegten Vermittlungspro- Muslime als Ruhetag gilt und damit zum teilnehmer- gramms wählen. In der Tat zeigte sich, dass auch Erst- schwächsten Tag des Programms wurde. Viele Mütter besucher beim Sommerfest auf unser Projekt aufmerk- hatten an diesem Tag eine andere Betreuungsmöglich- sam wurden. Eine Mutter gab die Rückmeldung, dass keit gefunden oder blieben zum Ruhetag selbst zuhau- Angebote in dieser Form leider nicht häufig stattfinden se. Trotzdem kamen einige Kinder, die sich zuvor schon und man sie deshalb umso mehr nutzen müsse. abgemeldet hatten, auch am Freitag wieder. Auch die Eltern der teilnehmenden Kinder unseres Sommerfe- Für das Sommerferienprogramm haben wir eigens ein rienprogramms lobten diese Möglichkeit voller Dank- Vermittlungskonzept entwickelt, das Punkte der ästhe- barkeit. Uns erreichte die Rückmeldung vieler Mütter, tischen Forschung aufgreift, aber auch die Bedürfnisse dass sie die Kinder auch gerne drei Wochen lang in den der Kinder nach Kreativität und Bewegung ausreichend Opelvillen betreuen lassen würden. Die Frage nach abdeckt. Die kindgerechte Beschäftigung mit den Aus- einer längeren Laufzeit macht deutlich, dass weiterer stellungsinhalten von Bethan Huws lieferte zahlreiche, Bedarf besteht. 14
Die gleiche Beobachtung konnten wir auch im Kultur- Es bewies sich einmal mehr, welche Bedeutung »Be- café machen. Kunst sollte hier Anlass zum Gespräch gegnungen durch Kunst« für Besucherinnen haben mit und ohne Worte werden und Frauen ermöglichen, können, die zum ersten Mal ein Ausstellungshaus ihre eigene Kreativität und Stärke zu entdecken und betreten. Respektvoller Umgang mit jungen Frauen aus ihren alltäglichen Handlungsroutinen auszubre- verschiedener Nationen ist eine wichtige Voraus- chen. So intendierten wir, den Teilnehmerinnen kreati- setzung zum Gelingen von kultureller Teilhabe und ve Impulse zu geben und ihnen gleichzeitig Raum zum Partizipation. Nur durch eine enge Kooperation zwi- Experimentieren zu lassen. Den Besucherinnen merkte schen einem Kunsthaus und sozialen Einrichtungen für man den Spaß am eigenen kreativen Schaffen deutlich Menschen mit Migrationshintergrund kann Kulturarbeit an und am Ende gab es bemerkenswerte und ganz un- auf Augenhöhe gelingen. Das Vermittlungsprojekt ist terschiedliche Ergebnisse zu bewundern. Rückblickend zwar abgeschlossen, die Teilnehmerinnen hoffen aber hat sich unsere größte Hoffnung erfüllt, dass viele auf eine Fortsetzung. Unser Ziel ist daher eine feste Besucherinnen mehrere Male kamen. Die Gruppe aus Verankerung von kulturellen Angeboten zur Teilhabe der Nachbargemeinde Raunheim war sogar an allen von Menschen mit Migrationshintergrund, insbeson- vier Terminen anwesend und nahm dafür einen langen dere von Frauen. In diesem Sinn hoffen wir, dass die Weg zu Fuß und mit dem Fahrrad auf sich. Dadurch gute Zusammenarbeit weitergeführt wird und möch- wurde deutlich, wie sehr sie das Kulturcafé als krea- ten nachfolgend allen Ansprechpartnern und Mitwir- tiven Ort wertschätzten. Eine Teilnehmerin erzählte kenden danken, ohne die das Projekt »Begegnungen auch, dass sie sich über das Angebot der Opelvillen durch Kunst« nicht diesen Erfolg mit so reger Teilnah- enorm gefreut habe, da sie sonst keine Zeit zum Malen me erfahren hätte. finde und es bis dahin auch noch nie ausprobieren konnte — bislang habe sie Kunst ausschließlich über den Fernseher mitbekommen. Umso beachtlicher war daher, dass sie aus dem Gedächtnis verschiedene Mo- tive nachmalen konnte, so zum Beispiel eine Bergan- sicht, die bei ihr daheim neben dem Fernseher an der Wand hängt. Beim letzten Termin wurde auf Anregung der Frauen ein Gruppenfoto mit den Vermittlerinnen als schöne Erinnerung gemacht. Das Kulturcafé erfüllte damit genau den ihm zugedachten Zweck, ein Ort zu sein, an dem die Besucherinnen sich gemeinsam kre- ativ verwirklichen können und dabei miteinander ins Gespräch kommen. Die zentralen Kerngedanken des Projekts, einen Dialog und den kreativen Austausch zu fördern, aber auch mehr Selbstverständlichkeit gegen- über verschiedenen Kulturen und Sprachen zu fördern, Wir danken insbesondere Janina Nietzke von der AWO wurden erfüllt. Perspektiven Bildung in Rüsselsheim, und Jens Gro- de, Flüchtlingsbetreuer und kommissarischer Leiter der Einrichtung Runder Tisch Asyl Raunheim sowie Stadtverordnetenvorsteher der Stadt Rüsselsheim, für die erste Kontaktaufnahme zu den Teilnehmern und Teilnehmerinnen. Bei Anette Stock bedanken wir uns für die langjährige Kooperation der Grundschule Innenstadt Rüsselsheim mit den Opelvillen und für das intensive Mitwirken ihrer Schülerinnen und Schüler beim ersten Projektteil. Für ihr großes Engagement, für ihre Konzeption und Durchführung des Projektes »Begegnungen durch Dem Anliegen der Opelvillen, durch das Projekt Kunst« gebührt Judith Goossens aufrichtiger Dank. »Begegnungen durch Kunst« neben dem gängigen Pu- Ferner ist Lisa Pregitzer und Tina Hölzel zu danken für blikum auch Nichtbesucher einzuladen, konnte einmal ihre organisatorische Unterstützung sowie den weite- mehr entsprochen werden. Nicht unerwähnt soll blei- ren Vermittlerinnen Kelly Sue Roßmann, Vanessa Baier, ben, dass es für das Gelingen des Projektes einer regel- Elisabeth Berninger-Rentz, Morgana Fischer, Verena mäßigen und intensiven Kontaktaufnahme zu den Be- Hellmold und Yellah Niehaves, die zum Gelingen aller suchern und Besucherinnen mit Migrationshintergrund Angebote beigetragen haben. Abschließend geht bedurfte. Dabei wurde stetig gegenseitiges Vertrauen unser größter Dank an das Hessische Ministerium für aufgebaut, was bei einigen Gästen zur regelmäßigen Wissenschaft und Kunst für die finanzielle Förderung Teilnahme an den Projekten in den Opelvillen führte. des Projekts. 15
Das Projekt wurde mit Mitteln des Hessischen Ministeriums für Wissenschaft und Kunst gefördert. Herausgeber: Kunst- und Kulturstiftung Opelvillen Rüsselsheim Autorinnen: Judith Goossens und Dr. Beate Kemfert Bildnachweis: © Kunst- und Kulturstiftung Opelvillen Rüsselsheim, Fotos: v. a. Frank Möllenberg Gestaltung: Dreimorgen & Alexander Brade Kunst- und Kulturstiftung Opelvillen Rüsselsheim Ludwig-Dörfler-Allee 9 65428 Rüsselsheim Telefon: 06142 835907 E-Mail: info@opelvillen.de www.opelvillen.de
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