KURSBUCH Erziehungswissenschaft Zentralabitur NRW ab 2017 - Goethe-Gymnasium Ibbenbüren

Die Seite wird erstellt Ida Schäfer
 
WEITER LESEN
KURSBUCH Erziehungswissenschaft Zentralabitur NRW ab 2017 - Goethe-Gymnasium Ibbenbüren
KURSBUCH
Erziehungswissenschaft

Zentralabitur NRW
ab 2017
KURSBUCH Erziehungswissenschaft Zentralabitur NRW ab 2017 - Goethe-Gymnasium Ibbenbüren
KURSBUCH Erziehungswissenschaft Zentralabitur NRW ab 2017 - Goethe-Gymnasium Ibbenbüren
KURSBUCH
Erziehungswissenschaft

                    Georg Bubolz (Hrsg.)

Zentralabitur NRW
ab 2017
KURSBUCH Erziehungswissenschaft Zentralabitur NRW ab 2017 - Goethe-Gymnasium Ibbenbüren
Kursbuch Erziehungswissenschaft
Zentralabitur NRW ab 2017
Georg Bubolz (Hrsg.)

Redaktion: Berthold Frinken
Umschlaggestaltung: Ulrike Kuhr
Umschlagfoto: Georg Bubolz, Erkelenz
Layoutkonzept: Wladimir Perlin, Berlin
Technische Umsetzung: Rainer Moers, Viersen

www.cornelsen.de

Die Links zu externen Webseiten Dritter, die in diesem Lehrwerk angegeben sind,
wurden vor Drucklegung sorgfältig auf ihre Aktualität geprüft. Der Verlag übernimmt keine Gewähr
für die Aktualität und den Inhalt dieser Seiten oder solcher, die mit ihnen verlinkt sind.

1. Auflage, 1. Druck 2015

Alle Drucke dieser Auflage sind inhaltlich unverändert und können im Unterricht
nebeneinander verwendet werden.

© 2015 Cornelsen Schulverlage GmbH, Berlin

Das Werk und seine Teile sind urheberrechtlich geschützt. Jede Nutzung in anderen als den
­gesetzlich zugelassenen Fällen bedarf der vorherigen schriftlichen Einwilligung des Verlages.
 Hinweis zu den §§ 46, 52 a UrhG: Weder das Werk noch seine Teile dürfen ohne eine solche Einwilligung
 eingescannt und in ein Netzwerk eingestellt oder sonst öffentlich zugänglich gemacht werden.
 Dies gilt auch für Intranets von Schulen und sonstigen Bildungseinrichtungen.

Druck: PHOENIX PRINT GmbH
ISBN 978-3-06-065116-0
KURSBUCH Erziehungswissenschaft Zentralabitur NRW ab 2017 - Goethe-Gymnasium Ibbenbüren
Übersicht zu inhaltlichen Schwerpunkten im Fach
­Erziehungswissenschaft im Zentralabitur NRW ab 2017

Inhaltsfelder mit            Konkretisierte             Kursbuch       Kursbuch
inhaltlichen                 inhaltliche Schwerpunkte   Erziehungs­    Erziehungs­
­Schwerpunkten               (GK/LK)                    wissenschaft   wissenschaft
                                                        (Neuausgabe    Zentralabitur NRW
                                                        2014)          ab 2017
Inhaltsfeld 3:               Moralische Entwicklung     S. 265–288
Entwicklung, Sozialisation   am Beispiel des Just-­
und Erziehung:               Community-Konzeptes
Interdependenz von           im Anschluss an
Entwicklung, Sozialisation   L. ­Kohlberg
und Erziehung
                             Sozialisation als Rollen­ S. 290–309
                             lernen (symbolischer
                             Interaktionismus)
                             Entwicklungsaufgaben      S. 380–390
                             des Jugendalters nach
                             K. Hurrelmann
                             Bedeutung des Spiels nach S. 342–362      Neu
                             G. H. Mead und                            Bedeutung des
                             G. E. Schäfer (nur LK)                    Spiels nach George
                                                                       Herbert Mead
                                                                       (nur LK)
Inhaltsfeld 3:                                          S. 190–206
Entwicklung, Sozialisation
und Erziehung:
Erziehung in der Familie
Inhaltsfeld 3:                                          S. 363–371
Entwicklung, Sozialisation
und Erziehung:
Erziehung durch Medien
und Medienerziehung
Inhaltsfeld 3:                                          S. 184–189
Entwicklung, Sozialisation
und Erziehung:
Unterschiedliche Verläufe
von Entwicklung und
Sozialisation

                                             3
KURSBUCH Erziehungswissenschaft Zentralabitur NRW ab 2017 - Goethe-Gymnasium Ibbenbüren
Inhaltsfeld 3:                                          S. 372–379
Entwicklung, Sozialisation                              S. 432–460
und Erziehung:
Pädagogische
Praxisbezüge unter dem
Aspekt von Entwicklung,
Sozialisation und
Erziehung in Kindheit,
Jugend und Erwachsenen-
alter
Inhaltsfeld 4:               Interdependenz von                       Neu
Identität:                   Streben nach                             Interdependenz
Besonderheiten der           Autonomie und sozialer                   von Streben nach
Identitätsentwicklung in     Verantwortlichkeit im                    Autonomie und
Kindheit, Jugend und         Modell der produktiven                   sozialer Verant-
Erwachsenenalter sowie       Realitätsverarbeitung                    wortlichkeit im
deren pädagogische                                                    Modell der pro-
Förderung                                                             duktiven Realitäts-
                                                                      verarbeitung
Inhaltsfeld 4:               Unzureichende Identitäts- S. 225–244     Neu
Identität:                   entwicklung am Beispiel     S. 416–431   Identitätsdiffusion
Anthropologische Grund-      von deviantem Verhalten                  in sozialen Netz-
annahmen zur Identität       und der Gefahr von                       werken (Web 2.0;
und ihre Auswirkungen        Identitätsdiffusion auch in              Web 3.0; …)?
auf pädagogisches Denken     sozialen Netzwerken
und Handeln                  (Web 2.0; Web 3.0; …)

Inhaltsfeld 4:               Möglichkeiten und Gren-    S. 310–323    Neu
Identität:                   zen persönlicher Lebens-                 Möglichkeiten
Identität und Bildung        gestaltung mit Blick auf                 und Grenzen
                             Bildung und Beruf (nur                   persönlicher
                             LK)                                      Lebensgestaltung
                                                                      mit Blick auf
                                                                      Bildung und Beruf
                                                                      (nur LK)
Inhaltsfeld 5:                                          S. 463–499
Werte, Normen und Ziele
in Erziehung
und Bildung:
Historische und kulturelle
Bedingtheit von Erzie-
hungs- und Bildungspro-
zessen

                                             4
KURSBUCH Erziehungswissenschaft Zentralabitur NRW ab 2017 - Goethe-Gymnasium Ibbenbüren
Inhaltsfeld 5:               Erziehungsziele und         S. 569–571    Neu
Werte, Normen und Ziele      -praxis in beiden                         Erziehungsziele
in Erziehung und Bildung:    ­deutschen Staaten von                    und -praxis in
Erziehung in verschiede-      1949–1989                                beiden deutschen
nen historischen und                                                   Staaten von
gesellschaftlichen                                                     ­1949–1989
­Kontexten
                             Montessoripädagogik als     S. 327–341
                             ein reformpädagogisches
                             Konzept
Inhaltsfeld 5:                                           S. 580–607
Werte, Normen und Ziele
in Erziehung und Bildung:
Interkulturelle Bildung
Inhaltsfeld 6:             Funktionen von Schule         S. 609–617    Neu
Pädagogische Professiona- nach H. Fend                                 Funktionen von
lisierung in verschiedenen                                             Schule nach
Institutionen:                                                         Helmut Fend
Institutionalisierung von
Erziehung

                             Einbindung in Institutio-   S. 618–620
                             nen am Beispiel von
                             Vorschuleinrichtungen
Inhaltsfeld 6:                                           S. 621–622
Pädagogische Professiona-
lisierung in verschiedenen
Institutionen:
Vielfalt und Wandelbar-
keit pädagogischer
Berufsfelder

Erklärung:
Rot gekennzeichnete Schwerpunkte gelten für GK und LK,
blau gekennzeichnete Schwerpunkte gelten nur für LK.
Zur weiteren methodischen und inhaltlichen Vorbereitung der Abiturprüfung wird auf das
­KURSBUCH Erziehungswissenschaft (Neuausgabe 2014), S. 630–687 und S. 688–715 verwiesen.

                                              5
KURSBUCH Erziehungswissenschaft Zentralabitur NRW ab 2017 - Goethe-Gymnasium Ibbenbüren
Inhaltsverzeichnis

       1. Bedeutung des Spiels nach George Herbert Mead (nur LK) .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  . 8
     1.1 Hinführung: Erich Kästner, Pädagogik spaßeshalber
         (Ein altes Kinderspiel, renoviert) .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  . 9
    1.2 Grundzüge der Theorie George Herbert Meads  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  . 10
    1.3 Der Mensch und seine Rollen im Alltag – Spiel als Paradigma in den
        Geistes- und Sozialwissenschaften  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  . 13

      2. Interdependenz von Streben nach Autonomie und sozialer Verantwortlichkeit im
         Modell der produktiven Realitätsverarbeitung .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  . 18
    2.1 Hinführung: Jorge Bucay, Der angekettete Elefant – Eine pädagogische Parabel .  .  .  .  .  .  .  .  . 19
    2.2 Das Modell der produktiven Realitätsverarbeitung nach Klaus Hurrelmann .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  . 20
    2.3 Die Interdependenz von Streben nach Autonomie und sozialer Verantwortlichkeit  .  .  .  .  .  . 21
  2.3.1 Die Ablösung von den Eltern .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  . 21
  2.3.2 Zwischen Freisetzung und Selbstverantwortung .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  . 23

      3. Identitätsdiffusion in sozialen Netzwerken (Web 2.0; Web 3.0; …)? .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  . 26
    3.1 Hinführung: Die „Ware Freund“ und „wahre Freunde “ im Social Web .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  . 27
    3.2 Konkurrierende Positionen zu möglicher Identitätsdiffusion in sozialen Netzwerken
        (Web 2.0; Web 3.0; …)?  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  . 30
  3.2.1 Chancen der Identitätsbildung  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  . 30
  3.2.2 Risiken von Identitätsdiffusion .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  . 33
  3.2.3 Zur pädagogischen Relevanz .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  . 35
  3.2.4 Faszination Social Web: (Un)sichtbare Gefahr oder Gewinn für die soziale Interaktion
        zwischen Jugendlichen? – Interdisziplinäre Überlegungen. Thesen zur Diskussion und
        Auseinandersetzung (Verena Herber)  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  . 36

      4. Möglichkeiten und Grenzen persönlicher Lebensgestaltung mit
         Blick auf Bildung und Beruf (nur LK)  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  . 38
    4.1 Hinführung: Jorge Bucay, In Kürze .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  . 39
    4.2 Identität im Hinblick auf Bildung, Arbeit und Beruf .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  . 39
    4.3 Identität und Bildung – Perspektiven aus der Geschichte  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  . 42

                                                                                              6
KURSBUCH Erziehungswissenschaft Zentralabitur NRW ab 2017 - Goethe-Gymnasium Ibbenbüren
5. Erziehungsziele und -praxis in beiden deutschen Staaten von 1949–1989 .  .  .  .  .  .  .  .  .  . 46
  5.1 Hinführung: Christa Wolf, Der geteilte Himmel – Aus einer Erzählung .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  . 47
 5.2 Erziehungsziele und Erziehungspraxis in der
     Bundesrepublik Deutschland (1949–1989) .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  . 48
5.2.1 Politische Vorgaben: Grundgesetz und Verfassung für NRW  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  . 48
5.2.2 Die politischen Parteien zu Fragen der Erziehung in der Familie um 1979 .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  . 50
5.2.3 Entwicklungslinien: Erziehung und Bildung in der BRD .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  . 52
 5.3 Erziehungsziele und Erziehungspraxis in der DDR .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  . 54
5.3.1 Politische Vorgaben: Das Familiengesetzbuch der
      Deutschen Demokratischen Republik – ein Beispiel  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  . 54
5.3.2 Statt Parteienpluralität: Vorrang der Sozialistischen Einheitspartei
      Deutschlands (SED) .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  . 57
5.3.3 Entwicklungslinien: Erziehung und Bildung in der DDR .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  . 63
 5.4 Zum Systemvergleich .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  . 64
5.4.1 Ludwig Liegle, Erziehung zur Anpassung?  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  . 64
5.4.2 Bildungssysteme im Kontext unterschiedlicher politischer Rahmenbedingungen .  .  .  .  .  .  .  .  .  . 66

    6. Funktionen von Schule nach Helmut Fend  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  . 68
  6.1 Hinführung: Daniel Pennac, Schulkummer .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  . 69
 6.2 Gesellschaftliche und individuelle Funktionen des Bildungswesens in der Moderne .  .  .  .  . 70
 6.3 Leitideen zur Gestaltung funktionaler Beziehungen zwischen
     Schulsystem und Gesellschaft  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  . 73

    7. Glossar .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  . 76

                                                                                                       7
KURSBUCH Erziehungswissenschaft Zentralabitur NRW ab 2017 - Goethe-Gymnasium Ibbenbüren
1. Bedeutung des Spiels nach
              George Herbert Mead (nur LK)

(Foto: Georg Bubolz, Erkelenz)

„Spiel ist nicht Spielerei, es hat hohen Ernst
            und tiefe Bedeutung.“
                                 Friedrich Fröbel

                                       8
1.1       Hinführung: Erich Kästner, Pädagogik spaßeshalber
               (Ein altes Kinderspiel, renoviert)

     Erich Kästner, 1899 in Dresden geboren, hat seine      Schriftsteller. Von 1933 an wurden verschiedene
     ersten Gedichte bereits in der Schülerzeitung des      seiner Arbeiten durch die Nationalsozialisten
     Gymnasiums veröffentlicht. 1918 absolvierte er         verboten. Er wurde wiederholt verhaftet, aber
     das Strehlener Lehrerseminar. Er studierte weiter      immer wieder freigelassen. Trotz späterem
     in Leipzig – später auch in Rostock und Berlin –       völligem Schreibverbot emigrierte er nicht. 1974
     die Fächer Germanistik, Geschichte, Philosophie        starb Erich Kästner im Alter von 75 Jahren in
     und Theatergeschichte und arbeitete als freier         München.

     Das größte Kind muss an die Tafel schreiben.
     Und dauernd ernst sein. Und den Lehrer machen.
     Die andern Kinder dürfen Kinder bleiben.
     Und sollen nur, wenn er’s verbietet, lachen.

5    Dann gibt das große Kind zunächst den Kleinen
     ein schwieriges Diktat. Mit Das und Dass.
     Die Mädchen müssen, wenn sie können, weinen.
     Sonst machen sie die Hefte anders nass.

     Dann folgt ein Ausflug. Über Perserbrücken.
10   Rund um den Tisch. Mit Rucksack und Gesang.
     Und in den Vasen kann man Blumen pflücken.
     Und wandert dreißigmal die Wand entlang.

   Die Teppiche sind selbstverständlich Wiesen.
   Hier wird gefrühstückt; und hier ruht man aus,
15 indes im Bad die Wasserfälle fließen.
   Dann wandert man, rund um den Tisch, nach Haus.

   Am schönsten ist natürlich das Examen.
   Da hat der Lehrer einen Gehrock an
   und fragt nach Wilhelm Tell und Städtenamen.
20 Und ob der Artur wohl den Handstand kann.

     Dann gibt’s Zensuren. Karl und Gustav schwitzen.
     Doch Gustav blieb in diesem Jahr verschont.
     Nur Karl der Faule bleibt schon wieder sitzen.
     Und sagt ganz laut: „Das bin ich nun gewohnt.“

25   Und dann sind Ferien. Und alle lachen.                            1 Interpretieren Sie das Gedicht u. a.
     Das große Kind zieht flugs den Gehrock aus                          unter der Fragestellung, wie bestimm-
     und hängt ihn in den Schrank, zu Vaters Sachen.                     te Rollen gelernt und Positionen,
     Denn: Vater kommt um diese Zeit nach Haus.                          Einstellungen und Verhaltenserwar-
     (Erich Kästner, Gesammelte Schriften für Erwachsene, Band           tungen erworben werden.
     1: Gedichte, Droemer Knauer, München/Zürich 1969, S.              2 Erörtern Sie, welche Bedeutung dem
     140; © Atrium Verlag, Zürich 1969)                                  Spiel dabei zukommt.

                                                        9        1. Bedeutung des Spiels nach
                                                                    George Herbert Mead (nur LK)
1.2      Grundzüge der Theorie George Herbert Meads

  Hein Retter, geboren 1937 in Berlin, war bis zu            gen, um innerhalb eines gemeinsamen Sinnho-
  seiner Emeritierung Professor am „Institut für             rizontes der Interaktionspartner dem Gesche-
  allgemeine Pädagogik und technische Bildung“          40   hen neue, überraschende Wendungen zu
  der technischen Universität Braunschweig – Ab-             verleihen.
  teilung Historisch-Systematische Pädagogik. Er             Die Ungewissheit des Ausgangs unseres Han-
  referiert zur Bedeutung des Spiels aus der Sicht           delns und die Einsicht, dass unser Tun auch von
  des symbolischen Interaktionismus nach George              anderen, von uns nicht steuerbaren Einflussgrö-
  Herbert Mead.                                         45   ßen abhängt, verleihen Begriffen wie „Erwar-
                                                             tung“ und „Hoffnung“ überhaupt erst ihren
   Unter sozialem Aspekt ist Spiel ein Vorgang der           besonderen Sinn. So lassen sich Zusammen-
   Interaktion. Das Spiel mit anderen Personen               hang und Differenz zwischen Spiel und Alltags-
   (Spielpartnern) hängt eng mit der Entwicklung             kommunikation auf folgenden Nenner bringen:
   sozialer Grundfertigkeiten zusammen. Was             50   Im Alltag leben wir unser Leben gleichsam
 5 sind solche sozialen Grundfertigkeiten? Im                scheibchenweise in „Fortsetzungen“, d. h. in
   Spiel, insbesondere im Rollenspiel, nehmen die            aneinandergereihten Sinn- bzw. Zeitsegmenten.
   Kinder verschiedene Rollen ein, die nicht streng          Im Spiel setzen wir demgegenüber immer
   festgelegt sind, aber auch nicht völlig frei sind:        wieder neu an. Der Satz „Neues Spiel – neues
   d. h. sie bieten Balancen zwischen Rollenfixie-      55   Glück“, reicht in seiner Bedeutung weit über das
10 rung und Rollengestaltung. Im Spiel lernen                Glücksspiel hinaus und meint: Neue Erwar-
   Kinder,                                                   tung – neuer Konflikt – neue Spannung bis zum
   • Wünsche zu artikulieren (Bedürfnisreprä-                Ende.
      sentation);                                            Das Spiel bietet mannigfache Erfahrungen
   • unterschiedlich-diskrepante Rollenvorstel-         60   sozialen Lernens. In diesem Prozess bildet sich
15    lungen miteinander zu integrieren (Ambi-               allmählich die Identität des Kindes aus, die man
      guitätstoleranz);                                      auch als den Kern der Persönlichkeit bezeich-
   • die Erwartungen anderer mit den eigenen                 nen kann. Von der Theorie des Symbolischen
      Interessen abzuwägen (Empathie, gleichzei-             Interaktionismus (G.H. Mead) wissen wir, dass
      tiger Erwerb von sozialer und personaler          65   die Identität als ein Balanceverhältnis zwischen
20    Identität; erst durch das Kennenlernen des             zwei Momenten zu deuten ist: Das eine Mo-
      anderen gelingt die eigene personale Identi-           ment rekrutiert sich aus den Erwartungen der
      tät);                                                  sozialen Umwelt, die als Verhaltensnormen an
   • Situationen mit anderen gemeinsam zu                    mich herangetragen werden (Verhaltensregeln,
      definieren, d. h. der Situation dieselbe Sinn-    70   „Spielregeln“) und an denen ich, mehr unbe-
25    perspektive zu unterlegen.                             wusst als bewusst, mein Verhalten ausrichte.
   Um im Spiel mitreden zu können bzw. um als                Diese Verhaltenserwartungen sind im Laufe der
   Außenstehender eine Spielhandlung zu verste-              Entwicklung ein Teil meiner selbst geworden.
   hen, muss man die dem Spiel zugrundeliegende              Mead nennt diesen Aspekt der Identität „me“.
   Sprache, die Bedeutung des Geschehens erken-         75   Das zweite Moment, das mit dem „me“ in
30 nen. Der Sinn des Handelns wird durch Regeln              ständiger Wechselwirkung steht, nennt Mead
   konstituiert – aber er ergibt sich nicht aus-             „I“. Es repräsentiert jene Vorstellungen, Bedürf-
   schließlich als das Ergebnis einer deterministi-          nisse, Interessenlagen, die aus dem „Innern“
   schen Regelbefolgung; in der Alltagskommuni-              meiner selbst in mein Bewusstsein gelangen.
   kation würde dies einer extrem starren               80   Das „I“ ist nach Mead sehr viel unbestimmter,
35 Rollenfixierung gleichkommen. Tatsächlich                 weniger festgelegt, als das „me“. Es sichert
   sind Spiel und Alltagskommunikation flexible              Freiheit, Spontaneität, Handlungsinitiative.
   Systeme, die über genügend Kontingenz verfü-              Merke:

                                                   10
– Ein extremes Übergewicht des „me“ führt               den. Was von Eltern und Kindern selbstver-
85  langfristig zu sozialer Abhängigkeit und Erwar-         ständlich als „Spiel“ begriffen wird, ist für den
    tungsängsten:                                       135 Kommunikationsforscher ein hochkomplexer
    Ich richte mich ständig nach den vermeintli-            Vorgang metasprachlicher Verständigung.
    chen Erwartungen anderer und wage nicht,                Rollenspiele sind Systeme mit metakommuni-
    gegenüber anderen meine eigenen Interessen zu kativer Regelstruktur. Das heißt, ich kann mich
 90 formulieren und zu vertreten.                           in der Entschlüsselung dieser Umdeutungsvor-
    – Ein extremes Übergewicht des „I“ bedeutet 140 gänge nur zurechtfinden, wenn ich die Bezie-
    die Missachtung der Erwartung anderer zu-               hung zwischen den Objekten und den zugeord-
    gunsten der eigenen Bedürfnisse, es führt               neten Bedeutungen kenne. Wir sind bei
    langfristig zu Egoismus, Selbstüberschätzung,           Kindern sofort geneigt, eine Handlung wie das
 95 Überheblichkeit.                                        Hintersichherziehen eines Gürtels als Spiel zu
    – Im sozialen Spiel lernt das Kind die richtige 145 identifizieren. Wenn wir aber einen Erwachse-
    Balance zwischen beiden Aspekten: einerseits            nen so sehen (den Gürtel hinter sich herziehend
    sich an Regeln zu halten, andererseits – z. B.          und ihm gut zuredend), dann werden wir ihn
    beim Mogeln des Spielpartners – die eigenen             für verrückt halten, weil in unserer Erwartung
100 Interessen wahrzunehmen; weil das Spiel ein             dieses Tun nicht mit einem rationalen, dem
    System interaktiven Gleichgewichts ist, fördert 150 Erwachsenenstatus angemessenen Verhalten
    es sozial erwünschte Verhaltensweisen wie               übereinstimmt. Wenn wir aber den Mann auf
    Gerechtigkeit, Metakommunikation, Empathie              einer Bühne in derselben Situation sehen,
    (= die Fähigkeit, sich in andere einzufühlen und haben wir wiederum eine Erklärung parat:
105 im eigenen Handeln die Interessen anderer zu            „Aha, er spielt jetzt was, verrückt vielleicht, aber
    berücksichtigen).                                   155 der Sinn ergibt sich vielleicht noch aus dem
    Kinder lernen, wie Mead deutlich machte,                Stück, der Unsinn ist sicher gewollt!“ Dem
    insbesondere durch die Sprache (sprachliche             Handlungsort Theater trauen wir jedenfalls zu,
    Interaktion) und durch Spiel (insbesondere              dass das gezeigte „Verrücktsein“ nur „gespielt“
110 Rollenspiel) ein Verhaltensrepertoire aufzubau-         ist; erst dann halten wir die Person nicht für
    en, das „me“ und „I“ im Zuge der Entwicklung 160 geistesgestört, sondern für normal.
    in ein ausgewogenes Balanceverhältnis bringt.           Dieselbe Handlung kann also in unserem
    Darum ist aber auch für Eltern wichtig, mit             geistigen Entschlüsselungssystem etwas völlig
    ihrem Kind (ihren Kindern) zu spielen. Im Spiel Unterschiedliches bedeuten – die richtige
115 wird zwischen den Spielpartnern immer ein               Bedeutung zu treffen, setzt voraus, übergreifen-
    „mittlerer Abstand“ (Sutton-Smith) hergestellt, 165 de Sinn- und Kommunikationsstrukturen zu
    der das Kind weder der elterlichen Überbe-              kennen. Genau dies aber ist Metakommunikati-
    schützung, noch der sozialen Kälte und Ver-             on, nämlich Kommunikation über die Kommu-
    nachlässigung aussetzt.                                 nikation. Ich muss als außenstehender Beob-
120 Übergang zu einer allgemeinen rollentheoreti-           achter wissen, ob die dem Gürtel gegenüber
    schen Betrachtung des Spiels: Spielsituationen 170 geäußerte Mitteilung, wie etwa „braves Hünd-
    können mit Goffman bestimmt werden „als                 chen!“ so gemeint ist, als ob sie wirklich zu
    soziale Situationen, in denen durch eine ge-            einem Hund gesprochen wird – oder nicht. Für
    meinsame Situationsdefinition ein gegebener             verrückt würde man nur dann jemanden hal-
125 gesellschaftlicher Kontext in eine fiktive Situati-     ten, wenn er wirklich meint, dies sei ein Hund;
    on verwandelt wird“. (Goffman, S. 31)               175 da wir uns von unseren vorgeprägten Rollen
    Rollenspiel setzt voraus, dass ich die Bedeutung        einfach nicht vorstellen können, dass ein Er-
    eines Objektes oder Zeichens durch eine andere          wachsener wenn er so etwas tut, einfach nur
    Bedeutung ersetzen kann: Für das Kind wird              (für sich selbst) spielt wie ein Kind, bleibt uns
130 der hinterhergezogene Gürtel zum Hund an der            kaum etwas übrig, als ihn für verrückt zu hal-
    Leine, die Papierkrone macht es zur Königin, 180 ten.
    aus der Stuhlreihe ist ein Personenzug gewor-

                                                      11     1. Bedeutung des Spiels nach
                                                                George Herbert Mead (nur LK)
Beim Spielen bestimmte symbolische Interaktionen vollziehen …
   (Foto: Georg Bubolz, Erkelenz)

    Es ist kein Zufall, dass die Kommunikationsstö- 205 (dummerweise!), weil er den aggressiv erschei-
    rungen, die bei Schizophrenen auftreten, Thera- nenden Handlungen Ernstcharakter zuspricht
    peuten und Kommunikationsforscher dazu              und die Botschaft „dies ist Spiel!“ nicht wahrge-
    veranlassten, das Spiel als Erklärungsmodell        nommen hat. Tendenzen eines möglichen
185 heranzuziehen, um in die Kommunikations-            Überganges vom „Spiel“ zum „Ernst“ sind für
    struktur schizophrener Patienten einzudringen. 210 Dritte nicht immer sogleich auszumachen, weil
    Einer der führenden Forscher auf diesem             dies von der momentanen Selbstdefinition der
    Gebiet in den 50er und 60er Jahren war Gregory Situation durch die Beteiligten abhängen.
    Bateson. Er meinte, dass wir im Spiel gegenüber     (Aus: Hein Retter, Einführung in die Pädagogik des
190 der Alltagsrealität vor allem die Besonderheit      Spiels. Basistext zur Lehrveranstaltung, Braunschweig,
    vorfinden:                                          Erstdruck 1998/Neuauflage 2003, S. 72–74, erschienen
    (a) dass die im Spiel ausgetauschten Mitteilun-     in: Spielmittel, 9. Jg. 1990, Heft 4, S. 97–103. (leicht
    gen oder Signale im gewissen Sinne unwahr           verändert) © Hein Retter, Institut für Allgemeine
                                                        Pädagogik und Technische Bildung, Abteilung Histo-
    oder nicht [so] gemeint sind; und (b) dass das,
                                                        risch-Systematische Pädagogik, TU BS; in: https://
195 was mit diesen Signalen bezeichnet wird, nicht
                                                        www.tu-braunschweig.de/Medien-DB/hispaed/
    existiert. (Bateson, S. 248).                       spiel98-03.pdf - 1.12.2014)
    Alles was im Spiel getan wird, ordnet sich
    gewissermaßen der Botschaft unter, die da
                                                        1 Arbeiten Sie aus dem Textauszug von Hein
    heißt: „Dies ist Spiel!“ Nur die wechselseitige
                                                            Retter die Grundgedanken Meads zur Be-
200 Akzeptanz dieser Botschaft führt dazu, dass die
                                                            deutung des Spiels für menschliches Zusam-
    jugendlichen Akteure einer Rangelei sich mit
                                                            menleben heraus.
    zusammengebissenen Zähnen knuffen und
                                                        2 Erörtern Sie die pädagogische Relevanz der
    puffen – in einer Art, die den außenstehenden
                                                            Überlegungen.
    Erwachsenen meist sofort eingreifen lassen

                                                      12
1.3      Der Mensch und seine Rollen im Alltag – Spiel als Paradigma in den
            Geistes- und Sozialwissenschaften

  Hein Retter führt weiter aus:                             Der Mensch als Spieler – das lässt sich schließ-
                                                         45 lich im Shakespeareschen Sinne verstehen,
   Bei Shakespeare heißt es bekanntlich:                    insofern er im Alltag verschiedene Rollen zu
   „Die ganze Welt ist eine Bühne,                          spielen hat. Ein Problem besteht darin, dass der
   und alle Männer und Frauen sind nichts als               rollenspielende Mensch sich in Analogie zu
   Spieler.                                                 einem Schauspieler verstehen könnte, der zwar
 5 Sie haben ihre Abgänge und Auftritte                  50 ein ständig ein Repertoire von Rollen ausspielt,
   Und ein Mensch spielt in seinem Leben viele              dessen eigentliche Identität aber letztlich im
   Rollen.“                                                 Verborgenen bleibt – womit wir noch einmal
   Mit einer „Rolle“ kann man in der Tat kaum               auf Shakespeare zurückkommen, denn die
   etwas Besseres tun, als sie zu „spielen“ – was           gerade zitierte Stelle aus „Wie es Euch gefällt“
10 immer damit gemeint sein mag. Als Konse-              55 gehört zu einer Passage, mit der der englische
   quenz bietet sich jedenfalls die Erkenntnis an:          Dramatiker das menschliche Leben in 7 Akten,
   „Wir alle sind Spieler!“ – so könnte man Shakes-         sprich: 7 Lebensaltern beschreibt; am Ende
   peare interpretieren.                                    heißt es nicht ohne Ironie:
   Sind wir wirklich alle Spieler? Zumindest die            „Die letzte Szene, die diese sonderbare und
15 Vielschichtigkeit des Wortes „Spieler“ lässt uns      60 ereignisreiche Geschichte [des menschlichen
   nachfragen. Ein Spieler – damit kann ein Akti-           Lebens] beendet, ist Rückkehr zum Kindisch-
   ver eines Tennis- oder Fußballspiels gemeint             sein und purem Vergessen:
   sein, also jemand, der eine bestimmte Funktion           [der Mensch –] ohne Zähne, ohne Augen, ohne
   in einer realen Spielsituation ausfüllt, die aller-      Geschmack – ohne überhaupt etwas!“
20 dings nur von begrenzter und überschaubarer           65 Auch diese Rolle spielt der Mensch also, er ist in
   Zeitdauer ist.                                           Wahrheit nicht einer der spielt, sondern einer,
   Ein Spieler par excellence kann zweitens ein             der sozusagen „gespielt“ wird, ins Dasein
   Meister seines Faches sein, der sein Handwerk            geworfen, vergänglich in seiner Existenz, in
   in höchster Vollendung ausübt und sein Spiel             seinem Schicksal bestimmt durch Werden und
25 zum ästhetischen Genuss, ja zum Kunstwerk             70 Vergehen – womit wir bei Shakespeare (der ja
   werden lässt. Es gibt „unsterbliche“ Partien – in        für alles gut sein kann!) einen Anklang von
   der Geschichte des Schachs oder des Ten-                 existenzphilosophischer Spielbetrachtung
   nissportes etwa, die das Spiel in seinem Ideal-          vorfinden, wie sie im 20. Jahrhundert von
   bild verkörpern.                                         Martin Heidegger bis Eugen Fink vorfindbar ist.
30 Daraus ersehen wir, dass auch im konkreten            75 „Rolle“ ist bekanntlich ein zentraler Begriff der
   Spiel, im Sportspiel etwa, eine Bedeutungs-              Soziologie und der Sozialpsychologie. Der
   schicht des Allgemeinen steckt, ein überzeitli-          Mensch übernimmt aus der Sichtweise der
   ches Ideal, dem sich das konkreter Geschehen             Sozialwissenschaft Rollen. In dem Bezugsver-
   immer nur nähern, es aber nie voll erreichen             hältnis von Mensch und Rolle müssen wir uns
35 kann – einfach deshalb, weil konkretes Spiel          80 allerdings über eines im Klaren sein: Nur
   immer eine besondere Art von Zeitstrukturie-             Menschen besitzen Realität, d. h. ein Ansichsein
   rung darstellt, die sich erst im überzeitlichen          und ein Fürsichsein, Rollen dagegen sind
   Ideal aufhebt.                                           gedankliche Konstruktionen (hypothetische
   Ein Spieler kann aber ebenso derjenige sein, der         Konstrukte, wie der wissenschaftliche Terminus
40 nur noch spielt, dessen Lebensinhalt gleichsam        85 heißt), mit denen man versucht, eine bestimmte
   zeitüberdauernd ausschließlich das Spiel ist,            Seite des menschlichen Verhaltens zu erklären.
   zumeist das Glücksspiel – wie Dostojewski es in          Soziale Rollen kann man allgemein als „Verhal-
   seinem berühmten Roman geschildert hat.                  tenserwartungen“ definieren. Eine Theorie, die

                                                    13        1. Bedeutung des Spiels nach
                                                                 George Herbert Mead (nur LK)
menschliches Verhalten als ein Bündel von zum         wohnheit des täglichen Umganges schon immer
90  Teil übereinstimmenden, zum Teil wider-               an mir erfahren habe. […]
    sprüchlichen Rollen zu erklären versucht, geht 140 Im Prozess der Interaktion von Menschen sind
    davon aus, dass der Mensch in seinem Alltag           die Verhaltenserwartungen der sozialen Mit-
    nichts anderes tut, als jene Rollen wahrzuneh-        welt nicht so genau mit dem Zentimetermaß
    men (zu spielen), die ihm seine Umwelt vorgibt,       abzumessen, wie man beispielsweise die eigene
 95 d. h. sich in einem Rahmen sozialen Handelns          Bauchweite bestimmen kann; es ist – unter
    zu bewegen, der von den Erwartungen, von den 145 normalen Lebensbedingungen – ein gewisser
    bestehenden Normen und Wertvorstellungen              Verhaltensspielraum für mich vorhanden, den
    der jeweiligen Bezugsgruppe bestimmt ist.             ich allerdings auszuloten habe. Ich bin genötigt,
    Wenn wir an das Erlernen solcher Rollen im            durch meine eigenen Handlungen an den
100 Entwicklungsprozess des jungen Menschen               Reaktionen meiner sozialen Umwelt festzustel-
    denken, so hat sich dafür ein Begriff eingebür- 150 len, bis zu welchen Grenzen ich die Rolle, die
    gert, der den traditionellen Erziehungsbegriff        ich zu spielen habe, selbst ausgestalten kann.
    schon fast verdrängt hat, ihm aber zumindest          Tatsächlich findet sich das, was wir „Selbstbe-
    starke Konkurrenz macht. Das ist der Begriff          stimmung“ oder „Identität“ nennen, weder in
105 Sozialisation, der nichts anderes meint, als den      der bloßen Anpassung an die Rollen, die uns
    lebenslangen Prozess des Erlernens von sozia- 155 zugewiesen werden, noch durch eine Haltung,
    len Rollen.                                           die glaubt, die Erwartung anderer völlig negie-
    Im Erziehungsbegriff von Rousseau und Pesta-          ren zu können. Es handelt sich vielmehr um ein
    lozzi bis zur geisteswissenschaftlichen Pädago-       Balance-Verhältnis zwischen jenem Bewusst-
110 gik im 20. Jahrhundert kommt der Begriff Rolle        seinsanteil, der das Verhalten über gelernte
    sinngemäß überhaupt nicht vor. Erziehung          160 Normen und Erwartungen steuert, und jener
    kann in diesem traditionellen Verständnis             Art von Selbstbewusstsein, das sich relativ
    entweder ein Ergebnis pädagogischer Einwir-           wenig um solche Überlegungen schert und sich
    kungen „von außen“ sein, es kann auch das             einfach durchsetzen will, sei es zur Wahrung
115 Sichselbstentfalten unter Vermeidung direkter         subjektiver Interessen, als Ausdruck trotzigen
    fremdbestimmter Einflüsse bedeuten, immer 165 Widerstandes gegenüber bestehenden Abhän-
    aber liegt dem klassischen Erziehungsbegriff          gigkeiten oder im Zuge von Spontanhandlun-
    die Vorstellung zugrunde, dass es so etwas gibt       gen.
    wie eine objektiv vorhandene, vom einzelnen           Es […] gibt […] genug Alltagssituationen, in
120 Subjekt unabhängige Wirklichkeit, in der sich         denen wir unsere Rollengebundenheit spüren
    solche sozialen Prozesse vollziehen. Wenn man 170 können. Ich will ein Beispiel von mir selbst
    von Rollen spricht, die der Mensch zu spielen         geben. Irgendwann in meiner Kindheit hatte ich
    hat, wird dieses – sagen wir naive – Wirklich-        einmal gehört, dass es angeblich eine Briefmar-
    keitsverständnis aufgegeben. Soziale Wirklich-        kensprache geben soll. Ich weiß beim besten
125 keit ist aus der Sicht der Rollentheorie zum          Willen nicht, ob es sie tatsächlich gibt, diese
    überwiegenden Teil das, was wir an Verhaltens- 175 Briefmarkensprache, und was man alles mit der
    erwartungen, an Rollen also, selbst produzie-         Anordnung der Briefmarken auf dem Um-
    ren. Rollenbezogen Interaktionen werden nicht         schlag dem Empfänger vorab signalisieren
    in einer vorgegebenen Wirklichkeit entwickelt,        kann. Ich habe mir im Grunde nur eines ge-
130 sondern sie selbst konstituieren diese Wirklich-      merkt: Wenn man die Briefmarke verkehrt
    keit auf der Grundlage von Verhaltenserwar- 180 herum aufklebt, also das Abbild auf den Kopf
    tungen – die allerdings nicht völlig unkalkulier-     stellt, dann soll das angeblich soviel heißen wie
    bar erscheinen; denn indem sich mein eigenes          „Leck mich am …“, das Götz-Zitat also. Natür-
    Verhalten durch Erwartungen anderer be-               lich habe ich relativ viel Briefpost zu erledigen,
135 stimmt, erwarte ich gleichzeitig bestimmte            da kommt es schon einmal vor, dass ich in aller
    Verhaltensweisen meiner sozialen Umwelt und 185 Hast, fünf Minuten bevor der Briefkasten
    zwar in der Regel jene, die ich durch die Ge-         geleert wird, eine Marke umgekehrt drauf

                                                    14
haue – was in mir, indem ich das erkenne,             war, eine Maus zu sein, begegnet nach seiner
    sogleich einen echten Konflikt auslöst, zumal         Entlassung einer Katze, er reißt aus in panischer
    ich unter Zeitdruck stehe.                            Angst.
190 Darf ich einem bekannten Wissenschaftler, bei         „Warum denn das?“, fragt ihn der Doktor nach
    dem ich mich für die Zusendung eines Beitrages 240 der Wiedereinlieferung, „Sie wissen doch, dass
    für einen von mir herauszugebenden Sammel-            Sie keine Maus sind.“ „Ja, natürlich, weiß ich
    band bedanke – darf ich diesem ehrwürdigen            das – aber ob die Katze das weiß?“
    Ordinarius mittels der umgedrehten Briefmar-          Die beiden kleinen Geschichten – der Irren-
195 ke signalisieren: Meine Anrede, „Hochverehrter        Witz und das Briefmarkenerlebnis – sagen uns,
    Herr Kollege“ soll eigentlich heißen: Du altes 245 dass die Rollen, die wir im Alltag ausüben, über
    A....!? Alles, was in meinem Brief an Dank und        Kommunikationsvorgänge erworben werden,
    Anerkennung steht, müsste dann von ihm so             unsere Kommunikation mit anderen Personen
    aufgenommen werden, als ob ich das genaue             aber wiederum davon abhängt, welche Bedeu-
200 Gegenteil meine – eben verkehrt herum wie             tungen wir den Zeichen und Symbolen geben,
    diese Briefmarke. Das wäre doch völlig unmög- 250 mit denen wir uns verständigen.
    lich! Unfassbar, was er von mir denken würde!         Alltagskommunikation impliziert Verständi-
    „Reg dich nicht auf “, sagt die Stimme des            gung über Rollen; die Signale des nonverbalen
    Unbekümmerten in mir, „woher soll denn der            Verhaltens und der Sprache, mit deren Hilfe wir
205 gute Kollege X die Briefmarkensprache kennen?         kommunizieren, enthalten Botschaften. Die
    Der guckt sowieso nicht auf den Umschlag und 255 Bedeutungen, die wir zwecks Kommunikation
    liest nur den Brief!“                                 in die eigenen „Botschaften“ hineinlegen,
    „Aber vielleicht hat er eine Sekretärin, die den      müssen in gewisser Weise kongruent sein mit
    Umschlag für ihn öffnet, Frauen schauen sich          jenen Bedeutungen, die wir als an uns gerichte-
210 solche Dinge ja sehr genau an, die wird ihm das       te Botschaften entschlüsseln.
    sofort erzählen!“                                 260 Kommunikationsstörungen, Rollenkonflikte
    „Ach Unsinn“, reagiert die Stimme des Unbe-           und Paradoxien entstehen immer dann, wenn
    kümmerten in mir, „das mit der Briefmarken-           diese Kongruenz nicht existiert, z. B. weil das-
    sprache ist doch was für Teenager, das kann           selbe Wort in einem entgegengesetzten Sinne
215 man doch kein Erwachsener ernst nehmen.“              verstanden wird, als sein Inhalt ausdrückt.
    „Ja, das mag ja alles sein“, stöhnt mein Rollen- 265 Wenn meine Partnerin zu mir sagt: „Du bist
    Ich, „aber weiß ich, ob er das weiß?“ – Zu guter      aber heute besonders liebenswürdig zu mir!“,
    Letzt, die Zeit drängt, löse ich die Marke ab, und dann werde ich diesen Satz nur dann als Kom-
    klebe sie „ordnungsgemäß“ richtig herum auf.          pliment entschlüsseln, wenn die Art, in der dies
220 Mein rollenbestimmtes Sicherheitsbedürfnis            gesagt wird, zum Inhalt stimmig ist, also in
    hat gesiegt gegenüber dem unbekümmerten           270 freundlichem Ton. Sowie eine Spur von Bitter-
    Selbst.                                               keit die Stimme färben sollte, weiß ich sofort,
    Nebenbei: Dass jedermann um die Möglichkeit           dass das Gegenteil gemeint ist.
    weiß, das Götz-Zitat durch eine Briefmarke            Eulenspiegel spielt seine Schalksrolle dort am
225 übermitteln zu können, dies aber selbstver-           eindrucksvollsten, wo er die Leute beim Wort
    ständlich meidet, halte ich deshalb für nicht     275 nimmt, indem er den wörtlichen Inhalt der
    ausgeschlossen, weil bei der vielen Post, die in      Aufforderungen der erbosten Bürger ausführt,
    unserem Briefkasten täglich steckt, wohl ab und       nicht aber den gemeinten Sinn. Scherz, Witz
    zu Briefe mit Marken in verschiedenen Kreuz-          und Ironie, aber auch die Drohung sind Äuße-
230 und-quer-Lagen dabei sind (z. B. auf Briefen          rungsformen, durch die unsere Alltagsrollen in
    von Freunden der Kinder), aber eine einzeln       280 Frage gestellt werden. Sie wirken überwiegend
    umkehrt aufgeklebte Marke habe ich noch nicht durch Vertauschung oder Verfremdung von
    erlebt – etwa Sie?                                    Bedeutungen; die „Als-ob-Signale“ die solche
    Die Sache erinnert natürlich an eine bekannte         umfunktionierten Bedeutungen enthalten,
235 Form von Irren-Witzen. Der Irre, der überzeugt

                                                   15     1. Bedeutung des Spiels nach
                                                             George Herbert Mead (nur LK)
werden nach Regeln verstanden, die etwas mit         So amüsant die Geschichte für den Zuhörer
285 dem Spiel gemein haben.                              klingt, lösen können die beiden ihr Problem
    […] Eine Rolle spielen bedeutet: „So tun, als        nicht – weil sie sich ihres unterschiedlichen Dis-
    ob …“, und dieses So-tun-als-ob, das wir im      335 tanzmaßes gar nicht bewusst sind. Nur ein
    Alltag praktizieren, ist ebenso eine Quelle für      Dritter, der zu einem Gespräch über den Kon-
    das Rollenspiel der Kinder. Alltagskommunika-        flikt anregt, also die beiden zur Metakommuni-
290 tion und Spielsituationen zeichnen sich da-          kation führt, könnte hier helfen.
    durch aus, dass im Konfliktfall die Regeln des       Die Therapie schizophrener Patienten besteht
    Handelns neu überdacht werden müssen.            340 nach Bateson in dem Versuch, „die metakom-
    Wenn ein „Neuer“ zu einer Gruppe spielender          munikativen Gewohnheiten des Patienten zu
    Kinder stößt, dann wird zunächst darüber             verändern“. Denn charakteristisch für den
295 gehandelt, ob er überhaupt mitspielen darf, und      Schizophrenen sei die Unfähigkeit zur Meta-
    wenn ja, welche Funktion, welche Rolle er            kommunikation; nur mit Hilfe von metakom-
    übernehmen soll. Gespräche dieser Art wie        345 munikativen Fähigkeiten könnte das ständige
    auch jede Diskussion um eine mögliche Verän-         Produzieren von Verhaltensparadoxien verhin-
    derung der Spielregel sind Metakommunikati-          dern.
300 on. Die meisten Alltagskonflikte, sind kaum          […] Am Ende unserer Spielbetrachtung sind
    anders als mit Hilfe von Metakommunikation           wir erstaunlicherweise beim „Wahn-Sinn“
    lösbar. Aber nicht in allen Fällen besteht dazu 350 angelangt. Machen wir einmal folgendes Expe-
    die Möglichkeit, nämlich dann nicht, wenn die        riment: Ich verbinde jemandem, den ich gut
    Kommunikanden, ohne es zu wissen, sich in            kenne, die Augen, verstopfe seine Ohren, setze
305 einer kommunikativen „Falle“ befinden. Ein           mich mit ihm ins Taxi und fahre zu einem Haus;
    besonders aufschlussreiches Beispiel einer           Wir betreten einen Raum, der eine sog. Einweg-
    kommunikativen „Falle“ beschreibt Watzla-        355 Sichtscheibe besitzt und den Blick frei gibt auf
    wick.                                                einen anderen Raum, in dem eine Gruppe von
    Jeder von uns hält einen gewissen Abstand zu         Menschen um einen Tisch sitzt.
310 einem fremden Gesprächspartner, ohne dass            Der Freund, der jetzt seine Sinnesorgane wieder
    wir uns dessen bewusst sind. Wenn uns aber           gebrauchen kann, soll sagen, was die Gruppe tut
    jemand zu nahe auf den Pelz rückt, wird uns das 360 und was das für eine Gruppe sein könnte. Die
    unangenehm. Bei einem Nordländer ist diese           Gruppe gestikuliert mit Händen und Füßen,
    räumliche Distanz zum Gesprächspartner meist einige lachen plötzlich laut auf; was sie tun, ist
315 größer als bei einem Südländer (also bei Leuten      dem Betrachter jedenfalls unverständlich.
    aus Stockholm wahrscheinlich größer als bei          Dem Freund bleiben eigentlich nur 2 Möglich-
    Neapolitanern). Wenn sich aber nun ein Nord- 365 keiten zu antworten: Entweder er sagt, „die
    länder und ein Südländer erstmals begegnen           kommen mir verrückt vor, vielleicht sind wir
    und miteinander ins Gespräch kommen, wäre            hier in der Psychiatrie!“ Oder er sagt, „die
320 der folgende Verhaltenskonflikt denkbar:             verhalten sich so, als ob sie etwas spielen, was
    Der Südländer wird den für ihn als normal            ich aber nicht verstehe, vielleicht sind wir hier
    empfundenen Abstand einnehmen, für den           370 im Jugendzentrum!“
    Nordländer ist dies jedoch zu nah, so dass er
    unbewusst einen Schritt zurücksetzt, um seine        (Aus: Hein Retter, Einführung in die Pädagogik des
325 Distanz wieder herzustellen.                         Spiels. Basistext zur Lehrveranstaltung, Braunschweig,
    Der Südamerikaner hat während des Gesprächs          Erstdruck 1998/Neuauflage 2003, S. 75–82, erschienen
    aber nun das unbestimmte Gefühl, dass etwas          in: Spielmittel, 9. Jg. 1990, Heft 4, S. 97–103. (leicht
    nicht stimmt, unbewusst wird er aufrücken.           verändert) © Hein Retter, Institut für Allgemeine
                                                         Pädagogik und Technische Bildung, Abteilung Histo-
    Das „Spiel“ geht so weit, bis der Nordamerika-
                                                         risch-Systematische Pädagogik, TU BS; in: https://
330 ner schließlich an der Wand steht und vielleicht
                                                         www.tu-braunschweig.de/Medien-DB/hispaed/
    sogar in homosexuelle Panik gerät.                   spiel98-03.pdf - 1.12.2014)

                                                      16
1 Erläutern Sie, inwiefern die Überlegungen         3 Vergleichen Sie die spieltheoretischen Über-
  von Hein Retter die Theorie des Spiels von          legungen Meads mit denen Schäfers (siehe
  George Herbert Mead konkretisieren.                 im „Kursbuch Erziehungswissenschaft“
2 Belegen Sie am Textauszug, inwieweit Hein           S. 342 ff.) und erörtern Sie den jeweiligen
  Retter der Kritik Meads an der herkömmli-           pädagogischen Wert.
  chen Rollentheorie folgt.

                                                                                       Spielecke
                                                                                       (Foto: Georg
                                                                                       Bubolz, Erkelenz)

                                               17    1. Bedeutung des Spiels nach
                                                        George Herbert Mead (nur LK)
2. Interdependenz von Streben nach Autonomie
             und sozialer Verantwortlichkeit im Modell der
             produktiven Realitätsverarbeitung

(Foto: Georg Bubolz, Erkelenz)

       „Man muss sich die Freiheit nehmen.
         Sie wird einem nicht gegeben.“
                                 Meret Oppenheim

                                      18
2.1       Hinführung: Jorge Bucay, Der angekettete Elefant –
             Eine ­pädagogische Parabel

  Jorge Bucay, 1949 in Buenos Aires geboren, ist             Als Sechs- oder Siebenjähriger vertraute ich
  Autor, Psychiater und Gestalttherapeut.                 40 noch auf die Weisheit der Erwachsenen. Also
  Vor ­allem seine Geschichten zu einem humanen              fragte ich einen Lehrer, einen Vater oder Onkel
  Zusammenleben haben ihn bekannt gemacht. –                 nach dem Rätsel des Elefanten. Einer von ihnen
  Im folgenden Text geht es um ein therapeutisches           erklärte mir, der Elefant mache sich nicht aus
  Gespräch mit seinem Klienten Demian.                       dem Staub, weil er dressiert sei.
                                                          45 Meine nächste Frage lag auf der Hand: „Und
   „Ich kann nicht“, sagte ich. „Ich kann es einfach         wenn er dressiert ist, warum muss er dann noch
   nicht.“                                                   angekettet werden?“
   „Bist du sicher?“, fragte er mich.                        Ich erinnere mich nicht, je eine schlüssige
   „Ja, nichts täte ich lieber, als mich vor sie hinzu­      Antwort darauf bekommen zu haben. Mit der
 5 stellen und ihr zu sagen, was ich fühle … Aber         50 Zeit erinnerte ich mich nur dann wieder daran,
   ich weiß, dass ich es nicht kann.“                        wenn ich auf andere Menschen traf, die sich
   Der Dicke setzte sich im Schneidersitz in einen           dieselbe Frage irgendwann auch schon einmal
   dieser fürchterlichen blauen Polstersessel in             gestellt hatten.
   seinem Sprechzimmer. Er lächelte, sah mir in              Vor einigen Jahren fand ich heraus, dass zu
10 die Augen, senkte die Stimme wie immer, wenn           55 meinem Glück doch schon jemand weise genug
   er wollte, dass man ihm aufmerksam zuhörte,               gewesen war, die Antwort auf die Frage zu
   und sagte:                                                finden:
   „Komm, ich erzähl dir eine Geschichte.“                   Der Zirkuselefant flieht nicht, weil er schon seit
   Und ohne ein Zeichen meiner Zustimmung                    frühester Kindheit an einen solchen Pflock
15 abzuwarten, begann er zu erzählen.                     60 gekettet ist.
   Als ich ein kleiner Junge war, war ich vollkom­           Ich schloss die Augen und stellte mir den wehr­
   men vom Zirkus fasziniert, und am meisten                 losen neugeborenen Elefanten am Pflock vor.
   gefielen mir die Tiere. Vor allem der Elefant             Ich war mir sicher, dass er in diesem Moment
   hatte es mir angetan. Wie ich später erfuhr,              schubst, zieht und schwitzt und sich zu befreien
20 ist er das Lieblingstier vieler Kinder. Während        65 versucht. Und trotz aller Anstrengung gelingt es
   der Zirkusvorstellung stellte das riesige Tier            ihm nicht, weil dieser Pflock zu fest in der Erde
   sein ungeheures Gewicht, seine eindrucks­                 steckt.
   volle Größe und seine Kraft zur Schau. Nach               Ich stellte mir vor, dass er erschöpft einschläft
   der Vorstellung aber und auch in der Zeit bis             und es am nächsten Tag gleich wieder probiert,
25 kurz vor seinem Auftritt blieb der Elefant             70 und am nächsten Tag wieder, und am nächs­
   immer am Fuß an einen kleinen Pflock ange­                ten … Bis eines Tages, eines für seine Zukunft
   kettet.                                                   verhängnisvollen Tages, das Tier seine Ohn­
   Der Pflock war allerdings nichts weiter als ein           macht akzeptiert und sich in sein Schicksal fügt.
   winziges Stück Holz, das kaum ein paar Zenti­             Dieser riesige, mächtige Elefant, den wir aus
30 meter tief in der Erde steckte. Und obwohl die         75 dem Zirkus kennen, flieht nicht, weil der Ärms­
   Kette mächtig und schwer war, stand für mich              te glaubt, dass er es nicht kann.
   ganz außer Zweifel, dass ein Tier, das die Kraft          Allzu tief hat sich die Erinnerung daran, wie
   hatte, einen Baum mitsamt der Wurzel auszu­               ohnmächtig er sich kurz nach seiner Geburt
   reißen, sich mit Leichtigkeit von einem solchen           gefühlt hat, in sein Gedächtnis eingebrannt.
35 Pflock befreien und fliehen konnte.                    80 Und das Schlimme dabei ist, dass er diese
   Dieses Rätsel beschäftigt mich bis heute. Was             Erinnerung nie wieder ernsthaft hinterfragt hat.
   hält ihn zurück?                                          Nie wieder hat er versucht, seine Kraft auf die
   Warum macht er sich nicht auf und davon?                  Probe zu stellen.

                                                     19        2. Interdependenz von Streben nach Autonomie und sozialer
                                                                  Verantwortlichkeit im Modell der produktiven
                                                                  Realitätsverarbeitung
„So ist es, Demian. Uns allen geht es ein biss­     105 ein Stück heran, setzte sich mir gegenüber auf
85  chen so wie diesem Zirkuselefanten: Wir bewe­           den Boden und sprach weiter:
    gen uns in der Welt, als wären wir an Hunderte          „Genau dasselbe hast auch du erlebt, Demian.
    von Pflöcken gekettet.                                  Dein Leben ist von der Erinnerung an einen
    Wir glauben, einen ganzen Haufen Dinge nicht            Demian geprägt, den es gar nicht mehr gibt und
    zu können, bloß weil wir sie ein einziges Mal,      110 der nicht konnte.
 90 vor sehr langer Zeit, damals, als wir noch klein        Der einzige Weg herauszufinden, ob du etwas
    waren, ausprobiert haben und gescheitert sind.          kannst oder nicht, ist, es auszuprobieren, und
    Wir haben uns genauso verhalten wie der                 zwar mit vollem Einsatz. Aus ganzem Herzen!“
    Elefant, und auch in unser Gedächtnis hat sich            (Aus: Jorge Bucay, Der angekettete Elefant, in: Ders.,
    die Botschaft eingebrannt: Ich kann das nicht,            Komm, ich erzähl dir eine Geschichte, aus dem Spani-
 95 und ich werde es niemals können.                          schen von Stephanie von Harrach, Fischer TaschenBib-
    Mit dieser Botschaft, der Botschaft, dass wir             liothek, Frankfurt/M. 2008, S. 7–11.; © Deutsche
    machtlos sind, sind wir groß geworden, und                Ausgabe: Ammann Verlag & Co., Zürich 2005)
    seitdem haben wir niemals mehr versucht, uns
    von unserem Pflock loszureißen.                           1 Interpretieren Sie die Geschichte.
100 Manchmal, wenn wir die Fußfesseln wieder                  2 Erörtern Sie die „Lehre“ der Geschichte in
    spüren und mit den Ketten klirren, gerät uns                Hinblick auf menschliches Streben nach
    der Pflock in den Blick, und wir denken: Ich                Autonomie.
    kann nicht, und werde es niemals können.“                 3 Beziehen Sie Stellung unter Berücksichti­
    Jorge machte eine lange Pause. Dann rückte er               gung der pädagogischen Perspektive.

     2.2      Das Modell der produktiven Realitätsverarbeitung nach Klaus Hurrelmann

     Klaus Hurrelmann, Jahrgang 1944, war bis zu         15 sourcen, zur Rolle der Sozialisationsinstanzen,
     seiner Emeritierung Professor für Sozial- und          zur Persönlichkeitsentwicklung, Lebenslauf,
     Gesundheitswissenschaft an der Universität             zum Sozialisationseffekt gesellschaftlicher
     Bielefeld. Das Modell der produktiven Realitäts-       Ungleichheit und zu männlichen und weibli­
     verarbeitung bildet den Kern seiner Sozialisati-       chen Dispositionen für die Persönlichkeitsent­
     onstheorie. In einer seiner Thesen erläutert        20 wicklung. [...]
     Hurrelmann die Entwicklung der Ich-Identität           Störungen der Identitätsbildung haben ihren
     als Voraussetzung für autonome Handlungsfä-            Ausgangspunkt in einer mangelnden Überein­
     higkeit und psychische Gesundheit.                     stimmung der personalen und sozialen Kompo­
                                                            nenten der Identität, also den auf Individuation
   Das Modell repräsentiert die über den Einzel­         25 zielenden Bedürfnissen, Motiven und Interes­
   theorien der Sozialisation angesiedelte metathe­         sen auf der einen und den auf Integration
   oretische Vorstellung, dass ein Mensch sich              gerichteten gesellschaftlichen Erwartungen auf
   stets aktiv mit seinen körperlichen und psychi­          der anderen Seite. Stimmen diese nicht überein,
 5 schen Umweltbedingungen auseinandersetzt                 kann es zu Störungen des Selbstvertrauens und
   und dabei seine Persönlichkeitsentwicklung            30 in der Folge zu sozial unangepasstem und
   während des gesamten Lebenslaufs vorantreibt.            gesundheitsschädigendem Verhalten kommen.
   [...] Die Kernaussagen … treffen Feststellungen          Je entscheidungsfähiger und handlungssicherer
   zum Verhältnis von innerer und äußerer Reali­            ein Mensch ist, je mehr Fertigkeiten zur Bewäl­
10 tät, zur Produktion der eigenen Persönlichkeit,          tigung psychischer und sozialer Beziehungs­
   zur Bewältigung der Entwicklungsaufgaben,             35 strukturen und Netzwerke einbezogen und in
   zum Spannungsverhältnis von Individuation                wichtigen gesellschaftlichen Rollenzusammen­
   und Integration, zur Bildung von Ich-Identität,          hängen anerkannt ist, desto besser sind die
   zum Verhältnis personaler und sozialer Res­              Voraussetzungen für die Ich-Identität und

                                                    20
Begriffe an einer Hauswand
                              (Foto: Georg Bubolz, Erkelenz)

     damit für die selbstständige und autonome
40   Handlungsfähigkeit.
     (Aus: Klaus Hurrelmann, Sozialisation. Das Modell
     der produktiven Realitätsverarbeitung, Beltz Verlag,
     Weinheim und Basel 2012, S. 75–76, 62–63)

     1 Erläutern Sie die Grundlagen des Modells
       der produktiven Realitätsverarbeitung nach
       Hurrelmann – auch unter Rückgriff auf S.
       380 ff. im „Kursbuch Erziehungswissen­
       schaft“.
     2 Erörtern Sie die Bedingungen für selbststän­
       dige und autonome Handlungsfähigkeit.
       Arbeiten Sie dabei auch heraus, inwiefern die
       Entwicklung von Verantwortlichkeit mit der
       Genese dieser Handlungsfähigkeit verbun­
       den ist.

     2.3       Die Interdependenz von Streben nach Autonomie und sozialer
               Verantwortlichkeit

     Klaus Hurrelmanns Modell wird in den folgen-                   Die Ablösung erfolgt auf verschiedenen
     den Textauszügen am Beispiel des Jugendalters                  ­Ebenen:
     exemplarisch betrachtet, einer Zeit, in der sich in             • Der psychischen Ebene, indem die Einstel­
     der Regel Jugendliche von den Eltern ablösen, zu            15    lungen und Handlungen nicht mehr vorran­
     Autonomie streben und zunehmend eigene                            gig an den Eltern, sondern an Angehörigen
     Verantwortlichkeit zeigen müssen.                                 der eigenen Generation ausgerichtet werden.
                                                                     • Der emotionalen und intimen (erotischen,
                                                                       sexuellen) Ebene, indem nicht mehr Mutter
     2.3.1 Die Ablösung von den Eltern                           20    und Vater Liebesobjekte sind, sondern selbst
                                                                       gewählte Partnerinnen und Partner.
     Die Eltern-Kind-Beziehung durchläuft im
                                                                     • Der kulturellen Ebene, indem ein persönli­
     Jugendalter eine grundlegende Transformation
                                                                       cher Lebensstil entwickelt wird, der sich von
     von der emotional nahen und schützenden
                                                                       dem der Eltern unterscheidet.
     Haltung der Eltern mit deutlichen Erziehungs­
                                                                 25 • Der räumlichen Ebene, indem der Wohn­
5    akzenten in der Kindheit zur sympathisierend
                                                                       standort aus dem Elternhaus verlagert wird.
     begleitenden und Selbstständigkeit fördernden
                                                                     • Der materiellen Ebene, indem die wirtschaft­
     Haltung. Ablösung, verbunden mit Distanzie­
                                                                       liche Selbstständigkeit erreicht und damit die
     rung und Eigenständigkeit, ist Voraussetzung
                                                                       finanzielle Abhängigkeit vom Elternhaus
     für die Weiterentwicklung der Persönlichkeit in
                                                                 30    beendet wird.
10   der Adoleszenzphase (Larson, Wilson, Brown,
     Furstenberg und Verma 2002).

                                                            21      2. Interdependenz von Streben nach Autonomie und sozialer
                                                                       Verantwortlichkeit im Modell der produktiven
                                                                       Realitätsverarbeitung
Die Bewältigung des vielschichtigen Ablö­                setzen sie auch entsprechend um. […] Die
   sungsprozesses verlangt von beiden Parteien         80   jungen Männer halten es auch anschließend
   einfühlsames Verhalten und gute Kommunika­               deutlich länger im Elternhaus aus als die jungen
   tionsfähigkeiten, wenn es nicht zu Spannungen            Frauen und entwickeln sich häufiger zu „sozia­
35 und Konflikten kommen soll. Da die Eltern mit            len Nesthockern“.
   der räumlichen und finanziellen Versorgung
   einen mächtigen Hebel in der Hand haben,             Zwischen Verbundenheit und Distanzierung
   bleibt ihr Einfluss auf die Lebensgestaltung der     Für die meisten Jugendlichen sind die Her­
                                                       85
   jugendlichen Kinder sehr groß, auch wenn             kunftsfamilien unentbehrliche soziale und
40 diese sich innerlich schon abgelöst haben. Bei       emotionale „Trainingslager“, um die schwieri­
   vielen Jugendlichen ist eine unbefangene Mi­         gen sozialen Kompetenzen einzuüben, die sie
   schung aus psychischer Loslösung und pragma­         für die Lebensbewältigung und die Beziehungs­
   tischer sozialer Bindung typisch, und auch die    90 arbeit benötigen. Familien „bieten also nicht
   meisten Eltern haben sich mit der Kombination        nur emotionalen Schutz, sondern wichtige
45 aus Zuwendung und Ablösung gut arrangiert            Lernmöglichkeiten. Gleichzeitig schaffen sie
   (Fend 2005, S. 300; Flammer und Alsaker 2002,        einen Raum, in dem die Individuation des
   S. 179).                                             Menschen voranschreitet, in dem die Balance
                                                     95 von Unabhängigkeit und Verbundenheit einge­
   Abfolge der Ablösungsschritte                        übt werden kann“ (Fend 2005, S. 303). Das
   Auf den verschiedenen Ebenen findet der              Hin- und Herschwanken zwischen enger
50 Ablösungsprozess zu unterschiedlichen Zeit­          Verbundenheit mit emotionalem Anlehnungs­
   punkten statt (Papastefanou 2006). Dabei treten bedürfnis und Abgrenzung mit selbstgesteuer­
   die einzelnen Ablösungsereignisse in der Regel 100 ter Eigenständigkeit und demonstrativer Dis­
   in einer bestimmten Abfolge auf. Die psychi­         tanzierung ist dabei für beide Seiten – sowohl
   sche Ablösung erfolgt heute meist als erste,         für die Eltern als auch für die Jugendlichen –
55 teilweise schon um das 11. und 12. Lebensjahr        charakteristisch (Amett 2010, S. 176; Silbereisen
   herum. Sie hat sich wegen der früher einsetzen­      und Kracke 1999).
   den Pubertät im Lebenslauf weiter vorverlagert. 105 Die flexible Synchronisierung von unterschied­
   Auch auf der emotionalen und kulturellen             lichen Erwartungen, Einstellungen und Lebens­
   Ebene werden Jugendliche heute früh selbst­          auffassungen, die ständige Neueinstellung der
60 ständig. Die materielle Ablösung hingegen hat        Balance zwischen emotionaler Nähe und sozia­
   sich eher zurückverlagert und kann heute – bei       ler Eigenständigkeit gibt den Jugendlichen das
   Jugendlichen, die eine Hochschulausbildung 110 psychische Rüstzeug, um auch außerhalb der
   durchlaufen – bis an das Ende des dritten            Familie kompetent zu handeln. An die Kombi­
   Lebensjahrzehnts rücken.                             nations- und Verhandlungsfähigkeit beider
65 Die räumliche Ablösung vom Elternhaus erfolgt        Seiten, von Eltern und jugendlichen Kindern,
   in langsamen Schritten. Ein großer Teil der          werden dabei hohe Ansprüche gestellt.
   Jugendlichen möchte so lange wie möglich den 115 Durch die Ablösungsbemühungen der Jugend­
   Komfort der elterlichen Wohnung („Hotel              lichen können sich Eltern psychisch verletzt
   Mama“) genießen und hat es mit dem Auszug            fühlen. Sie müssen ein geschicktes Konfliktma­
70 nicht eilig. Die Eltern akzeptieren das meist        nagement betreiben, um die grundlegende
   gerne. Diese Situation spiegelt die relativ span­    emotionale Beziehung zu ihrem Kind aufrecht­
   nungsfreie Beziehung der Generationen wider. 120 zuerhalten und zugleich die Ablösungsimpulse
   Andere würden zwar ganz gern ausziehen,              in Verselbstständigungsanforderungen umzu­
   verfügen aber nicht über die finanziellen Mittel     lenken. Eine an Überzeugung und Argumenten
75 (Leven, Quenzel und Hurrelmann 2010, S. 68).         orientierte Erziehung auf der Basis einer guten
   […]                                                  Beziehung ist dabei notwendig, verbunden mit
   Weibliche Jugendliche artikulieren ihre Aus­ 125 großer Sensibilität und Aufmerksamkeit für die
   zugswünsche früher als die männlichen und            seelischen Vorgänge bei den Kindern und die

                                                  22
Sie können auch lesen