Archivrundschau Berliner - Wirtschaftsarchive in Berlin Im Gespräch: Rebecca Hernandez Garcia Marcel Lepper - Berliner Archive

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Archivrundschau Berliner - Wirtschaftsarchive in Berlin Im Gespräch: Rebecca Hernandez Garcia Marcel Lepper - Berliner Archive
Berliner
Archivrundschau                2019
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Wirtschaftsarchive in Berlin
Im Gespräch:
Rebecca Hernandez Garcia
Marcel Lepper
Archivrundschau Berliner - Wirtschaftsarchive in Berlin Im Gespräch: Rebecca Hernandez Garcia Marcel Lepper - Berliner Archive
Archivrundschau Berliner - Wirtschaftsarchive in Berlin Im Gespräch: Rebecca Hernandez Garcia Marcel Lepper - Berliner Archive
Berliner Archivrundschau 2019-1                                                                                            3

                                                                                              Vernichtung des DDR-Gelds aus
                                                                                               dem Halberstädter Stollen 2002
                                                                                 (KfW, Historisches Konzernarchiv, Foto 2058)

                               Editorial

                               W         irtschaftsarchive stehen gewöhnlich nicht im öffentlichen Fokus. Sie sind oft nicht
                                         ohne weiteres zugänglich, da sie in erster Linie für das jeweilige Unternehmen tätig
                               sind, oder sie können als Teil der Unternehmenskommunikation nicht selbständig agieren.
                               Doch sie sind ein bedeutender Teil der Berliner Archivlandschaft. Neben einer großen Fülle
                               an wichtigen Dokumenten bewahren sie auch einmalige Schätze. Was lag also näher, als sie
                               einmal zu einem Themenschwerpunkt zu wählen. Eingeleitet wird dieser durch einen Rück-
                               blick auf die Geschichte des regionalen Erfahrungsaustauschs der VdW, einem der rührigsten
                               und am längsten bestehenden archivischen Arbeitskreise in Berlin. Und der zugleich
                               wesentlich bei der Zusammenstellung der einzelnen Beiträge geholfen hat. Dieser – nicht
                               vollständige – Querschnitt belegt die große Bandbreite der vertretenen Archive.
                                   Der zweite Berliner Landesarchivtag im vergangenen Jahr – zum Thema Umgang mit
                               audiovisuellen Medien im Archiv – fand großen Zuspruch. Ein Rückblick fasst das Wichtigste
                               zusammen. Und schon wirft der nächste Landesarchivtag, der am 21. November 2019 in der
                               BStU stattfinden wird, seinen Schatten voraus.
                                   Noch ein Wort in eigener Sache. Bis eine neue Ausgabe der „Berliner Archivrundschau“ er-
                               scheint, ist eine Menge zu tun: Themen entdecken, Autorinnen und Autoren ansprechen, lekto-
                               rieren ... Wer dabei mithelfen möchte, ist herzlich willkommen und kann sich gern bei der
                               Redaktion melden.
                                                                                                               Torsten Musial

Werbung für die Ausstellung „ Unternehmen
und Region – Wirtschaftsarchive aus Berlin
und Brandenburg stellen sich vor“ 1998
Archivrundschau Berliner - Wirtschaftsarchive in Berlin Im Gespräch: Rebecca Hernandez Garcia Marcel Lepper - Berliner Archive
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              Inhalt

            6 Wirtschaftsarchive in Berlin
            6 Regionaler Erfahrungsaustausch Berlin-Brandenburg der VdW
                Ein Rückblick

            8 Das regionale Wirtschaftsarchiv: Berlin-Brandenburgisches Wirtschafts-
                archiv

           10 Von Sparbüchern und anderen Zeitzeugen
           12 Ziegelsteine und Karbidlampen im Schering Archiv
    1 2|
           18 Was ein Foto erzählen kann – Die Geschichte des BDI-Außenhandels-
                ausschusses im Archiv des Bundesverbandes der Deutschen Industrie e. V.

           21 Mehr als ein runder Geburtstag
           24 Fernsehbestände zur Wirtschaft im Deutschen Rundfunkarchiv
           28 Geschichten aus dem Unternehmensarchiv der Axel Springer SE
                Der Ehering des Grenzgängers
                Der „Bär“ bringt sein Werkzeug zurück
    30|    32 Erzählen Sie doch mal … Das besondere Archivobjekt
           36 Die KfW und ihr Archiv
           39 Die Siemens-Unternehmer: Hinter den Kulissen des Erfolgs
           42 Das Matrjoschka-Prinzip: Wirtschaftsarchive im Stadtarchiv ► im
                Verwaltungsarchiv ► im Staatsarchiv ► im Landesarchiv Berlin

           49 Staub, Keller, Unordnung? Nicht bei uns!
                ein Archiv für die Berliner Wasserbetriebe

           50 Inklusive Geschichte – Ein Workshop im Archiv der
                Fürst Donnersmarck-Stiftung
    50|
           52 Der Nachlass des Sammlers, Forschers und Kustoden Alfred Gottwaldt
Archivrundschau Berliner - Wirtschaftsarchive in Berlin Im Gespräch: Rebecca Hernandez Garcia Marcel Lepper - Berliner Archive
Berliner Archivrundschau 2019-1                                                                               5

                                  54 2. Berliner Landesarchivtag 2018 – Mediale Quellen in
                                     Archiven
                                  58 3. Berliner Landesarchivtag 2019
                                  59 Aus dem Landesverband Berlin im VdA
                                      Mitgliederversammlung und Neuwahl des Vorstands
                 54|                  Berliner Archivstammtisch

                                  60 Aus den Archiven
                                      Heartfield Online – Ein Best-Practice-Beispiel für Bestandspflege und
                                      Online-Präsentation

                                  63 Personen
                                      Marcel Lepper
                                      Rebecca Hernandez Garcia

                                  68 Vorgestellt
                                      Das Kompetenzzentrum Bestandserhaltung für Archive und Bibliotheken
                                      in Berlin und Brandenburg

                                  70 Berichte und Nachrichten
                 60|                  Berliner Archivar im Vorstand der DAGS
                                      Archiv für Roma-Kultur online
                                      Online-Portal zur deutschen Kolonialgeschichte gestartet

                                  71 Tagungen
                                      Film:ReStored_03
                                      8. Tag der Bestandserhaltung 2018

                                  74 Ausstellungen
                                      Front – Stadt – Institut
                                      Pläne, Projekte, Perspektiven. Zur Baugeschichte der Akademie der
                                      Künste der DDR
                                      Gesichter der Arbeit. Fotografien aus Ostberliner Industriebetrieben von
                                      Günter Krawutschke 1971-1986

                 74|              76 Neuerscheinungen
                                  79 Autorinnen und Autoren
                                  79 Impressum
                                  79 Vorschau
Archivrundschau Berliner - Wirtschaftsarchive in Berlin Im Gespräch: Rebecca Hernandez Garcia Marcel Lepper - Berliner Archive
6                                                                                 Berliner Archivrundschau 2019-1

Regionaler Erfahrungsaustausch Berlin-Brandenburg
der VdW – Ein Rückblick

I  n der im Jahr 1957 in Dortmund gegründeten Vereini-
   gung deutscher Wirtschaftsarchivare e. V. (VdW) gibt
es neben den Fachressorts sowie den themen- oder bran-
                                                           reichen Teilnahme an den Sitzungen führte. Die Frage:
                                                           „Was mache ich mit dem Archivgut, wenn ich meine
                                                           Kündigung zum 31. Dezember 1991 erhalte?“ charak-
chenorientierten Arbeitskreisen auch regionale Erfah-      terisierte die Arbeitssituation vieler der Teilnehmenden.
rungsaustausche, die in besonderem Maße vom
Engagement der Mitglieder in den Unternehmens- und
Wirtschaftsarchiven und somit auch von den spezifi-           Regionales Wirtschaftsschriftgut unter der
schen Gegebenheiten in der Region geprägt sind.               Treuhand

                                                           Bereits im Herbst 1990 hatte der Vorsitzende der VdW
    Betriebsarchive in Berlin und Brandenburg              Horst A. Wessel in einem Aufruf auf die Situation der
                                                           Betriebsarchive in der ehemaligen DDR aufmerksam ge-
Die sich nach 1989 grundlegend verändernden Eigen-         macht. Mit Nachdruck forderte er, die Betriebsarchiva-
tumsverhältnisse in der Wirtschaft der DDR wirkten sich    rinnen und -archivare nicht aus ihrer verantwortungsvol-
direkt auf die Arbeit der Betriebsarchivarinnen und -ar-   len Aufgabe zu entlassen, die Archive zu erhalten sowie
chivare aus. War bis dahin das Schriftgut der volkseige-   die Archivbestände aufgelöster Kombinate und stillge-
nen Betriebe (VEB) in der fachlichen Zuständigkeit         legter Betriebe nicht zu vernichten, sondern in regionale
staatlicher Archive, so erhielten im Rahmen der Um-        Wirtschaftsarchive zu überführen.
wandlung der VEB in Aktiengesellschaften bzw. GmbHs            Der Vorstand der Treuhandanstalt traf im November
diese privatisierten Unternehmen die Verfügungsberech-     1991 allerdings die Entscheidung zur Einrichtung von
tigung über die betrieblichen Archivbestände. Die Viel-    Treuhand-Depots anstelle von regionalen Wirtschaftsar-
falt der Herausforderungen durch diese neue Situation      chiven, um der gesetzlichen Pflicht zur Sicherung von
erkennend, trafen sich am 27. Juni 1990 rund 40 Be-        aufbewahrungspflichtigen Geschäftsunterlagen liqui-
triebs- und Unternehmensarchivarinnen und -archivare       dierter Unternehmen nachzukommen. Kontinuierlich
sowie Historikerinnen und Historiker aus dem Ost- und      wurde im Erfahrungsaustausch über die Entwicklung der
Westteil Berlins im Kabelwerk Oberspree (KWO). Unter       sogenannten THA-Landesdepots, später DISOS-Archiv-
Leitung von Eveline Pohl, seinerzeit zuständig für das     und Dokumentationszentren, berichtet.
Schriftgut aus dem KWO, berieten sie mit Vertretern des
Landesarchivs Berlin und der stellvertretenden Vorsit-
zenden der VdW Evelyn Kroker über die neue Situation          Der regionale Erfahrungsaustausch unter
für die Betriebsarchive im Ostteil der Stadt. Die dabei       dem Dach der VdW
entstandene Idee, einen regionalen Arbeitskreis für Ber-
lin zu gründen, stieß auch in den Bezirken Potsdam und     Die verbliebenen Unternehmensarchivarinnen und -ar-
Frankfurt auf breite Resonanz. Weitere Treffen folgten     chivare aus dem Ostteil Berlins trafen sich weiterhin und
und am 21. Januar 1991 zählten schließlich 59 Wirt-        diskutierten die Organisation eines dauerhaften Arbeits-
schaftsarchive aus Berlin und Brandenburg zum Teilneh-     kreises. Zeitgleich bestand eine enge Zusammenarbeit
merkreis. Neben dem Interesse an Fachinformationen         mit Renate Schwärzel, die im Auftrag der Gesellschaft
waren es vor allem die aus dem beschleunigten Struktur-    für Unternehmensgeschichte e. V. den Band I der „Deut-
wandel in der Wirtschaft entstandenen gemeinsamen          schen Wirtschaftsarchive“ neu bearbeitete. Mit Redakti-
Probleme der Wirtschaftsarchivarinnen und -archivare       onsschluss am 31. Dezember 1992 konnten noch ins-
aus Brandenburg und dem Ostteil Berlins, die zur zahl-     gesamt 22 Berliner – Ost und West – und Brandenburger
Archivrundschau Berliner - Wirtschaftsarchive in Berlin Im Gespräch: Rebecca Hernandez Garcia Marcel Lepper - Berliner Archive
Berliner Archivrundschau 2019-1                                                                                    7

Wirtschaftsarchive mit ihren Beständen dargestellt wer-        Unternehmen und Region
den. Das waren allerdings schon deutlich weniger Archi-
ve als noch im Januar 1991.                                 Im Rahmen des Herbsttreffens 1995 war die Idee ent-
    Die Bearbeitung des Bandes fand in enger Koopera-       standen, mit einer Ausstellung die Wirtschaftsarchive der
tion mit dem Vorstand der VdW statt, der sich vehement      Region vorzustellen. Anlässlich der VdW-Jahrestagung
für die Belange und Interessen der Wirtschaftsarchiva-      1998 im Berliner Siemens-Bildungszentrum konnte die
rinnen und -archivare in den neuen Bundesländern ein-       Ausstellung „Unternehmen und Region – Wirtschaftsar-
setzte. Und so beschlossen die Arbeitskreismitglieder im    chive aus Berlin und Brandenburg stellen sich vor“ erst-
Frühjahr 1993, sich unter dem Dach der VdW unter Lei-       mals präsentiert werden, bevor sie an zahlreichen
tung von Renate Schwärzel in einem regionalen Erfah-        weiteren Orten, z. B. in der IHK Frankfurt an der Oder,
rungsaustausch Berlin, später Berlin-Brandenburg, zu        der TU Cottbus oder der FH Potsdam gezeigt wurde.
organisieren, der ihnen eine berufliche Interessenvertre-
tung sowie Möglichkeiten der Weiterbildung in Form
von fachspezifischen Vortragsveranstaltungen und Fort-         Berlin-Brandenburgisches Wirtschaftsarchiv
bildungslehrgängen bot.
    Damit begann die Reihe der regelmäßigen eintägigen      Beim Treffen im Herbst 2002 konnte Renate Schwär-
Frühjahrs- und Herbsttreffen, die jeweils in den Räumen     zel über eine gemeinsame Initiative von Arbeitskreis-
eines einladenden Unternehmens stattfanden. Im Mittel-      mitgliedern zur Eintragung eines Fördervereins zur
punkt der Treffen standen sowohl fachspezifische Vor-       Gründung eines Berlin-Brandenburgischen Wirtschafts-
träge zu Schwerpunktthemen wie Aufbewahrungsfristen,        archivs in das Berliner Vereinsregister berichten. Es
Bewertung und Kassation, Fotoarchivierung etc. als auch     waren noch einige Hürden zu nehmen, bis im Herbst
die Besichtigung der einladenden Unternehmensarchive        2009 dann endlich das Berlin-Brandenburgische Wirt-
und Werksrundfahrten.                                       schaftsarchiv offiziell eröffnet werden konnte. Mit des-
    Charakteristisch für diese Jahre war, dass zum einen    sen Gründung erweiterte sich der Teilnehmerkreis
noch immer viele Unternehmensarchive in der Region          durch gemeinsame Einladungen um die Vereinsmit-
von Schließung und Archivarinnen und Archivare von          glieder. Auch die sich stetig verändernde Archivland-
Kündigung bedroht waren und zum anderen zahlreiche          schaft in Berlin bedingte weitere Zu- und Abgänge.
Archive zusammengeführt wurden (z. B. das Archiv des        2014 übergab Renate Schwärzel die Leitung des Ar-
ehemaligen Energiekombinates Berlin und das Bewag-          beitskreises an Thore Grimm vom Schering Archiv der
Archiv). Als Spiegelbild der sich ändernden Wirtschafts-    Bayer AG. Seitdem haben sich die Mitglieder unter an-
strukturen veränderte sich auch der Teilnehmerkreis im      derem mit Fragen der Notfallvorsorge oder dem Aufbau
regionalen Erfahrungsaustausch ständig. Die Anzahl der      eines digitalen Archivs befasst. Ein beständiger Wandel
Unternehmensarchive sank weiter: Im 2003 vom Lan-           in der Wirtschaft und den Unternehmensarchiven in der
desarchiv Berlin aufgelegten Band „Berliner Archive“        Region gibt dem regionalen Erfahrungsaustausch im-
waren nur noch acht Wirtschaftsarchive verzeichnet.         mer wieder neue Impulse.
    In der Zwischenzeit hatte sich der Rhythmus der Ar-                            Renate Schwärzel, Thore Grimm
beitskreistreffen geändert: Anstelle der halbjährlichen
Ganztagsveranstaltungen traf man sich nun viermal jähr-
lich am Nachmittag. Zu den in der Gründungsphase for-       Informationen zum Arbeitskreis im Internet unter:
mulierten Zielen des regionalen Erfahrungsaustausches       www.wirtschaftsarchive.de/arbeitskreise/regionale-
gehörten unter anderem eine Öffentlichkeit für die Be-      arbeitskreise/berlin-brandenburg
lange des Wirtschaftsarchivwesens in Berlin und Bran-       Grundlegende Informationen zur VdW, ihren Ressorts
denburg herzustellen und auf die Schaffung eines            und Arbeitskreisen, dem Wirtschaftsarchivportal „WAP“
regionalen Wirtschaftsarchivs hinzuwirken. Diesen Zie-      und zur Fachzeitschrift „Archiv und Wirtschaft“ im
len näherte sich der Arbeitskreis vor allem auch mit kon-   Internet unter:
kreten Projekten.                                           www.wirtschaftsarchive.de
Archivrundschau Berliner - Wirtschaftsarchive in Berlin Im Gespräch: Rebecca Hernandez Garcia Marcel Lepper - Berliner Archive
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Das regionale Wirtschaftsarchiv:
Berlin-Brandenburgisches Wirtschaftsarchiv (BBWA)

N      eben den Unternehmensarchiven, die heutzutage
       als Dienstleister und Service-Support-Einheit des
eigenen Hauses dienen und als „nice to have“ oftmals
                                                               Da privatwirtschaftliche Unternehmen nicht zur Ar-
                                                           chivierung über die Pflichtaufbewahrungsfrist hinaus
                                                           gezwungen sind, gilt umso mehr: „Kein Blatt kommt
um ihre Akzeptanz ringen, bestehen in zehn Bundeslän-      von allein ins Archiv“3 – Wirtschaftsarchive „sammeln“
dern regionale Wirtschaftsarchive, die in ihren Spren-     im Gegensatz zu staatlichen Archiven. Dies wird ins-
geln als Kollektivarchive fungieren. Sie agieren unter-    besondere dann notwendig, wenn im zuständigen Spren-
nehmens- und branchenübergreifend und bewahren sol-        gel durch Auflösung, Fusion oder Neuorganisation von
che privatwirtschaftlichen historischen Unterlagen, de-    Unternehmen deren Überlieferung „herrenlos“ wird.
ren gesetzliche Aufbewahrungspflicht nach § 257                Neben der Aufgabe als „Rettungsstelle“ steht die
Handelsgesetzbuch, § 147 Abgabenordnung und § 28 f.        Beratung von Unternehmen beim Aufbau und der Pfle-
Sozialgesetzbuch abgelaufen sind. 1                        ge eines Unternehmensarchivs oder die Einrichtung ei-
    Das Dokumentationsprofil der regionalen Wirt-          nes solchen unter dem Dach des Wirtschaftsarchivs.
schaftsarchive erstreckt sich auf Industrie- und Han-      Gerade kleine und mittlere Unternehmen leisten sich
delskammern sowie Handwerkskammern, Innungen,              kein eigenes Archiv, sondern nutzen das regionale
Verbände und Vereine der Wirtschaft, Nachlässe von         Wirtschaftsarchiv als Kollektivarchiv. Diese Bestände
Persönlichkeiten der Wirtschaft sowie Unternehmen.         stehen für die Forschung – und nicht nur die ge-
Die normativen Vorgaben für regionale Wirtschaftsar-       schichtswissenschaftliche – unter Wahrung der Archiv-
chive sind hierbei seit über hundert Jahren ähnlich ge-    gesetze zur Verfügung.
blieben: „Das Archiv verfolgt die Aufgabe, das zur
Erforschung der modernen Wirtschaftsentwicklung […]
geeignete Quellenmaterial auf breiter Grundlage zu            Das Berliner Wirtschaftsarchiv
sammeln, zu ordnen und wissenschaftlicher Erschlie-
ßung zugänglich zu machen. Es handelt sich dabei in        Das Berlin-Brandenburgische Wirtschaftsarchiv (BBWA)
erster Linie um geschäftliche Akten, Urkunden, Pro-        sieht sich als „Gedächtnis der Wirtschaft“ mit der wirt-
spekte, Berichte, Gutachten, Denkschriften, Firmenge-      schaftshistorisch nicht trennbaren Hauptstadtregion
schichten und ähnliches Material, das sich bei             gleich zwei Bundesländern mit eigenen Archivgesetzen,
Wirtschaftsbetrieben […] ansammelt und erfahrungs-         Archivverwaltungen und Landesregierungen und unter-
gemäß trotz seines hohen Wertes […] oft schnell der        schiedlichen Archivtraditionen gegenüber (Stichwort
Vernichtung anheimfällt. “2                                VEB-Überlieferung). Das BBWA ging 2009 aus einer
                                                           Initiative von Berliner Archivarinnen und Archivaren
Ansicht des Archivgebäudes, Foto: BBWA/Berghausen          hervor – ausschließlich privat finanziert von Berliner
                                                           Unternehmen sowie der IHK und der Handwerkskam-
                                                           mer. Es schloss damit eine Lücke der Archivlandschaft,
                                                           die bisher nur in Einzelfällen von Landesarchiv und
                                                           Deutschem Technikmuseum gefüllt worden war. 4 Seit-
                                                           dem ist das BBWA auf mehr als 120 Bestände und
                                                           Sammlungen mit 1.400 lfm. Umfang angewachsen und
                                                           entfaltet neben der archivischen Kernaufgabe eine Fülle
                                                           an Aktivitäten zur Netzwerk- und Öffentlichkeitsarbeit.
                                                           Hierzu gehören Kooperationen mit Schulen, Universi-
                                                           täten, Bildungsträgern, Netzwerken zur Industriekultur
Archivrundschau Berliner - Wirtschaftsarchive in Berlin Im Gespräch: Rebecca Hernandez Garcia Marcel Lepper - Berliner Archive
Berliner Archivrundschau 2019-1                                                                                         9

und anderen Archiven. Die Bestände des Wirtschaftsar-
chivs werden im Laufe des Jahres 2019 in einem Onli-
ne-Findbuch recherchierbar sein. Bemerkenswert sind
das Forschungsarchiv Flick, die Bestände IHK-Mit-
gliedsakten (lückenlos von 1949–1996 für 390.000
West-Berliner Unternehmen), Geyer-Kopierwerke, Eh-
rich & Graetz, Verein Berliner Kaufleute und Industri-
eller, Berliner Stadtgüter und die Sammlungen von
Briefköpfen, Menükarten, Reklame und Fotografien.
    Neben dem Aufbau der Archive der Buchhandlung
Kiepert, des Unimog-Alleinvertreters Hans-Henning
Endres KG und des Bundesverbandes für öffentliche
Dienstleistungen sowie der Beratung der Korsch AG
beim Aufbau des Unternehmensarchivs anlässlich des
100. Jubiläums beherrscht derzeit ein Projekt die Tätig-   Flughafen Tegel 1972
keit der drei BBWA-Mitarbeiter: 2018 hat das BBWA          (Holzmann-Bildarchiv, BBWA U5/3/1972_11_03_04)
das Bildarchiv der Philipp Holzmann AG mit mehr als
300.000 Fotografien übernommen, mit denen die              Deutschen Digitalen Bibliothek in einem vom Land
Bautätigkeit des weltweiten Konzerns von 1896 bis          Berlin finanzierten Digitalisierungsprojekt. 5
2002 dokumentiert wurde. Hierzu zählen historische                                                   Björn Berghausen
Aufnahmen vom Bau der Bagdadbahn, vieler Staudäm-
me, Brücken und Kraftwerke in aller Welt, der Reichs-      1 Wilfried Reininghaus: Das Archivgut der Wirtschaft. In:
autobahn, des Hamburger Elbtunnels, der Avus-Tribü-        Ders., Evelyn Kroker, Renate Köhne-Lindelaub (Hg.):
ne, des Flughafens Tegel und des Ringcenters. In einem     Handbuch für Wirtschaftsarchive. Theorie und Praxis.
Digitalisierungsprojekt werden bis 2020 alle Fotogra-      München 1998, S. 61-98.
fien online sichtbar gemacht. Hierzu kooperiert das        2 Beschreibung der Aufgaben des RWWA 1948. Ulrich
BBWA mit der Werkstatt Faktura gGmbH sowie dem             Soénius: Zukunft im Sinn – Vergangenheit in den Akten. 100
Hauptverband der Deutschen Bauindustrie und der            Jahre Rheinisch-Westfälisches Wirtschaftsarchiv zu Köln.
                                                           Köln 2006, S. 20.
Staatsbibliothek Berlin 1973                               3 Peter Gillies: Kohle – Kumpel – Kultur. Wirtschaftsarchiv
(Holzmann-Bildarchiv, BBWA U5/3/1973_09_05_02)             des Jahres 2002. Laudatio auf Evelyn Kroker: Das Bergbau-
                                                           Archiv, Heidelberg, 6. Mai 2002.
                                                           www.wirtschaftsarchive.de/vdw/archivwesen/preis-der-
                                                           vdw/WirtschaftsarchivdesJahres2002.pdf (1.2.2019).
                                                           4 Etwa durch Ernst Kaeber, Leiter des Stadtarchivs in West-
                                                           Berlin. Vgl. Klaus Dettmer, Björn Berghausen: Auf dem Weg
                                                           zu einem Berliner Wirtschaftsarchiv. In: Archiv und
                                                           Wirtschaft, 42. Jahrgang (2009), Heft 2, S. 59–65, hier S. 61.
                                                           5 Hierzu berichtet der Projektblog über aktuelle
                                                           Entwicklungen: www.holzmann-bildarchiv.de.

                                                           Eichborndamm 167, Haus 42, 13403 Berlin
                                                           Tel.: (030) 41190698, E-Mail: info@bb-wa.de
                                                           Geöffnet: Nur nach Vereinbarung Mo-Fr 9-17 Uhr
                                                           www.bb-wa.de, www.archivspiegel.de
Archivrundschau Berliner - Wirtschaftsarchive in Berlin Im Gespräch: Rebecca Hernandez Garcia Marcel Lepper - Berliner Archive
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Von Sparbüchern und anderen Zeitzeugen

D       as Genossenschaftshistorische Informationszen-
        trum (GIZ) in Berlin sammelt seit 2005 Material,
Informationen und Wissen über deutsche Genossen-
                                                            an. Die Volksbank Wittenberg verweist sie an das GIZ.
                                                            Dort erzählt sie die gesamte Fluchtgeschichte ihrer
                                                            Großeltern Berta und Ernst Klement, die als Angehöri-
schaften. Doch Sammeln, Bewahren und Erforschen             ge der sudetendeutschen Minderheit auf einem Bauern-
sind für die Stiftung, die von den Mitgliedsbeiträgen ei-   hof in Eulau, dem heutigen Jilové in Tschechien lebten.
nes Fördervereins lebt, kein Selbstzweck. Vernetzung        Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs wurden 3 Mil-
und Kommunikation schaffen Öffentlichkeit. Deshalb          lionen Deutsche aus Tschechien vertrieben. Sieglinde
ist es immer wieder wichtig, Geschichte und Dokumen-        H.'s Großeltern machten sich am 28. August 1945 auf
tation transparent zu machen. Projekte müssen mög-          den ungewissen Weg nach Deutschland. Vorher ver-
lichst so gesteuert werden, dass sie verschiedenen          gruben sie Wertsachen, gut verschlossen in einer
Zielen dienen.                                              Milchkanne, im Lehmboden ihrer Scheune. Später fan-
    Ein Beispiel ist die Geschichte von Sieglinde H. aus    den die neuen Besitzer bei Erdarbeiten die Milchkanne
Wittenberg. Sie ist Kundin der örtlichen Volksbank und      mit Sparbüchern, Schmuck, Münzen, Geldscheinen und
will wissen, ob ihre alten Sparbücher noch einen Wert       Briefmarken. Als Sieglinde H. das ehemalige Heim ih-
haben. Nun ist es so, dass Sparbücher zwar als Inhaber-     rer Großeltern besuchte, übergaben ihr die neuen
papiere nie ihren Wert verlieren. Im geschilderten Fall     Hausbewohner die alten Geldscheine und die von Zeit-
stammen die Dokumente aber aus dem Zweiten Welt-            spuren geprägten Sparbücher.
krieg und die Werte sind in Reichsmark eingetragen.             Bei solchen Anfragen mit Zeitzeugen- und Sach-
Nach der Wiedervereinigung hatten die Bewohner der          spendenbezug müssen verschiedene Aspekte berück-
Neuen Bundesländer noch bis zum 1. Januar 1993 Zeit,        sichtigt werden. Zum einen möchte man als Mitarbeiter
ihre Reichsmarkbestände umzutauschen. Die Sparbü-           einer Spitzenorganisation, zumal einer genossenschaft-
cher von Sieglinde H. sind also materiell wertlos. Im       lichen, dem Kunden und Mitglied einer lokalen Genos-
Andenken an ihre Großeltern, die „auf der Flucht alles      senschaft gerecht werden. Man widmet Zeit, hört zu
verloren haben“, bietet sie die Dokumente als Spende        und entwickelt ein Gespür für das Thema. Flucht und
                                                            Vertreibung sind einschneidende emotionale Erfahrun-
Ernst und Berta Klement im Kreise ihrer Familie, vor 1945   gen für die Betroffenen und ihre Familienangehörigen.
                                                                                Da gebietet es der Respekt, dass
                                                                                man zuhört.
                                                                                   Zum andern ist Arbeitszeit aber
                                                                                kostbar, gerade wenn Personal
                                                                                knapp ist. Die Stiftungsträger, der
                                                                                Bundesverband der Deutschen
                                                                                Volksbanken und Raiffeisenbanken
                                                                                (BVR), die DZ BANK und die
                                                                                Akademie deutscher Genossen-
                                                                                schaften sind bedeutende Akteure
                                                                                der deutschen Wirtschaft. Deshalb
                                                                                empfiehlt es sich, genau zu überle-
                                                                                gen, wie man die kulturelle Wert-
                                                                                schöpfungskette optimieren kann.
                                                                                   Im vorliegenden Fall ist die
                                                                                Tragweite der Anfrage anfänglich
Berliner Archivrundschau 2019-1                                                                                 11

gar nicht ersichtlich.
Die Bankkundin bie-
tet zunächst alte Spar-
bücher an, danach be-
richtet sie aber von
einem Erdfund. Das
GIZ hat entschieden,
die gesamten Objekte
zu übernehmen. Für
die sorgfältige Doku-
mentation braucht die
Stiftung nähere An-
gaben der Spenderin.
Es geht eben nicht
nur um Sparbücher
und Geldscheine, die
für sich gesehen be-
reits wertvolle Zeit-
dokumente sind, son-
dern auch um die spe-
zifische Objektge-
schichte des Funds.
    Das Angebot einer Sparbücher und Geldscheine aus dem Erdfund
alten, stark verrosteten
Milchkanne von Manfred Sundag, dem Archivleiter der        die wir auch in einem Beitrag in unserem GIZ-Magazin
Grafschafter Volksbank, kommt zur rechten Zeit. Mit        für die Mitglieder verwenden. Schlussendlich werden
dem landwirtschaftlichen Alltagsobjekt können wir die      alle Objekte in einer Vitrine im Foyer des BVR in Ber-
Geschichte des Erdfunds veranschaulichen. Für die          lin präsentiert.
Verzeichnung der Exponate in unserer Online-Daten-             Das oben skizzierte Beispiel zeigt: Erinnerungskul-
bank GenoFinder brauchen wir ansprechende Bilder,          tur für Selbsthilfeorganisationen ist eine ambitionierte
                                                           Aufgabe. Genossenschaften sind die privatesten Unter-
In einer solchen Milchkanne aus Stahlblech waren die Spar- nehmen, die wir kennen. Denn sie gehören nur ihren
bücher versteckt.                                          Mitgliedern. Das sind in Deutschland ein Viertel der
                                                           Einwohner. Genossenschaftshistorie ist nicht nur die
                                                           Beschreibung der Entwicklung von Organisationen und
                                                           Institutionen. Die exemplarische Darstellung von Ge-
                                                           schichte(n) aus der Mitgliedschaft zeigt die Verwurze-
                                                           lung der genossenschaftlichen Unternehmensform in
                                                           der Breite der Gesellschaft.
                                                                                                      Peter Gleber

                                                             Stiftung GIZ – Genossenschaftshistorisches
                                                             Informationszentrum
                                                             Josef-Orlopp-Straße 32-36, 10365 Berlin
                                                             Tel.: (030) 28501895, E-Mail: p.gleber@bvr.de
                                                             http://www.stiftung-giz.de
12                                                                              Berliner Archivrundschau 2019-1

Ziegelsteine und Karbidlampen im Schering Archiv

    Das Schering Archiv1 der Bayer AG ist bezüglich      nen Objekten vorhanden. Darüber hinaus gibt es im
seiner Bestände und Sammlungen ein ganz typisches        Archiv Werbeartikel, Erinnerungsstücke zu besonderen
Unternehmensarchiv: Den Schwerpunkt bilden Akten-        Ereignissen sowie zahlreiche Präsente, die z. B. Vor-
bestände zentraler Funktionen wie Vorstand, Rechtsab-    standsmitglieder auf Reisen überreicht bekamen. Diese
teilung, Vertrieb, Forschung und Entwicklung etc.        und ähnliche Objekte erhalten erst durch die entspre-
sowie Finanzunterlagen inklusive Geschäftsberichten.     chende Dokumentation des Kontextes eine Bedeutung
Hinzu kommen neben weiteren Aktenbeständen ver-          für das Schering Archiv.
schiedener Provenienzen auch Werbematerialien, Pro-
duktinformationen und andere Veröffentlichungen des
Unternehmens wie z. B. Mitarbeiterzeitungen oder wis-       Der Ziegelstein
senschaftliche Fachjournale, aber auch Pläne von Wer-
ken, Gebäuden und Anlagen sowie Plakate und Fotos.       Ein solches Objekt ist ein Ziegelstein. Dieser Ziegel-
Filme ergänzen die klassische Flachware.                 stein stammt vom ehemaligen Schornstein des alten
    Wie in vielen anderen Unternehmensarchiven gehö-     Kesselhauses auf dem Weddinger Werksgelände der
ren auch dreidimensionale Objekte zu den Beständen       Schering AG. Man könnte zunächst vermuten, dass es
des Schering Archivs. Zentral sind hier die Pharmaprä-   sich um einen archäologischen Fund handelt. Bei ge-
parate, zu denen nicht zuletzt verschiedene Exemplare    nauerer Betrachtung zeigt sich der Ziegelstein in der
der „Pille“ zählen, die immer wieder für temporäre       überlieferten Form weniger als Überrest, sondern deut-
Ausstellungen von Museen angefragt werden. In Berlin     lich als Traditionsquelle: Auf dem Ziegelstein ist eine
ist beispielsweise noch bis Ende Juli eine Originalpa-   Messingplakette angebracht, die uns über seine Bedeu-
ckung als Leihgabe in der Ausstellung „Hochzeitsträu-    tung informiert: „EIN STÜCK SCHERING-GE-
me“ im Museum Europäischer Kulturen in Dahlem zu         SCHICHTE. ... aus dem Schornstein des alten Kessel-
sehen.                                                   hauses im Werk Wedding. Erbaut 1913. Abgerissen No-
    Auch aus anderen Bereichen der Unternehmensge-       vember 1977.“ Für das Schering Archiv ist der Stein
schichte sind verschiedene Arten von produktbezoge-      vor allem auch ein Symbol für die umfangreiche Über-
                                                                               lieferung zur mittlerweile 155-
                                                                               jährigen Baugeschichte des Wer-
                                                                               kes im Wedding.
                                                                                   Ein aus dem August 1864
                                                                               stammender Situationsplan ist das
                                                                               älteste zu diesem Themenzusam-
                                                                               menhang im Archiv überlieferte
                                                                               Dokument. In den darauf folgen-
                                                                               den Jahrzehnten ist das Werksge-
                                                                               lände immer wieder erweitert
                                                                               worden und neue Gebäude sind
                                                                               entstanden, die einerseits jeweils
                                                                               bestimmte Aspekte der Unter-

                                                                              Ein Ziegelstein als Erinnerungsobjekt
                                                                              im Schering Archiv, Foto: © Schering
                                                                              Archiv, Bayer AG
Berliner Archivrundschau 2019-1                                                                                      13

Das älteste Dokument zur Baugeschichte des Weddinger Werks aus dem Jahr 1864, Foto: © Schering Archiv, Bayer AG

nehmenshistorie (Ausweitung des Geschäfts, Bedeu-                 Der Ziegelstein ist aber auch ein Symbol für weitere
tung der Forschung und Entwicklung, Modernisie-                Aspekte der Unternehmensgeschichte: Der Schornstein
rungsschübe im Produktionswesen, Erweiterung der               gehörte zum Kesselhaus, das die zentrale Energiever-
Arbeitsgebiete etc.) und andererseits auch Elemente der        sorgung für das gesamte Werk bereitstellte. In diesem
allgemeinen Architekturgeschichte spiegeln.                    Kesselhaus wurde Kohle verfeuert – also der wichtigste
    Einige Gebäude stehen noch, die meisten sind mehr-         Energieträger der Industrialisierung bis in das 20. Jahr-
fach verändert worden und zahlreiche Gebäude sind              hundert hinein und lange Zeit auch einer wichtigsten
Neubauplanungen oder Kriegszerstörungen zum Opfer              Rohstoffe für die chemische (und auch die pharmazeu-
gefallen. Im Archiv
dokumentieren Fo-
tos, Pläne und um-
fangreiche Aktenbe-
stände die Geschich-
te der Bauten im
Wedding – und auch
in den anderen Wer-
ken des Unterneh-
mens im In- und
Ausland.
Der Schornstein auf dem
Werksgelände im Jahr
1961, Foto: © Schering
Archiv, Bayer AG
14   Berliner Archivrundschau 2019-1
Berliner Archivrundschau 2019-1                                                                                  15

tische) Industrie. Ein Kesselhaus ist häufig ein zentraler
Bestandteil eines Industriebetriebes. Bis in das frühe
20. Jahrhundert galten rauchende Schlote als Zeichen
für ein prosperierendes Unternehmen. Die hochaufra-
genden Schornsteine waren immer auch Landmarken,
so dass ein Abriss oft recht emotional und wehmütig
beschrieben wurde.
    In diesem Zusammenhang ist auch der Ziegelstein
mit der Messingplakette zu verstehen: Hier ging im Be-
wusstsein der Mitarbeiter eine Ära zu Ende. Das alte
Kesselhaus mit seinem durch den Wasserbehälter mar-
kanten Schornstein ist allerdings nicht ersatzlos abge-
rissen worden: Stattdessen ist ein modernes Kraftwerk
entstanden, das bis heute in moderner Kraft-Wärme-
Kälte-Kopplung auf Erdgasbasis verschiedene Energie-
arten für den Standort produziert. Die Mitte der 1970er
Jahre entstandene und stetig an moderne Standards an-
gepasste neue Energiezentrale leitete bei Schering so-
mit tatsächlich eine neue Ära ein: Dem wachsenden
Umweltbewusstsein innerhalb der Gesellschaft und so-
mit auch im Unternehmen folgten entsprechende Maß-
nahmen. Auch diese Veränderungen spiegeln sich im
Archivgut. Umweltschutzthemen wurden insbesondere
in den 1970er und 1980er Jahren nicht nur für die Un-
ternehmenskommunikation sondern vor allem auch für
die Chemiker und Ingenieure bei Schering immer
wichtiger. Somit steht der Ziegelstein aus dem alten         Die Karbidlampe des Schering Archivs,
Schornstein nicht nur als Symbol für die nostalgische        Foto: © Schering Archiv, Bayer AG
Erinnerung an eine vergangene, sondern auch für den
Aufbruch in eine neue Zeit und somit für den steten          cher Hinweis auf einen Bezug zur Geschichte von
Wandel als Voraussetzung für das langfristige Bestehen       Schering fehlt. Solche Karbidlampen sind als Gruben-
eines Unternehmens.                                          lampen im Bergbau üblich gewesen und das Exemplar
                                                             im Sammlungsgut des Schering Archivs ist angeblich –
                                                             ein echter Beleg fehlt – in einer Grube der Concordia
   Die Karbidlampe                                           Bergbau AG in Oberhausen im Ruhrgebiet genutzt
                                                             worden.
Der stete Wandel bringt allerdings oft auch den Ab-              Welchen historischen Wert bei einem industriellen
schied von ganzen Unternehmensbereichen mit sich:            Massenprodukt ohne jede Form individueller Markie-
Für einen solchen steht die Karbidlampe, die tatsäch-        rung ein behaupteter individueller Bezug hat, soll hier
lich lediglich ein Erinnerungsstück ist. Das Objekt ist      keine Rolle spielen. Das Besondere an dem konkreten
eindeutig als industrielles Massenprodukt des polni-         Exemplar der Grubenlampe liegt in der Tatsache be-
schen Unternehmens Faser zu erkennen, während jegli-         gründet, dass sie ihren Weg in das Archiv gefunden hat,
                                                             weil sie als symbolisches Erinnerungsstück auf ein be-
Protokoll einer Aufsichtsratssitzung der Oberschlesischen    endetes Kapitel der Unternehmensgeschichte verweisen
Kokswerke und Chemische Fabriken AG                          sollte. Denn die Schering AG geht ursprünglich auf ein
Foto: © Schering Archiv, Bayer AG                            Berliner Montanunternehmen zurück: Die im Jahr 1890
16                                                                                   Berliner Archivrundschau 2019-1

Aktie der Kokswerke aus dem Jahr 1932, Foto: © Schering Archiv, Bayer AG

gegründete und in Berlin ansässige Oberschlesische             auch das nun durch diesen Bereich dominierte Unter-
Kokswerke und Chemische Fabriken AG hatte ihre                 nehmen diesen Namen tragen. Das Kohle- und Koks-
wirtschaftliche Basis im Bau und Betrieb von Kokerei-          geschäft blieb im Rahmen von Beteiligungen an
en sowie in Beteiligungen an Kohlegruben vor allem             Kohlegruben, Kokereien und Kohlenhandelsunterneh-
im oberschlesischen Revier. In den 1920er Jahren hat           men bestehen. So finden sich im historischen Archiv
diese – auch kurz „Oberkoks“ genannte – Aktiengesell-          der Berliner Schering AG auch etliche Akten zur Ge-
schaft diverse kleine, mittlere und größere Chemieun-          schichte des oberschlesischen Bergbaureviers.
ternehmen erworben.                                                 Mit dem Ende des Zweiten Weltkriegs war aller-
    Zwei davon, nämlich die C.A.F. Kahlbaum Chemi-             dings dieser Geschäftsbereich für Schering weitgehend
sche Fabrik GmbH und die Chemische Fabrik auf Acti-            wertlos geworden, weil die Zechen und angeschlosse-
en (vormals E. Schering), wurden 1927 zur Sche-                nen Betriebe nun in Polen lagen und nicht mehr zum
ring-Kahlbaum AG fusioniert. Nach einer sehr guten             Unternehmen gehörten. Lediglich die ca. 60%-ige Be-
wirtschaftlichen Entwicklung im ersten Jahrzehnt ihres         teiligung an der Concordia Bergbau AG in Oberhausen
Bestehens wurde diese AG 1937 in die Muttergesell-             blieb aus dem Geschäftsfeld Kohle erhalten. Die Con-
schaft Oberkoks vollständig integriert und die Mutter-         cordiazeche ist im Rahmen des Strukturwandels im
gesellschaft änderte ihren Namen in Schering AG.               Ruhrgebiet schon 1967 stillgelegt worden, so dass in
    Die Namensänderung spiegelt die Verschiebung der           diesem Jahr die Kohlegeschichte von Schering beendet
Bedeutung der Geschäftsfelder im Unternehmen: Der              wurde. An dieses abgeschlossene Kapitel soll die im
Name Schering war im Chemie- und Pharmabereich                 Schering Archiv gelagerte Karbidlampe erinnern, deren
mittlerweile weltweit sehr gut etabliert und so sollte         Hersteller, das 1949 gegründete polnische Unterneh-
Berliner Archivrundschau 2019-1                                                                                  17

men Faser, im ober-
schlesischen Kohle-
revier ansässig ist.
Somit kann die Gru-
benlampe auch auf
die oberschlesische
Tradition von Sche-
ring verweisen.
    Die dreidimen-
sionalen Objekte
stellen im Archiv
selbstverständlich
nur eine Ergänzung
zum Schriftgut dar.
In Ausstellungen
oder auf Abbildun-
gen bieten sie aber
vor allem der un-
ternehmensinternen
Öffentlichkeit oft
einen direkteren Zu-
gang als Schrift-
quellen. Die Archi-
vare und Archiva-
rinnen haben dann
die Chance, darauf Moderner Neubau der Verwaltung Anfang der 1950er Jahre, Foto: © Schering Archiv, Bayer AG
zu verweisen, dass
die Objekte nur mehr oder weniger schöne alte Gegen-   1 Zur Geschichte des Schering Archivs und seiner Integration
stände sind, deren Geschichten aber belanglose und zu- in die Bayer AG vgl. Thore Grimm, Michael Pohlenz:
sammenhanglose Anekdoten blieben, wenn es keine        LANXESS – Schering – Bayer. Unternehmenswandel als
ausreichende schriftliche Überlieferung gäbe. Insofern Herausforderung für ein Unternehmensarchiv. In: Archiv und
sind die Sammlungsgegenstände auch ein Mittel im       Wirtschaft 46 (2013), S. 12-20.
Unternehmen, um auf den Wert der Überlieferungsbil-
dung hinzuweisen, eine systematische Aktenabgabe an
das Archiv anzumahnen und somit positiv auf den Ak-
tenzufluss einzuwirken.
    Das Schering Archiv wird als Berliner Außenstelle
des Leverkusener Bayer Archivs von der Abteilung
Corporate History & Archives (CHA) betreut. CHA
versteht sich vor allem als interner Dienstleister für
verschiedene Funktionen im Unternehmen. Die Archive      Bayer Business Services GmbH
stehen aber für wissenschaftliche Recherchen auch ex-    Corporate History & Archives
ternen Nutzern offen.                                    Schering Archives
                                         Thore Grimm     Müllerstr. 178, 13342 Berlin
                                                         E-Mail: thore.grimm@bayer.com
                                                         Recherchetermine nach Vereinbarung
18                                                                                Berliner Archivrundschau 2019-1

Was ein Foto erzählen kann – Die Geschichte des
BDI-Außenhandelsausschusses im Archiv des BDI

I  n einer kleinen, dem Archiv des Bundesverbandes
   der Deutschen Industrie e. V. (BDI) überlassenen
persönlichen Fotosammlung eines schon lange berente-
                                                               Mitglieder dieses Gremiums waren neben den Ver-
                                                           tretern der Eisen- und Metallindustrie auch Vertreter
                                                           weiterer am Export interessierter Verbände, die vor-
ten BDI-Mitarbeiters fand sich das nebenstehende Foto.     wiegend im nordrhein-westfälischen Raum organisiert
Laut der Bildunterschrift zeigt es den Blick ins Audito-   waren. Der Ausschuss sollte dem Zweck dienen,
rium der 1. Sitzung des neu gebildeten BDI-Außenhan-       Sprachrohr und Interessenvertreter der Gesamtindustrie
delsausschusses 1951. In den Archivunterlagen dieser       gegenüber den deutschen und alliierten Verwaltungs-
Jahre wird häufig von der Bildung neuer BDI-Aus-           stellen auf dem Gebiet der Außenwirtschaft zu sein. Er
schüsse berichtet. Hier jedoch irritiert das Datum, da     arbeitete mit der Verwaltung für Wirtschaft der Bizone
bereits im Gründungsbericht des BDI vom Oktober            (VfW), dem Verwaltungsrat und Länderrat, der Bank
1949 auf die erfolgreiche Arbeit eines Außenhandels-       deutscher Länder sowie dem Bipartite Control Office
ausschusses verwiesen wird, der nahtlos seine Arbeit       (BICO) und der Joint Export Import Agency (JEIA)
im BDI fortsetzen sollte.                                  zusammen. Konkret befasste er sich mit Gesetzge-
    Die Auflösung dieses vermeintlichen Widerspruchs       bungsfragen, Zollvereinbarungen, Rechtsprechungen,
führt zurück in die Nachkriegszeit. Vertreter der Wirt-    Ausfuhrverfahren, Patenten, Warenzeichen und Markt-
schaftsverbände hatten sich stark gemacht für Rahmen-      beobachtungen.
bedingungen, die der deutschen Industrie den                   An welchen wirtschafts- und außenwirtschaftspoli-
Anschluss an die Weltwirtschaft ermöglichen sollten.       tischen Tagesthemen der AIV einen besonderen Anteil
    Mit dem Beispiel des 1948 gegründeten Außenhan-        hatte, lässt sich aus der Überlieferung im BDI-Archiv
delsausschusses der industriellen Verbände (AIV) lässt     leider nicht konkret ablesen. Aber in den Tätigkeitsbe-
sich die prinzipielle Bedeutung von Fachausschüssen        richten und Jahresrückblicken 1948/1949 wurde der
für Verbände nachzeichnen. Bis heute sind Ausschüsse       Beitrag des AIV für die wirtschaftspolitische Entwick-
ein wesentliches Instrument für die Verbandsarbeit und     lung regelmäßig als sehr erfolgreich eingeschätzt, was
als existenzielle Verbandsorgane aufs engste mit ihm       man besonders für folgende Themen attestierte: die
verbunden.                                                 Wiederherstellung bzw. Neuordnung der Außenhan-
                                                           delsverflechtungen der deutschen Wirtschaft nach dem
                                                           2. Weltkrieg, die Liberalisierung des Handels (GATT)
     Im Interesse der Außenwirtschaft                      und die Bildung großer wirtschaftlicher, internationaler
                                                           Zusammenschlüsse (OEEC/OECD, EWG, EFTA).
Das wirtschaftspolitische Leben konnte in den westli-          Der AIV verfügte über eine von den Mitgliedern der
chen Besatzungszonen durch die Bildung des Vereinig-       AEM finanzierte Geschäftsführung. Deren Mitarbeiter
ten Wirtschaftsgebietes, der sogenannten Bizone, und       setzten ihre Arbeit nach Gründung des BDI in den für
die Schaffung entsprechender Verwaltungen zu mehr          Außenwirtschaftsfragen zuständigen BDI-Abteilungen
Normalität und Souveränität zurückkehren. Im Februar       fort. Der AIV, der bereits als Interessenvertreter der
1948 gründeten einige Wirtschaftsverbände innerhalb        Gesamtindustrie für außenwirtschaftliche Themen an-
der Bizone einen Branchenverband: die Arbeitsgemein-       getreten war, agierte unter dem Dach des BDI in be-
schaft Eisen und Metall (AEM). Von diesem Kreis war        währter Weise weiter. Erst im Dezember 1951 wurde
die Anregung zur Bildung eines überfachlichen Indus-       der AIV als BDI-Außenhandelsausschuss neu gebildet
trieausschusses für Außenhandels- und Absatzfragen         – das zeigt unser Foto – sowie der Vorsitzende neu ge-
ausgegangen, was zur Gründung des AIV führte.              wählt.
Berliner Archivrundschau 2019-1                                                                                            19

Blick ins Auditorium, 1. Sitzung des neu gebildeten BDI-Außenhandelsausschusses 1951 in Essen, Foto: C. A. Stachelscheid
(BDI-Archiv SF 00494_004_A)

   Ab 1949 unter einem Dach                                       hat der BDI die gemeinsamen Belange der in ihm zu-
                                                                  sammengeschlossenen Industriezweige zu wahren und
Die AEM, auf die die Initiative für die Bildung des AIV           zu fördern und arbeitet mit anderen Spitzenvertretun-
sowie weiterer Fachausschüsse zurückzuführen ist,                 gen der deutschen Wirtschaft zusammen. Durch den
kann als die treibende Kraft für die Gründung eines               BDI werden die Interessen der Industrie auf Bundes-
Dachverbandes der deutschen Industrie angesehen wer-              ebene vertreten. Ausschüsse gehören neben Mitglie-
den. Die zuvor gefundene Organisationsform mit ihren              derversammlung, Vorstand, Präsidium und Geschäfts-
Fachausschüssen war eine ideale Voraussetzung für die             führung zu den Organen des Verbandes.
angestrebte Vereinigung auf Bundesebene. Möglich                      Allen Ausschüssen obliegt die Aufgabe, auf ihrem
wurde dieser letzte Schritt nach der Gründung der Bun-            Fachgebiet Verbandspositionierungen zu erarbeiten. In
desrepublik Deutschland und nachdem die West-Alli-                regelmäßig stattfindenden Ausschusssitzungen wird aus
ierten die Genehmigung von Verbandsgründungen voll-               unterschiedlichen Blickwinkeln der einzelnen Branchen
ständig auf die deutschen Behörden übertragen hatten.             zunächst ein verbandsinterner Austausch gepflegt. Ziel
    So gründeten am 19. Oktober 1949 32 Industrie-                ist es, gegenüber wirtschaftspolitischen Fragestellun-
branchenverbände ihren eigenen Dachverband, den                   gen, die die Unternehmen der Mitgliedsverbände be-
Bundesverband der Deutschen Industrie e. V. (BDI) in              treffen, eine gemeinsame Position abzustecken.
Köln1. Der erste Präsident des BDI war Fritz Berg.                    Diese Ergebnisse werden als BDI-Stellungnahme
Wie für einen eingetragenen Verein erforderlich regelt            oder BDI-Positionierung an die politisch Verantwortli-
die Satzung die Organisation des Verbandes und es                 chen weitergeleitet. Für kurzfristige, aktuelle wirt-
werden dessen Zweck und Aufgabe umrissen. Danach                  schaftspolitische Fragen können Arbeitskreise und ad
20                                                                                  Berliner Archivrundschau 2019-1

hoc-Ausschüsse eingesetzt werden. Ansonsten unterhält      Geschäftsführung eines BDI-Ausschusses steht in Per-
der BDI eine Reihe von ständigen Fachausschüssen,          sonalunion mit der Abteilungsleitung. Im Archiv lassen
von denen einige bereits bei der Gründung des BDI auf      sich die Fachabteilungen entlang vielfacher Änderun-
eine dem Außenhandelsausschuss ähnliche Geschichte         gen der Organisationsstruktur systematisch grob in vier
zurückblickten. Genau wie in den politischen Ressorts      wirtschaftspolitische Themenfelder gliedern: Allge-
des Bundes wird den wirtschaftspolitischen Entwick-        meine Wirtschaftspolitik, Finanzpolitik und Recht, In-
lungen auch beim BDI Rechnung getragen. So werden          dustriestruktur, Industrieentwicklung und -forschung
die Aufgaben der Ausschüsse den neuen Gegebenheiten        sowie Außenwirtschaft. Ergänzt wird die Struktur durch
angepasst, wenn nötig neue Ausschüsse gegründet,           die alle Wirtschaftsbereiche umfassenden Quer-
überholte aufgelöst oder die Aufgaben neu verteilt.        schnittsbereiche Europa, Industrieller Mittelstand und
    Diese Entwicklungsprozesse laufen sehr dynamisch       seit neuestem Digitalisierung.
ab. Schon bei der Überleitung des AIV in den BDI               Das BDI-Archiv steht internen Nutzungen und ex-
nutzte man die Gelegenheit, die große Bandbreite der       ternen Forschungszwecken zur Verfügung. Dennoch
zu bearbeitenden Themen auf zwei Ausschüsse aufzu-         hat es eine Gesamtgeschichte über den BDI bislang
teilen. Es entstand neben dem neuen BDI-Außenhan-          nicht gegeben. Auch Kontinuitäten oder Brüche zum
delsausschuss auch der BDI-Ausschuss für Absatz-           Reichsverband der deutschen Industrie in der Weimarer
förderung, dessen Vorsitzender seine Wurzeln im AIV        Republik oder der Reichsgruppe Industrie während der
hatte. Der heutige BDI-Außenwirtschaftsausschuss           NS-Zeit galten als unerforscht. Der BDI hat jedoch das
steht nach vielfacher Veränderung, Umstrukturierung,       Jubiläum der Gründung des Reichsverbands der Deut-
Umbenennung und Aufgabenneuverteilung sehr wahr-           schen Industrie am 12. April 1919 in Berlin zum Anlass
scheinlich in der Traditionslinie des AIV. Mit letzter     genommen, ein Forschungs- und Publikationsprojekt
Gewissheit ist dies jedoch noch nicht festzustellen, da    anzustoßen. Ziel war es, in einer geschichtswissen-
die Überlieferung der ersten zwanzig Jahre im BDI sehr     schaftlich unabhängigen Studie erstmalig einen Ge-
dünn ist und eine systematische „Genealogie“ aller         samtüberblick der Industrieverbandsgeschichte zu
BDI-Ausschüsse der siebzigjährigen Verbandsgeschich-       erhalten. Nun erscheint zum 100-jährigen Jubiläumstag
te als Aufgabe für das BDI-Archiv noch aussteht.           im Wallstein-Verlag das Buch von den beiden Wirt-
                                                           schaftshistorikern Johannes Bähr und Christopher
                                                           Kopper mit dem Titel „Industrie, Politik, Gesellschaft.
     Bewerten – Bewahren – Forschen                        Der BDI und seine Vorgänger 1919–1990“.
                                                                                             Susanne Witschaß-Beyer
Was lässt sich im BDI-Archiv aus der Arbeit der BDI-
Ausschüsse finden? Wie oben beschrieben, werden in-        1 Zu Daten, Fakten, Organisation und Aufgaben des BDI
dustrierelevante Themen aus Politik und Wirtschaft in      sowie des BDI-Archivs vgl. Susanne Witschaß-Beyer: Das
der Geschäftsstelle und den Verbandsgremien analy-         Archiv des Bundesverbandes der Deutschen Industrie e. V.
siert, diskutiert und ausgewertet. Erst im Ergebnis ent-   (BDI). Aus einer „Sammlung“ erwächst ein lebendes
stehen die für Verbände charakteristischen Dokumen-        Verbandsarchiv. In: Archiv und Wirtschaft 1 (2017), S. 13-23.
tenarten wie Positionspapiere und Stellungnahmen zu
aktuellen wirtschaftspolitischen Themen.
    Für die historische Forschung sind die verbandsin-
ternen Diskussionen von besonderem Interesse. Anhand       Bundesverband der Deutschen Industrie e. V. (BDI)
der überlieferten Diskussionspapiere, Meinungsäuße-        BDI-Archiv
rungen, Abstimmungen der Mitgliedsverbände wird ein        Breite Straße 29, 10178 Berlin
differenzierter Einblick in die mitunter sehr heteroge-    Tel.: (030) 20281564, E-Mail: archiv@bdi.eu
nen Interessen der einzelnen Industriebereiche möglich.    https://bdi.eu/der-bdi/historie/
    Die Ausschussüberlieferungen sind organisations-       Die Benutzung des BDI-Archivs ist nach vorheriger
historisch in den BDI-Fachabteilungen zu finden. Die       schriftlicher Anfrage und Terminabsprache möglich.
Berliner Archivrundschau 2019-1                                                                                  21

Mehr als ein runder Geburtstag

N       ach einer „spannenden Geschichte aus dem Ar-
        chiv“ wurde ich gefragt, und könnte mit einer
solchen womöglich auch dienen. Noch viel lieber aber
                                                          baut Pressen; primär für die Pharmaindustrie, aber auch
                                                          für viele andere Industrien. Das mittelständische Un-
                                                          ternehmen hat zwei Tochterunternehmen in den USA
würde ich eine Geschichte über das Archiv schreiben.      und in Indien und beliefert Kunden rund um den Glo-
Denn vor gut zwei Jahren, als ich mit den Vorbereitun-    bus.
gen zum 100. Geburtstag der KORSCH AG begann,                 Der Vorstand der KORSCH AG hat große Weitsicht
gab es noch gar kein Archiv. Das „Gedächtnis des Un-      bewiesen, als die Kooperation mit dem Autor dieses
ternehmens“ drohte zu schwinden …                         kleinen Werkstattberichtes begann. Eine Gesamtvor-
    Schnell wurde klar, dass die geplanten Teilprojekte   laufzeit von drei Jahren ist aus heutiger Sicht – ein hal-
zum 100. Geburtstag ohne ein – zumindest in den           bes Jahr vor der großen Feier – als ideal zu bezeichnen.
Grundstrukturen vorhandenes – Archiv nicht realisier-     Alle geplanten Teilprojekte werden rechtzeitig abge-
bar wären. Mit unkomplizierter und tatkräftiger Unter-    schlossen sein.
stützung des Berlin-Brandenburgischen Wirtschaftsar-          Nun ist so ein 100-jähriges Jubiläum per se natür-
chivs wurde in kurzer Zeit eine maßgeschneiderte Tek-     lich etwas, das im Sinne eines funktionierenden History
tonik für das aufzubauende Archiv entwickelt. Zeit-
gleich konnte in vielen Streifzügen durch das             Emil Korsch, um 1919
Unternehmen eine beachtliche Menge an kleinen und
großen historischen Fundstücken zusammengetragen
werden. Analog dazu stieg das Bewusstsein für den
Wert derartiger Fundstücke bei den Mitarbeitern, so-
dass immer wieder einmal aus den Tiefen eines Akten-
schranks oder einer Werkbank interessante Dinge
auftauchten und mit einer kleinen Geschichte dem Ar-
chiv übergeben wurden.
    Die weitaus meisten Archivalien haben ihren festen
Platz gefunden. Der Kassation sind fast nur Dubletten
zum Opfer gefallen. Ob Fotos, Filme, Prospekte oder
Werbegeschenke, ob Akten, Auszeichnungen, Zeitungs-
artikel, Maschinenversatzstücke oder historische Werk-
zeuge, ob der erste Computer oder das erste Telefon des
Unternehmens, ob Plakate, Messedekorationen oder
ganze Maschinen – im Archiv fand alles seinen Platz
und ist dank der Archiv-Software AUGIAS auch kom-
fortabel wieder aufzufinden.
    Doch gehen wir noch einmal ein paar Schritte zu-
rück, um zu erklären, was KORSCH überhaupt tut. Vor
genau 100 Jahren gründete Emil Korsch sein Unterneh-
men und nannte es „Pharmaceutische Fabrik und Han-
del mit alten Maschinen“. Diese Firmierung war etwas
irreführend und wurde tatsächlich auch bald in „Spezi-
alfabrik für Tablettenpressen“ geändert. Und genau das
ist es, was die KORSCH AG auch heute noch tut – sie
22                                                                               Berliner Archivrundschau 2019-1

Marketing zum Anlass genommen werden sollte, um           men eines weitreichenden Kommunikationskonzeptes
nicht nur eine interessierte Fachwelt zu informieren,     umfassend für die interne und externe Kommunikation
sondern vor allem die Identifikation der eigenen Beleg-   eingesetzt.
schaft zu stärken. Also wurde der 100. Geburtstag lang-
fristig strukturiert und neben dem Aufbau eines Archivs
in die folgenden Teilprojekte gegliedert:                    100 Jahre – 100 Geschichten – Die Chronik
- Erstellung eines Kommunikationskonzeptes und Ent-
wicklung einer Wort-/Bildmarke,                           Bei den Grundüberlegungen zur Unternehmenschronik
- Erstellung einer Chronik,                               war schnell klar, was man nicht möchte: Es sollte kein
- Erstellung eines Filmes,                                trockenes lineares Geschichtsbuch entstehen, das man
- Entwicklung und Realisierung einer multimedialen        nur in einer Richtung, nämlich von Anfang bis Ende,
Präsentation der Unternehmensgeschichte und -gegen-       durchlesen müsste. Vielmehr sollte es ein non-linearer
wart,                                                     Ansatz mit kurzen, in sich geschlossenen Kapiteln sein,
- Konzeption und Durchführung einer Festveranstal-        der es dem Leser ermöglicht, von vorne nach hinten,
tung.                                                     von hinten nach vorne oder von der Mitte nach außen
                                                          zu lesen. Ganz nach Lust und Laune, nach persönlicher
                                                          Interessenlage und zur Verfügung stehender Lesezeit.
     100 Years Celebrating Tablets –                      Entstanden ist ein zweisprachiges facettenreiches Ka-
     Die Wort-/Bildmarke                                  leidoskop, das gewiss keinen Anspruch auf Vollstän-
                                                          digkeit erhebt, dem Leser aber zumindest einen
Erdacht wurde eine Wort-/Bildmarke, in deren Zentrum      vielschichtigen Eindruck, ein „Bauchgefühl“ für ein
die Zahl 100 steht. Und das, was KORSCH seit nun-         traditionsreiches Unternehmen vermittelt.
mehr 100 Jahren tut, lässt sich kaum besser und kürzer
subsummieren als in den beiden Worten „Celebrating
Tablets“. Das Jubiläumslogo wurde und wird im Rah-           100 Years Celebrating Tablets – Eine multi-
                                                             mediale Präsentation der Unternehmensge-
Gewerbeanmeldung                                             schichte

                                                                                          Auch bei diesem Teil-
                                                                                          projekt war frühzeitig
                                                                                          klar, was man nicht
                                                                                          wollte:     KORSCH
                                                                                          sollte kein Museum
                                                                                          werden … und doch
                                                                                          sollten die Sinne er-
                                                                                          freut werden. Ausstel-
                                                                                          len heißt „Geschichten
                                                                                          im Raum erzählen“,
                                                                                          was ohne Dramaturgie
                                                                                          nicht möglich ist. Ent-
                                                                                          wickelt wurde also ein
                                                                                          Konzept unter strikter
                                                                                          Einbeziehung        der
                                                                                          Räume, dem „Geist
                                                                                          des Ortes“, dem „ge-
                                                                                          nius loci“.
Berliner Archivrundschau 2019-1                                                                                   23

    Alle „zu bespielenden“ Räume wurden zunächst
millimetergenau vermessen und mit einem 3-D-Pro-
gramm visualisiert. Dann wurden die zur Verfügung
stehenden Wand- und Bodenflächen mit digitaler und
analoger „Flachware“, also mit Monitoren und Bildern,
sowie mit dreidimensionalen Exponaten bestückt. Um
auch über das Jubiläumsjahr hinaus in den Inhalten
möglichst variabel zu bleiben, wurden parallel zu den
historischen Inhalten bereits mehrere weitere Themen
zur Bespielung der Medien identifiziert.
    Nach dem Jubiläumsjahr bleibt die multimediale
Präsentation in wesentlichen Teilen auch langfristig er-   Serienproduktion der ersten KORSCH-Maschine, um 1936
halten. Außerdem wird sie digital transformiert und
über die Homepage einer interessierten Weltöffentlich-
keit präsentiert.                                          zu der einige KORSCH-Mitarbeiterinnen und -Mitar-
                                                           beiter gelangt sind. Der Erkenntnis nämlich, dass sie
                                                           zukünftig nicht mehr auf ein Archiv verzichten möch-
   100 Jahre in 120 Sekunden – Der Film                    ten. Perfekt in Worte gegossen hat diese Erkenntnis für
                                                           uns der Sprechgesangsartist Sido:
Auf der ACHEMA 2018, also ein Jahr vor dem Jubilä-           Und jetzt ist es konserviert und archiviert,
um, sollte bereits mit einem Kurzfilm auf das bevorste-      ich hab’s gespeichert
hende große Ereignis hingewiesen werden. Entstanden          Paraphiert und nummeriert, damit ich’s leicht hab‘
ist ein kompakter zweiminütiger Animationsfilm, der          Wenn die Erinnerung auch langsam verschwindet
einige der wesentlichen zeitgeschichtlichen Ereignisse       Weiß ich immer genau, wo man sie findet
mit den Meilensteinen der Firmengeschichte kombi-            („Bilder im Kopf“, 2014)
niert.                                                                                          Michael Dillmann

   Feste feiern! – Die Geburtstagsparty

Der erklärte Höhepunkt des Jubiläumsjahres ist die
Festveranstaltung im September 2019. KORSCH feiert
sich gemeinsam mit rund 1.000 Kundinnen und Kun-
den, Partnerinnen und Partnern sowie Mitarbeiterinnen
und Mitarbeitern aus aller Welt am Unternehmens-
standort in Berlin. Natürlich erwartet die Gäste ein
prachtvolles Programm, das dem besonderen Anlass
gerecht wird. Die Multimedia-Präsentation wird eröff-
net und die Unternehmenschronik präsentiert, eine Fac-
tory Tour der besonderen Art steht ebenso auf der
Agenda wie Kunst-Aktionen und spektakuläre Show-
Acts, Kreativ-Kulinarisches von drei Kontinenten und
natürlich eine anständige Party. Ohne Sperrstunde ver-     KORSCH AG - Unternehmensarchiv
steht sich; schließlich sind wir in Berlin …               Breitenbachstraße 1, 13509 Berlin
    Doch zurück zum Anfang: Das wahrscheinlich             Ansprechpartner: Michael Dillmann
Spannendste an dieser Geschichte ist eine Erkenntnis,      Recherchetermine nach Absprache
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